Das flammende Herz der Eisprinzessin

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In Kjells Armen über die Tanzfläche zu schweben, ist für Prinzessin Freya bittersüß. Nie hat sie die verbotene Nacht mit ihm vergessen, in der die Flammen der Leidenschaft sie zu verschlingen drohten. Seitdem träumt sie davon, ihrem geliebten Bodyguard noch einmal zu zeigen, welches Begehren er in ihr entfacht. Doch als nun auf dem Frühlingsball der letzte Ton verklingt, bricht ihr das Herz. Sie weiß: Wenn nicht ein Wunder geschieht, ist es ein Abschied für immer. Denn einen Bürgerlichen zu heiraten, verbietet ihr das königliche Protokoll.


  • Erscheinungstag 18.10.2022
  • Bandnummer 2566
  • ISBN / Artikelnummer 9783751510011
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

„Eure Hoheit? Seine Majestät wird in ein paar Minuten für Sie da sein.“

Prinzessin Freya von Svardia nickte und widerstand dem Drang, ihre Hand auf ihr unregelmäßig schlagendes Herz zu pressen. Sie rief sich in Erinnerung, dass es ihr Bruder war, mit dem sie sich treffen würde, nicht ihr Vater. Denn der war, der Tradition von Svardia folgend, im Alter von fünfundsechzig Jahren vom Thron zurückgetreten, so wie sein Vater und sein Großvater es vor ihm auch getan hatten. Die Tradition stellte damit sicher, dass derjenige, der auf dem Thron saß, geistig und körperlich stark genug war, das Land zu regieren.

Der regierende König – ihr Bruder Aleksander – würde sein erstes Jahr begehen, während ihr Vater und ihre Mutter zu einem Sabbatjahr aufgebrochen waren, fort von der Heimat und ohne Kontakt, um sicherzustellen, dass es keine Einmischung geben würde, während der neue König und die Menschen von Svardia sich aneinander gewöhnten.

Vor drei Monaten hatte Aleksander den Thron bestiegen. Und jetzt stand Freya draußen vor seinem Arbeitszimmer, die Hände hinter dem Rücken verschränkt und darauf vorbereitet, sich mit ihrem König einen Kampf zu liefern.

Ein Vogel, der am Fenster vorbeiflog, erregte ihre Aufmerksamkeit. Ihr Blick schweifte weiter über den frühjahrsgrünen Garten, der sich bis zu den Mauern erstreckte, die den Palast von der Hauptstadt Torfarn trennten. Der Anblick war ihr sehr vertraut, ohne dass sie je einen Gedanken daran verschwendet hätte. Doch nun hatte er etwas einzigartig Kostbares für sie.

Die schlichte Schönheit der alten Bäume, die Hainbuchenhecken, die den Irrgarten aus dem sechzehnten Jahrhundert säumten, die gepflegten Rasenflächen und der natürliche Park dahinter, all das zeugte von den vielen Generationen einer der ältesten Königsfamilien der Welt. Ihr Herz klopfte dumpf, als sie überlegte, was ihr Bruder Aleksander der zukünftigen Generation hinterlassen würde.

Vielleicht könnte sie, wenn sie ihren königlichen Titel ablegte, einen Job bekommen und hier Rundgänge für Touristen veranstalten. Das Lachen, das bei diesem paradoxen Gedanken in ihr aufstieg, blieb in ihrer Kehle stecken, und sie schloss die Augen.

Sie liebte das, was sie tat. Wer sie war. Eingebunden in die Geschichte, das Gefühl der Erhabenheit, der Respekt vor den Traditionen und das, wofür all dies stand. Und vor allem gefiel ihr, dass sie ihre Stellung und ihren Titel nutzen konnte, um die Anliegen der Menschen zu unterstützen, die es brauchten, Menschen, die das Volk von Svardia und ihre Politiker manchmal vergaßen. Aber sie wusste auch, dass die Stellung als Mitglied des Königshauses eine Verpflichtung mit sich brachte, die nur wenige verstehen konnten. Auch jetzt verspürte sie einen scharfen Stich angesichts der schmerzlichen Ironie, dass sie nur ihre Pflicht tun konnte, indem sie sie nicht tat.

