Der Danforth Clan - steinreich und skandalträchtig

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Erleben Sie in der zwölfteiligen Danforth Serie die Geschichten des skandalträchtigen und steinreichen Danforth Clans.

DER DUFT DIESER FRAU

Ihr süßer Duft - eine Mischung aus Vanille und Zimt - ist für ihn Verführung pur. Am liebsten würde Reid die bezaubernde Tina gleich auf seinem Schreibtisch vernaschen. Aber passt eine bodenständige Bäckerstochter zu dem mondänen Schiffseigner und seinem Jetset-Leben?

DREIßIG NÄCHTE DER VERSUCHUNG

Dieser Mann soll sie beschützen? Dreißig Tage und dreißig Nächte? Die Unternehmertochter Kimberly Danforth erschauert lustvoll. Denn Zack Sheridan sieht verboten sexy aus. Statt sie zu beruhigen, versetzt er sie in prickelnd erotische Spannung. Kann das gutgehen?

HEIßE HOCHZEIT IN LAS VEGAS

Er hat ein Kind - Jacob Danforth ist schockiert! Wie konnte Larissa ihm die Folge ihrer einzigen Liebesnacht vorenthalten? Spontan schlägt er ihr eine Scheinehe vor. Regel Nummer eins: kein Sex! Nicht leicht, wenn man in Las Vegas heiratet und die Braut so sinnlich ist …

WIE VERFÜHRT MAN SEINE FEINDIN

Ihr siebter Sinn verrät der jungen Reporterin Jasmine, dass Wesley Brooks ein brisantes Geheimnis hat. Ein Familienskandal vielleicht? Sie muss sich entscheiden: Für den siebten Himmel der Lust in seinen Armen - oder für die beste Story ihrer Karriere …

WER BIST DU, MEINE SCHÖNE?

Was verbirgt sie vor ihm? Ian Danforth spürt, dass seine neue Assistentin Katie ein Geheimnis hat. Trotzdem fühlt er sich zu ihr hingezogen wie zu keiner Frau je zuvor. Doch selbst nach einer leidenschaftlichen Liebesnacht weigert sie sich, ihm ihr Herz zu öffnen …

IM BANN DES SCHEICHS

Mit seinen dunklen Augen blickt Scheich Raf Ibn Shakir direkt in ihre Seele, und seine sanften Berührungen lassen ihre Körper erbeben. Kein Mann ist Genie jemals so gefährlich nah gekommen, hat ihren Entschluss so sehr ins Wanken gebracht, für immer allein zu bleiben …

DARF EINE NANNY SEXY SEIN?

Ihr erster Auftritt als Nanny ist eine Katastrophe! Trotzdem bekommt Heather den Job - der schnell zum Spiel mit dem Feuer wird. Denn je heftiger sie sich mit ihrem Boss Tobias Danforth um Erziehungsfragen streitet, desto stärker wird die gegenseitige Anziehungskraft …

LIEBE - BEI TAG UND BEI NACHT

"Hallo Lea!" Michaels erotische Stimme lässt Lea erschauern. Doch warum kommt ihr mitternächtlicher Lover plötzlich am helllichten Tag vorbei? Will er Sex? Oder will er ihre Affäre beenden, weil er schließlich hinter ihr wohlbehütetes Geheimnis gekommen ist ....

RISKANTE AFFÄRE - VERRÄTERISCHE KÜSSE

Selene weiß genau, wie riskant ihre heimliche Affäre mit Adam Danforth ist! Aber die Leidenschaft in seinen Armen ist stärker als die Feindschaft zwischen ihren Familien - glaubt Selene jedenfalls, bis ein Skandal alles zu zerstören droht…

GEFÄHRLICH HEIßE LEIDENSCHAFT

FBI-Agentin Dana Aldrich weiß viel über den steinreichen, skandalumwitterten Danforth-Clan. Aber als sie den Job als Bodyguard von Marc Danforth annimmt, lernt sie noch etwas dazu: Marc ist sexy, clever, ein toller Lover - und er schwebt in Lebensgefahr!

HEIßE SCHWÜRE - WAHRE LIEBE?

Meint er, er könne sie noch einmal mit seinen Liebesschwüren erobern? Tanya hat nicht vergessen, dass David sie im Stich gelassen hat. Das passiert ihr nie wieder - auch wenn sie sich mit jeder Faser ihres Körpers nach Davids Zärtlichkeiten sehnt …

KÜSS MICH, WENN UNS KEINER SIEHT

Charmant und smart hat Nicola den Wahlkampf von Abe Danforth geleitet. Kein Wunder, dass sie den Gipfel des Erfolgs stürmten. Und den der Lust. Ihre Affäre zu verbergen, war kein Problem - bis Nicola verräterische Zeichen sieht. Auf einem Schwangerschaftstest …


  • Erscheinungstag 16.12.2015
  • ISBN / Artikelnummer 9783733773151
  • Seitenanzahl 1728
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Cover

Barbara Mccauley, Maureen Child, Katherine Garbera, Brenda Jackson, Kathryn Jensen, Kristi Gold, Cathleen Galitz, Sheri Whitefeather, Anne Marie Winston, Linda Conrad, Shirley Rogers, Leanne Banks

Der Danforth Clan - steinreich und skandalträchtig

IMPRESSUM

Der Duft dieser Frau erscheint in der HarperCollins Germany GmbH

Cora-Logo Redaktion und Verlag:
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© 2004 by Harlequin Books S.A.
Originaltitel: „The Cinderella Scandal“
erschienen bei: Silhouette Books, Toronto
Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

© Deutsche Erstausgabe in der Reihe COLLECTION BACCARA
Band 310 - 2012 by Harlequin Enterprises GmbH, Hamburg
Übersetzung: Brigitte Marliani-Hörnlein

Umschlagsmotive: Harlequin Books S.A.

Veröffentlicht im ePub Format in 10/2015 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 9783733765712

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.
CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

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BIANCA, JULIA, ROMANA, HISTORICAL, TIFFANY

 

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1. KAPITEL

Ein eisiger Januarregen fegte über die Stadt. Blitze durchzuckten den schwarzen Himmel über Savannah. Donnerschläge erschütterten die majestätischen Eichen, die den Privatweg säumten, rüttelten an den Zweigen und Blättern und ließen die moosbedeckten Stämme erzittern.

Es war ein Wetter, bei dem man keinen Hund vor die Tür jagte, aber wenn Abraham Danforth seine Familie zu einem Treffen rief, kamen alle.

Am Strand unterhalb des Herrenhauses Crofthaven Manor brachen sich schäumend die Wellen, doch Reid Danforth saß warm und trocken in seinem komfortablen BMW. Duke Ellington ertönte aus den Lautsprechern, vermischte sich mit dem Geräusch des Regens, der auf das Autodach prasselte, und dem Wupp-wupp der Scheibenwischer. Nach einem langen, hektischen Tag mit harten Verhandlungen mit Maximilian Paper Products, einem der größten Kunden von Danforth & Co. in Österreich, war Reid dankbar für die friedliche halbstündige Fahrt zum Haus seiner Familie.

Eine Fahrt, die gleich enden wird, dachte er, als er vor dem großen, schwarzen schmiedeeisernen Tor vorfuhr.

Er atmete tief aus, drückte auf die Fernbedienung in seinem Wagen und sah zu, wie sich das massive Tor langsam öffnete. Ein Blitz erhellte das große, im Stil des 18. Jahrhunderts gebaute Herrenhaus am Ende der Einfahrt. Der Donner grollte am Himmel wie Geschützlärm. Licht drang aus den Bleiglasfenstern des Hauses.

Reid, inzwischen zweiunddreißig, war – abgesehen von den Jahren, die er in verschiedenen Internaten verbracht hatte – hier aufgewachsen. Und dennoch beeindruckte ihn das Anwesen immer wieder aufs Neue. Crofthaven war Ende des neunzehnten Jahrhunderts von seinem Urgroßvater Hiram gebaut worden und darauf ausgelegt, die Zeit zu überdauern. Und Widerstandsfähigkeit war auch eine Eigenschaft, die seine Nachkommen auszeichnete – dafür hatte Hiram schon gesorgt.

Reid parkte zwischen zwei der drei Limousinen der Familie und stellte den Motor ab. Er blieb sitzen und lauschte dem monotonen Prasseln des Regens auf das Autodach. Er brauchte immer einen Moment, um den Wandel zwischen der realen Welt und Crofthaven zu vollziehen. Heute Abend würde sein Vater von der ganzen Danforth-Sippe absolute Aufmerksamkeit erwarten. Er wollte seine Strategie für die bevorstehende Senatorenwahl darlegen. Die Geschlossenheit und Unterstützung der Familie waren für einen erfolgreichen Wahlkampf unerlässlich.

Abraham Danforth kannte das Wort Misserfolg nicht, eine Tatsache, die den ohnehin reichen Reeder noch wohlhabender hatte werden lassen als seine Vorfahren. Reich genug, um sich aus dem Tagesgeschäft von Danforth & Co. Shipping zurückzuziehen und eine neue Karriere in der Politik zu starten.

Da er bereits spät dran war, stieg Reid schließlich aus und lief durch den strömenden Regen zur Haustür. Ein eiskalter Wind blies ihm ins Gesicht. Schnell öffnete er die riesige Eichentür und trat in das weiße Marmorfoyer. Auf einem Tisch neben der herrschaftlichen, ausladenden Treppe stand eine große Kristallvase mit weißen Rosen, deren Duft die Luft erfüllte. Dazu das himmlische Aroma nach Lammbraten und Oregano.

„Master Reid.“ Joyce Jones, Crofthavens Haushälterin, kam auf ihn zu. „Ich habe mir schon Sorgen um Sie gemacht.“

„Es ist alles in Ordnung“, versicherte Reid der Frau, die er schon sein ganzes Leben lang kannte. „Ich musste im Büro noch etwas Papierkram erledigen.“

Obwohl nie besonders herzlich, war die gut sechzig Jahre alte Haushälterin zumindest eine Konstante in Reids unsteter Kindheit gewesen. Noch heute trug sie die gleiche schwarze Uniform, die gleichen robusten Arbeitsschuhe. Selbst ihre Frisur, ein schlichter Knoten, hatte sich nicht geändert, auch wenn die braunen Haare mittlerweile von grauen Strähnen durchzogen waren.

„Ein schreckliches Wetter.“ Joyce trat hinter Reid, um ihm aus seinem nassen Trenchcoat zu helfen. Aus Gewohnheit strich sie über seine Schultern und richtete den Kragen seines Jacketts. „Martin serviert Punsch und Martinis im Salon. Ihr Vater telefoniert noch in seinem Büro. Ich werde ihm sagen, dass Sie eingetroffen sind.“

„Danke.“

Auf dem Weg zum Salon lockerte Reid seine Krawatte. An der Tür blieb er stehen. Zwei seiner Brüder, Ian und Adam, standen mit seinem Cousin Jake vor dem Kamin. Vermutlich diskutierten sie über die D&D-Coffeehouse-Kette, die sie in der Region um Savannah gegründet hatten. Neben der Bar führte Reids jüngster Bruder Marcus – der Anwalt in der Familie – mit ihrem Onkel Harold und ihrem Cousin Toby eine angeregte Unterhaltung um juristische Belange. Es ging um die Wasserrechte auf Tobys Ranch in Wyoming.

Reid dachte an seine Mutter und wünschte, sie wäre jetzt hier und könnte sehen, wie sich ihre Kinder entwickelt hatten. Obwohl er erst acht Jahre alt gewesen war, als sie starb, konnte er sich noch gut daran erinnern, wie gern sie für die Familie gekocht und in diesem Haus große Feste gegeben hatte. So manches Mal waren er und Ian die Treppe hinuntergeschlichen und hatten die vielen Menschen in ihren eleganten Kleidern beobachtet, die lachten, aßen und zu der Musik einer Band tanzten. Nie würde er die rauschende Geburtstagsfeier seiner Mutter vergessen. Deutlich hatte er das Bild vor Augen, als sein Vater mit ihr in dem silbrigen Licht der Kristalllüster im Ballsaal tanzte.

Eine Woche später war sie gestorben, und Abraham Danforth war seit dem Tag nicht mehr derselbe. Keiner von ihnen war es.

„Reid!“ Seine Schwester Kimberly riss sich von der Unterhaltung mit ihrer Cousine Imogene los. „Schau dich nur an! Du bist ganz nass!“

„Schön, dass du endlich da bist!“, rief Jake von der anderen Seite des Raums und prostete ihm mit seinem Martini zu. „Dann sind wir ja vollständig.“

„Wo ist Tante Miranda?“, fragte Reid seine Schwester, die sich auf die Zehenspitzen stellte und ihn zur Begrüßung auf die Wange küsste.

„Sie bringt Dylan ins Bett.“ Kimberly lächelte, als sie Tobys dreijährigen Sohn erwähnte. „Ich habe ein Album mit Fischen mitgebracht, die ich draußen auf der Insel beobachtet und fotografiert habe, und er wollte keine Gutenachtgeschichte hören, sondern lieber die Bilder ansehen.“

„Wenn wir nicht aufpassen, haben wir noch einen Meeresbiologen in der Familie“, scherzte Reid.

„Wenn du früher gekommen wärst und gehört hättest, wie er Klavier spielt, dann würdest du das nicht sagen“, erwiderte Kimberly. „Mit zehn wird er in der Carnegie Hall auftreten.“

„Ich denke, das wird er schon mit acht.“ Imogene drückte Reid einen Wodka Martini in die Hand. „Hallo, Cousin.“

„Ah, die stolze Tante.“ Reid lächelte und küsste Imogene auf die Wange. „Was gibt’s Neues in der Welt des Investment Banking?“

„Zwei Beförderungen in sechs Monaten. Deine Krawatte sitzt nicht richtig.“ Sie zog den Knoten fest, den er gerade gelöst hatte. „Ein guter Eindruck ist alles. Apropos, wo ist Mitzi? Ihr beide gebt ein tolles Paar ab.“

„Ich habe keine Ahnung, wo sie ist“, erwiderte er trocken. „Wahrscheinlich shoppen.“

Mitzi Birmingham hatte er seit gut vier Monaten nicht mehr gesehen, zum Glück. Er war viel zu beschäftigt gewesen, wichtige geschäftliche Dinge zu regeln, um die nächsten Wochen Zeit für den Wahlkampf seines Vaters zu haben. Da blieb keine Zeit für Dates. Doch das bekümmerte ihn nicht. Wenn es um Frauen ging, schien er jede geldgierige, geltungssüchtige Frau in Savannah und im Umkreis der Stadt wie ein Magnet anzuziehen. Sobald eine Frau herausfand, dass er der Sohn von Abraham Danforth war, Direktor von Danforth & Co., und ein Penthouse bewohnte, überschüttete sie ihn entweder mit Komplimenten oder kicherte albern über alles, was er sagte, oder sie spielte neckische Spielchen. Oder schlimmer noch, sie tat alles drei.

Er wusste, dass er schon bald den warmen Körper einer Frau in seinem Bett vermissen würde, doch im Moment reichte es ihm, sich auf seine Arbeit zu konzentrieren.

„Reid.“

Beim Klang der tiefen Stimme seines Vaters, drehte er sich um. Nicola Granville, Abrahams neue Wahlkampfmanagerin, stand neben ihm. „Dad. Miss Granville.“

„Bitte sagen Sie Nicola. Freut mich, Sie wiederzusehen, Reid.“

Reid hatte die große rothaarige Frau einmal im Büro seines Vaters getroffen und zweimal mit ihr telefoniert. Mit ihren siebenunddreißig Jahren hatte sie sich als Imageberaterin bereits einen Namen in Politik und Wirtschaft gemacht, und so befürwortete Reid die Entscheidung seines Vaters, sie zu engagieren. Sie war attraktiv, selbstbewusst und fleißig. Sein Vater und Nicola würden ein beeindruckendes Team abgeben.

„Schön, dass du gekommen bist“, sagte Abraham in unbeteiligtem Ton.

Obwohl nicht die Spur von Verärgerung in seinem Tonfall zu hören war, kannte Reid seinen Vater gut genug, um den unterschwelligen Tadel zu hören. Aber er hütete sich, eine Entschuldigung vorzubringen.

Mit seinen fünfundfünfzig Jahren war Abraham Danforth die Idealbesetzung eines politischen Quereinsteigers. Reid hatte keine Zweifel, dass sein Vater mit seinem dichten dunkelbraunen Haar, den tiefblauen Augen, den breiten Schultern und dem berühmten Danforth-Lächeln die Wahl gewinnen würde, vor allem mit dem Wahlkampfslogan „Honest Abe“, rechtschaffener Abe, den Nicola in Anspielung auf Abraham Lincoln ersonnen hatte.

„Bitte mal herhören.“ Abrahams Aufforderung brachte die Unterhaltungen im Raum zum Erliegen. „Denen, die sie noch nicht kennen, möchte ich meine neue Wahlkampfmanagerin Nicola Granville vorstellen. Nach dem Essen wird sie die bevorstehende Kampagne und die Rolle der Familie darin erläutern.“

Während Nicola durch den Raum ging und die Familienmitglieder begrüßte, schlenderte Reid zu seinem Cousin Jake. „Wo ist Wes?“, fragte er.

„Auf einer Geschäftsreise.“ Jake zog eine Augenbraue hoch. „Hat er jedenfalls gesagt. Aber du kennst Wes.“

Reid lächelte. Wes war Jakes Zimmergenosse im College gewesen, doch für die Danforths gehörte Wesley Brooks zur Familie. Wes hatte zwar den Ruf, ein Playboy zu sein, doch Reid wusste, dass er gekommen wäre, wenn ihn nicht wichtige Gründe ferngehalten hätten.

Jake nahm einen Cracker mit Käse von einem Tablett, das Martin vorbeitrug. „Ich habe gehört, dass du für das Wahlkampfbüro ein Haus in der Drayton Street gefunden hast?“

„Nur das Erdgeschoss ist zu mieten.“ Reid trank einen Schluck Martini. „Der Eigentümer ist Ivan Alexander. Ich habe mit ihm gesprochen, aber noch keinen Mietvertrag unterschrieben. Ich treffe mich morgen mit ihm und sehe mir die Räume an. Ihm gehören auch das Gebäude und die Bäckerei nebenan. Castle Bakery.“

Jake nickte. „Sie soll sehr gut sein. Ich wollte selbst schon einmal dorthin und mir das Sortiment ansehen. Wir sind immer auf der Suche nach neuen Angeboten für die Speisenkarte im D&D’s.“ Jake beugte sich vor und flüsterte: „Außerdem soll Ivan drei schöne Töchter haben.“

„Vielleicht solltest du dich um die Wahlkampfzentrale kümmern“, sagte Reid grinsend.

„Und dir den ganzen Spaß nehmen?“ Jake legte Reid die Hand auf die Schulter. „Ich denke nicht im Traum daran.“

Bevor Reid antworten konnte, rief Joyce zum Dinner. Auf dem Weg zum Esszimmer drehte sich die Unterhaltung um Wahlstrategien und Vorgehensweisen. Die kommenden zwölf Monate bis zur Wahl würden sehr arbeitsintensiv werden. Und es würden sich ihnen Hindernisse in den Weg stellen, vorhersehbare und unerwartete. Die Familie war gefordert, jedes einzelne Mitglied. Reid wusste, dass er konzentriert arbeiten und strammen Kurs halten musste, wenn er seinem Vater helfen wollte, Senator der Vereinigten Staaten zu werden.

Das Letzte, wofür ich jetzt Zeit habe, dachte Reid, sind Ivan Alexanders Töchter. Egal, wie schön sie sein mochten.

Tina Alexander liebte die Tage, an denen das Chaos, das sie Leben nannte, ruhig verlief. Tage, an denen sie nicht einen einzigen Laib Brot verbrannte oder sogar ein ganzes Blech Plunderteilchen. Die Tage, an denen alle Mitarbeiter des Familienunternehmens zur Arbeit erschienen. Tage, an denen ihre Schwester Sophia keine Männerkrise hatte und sogar rechtzeitig zu ihrer Nachmittagsschicht kam. Tage, an denen sich ihre andere Schwester Rachel nicht im Büro einschloss und am Computer über Konten und Verkaufszahlen brütete.

Tina genoss vor allem die seltenen Tage, an denen sich ihre Mutter Mariska zur Abwechslung einmal nicht in das Leben ihrer drei Töchter einmischte.

Heute jedoch war kein solcher Tag.

„Sophia war gestern Abend wieder in einem dieser Tanzlokale.“ Mariska Alexander schnaubte missbilligend, während sie die telefonisch aufgegebene Bestellung über zwei Dutzend Schokoladentörtchen verpackte. Mariska war mit ihrer aristokratischen Nase, dem energischen Kinn und dem kräftigen blonden Haar, das sie stets zu einer klassischen Frisur gesteckt hatte, die Königin der Castle Bakery.

„Sie ist erst um zwei Uhr nach Hause gekommen“, fuhr Mariska fort. „Zwei Uhr! Ohne sich telefonisch zu melden!“

Tina verschloss die Box, die sie gerade mit Plunderteilchen gefüllt hatte. Der Morgen war für sie und Jason, der hinter dem Verkaufstresen arbeitete, hektisch gewesen. Kunden mussten bedient, Aufträge ausgeführt und die Auslagen wieder gefüllt werden, bevor das Mittagsgeschäft einsetzte. Das Letzte, was Tina jetzt gebrauchen konnte, war das Klagen ihrer Mutter über die Verfehlungen ihrer ältesten Tochter.

„Du hast eine Anzeige für einen Verkäufer in die Zeitung gesetzt“, versuchte Tina, ihre Mutter abzulenken. Sie deutete mit einem Nicken auf die beiden jungen Männer, die an einem Tisch in der Ecke der Bäckerei saßen. Der mit den schwarzen, gegelten Haaren und zerrissenen Jeans schien gelangweilt, während der andere in kurzärmeligem Hemd und einer schwarzen Hose ein Buch las. „Führst du bitte die Einstellungsgespräche?“

Als hätte sie die Frage nicht gehört, deutete Mariska auf ihr Gesicht. „Sieh dir meine Augen an. Sie sind ganz rot vor Müdigkeit.“

Tina seufzte leise und schob die Schachtel mit den Plunderteilchen über den Ladentisch zu ihrer Kundin Beverly Somersworth hinüber. Jeden Donnerstag kaufte die untersetzte Sechzigjährige ein Dutzend Plunderteilchen für die Anwaltskanzlei, in der sie als Empfangsdame arbeitete.

„Sophia ist achtundzwanzig Jahre alt, Mom“, sagte Tina so geduldig wie möglich. „Du musst nicht warten, bis sie nach Hause kommt.“

„Meine Tochter ist die ganze Nacht unterwegs.“ Mariska wandte sich an Beverly. „Wie könnte ich da schlafen?“

„Ob acht oder achtundzwanzig, eine Mutter macht sich immer Sorgen um ihre Kinder“, pflichtete Beverly bei, während sie in ihrer Tasche nach dem Portemonnaie suchte. „Ich erinnere mich noch gut an die vielen Nächte, die ich im Wohnzimmer wegen meiner Elena auf und ab gelaufen bin. Gott sei Dank ist sie endlich verheiratet. Habe ich Ihnen schon die Fotos von meinen Enkeln gezeigt?“

Erst zehn Mal, wollte Tina erwidern, verkniff sich aber die Antwort. Stattdessen lächelte sie und nickte, als Beverly die Fotos hervorzog.

„Ich beneide Sie“, seufzte Mariska. „Ich glaube, ich werde nie Großmutter. Sophia geht mit zu vielen Männern aus, Rachel verbringt ihre Zeit in Museen und Kinos, und meine Tina …“, Mariska kniff ihr in die Wange, „… ist selbst noch ein Kind.“

Ich bin vierundzwanzig, verdammt noch mal, dachte Tina und biss die Zähne zusammen. Weil sie die Jüngste war, würde sie für ihre Mutter wahrscheinlich immer das Baby bleiben. Aber es war sowieso egal. Tina wusste, dass sie niemals einen Antrag annehmen könnte, denn ein Mann, der tatsächlich in diese Familie einheiraten wollte, konnte nicht richtig im Kopf sein.

Natürlich liebte sie ihre Familie. Ihre beiden Schwestern, ihre Mutter, ihr Vater und ihre Tante Yana waren alles, was sie hatte, und sie liebte sie von ganzem Herzen.

Aber sie waren alle so … raumgreifend. Ihr Vater wirkte eher wie der Geldeintreiber eines Kredithais als ein Bäcker. Mit einem einzigen Blick schaffte Ivan Alexander es, jeden Mann einzuschüchtern, der sich mit seinen Töchtern verabredete. Diejenigen, die Ivan überlebten, kamen nicht an Mariska vorbei, die zahllose Fragen zu Beruf und Familie stellte und schließlich auch die Frage, die jeden Mann in die Flucht schlug: Mögen Sie Kinder?

Die einzige Möglichkeit, jemals zu heiraten, dachte Tina, besteht darin, dass ich Kronzeugin in einem Mordprozess werde und man mich ins Zeugenschutzprogramm aufnimmt. Wenn sie dann wie durch ein Wunder ihren Mr Right fand, würde er niemals mit ihrer Familie zusammentreffen.

Etwas extrem, aber so könnte es funktionieren.

Tina bediente den nächsten Kunden, während ihre Mutter weiter die Babyfotos bewunderte. Als Beverly schließlich ging, nahm Mariska ihre Schürze ab und griff nach ihrer Tasche.

„Die Handelskammer hat zwölf Dutzend Muffins und zehn Dutzend Plunderteilchen für morgen zum Frühstück bestellt“, sagte Mariska und zog ihren Pullover unter dem Tresen hervor. „Ich gehe schnell zum Markt und hole Pekannüsse und Blaubeeren.“

Tina blickte zu den beiden jungen Männern hinüber. „Du solltest die Einstellungsgespräche führen.“

„Sei so lieb und übernimm du das, Schätzchen.“ Mariska tätschelte Tina die Wange.

„Aber …“

„Ach, und komm morgen bitte sehr früh“, unterbrach Mariska. „Wir haben eine Menge Bestellungen auszuführen, und dein Vater und ich könnten deine Hilfe gebrauchen.“

Es war keine Frage, also gab Tina sich auch gar nicht erst die Mühe zu antworten.

„Ich bin gleich zurück.“ Damit verschwand Mariska in dem Flur, der zu den Büros und dem Hinterausgang führte.

Tina blickte ihrer Mutter nach, dann seufzte sie. Es war kein Problem für sie, morgens zeitig zur Arbeit zu erscheinen. Sie würde den Abend in der Wohnung ihrer Tante Yana verbringen, die für drei Wochen verreist war. Ihr heißes Date für den Abend waren eine Katze und das Video von „Schlaflos in Seattle“.

„Entschuldige, dass ich zu spät bin, Tina.“ Sophia stürmte durch den Vordereingang in die Bäckerei. „Ich habe getankt und mir dabei einen Nagel abgebrochen, deshalb musste ich noch schnell zur Maniküre.“

Die beiden Bewerber warfen einen Blick auf Sophia in ihrem schwarzen Lederrock, dem tief dekolletierten Pullover und den hohen Stiefeln und wirkten plötzlich gar nicht mehr gelangweilt. Sophia, die sich gerade Strähnchen in ihre ohnehin blonden Haare hatte ziehen lassen, lächelte die jungen Männer an. Die beiden strafften die Schultern und zogen den Bauch ein.

Tina blickte ihre Schwester finster an, als diese hinter den Tresen kam und sich die Schürze umband. „Musst du mit jedem Mann flirten, den du siehst?“, zischte sie.

„Das tue ich doch gar nicht“, erwiderte Sophia unschuldig. „Ich habe gar keine Zeit für so viele Männer.“

Tina verdrehte die Augen über so viel Verrücktheit.

Die drei Schwestern waren so unterschiedlich, wie sie nur sein konnten. Sophia, eine wunderschöne blonde Verführerin mit grünen Augen. Rachel, eine hübsche, aber schüchterne Brünette mit braunen Augen.

Und dann bin ich da noch, dachte Tina.

Nicht so blond wie ihre Mutter, nicht so dunkel wie ihr Vater, sondern mit ihren sandbraunen Haaren und hellbraunen Augen irgendwie eine Mischung aus beiden. Sie war die kluge Tochter, die besonnene Tochter und die – diese Bezeichnung hasste Tina am meisten – verantwortungsbewusste Tochter.

Das Schlimmste aber war, dass es stimmte.

Getöse ertönte aus der Backstube, gefolgt von einer Reihe wüster Flüche auf Ungarisch. Sophia biss sich auf die glänzend rot geschminkte Unterlippe. „Ich bin gleich zurück. Ich muss Rachel etwas wegen der Rückerstattung meiner Auslagen fragen.“

„Feigling“, sagte Tina.

Das Reich des Vaters zu betreten, wenn er schlechte Laune hatte, war, als würde man sich in die Höhle eines Löwen begeben. Man konnte nicht sicher sein, ob man heil wieder herauskam.

Tina wusste, dass sie sich beeilen und die Bewerbungsgespräche führen musste, bevor der Mittagsbetrieb einsetzte. Sie legte ihre schwarze Schürze ab und blickte zu Jason, der gerade die Bestellung für einen Cappuccino und einen Schokoladenmuffin eintippte.

Der Sechsundzwanzigjährige strahlte einen jungenhaften Charme aus. Er hatte widerspenstige Haare, dunkelblaue Augen und eine athletische Figur. Junge Mädchen und Frauen fingen an, albern zu kichern und mit den Wimpern zu klimpern, wenn er sie bediente, und selbst ältere Frauen brachte Jasons gutes Aussehen völlig durcheinander.

Doch Jason hatte nur Augen für eine einzige Frau.

Seufzend richtete Tina ihre Gedanken wieder aufs Geschäft und bat den Bewerber mit den gegelten Haaren, ihr ins Büro ihres Vaters zu folgen.

Der Bürgersteig vor dem schmalen dreigeschossigen roten Backsteinhaus war vom Regen in der vergangenen Nacht noch nass, und an den waldgrünen Markisen über den großen Frontfenstern glitzerten Wassertropfen.

Reid blickte an dem „Zu vermieten“-Schild vorbei auf die leere Bürofläche. Die Räumlichkeiten waren von der Lage und Größe her genau das, wonach er gesucht hatte, und auch der Mietpreis stimmte. Ein öffentlicher Parkplatz zwei Häuser weiter und eine gute Verkehrsanbindung versüßten den Deal.

Apropos süß – Reid blickte auf das Nebengebäude. Unglaubliche Düfte wehten aus Ivan Alexanders Bäckerei zu ihm herüber.

Der Zahl der Kunden nach zu urteilen, die in den letzten Minuten gekommen und gegangen waren, lief das Geschäft sehr gut. Wenn er das Wahlkampfbüro seines Vaters neben einer gefragten Bäckerei einrichtete, würde das nicht nur viel Besucherverkehr bringen, sondern auch die Mitarbeiter und alle Freiwilligen, die am Wahlkampf beteiligt waren, wären versorgt.

Bis zum Ende des Tages wollte Reid den Mietvertrag unterschrieben haben und den Schlüssel in der Hand halten.

Eine Glocke ertönte, als er die schwere Glastür zur Castle Bakery öffnete. Der Duft von Zimt, Schokolade und frisch gebackenem Brot kitzelte seine Sinne. Reid blickte auf das sorgfältig arrangierte Gebäck, kunstvolle Torten und saftige Obstkuchen. Ihm lief buchstäblich das Wasser im Mund zusammen.

Die Bäckerei strahlt altertümlichen Charme aus, dachte er, als er die Tür hinter sich schloss. Steinfußboden, gerahmte Bilder von berühmten Schlössern in Europa. Glastische mit Bistrostühlen für die Kunden.

Allerdings waren im Moment nur zwei Tische besetzt. An einem saß ein Mann vor einer Tasse Kaffee und einem Muffin, das Handy am Ohr, an dem anderen ein Teenager, der in einem Physikbuch las.

Reid näherte sich dem Tresen und stellte sich hinter ein älteres Paar, das sich nicht zwischen Plunderteilchen mit Pflaume und Apfelkuchen entscheiden konnte.

„Entschuldigen Sie“, wandte Reid sich an den Verkäufer. „Ich bin wegen der Anzeige für …“

„Im Büro …“ Der Verkäufer deutete mit dem Daumen auf einen Flur. „Dritte Tür links. Gegenüber von Merlin.“

Merlin? Reid ging in die gezeigte Richtung, bog um eine Ecke und stand vor einer lebensgroßen Statue, die König Arthurs Zauberer darstellte. Mit Zauberhut, den Zauberstab in der Hand und in dunkelblauen Samt gekleidet, grüßte die skurrile weißbärtige Figur die Kunden, die die Toiletten aufsuchten. Reid betrachtete einen Moment lang die Statue, dann klopfte er an die Bürotür.