Die Tür hinter ihr ging auf, und die beiden Palastangestellten traten in den Flur. Ihr Gespräch verstummte, und sie neigten die Köpfe, als sie Freya sahen. Sie wartete und erhaschte einen kleinen Blick in den Raum, in dem sich nun das Arbeitszimmer ihres Bruders befand. Auch wenn Aleksander es mit noch so viel moderner Technologie ausgestattet hatte, wirkte dieser Raum, wie jeder andere im Palast, sehr prächtig. Dass der Barockstil des Rilderdal-Palastes erhalten worden war, war der ganze Stolz ihres Vaters gewesen und eine Quelle der Peinlichkeit für ihren Bruder.

„Freya? Komm herein, ich habe nicht viel Zeit.“

Sie trat ein und schloss die Tür hinter sich. „Du solltest wirklich eine Sekretärin anstellen. Du kannst doch nicht weiterhin die Leute selbst hereinrufen.“

„Hast du es noch nicht gehört? Ich bin der König. Ich kann tun, was ich will.“

Freya wusste nicht, ob aus seiner Bemerkung pure Arroganz sprach oder eine finstere Ansicht über seine neue Stellung, nun da ihre Eltern nicht mehr da waren. Nicht dass es eine Rolle spielte. Denn seine Bemerkung erforderte keine Antwort.

Früher mochte es anders gewesen sein. Als sie beide jünger waren, war er anders gewesen. Doch mit seinem siebzehnten Geburtstag hatte er sich verändert. Die Herzlichkeit zwischen ihnen war plötzlich verschwunden, ohne irgendeine Erklärung. Und was war an deren Stelle getreten? Ein beherrschter und unfreundlicher Mann, der selbst ihr gegenüber verschlossen war. Jetzt konnte sie nur selten sagen, was er dachte, ganz zu schweigen davon, was er vorhatte. Und das brachte sie nun zu der Überlegung, welchen Preis sie beide für den Thron bezahlt hatten.

„Bist du sicher, dass es das ist, was du willst?“, fragte er und starrte sie an, um ihre Reaktion einzuschätzen.

Verblüfft sah sie in seine Augen, die so dunkel waren, dass sie fast schwarz wirkten. Ihre hingegen waren von einem hellen Bernstein, während die ihrer jüngeren Schwester Marit eine perfekte Mischung aus beidem waren, ein erstaunliches Haselnussbraun.

Bei seinem Versuch, sie zu überrumpeln, hätte sie beinahe gelacht und vielleicht verraten, dass es das Letzte war, was sie wollte. Aber sie war zu wohlerzogen und so eine perfekte Prinzessin, dass sie selbst jetzt diplomatischer war als er.

„Ja. Ich habe mich entschieden.“

Aleksander grummelte eine unverständliche Antwort, drehte sich um und schaute aus dem Fenster, umrahmt von den verhassten rosa Vorhängen. „Was glaubst du, was Vater sagen würde?“, fragte er in überraschend bekümmertem Ton.

Ihr Magen drehte sich um. Sie wusste, was ihr Vater sagen würde. Dass sie das Richtige tat – das Einzige, was getan werden musste. Doch wenn sie das sagte, würde ihr Bruder wahrscheinlich noch stärker auf seinem Standpunkt beharren, deshalb meinte sie: „Das wissen wir erst in acht Monaten, wenn sie wieder da sind.“

„Du könntest dich mit ihnen in Verbindung setzen. Falls du das willst?“

Freya fragte sich, warum er glaubte, dass das überhaupt einen Unterschied machen würde. Ihre Eltern würden es ihr nicht danken, sondern als eine Angelegenheit betrachten, mit der allein der König von Svardia sich herumschlagen musste. Und falls sie auf emotionale Unterstützung hoffte, nun … Freya, Aleksander und Marit wussten, dass sie in diesem Punkt nicht viel erwarten konnten.

„Ich glaube nicht, dass er den Bruch des Protokolls schätzen würde.“

„Selbst in diesem Fall nicht?“, wollte er wissen.

„Das ist mein Problem. Ich habe immer gewusst, wie wichtig die Erbfolge ist.“

„Wenn du mir Zeit gibst …“

„Aleksander“, fiel sie ihm ins Wort, „falls dir irgendetwas passiert, bevor du Kinder hast, oder deiner Familie in Zukunft etwas zustößt, fällt der Thron an mich und …“ Sie biss die Zähne aufeinander, weil es ihr immer noch schwerfiel, es auszusprechen.

„Falls“, erwiderte Aleksander.

„Ein Falls, das unserem Vater widerfahren ist.“ Freya versuchte verzweifelt, nicht aufgebracht zu klingen. Nachdem er nach dem schrecklichen Verlust seines älteren Bruders die Herrschaft hatte übernehmen müssen, hatte ihr Vater immer dafür gesorgt, dass sie um die Bedeutung als zweitgeborenes Kind wusste. Die Last und Verantwortung dieser Pflicht trug sie seit ihrer Geburt und würde sie bis zu ihrem letzten Atemzug tragen. Selbst nachdem sie entdeckt hatte, dass sie diese Pflicht nicht in vollem Ausmaß erfüllen könnte.

„Marit wird sich schwertun.“

„Ja“, stimmte Freya zu. „Aber ich werde ihr helfen, wo ich nur kann.“

Frustriert stieß ihr Bruder die Luft aus. „Natürlich würdest du deiner Nachfolgerin helfen, egal, was es dich kostet.“

„Es ist meine Pflicht. Und sie ist unsere Schwester“, antwortete sie.

„Sie wird heiraten müssen. Und zwar bald. Für sie werden nun die gleichen Regeln gelten, Freya. Sie wird einen Adligen heiraten müssen, so wie du es hättest tun müssen.“

Freya konnte nur nicken. Sie hasste es, dass Marit mit hineingezogen wurde. Nicht nur wegen der archaischen Gesetze, die bestimmten, welchen Mann sie heiraten musste, sondern weil ihre jüngere Schwester sich mit den Beschränkungen ihrer neuen Pflichten herumplagen müsste. Freya war damit groß geworden und hatte gewusst, wie eingeschränkt ihr Leben sein würde. Marit hingegen war immer die Wilde gewesen, und Freya und Aleksander hatten Nachsicht mit ihr gezeigt und sich an ihrer Freiheit erfreut, auch wenn sie ihnen selbst nicht zustand.

„Es tut mir leid“, sagte sie mit belegter Stimme.

„Es ist nicht deine Schuld. Und ich bin immer noch nicht sicher, ob es notwendig ist.“

„Ach wirklich? Seit deiner Krönung sind schon drei Monate vergangen. Falls die Presse das über mich herausfindet und du immer noch unverheiratet bist und ohne …“ Ihr Herz und ihr Verstand stolperten über das Wort.

Kinder.

Hinter dem Rücken ballte sie die Hände zu Fäusten, um den tief sitzenden Schmerz abzuwehren.

„Freya …“

Sie hielt eine Hand hoch, um ihn zum Schweigen zu bringen. „Falls die Presse es herausfindet, wird es ein Gemetzel geben.“ Sie konnte es deutlich vor sich sehen. Die Presse würde ihr jede Würde und Privatsphäre entreißen. Überall würde man Ärzte, Berühmtheiten und normale Menschen von Svardia nach ihrer Meinung über das Versagen ihres Körpers fragen. „Und das würde sich nicht nur auf mich auswirken, Aleksander. Sie würden auch in deinem Leben herumwühlen, in Marits … dabei stehst du schon unter genauer Beobachtung …“

„Freya“, warnte er.