„Ich bin gleich bei Ihnen.“

Eine Frauenstimme, bemerkte Reid, sanft und samtig. Sofort schossen ihm äußerst erotische Fantasien durch den Kopf. Reid hoffte, dass es sich nicht um Mrs Alexander handelte. Nicht einmal in der Fantasie wollte er die Frau eines anderen Mannes begehren. Dennoch konnte er es nicht erwarten, das Gesicht zu sehen, das zu der Stimme gehörte.

Merlin schien ihn anzustarren.

„Ich bin auch nur ein Mann“, seufzte Reid, dann verschränkte er die Arme und lehnte sich gegen die Wand.

Einen Moment später wurde die Tür geöffnet, und ein junger Mann in abgewetzten Jeans und einem blauen T-Shirt kam heraus.

„Ätzende Arbeitszeiten“, murmelte er.

Reid zog die Augenbrauen hoch und sah ihm nach. Dann steckte er den Kopf durch den Türspalt. Eine Frau in einer langärmeligen weißen Bluse saß über einen kleinen, unaufgeräumten Schreibtisch gebeugt. Hellbraunes Haar, das zu einem lockeren Pferdeschwanz gebunden war, fiel über den schlanken Hals und eine schmale Schulter. In den schmalen Fingern hielt sie einen Stift und machte Notizen auf einem Blatt Papier.

„Ich suche …“

„Einen Moment.“ Den Blick immer noch auf ihre Notizen gerichtet, winkte sie ihn hinein. „Würden Sie bitte die Tür hinter sich schließen?“ Reid betrat das Büro und schloss die Tür. Das Gesicht der Frau konnte er kaum erkennen, also betrachtete er ihre Hände. Zarte Haut. Kurz geschnittene, gepflegte Nägel. Kein Nagellack, keine Ringe.

„Bevor ich Sie bitte, unseren Bogen auszufüllen“, sagte sie, ohne aufzublicken, „möchte ich Ihnen …“

Jetzt sah sie auf.

Wegen der großen Brille hätte Reid die Frau vielleicht nicht als schön bezeichnet, aber sie war definitiv sehr hübsch. Sie hatte eine Haut wie Porzellan, hohe Wangenknochen, große, ausdrucksstarke Augen von der Farbe eines edlen Whiskeys. Ein leichtes Lächeln lag auf ihren Lippen.

„… ein paar Fragen stellen“, beendete sie nach kurzem Zögern den Satz.

Wenn auch kurz, so sah Reid dennoch die Überraschung in den Augen der Frau und hörte die leichte Nervosität in ihrer Stimme.

Der Moment war genauso schnell wieder vorbei.

„Ich bin Tina Alexander.“ Sie straffte die Schultern und streckte die Hand aus. „Danke, dass Sie gekommen sind.“

Ihr Herz schlug höher, als der Mann ihre Hand nahm, und sie hatte Mühe, die Fassung zu bewahren. Sie hatte schon viele Einstellungsgespräche geführt, doch kein Bewerber hatte ausgesehen wie dieser.

Und ganz sicherlich hatte noch keiner ihre Gehirnzellen gelähmt.

Sie schätzte ihn auf über einen Meter achtzig und vermutete, dass sich unter den Jeans, dem schwarzen Pullover und der Jeansjacke ein muskulöser Körper verbarg. Er sieht nicht einfach nur gut aus, dachte Tina. Seine Augen waren so tiefblau und so ausdrucksvoll, dass sie ihr buchstäblich den Atem nahmen. Die festen, sinnlichen Lippen ließen ihren Puls schneller schlagen.

Und die Tatsache, dass er immer noch ihre Hand hielt, half auch nicht, ihren Herzschlag zu beruhigen.

Sie zog die Hand zurück und deutete auf einen Stuhl vor ihrem Schreibtisch. Obwohl sie sicher war, diesem Mann noch niemals begegnet zu sein, kam er ihr merkwürdig bekannt vor.

Sie schüttelte den Gedanken ab. Egal. Diesen Mann würde sie auf keinen Fall einstellen. Er würde Sophia zu sehr ablenken und, ehrlich gesagt, auch sie selbst.

Aber das konnte sie ihm natürlich nicht sagen. Besser war, er entschied selbst, dass die Stelle nicht die richtige für ihn war. Sie würde mit ein paar grundlegenden Fragen beginnen und ihn dann mit der Stellenbeschreibung entmutigen.

„Also, Mr …“ Sie zögerte, als sie merkte, dass sie nicht nach seinem Namen gefragt hatte.

„Reid Danforth“, stellte er sich vor. „Reid für Sie.“

Der Name kam ihr bekannt vor, doch sie konnte ihn nicht einordnen. Sie schrieb seinen Namen in die erste Zeile des Bewerbungsbogens.

„Reid.“ Sie schob ihre Brille mit dem Zeigefinger hoch. „Haben Sie Probleme, pünktlich zur Arbeit zu kommen oder auch schon sehr früh morgens zu arbeiten?“

Ihre Frage überraschte ihn, und so dauerte es einen Moment, bis er antwortete. „Normalerweise nicht.“

„Dürfen Sie aus Gesundheitsgründen nicht schwer heben oder körperlich arbeiten.“

Er kniff die Augen zusammen. „Nein.“

Sie schrieb auf den Bewerbungsbogen, dass er sich in einer guten körperlichen Verfassung befand. Als wenn sie das nicht schon bemerkt hätte. Verdammt. Sie hatte gehofft, leichter aus dieser Nummer herauszukommen.

Sie stellte die nächste Frage. „Haben Sie Erfahrung im Verkauf oder mit Registrierkassen?“

Er starrte sie lange an, dann hoben sich langsam seine Mundwinkel. Es war wirklich ärgerlich, was dieses Grinsen mit ihr machte.

„Ich habe Erfahrung im Verkauf“, sagte er. „Ich habe allerdings noch nie mit einer Registrierkasse gearbeitet. Doch ich lerne schnell.“

Das glaube ich sofort, hätte Tina fast laut gesagt. Sie bezweifelte auch nicht, dass er ein guter Verkäufer war. Sie selbst würde sich gern etwas von ihm verkaufen lassen.

Wir haben noch nicht über das Gehalt gesprochen, fiel ihr ein. Der Job bot einem Teenager oder einem Studenten ein schönes Taschengeld, doch reichte es nicht zum Leben. „Ist der Stundenlohn, den wir bieten, für Sie akzeptabel?“

Er beugte sich weiter vor. Sie nahm den schwachen, würzigen Duft seines Aftershaves wahr. Wieder beschleunigte sich ihr Pulsschlag.

„Gegenfrage.“ Seine Stimme klang weich und tief und irgendwie amüsiert. „Wenn ich sagen würde, dass der Lohn unwichtig ist, würden Sie mich dann einstellen?“

Tina wollte instinktiv Ja sagen, doch es wäre für sie und ihn Zeitverschwendung, wenn sie ihm falsche Hoffnung machte und das Bewerbungsgespräch fortsetzte. „Nein.“

„Warum nicht?“

„Weil …“, sie zögerte, „… Sie zum einen … älter sind als die meisten unserer Bewerber.“

„Ich bin zu alt für Sie?“

„Natürlich sind Sie nicht zu alt für mich“, sagte sie. „Ich meine, Sie sind nicht zu alt.“ Ach, verdammt. Er hatte sie in die Enge getrieben. Es gab ein Gesetz gegen Altersdiskriminierung. „Es ist ein Job für einen Teenager oder Studenten, das ist alles.“

„Sie wollen mich nicht einstellen, weil ich kein Teenager oder Student bin.“ Er verschränkte die Arme und betrachtete sie von oben herab. „Was spricht noch gegen mich?“

„Gar nichts.“ Sie kaute auf ihrer Unterlippe. „Eigentlich.“

Er zog eine Augenbraue hoch. „Eigentlich?“

„Nun, da ist meine Schwester Sophia.“

„Was ist mit ihr?“

„Sie lässt sich …“, Tina suchte nach den richtigen Worten, „… leicht ablenken von gut aussehenden Männern.“

„Sie finden mich also zu alt und zu gut aussehend“, stellte er trocken fest. „Was noch?“

Tina wurde klar, wie absurd die Gründe klangen. Warum hatte sie ihn nicht einfach den Bewerbungsbogen ausfüllen und dann gehen lassen? „Sie sind überqualifiziert.“

„Woher wollen Sie das wissen?“

„Sie sind gebildet“, sagte sie. „Sie wissen sich auszudrücken, strahlen Selbstbewusstsein aus, und Sie sehen aus, als wären sie gerade dem Titelbild des Wirtschaftsmagazins Fortune 500 entsprungen oder …“

Plötzlich fiel es ihr wie Schuppen von den Augen.

Danforth. Von den Savannah Danforths. Reederei. Großes Anwesen. Viel, sehr viel Geld. Es ging das Gerücht um, dass Abraham Danforth für den Senat kandidieren wollte.

Die Danforth-Familie war weit über die Grenzen Savannahs hinweg bekannt.

Außerstande etwas zu sagen, starrte sie Reid an. Deshalb war er ihr so bekannt vorgekommen. Er war tatsächlich auf der Titelseite eines Magazins gewesen, des Savannah Business Magazine. Die Ausgabe mit Reids Gesicht auf dem Titel hatte in den letzten drei Monaten im Zeitschriftenständer für die Kunden gelegen.

„Sie … Sie sind … Abraham Danforths …“

„Sohn“, beendete er den Satz für sie und hielt ihr wieder die Hand hin. „Reid Danforth. Ich bin hier, um das Gebäude nebenan zu mieten.“

2. KAPITEL

Reid ließ die Worte in der Luft hängen, während die Frau versuchte, ihren Fehler zu verdauen. Die Augen hinter der Brille waren weit aufgerissen, und ihre Wangen nahmen einen hübschen Rotton an. Sie hatte nicht einmal ausgeatmet, seit sie erkannt hatte, wer er war.

Natürlich könnte er ihr die Situation erleichtern, indem er einfach mit der Schulter zuckte und ihr versicherte, dass nichts passiert war. Ein einfaches Missverständnis. Keine große Sache. Das wäre sicherlich gentlemanlike.

Aber verdammt, es wäre nicht so lustig.

Er beschloss, sie noch ein oder zwei Minuten in ihrer Verlegenheit zu beobachten. Irgendetwas sagte ihm, dass Tina Alexander daran gewöhnt war, Herrin der Lage zu sein, und ihm gefiel der Gedanke, diese Frau aus der Fassung gebracht zu haben.

Vor allem nach der Bemerkung, er sei alt. Verdammt. Mit zweiunddreißig Jahren war man doch nicht alt!

Als sie ihn weiter geschockt ansah, bekam er ein schlechtes Gewissen. Er hatte sie einfach nur etwas durcheinanderbringen wollen, nicht beschämen.

Er öffnete den Mund, um ihr die peinliche Situation zu erleichtern, als er merkte, dass ihre Wangen nicht vor Verlegenheit, sondern vor Ärger rot geworden waren.

„Sie haben doch gemerkt, dass ich Sie für einen Bewerber gehalten habe“, sagte sie mit scharfer Stimme. „Warum haben Sie den Irrtum nicht sofort aufgeklärt?“

Aha, dachte er und zog die Augenbrauen hoch. Die Katze fährt wieder ihre Krallen aus.

„Ehrlich gesagt, hatte ich meinen Spaß daran.“ Es ist auch erfrischend, einmal nicht erkannt zu werden, fügte er in Gedanken hinzu. Er hasste es, dass die Menschen ihn sofort anders behandelten, wenn sie merkten, dass er ein Danforth war. Entweder wurden sie extrem zuvorkommend oder so freundlich, dass es schon fast unheimlich war.

Freundlich passt auf Tina Alexander allerdings nicht, dachte Reid. Die Lippen, eben noch so weich und voll, bildeten jetzt nur noch eine schmale, harte Linie.

In einem flüchtigen Moment der Unzurechnungsfähigkeit fragte er sich, wie es sich anfühlen würde, diesen Mund zu küssen.

„Freut mich, dass ich Sie ein paar Minuten unterhalten konnte.“ Sie zerknüllte den Bewerbungsbogen und warf ihn in den Papierkorb neben dem Schreibtisch. „Gibt es sonst etwas, das ich für Sie tun kann? Wegen des Jobs sind Sie ja offensichtlich nicht hier.“

Oh, es gab einiges, was sie für ihn tun könnte. Aber das behielt er besser für sich. „Ich bin wegen der Räumlichkeiten nebenan hier.“

Sie blickte abrupt auf. „Was ist damit?“

„Mein Immobilienmakler hat mit einem Herrn namens Ivan Alexander wegen der Anmietung gesprochen.“

„Ivan ist mein Vater.“ Tina kniff die Augen zusammen. „Aber es muss sich um einen Irrtum handeln. Die Räume sind nicht zu vermieten.“

„Das ist merkwürdig, denn ich sollte heute kommen, um mir die Räume anzusehen und den Schlüssel zu holen.“

„Aber …“ Sie kam ins Stocken. „Das kann nicht sein.“

„Ich habe bereits eine Mietvorauszahlung geleistet, Miss Alexander.“

„Mietvorauszahlung?“, wiederholte sie ungläubig.

„Mein Makler hat Ihrem Vater gestern einen Scheck gegeben.“ Reid fragte sich, warum es für Tina eine Rolle spielte, wer die Räume mietete. „Gibt es ein Problem damit?“

Ob es ein Problem gab? Tina starrte den Mann an, der ihr gegenübersaß. Das kann nicht sein, sagte sie sich. Ihre Eltern hätten ihr doch gesagt, wenn sie die Räume vermietet hätten.

Ihre Räume.

Aber es musste stimmen. Im Grunde ihres Herzens wusste sie es. Reid Danforth würde sonst nicht hier sitzen.

Langsam nahm sie die Brille von der Nase, legte die Hände auf den Schreibtisch und erhob sich. „Würden Sie mich bitte einen Moment entschuldigen?“

Ohne auf eine Antwort zu warten, verließ Tina das Büro und ging geradewegs zu der Doppeltür, die in die Backstube führte. Ihr Vater stand über den Arbeitstisch gebeugt und belegte den unteren Boden einer dreistöckigen Erdbeersahnetorte.

Die Hände in die Hüften gestemmt, trat sie ihm gegenüber. „Wie konntest du mir das antun?“

„Ich weiß nicht, was du meinst“, sagte er, ohne aufzublicken.

„Du weißt es ganz genau.“ Sie schnappte sich die Schüssel mit der Erdbeersahne und hielt sie von ihm weg. „Als das Antiquitätengeschäft nebenan ausgezogen ist, hast du versprochen, mir die Räume zu vermieten.“

„Ich habe gar nichts versprochen.“ Er richtete sich auf und blickte sie finster an. Dann verschränkte er die kräftigen Arme vor der breiten Brust. „Ich habe gesagt, dass ich darüber nachdenken werde.“

„Es ist der perfekte Standort für ein Snack-Café.“ Sie hatte Mühe, ihr Temperament zu zügeln. „Ich habe mich mit Herz und Seele diesem Projekt verschrieben. Habe schon die Inneneinrichtung geplant, die Menükarten. Du hast gesagt, dass du beeindruckt bist.“

Er nickte. „Das bin ich auch.“

„Warum dann?“ Ihre Stimme zitterte. „Warum hast du mir das dann angetan?“

„Du bist zu jung, dein eigenes Geschäft zu eröffnen, Katina.“ Seine Stimme wurde weicher. „Wenn du älter bist, sprechen wir noch einmal darüber.“

„Hör auf, mich wie ein Kind zu behandeln. Ich bin vierundzwanzig“, zischte sie. „Rachel, Sophia und ich. Wir sind alle drei keine Kinder mehr. Warum willst du das nicht sehen?“

„Ich bin euer Vater“, sagte Ivan mit fester Stimme. „Es ist meine Pflicht, auf die Familie aufzupassen. Wir haben nur uns.“

„Dad.“ Sie kämpfte mit den Tränen. „Seit meinem zehnten Lebensjahr helfe ich dir in der Bäckerei. Du weißt, dass ich es schaffe.“

„Es ist zu teuer.“

„Tante Yana will helfen …“

„Das hat Yana nicht zu entscheiden.“ Ivan erhob die Stimme. „Meine Schwester hat das Blut einer Zigeunerin, reist von Stadt zu Stadt, von Land zu Land. Was weiß sie schon von Geschäft und Verantwortung.“

„Sie lebt für ihre Arbeit“, verteidigte Tina ihre Tante. „Nur weil sie reist, heißt das nicht …“

„Es reicht!“ Er hob die Hand, um sie zum Schweigen zu bringen. „Ich habe die Räume für ein Jahr vermietet. Danach können wir noch einmal über dein Restaurant sprechen.“

„Aber …“

„Sei ein liebes Mädchen, Katina.“ Ivan strich ihr über den Kopf. „Und jetzt geh mit Mr Danforth bitte nach nebenan, und zeige ihm, wofür er gezahlt hat.“

„Wie bitte?“ Ihr blieb der Mund offen stehen. „Du erwartest, dass ich …“

„Tu, was ich dir sage.“ Er riss ihr die Schüssel aus der Hand. „Und sei nett zu dem Mann. Verstanden?“

Tina wollte protestieren, hielt dann aber den Mund. Sie wusste, dass eine Diskussion in diesem Moment sinnlos war. Der Deal mit den Danforths war perfekt. Es war zu spät, daran etwas zu ändern, und wenn sie ihren Vater zu sehr bedrängte, würde er ihr die Räume nie vermieten.

Und jetzt sollte sie nett sein?

Sie ging zurück zum Büro. Vor der Tür blieb sie stehen und holte tief Luft. Sie hatte sich vor Reid Danforth bereits blamiert. Jetzt wollte sie nicht auch noch ein Bild des Jammers bieten.

Sie rang sich ein Lächeln ab und öffnete die Tür.

„Also“, sagte sie und nahm einen Schlüssel vom Haken neben der Tür, „es hat hier offensichtlich ein Kommunikationsproblem gegeben, Mr Danforth. Wann wollen Sie einziehen?“

„Morgen.“

„Morgen?“

„Wir wollen die Kandidatur meines Vaters in ein paar Tagen verkünden“, erklärte er. „Es hat einige Zeit gedauert, Räumlichkeiten zu finden, die unseren Anforderungen entsprechen, deshalb muss die Einrichtung des Wahlkampfbüros jetzt schnell über die Bühne gehen.“

„Verstehe. Okay, wollen wir uns die Räume ansehen?“

Sie hat ihr Verhalten völlig geändert, dachte Reid, während er Tina in den Flur folgte. Innerhalb von fünf Minuten war aus der Gewitterhexe eine entgegenkommende, freundliche Frau geworden.

Nicht, dass er ihr die Freundlichkeit abkaufte. Reid konnte in ihren Augen noch die Spur innerer Anspannung sehen und den Stress in ihrer samtweichen Stimme hören. Unter der Oberfläche dieser vermeintlichen Ruhe braute sich ein Sturm zusammen.

Die Frau faszinierte ihn. Und er fragte sich, wie sich all diese aufgestaute Energie im Bett auswirken würde.

Sie verließen die Bäckerei durch die Hintertür und kamen in einen wunderschönen Garten, der von einer alten Backsteinmauer umsäumt war. Üppige Farne und Pflanzen wuchsen neben Steinbänken und um einen kleinen Teich herum, dazwischen standen Statuen lächelnder Cherubim.

„Es gibt einen Privatweg zwischen den Gebäuden“, sagte sie, als sie durch den Innenhof gingen.

Sie öffnete ein Eisentor, und beide traten in das Gässchen. Reid bemerkte die schmiedeeiserne Treppe, die zu den beiden Etagen über den Räumen führte, die er gemietet hatte. „Sind die oberen Stockwerke auch vermietet?“, fragte er.

„Meine Tante wohnt in der ersten Etage, und in der zweiten hat sie ihr Fotostudio.“ Sie traten durch ein zweites Tor in einen weiteren Garten. „Die meiste Zeit ist sie unterwegs und fotografiert, falls Sie fürchten, sie könnte Sie stören.“

Reid folgte Tina durch den Garten zur Hintertür des Gebäudes. Sein Blick fiel auf ihre schwingenden, schmalen Hüften und ihre schönen Beine, und ihm wurde klar, dass es nicht Tinas Tante war, die ihn ablenken würde.

Er zwang sich, seine Aufmerksamkeit wieder auf Tinas Worte zu richten und stellte fest, dass er einen Teil ihrer Ausführungen verpasst hatte. Irgendetwas über die Gebäude, die Anfang des neunzehnten Jahrhunderts erbaut und in den siebziger Jahren saniert worden waren.

Im Verlauf des Jahres würde es zahlreiche Empfänge für die Wahlkampfhelfer und für großzügige Spender geben. Für die kleineren, privateren Zusammenkünfte wäre der Innenhof mit seinen Steinbänken und dem Springbrunnen perfekt. „Können wir auch den Garten nutzen?“

„Natürlich.“

Sie schloss die Hintertür auf. Er betrachtete ihre sichtlich gestrafften Schultern und holte tief Luft, als sie die Tür öffnete.

Frischer Farbgeruch stieg ihm in die Nase. Reid bemerkte, dass der Grundriss des Gebäudes dem der Bäckerei ähnelte. Die Nachmittagssonne fiel durch die Tür und warf goldene Schatten auf den neu versiegelten Holzfußboden. „Der hintere Teil ist in zwei Büroräume, ein Bad und eine Küche aufgeteilt.“ Tina bewegte sich steif durch den Flur. „Die vordere Hälfte ist ein einziger großer Raum.“

Als sie den vorderen Teil des Gebäudes betraten, sah Reid die Sehnsucht in Tinas Augen. Eine Art Besitzgier, dachte er. Plötzlich dämmerte ihm, warum sie verärgert war.

„Sie wollten die Räume für sich haben, nicht wahr?“, fragte er ruhig.

Sie hob das Kinn. „Was ich will, spielt im Moment keine Rolle.“ Sie reichte ihm den Schlüssel. „Diese Räume gehören ein Jahr lang Ihnen. Meinen Glückwunsch.“

„Tut mir leid.“ Er umschloss ihre Hand, als er den Schlüssel nahm. Ihre Haut war warm und weich. „Das wusste ich nicht.“

„Hätte es etwas geändert, wenn Sie es gewusst hätten?“

„Nein.“ Es wäre gelogen, wenn er etwas anderes behauptet hätte, und das wussten sie beide. „Was wollten Sie hier machen?“

„Nichts, was nicht noch ein Jahr Zeit hätte.“ Entschlossenheit stand in ihren Augen. „Viel Glück für Sie und Ihren Vater, Mr Danforth.“

Als sie versuchte, ihm ihre Hand zu entziehen, hielt er sie fest. Sie zog die Augenbrauen hoch und warf ihm einen fragenden Blick zu.

„Wir werden Nachbarn sein, Tina“, sagte er. „Wollen Sie nicht Reid zu mir sagen?“

Sie neigte den Kopf und betrachtete ihn. Und auch wenn er es nicht als Lächeln bezeichnen würde, so war ihr Mund nicht mehr ganz so schmal, ihre Augen blickten nicht mehr ganz so kalt.

„Viel Glück, Reid.“ Dann fügte sie hinzu: „Ich werde die Tage zählen.“

„Ich auch, Tina. Ich auch.“

Von der Wohnung ihrer Tante in der ersten Etage aus beobachtete Tina den Umzugswagen – Miller’s Home and Office Rental –, der aus dem dichten Berufsverkehr ausscherte und auf dem Parkplatz direkt unter ihrem Fenster hielt. Ein stämmiger, kahlköpfiger Mann in einem grauen Overall und mit einem Clipboard in der Hand stieg aus dem LKW und verschwand im Erdgeschoss.

„Reid Danforth verliert keine Zeit, was, Delilah?“, sagte Tina zu der Tigerkatze, die ihren schlanken, biegsamen Körper an ihren nackten Beinen rieb. „Es sind noch keine fünf Stunden vergangen, seit ich ihm den Schlüssel ausgehändigt habe, und jetzt bringt er schon die Möbel.“

Verdammter Mistkerl.

Natürlich wusste Tina, dass sie Reid keinen Vorwurf machen konnte. Es war die Entscheidung ihrer Eltern gewesen. Doch es war einfacher, auf einen Fremden wütend zu sein als auf die Mitglieder ihrer eigenen Familie.

Tina hatte einen letzten Versuch bei ihrer Mutter gestartet, die Vermietung an die Danforths noch einmal zu überdenken, doch es war vergebene Liebesmühe gewesen. Überzeugt davon, dass Abraham Danforths Wahlkampfbüro der Treffpunkt attraktiver und wohlhabender Junggesellen werden würde, war Mariska ganz aus dem Häuschen vor Freude über den neuen Mieter.

Apropos attraktive, wohlhabende Junggesellen … Tinas Puls beschleunigte sich rasant, als Reid mit dem stämmigen Mann auf den Bürgersteig trat.

Er hatte die Jeansjacke ausgezogen, und mit seinen breiten Schultern und den muskulösen Armen hätte man ihn für einen der Umzugshelfer halten können. Sie ließ ihren Blick über seinen hochgewachsenen athletischen Körper gleiten und verspürte plötzlich ein Kribbeln im Bauch. Hunger, sagte sie sich, nicht Erregung.

„Die meisten Mütter würden ihre Töchter vor einem Mann wie Reid Danforth warnen“, sagte Tina verärgert zu sich selbst und bückte sich dann, um Delilah hochzuheben. „Meine Mutter dagegen plant bereits eine Hochzeit.“

Die Katze gähnte gelangweilt.

Neugierig beobachtete Tina, wie Reid mit den Umzugsleuten zur Ladefläche des LKW ging. Unwillkürlich bewunderte sie das Selbstvertrauen, das von diesem Mann ausging. Seine Körperhaltung, sein Gang, die Neigung seines Kopfes. Selbst jetzt hatte sie noch den Klang seiner tiefen Stimme im Ohr und konnte seinen festen Händedruck spüren.

Und dieses Lächeln, dachte sie. Das Lächeln sollte in der Öffentlichkeit verboten sein.

„Ein Grund mehr, mich von dem Mann fernzuhalten“, sagte sie entschieden zu Delilah. „Er weiß genau, welche Wirkung er auf Frauen hat. Ich für meinen Teil habe nicht die Absicht, sein ohnehin aufgeblähtes Ego zu bestärken.“

Dennoch, hinsehen war erlaubt, oder? Solange er nicht wusste, dass sie ihn beobachtete, konnte auch nichts passieren.

In dem Moment blickte er auf.

Leise aufschreiend sprang sie zurück und betete, dass er sie nicht gesehen hatte.

Verdammt, verdammt.

„Das habe ich von meiner Neugier“, sagte sie zu Delilah. Tina widerstand dem Drang, wieder ans Fenster zu schleichen. Stattdessen ging sie ins Bad, zog ihre Arbeitskleidung aus und trat unter die Dusche. Es fühlte sich gut an, sich das heiße Wasser über den Nacken und die Schultern fließen zu lassen. Langsam löste sich die Anspannung des Tages.

Ein Jahr, sagte sie sich. Zwölf kurze Monate. Zweiundfünfzig Wochen. Sie lächelte und erinnerte sich an Reids Gesichtsausdruck, als sie ihm gesagt hatte, dass sie die Tage zählen würde. Seine Antwort, dass auch er sie zählen würde, hatte sie als Herausforderung verstanden.

Und einer Herausforderung hatte sie noch nie widerstehen können.

Doch, rief ihr Verstand, dieser wirst du widerstehen. Entschlossen hielt sie den Kopf unter den Wasserstrahl. Sie hatte bereits zu viele Gedanken an den Mann verschwendet. Die Zeit würde schnell vergehen. Bevor sie sich’s versah, war der Mann wieder weg, und die Räume gehörten ihr.

Der Gedanke hob ihre Stimmung beträchtlich.

Nachdem sie sich abgetrocknet und die Haare geföhnt hatte, zog sie Jeans und ein pinkfarbenes T-Shirt an. Dinner und Kino mit Rachel werden mich von Reid ablenken, sagte sie sich.

Sie fand eine ihrer Stiefeletten unter dem Beistelltisch neben dem Sofa und suchte gerade nach der anderen, als sie gedämpfte Stimmen durch die Belüftungsanlage im Boden vernahm. Sie konnte fast verstehen, was die Männer sagten. Ist das Reids Stimme, fragte sie sich. Sie ging auf Hände und Knie und lauschte. Die Männer sagten irgendetwas darüber, dass sie den Schreibtisch schräg stellen wollten.

Natürlich war es ausgesprochen unhöflich zu lauschen, und sie wollte sich gerade wieder erheben, als sie eine tiefe Stimme hörte, die etwas über die süße Blondine in der Bäckerei sagte. Tina wusste, dass sie über Sophia sprachen, und so schnappte sie empört nach Luft, als der Mann eine derbe Bemerkung machte, und die anderen lachten.

Wie konnten sie es wagen, so über ihre Schwester zu reden!

„He“, rief sie in das Belüftungsrohr, „Sie da unten! Ja, ich spreche mit Ihnen.“

Sie wartete einen Moment, doch bevor sie noch etwas sagen konnte, hörte sie Rachels Stimme hinter sich.

„Tina, was um alles in der Welt machst du da?“

Erschrocken richtete sie sich auf, schlug sich dabei den Kopf am Tisch an und fluchte. Sie rieb sich über die schmerzende Stelle, als sie rückwärts unter dem Tisch hervorgekrochen kam. „Rachel“, sagte sie und blickte über die Schulter. „Du könntest zumindest …“

Sie erstarrte.

Neben Rachel stand mit hochgezogenen Augenbrauen und einem Grinsen im Gesicht Reid Danforth.

Lass dies ein Traum sein, war ihr erster Gedanke. Der nächste: Reiß dich zusammen!

„… helfen, meinen Schuh zu suchen“, beendete sie den Satz, obwohl es nicht das war, was sie eigentlich hatte sagen wollen.

Als Reid den Blick senkte und einen Moment auf ihrem Po verweilen ließ, stand Tina auf.

Warum sollte es ihr peinlich sein, dass er sie auf allen vieren und dabei wie eine Verrückte in den Lüftungsschacht schreiend erwischt hatte? Er war in ihre Räumlichkeiten eingedrungen – wieder einmal –, und hier konnte sie tun und lassen, was sie wollte. Was dieser Mann von ihr dachte, war völlig egal.

„Mr Danforth braucht den Schlüssel zum Hausanschlusskasten“, sagte Rachel verlegen.

„Reid“, korrigierte er Rachel lächelnd.

Rachel errötete und sah weg.

„Ich bin nicht sicher, aber ich glaube, er ist irgendwo in der Waschküche.“ Tina hakte sich bei ihrer Schwester ein und lächelte. „Komm, Rachel, wir suchen ihn.“

„Ich …“ Rachel blinzelte, dann begegnete sie Tinas Blick und nickte. „Okay.“

Als sie um die Ecke und damit außer Sichtweite waren, zog Tina ihre Schwester in die Waschküche gegenüber der Küche und schloss die Tür. „Hättest du mich nicht warnen können?“

Rachel hob die Brauen. „Wovor warnen?“

„Dass du ihn hierher bringst“, zischte Tina.

„Ich habe angerufen, aber du bist nicht ans Telefon gegangen.“ Rachel kaute auf ihrer Unterlippe. „Tut mir leid, Tini. Hab ich etwas falsch gemacht?“

Tina bekam ein schlechtes Gewissen und lockerte den Griff um den Arm ihrer Schwester. „Entschuldige“, seufzte sie. „Ich bin einfach wütend, weil ich die Räume unten nicht bekommen habe, das ist alles. Es macht mich verrückt, dass Dad und Mom mich wie ein Kind behandeln.“

„Zumindest versucht unsere Mutter nicht ständig, einen Mann für dich zu finden, einen Mann, den sie für gut befindet.“ Rachels Augen füllten sich mit Tränen. „Warum kann ich nicht den Mann heiraten, den ich heiraten will?“

„Das kannst du, und das wirst du“, sagte Tina bestimmt.

„Ich bin nicht so stark wie du“, erwiderte Rachel ruhig. „Oder so unabhängig wie Sophia. Ich kann nicht Nein sagen.“

„Dann wirst du es lernen.“ Tina umarmte ihre Schwester. „Wir gehen heute Abend aus und arbeiten an einer …“

Rachel schüttelte den Kopf und wich zurück. „Ich kann heute Abend nicht ausgehen, Tini.“

„Rachel, wenn es wegen …“

„Ich will nicht darüber sprechen.“ Rachel hob die Hand und schüttelte den Kopf. „Bitte.“

„Rachel …“

„Ich muss gehen.“ Rachel wischte sich die Tränen weg, dann öffnete sie die Tür und verließ hastig die Waschküche.

Frustriert wollte Tina ihr folgen, doch dann fiel ihr ein, dass Reid noch im Wohnzimmer wartete. Der Schlüssel, erinnerte sie sich. Er war wegen des Schlüssels für den Hausanschlusskasten gekommen.

Sie nahm den Schlüssel von einem Haken in der Waschküche, holte tief Luft, um ihre Nerven zu beruhigen, und kehrte ins Wohnzimmer zurück.

Er stand vor der Wand mit den Fotos, die ihre Tante geschossen hatte. Delilah strich schnurrend um seine Beine. Du Luder, dachte Tina und blickte die Katze ihrer Tante finster an.

„Die Bilder sind erstaunlich“, sagte Reid, als sie den Raum betrat. „Ihre Tante schafft es wirklich, Stimmungen einzufangen.“

„Ja, sie ist eine tolle Fotografin.“ Sehr zu Delilahs Missfallen hob Tina die Katze hoch und setzte sie aufs Sofa. „Sie hat gerade ein Buch mit ihren Arbeiten veröffentlicht.“

„Sind diese Fotos dabei?“

Tina schüttelte den Kopf. „Nein, das hier sind Privatfotos. Hauptsächlich von meiner Familie.“

„Mir gefällt das, wo Sie an dem Teich sitzen und ein Buch lesen.“ Er deutete auf ein Schwarz-Weiß-Foto. „Wie alt waren Sie?“

Es war ihr peinlich, irgendwie zu intim, Fotos von sich mit einem Mann anzusehen, den sie kaum kannte. Vor allem die Fotos ihrer Tante Yana, die darin die Seele der Menschen einzufangen schien.

„Achtzehn, glaube ich.“ Sie zuckte mit den Schultern. „Ich habe nicht bemerkt, dass sie mich fotografiert hat. Meine Tante schleicht immer herum und fotografiert unbemerkt die Familie. Es macht uns verrückt.“

Um ihn abzulenken, deutete sie auf ein anderes Foto. „Das ist meine Tante.“

„Eine schöne Frau.“

Mit den dunklen Haaren und ihrem exotischen Äußeren zog Yana Alexander noch heute, mit achtundvierzig Jahren, die Blicke der Männer auf sich.

„Sie war damals in Italien, hat in Siena das Pferderennen, den Palio, fotografiert“, erklärte Tina. „Einer der Teilnehmer hat später ihren Apparat genommen und eine Aufnahme von ihr gemacht.“

Der Mann war auch der Lover ihrer Tante gewesen, wusste sie, aber das musste sie ja nicht erwähnen.

„Ich sehe eine gewisse Ähnlichkeit“, sagte Reid nachdenklich.

Tina verdrehte die Augen. „Ich habe überhaupt keine Ähnlichkeit mit meiner Tante, Mr Danforth.“

„Sie haben ihre Augen.“ Er drehte sich um und betrachtete ihr Gesicht. „Und ihren Mund.“

Tinas Pulsschlag beschleunigte sich, als sein Blick auf ihren Lippen verweilte. Es ärgerte sie ungemein, dass sie gegen den Charme dieses Mannes nicht immun war. Aber Reid Danforth war auch kein Durchschnittsmann. Er war ein Prachtexemplar von Mann, und dabei immer ein wenig geheimnisvoll.

Bei ihrer Arbeit in der Bäckerei kam sie mit vielen der örtlichen Geschäftsleute in Kontakt. Gelegentlich kam es auch zu einem harmlosen Flirt. Sie war sogar mit einigen der Männer ausgegangen. Doch all diese Geschichten waren bald im Sand verlaufen, und sie hatte es nicht bedauert.

Sich Reid anzunähern, würde nicht so harmlos sein, sagte ihr Instinkt. Ihr Verstand schwenkte die rote Warnflagge, die ihr signalisierte, einen anderen Weg einzuschlagen.

Solange ich nicht den Bezug zur Realität verliere und mir vormache, es könnte eine Beziehung zwischen uns geben, dachte sie und begegnete seinem Blick, gibt es keinen Grund zur Sorge. Sie konnte sich gegen Männer wie Reid Danforth behaupten.

Sie reichte ihm den Schlüssel. „Ich glaube, deshalb sind Sie gekommen.“

„Haben Sie Hunger?“

„Wie bitte?“

„Haben Sie Hunger?“, wiederholte er. „Ich will mir einen Hamburger holen.“

Der kommt aber schnell zur Sache, dachte sie ungläubig. Aber das war ja nichts Neues.

„Ich hab schon etwas vor.“ Dass sich ihre Pläne für den Abend geändert hatten, musste er ja nicht wissen. „Trotzdem vielen Dank.“

Er zog einen Mundwinkel hoch, dann nahm er den Schlüssel und nickte. „Bis morgen, Tini.“

Sie blickte finster auf die Tür, durch die Reid verschwunden war. Woher kannte er ihren Spitznamen? Hatte er etwa …

Sie blickte auf das Gitter im Boden neben dem Sofa. Das Lüftungsrohr, das sich darunter verbarg, lief an der Waschküche vorbei. Seufzend schloss sie die Augen. Hatte er etwa ihre Unterhaltung mit Rachel mit angehört? Wenn ja, dann wusste er, dass sie bezüglich ihrer Pläne heute Abend gelogen hatte.

Und wenn schon. Sie verschränkte die Arme und presste die Lippen aufeinander. Es konnte nicht schaden, wenn der Mann merkte, dass es in Savannah noch Frauen gab, die seinem verdammten Lächeln widerstehen konnten. Du machst dich lächerlich, sagte sie sich. Er wollte einen Hamburger mit dir essen. Das konnte man nicht direkt als Date bezeichnen.

Sie wusste, dass sie überreagierte. Ein weiterer Grund, warum sie auf Abstand gehen sollte. Sie kannte diesen Mann kaum einen Tag, und schon brachte er sie völlig durcheinander.

Doch als sie an dem großen ovalen Wandspiegel vorbeiging, blieb sie stehen und betrachtete sich. Ihre Augen, ihren Mund.

Und wurde nachdenklich.

Ach, verdammt. Sie schüttelte den Kopf.

„Idiot“, sagte sie laut und war nicht sicher, ob sie damit Reid oder sich selbst meinte.

3. KAPITEL

Mit einem Becher Kaffee in der Hand stieg Reid am nächsten Morgen aus seinem Wagen und atmete die angenehm frische Luft ein. Die Bäckerei war noch geschlossen, nur in der Backstube brannte schon Licht. Ivan Alexander war bereits bei der Arbeit.

Reid blieb auf dem menschenleeren Bürgersteig stehen und blickte hinauf zu Tinas Wohnung. Die Jalousien waren geschlossen, und er fragte sich, ob sie auch bereits arbeitete oder ob sie noch oben war.

Irgendwie hatte er das Gefühl, dass sie noch in der Wohnung war.

Es war merkwürdig, dasselbe Gefühl hatte er schon gestern gehabt, als er mit den Umzugsleuten auf dem Bürgersteig gestanden hatte. Die Lamellen der Jalousien waren schräg gestellt gewesen, und auch wenn er Tina nicht direkt gesehen hatte, so hatte er ihren Blick doch gespürt.

Quatsch, dachte er und lachte über sich selbst.

Er schloss die Tür auf, schaltete das Licht ein und blickte sich um. Die Umzugsleute hatten am Vortag zehn Schreibtische gebracht, außerdem Aktenschränke und einen Konferenztisch. Heute Morgen sollte das Telefon angeschlossen werden, und am frühen Nachmittag würden die Computer installiert werden. Außerdem hatte er zwei Privatbüros eingerichtet, eins für sich selbst und eins für Nicola.

Die Hände in die Hüften gestemmt, stand er mitten in dem Raum, in dem sich bald Wahlkampfhelfer und Familienmitglieder tummeln würden, und genoss die herrliche Stille.

Über ihm knarrte eine Diele, und er blickte auf. Tina war also noch oben. Er lehnte sich gegen einen Schreibtisch, trank von seinem Kaffee und starrte an die Decke.

Ist sie gerade aufgestanden? fragte er sich. Das Bild von zerwühlten Laken, zerzausten hellbraunen Haaren und einem verschlafenen Blick erschien vor seinem geistigen Auge.

Ihm wurde heiß bei dem Gedanken.

War sie der Typ, der Baumwollschlafanzüge trug? Oder bevorzugte sie seidige Nachthemden? Vielleicht, dachte er und lächelte, schläft sie auch nackt.

Bei der Vorstellung wurde ihm noch heißer.

Im Nachhinein war er froh, dass sie sein Angebot abgelehnt hatte, mit ihm zu essen. Die Frau lenkte ihn ab, und das konnte er im Moment gar nicht gebrauchen.

Aber träumen darf man doch, dachte er und lauschte den Schritten. Er trank noch einen Schluck. Träumen war harmlos.

Eine Bewegung vor dem Fenster erregte seine Aufmerksamkeit. Ein Mann, der ihm bekannt vorkam, huschte vorbei. Reid erkannte in ihm den Verkäufer aus der Bäckerei. Der Mann mit dem blonden Pferdeschwanz. Einen Moment später drang gedämpft das Geräusch des Türöffners durch das Belüftungssystem. Der Mann war nicht in die Bäckerei gegangen, sondern nach oben.

Reid runzelte die Stirn. Etwas früh für einen Besuch.

Er hörte Schritte zur Tür, gedämpfte Stimmen, dann wieder Schritte. Reid versuchte, sich an die Ausstattung der Wohnung zu erinnern. Näherten sich die Schritte dem Sofa? Oder dem Schlafzimmer? Er trat an das Lüftungsrohr und lauschte. Obwohl es schwer war, alles zu verstehen, konnte er zwischen Tinas Stimme und der des Mannes unterscheiden und Bruchstücke der Unterhaltung vernehmen.

„Ich will so nicht weitermachen …“ Die Stimme des Mannes.

Tinas Stimme. „Jason, bitte sei geduldig. Ich bin sicher, wir …“

Wieder die Stimme des Mannes. „… war geduldig … nichts geändert …“

Schwere Schritte. Offensichtlich lief der Mann – Jason – auf und ab.

„… eine Lösung“, sagte Tina. „Ich verspreche es.“

Reid konzentrierte sich, versuchte, mehr zu verstehen als einzelne Worte. Fast hätte er ihnen zugerufen, lauter zu sprechen.

„Ich werde es ihnen sagen.“ Der Frust in Jasons Stimme war nicht zu überhören. „Wir lieben uns. Sie müssen es akzeptieren.“

Reid erstarrte. Tina und der Verkäufer? Sie liebten sich?

Das Rohr war zu hoch abgebracht, um näher dranzukommen. Reid überlegte, ob er einen Stuhl heranziehen und sich darauf stellen sollte. Nein, das ging zu weit. Außerdem käme er in Erklärungsnöte, falls ihn zufällig jemand mit dem Ohr am Lüftungsrohr sehen sollte.

„… jetzt zur Arbeit“, sagte Jason. „… gebe nicht auf.“

Die Schritte näherten sich der Tür, dann Stille.

Verwirrt starrte Reid auf das Rohr. Er wusste nicht, was es war, aber irgendetwas passte hier nicht.

Du hast es gehört, Freund, sagte eine Stimme in seinem Kopf. Lass es dabei bewenden.

Dennoch …

Ach, verdammt. Er schüttelte den Kopf und fragte sich, warum er solche Probleme damit hatte, sich Tina und den Verkäufer als Paar vorzustellen. Lag es an dem, was er gestern in ihren Augen zu sehen geglaubt hatte? Oder daran, was er zu fühlen geglaubt hatte, als er ihre Hand in seine genommen hatte?

Er kippte den Rest des Kaffees hinunter und zerknüllte den Pappbecher. Vielleicht wollte er es einfach nicht glauben, weil er selbst ein Auge auf sie geworfen hatte.

Doch wenn sie in den Mann verliebt war, warum hatte sie dann nicht einfach gesagt, dass sie schon vergeben war, als er sie zum Essen eingeladen hatte? Er hatte ihr doch deutlich genug zu verstehen gegeben, dass er an ihr interessiert war.

Wer wird schon aus Frauen schlau, dachte er und fuhr sich durchs Haar. Er sollte froh sein, dass sie einen Freund hatte. Er kannte sie erst einen Tag, und bereits jetzt schlich sie sich viel zu häufig in seine Gedanken. Dabei hatte er noch tausend Dinge zu tun, wenn das Büro morgen bezugsfertig sein sollte. Und zu diesen Dingen gehörte nicht, die halbe Nacht von einer hübschen Frau mit goldbraunen Augen zu träumen.

Er warf den zerknüllten Pappbecher in den Papierkorb, dann ging er in die hinteren Büroräume, um die vielen Kisten mit Büromaterial auszupacken, die gestern Nachmittag geliefert worden waren.

Plötzlich erschien ihm der vor ihm liegende Tag – das Jahr– sehr lang und sehr, sehr langweilig.

Den ganzen Morgen über stand die Türglocke der Bäckerei nicht still. Im Moment warteten sechs Kunden darauf, bedient zu werden. Fast jeder Tisch war besetzt. Es ist nicht einmal elf Uhr, dachte Tina, und es sind keine Muffins mehr da. Es gab kaum noch Plunderteilchen, und es lagen nur noch wenige Brote in den Regalen.

Der Kassenschlager an diesem Morgen waren aber nicht die Backwaren, sondern der Klatsch.

„Mariska Alexander, dir muss schwindelig sein vor Glück.“ Sharie Jo Sullivan presste eine Tüte mit Schokoladengebäck an die Brust, dann blickte sie zu ihrer Schwester Louzanna. „Stell dir nur vor, Lulu, direkt neben Abraham Danforths Wahlkampfbüro.“

„Der Savannah Morning nennt ihn Honest Abe II, in Anspielung auf Abraham Lincoln.“ Louzanna reichte Mariska drei Geldscheine, dann suchte sie in ihrer Tasche nach Münzen. „Ich habe gehört, dass er einen sauberen, skandalfreien Wahlkampf führen will.“

„Ich habe keine Ahnung von Politik“, sagte Mariska gleichgültig. „Sie werden gute Mieter sein, alles andere interessiert mich nicht.“

Louzanna hob zweifelnd die Augenbrauen. „Dann interessiert dich also auch nicht, dass Abrahams Söhne und Neffen und all die anderen gefragten Junggesellen direkt nebenan ihre Zusammenkünfte abhalten werden?“

Mariska zuckte mit den Schultern, dann lächelte sie und beugte sich über den Tresen. „Oh doch, das interessiert mich sogar sehr.“

Die Frauen lachten.

„Wir haben Rachel gestern Abend zusammen mit Reid Danforth vor dem Laden stehen sehen“, flüsterte Sharie Jo. „Nach Ladenschluss.“

Tina blickte zur Kaffeemaschine hinüber. Jason schäumte gerade Milch für einen Caffè Latte auf. Jedesmal, wenn Reids Name fiel – und das passierte an diesem Morgen häufig –, kniff er die Augen zusammen. Tina wollte ihm sagen, dass Reid keine Bedrohung für ihn darstellte, doch Jason würde ihr nicht glauben. Vor allem jetzt nicht, nachdem er mit anhören musste, wie sich die weibliche Kundschaft über die Vorzüge der Danforths ausließ.

Tina konnte nur hoffen, dass der Reiz des Neuen in ein paar Tagen vorbei sein würde und die Klatschmäuler etwas anderes – jemand anderen – fanden, worüber sie tratschen konnten. Wegen des hohen Bekanntheitsgrades der Danforths fürchtete sie jedoch, dass dies nicht so schnell passieren würde. Während ihre Mutter, Sharie Jo und Louzanna weiter schwatzten, konzentrierte Tina sich auf ihre Arbeit. Sie verzierte gerade einen Kuchen mit „Happy Birthday, Randy“, entschlossen, sich von der Unterhaltung nicht ablenken zu lassen.

„All diese attraktiven Junggesellen“, murmelte Louzanna und seufzte. „Wäre ich doch nur zehn Jahre jünger.“

Sharie Jo verdrehte die Augen. „Dann wärst du immer noch zehn Jahre zu alt.“

„Sei nicht so frech, Sharie Jo. Außerdem dachte ich nicht an die jungen Danforths, sondern an Abraham.“ Sie bekam einen verträumten Blick. „Ein attraktiver Witwer Mitte fünfzig. Der Mann ist bestimmt einsam.“

„Mach dir doch nichts vor, Lulu“, sagte Sharie Jo. „Reiche, mächtige, attraktive Männer sind niemals einsam. Gelangweilt vielleicht, aber nicht einsam.“

Mitten im T von „Birthday“ hielt Tina inne. Hat Reid mich deshalb gestern Abend eingeladen? fragte sie sich. Weil er gelangweilt war? Reizte es ihn, eine Frau zu erobern, die anders war als die Frauen, mit denen er normalerweise ausging? Blaublütige Schönheiten waren ja eher sein Fall. Frauen mit Namen wie Caroline oder Blair oder – wie hieß doch gleich die Frau in dem Artikel, den sie heute Morgen gelesen hatte? Ach ja. Sie zog einen Mundwinkel hoch. Mitzi.

Wie Sharie Jo richtig sagte, reiche, attraktive und mächtige Männer waren nie einsam. Reid konnte sicherlich jede Frau haben. Tina zuckte mit den Schultern und ärgerte sich, dass sie überhaupt so viele Gedanken an das Liebesleben dieses Mannes verschwendete. Mit wem Reid Danforth ausging oder nicht ausging, hatte keine Bedeutung für ihr Leben. Sie waren ein Jahr lang Nachbarn, mehr nicht.

Nachdem er gestern Abend ihre Wohnung verlassen hatte, hatte sie ihn über die Straße gehen und dann eine Pizza bei D’mores bestellen sehen. Später, sie war längst im Bett gewesen, hatte sie ihn unten arbeiten gehört. Sie hatte versucht, sich auf ihren Krimi zu konzentrieren, doch ihre Gedanken waren immer wieder abgeschweift. Zu ihm.

Was wäre passiert, wenn sie mit ihm ausgegangen wäre?

„Vielleicht wäre ich diejenige gewesen, die sich gelangweilt hätte“, murmelte sie.

„Hast du etwas gesagt, Katina?“ Mariska blickte zu ihr.

„Nein“, erwiderte sie schnell. „Nichts.“

Ihre Mutter wandte sich wieder den Kunden zu, und Tina schüttelte den Kopf über ihre eigene Blödheit. Vermutlich konnte Reid sich schon nicht mehr an ihren Namen erinnern, und was machte sie? Sie dachte laut über den Mann nach.

Entschlossen, sich nicht länger ablenken zu lassen, schrieb sie das Y in „Randy“ und betrachtete dann ihr Werk.

Happy Birtday, Randy.

Birtday?

Das H fehlte. So viel zu ihrem Vorsatz, sich nicht ablenken zu lassen.

Verärgert nahm sie das Messer, um den Fehler auszubügeln. Sie glättete die Oberfläche und überzog sie erneut mit Zuckerguss, dann nahm sie die Spritztüte und konzentrierte sich auf ihre Arbeit.

Als jeder Buchstabe perfekt war, nickte Tina zufrieden. Sie setzte gerade zum i-Punkt an, als sie Reid durch die Tür kommen sah. Ihre Blicke trafen sich, und obwohl es nur ein Moment war, fühlte es sich wie Minuten an. Stunden. Wie gelähmt stand sie da.

Als er einen Mundwinkel hochzog, schlug ihr Herz einen Purzelbaum, und sie verkrampfte die Hand.

Blauer Zuckerguss quoll aus der Spritztüte auf ihren Kuchen.

Wütend sah sie weg. Verdammt! Sie war so stolz gewesen, dass sie es geschafft hatte, dem Charme des Mannes zu widerstehen. Und dann kam er mit diesem Du-willst-mich-und-das-weißt-du-Lächeln durch die Tür, und sie vergaß das Atmen. Wie macht er das nur? fragte sie sich verärgert.

Alle Köpfe drehten sich um. Die Unterhaltung verstummte. Wenn er durch die Menge schritt, war es, als hätte jemand den roten Teppich ausgerollt. Und bei seinem Lächeln gerieten alle Frauen in der Bäckerei in Verzückung.

Er beherrscht den Raum. Mit seinem Selbstvertrauen, seinem Auftreten, seiner Ausstrahlung. Und seinem Äußeren, dachte Tina und bewunderte die breiten Schultern unter dem schwarzen Polohemd, die langen Beine und schmalen Hüften in den engen Jeans. Eine Frau hatte keine Chance, ihm zu widerstehen.

Außer ihr natürlich.

Es dauerte fünf Sekunden, dann brach ein Chaos in der Bäckerei aus, und alle versammelten sich um Reid, weitere fünfundvierzig Sekunden, bis Tinas Mutter um den Ladentisch herumgekommen war und sich durch die Menge gedrängt hatte.

„Lasst den Mann Platz nehmen.“ Mariska scheuchte alle zur Seite. „Jason, bring unserem neuen Nachbarn bitte eine Tasse Kaffee.“

Als Jason leise fluchte, warf Tina ihm einen warnenden Blick zu. Es durfte auf keinen Fall zu einer öffentlichen Konfrontation zwischen den beiden Männern kommen. Mit finsterem Blick drehte Jason sich um, ganz sicherlich nicht besänftigt. Aber zumindest hielt er seine Wut im Zaum.

„Danke. Ich kann warten, bis ich an der Reihe bin“, sagte Reid.

„Natürlich müssen Sie nicht warten“, erwiderte Mariska, und alle nickten zustimmend. „Was möchten Sie? Caffè Latte, Cappuccino, Espresso?“

Tina verdrehte die Augen, überrascht, dass ihre Mutter nicht noch hinzufügte, die Hand meiner Tochter?

„Kaffee ohne Milch bitte. Aber …“

„Wir haben ganz frischen Strudel. Kommt gerade aus dem Ofen.“ Mariska schob Reid bereits zu einem Stuhl. „Tina, ein Stück Strudel für Mr Danforth. Und ein Aprikosenteilchen.“

„Bitte, nennen Sie mich Reid“, sagte er zu Mariska. Dann blickte er zu Tina. Ihm war deutlich anzusehen, wie sehr er sich amüsierte. „Ich möchte wirklich keine Umstände machen.“

„Das tun Sie nicht“, sagte Mariska fröhlich. „Nicht wahr, Katina?“

Tina lächelte, auch wenn es ihr schwerfiel. „Nein, überhaupt nicht.“

Mariska setzte sich auf den Stuhl neben Reid. „Erzählen Sie. Wird Ihre Frau auch beim Wahlkampf helfen?“

Das darf nicht wahr sein, dachte Tina, als sie den Strudel schnitt. Da hätte ihre Mutter ja gleich den Kalender zücken und ihn fragen können, welcher Tag ihm für eine kleine Hochzeit mit etwa vier- bis fünfhundert Gästen recht wäre.

„Ich bin nicht verheiratet“, sagte Reid. „Aber ich suche noch jemanden.“

Tina blickte auf. Jede Frau im Laden hielt den Atem an.

Doch bevor Mariska – oder eine der anderen Frauen – ihre Töchter anbieten konnte, sagte Reid: „Leute, die beim Wahlkampf helfen, meine ich.“

Die Enttäuschung war förmlich greifbar.

„Ah.“ Mariska ließ die Schultern sinken, dann straffte sie sie wieder und lächelte strahlend. „Meine Töchter werden helfen“, sagte sie mit Begeisterung. „Wir sind große Anhänger, wissen Sie.“

Was? Seit wann unterstützten sie einen Wahlkampf? Egal welcher Partei. Tina starrte ihre Mutter entsetzt an.

„Das ist sehr großzügig von Ihnen, Mrs Alexander.“ Reid warf einen Blick auf Tina. „Aber vielleicht sollten Sie darüber erst mit Ihren Töchtern sprechen.“

„Sophia und Rachel werden sehr gern helfen“, sagte Mariska. Dann fügte sie hinzu: „Und meine Tina natürlich auch.“

Tina biss die Zähne zusammen, als die Kunden zustimmend nickten. Sie taten nicht einmal so, als würden sie nicht zuhören. War es nicht schlimm genug, dass sie die Räume an Reid und seine Familie verloren hatte? Jetzt sollte sie diesen Menschen auch noch helfen? Sie musste ihre Mutter stoppen, bevor das Ganze ausuferte. Sie nahm den Teller mit dem Strudel und den Kaffee, den Jason zubereitet hatte, und eilte an den Tisch.

„Mom“, sagte sie so freundlich wie möglich. „Ich bin sicher, Mr Danforth sucht nach Helfern mit politischen Kenntnissen.“

„Überhaupt nicht.“ Reid lehnte sich zurück und schaute sie an. „Morgen Abend geben wir eine kleine Party für alle ehrenamtlichen Helfer. Haben Sie und Ihre Schwestern nicht Lust vorbeizuschauen?“

Tina wollte gerade sagen, dass sie schon etwas vorhatte, doch ihre Mutter kam ihr zuvor.

„Sie werden kommen. Wir werden alle kommen“, sagte sie bestimmt. „Ich bringe Kekse und Kaffee mit.“

Als Mariska aufstand, erhob Reid sich ebenfalls und reichte ihr die Hand. „Danke, Mrs Alexander. Das ist ausgesprochen großzügig von Ihnen.“

Reids Lächeln zauberte eine mädchenhafte Röte auf Mariskas Wangen, und sie kicherte verlegen. Tina konnte es nicht fassen. Ihre Mutter wurde nie rot, und vor allem kicherte sie nicht. Sie blickte ihrer Mutter nach, die in der Küche verschwand.

Warum gibt es immer wieder Männer wie die Danforths, fragte Tina sich, die mit ihrem Charme Frauen in errötende, kichernde Wesen verwandelten? Sie hoffte inständig, dass irgendeine brillante Wissenschaftlerin es eines Tages schaffte, einen Impfstoff dagegen zu entwickeln.

Ich werde mich als Erste impfen lassen, dachte sie.

„Ihr Strudel.“ Sie stellte den Teller und die Tasse Kaffee auf den Tisch.

„Danke.“

„Gern.“

Als sie sich umdrehte, hielt er sie überraschend am Arm fest. Verdammt. Da war es wieder. Dieses Knistern. Sie blickte ihn an und betete, dass er es nicht auch spürte. Betete, dass er nicht sah, welche Wirkung er auf sie hatte. Mit so vielen Menschen als Zeugen, wäre es wirklich peinlich, wenn sie in Ohnmacht fiele.

„Hier.“ Er nahm ihre Hand und legte einen Schlüssel hinein. „Ich habe einen nachmachen lassen.“

Für alle Beobachter war es ein völlig harmloser Austausch. Für Tina war es etwas sehr Persönliches. Seine Fingerspitzen auf ihrer Haut zu spüren, das fast unmerkliche Verweilen seiner Hand in ihrer.

Sie umschloss den Schlüssel und zog die Hand zurück. „Danke.“

„Dann bis morgen.“

„Ja. Morgen.“ Sie hätte schwören können, ihn in sich hineinlachen zu hören, als sie sich umdrehte und ging.

Hoffentlich verschluckt er sich an seinem Strudel, dachte sie.

Reid lag auf dem Rücken unter seinem Schreibtisch und versuchte, das Druckerkabel an den Computer anzuschließen. Wenn er ein etwas längeres Kabel und etwas mehr Platz gehabt hätte, dann wäre er schon vor zehn Minuten fertig gewesen.

Warum einfach, wenn es auch schwer geht, dachte er verärgert. Und nach dem Morgen konnte er nicht erwarten, dass der Nachmittag besser wurde.

Er hatte einen Platten gehabt und sich beim Reifenwechsel die Finger aufgeschrammt. Anschließend hatte er eine Tasse Kaffee über die Presseerklärung verschüttet, die Nicola an die Savannah Morning News faxen sollte. Schließlich hatte er das Anmeldebuch für den heutigen Abend verlegt und sich zu allem Überfluss vor fünf Minuten auch noch einen Splitter unter den Daumennagel gezogen, als er ohne hinzusehen tief in die Schublade seines Schreibtisches griff.

Es tat immer noch verdammt weh.

Was ihn aber besonders auf die Palme brachte und unglaublich nervös machte, war die schlanke Frau mit den weiblichen Kurven und dem losen Mundwerk, die er nicht aus dem Kopf bekam.

Was hat Tina Alexander bloß an sich, dass ich so durcheinander bin? grübelte er. Mit ihren sanften braunen Augen, dem herzförmigen Gesicht und der Stupsnase war sie hübsch, aber nicht unbedingt eine Schönheit. Sie war durchschnittlich groß, etwas dünn für seinen Geschmack und eiskalt wie eine arktische Brise.

Verdammt, trotzdem reizte sie ihn.

Es war, als setzte sie alles dran, ihn zu verprellen. Vielleicht war es gerade das, was ihn am meisten reizte. Aber er war nicht dumm, und vor allem war er nicht blind. Er hatte gesehen, wie sie reagierte, wenn er sie berührte. Er hatte ihr Beben gespürt und hatte beobachtet, wie sich ihre Augen weiteten. Irgendetwas sagte ihm, dass unter dem eiskalten Äußeren ein Feuer brannte.

Und diese Glut wollte er erleben.

Als ihm das Kabel zum zehnten Mal in fünfzehn Minuten aus den Fingern glitt, fluchte er wie ein Bierkutscher. Wütend versuchte er noch einmal, das Kabel durch das Loch in der Rückwand des Schreibtisches zu ziehen. Er würde sich von einem verdammten Druckerkabel – oder einer Frau – nicht aus der Fassung bringen lassen.

Endlich hatte er es geschafft. Lächelnd stöpselte er den Stecker ein.

„Hallo?“

Bei dem Klang der weiblichen Stimme, richtete Reid sich abrupt auf und stieß sich den Kopf schmerzhaft an der Unterseite der Schreibtischplatte an.

Verdammt, verdammt, verdammt.

Sterne tanzten vor seinen Augen, und er sah verschwommen lange, wohlgeformte Beine.

„Tut mir leid, wenn ich Sie erschreckt habe.“ Tina blickte auf ihn hinab. „Alles okay?“

Er kam unter dem Schreibtisch hervor und setzte sich auf. Ein stechender Schmerz schoss durch seinen Kopf. „Natürlich. Ich schlage mir jeden Tag zum Spaß den Kopf am Schreibtisch an.“

Sein Sarkasmus brachte ihm ihr Lächeln ein. Sie ging auf die Knie und beugte sich vor. „Lassen Sie mal sehen.“

„Es ist alles in Ordnung. „Als sie seinen Kopf zwischen ihre Hände nahm, schlug das Herz heftig gegen seine Rippen.

„Es blutet nicht.“ Sanft fuhr sie mit den Fingern durch seine Haare.

Weil das ganze Blut in tiefere Körperregionen geschossen ist, hätte Reid am liebsten gesagt. Er wollte jedoch nicht riskieren, dass sie sofort die Hände zurückzog.

Sein Kopf kribbelte; das Blut pochte heiß durch seine Adern. So etwas hatte er noch nie verspürt. Vielleicht habe ich Wahnvorstellungen, dachte er. Vielleicht war er auch bewusstlos, und dies war ein verdammt erotischer Traum.

Wenn das so war, dann wollte er nicht aufwachen.

„Wo tut es weh?“

Mit den Fingern strich sie sanft über seinen Kopf. Reid hatte plötzlich einen Kloß im Hals und fürchtete, keinen Ton über die Lippen zu bekommen. Deshalb deutete er einfach auf die schmerzende Stelle.

„Ich habe geklopft“, sagte sie und strich sanft über den Bereich, auf den er gezeigt hatte. „Wahrscheinlich haben Sie mich nicht gehört.“

Wegen des Brummens in seinem Kopf konnte er sie auch jetzt kaum hören.

„Die Tür stand offen“, fuhr sie fort, als er nicht antwortete. „Ich dachte, Sie seien vielleicht hinten.“

Als sie mit den Fingerspitzen wohltuende Kreise zeichnete, unterdrückte Reid ein Stöhnen. Weniger als eine Fußlänge trennte ihre Körper voreinander; der Anblick ihrer Brüste unter der engen weißen Bluse nahm ihm den Atem und verhinderte jeden klaren Gedanken.

Die Tortur, die er wegen dieser Frau durchmachte, war sicher eine Art Rache der Götter für etwas, das er in seinem vorherigen Leben getan hatte. Der süße Duft – eine Mischung aus Vanille und Zimt –, die sanfte, unglaublich erotische Berührung, der provozierende, verführerische Klang ihrer Stimme. Am liebsten hätte er sie in die Arme gezogen, direkt hier unter seinem Schreibtisch, auf dem staubigen Fußboden, um sie zu küssen und dabei ihren Rock hochzuschieben und ihre intimsten Stellen …

Er biss die Zähne zusammen und umschloss ihr Handgelenk. Er zog sie nicht zu sich. Er schob sie nicht weg.