„Aleksander, ich glaube an dich. Und an das, was du für Svardia zu erreichen versuchst. Aber es wird bereits darüber getuschelt, du seiest zu progressiv und zu schnell mit deinen Veränderungen.“

„Es ist meine Pflicht, das zu ertragen, nicht deine.“

„Aber meine ist es, sicherzustellen, dass du durch nichts in dem gestört wirst, was du zu erreichen hoffst.“

„Sie werden dich auseinandernehmen, Freya.“

„Ja, das werden sie“, entgegnete sie, weil sie um die Folgen wusste. „Aber nicht, weil ich als Frau versage. Wir werden ihnen sagen, dass ich mich entschieden habe abzutreten, um Zeit zu haben, an mir selbst zu arbeiten. Wir wissen doch alle, wie sehr die Presse es liebt, Hasstiraden über ein Mitglied des Königshauses zu verbreiten, das nur mit sich selbst beschäftigt ist. Das sollte sie eine Zeit lang beschäftigt halten.“

Vielleicht könnte sie sich so ihre Würde bewahren. Ihre Identität.

Denn dass ihre Weiblichkeit infrage gestellt werden könnte, vor solch einem drohenden Schlag schreckte sie zurück. Sie würde sich selbst verlieren. Deshalb nein. Sie konnte sich dem nicht stellen. Es war besser, die Presse glauben zu lassen, ihr sei die Stellung, in die sie hineingeboren worden war und die sie mit jedem Atemzug liebte, egal.

„Hätte ich Kinder …“

„Du hast keine“, sagte sie.

„Aber ich werde welche haben“, stieß er hervor, als würde es ihn große Mühe kosten.

„Ja, aber wie lange dauert das noch? Zwei oder drei Jahre? Kein Palast kann etwas so lange geheim halten. Dass ich unfruchtbar bin, wird in den nächsten drei Monaten herauskommen. Wenn wir Glück haben, erst in einem halben Jahr. Wenn ich jedoch zurücktrete, wird das keine Frage mehr sein, und wir haben eine viel größere Chance, es für die Dauer der Zeit geheim zu halten, die du brauchst.“ Dass die Medien nie etwas über ihre Unfruchtbarkeit erfahren würden, war für sie nur eine vage Hoffnung.

„Du hast auf alles eine Antwort.“

„Weil ich über jedes Für und Wider genau nachgedacht habe.“ Und das stimmte. Es tat ihr unendlich weh, denn sie würde nie freiwillig abtreten. Aber wenn das bedeutete, die Stabilität und Zukunft ihrer Familie und des Landes damit zu sichern, war es eine einfache Entscheidung.

„Nun, dann habe ich noch eine letzte Pflicht, die du erfüllen müsstest, Eure Hoheit“, sagte er und stellte sich neben seinen Schreibtisch. Jetzt war er nicht mehr ihr Bruder, sondern ihr König. „Ich habe eine Tapferkeitsmedaille, die ihrem Empfänger ausgehändigt werden muss.“

Freya runzelte die Stirn. „Ich verstehe nicht. Medaillen werden doch bei der Ordensverleihung vergeben.“

„Der Empfänger weigert sich, daran teilzunehmen.“

Die Tapferkeitsmedaille wurde Angehörigen des Militärs verliehen, die im Angesicht extremer Gefahr außergewöhnlichen Mut bewiesen hatten. Aber dass jemand die Verleihung durch den König, den Oberbefehlshaber, ablehnte, war nicht nur unerhört, sondern warf auch ein schlechtes Licht auf Aleksander, vor allem weil dies seine erste Ordensverleihung war. Man würde es als Misstrauensvotum ansehen, egal, welche Gründe hinter der Weigerung stecken mochten, und das könnte ein vernichtender Schlag für Aleksanders Herrschaft sein.