Sie riss die Augen auf. Überrascht öffnete sie den Mund. Sie bewegte sich nicht.

Unverwandt blickten sie einander an. Langsam zog er sie näher … näher …

Als sein Mund ihren berührte, sah er, dass sie die Augen schloss. Er spürte ihren warmen Atem an seiner Wange. Ihre Lippen waren zart wie Rosenblüten. Er knabberte leicht daran. Vorsichtig, begierig darauf, sie richtig zu küssen. Sie zeigte keine Reaktion, wich aber auch nicht zurück.

Das war ihm Ermutigung genug.

Er vertiefte die Berührung, strich mit der Zungenspitze über ihre Unterlippe. Süß, dachte er. Betörend süß.

Das heftige Verlangen, das durch seinen Körper schoss, überraschte ihn nicht. Von Anfang an hatte er sich zu ihr hingezogen gefühlt und sich danach gesehnt, sie zu küssen. Auch verwunderte ihn ihre Reaktion nicht. Er hatte gespürt, dass sie ihn begehrte.

Was ihn überraschte – nein ärgerte –, war die Frage, die ihm durch den Kopf schoss. „Was würde Jason dazu sagen?“, murmelte er und verfluchte sich dafür, dass er es wissen wollte.

Sie öffnete langsam die Augen. „Jason?“

„Ja, Jason.“

Verwirrt, dann argwöhnisch runzelte sie die Stirn. „Was weißt du von Jason?“

„Nicht viel.“ Offensichtlich gefiel es ihr nicht, in dem Moment, da sie einen anderen Mann küsste, daran erinnert zu werden, dass Jason und sie ein Paar waren. „Ich hatte gehofft, du sagst es mir.“

Es war faszinierend, aber auch frustrierend, zu beobachten, wie sich der Ausdruck heißen Begehrens in Tinas Augen in Eiseskälte verwandelte. Hocherhobenen Kopfes wich sie zurück, stand auf und glättete ihren Rock. „Ich bin geschickt worden, um zu fragen, wie viele Leute heute Abend erwartet werden.“

„Hör zu, es tut mir leid.“ Reid stand ebenfalls auf. Er griff nach ihrem Arm, doch sie riss sich los. „Ich hätte nicht …“

„Fünfzig?“, fragte sie kalt. „Hundert?“

„Etwa fünfzig.“ Er fuhr sich mit der Hand durch die Haare. „Tina, ich weiß, dass es mich nichts angeht, aber …“

„Da haben Sie recht, Mister“, sagte sie und warf die Haare über die Schultern. „Wenn Sie mich jetzt bitte entschuldigen würden, ich muss zurück an die Arbeit.“

Sie drehte sich auf dem Absatz um und stolzierte zur Tür.

„Toll gemacht, Danforth“, murmelte er. „Wirklich toll.“

Er lehnte sich gegen den Schreibtisch und starrte auf die Tür, durch die Tina gerade verschwunden war. Mein Leben wäre einfacher, dachte er, wenn ich Tina Alexander einfach vergessen und mich auf meine Arbeit konzentrieren würde.

Aber, fügte er in Gedanken hinzu und lächelte, als er sich an ihre süßen Lippen erinnerte, es wäre bei Weitem nicht so interessant.

4. KAPITEL

Auf weichen Knien erreichte Tina den schmalen Gartenweg zwischen den beiden Häusern. Völlig durcheinander und nach Atem ringend stolperte sie um die Ecke und lehnte sich erst einmal gegen die Mauer.

Reid hatte sie geküsst.

Sie hatte den Kuss erwidert.

Sie schloss die Augen und lehnte den Kopf an die kühlen Steine. Ein Stöhnen entwich ihrer Kehle.

Was für ein Kuss!

Ihre Lippen bebten noch, ihre Gedanken wirbelten durcheinander, ihr Puls raste.

Natürlich war es nicht ihr erster Kuss gewesen, sie war nicht völlig unerfahren. Aber dieser Kuss war so anders gewesen als alle anderen vorher. So aufregend, so überwältigend. Und wenn er nicht diese lächerliche Frage nach Jason gestellt hätte, würde sie sich in diesem Moment wahrscheinlich mit Reid auf dem Fußboden wälzen.

Das Blut schoss ihr in die Wangen bei dem Gedanken.

Sie war sich unschlüssig, ob sie froh darüber sein sollte, dass sie noch rechtzeitig die Notbremse gezogen hatten, oder ob sie sich ärgern sollte.

Natürlich bin ich glücklich darüber, sagte sie sich. Überglücklich.

Sie berührte ihren Mund. Sie schmeckte Reid noch, spürte noch den Druck seiner Lippen auf ihren. Unwillkürlich erbebte sie, und sie hätte lügen müssen, wenn sie sich nicht zumindest eingestand, dass sie neugierig gewesen war. Vielleicht hatte sie unbewusst sogar gewollt, dass er sie küsste. Immerhin hatte sie ihn zuerst berührt. Er musste es als Einladung aufgefasst haben, sie zu küssen, so wie sie die Hände an seinen Kopf gelegt, sein Haar mit den Fingern durchkämmt und seinen Kopf leicht gestreichelt hatte.

Ein Prickeln ging durch ihren Körper, als sie daran dachte, wie es sich angefühlt hatte, seine Haare durch die Finger gleiten zu lassen. Am liebsten würde sie es sofort wieder tun.

Eine angenehme Brise kam auf und kühlte ihre erhitzten Sinne. Wieder einmal siegte die Vernunft.

Du machst eine zu große Sache daraus, sagte sie sich, Männer wie Reid küssen ständig irgendeine Frau. Es bedeutete ihm nichts, um Himmels willen, und ihr sollte es auch nichts bedeuten.

„Tut es auch nicht“, sagte sie laut, wie um sich selbst davon zu überzeugen. Reid hatte sie überrumpelt, das war alles. In Zukunft würde sie in seiner Gegenwart vorsichtiger sein.

Ich muss auch Jason sagen, dass er vorsichtiger sein soll, überlegte sie. Wenn ihre Eltern das mit ihm herausfanden … Tina erschauderte bei dem Gedanken. Dann könnten sie etwas erleben.

Aber warum sollen sie es herausfinden, fragte sie sich. Reid wusste nichts. Er hatte nach Informationen gefischt, doch er hatte nichts geangelt.

Und so sollte es auch bleiben.

Um Viertel vor acht am selben Abend war Abraham Danforths Wahlkampfzentrale schon seit fünfzehn Minuten offiziell eröffnet. Der Duft nach frischem Kaffee und warmem Gebäck zog durch den bereits gefüllten Raum. Musik ertönte aus den Lautsprechern, war jedoch wegen der lebhaften Unterhaltung kaum zu hören. Weil der Mann der Stunde noch nicht eingetroffen war, wuchs die Spannung mit jeder Minute.

Reid lehnte mit verschränkten Armen an der Wand im hinteren Teil des Raumes und beobachtete das geschäftige Treiben um sich herum. Seine Familie hatte sich im ganzen Raum verteilt. Kimberly saß am Tisch mit dem Gästebuch; Adam kümmerte darum, alle ehrenamtlichen Helfer auf eine Liste zu setzen; sein Cousin Jake umgarnte gerade Mathilda Henning, die Vorsitzende der Savannah Women’s Historical League. Nicola Granville, die einen „Honest Abe II“-Button am Kragen ihres blauen Blazers trug und einen „Danforth for Senator“-Hut auf dem roten Haar, bahnte sich ihren Weg durch die Menge und begrüßte jeden persönlich.

Abraham mochte der Mittelpunkt des Wahlkampfs sein, die Helfer aber waren das Lebenselixier der Kampagne. Ohne sie war auch mit viel Publicity und Geld keine Wahl zu gewinnen.

Aber es gab nur eine – wenn auch widerstrebende – Helferin, die Reids Aufmerksamkeit erregte. Er blickte zu Tina.

Sie trug eine helle Leinenhose und einen schwarzen Rollkragenpullover und stand mit Jason am Tisch mit den Erfrischungen. In der Hand hielt sie ein Glas Bowle und lauschte höflich den Worten eines lebhaft gestikulierenden Mannes mit Glatze. Sie wirkte kühl und beherrscht und sogar interessiert an dem, was der Mann sagte, doch als er sich umdrehte, um sich einen Keks vom Tablett zu nehmen, konnte er für einen Augenblick sehen, dass sie insgeheim gelangweilt war.

Reid lächelte und überlegte sogar, sie zu retten. Es wäre ein Leichtes, zu ihr zu gehen und zu sagen, sie würde am Telefon verlangt. Doch er war sich nicht sicher, ob sie die Geste begrüßen würde, da Jason neben ihr stand. Vor allem nicht nach dem, was heute Nachmittag zwischen ihnen passiert war.

Was war eigentlich passiert? Er hatte sie geküsst, und sie hatte den Kuss erwidert. Sie hatten es beide genossen – so viel wusste er. Alles Weitere war etwas unklar. Vielleicht habe ich mir ja den Kopf zu stark angeschlagen, dachte er. Zur Vernunft hatte ihn der Stoß jedenfalls nicht gebracht.

Denn alles, woran er seit dem Kuss denken konnte, war, dass er Tina wieder küssen wollte.

Seit dem Augenblick, da Tina mit Rachel und Jason das Wahlkampfbüro betreten hatte, konnte Reid deutlich spüren, dass sie auf Abstand zu ihm bedacht war. Sie hatte kein einziges Mal in seine Richtung geblickt. Natürlich war es nachvollziehbar, dass sie in Anwesenheit ihres Freundes dem Mann ausweichen wollte, den sie vor ein paar Stunden geküsst hatte.

Aber dem Knistern zwischen ihnen konnte sie nicht ausweichen. Es spielte keine Rolle, dass sie auf der anderen Seite des Raumes stand. Die Spannung hing in der Luft. Er spürte es, und er wusste, dass auch sie es spürte.

Ob sie es zugeben würde oder nicht, war eine andere Geschichte.

„Eine Freundin von dir?“

Reid drehte sich beim Klang von Ians Stimme um, verärgert, dass sein Bruder ihn dabei erwischt hatte, wie er Tina anstarrte. „Wer?“

Ian trank einen Schluck Kaffee, dann grinste er. „Eigentlich gar nicht dein Typ.“

Reid zog die Augenbrauen hoch. „Und was ist deiner Meinung nach mein Typ?“

„Geistlose Debütantinnen“, sagte Ian und neigte den Kopf. „Reiche Erbinnen, langweilige Partygirls.“

Reid runzelte die Stirn. Vielleicht waren einige seiner Begleiterinnen wirklich etwas hohl im Kopf gewesen. Aber wen interessierte es? Er hatte nach Abwechslung gesucht, nicht nach einer festen Bindung. Gerade Ian musste etwas sagen, der seit seiner Scheidung um jegliche Art von Beziehung einen großen Bogen machte.

„Zu deiner Information“, sagte Reid trocken. „Ihrem Vater gehört Castle Bakery.“

„Ah, eine der Alexander-Töchter.“ Ian nickte und blickte zu Tina hinüber. „Jake und ich haben darüber gesprochen, unser Angebot im D&D’s zu erweitern. Vielleicht sollte ich mich mal vorstellen.“

Reid warf seinem Bruder einen finsteren Blick zu. „Sie ist nicht zu haben.“

„Ist das so?“ Ian wandte sich lächelnd seinem Bruder zu. „Für mich nicht, oder für dich nicht?“

Nur zu gern hätte Reid seinem Bruder das Grinsen ausgetrieben, doch angesichts von Zeit und Ort musste das warten. „Weder noch. Sie hat einen Freund.“

Ian zuckte mit den Schultern. „Sie trägt keinen Ring. Wirst du auf deine alten Tage etwa ein Softie?“

„Lass uns rausgehen und sehen, wer hier ein Softie ist.“

„Du willst dir doch nicht deinen Anzug versauen?“ Ian schlug seinem Bruder gut gelaunt auf die Schulter. „Außerdem habe ich gehört, dass sie Schwestern hat. Wow, bitte sag mir, dass das eine ihrer Schwestern ist.“

Reid folgte dem Blick seines Bruders. Die große Blondine mit den endlos langen Beinen war gerade zur Tür hereingekommen. Ihr lockiges Haar umrahmte das ovale Gesicht mit den sinnlichen Lippen und den grünen Augen wie eine Löwenmähne. Und in der langärmligen Bluse und der schwarzen Lederhose steckte ein Körper, der bei den meisten Männern heiße Fantasien auslösen musste.

Genau in diesem Moment, so stellte Reid fest, hing fast jeder Mann erotischen Fantasien nach.

„Tochter Nummer eins: Sophia“, sagte Reid. Er hatte sie am Vortag in der Bäckerei kennengelernt. „Warum stellst du dich ihr nicht vor?“

Ohne den Blick von der Blondine zu wenden, zog Ian seine Krawatte zurecht und reichte Reid seinen Kaffee. „Genau das werde ich jetzt tun.“

Reid beobachtete, wie sich sein Bruder wie ein Panther an die Frau heranschlich, doch er hatte das Gefühl, dass Sophia selbst auf sich aufpassen konnte. Er bewunderte einen Moment lang ihre Schönheit – er war schließlich auch nur ein Mann –, doch es war nicht die älteste Tochter der Familie Alexander, die seine Gedanken beschäftigte.

Und auch wenn er es nicht zugeben wollte, nicht einmal sich selbst gegenüber: Ian hatte recht, was Tina betraf. Sie war tatsächlich anders als die Frauen, für die er sich bisher interessiert hatte. Es war merkwürdig, wie sehr sie ihn gleichzeitig faszinierte und verärgerte. Irgendetwas hatte sie an sich, das ihn reizte, und er wollte herausfinden, was es war.

„Darf ich um Ihre Aufmerksamkeit bitten“, sagte Nicola über den Lärm im Raum hinweg und wartete dann, bis Stille herrschte. „Ich danke Ihnen, dass Sie heute Abend gekommen sind. Auch in Abrahams Namen möchte ich Ihnen sagen, wie dankbar wir jedem sind, der so großzügig Zeit und Geld für diesen Wahlkampf zur Verfügung stellt. Mit Ihrer Hilfe werden wir es schaffen, dass der nächste Senator unseres schönen Staates Georgia Abraham Danforth heißt!“

Beifall brandete auf, und ein paar begeisterte Helfer hielten die „Honest Abe II“-Autoaufkleber hoch, die Nicola ein paar Minuten zuvor verteilt hatte.

„Einen ganz besonderen Dank möchte ich Ivan und Mariska Alexander von der Castle Bakery für die großzügige Bewirtung heute Abend aussprechen“, fuhr Nicola fort, als die Menge sich etwas beruhigt hatte.

Mariska strahlte und winkte jedem zu, während Ivan, der nicht gern im Mittelpunkt stand, nur steif nickte.

„Und jetzt möchte ich Sie alle bitten, sich schon einmal den Termin für die Cocktailparty in Crofthaven in zwei Wochen zu notieren.“ Nicola wartete, bis sich das aufgeregte Gemurmel legte, dann lächelte sie und fuhr fort: „Und während wir jetzt auf Abrahams Ankunft warten, bedienen Sie sich bitte bei den Getränken und Knabbereien, und machen Sie sich miteinander bekannt.“

Reid trank von dem Kaffee, den sein Bruder ihm in die Hand gedrückt hatte, während sich die Gäste die süßen Köstlichkeiten schmecken ließen. Apropos süß … Reid blickte dorthin, wo eben noch Tina gestanden hatte, doch sie war verschwunden. Langsam ließ er seinen Blick über die Menge schweifen, konnte sie jedoch nirgends entdecken.

Und Jason sah er auch nicht.

Reid war sicher, dass sie nicht durch den Haupteingang verschwunden waren. Was bedeutete, dass sie entweder in den hinteren Büroräumen oder auf der Toilette waren – oder das Wahlkampfbüro durch die Hintertür verlassen hatten.

Was spielt es für eine Rolle, fragte er sich, obwohl er die Antwort bereits kannte. Es spielte sogar eine große Rolle, und darüber ärgerte er sich.

Wenn sie und Jason wirklich ein Paar waren, dann okay. Aber wenn sie es sind, warum, so fragte Reid sich, hat sie mich dann vor ein paar Stunden geküsst? Und warum war sie so empört, als ich sie frei heraus danach gefragt habe?

Irgendetwas passte hier nicht zusammen. Reid wusste nicht, was es war, aber er wollte endlich eine Antwort haben.

Es dauerte einen Moment, bis er sich den Weg durch die Menge gebahnt hatte, doch als er schließlich den Flur erreichte, sah er, dass die hinteren Büroräume und die Waschräume leer waren.

Er gab seiner Neugier nach und trat ins Freie.

Es war frisch, der Himmel sternenklar. Ein farbiger Ring leuchtete um den Vollmond. In der Ferne ertönte ein Schiffshorn auf dem Fluss. Die perfekte Nacht für ein Rendezvous, dachte Reid und schloss die Tür hinter sich.

Als er ein Paar im Schatten der Bäume stehen saß, ballte er die Hände. Fast wäre er umgekehrt. Doch dann ging ihm Ians spöttische Bemerkung durch den Kopf, er sei ein Softie. Von wegen.

Er steckte die Hände in die Hosentaschen und schlenderte gemächlich zu dem Paar. „Schöner Abend …“

Die beiden sprangen auseinander. Jason stellte sich vor die Frau und schützte sie vor Reids Blicken. „Wir wollten nur … etwas frische Luft schnappen.“

Warum zum Teufel versteckte Tina sich hinter dem Mann? Sie war nicht der Typ, der ängstlich in Deckung ging. Es sei denn, sie machte sich Sorgen, Jason könnte erfahren, dass sie einen anderen Mann geküsst hatte.

„Tut mir leid, wenn ich störe.“ Reid trat etwas nach links und versuchte, um Jason herum zu blicken. Dieser bewegte sich ebenfalls zur Seite.

„Kein Problem“, sagte Jason. Seiner Stimme war jedoch seine Nervosität anzuhören.

„Hören Sie.“ Reid seufzte. „Warum wollen wir nicht einfach …“

„Was zum Teufel macht ihr hier? Seid ihr verrückt geworden?“

Erschrocken, Tinas Stimme hinter sich zu hören, drehte Reid sich um. Sie kam über den Hof zu ihnen geeilt. Verwirrt sah Reid wieder zu Jason und beobachtete dann, wie eine Frau zögernd aus dem Schatten trat.

Rachel.

„Mom sucht euch“, sagte Tina zu ihrer Schwester. „Seht zu, dass ihr wieder hineinkommt, bevor …“

„Was ist hier draußen los?“

Die Stimme ihrer Mutter ließ Tina erstarren. Langsam drehte sie sich um. Die Hände in die Hüften gestemmt, die Augen argwöhnisch zusammengekniffen, schaute Mariska auf die Gruppe, die sich im Hof versammelt hatte.

„Ich habe nur …“, stammelte Tina. „Wir haben nur …“

„Rachel hatte Kopfschmerzen“, warf Reid ein und trat zu Rachel. „Ich habe sie nach draußen an die frische Luft gebracht.“

Verblüfft, dass er für sie log, sah Tina zu Reid.

„Stimmt“, fügte sie hastig hinzu. „Jason und ich wollten gerade nachfragen, wie es ihr geht.“

„Oh.“ Mariska blickte von Rachel zu Reid, dann weiteten sich ihre Augen vor Entzücken. „Verstehe. Ja, frische Luft ist wirklich gut gegen Kopfschmerzen, nicht wahr?“

„Ja … ich fühle mich schon viel besser“, erwiderte Rachel zögernd.

Mom hört offensichtlich schon die Hochzeitsglocken läuten, dachte Tina. Allerdings sah sie den falschen Bräutigam an.

„Okay“, sagte Mariska und drehte sich bereits um. „Ich gehe wieder hinein und sage deinem Vater, dass alles in Ordnung ist.“

„Wir kommen gleich nach“, rief Reid ihr zu.

Als Mariska im Haus verschwunden war, nahm Jason besitzergreifend Rachels Hand. „Wir müssen das jetzt klären. Ich werde mit deinen Eltern sprechen, und …“

„Nein.“ Rachel entriss Jason die Hand, dann sah sie Reid an. „Wir wollten Sie nicht in die Geschichte hineinziehen. Tut mir leid.“

Mit Tränen in den Augen folgte Rachel ihrer Mutter. Jason wollte hinterherlaufen.

„Jason.“ Tina berührte ihn an der Schulter und schüttelte den Kopf. „Nicht jetzt.“

Jason blieb stehen. Er schüttelte Tinas Hand ab, drehte sich auf dem Absatz um, stürzte durchs Gartentor hinaus und schlug es hinter sich zu.

Tina atmete erleichtert aus. Das war knapp gewesen. Verdammt knapp. Sie drehte sich zu Reid um und rang sich ein Lächeln ab. „Danke. Du hast ja keine Ahnung, was für ein Desaster du gerade verhindert hast.“

„Erzähl es mir.“

Ihr erster Gedanke war, dass es ihn nichts anging. Andererseits hatte er geholfen. Deshalb schuldete sie ihm zumindest eine Erklärung. „Jason und Rachel lieben sich.“

„Ach, nee.“

„Rachel mag keinen Streit“, erklärte Tina. „Sie weiß, dass meine Eltern ihre Beziehung mit Jason nicht billigen würden, deshalb haben sie bisher ein Geheimnis daraus gemacht.“

„Warum sind sie dagegen?“

„Erstens ist er ein Angestellter. Das war immer absolut tabu.“

„Warum kündigt er nicht einfach?“

„So einfach ist das nicht.“ Tina seufzte. „Er ist außerdem Leadsänger in einer Band namens Controversy.“

„Der am Hungertuch nagende Musiker“, sagte Reid nachdenklich.

Tina nickte. „Doppeltes Pech. Selbst wenn er die Arbeit in der Bäckerei aufgeben würde, wäre er für meine Eltern immer noch nicht akzeptabel. Und Rachel will nicht, dass er die Band verlässt. Sie weiß, wie viel ihm die Musik bedeutet.“

„Ist er gut?“

„Rachel behauptet es.“ Tina schlang sich die Arme um den Körper, als eine frische Brise die Blätter um ihre Füße aufwirbelte. „Doch es ist ein hartes Geschäft.“

„Dir ist kalt.“ Reid zog sein Jackett aus und legte es ihr um die Schultern. „Hier.“

„Danke, aber du musst nicht …“

Der Protest erstarb ihr auf den Lippen, als er die Jacke fester um sie schloss. Sie spürte seine Wärme, die noch in der Jacke hing, und sie konnte seinen männlichen Duft riechen. Als er sie noch fester einwickelte, machte ihr Herz einen Satz, und ihr Pulsschlag beschleunigte sich.

„Als ich nach draußen kam, dachte ich, du wärst die Frau, die Jason küsst“, sagte er.

„Ich?“

Er nickte. „Ich dachte, ihr beide wärt ein Paar.“

Tina musste lachen. „Deshalb hast du mich nach Jason gefragt, nachdem …“ Sie sprach nicht weiter.

„Nachdem du mich geküsst hast“, murmelte er.

„Ich habe dich geküsst?“ Empört zog sie die Augenbrauen hoch und begegnete seinem Blick. „Das habe ich anders in Erinnerung.“

„Ja?“ Sein Blick fiel auf ihren Mund. „Wie denn?“

Tina ignorierte die Stimme des Verstandes, die ihr nahelegte, ganz schnell zu verschwinden, und legte die Handflächen an Reids Brust und schmiegte sich an ihn. Sie spürte das gleichmäßige Schlagen seines Herzens unter ihren Fingerspitzen und seine Körperwärme, die durch das Hemd drang. „An was soll ich mich erinnern?“

Lächelnd presste er den Mund auf ihren.

Es war genauso wie beim ersten Mal. Die Berührung löste einen Adrenalinstoß aus. Sie versetzte sie in einen Rausch.

Er strich mit den Lippen über ihre. Sanft, kaum spürbar. Nichts Überwältigendes, nichts Umwerfendes, dachte sie. Nichts, von dem sie weiche Knie bekommen könnte.

Und doch bekam sie weiche Knie. Und noch mehr.

Viel mehr.

Er leckte mit der Zunge über ihre Unterlippe, dann drang er mit der Zunge in ihren Mund ein. Ihr Atem beschleunigte sich. Er ließ die Hände unter seine Jacke gleiten und legte sie um ihre Taille. Mit den Daumen strich er sanft über ihren Brustkorb, direkt unter ihren Brüsten. Heftiges Verlangen erfasste sie.

Aus Angst, sie könnte zu Boden sinken, wenn sie sich nicht festhielt, schlang Tina die Arme um seinen Nacken.

Die Stimme der Vernunft raunte ihr zu, sie solle aufhören. Dies führt zu nichts, warnte die Stimme eindringlich, zu nichts außer Liebeskummer. Sie war einem Mann wie Reid nicht gewachsen. Doch anscheinend hatte ihr Körper einen eigenen Willen. Er war entschlossen, den Moment zu genießen und alle Konsequenzen zu ignorieren.

Als Reid den Kuss vertiefte und mit den Daumen sanft über ihre Brüste strich, verstummte die Stimme der Vernunft. Ein lustvoller Seufzer kam über Tinas Lippen, aber sie war zu versunken in die köstlichen Gefühle, als dass es ihr peinlich sein konnte. Seine Berührung erregte sie, und sie wusste, dass sie verloren war.

Reid spürte, wie sich ihr Begehren auf ihn übertrug. Er war nicht unerfahren, Begierde und heißes Verlangen waren ihm nicht fremd, doch das war etwas anderes, stärker und tiefer gehend als alles, was er bisher erlebt hatte. Eine berauschende Welle purer Lust durchflutete ihn, und sein Herz schlug wie wild.

Er hob den Kopf und blickte auf Tina hinab; beobachtete, wie sie langsam die Augen öffnete. Leidenschaft glühte in ihnen beiden. Ihre Lippen, geschwollen und feucht von seinem Kuss, verführten ihn, sie wieder zu küssen.

„So süß“, murmelte er an ihren Lippen. „So weich.“

Am liebsten wäre er mit Tina in der Wohnung ihrer Tante verschwunden, um zu vollenden, was sie hier angefangen hatten, doch leises Lachen, das aus dem Gebäude zu ihnen drang, erinnerte ihn daran, wo sie waren.

Frustriert löste er sich von ihr und legte seine Stirn an ihre.

„Wir müssen wieder hineingehen“, seufzte er.

Sie blinzelte. „Was?“

„Mein Vater wird jeden Moment eintreffen“, erklärte er. „Sie werden sich wundern, wo ich bin.“

„Ach ja, natürlich.“ Sie trat zurück, nahm seine Jacke von ihren Schultern und reichte sie ihm. „Danke.“

„Tina …“

„Kein Problem, Reid.“ Sie neigte den Kopf und lächelte. „Wir haben uns hinreißen lassen. So etwas kommt vor.“

So etwas kommt vor? Ihre Bemerkung verletzte seinen Stolz. „Immerhin schon zum zweiten Mal“, sagte er trocken.

„Ich … tut mir leid.“ Sie senkte den Blick und verschränkte die Arme vor der Brust. „Ich kann mit der Situation nicht so gut umgehen. Ich möchte einfach nicht, dass du einen falschen Eindruck bekommst, das ist alles.“

„Und welcher Eindruck ist das?“

„Dass ich … dass wir …“ Sie trat verlegen von einem Fuß auf den anderen. „Dass dies irgendwo hinführen könnte.“

„Was du mir zu sagen versuchst“, sagte er ruhig und ohne den Blick von ihr zu wenden, als er näher zu ihr trat, „ist, dass du nicht mit mir schlafen wirst.“

„Nein.“

„Nein, das versuchst du nicht zu sagen?“

„Nein … ich meine, ja.“ Nervös schüttelte sie den Kopf. „Ich werde nicht mit dir schlafen.“

„Die Sache ist die, Tina …“ Er berührte ihr Ohrläppchen mit der Fingerspitze. Sie hielt die Luft an. „… ich habe dich nicht gefragt, ob du mit mir schläfst.“

Hochzufrieden, sie überrascht zu haben, ließ Reid die Hand sinken.

„Bis gleich“, sagte er und wünschte, er könnte ihren Gesichtsausdruck sehen, als er sich entfernte.

5. KAPITEL

Am Samstagnachmittag ging Tina gleich nach Ladenschluss in die Wohnung ihrer Tante. Den ganzen Tag über hatte sie von einem ruhigen Abend zu Hause geträumt. Allein. Sie wollte ein ausgiebiges Schaumbad nehmen, dazu Kerzenlicht, leise Musik und ein Glas Weißwein. Anschließend wollte sie in ihrer Lieblingskluft – Jogginghose, Top, Flipflops – den Krimi weiterlesen, den sie vor zwei Wochen begonnen hatte.

Und vielleicht würde sie sogar etwas Schlaf bekommen, statt sich die ganze Nacht rastlos im Bett zu wälzen und nur an Reid zu denken.

Ihr wurde immer noch heiß vor Scham, wenn sie daran dachte, was er gestern Abend gesagt hatte. Ich habe dich nicht gefragt, ob du mit mir schläfst.

Sie hatte es geschafft, den Rest des Abends zu überstehen, hatte sogar gelächelt und mit ruhiger Stimme gesprochen, als ihre Mutter sie mit Abraham Danforth bekannt gemacht hatte. Er war die ältere Version von Reid. Die gleichen faszinierenden dunkelblauen Augen, dasselbe dichte hellbraune Haar. Der gleiche Charme. Wie Reid strahlte er Macht und Männlichkeit aus. Und wie Reid faszinierte auch er die Frauen so sehr, dass sie den Blick nicht von ihm wenden konnten. Egal, ob jung oder alt. Plötzlich war Tina klar, warum Reid sie nicht gefragt hatte, ob sie mit ihm schlafen würde.

Weil er es nicht tun musste.

Er konnte jede Frau haben, die er haben wollte. Zu jeder Zeit.

Tina wusste, dass sie keine Femme fatale war. Zwar gab es einige Männer, die Interesse an ihr gezeigt hatten, aber sie rissen sich nicht gerade um sie.

Warum also ist Reid an mir interessiert, fragte sie sich zum hundertsten Mal, seit sie ihn kennengelernt hatte.

Den Gedanken im Kopf, steckte sie den Schlüssel ins Schloss und öffnete die Tür.

Und der Traum von einem ruhigen Abend löste sich vor ihren Augen in nichts auf.

„Tina, es ist so fantastisch.“ Rachel kam ihr an der Tür entgegen und zog sie in die Wohnung. „Du glaubst nicht, was Sophia getan hat.“

Rachel blickte zu Sophia, die auf dem Sofa saß. An ihr wirkten selbst abgewetzte Jeans und das weiße XXL-T-Shirt wie ein Designer-Outfit. Sie lächelte selbstgefällig.

Rachels Augen blitzten vor Aufregung. „Sie hat dafür gesorgt, dass Jasons Band im Steam auftreten kann. Heute Abend!“

Tina blickte mit großen Augen erst Rachel, dann Sophia an. Steam war der angesagteste, heißeste Nachtklub in Savannah, zu dem nicht jeder Zutritt erhielt. Tina war noch nie dort gewesen, doch sie wusste, dass Sophia dort häufiger Gast war und dass sie sogar einige Ideen zur Inneneinrichtung des Büros des Eigentümers beigesteuert hatte.

Tina wusste auch, dass es für eine Band schon fast an ein Wunder grenzte, für einen Auftritt dort engagiert zu werden. „Und wie, bitte schön, hast du das geschafft?“

Sophia zuckte nur mit der Schulter, doch in ihren Augen glitzerte ein Lächeln. „Die Band, die heute Abend auftreten sollte, musste absagen. Und der Besitzer des Klubs ist mir noch einen Gefallen schuldig.“

Tina sah ihre Schwester neugierig an. „Was für einen Gefallen?“

„Nicht, was du denkst. Obwohl Clay Crawford ein toller Typ ist.“

„Können wir bitte ausnahmsweise einmal nicht über Sophias Liebesleben sprechen?“ Rachel nahm Tina bei der Hand und zog sie zum Sofa. „Wir müssen überlegen, was wir anziehen.“

„Wir?“ Tina sah Rachel an.

„Natürlich ‚wir‘“, erwiderte Rachel. „Ich habe Jason gesagt, dass wir alle kommen werden. Mom und Dad haben heute ihren Bingoabend. Sie werden uns also nicht mit Fragen löchern.“

Am Samstagabend gingen ihre Eltern zum Essen und Bingospielen ins Buddy’s im Hafenviertel. Der Abend war ihnen heilig, und sie verpassten ihn nie, außer jemand war krank. Es war also die perfekte Gelegenheit für die Schwestern auszugehen, ohne sich Sorgen über ein strenges Verhör machen zu müssen. Tinas Traum von einem Schaumbad begann zu platzen, ein duftendes Bläschen nach dem anderen.

„Stell dir das nur vor!“ Rachel legte die Hände an die Brust. „Jason, mein Jason, singt im Steam! Du musst mitkommen, Tina.“

Das glückliche Gesicht ihrer Schwester gab schließlich den Ausschlag. „Natürlich komme ich mit. Das möchte ich auf keinen Fall verpassen.“ Sie war überrascht, wie aufgeregt sie plötzlich selbst war.

„Ich liebe euch!“ Lachend umarmte Rachel ihre Schwestern. „Das wird der schönste Abend meines Lebens!“

Vielleicht ist es genau das, was ich brauche, dachte Tina. Sie war schon lange nicht mehr mit ihren Schwestern abends unterwegs gewesen. Etwas Musik, etwas Wein. Sie würden Spaß haben. Vielleicht lernte sie auch einen netten Mann kennen. Einen, der sie Reid Danforth vergessen ließ.

Wer weiß, dachte sie, vielleicht wird das ja meine Glücksnacht.

Jeden Abend ab neun Uhr spielten die besten Livebands im Steam. Und am Samstagabend war es ohne Reservierung oder Beziehungen fast unmöglich, in das angesagte Restaurant in der ersten Etage oder in den Klub im Erdgeschoss zu gelangen.

Es sei denn natürlich, man hieß mit Nachnamen Danforth.

„Möchten Sie heute Abend essen, Mr Danforth?“ Die Bedienung, eine hübsche Brünette in einem schwarzen Cocktailkleid, lächelte Reid an. „Oder wünschen Sie einen Tisch im Klub?“

„Im Klub.“ Reid erwiderte das Lächeln und schob der Frau einen Geldschein zu, bei dem sie große Augen machte. Wie von Zauberhand verschwand das Geld. „Ich treffe meinen Bruder.“

„Danke, Sir. Ich werde Ihnen den besten Platz aussuchen.“

Während die Hostess etwas auf den Reservierungsplan notierte, der vor ihr lag, sah Reid sich im großen, schwach beleuchteten Empfangsbereich um. Dunkelrote Samtvorhänge hingen vor den hohen Fenstern, die Wände waren hellgrau gestrichen, mit dünnen roten Streifen. Ein erlesener Orientteppich in Rot-, Grau- und Schwarzschattierungen lag auf dem polierten dunklen Mahagonifußboden. Hinter der Hostess führte eine breite Mahagonitreppe zum Restaurant. Rechts der Lobby lag der Barbereich, der von Gesprächslärm und Gelächter vibrierte.

„Hier entlang, Sir.“

Nicht wissend, warum Ian darauf bestanden hatte, ihn heute Abend hier zu treffen, folgte Reid der Hostess durch einen Eingang auf der linken Seite, der zu Bühne und Tanzfläche führte. „Let’s Give Them Something to Talk About“ dröhnte aus dem Lautsprecher des DJs, und zahlreiche Tänzer bewegten sich zum Rhythmus von Bonnie Raitts Song, während sich Kellnerinnen in schwarzen Hosen und roten Blusen durch die Menge schlängelten.

Reid setzte sich an den Tisch neben der Bühne und bestellte ein Bier. Nach seiner Studentenzeit hatte er nur noch selten Bars oder Nachtklubs besucht, doch manche Dinge änderten sich nie. Und auch wenn das Steam zu edel für einen Durchschnittsstudenten war, Anziehungspunkt war stets dasselbe: Musik, Getränke, Essen und natürlich Frauen.

Er blickte auf die vielen hautengen Kleider und tief ausgeschnitten Tops. Viel Haut und Brustansatz wurde gezeigt, und er müsste schon tot sein, um es nicht zu sehen. Dennoch, auch wenn ihm gefiel, was er sah, war er nicht an einem Flirt mit den Damen interessiert, die in seine Richtung schauten.

Es ärgerte ihn, dass ihm Tina nicht aus dem Kopf ging. Seit er sie geküsst hatte, konnte er an nichts anderes denken, als dass er sie wieder küssen wollte.

Und nicht nur küssen.

Zumindest wusste er jetzt, dass Rachel und nicht Tina mit Jason liiert war. Und auch wenn Tina nicht direkt grünes Licht gegeben hatte, so half es ihm zu wissen, dass er im Moment allein im Rennen war. Er hatte das Gefühl, dass es Stoppzeichen und Umwege geben würde, aber früher oder später würde er das Ziel erreichen.

Er hoffte auf früher.

„Wie findest du’s?“, fragte Ian über den Lärm hinweg, als er sich Reid gegenübersetzte. „Nette Location, nicht wahr?“

Reid nickte. „Und wir sind hier, weil …“

„Sophia hat uns eingeladen.“

„Sophia Alexander?“

Ian grinste. „Ja, die Schwester der Frau, die nicht zu haben ist, wie du sagtest.“

„Wann hast du mit Sophia gesprochen?“

„Ich habe sie heute Morgen angerufen, um zu fragen, ob sie abends schon etwas vorhat. Sie hat gesagt, dass sie hierherkommen wollte, und vorgeschlagen, dass wir uns hier treffen.“

„Du hast gesagt, sie hat uns eingeladen.“

„Sie bringt Tina mit.“ Ians Grinsen wurde breiter. „Ah, ich wusste doch, dass dich das interessieren wird.“

Es interessierte ihn sogar sehr. Vorsichtig stellte Reid sein Bierglas auf dem grauen Marmortisch ab und ließ seinen Blick durch den Raum schweifen. Er entdeckte Tina und Sophia weder an einem Tisch noch auf der Tanzfläche. Einen Moment später sah er Rachel durch eine Tür hinter der Bühne kommen. Dann Sophia.

Dann Tina.

Ihr hochgeschlossenes schwarzes Kleid mit dem Mandarinkragen betonte ihren schlanken Hals. Die Rocklänge war konservativ. Ein Outfit also, das alles andere als sexy war.

Und doch begann sein Puls zu rasen.

Er ließ Tina nicht aus den Augen und beobachtete, wie die Schwestern an einen Tisch in der ersten Reihe eilten, als der DJ verkündete, dass Controversy, die Band des Abends, in fünf Minuten auftreten würde.

Controversy. Das ist Jasons Band, erinnerte sich Reid. Deshalb war Tina hier. Er nahm sein Bierglas und trank einen Schluck, dann lehnte er sich zurück und wartete auf den Beginn der Show.

„Hör auf, so herumzuzappeln, und entspann dich.“ Tina reichte Rachel ein Glas eiskaltes Wasser. „Und vergiss nicht zu atmen, um Himmels willen. Es hilft Jason nicht, wenn du ohnmächtig auf dem Boden liegst.“

„Du hast recht. Tut mir leid.“ Rachel nippte an dem Wasser. „Aber hast du ihn gesehen? Hast du gesehen, wie toll er aussieht in der schwarzen Satinjacke? Und seine Haare, diese tollen blonden Haare, die ihm über die Schultern fallen …“

„Ich habe ihn gesehen“, erwiderte Tina. Sie waren gerade aus dem Backstagebereich gekommen, wo die Band auf ihren Auftritt wartete. „Er sieht wirklich klasse aus.“

Das Licht wurde gedämpft, und Rachel wurde blass. „Oh Gott, ich glaube, mir wird schlecht.“

Sophia verdrehte die Augen, tauchte die Finger ins Eiswasser und schnipste Rachel kaltes Wasser ins Gesicht.

Sie schnappte erschrocken nach Luft, dann sah sie Sophia finster an. „He!“

„Zumindest atmest du wieder, oder? Und jetzt sei ruhig, sitz still und lass uns sehen, was dein Freund kann.“

Doch selbst Tina hielt die Luft an, als der DJ die Band ankündigte. Fünf Männer kamen auf die Bühne. Alle trugen Sonnenbrillen und wirkten gleichzeitig sehr cool und sehr heiß. Sie stellten sich auf, verharrten einen Moment ganz still, dann gab der Drummer mit seinen Stöcken den Takt an. „One, two, three …“

Der Leadgitarrist startete allein, stark und laut. Schlagzeug, Bass und Keyboard setzten einen Moment später ein. Der harte und zugleich melodische Sound des Southern-Blues-Rock zog die Gäste auf die Tanzfläche.

Dann trat Jason ans Mikrofon.

„Tell me why …“

Seine Stimme vibrierte durch den Raum, ein rauchiger, betörender Klang. Er sang von Täuschung und Lügen, verlorener Liebe und Liebeskummer. Pure Leidenschaft schien von ihm auszuströmen und übertrug sich auf das Publikum.

Das ist Jason? dachte Tina erstaunt. Sie hatte ihn noch nie singen hören und hätte sich nicht träumen lassen, dass er so gut war. Die Zuhörer und die Tanzenden bewegten sich zur Musik, und auch Tina wurde mitgerissen. Er ist besser als gut, dachte sie. Er ist fantastisch.

Tina blickte zu Rachel, sah die Liebe in ihren Augen schimmern und freute sich über das Glück ihrer Schwester. Jemanden so sehr zu lieben und von diesem Menschen auch geliebt zu werden, war ein Wirklichkeit gewordener Traum. Sicher, in diesem Fall war dieser Traum nicht ganz unproblematisch. Aber Tina war sicher, dass alle Probleme überwunden werden konnten, wenn zwei Menschen sich so sehr liebten.

Tina hoffte, dass auch sie eines Tages die große Liebe finden würde. Dass es eines Tages einen Mann geben würde, der sie so ansah wie Jason ihre Schwester ansah.

Als sie an seinen Kuss dachte und daran, wie Reid sie angesehen hatte, verspürte sie ein Flattern im Bauch. Sie wusste, dass die Anziehung zwischen ihnen rein körperlich war, das hielt sie aber nicht davon ab, ständig an den Mann zu denken. Im Gegenteil, das Feuer, das er in ihr entzündet hatte, wurde durch diese Gedanken nur noch angefeuert. Neugierig fragte sie sich, wie es wohl gewesen wäre, wenn er sie nicht nur geküsst und mit den Händen ihren Busen leicht gestreift hätte. Schon bei dem Gedanken daran spannten sich ihre Brüste, ihre Haut begann zu prickeln und …

Tosender Applaus brach los, als die Band ihren ersten Song beendet hatte. Gott sei Dank, dachte Tina und verdrängte die lustvollen Gedanken, die sie plötzlich beherrschten. Die würden ohnehin nur zu weiteren schlaflosen Nächten führen.

Die Beifallsstürme hielten an, und Rachel nahm Tinas Hand und drückte sie. Zu sagen, dass Controversy gut ankam, wäre eine maßlose Untertreibung.

„Ist er nicht toll?“, schrie Rachel über den Lärm hinweg.

Lachend umarmten Tina und Sophia ihre Schwester, dann sagte Sophia: „Ich muss jemanden begrüßen. Ich bin gleich zurück.“

Jason begann mit dem nächsten Lied, einer Ballade über eine verbotene Liebe. Die Paare auf der Tanzfläche schmiegten sich aneinander und bewegten sich verträumt zu der Musik. Mit Tränen in den Augen beugte Rachel sich vor und blickte unentwegt auf Jason. Es erstaunte Tina, dass er nicht bereits einen Plattenvertrag hatte, aber sie wusste auch, dass es ein hartes Geschäft war und es selbst die talentiertesten Sänger und Gruppen nicht leicht hatten. Sie hoffte, dass dieser Abend Jasons Chance war, seinem Traum ein wenig näher zu kommen.

Plötzlich spürte sie eine Hand auf ihrer Schulter und drehte sich um. Ein Mann mit einem Brillanten im Ohr strahlte sie an. Er war schlank, aber muskulös. Er nickte in Richtung Tanzfläche.

Sie zögerte, obwohl sie nicht sagen konnte, warum. Sie verbrachte den Abend in einem Nachtklub, und ein gut aussehender Mann bat sie um einen Tanz. Hatte sie sich nicht vorgenommen, den Abend zu genießen und sich zu amüsieren?

Warum war sie also so … desinteressiert? „Ich …“

„Tut mir leid, mein Freund, sie ist mit mir hier.“

Bei dem Klang der tiefen, vertrauten Stimme wandte Tina den Kopf.

Reid?

Vielleicht war dies doch nicht ihre Glücksnacht.

Der Mann, der sie zum Tanzen aufgefordert hatte, verzog sich. Finster blickte sie Reid an.

„Was sollte das?“ Sie trank von ihrem Wasser und wünschte sich, sie hätte einen Wein bestellt. „Vielleicht wollte ich ja mit dem Mann tanzen.“

„Wolltest du?“

Oh, warum lügen? Sie war eine lausige Lügnerin, und Koketterie war nicht ihr Stil. Sie zuckte mit den Schultern. „Nicht wirklich.“

Lächelnd setzte er sich auf Sophias Platz. „Hallo, Rachel.“

„Hallo, Reid“, erwiderte Rachel, ohne den verträumten Blick von Jason zu wenden.

„Der Wein, den Sie bestellt haben, Mr Danforth.“ Eine Kellnerin stellte eine Flasche Wein und drei Gläser auf den Tisch, dann schenkte sie ein. „Haben Sie noch einen Wunsch?“

Tina entging der anzügliche Ton in der Stimme der Frau nicht. Sie ahnte, an welche Wünsche die Frau dachte. Reid aber schüttelte nur den Kopf.

„Was machst du hier?“, fragte sie, als er ihr ein Glas Wein reichte.

„Dasselbe wie du, ich sehe mir die Show an.“

Reid schob das zweite Glas Wein über den Tisch zu Rachel, die es aber gar nicht bemerkte. „Sophia hat Ian eingeladen.“

„Wirklich?“ Warum musste er in seiner schwarzen Lederjacke und dem grünen T-Shirt so verdammt gut aussehen? Und warum überschlug sich ihr Puls jedes Mal, wenn sie ihn sah? Sie riss sich zusammen, zwang ihre Hände zur Ruhe und trank einen Schluck Wein. „Und du bist ganz zufällig hinzugekommen?“

„Ehrlich gesagt, hat Sophia meinem Bruder gesagt, er soll mich mitbringen.“

Tina hätte fast den Wein verschüttet. Mein eigen Fleisch und Blut hat sich gegen mich verschworen, dachte sie und fragte sich, wohin ihre Schwester eigentlich verschwunden war. Sie ließ den Blick über die Menge schweifen und erblickte Sophia zusammen mit Ian am anderen Ende des Raums. Als Sophia sie vielsagend anlächelte, starrte sie zornig zurück.

Die Band spielte nun ein schnelles Stück. Die Musik war so laut, dass Tina die nächsten Minuten problemlos um eine ernsthafte Unterhaltung herumkam. Was sie nicht ignorieren konnte, waren die Nähe von Reids Körper und der Duft seines Aftershaves. Am liebsten wäre sie noch näher an ihn herangerückt, um den berauschend männlichen und würzigen Duft tief einzuatmen.

Als das nächste langsame Lied folgte, beugte Reid sich zu ihr. Ihr Herz machte einen Satz, als sich sein Mund ihrem Ohr näherte.

„Warum arbeitet ein Mann mit dieser Stimme in einer Bäckerei?“, fragte Reid.

„Die Arbeitszeit ermöglicht es ihm, nachmittags und abends neue Songs zu schreiben und mit seiner Band zu proben.“ Sie spürte seinen warmen Atem am Ohr und hatte Probleme, einen klaren Gedanken zu fassen. „Hauptsächlich bleibt er aber wegen Rachel. So können sie sich jeden Tag sehen und ab und zu davonstehlen, um etwas Zeit für sich zu haben. Vor allem, wenn meine Mutter nicht da ist.“

„Dann wissen deine Eltern also wirklich nicht, was los ist?“

Tina schüttelte den Kopf. „Mein Vater lebt in seiner eigenen Welt, seiner Backstube, und meine Mutter …“, sie trank einen Schluck Wein, „… nun, ihr Blick ist etwas verzerrt durch ihre Wunschträume.“

„Welche Wunschträume?“

Tina spürte, dass der Wein eine entspannende Wirkung auf ihre Nerven hatte. „Sophia und Rachel in die Welt der Reichen und Schönen zu verheiraten und Großmutter zu werden. Das ist der wirkliche Grund, warum sie mir mein Restaurant verweigert und die Räume an eure Familie vermietet hat. Sie sieht das Wahlkampfbüro als Jagdrevier nach potenziellen Ehemännern.“

„Und was ist mit dir?“, fragte Reid. „Will sie dich nicht verheiratet sehen?“

„Um Gottes willen, nein.“ Sie lachte, verstummte aber sofort wieder, als sie merkte, dass Reids Mund ihren Nacken streifen würde, wenn sie sich nur ein kleines bisschen bewegte. Allein der Gedanke ließ sie erbeben. „Auch wenn ich schon vierundzwanzig bin. Für sie bin ich immer noch die Kleine. Viel zu jung, um zu heiraten.“

Er schüttelte langsam den Kopf. „Du bist kein Kind mehr, Tina.“

Seine erotische Stimme und das gefährliche Funkeln in seinen Augen ließen ihren Puls schneller schlagen. Ist das nur ein Spiel für ihn? fragte sie sich. Und wenn es so war, wollte sie mitspielen? Es wäre gefährlich und sehr dumm, und sie würde verlieren. Sie hatte nicht die Erfahrung und das Geschick, es mit einem Mann wie Reid aufzunehmen.

Sie würde diejenige sein, die verletzt zurückblieb. Sollte sie es trotzdem wagen, sich mit ihm einzulassen?

Bevor sie über die Antwort nachdenken konnte, hatte er sie schon hochgezogen und auf die Tanzfläche geführt. Und als er sie in die Arme schloss, konnte sie überhaupt nicht mehr denken.

Es war ein langsamer Song, sexy und gefühlvoll. Sie schmiegte sich an Reid, und ihre Körper bewegten sich im Gleichklang zur Musik. Sie tanzten sehr eng, und selbst wenn sie gewollt hätte, wäre es unmöglich gewesen zurückzuweichen. Sie verwünschte die Tatsache, dass sie es auch gar nicht wollte. Sie könnte für immer und ewig so mit Reid tanzen, den Kopf an seiner Schulter, seine Arme um ihren Körper.

Aber nichts war für die Ewigkeit bestimmt. Als der Song zu Ende war, seufzte Tina und hob den Kopf.

„Komm mit zu mir.“

Als sie seine Worte vernahm, stockte ihr der Atem. Ihr Herz hämmerte wie verrückt. Komm mit zu mir. Es wäre so einfach, mit ihm zu gehen. In sein Bett zu fallen. Sie war sicher, dass es eine Nacht wäre, die sie nie vergessen würde.

Aber am Morgen wäre nichts mehr einfach. Auch dessen war sie sich sicher.

Während sich die Tanzfläche leerte und die Band die Bühne verließ, stellte sie sich vor, wie es sein würde. Kein Mann hatte bisher diese Empfindungen in ihr geweckt. Bei Reid war ihr gleichzeitig heiß und kalt. Mit ihm erwachten Sehnsüchte in ihr, die ihr bisher fremd gewesen waren.

Sie brauchte Raum. Solange Reid sie in den Armen hielt, konnte sie nicht atmen, geschweige denn denken.

„Rachel ist …“

„Mit Jason hinter der Bühne.“

Tina blickte zu dem Tisch, an dem sie gesessen hatte. Die Stühle waren leer. „Reid, ich …“

Er senkte den Kopf und streifte ihre Lippen mit seinen. Sie vergaß, was sie hatte sagen wollen.

„Ich … ich brauche eine Minute“, brachte sie atemlos hervor und erbebte, als er ihr über die Wange strich.

„Ich warte am Tisch auf dich.“

Sie nickte, drehte sich um und ging mit weichen Knien zur Damentoilette. Womit hat er mich verzaubert? dachte sie. Was auch immer es sein mochte, es war machtvoll und gewaltig. Eine berauschende Mischung aus Aufregung und Angst.

Prickelnde Vorfreude erfasste sie.

Auf der Damentoilette ging Tina direkt ans Waschbecken. Sie hielt ein Papiertuch unter kaltes Wasser und presste es dann gegen ihre heißen Wangen und an ihren Nacken, während die Frauen um sie herum sich die Lippen schminkten, sich die Haare kämmten und ihre tief ausgeschnittenen Kleider und Tops zurechtzogen.

Sie blickte auf ihr eigenes Kleid, und auch wenn es hübsch war und sie gut darin aussah, fühlte sie sich wie eine Ente unter Schwänen. Ein Gänseblümchen unter Rosen. Und wieder fragte sie sich, warum Reid sie begehrte. Auch wenn er nur an einen One-Night-Stand dachte, er könnte die schönsten Frauen von Savannah haben. Oder sogar der ganzen Welt. Es ergab einfach keinen Sinn.

Aber musste alles einen Sinn ergeben?

Musste sie so verdammt logisch und vernünftig sein? Während die Frauen schnatterten und lachten und sich um sie herumdrückten, starrte Tina ihr Spiegelbild an. Wer war sie? Konnte sie nicht einmal im Leben einfach loslassen und sich ihren Gefühlen hingeben? Einfach den Moment genießen, die Nacht, und sich keine Gedanken um morgen machen?

Sie spürte eine Hand an ihrem Arm und blinzelte.

„Tina“, sagte Rachel mit bebender Stimme. „Wir müssen gehen.“

„Was?“ Als Rachel zu weinen begann, zog Tina sie rasch in eine Kabine und verschloss die Tür. „Rachel, Schätzchen, was ist los?“

„Wir müssen gehen. Bitte.“

„Was ist passiert? Ist alles in Ordnung mit dir?“

„Ich …“ Rachel schluckte. „Ich habe mich von Jason getrennt.“

6. KAPITEL

Er saß an der Bar und trank sein Bier, doch er war nicht betrunken. Zumindest noch nicht. Aber es war auch erst zwei Uhr. Die Nacht war noch jung.

Reid vermutete, dass er nicht der erste Mann war, der bis Ultimo an einer Bar saß und sich wegen einer Frau betrank. Und er würde auch nicht der letzte sein. Im andauernden Kampf der Geschlechter würde das weibliche Wesen für immer eine verwirrende und unglaublich frustrierende Kreatur bleiben.

Reid entschied, dass keine Frau verwirrender und frustrierender sein konnte als Tina Alexander.

„Darf ich mich zu Ihnen setzen?“

Reid warf einen Blick auf Jason. Der Mann machte ein Gesicht wie sieben Tage Regenwetter. Nach zwei Zugaben war seine Band vor ein paar Minuten fertig geworden. Der Klub leerte sich langsam, und sogar Ian war gegangen, als die Band zu spielen aufgehört hatte. Nur um die Bar herum scharten sich noch die Nachtschwärmer, die nie ein Ende fanden. „Geben Sie einen aus?“

„Sicher.“ Jason schwang sich auf den Hocker neben Reid und gab dem Barkeeper ein Zeichen.

„Das war eine verdammt gute Performance.“

„Unter den Zuschauern saß ein Musikproduzent.“ Jason sagte das in einem Ton, als sei sein bester Freund gestorben. „Er hat uns für nächste Woche nach Los Angeles eingeladen, um eine Demoaufnahme zu machen.“

„Gratuliere.“

Jason zuckte mit den Schultern und trank einen großen Schluck von dem Bier, das der Barkeeper vor ihn hingestellt hatte. „Ich habe Rachel gebeten mitzukommen.“

Reid wartete, dass er weitersprach.

„Sie hat sich von mir getrennt.“ Jason raufte sich die Haare. „Sie hat gesagt, dass sie sich für mich freut, dass sie mich aber nicht mehr sehen will. Sie will, dass wir Freunde bleiben. Freunde! Wie zum Teufel konnte das passieren?“

Reid schüttelte den Kopf. Als ob er Antworten hätte, wenn es um Frauen ging. Aber das erklärte vielleicht, warum Tina gegangen war, ohne sich von ihm zu verabschieden.

Als sie von der Damentoilette nicht zurückgekehrt war, hatte er vermutet, dass sie entschieden hatte, nicht mit zu ihm nach Hause zu gehen. Vielleicht war es die Revanche, weil er sie am Abend zuvor einfach im Garten hatte stehen lassen. Allerdings glaubte er nicht, dass so etwas Tinas Stil war.

Als auch Rachel nicht zurückkam, obwohl die Band wieder angefangen hatte zu spielen, und Sophia sich ebenfalls in Luft aufgelöst zu haben schien, war ihm klar, dass irgendetwas geschehen sein musste. Jetzt hatte er zumindest eine Ahnung, warum die Alexander-Frauen wie vom Erdboden verschwunden waren.

Mit finsterer Miene blickte Jason zu Reid. „Ich wollte Ihnen ins Gesicht schlagen. Ein paar Mal wäre ich fast von der Bühne gesprungen. Sie sind zwar stärker als ich, doch ich dachte, der Überraschungseffekt würde mir helfen, zumindest kurzfristig.“

Reid zog die Augenbrauen hoch. „Was habe ich getan?“

Jason zuckte mit den Schultern. „Sie haben mit meinem Mädchen an einem Tisch gesessen … und dann trennt sie sich von mir. Was würden Sie denken, wenn Sie die Frau, die Sie lieben, zusammen mit einem anderen Mann sehen?“

„Ich habe keine Ahnung“, erwiderte Reid ehrlich. „Ich habe noch nie jemanden geliebt.“

„Sie Glückspilz.“ Jason schüttelte den Kopf. „Es tut verdammt weh. Und es ist peinlich, dass mir jeder ansieht, wie sehr ich leide.“

Reid hätte ihm zustimmen können, doch warum einen Mann treten, der bereits am Boden lag? Und überhaupt, wenn Liebe sich so anfühlte, dann wollte er nichts damit zu tun haben.

„Egal …“ Jason seufzte. „Nachdem ich mich etwas beruhigt hatte, wurde mir klar, dass sie sich nicht wegen Ihnen von mir getrennt hat. Ich war einfach nur eifersüchtig, seit Sie aufgetaucht sind. Jeder spricht davon, was für ein tolles Paar Sie und Rachel sind. Ich weiß, dass sie mich nicht betrügen würde, aber der Gedanke, Sie könnten sich an sie heranmachen, hat mich fast verrückt gemacht.“

„Die Frauen machen uns Männer fertig“, murmelte Reid und nickte.

Sie stießen miteinander an.

„Mariska spricht nur noch davon, dass sie einen Danforth als Schwiegersohn haben möchte.“ Wut blitzte in Jasons Augen auf. „Das kann einen Mann doch wahnsinnig machen.“

Recht hat er, dachte Reid. Es sei denn, der Mann war zufällig ein Danforth und hatte es auf eine von Mariskas Töchter abgesehen. Nicht, dass er an einer Heirat interessiert wäre. Verdammt, nein. Eines Tages vielleicht, aber dieser Tag lag in weiter Zukunft. Er fühlte sich zu Tina hingezogen, sehr sogar, aber er war noch nicht bereit für ein Häuschen im Grünen und Kinder.

Als Jason beim Barkeeper die nächste Runde bestellte, wusste Reid, dass diese Nacht sehr lang werden würde. Was soll’s, dachte er und seufzte. Er musste nicht mehr fahren, dafür gab es Taxen, und zu Hause wartete niemand auf ihn. Morgen würde er dafür zahlen müssen, genau wie Jason, trotzdem betrank er sich heute Abend lieber, als allein zu sein.

„Und wenn ich hundert werde, ich werde nie wieder richtig lieben.“ Die Nase rot, die Augen geschwollen vom Weinen, starrte Rachel mit leerem Blick auf die Tasse mit dem Pfefferminztee, die Tina auf den Küchentisch gestellt hatte. „Mein Leben ist vorbei.“

Nach zwei Kannen Kaffee und weil es fast drei Uhr nachts war, hatte Tina Tee gekocht. Mit so viel Koffein im Blut würde sie die nächsten drei Tage nicht schlafen können.

„Dein Leben ist nicht vorbei“, widersprach Tina. „Wir werden eine Lösung finden.“

Rachel schüttelte den Kopf. „In dem Moment, als er mir sagte, dass Los Angeles ruft, war mir klar, dass ich mich von ihm trennen muss. Er wird berühmt werden, Tina. Ein Star. Ich wäre ihm nur im Weg.“

Tina seufzte. Über das Thema hatten sie zigmal gesprochen, seit sie das Team verlassen hatten, doch Rachel war unglaublich stur. „Er liebt dich, Rachel. Und das weißt du.“

„Hast du gesehen, wie ihn all diese Frauen heute Abend angehimmelt haben?“ Sie zog ein Papiertaschentuch aus der fast leeren Box. „Warum sollte er bei mir bleiben und dieses ganze Theater mit Mom und Dad mitmachen, wenn er jede Frau haben kann, die er will?“

„Er will dich, Rachel.“ Tina konnte nicht verstehen, warum ihre Schwester plötzlich so unglaublich unvernünftig und emotional war. „Er vergöttert dich. Gib nicht so leicht auf. Wir rufen Jason morgen an.“

„Und du …“ Rachel putzte sich die Nase. „Deinen Abend habe ich auch ruiniert. Du hättest mit Sophia wieder in den Klub gehen sollen.“

„Erstens bin ich nur wegen dir dort gewesen“, sagte Tina mit fester Stimme. Es tat ihr weh, Rachel so zu sehen, und sie war frustriert, dass sie ihre Schwester nicht zu Vernunft bringen konnte. „Und zweitens lasse ich dich doch nicht allein, wenn du solchen Kummer hast. So gut solltest du mich kennen. Und wenn Sophia dem Besitzer nicht versprochen hätte, ihm zu helfen, wäre sie auch nicht zurückgegangen.“

„Trotzdem, wenn ich nicht gewesen wäre, wärst du jetzt mit Reid zusammen, Tina.“

Ihr Pulsschlag beschleunigte sich. „Wie kommst du denn darauf?“

„Tina.“ Rachel verdrehte ihre geröteten Augen. „Ich bin doch nicht blind. Wie er dich angesehen hat!“

Tina nahm ihre Teetasse und hoffte, ihre zitternde Hand würde sie nicht verraten. „Und wie hat er mich angesehen?“

„Als wollte er dich vernaschen.“

„Rachel!“ Tee schwappte über den Tassenrand. „Sag so etwas nicht!“

Rachel lächelte. Das erste Lächeln, seit sie den Klub verlassen hatten. „Warum nicht? Es stimmt doch.“

Mit einer Serviette wischte Tina den verschütteten Tee weg. „Er sieht jede Frau so an.“

„Mich hat er noch nie so angesehen. Auch Sophia nicht.“ Rachel zog die Beine auf den Sessel und schlang die Arme um ihre Knie. „Dabei schmachtet normalerweise jeder Mann Sophia an. Hat er dich also gefragt?“

„Was soll er mich gefragt haben?“

„Ob du die Nacht mit ihm verbringst.“

„Rachel!“

„Kannst du auch noch etwas anderes sagen?“ Rachel legte das Kinn auf die Knie. „Außerdem geht es mir besser, wenn wir über dein Liebesleben sprechen. Und du willst doch, dass es mir besser geht, oder?“

„Okay, okay.“ Tina legte den Kopf in den Nacken. „Ja, er hat mich gefragt. Aber ich versichere dir, es hat nichts mit Liebe zu tun.“

„Ich habe es gewusst.“ Rachel schlang die Arme fester um ihre Knie. „Was hast du gesagt?“

„Ich bin nicht dazu gekommen zu antworten.“

„Wegen mir.“ Rachel seufzte. „Oh, Tina, es tut mir so leid. Da hörst du dir die ganze Nacht meine Probleme an, statt eine tolle Liebesnacht mit Reid Danforth zu verbringen.“

„Sex.“ Ihr Tee schmeckte bitter. „Mehr wäre es nicht gewesen. Du hast mich vor einem großen Fehler bewahrt.“

„Das weißt du nicht.“ Rachel legte ihre Hand auf Tinas. „Ich habe euch tanzen sehen. Da ist etwas zwischen euch. Etwas, das mehr ist als Lust auf Sex.“

Wenn das nur stimmen würde, dachte Tina. Doch sie konnte es nicht glauben, durfte es nicht glauben. Sonst würde sie eines Tages mit roten Augen und gebrochenem Herzen hier sitzen und eine Box Papiertaschentücher verbrauchen.