„Warum will die Person die Medaille nicht?“

„Es ist an dir, das herauszufinden, wenn du sie ihm bringst.“

Ihm. Sonst ging ihr Bruder nicht so sparsam mit seinen Worten um.

Schließlich seufzte Aleksander. „Kjell Bergqvist.“

Ihr wurde heiß und kalt, und ihr Herz setzte einen Schlag aus. Freya zwang sich, nicht entsetzt nach Luft zu schnappen. „Nein.“ Ungebeten entschlüpfte ihr dieses Wort.

„Das steht nicht zur Debatte.“ Er sprach ruhig, klang jedoch unversöhnlich. „Wenn du von deinen Pflichten, deinem Titel und deiner Familie zurücktreten willst, dann kannst du bei Gott nicht von mir erwarten, dass ich es dir leicht mache.“

„Sander …“

„Der Helikopter wird in einer Stunde hier sein. Steig ein … oder nicht.“

Ihr Bruder sah sie nicht länger an, sondern warf einen Blick auf ein Schriftstück, so wie ihr Vater es immer getan hatte, wenn er keine Lust hatte, jemandem zu sagen, dass er wegtreten könne.

Du hast keine Wahl.

„Eine Stunde?“, fragte sie und hasste sich dafür, weil sie so schwach klang.

„Ich glaube, es gibt schlechteres Wetter“, sagte er und sah immer noch nicht hoch.

Freya warf einen Blick aus dem Fenster und runzelte die Stirn über den klarblauen Himmel.

Plötzlich machte der Helikopter einen Ruck, und Freyas Magen hob sich, während sie gegen eine Welle der Übelkeit ankämpfte, was jedoch niemand in der kleinen Kabine merkte. Jahrelang hatte sie vor dem Spiegel eine gelassene Miene geübt, und sie trug sie wie eine Krone. Der Pilot entschuldigte sich über Kopfhörer, und sie warf ihm ein beruhigendes Lächeln zu.

Normalerweise liebte sie es, die Landschaft zu betrachten, über die sie flogen, doch jetzt konnte sie nur Weiß sehen, als sie den Luftraum von Svardia verließen und Richtung Schweden flogen.

„Wer ist dieser Kerl überhaupt?“, hörte sie den jungen Gardisten zu Gunnar flüstern, dem Chef ihres königlichen Sicherheitstrupps. Freya konnte nicht anders und drehte sich zu Gunnar um. Als sie merkte, dass er sie anstarrte, spürte sie, dass ihre Wangen rot wurden. Sie wandte den Blick wieder zum Fenster und starrte auf die weiße Landschaft.

„Oberstleutnant Bergqvist ist ein höchst respektiertes und geschätztes Mitglied der Armee von Svardia“, hörte Freya hinter sich Gunnars Stimme.

Oberstleutnant?

Sie verbarg ihre Reaktion hinter einer straffen Haltung und überlegte, wie der große, schlanke Student, den sie einst gekannt hatte, ein so einflussreicher Soldat hatte werden können. Auf der anderen Seite musste sie einräumen, dass sie eigentlich nichts über ihn gewusst hatte.

Sie gab sich der verschwommenen Erinnerung hin, an die sie seit acht Jahren nicht mehr gedacht hatte.

Sie hatte damals auch in einem Helikopter gesessen, erschüttert nicht nur durch Turbulenzen, sondern auch durch den Schock. Der nicht nur so heftig war, weil sie die schreckliche Nachricht bekommen hatte, dass ihre Schwester einen Unfall gehabt hatte und von Svardias besten Ärzten versorgt wurde. Nein. Es war das Entsetzen, das sie erfasst hatte, als ihr klar wurde, dass ihr Freund, der sie zum Lachen gebracht hatte, bei dem sie sich sicher, gewollt und begehrt gefühlt hatte, dem sie ihre Küsse und sich selbst geschenkt hatte, ein Undercover-Bodyguard war, angeheuert von ihrem Vater …

Er saß ihr gegenüber in dem Helikopter, der sie aus der Schweiz zurück nach Svardia bringen würde, und starrte sie an, als sei sie eine Bombe, die noch nicht explodiert war. Sie biss die Zähne aufeinander und wandte den Blick ab, um aus dem Fenster zu sehen, damit die drei Sicherheitsbeamten die Träne nicht bemerkten, die über ihre Wange rollte.