Tina schüttelte den Kopf und lächelte ihre Schwester an. „Es ist am besten so. Reid und ich sind nicht dazu bestimmt …“

„Rachel! Mach auf!“ Ein lautes Klopfen an der Tür unterbrach ihre Unterhaltung. „Ich weiß, dass du da bist. Mach die Tür auf!“

„Jason!“ Entsetzt riss Rachel die Augen auf. „Um Gottes willen, Tina, sag ihm bloß nicht, dass ich hier bin. Bitte!“

Das Hämmern hielt an, und Tina ging an die Tür. „Irgendwann musst du mit ihm sprechen, Honey. Dann kannst du es auch gleich tun.“

„Nein, Tina, ich kann nicht.“ Rachel folgte ihrer Schwester und zog an ihrem Arm. „Ich bin noch nicht so weit. Vielleicht morgen.“

„Es ist bereits morgen.“

Tina öffnete die Tür und erstarrte, als sie Reid sah, der einen offensichtlich betrunkenen Jason stützte. Ihr Herz begann wie wild zu pochen.

„Tut mir leid.“ Reid lächelte entschuldigend. „Aber er hat darauf bestanden.“

Rachel stürmte an Tina vorbei und schlang die Arme um Jason. „Darling, was hast du getan?“

„Rachel, Süße, ich liebe dich. Ich werde nicht nach L. A. gehen. Ich will ohne dich nirgendwo hin. Komm und küss mich.“

„Du Idiot.“ Doch sie küsste ihn. „Du großer Idiot. Ich bringe dich nach Hause.“

„Ich helfe, ihn die Treppe hinunterzubringen“, bot Reid an.

Sie schüttelte den Kopf. „Wir schaffen das schon.“

„Stimmt, Baby“, murmelte Jason und küsste Rachels Hals. „Wir schaffen das.“

Arm in Arm stolperten sie aus der Tür und schlossen sie hinter sich.

„Das wär’s.“ Tina stieß einen langen Atemzug aus, als es wieder still war. „Willst du mir nicht erzählen, warum ihr beiden hier zusammen aufkreuzt?“

Reid zuckte nur mit den Schultern und steckte die Hände in die Hosentaschen. „Er brauchte wohl einfach jemanden zum Reden.“

„Ich will dir nicht zu nahe treten, Reid, aber Jason mag dich nicht.“

„Nur, weil er dachte, ich sei an Rachel interessiert.“ Ohne den Blick von ihr zu wenden, zog er seine Jacke aus. „Jetzt, da er weiß, dass ich dich will, sind wir Freunde.“

Seine Worte erregten sie, beschleunigten ihren Pulsschlag, schickten ein Prickeln über ihre Haut. Als er seine Jacke aufs Sofa warf und näher zu ihr trat, schlug ihr das Herz bis zum Hals. „Reid, ich … das ist keine gute Idee.“

„Vielleicht nicht.“

„Wir kennen uns kaum.“

Er nickte. „Du hast absolut recht.“

„Wir sollten uns einfach eine gute Nacht wünschen.“

„Wahrscheinlich.“

„Ach, verdammt.“ Sie krallte sich an seinem Hemd fest und zog ihn an sich. „Musst du mir in allem zustimmen?“

Lächelnd zog er sie in seine Arme. „Ich will dir gefallen.“

Das tust du, war ihr letzter Gedanke, bevor ihre Lippen zu einem aufregenden Kuss verschmolzen. Sie schmiegte sich an seine breite Brust und schlang die Arme um seinen Nacken. Reid vertiefte den Kuss, und ein leidenschaftliches Spiel ihrer Zungen begann.

Noch könnte sie aufhören, sollte es tun, aber sie wollte es nicht. Seit sie Reid das erste Mal begegnet war, knisterte es zwischen ihnen, und es war nur eine Frage der Zeit gewesen, wann sich die elektrische Spannung entladen würde. Jetzt war der Moment gekommen. Sie verloren immer weiter die Kontrolle über sich, genossen ihre Erregung …

Sie rieb sich an ihm, prickelnde Vorfreude vibrierte in ihr. Sie hatte so lange – ein ganzes Leben – auf diesen Moment gewartet. Jetzt, da er gekommen war, klammerte sie sich ungeduldig an Reid fest. Sie wollte jeden Moment, jede aufregende Berührung, einfach alles in Erinnerung behalten.

Sein Atem ging so keuchend wie ihrer, und sie konnte seinen schnellen Herzschlag spüren. Oh, wie sehr sehnte sie sich danach, dass er endlich ihre Brüste berührte, und nicht nur ihre Brüste. Und auch sie wollte seinen Körper erforschen.

Er unterbrach den Kuss und sah ihr tief in die Augen. „Schlafzimmer“, stieß er hervor, küsste sie aber schon wieder, bevor sie überhaupt antworten konnte.

Eng umschlungen, sich immer noch küssend, bewegten sie sich durchs Wohnzimmer und auf den Flur. Der Weg ist so weit, dachte sie, so unglaublich weit …

Habe ich je eine Frau so sehr begehrt? fragte Reid sich, während sie sich auf die lange Reise zum Schlafzimmer begaben. Nein, sein Verlangen nach Tina war stärker als alles, was er bisher erlebt hatte.

Es hatte ihn unglaubliche Willenskraft gekostet, sie nicht gleich im Wohnzimmer auf dem Fußboden zu nehmen. Nur der Gedanke, er könnte ihr wehtun, hatte ihn davon abgehalten. Und wenn es ihn umbrachte, er würde sich Zeit mit ihr lassen. Langsam, sagte er sich, lass es langsam angehen. Sie sollte unter ihm liegen und sich vor Lust winden. Er wollte ihre Leidenschaft sehen, hören und schmecken. Der Gedanke daran erregte ihn noch stärker.

Er bedeckte ihren Hals mit leidenschaftlichen Küssen. Sie stöhnte lustvoll auf. Als er an ihrem Ohrläppchen knabberte, erbebte sie.

„Du schmeckst so süß“, murmelte er.

Sie überschritten die Schwelle zum Schlafzimmer. Das gedämpfte Licht einer Nachttischlampe erhellte den Raum. Unzählige Kissen unterschiedlichster Größe und Farbe schmückten die schlichte dunkelgrüne Tagesdecke auf dem breiten Bett. Ein schwacher Lavendelduft hing in der Luft und vermischte sich mit dem berauschenden Duft der Begierde.

Vor dem Bett blieb Reid stehen und öffnete, ohne den Blick von ihr zu wenden, ihr Kleid und streifte ihr vorsichtig den feinen Stoff über die Schultern. Dann presste er den Mund an die kleine Vertiefung an ihrem Halsansatz und erforschte ihn mit der Zunge. Leise stöhnend legte sie den Kopf in den Nacken.

Tina fragte sich, wie sie dieses unglaublich intensive Lustgefühl überleben sollte. Sie fühlte sich so über alle Maßen in Erregung versetzt, dass es schon fast schmerzte. Eine berauschende Welle puren Verlangens erfasste sie. Sie schmiegte sich noch enger an Reid, spürte, wie sehr er sie begehrte, was sie gleichzeitig verwirrte und begeisterte.

Während er sie fest in den Armen hielt, ließ er seinen Mund ihren Hals entlang zu ihrer Schulter wandern. Tinas Puls beschleunigte sich, und sie begann, leise zu stöhnen. Sie konnte es kaum abwarten, seinen Mund und seine Hände auf ihrem Körper zu spüren.

Als hätte er ihre Gedanken gelesen, schob er das Kleid bis zu ihrer Taille hinab. Sein Blick fiel auf den verführerischen schwarzen BH. „Sexy.“

Ihre anfängliche Scheu verflog, als sie das heftige Verlangen in seinen Augen sah. Er legte seine großen Hände auf ihre Brüste und massierte sie leicht. Tina atmete tief ein und hielt den Atem an, bis er den Mund auf die harte Spitze unter dem zarten Stoff senkte und daran saugte.

Sie schob die Hände in sein Haar. Brennendes Verlangen durchflutete sie.

„Reid“, flüsterte sie. Sie kannte diesen heißblütigen Mann kaum, der sie so in Ekstase versetzte, doch sie hieß ihn mit offenen Armen willkommen. In ihrem ganzen Leben hatte sie sich noch nie so lebendig gefühlt. Ihre Sinne waren geschärft wie nie, wach und aufnahmebereit.

Während er sich mit Hingabe ihren Brüsten widmete, schob er mit einer Hand ihr Kleid weiter nach unten. Sie wand sich, begehrte ihn mit einer Verzweiflung, die sie verrückt machte. Als er den Kopf hob, ihre Taille umfasste und den Mund auf ihren Bauch presste, stöhnte sie auf.

„Du bist so schön“, murmelte er und erkundete mit den Lippen ihren Bauch. „So sexy.“

Seine Worte fachten ihre Erregung weiter an, und die Sehnsucht nach ihm gelangte fast an den Punkt der Unerträglichkeit.

„Reid“, flüsterte sie mit belegter Stimme. „Bitte.“

Sie half ihm, sein Hemd auszuziehen. Der Drang, ihn zu berühren, war übermächtig. Sie strich über seine muskulösen Schultern und seine breite Brust und spürte seine Kraft und Stärke unter ihren Fingerspitzen. Als sie den Mund auf seinen Hals presste, sog er scharf den Atem ein.

Der leicht salzige Geschmack seiner warmen Haut berauschte sie. Sie spürte seinen Herzschlag unter den Fingerspitzen, spürte die Kraft seiner Muskeln. Er gehört mir, dachte sie. Wenn auch nur für eine Nacht, jetzt gehörte er ihr.

Und sie gehörte ihm.

Er legte sie vorsichtig auf das Bett und presste sie mit seinem Gewicht auf das Laken. Leidenschaftlich und fordernd küsste er sie. Sie erbebte, als seine Hand wieder ihre Brust berührte, und bäumte sich auf, als sein Mund die Hand ersetzte.

Jede Berührung, jede lustvolle Sinnesempfindung fachte ihre Leidenschaft weiter an. Sie wollte ihn endlich in sich spüren und diesem unglaublichen, wundervollen, kaum auszuhaltenden Vorspiel ein Ende bereiten. Doch als er über ihren Bauch strich und seine Hand unter ihren zarten Slip zu ihrer intimsten Stelle schob, wusste sie, dass die herrliche Qual erst begonnen hatte.

Während er sie mit den Fingern erregte, küsste er sie stürmisch. Sie wand sich unter ihm, frustriert über das Tempo, das er vorgab. Um schneller ans Ziel zu gelangen, öffnete sie seinen Gürtel und zog den Reißverschluss seiner Hose hinunter.

In dem Moment, als sie seine Erektion umschloss, vergaß er, dass er es langsam angehen lassen wollte. Er wusste, dass sie für ihn bereit war. Sie war heiß und feucht und drängte sich ihm auffordernd entgegen. Mit dem letzten bisschen Selbstbeherrschung löste er sich von ihr.

„Reid.“ Protestierend streckte sie die Hand nach ihm aus.

„Keine Sorge, Sweetheart, ich gehe nicht weg.“ Ohne den Blick von ihr zu wenden, zog er die restlichen Kleidungsstücke aus und streifte ein Kondom über.

Ungeduldig zog sie ihn wieder in die Arme. Er küsste sie begierig, wartete, dass die Leidenschaft dieselbe Hitze erreicht hatte wie zuvor, bevor er ihr den Slip auszog und sich zwischen ihre Schenkel legte. Sie öffnete sich ihm, schlang die Beine um ihn und hieß ihn willkommen, als er in sie eindrang.

Als sie sich für eine Sekunde verkrampfte und einen leisen Schrei ausstieß, verharrte er still.

„Was …?“

„Hör nicht auf“, stöhnte sie. „Bitte, Reid.“

„Aber du … aber ich …“

Sie drängte sich ihm entgegen, küsste ihn, bewegte ihre Hüften und machte es ihm unmöglich, zu denken oder etwas anderes zu tun, als auf der Welle wilder Leidenschaft mitzuschwimmen. Er verschmolz noch tiefer mit ihr. Hemmungslose, unkontrollierbare Lust ergriff von ihm Besitz. Die Wellen der Ekstase wurde intensiver, immer intensiver, bis Tina schließlich den Höhepunkt erreichte. Ein lauter, lustvoller Aufschrei drang aus ihrer Kehle, und ein Beben ging durch ihren Körper.

Einen Moment später schlugen auch über Reid die Wogen der Lust zusammen, und er erreichte die ersehnte Erfüllung.

Keuchend zog er sie an sich, während er versuchte, einen zusammenhängenden Satz zu sprechen. „Tina. Warum hast du es mir nicht gesagt?“

Sie schmiegte sich an ihn und streichelte über seine Brust. „Ich habe nicht daran gedacht.“

„Du hast nicht daran gedacht?“ Ungläubig sah er sie an. „Wie kann es sein, dass du nicht daran gedacht hast?“

„Ich war beschäftigt.“ Sie ließ ihre Hand still liegen. „Hätte es einen Unterschied gemacht, wenn ich dir gesagt hätte, dass ich noch Jungfrau bin?“

„Ja. Nein.“ Er fuhr sich durchs Haar. „Ja.“

„Ich bin vierundzwanzig Jahre alt, Reid“, sagte sie. „Ich habe gewartet, bis ich das Gefühl hatte, jetzt ist der richtige Moment gekommen. Tut mir leid, wenn es ein Problem für dich ist.“

Als sie zurückweichen wollte, hielt er sie fest und küsste sie zärtlich auf die Schläfe. „Ich habe nicht gesagt, dass es ein Problem ist. Ich wäre nur vorsichtiger gewesen“, sagte er ruhig. „Ich habe dir wehgetan.“

Langsam entspannte sie sich, dann schüttelte sie den Kopf. „Ein kurzes Stechen, das war alles. Es war wunderschön. Du warst toll.“

„Ja? Wie toll?“

„Oh, hör auf, mich so anzugrinsen.“ Sie schlug gegen seine Brust. „Als ob du nicht ständig hören würdest, wie großartig du bist.“

Er stützte sich auf dem Ellenbogen ab und blickte auf sie hinab. „Was soll das denn heißen?“

„Ich habe deinen Namen schon oft in Zeitungen und Zeitschriften gelesen“, sagte sie und zuckte mit den Schultern. „Und üblicherweise stand auch irgendwo der Name einer Frau.“

„Glaub nicht alles, was du in den Zeitungen liest, Sweetheart.“ Er legte sich zurück und zog sie wieder an sich. „Sicher, ich bin mit vielen Frauen ausgegangen, und es gab auch einige, die ich als Freundinnen bezeichnet hätte. Ich bin vielleicht kein Heiliger, aber ich gehe nicht mit jeder Frau ins Bett. Okay?“

Schweigen breitete sich wie eine Decke über sie.

„Warum ich?“, fragte sie schließlich leise und streichelte sanft über seine Brust.

Wird diese Frau jemals aufhören, mich zu überraschen, fragte er sich und erkannte, dass gerade das ein Grund für die Anziehungskraft war.

Ihre zarte Berührung erregte ihn, und so nahm er ihre Hand. Dann zog er Tina auf sich. Bei der unerwarteten Bewegung stieß sie einen leisen Schrei aus und stellte überrascht fest, dass er schon wieder bereit für sie war und sie ebenso heftig begehrte wie vor wenigen Minuten.

„Du weißt es wirklich nicht, oder? Du weißt nicht, wie unglaublich sexy und begehrenswert du bist.“

Sie wurde rot und senkte den Blick. „Ich dachte, du seist nur gelangweilt.“

„Gelangweilt?“ Fast hätte er sich verschluckt. „Meine Güte, Honey, wer hat dir so einen Unfug eingeredet?“

„Sharie Jo Sullivan.“

„Wer?“

„Sharie Jo Sullivan. Eine Kundin. Sie hat gesagt, Männer wie du seien schnell gelangweilt. Und immer auf der Suche nach einer Herausforderung.”

„Denkst du wirklich, dass du das für mich bist?“ Er konnte nicht glauben, was er da hörte. „Eine Herausforderung?“

„Auf jeden Fall war ich wohl die erste Frau für dich, die Nein gesagt hat.“

„Heute Abend habe ich kein Nein gehört.“ Reid streichelte ihren Rücken, dann küsste er sie. „Im Gegenteil“, murmelte er an ihrem Mund. „Ich habe viele ‚Ja‘ und ‚Bitte‘ gehört“, neckte er sie.

„Bild dir bloß nichts darauf ein.“

„Ich versuche es.“ Er legte die Hände unter ihren festen Po und beobachtete, wie sie die Augen aufriss, als er sie über sich hob.

„Reid Danforth. Du hast mich zu einem lockeren Frauenzimmer gemacht.“ Sie senkte sich auf ihn hinab. „Erinnere mich später daran, dass ich dir dafür danke.“

Später erwies sich als zehn Uhr morgens. Der Hunger trieb sie schließlich aus dem Bett. Während Reid duschte, bereitete Tina Omelettes nach ihrem eigenen, ganz besonderen Rezept vor. Sie ging davon aus, dass er nach der Nacht sehr hungrig war.

Sie lächelte in sich hinein. Oh ja, dachte sie, er ist wirklich ein Mann mit großem Appetit.

Erst in den frühen Morgenstunden waren sie eingenickt, zwischendurch aber immer wieder aufgewacht, hatten sich geküsst und berührt … und mehr. Die Erinnerung daran, wie heiß sie auf ihn gewesen war, war ihr fast peinlich. Doch auch wenn sie nicht wusste, was ihr der heutige Tag, morgen oder die nächste Wochen bringen würden, bedauerte sie nichts. Vierundzwanzig Jahre hatte sie auf diese Nacht gewartet, und selbst jetzt, bei Tag und klarem Verstand, war sie glücklich darüber.

Es war aufregend gewesen – Reid war aufregend gewesen. Doch es hatte keine Versprechen gegeben, kein Wort über die nähere oder fernere Zukunft, und auch wenn der Gedanke sie quälte, dass es die einzige Nacht mit ihm sein könnte, war sie sehenden Auges in ihr Schicksal gegangen.

Leider war auch ihr Herz weit geöffnet gewesen.

Irgendwann im Laufe der Nacht hatte sie erkannt, dass sie sich in Reid verliebt hatte. Vielleicht schon beim ersten Kennenlernen. Natürlich kämpfte sie dagegen an. Schließlich war es verrückt und absolut unvernünftig. Aber der Verstand war kein guter Ratgeber, wenn es um Liebe ging.

Als sie hörte, dass er mit dem Duschen fertig war, verteilte sie die Omelettes auf den Tellern und stellte sie in dem Moment auf den Tisch, als er nur mit einem Handtuch um die Hüften in die Küche kam. Ihr Herz machte bei seinem Anblick einen Satz, und das heftige Verlangen, das ihr seit vergangener Nacht so vertraut war, breitete sich in ihr aus. Die Intensität des Gefühls verblüffte sie einmal mehr, und sie fragte sich, wie es mit ihnen weitergehen sollte.

Nein, sie wollte sich keine Gedanken oder Sorgen machen. Sie würde nehmen, was er ihr zugestand, und damit glücklich sein.

Und dann lächelte er sie an. „Hallo.“

„Hallo.“ Sie schluckte den Kloß im Hals hinunter und zwang sich, das Lächeln zu erwidern. „Das Frühstück ist fertig.“

„Riecht fantastisch.“

Er ging auf sie zu, und ihr Herz quoll über vor Freude und Sehnsucht.

„Das kommt auf die Frühstückskarte meines Snack-Cafés, das ich im nächsten Jahr eröffne. Wenn du aus den Räumen wieder raus bist.“

Als er neben sie trat, hielt sie den Atem an und wartete auf seinen Kuss. Doch er griff an ihr vorbei und steckte sich ein Stück Omelette in den Mund.

„Lecker.“

„Danke.“

Sie wollte sich gerade umdrehen, als er sie an sich zog und den Mund auf ihren senkte. Leidenschaftlich erwiderte sie seinen Kuss.

„Sehr lecker“, murmelte er an ihren Lippen und zog sie noch enger an sich. „Findest du nicht, dass es etwas zu heiß wird in der Küche?“ Er hob sie auf seine Arme.

Sie lachte und ließ sich von ihm in Richtung Schlafzimmer tragen. Als er hörte, dass ein Schlüssel ins Schloss der Wohnungstür gesteckt wurde, blieb er stehen. Tina erstarrte und beobachtete voller Entsetzen, wie sich die Tür öffnete.

„Was haben wir denn hier?“

Ach du lieber Himmel. Tina hielt den Bademantel über ihren nackten Brüsten zusammen, blinzelte, atmete tief ein und rang sich dann ein schwaches Lächeln ab. „Hallo, Tante Yana.“

7. KAPITEL

Tante Yana? Reid blickte zu dem Foto von Tinas Tante, das an der Wand hing, dann auf die Frau in der Tür. Ja, Tante Yana. Sie war es.

Sie trug ein dunkelblaues, langes, wallendes Gewand über einer elfenbeinfarbenen Seidenhose. Farbenfrohe Schmucksteine baumelten an ihren Ohren. Reid war sprachlos. Nicht nur wegen des unglaublich peinlichen Moments, sondern auch wegen der Schönheit der nicht mehr ganz jungen Frau. Ihr kurz geschnittenes, dichtes hellbraunes Haar betonte die hohen Wangenknochen, die aristokratische Nase und die grünen Augen.

Auf ihren vollen, sinnlichen Lippen erschien ein wissendes Lächeln, als sie die Tür hinter sich schloss.

„Du … du bist früh zurück“, stammelte Tina.

„Mein Fototermin war schneller fertig als geplant.“ Yana legte ihre große Strohtasche zusammen mit ihrem Schlüssel auf den Tisch im Eingangsbereich. Ihr Blick wanderte von Reids nackten Füßen über das Handtuch um seine Hüften hinauf zu seinem Gesicht. „Willst du mich nicht mit deinem Freund bekannt machen, Katina?“

„Ich … oh, natürlich.“ Tina schluckte. „Das ist Reid Danforth. Reid, meine Tante Yana.“

Reid, der nicht genau wusste, wie man sich in einer solchen Situation richtig verhielt, nickte einfach. „Es ist mir ein Vergnügen, Ma’am.“

„Ich denke, Yana wäre angebrachter.“ Sie verschränkte die Arme und blickte wieder auf das Handtuch. Belustigung blitzte in ihren Augen. „Angesichts der Umstände.“

„Ja, Ma’am.“

„Reid“, flüsterte Tina gepresst. „Lass mich bitte runter.“

„Oh. Natürlich.“

Als ihre Füße den Boden berührten, zog Tina den Bademantelgürtel fester um sich. „Wir wollten gerade … frühstücken.“

„Natürlich.“ Yanas Lächeln wurde breiter. „Es duftet herrlich.“

„Ich stelle noch ein Gedeck auf den Tisch.“ Tina trat von einem Fuß auf den anderen. „Gib mir … uns … einen Moment Zeit zum …“

„Ich glaube, ich höre etwas summen.“ Yana blickte auf das Sportsakko auf dem Sofa, dann zu Reid. Das Geräusch war sehr leise, doch es war definitiv ein Summen. „Ihr Handy, nehme ich an?“

Ich bringe denjenigen um, der jetzt anruft, dachte Reid und ging zum Sofa. Mit einer Hand hielt er den Handtuchknoten an seiner Hüfte fest, mit der anderen zog er sein Handy aus der Jackentasche.

„Entschuldigt mich bitte.“ Er zog sich ins Schlafzimmer zurück, wo auch seine restliche Kleidung lag.

„Lassen Sie sich Zeit, mein Lieber“, rief Yana ihm nach. „Meine Nichte und ich können einen Moment allein gebrauchen, um uns zu begrüßen.“

Reid schloss die Schlafzimmertür hinter sich und nahm den Anruf entgegen. „Ja?“

„Reid, wo bist du gewesen. Ich versuche schon den ganzen Morgen, dich zu erreichen.“

„Kimberly?“ Er hörte die Anspannung in der Stimme seiner Schwester. „Alles in Ordnung mit dir?“

„Du musst sofort nach Crofthaven kommen. Auf dem Dachboden … sie … sie haben heute Morgen dort gearbeitet und haben …“

Angst stieg in ihm auf, als er ihr Schluchzen vernahm. „Was haben sie, Kimy?“

„Sie haben eine Leiche gefunden.“

Mindestens ein Dutzend Polizeiwagen parkte schon vor Crofthaven, als Reid vor dem Haupteingang vorfuhr. Die uniformierten Beamten drehten sich um, als der BMW mit quietschenden Reifen hielt, und warteten, bis Reid an ihnen vorbeigestürzt war. Dann setzten sie ruhig ihre Unterhaltung fort.

Die Beamten, die zuerst vor Ort gewesen waren, hatten sich sorgfältig jedes Detail der Vorgänge auf Crofthaven gemerkt. Später würden sie ihr Insiderwissen auf der Polizeiwache weitergeben, und natürlich auch an ihre Freunde und Familie. Und wenn sie richtig Glück hatten, sahen sie vielleicht ihre Gesichter im Fernsehen oder in der Zeitung.

Für die Öffentlichkeit und vor allem für Abrahams Gegenkandidaten war jedes Detail dieser pikanten Geschichte ein gefundenes Fressen.

„Reid …“ Ian kam gerade die Treppe herunter, als sein Bruder das Foyer betrat. „Ein Glück, dass du gekommen bist.“

„Erzähl, was passiert ist. Kimberly hat angerufen und gesagt, dass eine Leiche auf dem Dachboden gefunden wurde. Viel mehr konnte ich nicht aus ihr herausbekommen.“

„Sie ist ziemlich erschüttert.“ Ian fuhr sich mit der Hand durchs Haar und seufzte laut. „Reid, wir glauben, dass es Victoria sein könnte.“

Die Information war wie ein Schlag in die Magengrube, und Reid brachte einen Moment kein Wort über die Lippen. „Vickie?“

„Ich fürchte, ja.“

Victoria Danforth war vor fünf Jahren plötzlich verschwunden, und weder die landesweite polizeiliche Suche noch die Nachforschungen von Privatdetektiven hatten je ein Ergebnis erbracht. Ihre Cousine blieb spurlos verschwunden.

„Wie ist das möglich?“ Allein bei dem Gedanken wurde es Reid flau im Magen. „Wie ist es möglich, dass sie die ganze Zeit dort oben war? Wir haben sie doch überall gesucht?“

„Der Teil des Hauses war jahrelang verschlossen“, sagte Ian. „Es sieht so aus, als hätte es dort eine Art Versteck gegeben. Wenn Dad nicht beschlossen hätte, diesen Flügel renovieren zu lassen und wieder zu benutzen, hätten wir die Leiche nie gefunden.“

„Und sie sind sicher, dass es Vickie ist?“

Ian schüttelte den Kopf. „Der Gerichtsmediziner ist gerade oben. Er macht Fotos und führt erste Untersuchungen durch. Es kann Tage oder sogar Wochen dauern, bis die Identität geklärt ist.“

Reid hörte gedämpfte Stimmen und blickte in Richtung Wohnzimmer. „Onkel Harold und Tante Miranda?“

„Sie sind mit Dad und dem Rest der Familie im Wohnzimmer. Sie wollen natürlich so schnell wie möglich wissen, ob es wirklich Vickie ist.“

All die Jahre hatten seine Tante und sein Onkel nicht gewusst, ob ihre Tochter noch lebte oder tot war. Nicht vorzustellen, wie sehr die beiden darunter gelitten hatten. Aber trotz des schrecklichen Verlusts, trotz all der Monate und Jahre, die vergangen war, ohne dass sie wussten, was passiert war, hatten sie und die ganze Familie die Hoffnung nicht aufgegeben, dass Vickie eines Tages gefunden würde. Lebend.

Und wir werden auch jetzt die Hoffnung nicht aufgeben, dachte Reid düster. Nicht, solange wir keinen Beweis haben, dass es sich bei der Toten um Vickie handelt.

„Was ist mit der Presse?“ Reid wunderte sich, dass die Journalisten nicht bereits wie Heuschreckenschwärme ins Haus einfielen. „Was weiß sie?“

„Bisher nichts. Dad kennt jemanden, der ihm noch einen Gefallen schuldet. Die nächsten ein oder zwei Tage werden wir Ruhe haben, aber viel länger sicherlich nicht. Nicola wird noch heute eine Presseerklärung aufsetzen.“

„Und die Polizei?“

„Sie will mit der ganzen Familie sprechen“, antwortete Ian. „Im Moment wird Joyce befragt.“

Reid runzelte die Stirn. „Warum Joyce?“

„Das ist das normale Prozedere.“ Ian zuckte mit den Schultern. „Wahrscheinlich meinen sie, die Haushälterin sieht und weiß immer alles.“

„Bei Joyce trifft das auf jeden Fall zu. Als Kind war ich überzeugt, dass sie Augen auf dem Rücken und ein übernatürliches Gehör hat.“

„Hat sie das nicht?“

Reid lächelte, dann seufzte er. „Lass uns zu den anderen gehen. Ich denke, es wird ein langer Tag werden.“

„Angesichts der Tatsache, dass du noch dieselben Sachen anhast, in denen ich dich gestern Abend gesehen habe, gehe ich davon aus, dass du auch eine lange Nacht hattest. Willst du mir davon erzählen?“

„Nicht wirklich.“ Er war noch nicht bereit, über Tina zu sprechen, da er noch nicht definieren konnte, was er empfand. Aber dass er etwas empfand, stand fest. Mehr als für jede andere Frau zuvor.

Es ist eigentlich ein Glück, dass ihre Tante gekommen ist, dachte Reid. Etwas Abstand tat ihnen nach der Nacht ganz gut.

Reid folgte seinem Bruder ins Wohnzimmer und sagte sich, dass seine Familie ihn jetzt brauchte – schließlich gab es ein Problem, das größer war als alles, was in seinem Privatleben geschah. Dennoch ging ihm Tina Alexander einfach nicht aus dem Kopf.

„Das Omelette ist köstlich.“ Yana kaute genüsslich. „Deine Kreation?“

Frisch geduscht und angekleidet setzte Tina sich an den Tisch. Es war typisch für ihre Tante, die nahe liegenden Fragen zu umschiffen und über etwas so Unwichtiges wie Omelettes zu sprechen. „Tante Yana, ich kann dir erklären …“

„Ich brauche das Rezept nicht. Du weißt, dass ich nur koche, wenn es gar nicht anders geht.“

Tina musste lächeln. Es war auch typisch für ihre Tante, eine peinliche Situation herunterzuspielen. „Du weißt genau, was ich meine.“

„Ich bin achtundvierzig Jahre alt, Katina“, sagte Yana. „Und ich bin zweimal verheiratet gewesen. Du musste mir nichts erklären.“

Tina senkte den Blick. „Ich … ich will nur nicht, dass du denkst … dass ich …“

„Katina, sieh mich an.“ Yana legte den Zeigefinger unter Tinas Kinn und hob es an. „Ich war da an dem Tag, als du geboren wurdest. Du warst so ein hübsches Baby. Und jetzt bist du eine wunderschöne junge Frau.“

Tina schüttelte den Kopf. „Das sagst du nur, weil du meine Tante bist.“

„Ich sage es, weil es stimmt.“ Liebevoll berührte Yana die Wange ihrer Nichte. „Ich sehe dir an, dass du mir nicht glaubst, doch eines Tages wirst du es tun.“

Natürlich glaubte Tina ihr nicht, trotzdem tat es gut, die Worte zu hören. Tina lächelte ihre Tante an, dann gestand sie schüchtern: „Es war das erste Mal für mich.“

„Du warst immer vorsichtig und bist es auch heute noch. Wovor hast du Angst, Katina?“

„Ich …“ Es zu denken, ist eine Sache, dachte Tina, es laut auszusprechen, ist etwas ganz anderes. „Ich glaube, ich habe mich in ihn verliebt.“

„Und warum ist das so schlimm?“

„Ich weiß nicht, wie ich es überleben soll, wenn er … wenn es vorbei ist“, murmelte sie. „Allein der Gedanke daran tut weh. Ich weiß nicht, ob ich stark genug bin.“

„Du bist es, glaube mir. Und jetzt erzähl. Ist er ein guter Lover?“

Tina hätte sich beinahe verschluckt. Das Blut schoss ihr in die Wangen. Saß sie wirklich hier und führte diese Unterhaltung mit ihrer Tante? Sie konnte es nicht glauben. Allerdings konnte sie auch immer noch nicht glauben, dass es die letzte Nacht tatsächlich gegeben hatte.

Verträumt lächelnd begegnete sie schließlich dem Blick ihrer Tante. „Er ist unglaublich.“

Nagyszerü“, sagte Yana. „Großartig. Er ist auch sehr attraktiv. Ich hätte ihn am liebsten fotografiert. Vor allem mit dem Handtuch um die Hüften.“ Ein begieriges Lächeln huschte über das Gesicht ihrer Tante. „Oder auch ohne. Könntest du ihn mal für mich fragen?“

Tina schnappte bei der ungeheuerlichen Frage nach Luft. Aber ihr wurde auch heiß bei dem Gedanken. Schließlich wusste sie, was für einen tollen Körper Reid hatte, und wie es sich anfühlte, wenn er sich erregt an sie presste.

„Ach, Tante Yana.“ Lachend umarmte Tina ihre Tante. „Ich bin so froh, dass du hier bist. Willkommen zu Hause.“

Jeden Sonntag verbrachte Mariska den größten Teil ihrer Zeit in der Küche, um ein Sechs-Gänge-Menü für ihre Familie zu kochen, während Ivan im Wohnzimmer saß und sich die Sportschau ansah. Die drei Schwestern halfen ihrer Mutter bei den Vorbereitungen, seit sie über den Küchentisch sehen konnten. Obwohl das Menü variierte, gab es eine strenge Tradition. Anwesenheit war Pflicht, Entschuldigungen wurden nicht akzeptiert.

„Deine Mutter möchte heute Abend das gute Porzellan und das Silber auf dem Tisch haben.“ Yana kam mit dem Holzkasten, in dem sich das Silberbesteck befand, durch die Küchentür. „Gibt es etwas zu feiern?“

„Wir sollen auch die Kristallleuchter auf den Tisch stellen“, sagte Tina und strich über die weiße Leinendecke. Sie und Yana waren erst vor wenigen Minuten eingetroffen und hatten noch keine Zeit gehabt herauszufinden, was los war.

„Vielleicht will sie ihren Gewinn beim Bingo feiern.“ Rachel holte Teller aus dem Schrank und stellte sie auf den Tisch. „Es gibt Paprikahähnchen, und eine Flasche Wein liegt auf Eis.“

„Über irgendetwas muss sie sich sehr freuen.“ Yana reichte Tina den Besteckkasten, dann zwinkerte sie ihren beiden Nichten zu. „Mal sehen, ob ich etwas herausfinden kann.“

Als Yana in der Küche verschwunden war, trat Tina dicht an Rachel heran. „Alles in Ordnung mit dir?“

Rachel nickte. „Ich habe mich gestern Abend ins Haus geschlichen, nachdem Mom und Dad eingeschlafen waren.“

Tina schüttelte seufzend den Kopf. „Wir sind zu alt für diese Spielchen. Wir müssen mit Mom und Dad sprechen. Wir beide.“

„Ich weiß, ich weiß.“ Sie stockte. „Wir beide? Willst du damit sagen, dass du …“

„Ja.“ Tina lächelte. „Ja, das will ich.“

„Was ist hier los?“ Sophia kam mit den Kerzenhaltern. Sie sah erst Tina, dann Rachel an. „Das ist nicht fair. Ihr habt Geheimnisse vor mir.“

„Nicht ich. Tina“, flüsterte Rachel. „Sie und Reid …“

„Ach, verdammt …“ Sophia trat zu ihren Schwestern, und sie formten einen Kreis. „Erzählt mir lieber etwas, das ich noch nicht weiß.“

Tina riss die Augen auf. „Woher weißt du es?“

„Ich habe es deinem Gesicht angesehen, als du durch die Tür geschwebt bist. Deine Füße haben kaum den Boden berührt.“

„Das ist doch lächerlich.“ Man kann es mir nicht ansehen, dachte Tina. Sie hoffte es zumindest. Kopfschüttelnd löste sie sich von ihren Schwestern und öffnete den Kasten mit dem Silber. „Aber ich kann euch sagen, es war schon etwas peinlich, als Yana heute Morgen nach Hause kam und Reid gegenüberstand, der nichts weiter als ein Handtuch um die Hüften trug.“

Rachel schnappte nach Luft, während Sophia nur eine Augenbraue hochzog. Dann fingen die Schwestern an zu lachen.

Tina merkte, wie wichtig ihr all dies war. Familie. Tradition. Geheimnisse mit ihren Schwestern zu teilen. Sie wusste, dass sie immer füreinander da sein würden, egal, wie sehr sich ihr Leben änderte. Sie waren fast fertig, als Yana mit einem Marmoruntersetzer aus der Küche kam.

„Hast du etwas herausgefunden?“, fragte Tina.

„Das habe ich. Rachel, hol bitte noch einen Teller aus dem Schrank.“

„Es ist für sechs gedeckt.“

„Wir brauchen sieben.“

„Sieben?“

Die Türklingel ertönte, und alle drehten sich um.

Yana lächelte. „Ich mache auf.“

Tina schwante Böses.

Yana öffnete die Tür, und aus der Ahnung wurde Gewissheit.

Reid.

Er stand auf der obersten Stufe, einen Strauß lachsroter Rosen in der Hand.

„Was macht Reid denn hier?“ Rachel griff nach Tinas Arm.

„Ich … ich weiß es nicht.“

Tina, Rachel und Sophia sahen einander an und sagten dann wie aus einem Munde: „Mom.“

„Reid.“ Mit der Anmut einer Königin reichte Yana ihm die Hand. „Wie schön, Sie wiederzusehen.“

„Ma’am.“ Reid reichte Yana die Rosen. Sie hielt sie an die Nase und atmete den betörenden Duft ein.

„Wie wunderschön. Bitte, kommen Sie doch herein. Mariska wird jeden Moment hier sein.“

„Danke.“

Das Haus strahlt Gastfreundschaft und Wärme aus, bemerkte Reid, als er in die große Diele vor dem Wohnzimmer trat. Helle Wände, Holzfußboden, ein gemütliches burgunderfarbenes Sofa. Gerahmte Familienfotos an den Wänden. Bei dem köstlichen Duft nach Gewürzen und Brathähnchen lief ihm das Wasser im Mund zusammen, und er wurde daran erinnert, dass er kaum etwas gegessen hatte, seit er Tina am Morgen so überstürzt verlassen hatte.

„Seht her, Mädchen, wer da ist.“ Yana hakte sich bei Reid ein.

„Guten Abend, Rachel und Sophia.“ Sein Blick wanderte weiter zu Tina, und sie sahen sich tief in die Augen. „Hallo, Tina.“

Sie nickte, die Lippen leicht geöffnet. Man musste kein Genie sein, um zu erkennen, dass sie seinen Besuch nicht erwartet hatte.

Es waren noch keine acht Stunden vergangen, seit er sie zuletzt gesehen hatte, doch es kam ihm vor wie Tage. Da er nicht einfach zu ihr gehen und sie küssen konnte, steckte er die Hände in die Taschen.

„Reid!“ Mit einem Schmortopf kam Mariska aus der Küche. „Sie kommen gerade rechtzeitig.“

„Danke für die Einladung, Mrs Alexander.“

„Bitte, sagen Sie doch Mariska. Ich freue mich, dass Sie kommen konnten.“

Er blickte wieder zu Tina, die ihre Mutter ungläubig anstarrte. „Ich versichere Ihnen“, sagte er lächelnd, „es ist mir ein Vergnügen.“

Als sie Ivan im Wohnzimmer vor dem Fernsehen fluchen hörte, schüttelte Mariska den Kopf. „Mein Mann und sein Fußball. Während eines Spiels sieht und hört er nichts anderes.“

Mariska stellte den Topf auf den Tisch, dann warf sie ihren Töchtern einen finsteren Blick zu. „Warum steht ihr wie angewurzelt da? Sophia, biete unserem Gast etwas zu trinken an. Yana, sagst du bitte deinem Bruder, dass das Essen fertig ist?“

Als Rachel in Richtung Küche gehen wollte, hielt Mariska sie auf. „Rachel, du leistest Reid Gesellschaft, während Tina und ich das Essen holen.“

„Aber …“ Rachel warf Tina einen nervösen Blick zu und sah, das diese den Kopf schüttelte. „Okay.“

Als alle davoneilten, beugte Reid sich zu Rachel und flüsterte: „Jason war großartig gestern Abend.“

Rachels Nerven beruhigten sich etwas, als er Jason erwähnte, und ihre Augen strahlten. „Danke, dass du dich um ihn gekümmert hast.“

Während er und Rachel leise über Jason und seine Band sprachen, trank Reid von dem Bier, das Sophia ihm gebracht hatte, und beobachtete, wie eine Schüssel nach der anderen auf den Tisch gestellt wurde. Wein- und Wassergläser wurden gefüllt, strahlend weiße Leinenservietten lagen neben jedem Teller.

Jedes Mal, wenn Tina in den Raum kam, trafen sich ihre Blicke. Und jedes Mal errötete sie und verschwand schnell wieder.

„Wir können essen“, rief Mariska die Familie schließlich an den Tisch. „Reid, Sie sitzen neben Rachel.“

Reid verstand langsam, was Jason durchmachte, weil er seine Gefühle für Rachel nicht zeigen durfte. Ihn selbst brachte es fast um, dass er Tina nicht berühren, den Arm um ihre Taille legen oder ihr einen Kuss geben konnte. Obwohl dies vielleicht nicht der richtige Zeitpunkt war, musste er so schnell wie möglich klarstellen, dass sein Interesse Tina galt, nicht Rachel.

Ivan saß am Kopf des Tisches und machte ein nicht gerade freundliches Gesicht. Während die Salatschüssel herumgereicht wurde, sagte Mariska zu Yana: „Reids Vater wird unser neuer Senator werden.“

Yana hielt ihr Weinglas hoch. „Gratuliere.

„Danke, aber es ist vielleicht noch etwas früh für Glückwünsche.“ Reid nahm einen Löffel von dem duftenden Wildreis mit Gemüse. „Noch ist er nicht gewählt.“

Yana begegnete seinem Blick und lächelte wissend. „Man soll immer positiv denken.“

„Da stimme ich Ihnen zu.“ Reid blickte zu Tina, die schnell nach ihrem Weinglas griff.

„Sind Sie auch politisch aktiv?“, fragte Yana.

Er schüttelte den Kopf. „Ich arbeite in unserem Familienunternehmen, habe mir aber einen Monat Urlaub genommen, um beim Einrichten der Wahlkampfzentrale zu helfen.“

„Reid“, sagte Mariska, die das Gespräch unbedingt in eine andere Richtung lenken wollte. „Wenn ich es richtig weiß, kommen Sie aus einer großen Familie. Möchten Sie auch einmal Kinder haben?“

Er spürte, dass Rachel neben ihm erstarrte, während Tina leise hustete. Ivan starrte seine Frau an.

„Sicher“, erwiderte Reid ruhig. „Irgendwann.“

„Sobald Sie die richtige Frau gefunden haben.“ Mariska reichte ihm eine Platte. „Hähnchen?“

Tina verschluckte sich und musste noch stärker husten. Sophia schlug ihr auf den Rücken.

„Danke.“ Er nahm einen Hähnchenschenkel und legte ihn sich auf den Teller. „Das sieht alles sehr lecker aus und riecht köstlich. Sie müssen den ganzen Tag in der Küche gestanden haben.“

„Nicht der Rede wert.“ Mariska winkte ab. „Rachel hat mir bei den Vorbereitungen sehr geholfen. Sie ist eine wundervolle Köchin.“

Rachel machte ein finsteres Gesicht. „Ich habe den Sellerie geschnitten und die Zwiebeln gehackt.“

„Aber so gleichmäßig“, sagte Mariska.

„Einfach perfekt.“

Finster blickend nahm Ivan sich ein Stück Hähnchenbrust.

„Erzähl Reid von deinem Bingogewinn gestern Abend, Mariska“, sagte Yana. Sie nippte an ihrem Wein. „Das ist so eine schöne Geschichte.“

Begeistert, noch einmal die Geschichte erzählen zu können, die alle anderen schon fünfmal gehört hatten, beugte Mariska sich zu Reid. „Mir fehlte nur noch eine Nummer, B7. Und Ivan fehlte B1.“

Auch wenn ihn Tinas Nähe sehr ablenkte, versuchte Reid, Mariska zuzuhören. Bis er einen nackten Zeh an seinem Bein spürte. Er erstarrte und sah zuerst zu Tina, die ihrer Mutter aufmerksam zuzuhören schien, dann zu Sophia, die lässig von ihrem eisgekühlten Wasser trank.

Als der Zeh höher glitt, nahm Reid sein Glas, um mit einem Schluck Wasser den drohenden Hustenanfall abzuwehren. Dabei war er darauf bedacht, seinen Blick nicht von Mariska zu wenden.

„Die Kugel wird gezogen. Sie ist blau, also weiß ich, dass es ein B ist. Und welche Zahl rufen sie?“ Mariska schlug sich gegen die Brust. „7!“

„Es waren hundert Dollar“, brummte Ivan. „Sie führt sich auf, als hätte sie eine Million gewonnen.“

„Das sind immerhin hundert Dollar mehr, als du gewonnen hast, Ivan Alexander.“

Es war kein großer Streit, doch er lenkte Tinas Eltern einen Moment lang ab. Reid sah zu Tina, beobachtete, wie sie langsam den Blick zu ihm hob. Obwohl der Augenblick nur den Bruchteil einer Sekunde dauerte, war er heiß und erregend.

Ich will endlich mit dieser Frau allein sein, dachte er und trank einen Schluck Wein.

Nach dem Hauptgang, Mariska servierte gerade Strudel und Kaffee, klingelte das Telefon. Rachel sprang auf. „Ich gehe schon.“

„Wenn es geschäftlich ist, dann leg gleich auf“, rief Ivan ihr hinterher. Er sah Reid an. „Man kann nicht mal in Ruhe mit seiner Familie essen.“

Nicht sicher, ob die Bemerkung auch auf ihn gemünzt war, nickte Reid nur.

„Hat es in dieser Familie je eine friedliche Mahlzeit gegeben?“, fragte Mariska. „Du musst doch immer über irgendetwas meckern.“

Ivan sah seine Frau finster an, dann aß er ein Stück Strudel. „Ich meckere nicht. Ich stelle fest.“

Reid hielt den Atem an, als Tina – er hoffte, dass es Tina war – wieder mit dem Zeh über sein Bein strich. Sie quält mich absichtlich, dachte er und plante schon, es ihr heimzuzahlen, als plötzlich Rachel zurückkehrte.

„Geschäftlich?“, fragte Ivan.

„Ich habe aufgelegt.“ Rachel setzte sich wieder auf ihren Stuhl.

Einen Moment später, Ivan und Mariska diskutierten immer noch darüber, wie unhöflich und rücksichtslos manche Menschen waren, räusperte Rachel sich, sah Reid an und sagte: „Hast du Lust, ins Kino zu gehen?“

Mariska strahlte. Der Anruf war schon vergessen. „Das ist eine großartige Idee.“

Ivan runzelte die Stirn. „Meine Tochter bittet einen Mann nicht um ein Date.“

„Das ist kein Date“, sagte Rachel schnell. „Es wird ein neuer Film gezeigt. Tina und Sophia haben gesagt, dass sie ihn auch gern sehen möchten. Ich dachte, wir könnten zusammen gehen, wenn wir mit dem Abwasch fertig sind.“

Reid kapierte langsam. Offensichtlich war der Anruf der Grund für Rachels unerwartete Einladung. „Ich würde gern gehen.“

„Du und Reid, ihr geht.“ Mariska erhob sich bereits von ihrem Platz. „Tina und Sophia helfen mir beim Abwasch.“

„Katina und Sophia gehen auch“, bestimmte Ivan.

„Tut mir leid.“ Sophia schüttelte den Kopf. „Ich helfe beim Abwasch, aber ich habe versprochen, dass ich heute Abend im Büro des Klubs aushelfe.“

„Aber Katina geht mit“, entschied Ivan.

Danke, Ivan, dachte Reid. Als er zu Tina blickte, sah er, dass sie dasselbe dachte.

Es dauerte noch eine Weile, bis sie sich verabschiedet hatten, doch kaum waren sie draußen und hatten sich etwas vom Haus entfernt, sagte Rachel: „Ich denke, euch ist klar, dass wir nicht wirklich ins Kino gehen.“

„Das habe ich mir gedacht“, sagte Reid.

Als das Scheinwerferlicht eines geparkten Autos am Ende der Straße aufflammte, umarmte Rachel ihre Schwester, dann eilte sie davon.

Allein in der Dunkelheit hinter einer hohen Hecke, zog Reid Tina in seine Arme und küsste sie. Sie schmiegte sich an ihn und erwiderte den Kuss.

„Du schmeckst nach Äpfeln“, sagte er an ihren Lippen.

„Du auch.“

Er küsste sie erneut, dann flüsterte er: „Ich muss sagen, das war sehr interessant.“

„Mich zu küssen?“, neckte sie. „Oder Dinner mit meinen Eltern?“

„Beides.“

„Interessant ist nicht direkt das Wort, das ich benutzen würde. Eher entsetzlich.“

Er lächelte sie an. „Willst du mir nicht sagen, was du da unter dem Tisch gemacht hast?“

„Was meinst du?“

„Du weißt genau, was ich meine.“ Er zog eine Augenbraue hoch. „Mit deinem Zeh über mein Bein zu streichen. Ich habe fast einen Herzanfall bekommen.“

„Das war ich nicht.“

Er verspürte einen Moment Panik, dann sah er, dass sie lächelte. „Sehr witzig.“ Er zog sie enger an sich und presste den Mund auf ihren Hals. Ihr schneller Atem, ihr leises Stöhnen, das leichte Zittern ihrer Hände beschleunigten seinen Pulsschlag.

„Ich habe dich neulich abends etwas gefragt“, murmelte er und hob den Kopf. „Ich glaube, du hast mir noch keine Antwort gegeben.“

Sie strich mit den Fingern über seine Brust. „Was hast du gefragt?“

„Kommst du mit zu mir nach Hause?“

Sie hob den Blick und sah ihm lächelnd in die Augen. „Ich dachte schon, du fragst überhaupt nicht mehr.“

8. KAPITEL

Das Penthouse war riesig. Marmorfoyer, hohe Decken, glänzende Holzfußböden. Der große Wohnbereich war mit prächtigen, geschmackvollen Antiquitäten eingerichtet – eine beeindruckende und teure Mischung von Stücken aus dem achtzehnten und neunzehnten Jahrhundert. Gedämpft beleuchtete Ölgemälde zierten die dunkelgrünen Wände.

Ziemlich eingeschüchtert stand sie vor der Fensterfront mit Blick auf den Forsyth Park. Der Vollmond warf sein silbriges Licht auf dichte Baumkronen. Sie konnte nur vermuten, wie atemberaubend die Sicht während des Tages war.

Während sie darüber nachdachte, ob sie jemals in den Genuss dieses erlesenen Blicks kommen würde, schlenderte sie durch den Raum, bewunderte einen Chippendale-Kredenztisch aus Nussbaum und betrachtete die aufwendige Blattschnitzerei eines Spiegelrahmens.

Sie war so in die Details der Schnitzerei vertieft, dass sie nicht merkte, dass Reid hinter sie getreten war. Er schlang die Arme um sie, bevor sie sich umdrehen konnte. „Entschuldige. Ich musste Ian zurückrufen.“

Ihr Pulsschlag beschleunigte sich, als sie seinem Blick im Spiegel begegnete. „Alles in Ordnung?“

Auf der Fahrt hierher hatte Reid von der Leiche erzählt, die auf dem Dachboden im Haus seiner Eltern gefunden worden war, und von der Vermutung, dass es sich dabei um ihre vermisste Cousine Victoria handeln könnte. Tina mochte sich gar nicht vorstellen, was die ganze Familie jetzt durchmachte. Es musste schrecklich sein, die Wahrheit nicht zu wissen und tage- oder vielleicht sogar wochenlang auf die Ergebnisse der Untersuchungen zu warten. Sie hatte großes Mitgefühl mit den Danforths, vor allem mit Reids Tante und Onkel.

„Ian wollte mich warnen. Die Gesellschaftsreporterin Jasmine Carmody schnüffelt uns hinterher.“ Reid zog Tina noch enger an sich. „Nicola möchte die Geschichte so lange wie möglich geheim halten. Schon der Hauch eines Skandals zu Beginn des Wahlkampfs könnte zu einem Wahldebakel führen.“

„Kann man so etwas wirklich vor der Presse verheimlichen?“

„Nicht lange.“ Er seufzte. „Zumal eine Horde von Reportern durch die Gegend schleicht und nur darauf wartet, einen Skandal aufzudecken. Aber vielleicht können wir die Geschichte zumindest so lange unter Verschluss halten, bis wir erste Ergebnisse des DNA-Tests haben. Das würde Nicola bei der Entscheidung helfen, wie mit der Presse umzugehen ist.“

„Ich könnte mir nicht vorstellen, so unter Beobachtung zu leben“, sagte sie ruhig. „Ich glaube, das würde ich nicht aushalten.“

„Es gehört zu meinem Leben.“ Er zuckte mit den Schultern. „Zum Leben meiner Familie. Ich denke, ich habe es einfach akzeptiert.“

„Das kann ich verstehen.“ Sie lächelte ihn an. „Nachdem du den Abend mit meiner Familie verbracht hast, wunderst du dich wahrscheinlich, wie ich einen Tag überstehe, ohne verrückt zu werden.“

Er legte seinen Kopf an ihren und lächelte sie im Spiegel an. „Ich finde deine Familie großartig, allerdings scheint mich dein Dad nicht besonders zu mögen. Du kennst doch den Spruch: ‚Wenn Blicke töten könnten‘? Es gab einen Moment, da dachte ich, ich komme nicht mehr lebend aus dem Haus.“

Sie lachte leise über seine absurde, aber doch irgendwie wahre Bemerkung. „Mein Dad mag keinen Mann, der mit einer seiner Töchter ausgehen will. Er meint, Männer wollen nur das eine.“

„Kluger Mann.“ Reid strich mit den Lippen über ihren Nacken, dann liebkoste er ihr Ohr.

Reids Nähe und seine erregende Zärtlichkeit machten es Tina schwer, einen klaren Gedanken zu fassen. Sie wollte sich in seinen Armen umdrehen, wollte ihn küssen und ihn bitten, sie in sein Bett zu tragen oder sie gleich hier zu nehmen. Doch im Spiegel zu beobachten, was er tat, faszinierte sie so, dass sie alles andere vergaß.

„Ich habe den ganzen Tag an dich gedacht“, flüsterte er.

„Hast du das?“ Ihr Atem ging schneller, als er mit der Zungenspitze über ihr Ohrläppchen strich, und sie bekam eine Gänsehaut. Offensichtlich war dies eine besonders empfindliche Stelle, denn sie verspürte ein Prickeln bis in die Zehenspitzen.

„Hast du auch an mich gedacht?“

„Nein.“

Er blickte in den Spiegel und lächelte süffisant. „Lügnerin.“

„Vielleicht ein bisschen“, gestand sie.

„Nur ein bisschen?“ Er drückte ihr zärtliche Küsse auf ihren Nacken.

Ihr wurde heiß, und sie bekam weiche Knie. Leise seufzend schmiegte sie sich gegen seine breite Brust. „Vielleicht ein bisschen mehr.“

„Woran hast du gedacht?“

„Handtücher.“

Er hob den Kopf. „Du hast an Handtücher gedacht?“

„Ehrlich gesagt war es mehr dein Gesichtsausdruck, als meine Tante in die Wohnung kam und du nur ein Handtuch um die Hüften geschlungen hattest.“

„Mein Gesicht? Du hättest deins sehen sollen!“

Bei dem Gedanken daran wurde sie jetzt noch rot. „Es passiert nicht jeden Tag, dass ein Mitglied meiner Familie mich mit einem nackten Mann erwischt.“

„Das höre ich gern.“ Er knabberte zärtlich an ihrem Nacken. „Sehr gern.“

Ihr Körper schien vor Hitze zu glühen, und ihre Hormone spielten völlig verrückt. „Meine Tante möchte dich fotografieren“, stieß sie hervor.

„Mich?“ Zweifelnd blickte er sie an.

„Mit Handtuch.“ Sie sah im Spiegel, wie er eine Augenbraue hochzog. „Aber lieber noch ohne.“

„Vielleicht ein anderes Mal.“ Sein Gesichtsausdruck sagte eher niemals. „Ich bin in nächster Zeit ziemlich beschäftigt.“

„Womit?“

„Hiermit“, murmelte Reid und widmete sich wieder Tinas Nacken.

Er konnte nicht genug von ihrer samtweichen Haut bekommen. Und Tina im Spiegel zu beobachten erregte ihn mehr als alles, was er bisher erlebt hatte. Der lustvolle Ausdruck in ihren Augen, das Heben und Senken ihrer Brust, ihre vor Erregung geröteten Wangen. Er schob die Hand unter ihrer Pullover, spürte warme Haut und feine Baumwolle. Sie erbebte, als er ihre Brüste berührte. Ihre Brüste passten perfekt in seine Hände. Fest und doch weich, die Spitzen bereits hart vor Erregung.

„Reid.“ Sie versuchte, sich in seinen Armen zu drehen.

„Beweg dich nicht.“ Er drückte sie an sich. „Ich will dich ansehen.“

Sie rührte sich nicht und hielt den Atem an, als er ihr langsam den Pullover über den Kopf zog und zur Seite warf.

Ihr roséfarbener BH war schlicht und aus einfacher Baumwolle, und doch meinte er, noch nie so etwas Verführerisches gesehen zu haben. Reid entblößte ihre aufregenden Brüste und massierte sie sanft.

Sie senkte den Blick.

„Sieh in den Spiegel, Tina“, sagte er mit belegter Stimme.

Er beobachtete, wie sie den Blick hob und seinem im Spiegel begegnete, sah das Feuer in ihren Augen, die Leidenschaft, die auch in ihm brannte. Sein Blick wanderte tiefer, und er vergaß fast zu atmen. Sie war so schön, ihre Haut so zart. Er strich mit den Daumen über ihre Brustwarzen, sah und spürte, dass sie unter seiner Berührung noch härter wurden.

Mit jeder Faser seines Körpers sehnte er sich danach, Tina sofort, in dieser Sekunden und gleich hier zu nehmen. Er war versucht, sich die restliche Kleidung vom Körper zu reißen und seiner lustvollen Qual ein Ende zu bereiten. Gleichzeitig wünschte er sich, den Moment bis zur Unendlichkeit auszudehnen und jede Sekunde auszukosten … solange er – sie beide – es aushielten.

Also konzentrierte er sich auf ihre Brüste. Streichelte sie, knetete sie sanft und spielte mit den aufgerichteten Spitzen. Sein Verlangen wurde immer drängender, und er verzehrte sich danach, die harten Brustwarzen endlich zwischen die Lippen zu nehmen und daran zu saugen.

Stöhnend ließ Tina ihren Kopf gegen seine Brust fallen. Dann begann sie, Reid tastend zu streicheln. Sie strich über die Außenseite seiner Schenkel. Es war eine langsame, rhythmische Bewegung … rauf und runter und wieder rauf … wobei sie immer weiter nach innen gelangte. Als sie mit den Fingerspitzen seine Erektion berührte, sog er scharf die Luft ein.

Tina wunderte sich, dass ihre Beine sie immer noch trugen. Sie schmiegte sich enger an seinen Körper, spürte seine muskulöse Brust an ihrem Rücken und seine harte Männlichkeit an ihrem Po. Ihr gesamter Körper kribbelte vor Erregung, als sie beobachtete, wie er mit ihren Brüsten spielte und zärtlich ihren Hals und Nacken küsste.

Merkte er denn nicht, dass sie es kaum noch aushielt? Merkte er nicht, wie sehr sie ihn begehrte und wie verzweifelt sie sich danach sehnte, ihn endlich in sich zu spüren?

Sie tröstete sich mit dem Gedanken, dass das erregende Vorspiel nicht nur für sie eine süße Qual bedeutete. Auch seine Augen waren dunkel vor Verlangen. Seine Erregung war deutlich zu spüren, sein Atem ging stoßweise. Wenn das hier ein Wettbewerb sein sollte, wer es am längsten aushielt, dann würde sie mit Freuden verlieren.

„Reid …“ Sie rieb sich an ihm und spürte, dass er noch härter wurde.

Während er mit einer Hand weiter ihre Brüste liebkoste, öffnete er mit der anderen ihre Hose. Er schob sie unter das Bündchen ihres Slip und legte sie auf ihre weiblichste Stelle. Leise flüsterte er ihr ins Ohr, was er tun wollte. Ja, dachte sie, ja. Bitte tu es! Und noch mehr!

Mit kreisenden Bewegungen streichelte er sie, bereitete ihr exquisite Lustgefühle. Sie drückte sich an ihn und überließ sich den herrlichen Empfindungen, die sie wie warme Wellen überschwemmten. Schließlich erreichte sie den Gipfel der Ekstase.

„Sieh mich an!“, brachte sie mühsam hervor.

Ihre Blicke trafen sich.

„Ich brauche dich“, keuchte sie und hielt seine Hand fest. „Komm endlich zu mir, Reid.“

Er drehte sie in seinen Armen herum, und sie verloren sich in einem langen, heißen Kuss. Ohne den Kuss zu unterbrechen, hob er sie auf seine Arme und trug sie ins Schlafzimmer. Dort streifte er hastig seine Kleidung ab, dann fielen sie eng umschlungen aufs Bett.

Sie schlang ihm die Arme um den Nacken und zog ihn an sich. Mit wildem Verlangen küsste er ihren Hals, ihre Schulter, dann ihre Brüste. Sie bäumte sich stöhnend auf, als er die Lippen tiefer wandern ließ, über ihre Brüste, ihren Bauch, und sie schließlich auf ihren intimsten Punkt senkte.

Tina stöhnte auf, als er sie mit Lippen und Zunge verwöhnte. Mal zärtlich, dann ungestüm. Sie wusste nicht, was ihr besser gefiel. Beides war unglaublich lustvoll, und sie spürte den Höhepunkt nahen.

Bevor sie jedoch den Gipfel der Lust erreichte, legte Reid sich zwischen ihre Schenkel und drang tief in sie ein. In dem Moment verlor sie jedes Gefühl für Zeit und Raum, und sie gab sich ganz ihren Gefühlen – und Reid – hin.

Sie hätte es nicht für möglich gehalten, dass es noch schöner sein könnte als beim ersten Mal. Aber irgendwie war es das. Das hier war mehr als nur Sex. Sie gab sich ihm hin mit Körper und Seele. Es machte sie glücklich, doch zugleich fühlte sie sich mit einem Mal sehr verwundbar.

Immer wieder vereinigte er sich tief mit ihr und zog sich wieder zurück. Sie spürte, dass auch er kurz vor dem Höhepunkt war. Mit allen Sinnen konzentrierte sie sich auf ihn. Sie drängte sich ihm entgegen, und als er einen Moment später kam, war es wie eine Explosion.

Zu erschöpft, um sich zu bewegen, um zu sprechen oder überhaupt zu denken, blieben sie eng umschlungen liegen. Nach Minuten oder Stunden, sie konnten nicht sagen, wie viel Zeit vergangen war, rollte Reid sich auf die Seite und zog Tina in seine Arme.

Sie legte den Kopf und die Hand an seine Brust und lauschte und spürte seinen heftigen Herzschlag.

Und sie lächelte.

Reid erwachte ohne jegliches Zeitempfinden. Er warf einen Blick auf seinen Wecker und stellte fest, dass sie nur ein paar Minuten geschlafen hatten. Tina rührte sich bei seiner Bewegung und protestierte, als er sich sanft von ihr löste.

„Du bist ganz kalt.“ Er zog die Decke über sie.

„Erst, seit ich nicht mehr in deinem Arm liege.“

Reid rutschte zu Tina unter die Decke, stützte sich auf dem Ellenbogen ab und blickte lächelnd auf sie hinab. „Es gefällt mir, dich in meinem Bett zu haben, Darling.“

Ihre Blicke trafen sich, als sie mit dem Finger von seiner Schulter bis zu seiner Hand strich. „Mir auch.“

Sein Puls beschleunigte sich, als sie über seine Brust zu seinem Bauch strich. Es lag nicht unbedingt daran, was sie tat, sondern eher daran, was sie nicht tat. Sie schien ganz glücklich damit, seine Rippen nachzuzeichnen, dabei aber im sicheren Bereich zu bleiben.

Eigentlich ist es egal, wo sie mich berührt, dachte Reid, sicher ist gar nichts.

Als ihr Finger etwas tiefer glitt, holte er tief Luft und hielt ihre Hand fest. „Tina, sieh mich an.“

Sie hob den Blick, und er merkte, dass sie ihn gar nicht berühren musste, um ihn zu erregen. Es reichte, wenn sie ihn mit diesem verlangenden Blick ansah.