Vier. Es waren vier Sicherheitsbeamte mit ihr in der Kabine.

Vor weniger als vierzig Minuten waren sie und Kjell noch in ihrem Studentenwohnheim gewesen und hatten gelacht. Wobei Freya jetzt nicht mehr wusste, worüber. Sie hatte Monate gebraucht, ihm ein Lachen zu entlocken, und als er zum ersten Mal lachte, hatte sie es tief in ihrem Herzen gespürt. Sie hatten gelacht, doch es war verklungen, als Verlangen die Oberhand gewann und er sie küssen wollte … so wie er es hundertmal in den letzten Monaten getan hatte.

Sie sehnte sich mit einer Heftigkeit nach seinen Küssen, die sie überwältigte.

Als sein Handy klingelte, veränderte sich sein Blick bei dem seltsamen Klingelton, den sie noch nie gehört hatte. Drei Sekunden später klingelte auch ihr Handy. Es war ihr Bruder, der ihr sagte, dass Marit einen Unfall gehabt hatte und Freya sofort nach Hause kommen müsste. Angst erfasste sie. Ihr Herz raste, und vor lauter Sorge hörte sie nur noch ein Rauschen in ihren Ohren.

Kjell sah hoch, bemerkte ihr entsetztes Gesicht und legte eine Hand auf ihren Arm, um sie zu beruhigen. Und es funktionierte. Sie wurde ruhiger und konnte nun hören, was Aleksander als Nächstes sagte.

„Marit wird wieder in Ordnung kommen, Freya. Aber wir brauchen dich hier. Bei dir befindet sich ein Personenschützer. Wir können später darüber diskutieren, doch jetzt bringt er dich erst einmal nach Hause. Sein Name ist Bergqvist. Kjell Bergqvist.“

Ihr Magen hob sich vor Entsetzen, und ihr war übel.

Sie hatte ihren Vater angebettelt, ihr keinen Sicherheitstrupp mitzugeben. Denn sie hatte ihm unbedingt beweisen wollen, dass er ihr vertrauen konnte. Dass sie während ihrer Zeit an der schwedischen Universität die perfekte, pflichtbewusste Prinzessin sein würde. Und das hatte sie ernst gemeint.

Bis sie Kjell kennenlernte.

Sie fühlte sich zutiefst beschämt. Nicht nur, weil sie bewiesen hatte, dass sie alles andere war als die perfekte Prinzessin, sondern weil sie sich ausgerechnet auf den Mann eingelassen hatte, der geschickt worden war, um sie auszuspionieren.

Der Mann, der ihr nun im Helikopter gegenübersaß.

Wieder rollte eine Träne über ihre Wange. Während der Monate ihrer geheimen Beziehung hatte sie das Wissen niedergekämpft, dass die Beziehung niemals eine Zukunft haben würde. Weder ihr Vater noch die Gesetze, an die die Königsfamilie gebunden war, erlaubten ihr, einen Bürgerlichen zu heiraten. Trotzdem hatte sie ihn gewollt. Für ihn war sie das Risiko eingegangen. Sie hatte sich in ihn verliebt, weil er ihr das Gefühl gab, für das geliebt zu werden, wer sie war, nicht was sie war.

Freya kämpfte gegen ein Schluchzen an. Denn das, was für sie so kostbar geworden war, basierte auf einer Lüge. Und wie könnte man eine Lüge lieben?

Sie verspannte sich, um zu kaschieren, dass sie innerlich zitterte. Der Verrat, den sie empfand, fühlte sich für sie an wie eine Glocke, die tief in ihrem Herzen immer wieder geschlagen wurde und deren Vibration ihren ganzen Körper erzittern ließ.

„Freya.“

Als sie seine Stimme hörte, kniff sie die Augen zusammen.

„Bergqvist“, ertönte die warnende Stimme des Sicherheitschefs.

Auch wenn niemand etwas Genaues wusste, war offensichtlich, dass sie auf die Enthüllung seiner Identität extrem reagiert hatte.

Sie fühlte sich so beschämt, dass ihre Wangen sich rot färbten. Denn jetzt vermuteten sie sicher, dass etwas zwischen ihnen gewesen war.

„Freya“, versuchte er es noch einmal.

Als sie ihn weiter ignorierte, riss er den Kopfhörer herunter und öffnete den Sicherheitsgurt. Dann streckte er die Arme aus und nahm ihr Gesicht in die Hände.

„Bergqvist!“

„Wir müssen darüber reden.“

„Es gibt nichts zu reden“, flüsterte sie barsch und versuchte, sich seinem Griff zu entziehen.

Oh Gott. Es tat so weh.

„Ich wollte es dir so oft sagen.“

„Zurück auf Ihren Platz, Bergqvist. Das ist ein Befehl!“

Er sah sie an, und in seinem Blick standen Qual und Sehnsucht. Doch für sie war da nichts als Verrat.

„Für mich war es echt“, flüsterte er.

Sie versuchte, den Kopf zu schütteln, aber er hielt ihn mit seinen warmen Händen fest.

„Es war echt für mich“, beharrte er.

Freya schaute ihm tief in die Augen. Noch nie hatte sie etwas so intensiv empfunden wie den Schmerz in ihrem Herzen. Fast glaubte sie, es brechen zu hören. „Ich will dich nie mehr wiedersehen.“

Schockiert ließ er sie los, und sie drehte den Kopf weg und starrte nach draußen.

Den gesamten Flug zurück nach Svardia wandte sie den Blick nicht ein einziges Mal vom Fenster ab.

Nach der Landung wartete sie, bis alle Männer die Kabine verlassen hatten. Erst dann stand sie auf, hielt aber die Augen zu Boden gesenkt, weil sie nicht einmal einen flüchtigen Blick auf ihn erhaschen wollte.

An diesem Tag hatte sie ihn aus ihrem Leben und ihrem Herzen verbannt und sich geschworen, ihn nie wiederzusehen.

„Eure Hoheit?“ Wir werden gleich landen, hörte sie jetzt eine Stimme durch den Kopfhörer und wurde aus den Erinnerungen gerissen, die eine frische Wunde in ihrem Herzen zurückließen.

Der Pilot ging viel näher am Rand des Waldes herunter, als Freya für möglich gehalten hätte. Doch sie waren immer noch ein gutes Stück entfernt von den beiden Behausungen, die sie kaum ausmachen konnte, weil sie unter erschreckend viel Schnee begraben waren.

Sie wartete, bis die Männer in den grünen Overalls Schalter umlegten und in ihre Kopfhörer murmelten. Ihr Puls verlangsamte sich, so wie die Rotoren über ihr.

„Eure Hoheit, wir sind so weit.“

Sie nickte Gunnar zu und streckte die Hand nach dem Griff über der geöffneten Tür aus. Ein junger Wachmann, der am Boden stand und dessen Wangen vor Aufregung gerötet waren, hielt ihr die Hand hin. Vermutlich war dies sein erster Einsatz. War sie auch Kjells erster Einsatz gewesen?

„Eure Hoheit?“

Sie drehte sich zu Gunnar um.

„Wir haben nicht viel Zeit. Das Wetter hat sich überraschend verschlechtert. Von Osten kommt ein Sturm auf, der heftig werden soll.“

Freya zögerte nicht länger. Sie wollte auf keinen Fall das Risiko eingehen, hier festzusitzen. Sie hatte ein Ziel. Kjell die Medaille geben und dann wieder verschwinden. Zumindest das war er ihr schuldig.

Ein wenig plump landete sie am Boden, trotz der Unterstützung des Wachmanns, denn der Schnee lag etwa zehn Zentimeter höher, als sie geglaubt hatte. Bei dem Aufprall zuckte sie zusammen, doch sie fasste sich wieder.

Es muss sein, redete sie sich entschieden ein.

Freya sah zu der großen Blockhütte, die ihnen am nächsten lag. Durch die dicht fallenden Schneeflocken waren die rot gestrichenen Holzbretter kaum zu erkennen. Doch die Blockhütte dahinter, näher am Wald gelegen, zog ihren Blick an, und sie hatte das Gefühl, sie schon einmal gesehen zu haben, obwohl sie in diesem südlichen Teil von Schweden noch nie gewesen war.

Sie erschauerte, als sich eine Schneeflocke unter ihren aufgestellten Mantelkragen verirrte. Die eisige Flocke prallte auf ihre immer größer werdende Wut, als sie daran dachte, was hätte sein können und was doch nie sein würde. Die Vergangenheit mit Kjell und die Zukunft mit Kindern, die sie nie haben würde, wie ihr schmerzlich bewusst war.

Ihr Kopf ruckte hoch, als sie seinen Blick auf sich spürte, der ihre Haut erhitzte. Doch es dauerte einen Moment, bis sie ihn entdeckte. Er lehnte an der am weitesten entfernten Blockhütte und sah ihnen zu, wie sie näher kamen, als habe er alle Zeit der Welt.

Gänsehaut lief über ihren Rücken, und eine schockierende Sehnsucht erfasste sie mit aller Macht. Bis sein Betrug den Nebel des Verlangens durchdrang.

Freya riss sich zusammen. Sie wusste, dass sie ihn nur entdeckt hatte, weil er es wollte. Und sie wandte den Blick auch nicht mehr von ihm ab, aus Angst, er könne verschwinden, wenn sie nur einmal blinzelte. Dann wäre alles umsonst gewesen, ihre einzige Chance auf Freiheit verflogen.

Der Schnee machte es viel schwerer weiterzukommen, sodass ihr mehr Zeit blieb, seinen Anblick in sich aufzunehmen. Warum stand er mitten in einem heftigen Schneesturm mit nur einem langärmligen, engen Oberteil da? Die dazu passende Hose sah aus wie eine Armeehose, und wüsste sie nicht schon von seinem Rang in der Armee, hätte sie ihn auch so als gefährlich eingestuft. Er drehte etwas in seinen Händen hin und her – einen Lappen oder ein Stück Stoff? Wie kalt mochten seine Hände wohl sein, wo er nicht einmal Handschuhe trug?

Als sie näher kam, fielen ihr weitere Details auf. Seine Haare, immer noch von der Farbe gesponnenen Goldes, waren oben ein wenig länger, an den Seiten jedoch kurz geschnitten, sodass seine hohen Wangenknochen deutlich sichtbar waren. Seine Brust war breiter und muskulöser, als sie sie in Erinnerung hatte, seine schmalen Hüften wurden durch einen Gürtel betont.

Vielleicht lag es an dem Schnee und den abgeschiedenen Blockhütten, dass sie ihn sich eher mit einem Bart vorstellte, wie der eines nordischen Gottes. Doch er war rasiert, sodass es sie in den Fingern juckte …

Autor

Pippa Roscoe
<p>Pippa Roscoe lebt mit ihrer Familie in Norfolk. Jeden Tag nimmt sie sich vor, heute endlich ihren Computer zu verlassen, um einen langen Spaziergang durch die Natur zu unternehmen. Solange sie zurückdenken kann, hat sie von attraktiven Helden und unschuldigen Heldinnen geträumt. Was natürlich ganz allein die Schuld ihrer Mutter...
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