„Ich werde nicht weiter so tun, als wäre ich an Rachel interessiert.“

Sie ließ ihre Hand ruhig liegen, dann rollte sie sich auf den Rücken und schloss die Augen. „Das will ich auch gar nicht.“

Er beugte sich über sie und küsste sie zärtlich. „Wir können morgen mit deinen Eltern sprechen und …“

„Nein!“ Sie riss die Augen auf. „Ich muss das zuerst mit Rachel klären, um sie vorzubereiten. Und dann rede ich mit meinen Eltern.“

„Ich weiß, dass so eine Familiendynamik kompliziert sein kann. Meine eigene ist das beste Beispiel dafür. Aber du bist vierundzwanzig Jahre alt.“

Sie schüttelte den Kopf. „Du kennst meinen Vater nicht. Wenn es um Sophia, Rachel und mich geht, dann ist er mehr als unvernünftig – er ist unberechenbar und intolerant.“

„Was könnte er einzuwenden haben?“, fragte Reid. Dann neigte er den Kopf und zog eine Grimasse. „Außer, dass ich seine jüngste Tochter verführt und entjungfert habe. Wie groß sind die Messer in seiner Backstube?“

„Sei froh, dass er Bäcker und nicht Metzger ist.“ Lächelnd drückte sie einen Kuss auf sein Kinn, dann senkte sie den Blick. „Reid, nur weil du … weil wir miteinander geschlafen haben, erwarte ich nicht, ich meine, verlange ich keine …“ Sie atmete tief aus. „Du weißt schon.“

„Feste Beziehung?“ Er ließ die Worte über seine Zunge rollen. Sie schmeckten irgendwie komisch, doch sie hatten nicht den bitteren Beigeschmack, den er vermutet hatte.

Im Gegenteil, mit erschreckender Klarheit erkannte er plötzlich, dass der Geschmack richtig gut war.

Und ausgerechnet jetzt, dachte Reid leicht gereizt, versucht Tina angestrengt, mir zu erklären, dass sie keine Beziehung erwartet oder will. Er blickte sie finster an. „Willst du mich loswerden, Tina?“

„Nein, natürlich nicht.“ Sie sah ihn an. „Ich denke nur, du … wir sollten offen und ehrlich miteinander sein.“

„Sind wir das nicht?“

„Ich möchte nur nicht, dass es irgendein Missverständnis zwischen uns gibt.“

„Ich habe das Gefühl, das gibt es bereits, Sweetheart.“ Er rollte sich auf den Rücken und zog sie mit sich. „Hör zu, ich weiß nicht genau, was das zwischen uns ist, aber ich weiß, dass ich mit dir zusammen sein will, in aller Öffentlichkeit.“

„Ich möchte auch mit dir zusammen sein.“ Sie küsste ihn liebevoll. „Aber deine Familie, der Wahlkampf deines Vaters …“

„Der Wahlkampf hat nichts mit dir und mir zu tun, Tina. Mit wem ich zusammen bin und was ich in meiner Freizeit tue, ist allein meine Sache.“

„Und die der Presse in Savannah“, fügte sie hinzu.

„Das kann ich nicht verhindern“, stimmte er zu. „Ich bin ein Danforth. Daran kann ich nichts ändern.“

Ihr Blick wurde weich, als sie seine Wange berührte. „Das sollst du auch gar nicht, Reid.“

Er nahm ihr hübsches Gesicht in die Hände, zog sie an sich und küsste sie begierig und leidenschaftlich. Mit beiden Händen strich er über ihren Rücken und presste seine Hüften an ihren Schoß, damit sie spürte, wie sehr er sie begehrte.

Sie atmeten beide schwer, als sie schließlich ihr Becken anhob und sich dann quälend langsam auf ihn senkte, Zentimeter für Zentimeter. Er legte die Hände an ihre Hüften und drang tief in sie ein.

Und dann begann sie, sich zu bewegen. Langsam zuerst, bis der Reiz fast nicht mehr zu ertragen war. Dann schneller, rhythmischer, wilder. Schließlich überschwemmte sie die Ekstase, und Wellen der Lust rollten durch ihren Körper. Sie warf den Kopf zurück und schrie laut auf, während er den Rhythmus beschleunigte, bis auch er schließlich die ersehnte Erlösung fand.

Völlig außer Atem ließ sie sich auf ihn sinken und murmelte unzusammenhängende Sätze. Er schlang die Arme um sie, strich mit den Lippen über ihre Schläfen und küsste ihre Wange.

Während sich ihr Atem und ihr Pulsschlag beruhigten, hielt er sie eng umschlungen und lächelte, als sie seufzte und sich an seine Brust schmiegte. „Keine Heimlichkeiten mehr“, erinnerte er sie.

Sie nickte. „Morgen werde ich mit meinen Eltern sprechen.“

9. KAPITEL

Tina betrat die Bäckerei durch den Hintereingang. Als die Türglocke ertönte, zuckte sie zusammen. Normalerweise bemerkte sie das Geräusch überhaupt nicht. Aber heute, da sie eine Stunde zu spät kam, dröhnte die kleine Glocke lautstark in ihren Ohren.

Einmal, so erinnerte Tina sich, hatte Sophia es geschafft, den Klöppel aus der Glocke zu entfernen. Sie war damals sechzehn gewesen und wollte sich mit einem Freund im Garten treffen. Doch ihr Vater war ihr schnell auf die Schliche gekommen. Der Freund wurde verbannt, und die kleine Glocke durch ein massiveres, lauteres, Tochter-sicheres Modell ersetzt.

Als Teenager hatten sich die Mädchen darüber geärgert, doch seit sie erwachsen war, hatte Tina keinen Gedanken mehr an die Glocke verschwendet.

Bis heute.

Heute, dachte sie mit einem Lächeln auf den Lippen, habe ich in den Armen des Mannes verschlafen, den ich liebe.

Als sie heute Morgen in Reids Penthouse erwacht war, seine breiten Schultern an ihren Rücken gepresst, einen muskulösen Arm besitzergreifend um ihre Taille gelegt, hatte sie sich kneifen müssen.

Genieß den Moment, hatte sie sich gesagt. Denk nicht an die Zukunft. Erhoff oder wünsch dir nicht zu viel. Sei mit dem glücklich, was du hast.

Aber was, wenn, dachte sie. Was, wenn vielleicht, nur vielleicht …

Sie schloss die Tür, zuckte wieder bei dem Glockengeräusch zusammen, dann blickte sie auf die Uhr. Rachel war sicherlich schon im Büro, und auch wenn sie miteinander reden mussten, wagte Tina nicht, sich jetzt die Zeit für ein Gespräch zu nehmen.

Sie eilte den Flur entlang, warf einen Blick in den Laden und bekam einen Schreck, als sie die lange Schlange sah. Ihre Mutter stand an der Kasse, während ihre Tante Bestellungen entgegennahm. Billy, der neue Mitarbeiter, bediente die Kaffeemaschine.

Sie wunderte sich kurz, wo Jason war, und vermutete, dass er sich auf seine Reise nach Los Angeles vorbereitete.

Großartig.

Gut, dass Yana hilft, dachte Tina. Dadurch würde der Tag nicht zu einer absoluten Katastrophe werden. Tina lenkte die Aufmerksamkeit ihrer Tante auf sich und warf ihr einen fragenden Blick zu. Meinst du, ich überlebe es, wenn ich jetzt in den Laden komme? Yana nickte.

Tina holte tief Luft, dann trat sie hinter den Ladentisch und band sich eine Schürze um.

„Katina.“ Ihre Mutter warf ihr einen finsteren Blick zu. „Wo bist du gewesen?“

„Tut mir leid, ich …“ Sie blickte zu ihrer Tante, die den Kopf schüttelte.

„Egal.“ Mariska schnitt ihr mit einer Handbewegung das Wort ab. „Wir reden später darüber. Geh an die Kasse, während ich Mrs Greens Brioche einpacke.“

Lautes Getöse drang aus der Backstube, dann wüstes Fluchen. Mariska schüttelte den Kopf. „Der Mann ist heute nicht zu ertragen.“

„Ich rede mit ihm“, sagte Yana. Sie zwinkerte Tina zu. „Er beruhigt sich schon.“

Tina schluckte den Kloß im Hals hinunter, dankbar für die kurze Galgenfrist. Auch wenn dieser Tag für ein Vater-Tochter-Gespräch nicht besonders geeignet schien, sie hatte es Reid versprochen, und sie war entschlossen, das Versprechen zu halten.

Es dauerte noch fünfzehn Minuten, bis der erste Andrang des Morgens vorüber war. Tina beschloss, den Moment zu nutzen. Der Zeitpunkt war gekommen, um ihren Eltern die Wahrheit zu sagen. Sie mussten endlich akzeptieren, dass ihre Töchter keine Kinder mehr waren, sondern Erwachsene.

„Billy, übernehmen Sie bitte einen Moment. Ich bin in einer Minute zurück.“

Sie wollte sich gerade auf den Weg in Rachels Büro machen, als die Ladentür aufging und Reid eintrat.

Nein, wollte sie rufen. Noch nicht! Sie war hin- und hergerissen zwischen dem Wunsch, ihm in die Arme zu fallen und ihn aus der Bäckerei zu werfen.

Als er direkt auf sie zukam, setzte ihr Herzschlag kurz aus.

Schnell vergewisserte sie sich, dass niemand bemerkt hatten, wer in den Laden getreten war. Dann nahm sie Reids Hand und zog ihn in den Flur.

„Reid …“

Ihre Lippen fanden sich, und Tina schmiegte sich an ihn. Ihr Pulsschlag beschleunigte sich. Oh, er roch so gut, sie liebte sein würziges Aftershave, und er schmeckte nach Minze. Sie wollte gar nicht aufhören, ihn zu küssen.

Irgendwie schaffte sie es jedoch, zur Vernunft zu kommen, und trat zurück.

„Du solltest jetzt nicht hier sein“, sagte sie, immer noch atemlos von seinem Kuss.

„Ich weiß.“ Seufzend schob er die Hände in die Taschen. „Ich konnte nicht anders.“

„Der Zeitpunkt ist schlecht.“ Sie sprach leise, dann blickte sie über die Schulter in Richtung Küche. „Ich weiß nicht, was los ist, mein Vater steht heute mit der Welt auf Kriegsfuß.“

„Hast du ihm von uns erzählt?“

Sie schüttelte den Kopf. „Ich bin so spät zur Arbeit gekommen, dass ich keine Möglichkeit hatte. Außerdem ist er unglaublich schlecht gelaunt. Vielleicht ist es besser zu warten.“

„Warum gehen wir nicht zusammen zu ihm? Jetzt gleich.“

„So einfach ist das nicht.“ Sie schloss die Augen. „Du weißt nicht, wie es ist, wenn …“

Katina.“

Als sie die Stimme ihres Vaters direkt hinter sich hörte, blieb Tina beinahe das Herz stehen. Langsam, sehr langsam, drehte sie sich zu ihm um. Sein wütender Blick ließ ihr das Blut in den Adern gefrieren.

„Sie kommen sofort mit!“, fuhr er Reid an.

„Ja, Sir.“

Tina berührte seinen Arm, als er an ihr vorbeiging. „Reid“, flüsterte sie. „Du musst nicht …“

„Ist schon in Ordnung.“ Er lächelte sie an. „Es wird Zeit.“

Mit klopfendem Herzen folgte sie Reid und ihrem Vater in die Küche, wo ihre Mutter und Yana Puderzucker auf erkaltete Nusskekse stäubten. „Dad …“

„Seid ruhig.“ Ihr Vater zeigte mit dem Finger auf sie. „Das hier geht dich nichts an, Katina.“

Es geht mich nichts an? Zu verblüfft, um zu antworten, starrte sie ihren Vater an.

„Waren Sie gestern Abend mit meiner Tochter zusammen?“, fragte Ivan.

„Ja, Sir.“

„Ivan, zügle dein Temperament.“ Mariska wischte sich die Hände ab und trat hinter ihren Mann. „Lass uns in Ruhe darüber sprechen.“

„In Ruhe!“ Ein Schwall Flüche, die Tina noch nie gehört hatte, prasselte auf sie hinab. „Ich soll ruhig bleiben, wenn unsere Tochter die Nacht mit diesem Mann verbringt?“

„Bei allem Respekt, Sir“, sagte Reid, ohne die Stimme zu heben oder auch nur mit der Wimper zu zucken. „Ich würde gern etwas dazu sagen …“

„Bitte.“ Tina blickte zu Reid. „Lass mich es erklären.“

„Wie willst du etwas für deine Schwester erklären?“ Ivan kniff die Augen zusammen. „Sie kann für sich selbst sprechen, sobald sie hier ist.“

Sobald sie hier ist? Es dauerte einen Moment, bis Tina begriff. Sie sprachen über Rachel.

„Rachel ist noch nicht da?“, fragte Tina vorsichtig.

Mariskas Unterlippe bebte. „Sie ist heute Nacht nicht nach Hause gekommen und heute Morgen auch nicht zur Arbeit erschienen. Sie hat nicht einmal angerufen.“

Tina blickte von ihrem Vater, der die starken Arme über der breiten Brust verschränkt hatte, zu Yana, die den Kopf schüttelte.

„Das ist nicht zu glauben.“ Tina blickte an die Decke und seufzte, dann straffte sie die Schultern. „Mom … Dad, Rachel ist in Ordnung, und sie hat die Nacht nicht mit Reid verbracht.“

„Der Mann hat es gerade zugegeben“, schrie Ivan, dann starrte er Reid an. „Ich will wissen, wo meine Tochter ist.“

„Sie ist hier. Bei mir.“

Alle Köpfe drehten sich um, als Jasons Stimme erklang. Er stand an der Tür, den Arm um Rachels Taille geschlungen.

„Sie war letzte Nacht bei mir.“ Jason sah Ivan direkt an.

Oh, oh. Tina hörte, wie ihre Mutter nach Luft schnappte, und sah dann, wie ihr Vater knallrot wurde und seine Augen hervortraten. Jetzt passiert’s.

„Wir haben geheiratet.“ Strahlend vor Glück präsentierte Rachel den goldenen Ring an ihrem Finger. „Ich bin Mrs Jason Burns.“

Rachels Eröffnung schlug ein wie eine Bombe. Niemand sprach. Niemand rührte sich von der Stelle.

„Ich liebe Ihre Tochter.“ Jason sah Rachel an und lächelte. „Und sie liebt mich. Ich möchte mein Leben mit ihr verbringen.“

„Bitte freut euch mit uns.“ Tränen schimmerten in Rachels Augen. „Bitte. Ich liebe ihn so sehr.“

Mit angehaltenem Atem wartete Tina darauf, dass ihre Eltern etwas sagten, irgendetwas, aber sie standen noch unter Schock.

Vielleicht ist das nicht der richtige Moment, meinen Eltern von Reid zu erzählen, dachte Tina.

Yana bewegte sich als Erste. Sie wischte sich die Hände ab, ging durch die Küche und umarmte Rachel und Jason. „Ich wünsche euch ganz viel Glück, Gesundheit und viele Kinder.“

„Nun, da ist die nächste schöne Neuigkeit.“ Rachel umarmte ihre Tante, dann sah sie ängstlich zu ihren Eltern. „Wir bekommen ein Baby.“

Mariska schnappte wieder nach Luft. Ivans Gesicht färbte sich dunkelrot.

Ein Baby? Rachel bekam ein Baby?

Tina vergaß für einen Moment ihre Eltern und umarmte ihre Schwester und ihren neuen Schwager. „Wann … wie …“

„Bis gestern war ich nicht sicher.“ Rachel wischte sich die Tränen aus den Augen. „Deshalb habe ich dir noch nichts erzählt, und dann, als du mit Reid fortgegangen bist und ich …“

„Stop!“, schrie Ivan. „Alle jetzt mal ganz ruhig.“

Sie erstarrten alle.

Die Hände in die Hüften gestemmt, stapfte Ivan durch die Küche und sah Rachel mit zusammengekniffenen Augen an. „Du hast Jason geheiratet und bist schwanger.“

Rachel nickte zögernd.

Ivan richtete seinen Blick auf Tina. „Und du warst letzte Nacht mit diesem Mann …“, er ließ seinen Blick zu Reid wandern, „… zusammen.“

Tina schluckte und nickte.

Ivans Kiefer spannte sich. Ganz langsam drehte er sich zu seiner Frau um. „Wie konnte das passieren?“

„Was ist passiert?“

Es war Sophia, die diese Frage stellte. Sie stand an der Küchentür, warf einen Blick in die Gesichter der Anwesenden und sah, dass Rachel und Jason Arm in Arm dort standen. Sie zog eine Augenbraue hoch und sagte nur: „Oh.“

In aller Ruhe, so ruhig, dass es jedem Angst machte, nahm Ivan seine Schürze ab und verließ die Küche.

Zehn Sekunden herrschte absolute Stille, dann atmete Yana aus. „Nun, ich würde sagen, das ist gut gelaufen.“

„Meine Kleine.“ Mit Tränen in den Augen stürmte Mariska zu Rachel und umarmte sie. „Ich werde Großmutter.“

Und dann umarmte Mariska die gesamt Familie, einschließlich Reid.

„Reid.“ Tina berührte ihn am Arm. „Ich werde mit meinem Vater sprechen.“

„Ich komme mit.“

„Es ist besser, ich gehe allein. Bitte.“

Er seufzte, dann nickte er. „Ich bin nebenan.“

Sie fand ihren Vater im Garten am kleinen Teich. Er starrte aufs Wasser. Die höher steigende Sonne wärmte die kalte Morgenluft, und irgendwo in der Krone eines Magnolienbaumes zwitscherte ein Vogel.

Er drehte sich nicht um, als sie sich näherte. Tina war sich nicht sicher, ob er sie nicht gehört hatte oder ob er sie absichtlich nicht beachtete. Sie blieb wenige Schritte von ihm entfernt stehen und beobachtete ihn. Es war lange her, dass sie ihren Vater richtig angesehen hatte. Er war immer ein großer, starker Mann gewesen mit Schultern, die breit genug waren, um die Last der ganzen Welt zu tragen. Das zumindest hatte sie als Kind gedacht.

Als sie ihn jetzt betrachtete, die Schultern gebeugt und mit leicht ergrauten Schläfen, quoll ihr Herz über vor Liebe. Sie könnte es nicht ertragen, wenn er sich von ihr oder von Rachel abwendete.

Sie trat näher und wollte gerade etwas sagen, als er zu sprechen begann. „Erinnerst du dich noch, wie wir diesen Teich angelegt haben, Tina?“

Seine Frage ließ sie innehalten. „Ich war zehn“, sagte sie nach einem Moment. „Wir haben über der Bäckerei gewohnt.“

„Ich habe den Zement gemixt, und du und deine Schwestern, ihr habt die Steine genau dorthin gelegt, wo sie auch jetzt noch liegen.“

Sie trat neben ihn. „Du hast uns mit zu dem Fest am Fluss genommen, und wir durften beim Tischtennisball-Weitwurf mitmachen und haben alle einen Fisch gewonnen.“

„Du hast gesagt, dass deiner Gilbert heißen soll.“ Er drehte sich um. „Und dann hast du ihn Gil genannt.“

Verblüfft starrte sie ihn an. „Das war vor vierzehn Jahren. Dass du dich daran noch erinnerst!“

„Natürlich erinnere ich mich. Du bist meine Kleine. Ich liebe dich“, sagte er leise. „Dich und deine Schwestern.“

Tränen traten ihr in die Augen, als sie seinem Blick begegnete. Als er die Arme ausbreitete, schmiegte sie sich an ihn. Sie konnte sich nicht erinnern, wann er sie das letzte Mal so in den Armen gehalten hatte. Wann sie es sich so gewünscht hatte.

„Wie könnt ihr, du und Rachel, mir das antun.“ Seine Stimme klang verärgert. „Und eurer Mutter.“

Das Herz wurde ihr schwer. Sie wünschte verzweifelt, dass er verstand und akzeptierte, dass sie kein Kind mehr war. Sie hob den Kopf, sah ihn an und suchte nach den richtigen Worten.

„Wie konntet ihr erwachsen werden?“ Seine Stimme klang jetzt sanfter. Er berührte ihre Wange und schüttelte den Kopf. „Das ist nicht richtig.“

Sie verspürte Erleichterung. „Ich hab dich lieb.“

„Und liebst du ihn, deinen Reid?“, fragte Ivan.

Sie zögerte, dann nickte sie.

Ihr Vater seufzte. „Und liebt er dich?“

„Ich weiß, dass er mich mag“, sagte sie. „Aber seine Familie … unser Leben ist so unterschiedlich. Ich weiß nicht, ob in seinem Leben ein Platz für mich ist.“

„Verstehe. Das kann ein Problem sein.“ Er schien darüber nachzudenken, was Tina gesagt hatte, denn es dauerte einen Moment, bis er weitersprach. „Als deine Mutter mich geheiratet hat, hat dein Großvater nie wieder mit ihr gesprochen.“

Verwirrt blickte Tina ihren Vater an. „Ich dachte, er sei gestorben, als Mom noch ein Teenager war.“

„Deine Mutter war achtzehn, ich war neunzehn, als ich um ihre Hand angehalten habe.“ Ivan presste die Lippen aufeinander. „Ein einfacher junger Mann, der eine Frau heiraten wollte, deren Urgroßmutter eine Gräfin war. Er hielt das für überheblich.“

Tina hatte nie davon gehört, dass es unter ihren Vorfahren eine Gräfin gab, doch so aufregend das war, sie spürte, dass jetzt nicht der richtige Zeitpunkt war, danach zu fragen. „Du bist überheblich.“

„Und du bist frech.“ Er runzelte die Stirn. „Aber das war nicht der einzige Grund, weshalb er nicht mehr mit deiner Mutter gesprochen hat.“

„Was noch?“

Ivan sah seine Tochter an, dann seufzte er tief. „Komm, setz dich, Katina“, sagte er leise. „Es ist an der Zeit, dir die Wahrheit zu erzählen.“

Reid lief in seinem Büro in der Wahlkampfzentrale auf und ab und fragte sich, wo Tina blieb. Es hatte nebenan keine Explosionen gegeben, und Ivan war auch nicht Feuer spuckend durch die Tür gestürmt gekommen. Das zumindest war positiv.

Er war nicht daran gewöhnt zu warten, und es machte ihn verrückt. „Verrückt“ war insgesamt eine treffende Beschreibung; alles an dieser Situation war verrückt. Ein klügerer Mann als er würde die Finger von dieser Frau lassen, würde weglaufen. Eine Beziehung mit Tina versprach endlose Komplikationen, und wer zum Teufel brauchte schon Komplikationen?

„Ich nicht“, sagte er sich und lief weiter durch sein Büro. „Ich mag die Dinge unkompliziert.“ Er blickte auf seine Armbanduhr.

Warum dauerte es so lange?

Er vermutete, dass sie im Moment mitten in einem wilden Disput mit ihrem Vater steckte. Wahrscheinlich flogen immer noch die Fetzen, weil sie die Nacht mit einem Mann verbracht hatte. Dass Rachel heimlich geheiratet hatte und auch noch schwanger war, machte die Sache nicht besser.

Merkwürdig war, dass er nicht weglaufen wollte, dass er bleiben und dazu beitragen wollte, dass sich die Wogen wieder glätteten. Und das war das eigentlich Verrückte.

Er steckte die Hände in die Hosentaschen. Verdammt, wo war sie?

Er ging in Richtung Tür, blieb dann aber stehen. Noch nicht. Eine halbe Stunde würde er ihr noch geben. Vielleicht eine dreiviertel Stunde. Es war schließlich nicht so, dass er nichts zu tun hatte. Er musste fünf Nachrichten beantworten, darunter eine von Ian, der ihn davor warnte, dass Jasmine Carmody in einem der D&D’s-Kaffeehäuser herumgeschnüffelt hatte. Die anderen kamen von seinem Büro wegen eines Containers von Maximilian Paper Products, der zwar im Hafen eingetroffen, aber jetzt verschwunden war. Er wusste, dass er sich zunächst um das geschäftliche Problem kümmern sollte, bevor er zurück in die Bäckerei ging.

Er griff nach dem Telefon, drückte die Kurzwahltaste mit der Nummer seines Büros, dann legte er wieder auf.

Verdammt!

Er ging gerade in Richtung Tür, als er ein leises Klopfen hörte. Verärgert riss er die Tür auf. „Was?“

Verwirrt wich Tina einen Schritt zurück. „Ich … entschuldige. Ich komme später wieder.“

Er griff nach ihrem Arm, zerrte sie in sein Büro, trat die Tür mit dem Fuß zu und zog sie an sich.

Sie machte sich steif, als er den Mund auf ihren legte, entspannte sich aber schnell und schlang die Arme um seinen Nacken. Sie öffnete die Lippen und erwiderte leidenschaftlich seinen heißen, fordernden Kuss. Reid war äußerst besitzergreifend. Und er hätte sie bis in alle Ewigkeit küssen und in den Armen halten können, doch irgendwann hob er widerstrebend den Kopf und blickte auf sie hinab. „Das musste erst einmal sein.“

Ihre Lippen waren noch feucht und rosig von seinem Kuss. Eine unglaubliche Versuchung. Er senkte wieder den Kopf.

„Nein.“ Sie legte eine Hand an seine Brust, und er spürte, dass ihre Finger zitterten.

„Alles okay mit dir?“

„Ich … ich weiß nicht.“

Ihre Stimme klang so fremd. Das beunruhigte ihn.

Als sie sich aus seiner Umarmung löste und umdrehte, spannte er die Kiefermuskeln an. „Hör zu, ich weiß, dass es schwer für deine Eltern ist, und es war ja auch ein bisschen viel für einen Tag, aber, verdammt, wir sind keine Kinder mehr. Nur, weil sie nicht wollen, dass wir uns treffen …“

„Nein.“ Sie drehte sich wieder zu ihm um und sah ihn an. „Darum geht es nicht.“

Als er die Leere in ihren Augen sah, wurde ihm flau im Magen. „Worum dann?“

Sie seufzte tief und verschränkte die Arme. „Als Teenager hat mein Vater in seiner Heimat eine Lehre gemacht. Er hat in einem Schloss gearbeitet, unter einem Mann namens Wilheim, der dort Chefbäcker war.“

„Warum bist du …“

„Bitte.“ Sie hob die Hand. „Hör mir einfach zu.“

Obwohl er das Gefühl hatte zu explodieren, presste Reid die Lippen aufeinander.

„In dem Schloss lebte kein Adliger. Die Monarchie war ja schon lange abgeschafft. Aber das ist nicht wichtig. Es geht um Wilheim.“

Als sie innehielt, musste Reid sich zusammenreißen, sie nicht zu drängen, aber offensichtlich hatte sie Mühe, ihre Gedanken zu sortieren.

„Mein Vater sagt“, fuhr sie schließlich fort, „dass Wilheim ihn gehasst hat. Er hat ihn gedemütigt, wo es nur ging, öffentlich und privat. Nach vier Jahren, mein Vater war gerade neunzehn geworden, hatte er genug und ging. Wilheim log seinem Arbeitgeber, einem hohen Funktionär, vor, mein Vater habe geheime Rezepte gestohlen, Rezepte, die von Generation zu Generation weitergegeben wurden. Es wurde ein Haftbefehl gegen meinen Vater erlassen.“

Reid wusste, dass in der Branche Originalrezepte in einem Safe unter Verschluss gehalten wurden. Und auch wenn das Stehlen alter Rezepte kein Kapitalverbrechen war, es war dennoch ein Verbrechen.

„War es nicht etwas übertrieben, gleich einen Haftbefehl zu beantragen?“

„Wie gesagt, Wilheim hasste meinen Vater“, wiederholte Tina. „Mein Vater hatte nur seine eigenen Rezepte mitgenommen, doch es waren Rezepte, die Wilheim für sein Eigentum ausgegeben hatte, und er fürchtete, dies könnte jetzt herauskommen.“

„Dein Vater hätte doch sicherlich beweisen können, dass es seine Rezepte waren. Das Gericht hätte ihn entlastet.“

„Vielleicht. Vielleicht aber auch nicht.“ Tina seufzte. „Wilheim hatte Verbindungen zu höchsten Stellen. Mein Vater war jung und hatte Angst, im Gefängnis zu landen. Deshalb verließen er und meine Mutter das Land auf einem Handelsschiff und heirateten. Er hat in der Bordküche gearbeitet. Als sie in Amerika eintrafen, haben sie sich einen anderen Namen zugelegt, sind von New York nach Florida gezogen und kurz vor Sophias Geburt dann nach Savannah.“

Sie ist so blass, dachte Reid. Ihr Blick ist so leer. Zum ersten Mal verspürte er Angst.

„Tina. Setz dich.“ Sie verkrampfte sich, als er ihren Arm nahm, doch er ließ nicht los, sondern führte sie zu einem Sessel und ging dann neben ihr in die Hocke. „Das war vor dreißig Jahren. Wilheim ist vermutlich schon gestorben.“

Sie schüttelte den Kopf. „Er ist nicht tot.“

„Und wenn schon“, sagte Reid. „Er kann doch nicht immer noch wütend sein.“

„Er ist es“, erwiderte Tina ruhig. „Als mein Vater ging, hat er etwas von Wilheim mitgenommen.“

„Und was?“

„Meine Mutter. Wilheim ist mein Großvater.“

Wow. Reid stieß einen Pfiff aus, dann setzte er sich auf den Sessel neben Tina. „Oh“, war alles, was er sagte.

„Ja. Oh.“

Sie schwiegen beide einen Moment, dann sagte Tina: „Meine Mutter hat über die Jahre meinen Großvater mehrmals angerufen und versucht, den Graben zu überwinden, doch er will nicht. Er sagt, er könne immer noch dafür sorgen, dass mein Vater ins Gefängnis kommt. Meine Mutter hat ihm nie ihren neuen Namen genannt, oder wo wir leben, für den Fall, dass er versucht, Ärger zu machen.“

„Damit kommt er nicht durch, nicht nach all der Zeit. Ein guter Anwalt wird das klären.“

„Mein Vater macht sich Sorgen, dass allein der Vorwurf, ein Dieb zu sein, Schande über seine Familie bringen wird. Deshalb geriet er immer in Panik, wenn seine Töchter irgendjemanden kennenlernten. Er hatte Angst, entdeckt zu werden.“

„Aber deine Mutter war ganz glücklich, als sie dachte, ich sei an Rachel interessiert.“

„Bei der Aussicht, eine ihrer Töchter könne einen Danforth heiraten, hat sie nicht daran gedacht, welche Konsequenzen das für die Familie haben könnte. Mein Vater ist unschuldig, aber unschuldige Menschen werden jeden Tag ruiniert, Reid. Das muss ich dir nicht sagen.“

Reid wusste, dass sie recht hatte. Egal, wie unschuldig ein Mensch in Wirklichkeit war, eine Anschuldigung hing wie schlechter Geruch in der Luft. „Tina, ich weiß, wie schwer dir das vielleicht erscheint, aber wir …“

„Es ist nicht schwierig, es ist unmöglich. Und ich erzähle dir all das nur, damit du mich verstehst.“ Sie stand auf und blickte auf ihn hinab. „Ich kann meine Familie nicht gefährden. Und deine werde ich ebenfalls nicht gefährden. Wenn wir zusammenbleiben, dann interessiert sich die Presse für meine Familie genauso sehr wie für deine. Und sie wird nach Leichen im Keller suchen. Wir alle werden darunter zu leiden haben.“

„Verdammt, Tina.“ Er stand auf und hielt sie am Arm fest. „Wir werden einen Weg finden …“

„Es gibt kein ‚Wir‘, Reid“, sagte sie ruhig und entzog ihm ihren Arm. „Es kann keines geben. Jetzt nicht, und auch später nicht.“

Er wollte sie schütteln. Wollte streiten, schreien, sogar etwas werfen. Doch die kalte Überzeugung in ihren Augen sagte ihm, dass er nicht an sie herankommen würde.

Deshalb schwieg er und sah ihr wortlos nach, als sie sich umdrehte, die Tür öffnete und aus seinem Leben verschwand.

10. KAPITEL

„Sie wird nicht zu groß werden, habe ich beschlossen. Nicht mehr als zweihundert Leute. Tina und Sophia, ihr helft mir beim Menü. Yana, du machst natürlich die Fotos.“

Obwohl schon zehn Tage vergangen waren, seit Rachel und Jason geheiratet und nach Los Angeles abgereist waren, sprach Mariska von nichts anderem als der bevorstehenden Feier. Keiner machte sich die Mühe, sie darauf hinzuweisen, dass sie sich zum hundertsten Mal wiederholte. Sie war wegen der Hochzeit ihrer Tochter viel zu aufgeregt, um den anderen zuzuhören. Und das Baby! Mariska Alexander wurde Großmutter, und sie sorgte dafür, dass jeder davon erfuhr.

Während ihre Mutter fröhlich weiterquasselte und ihr Vater den Ofen reinigte, trocknete Tina die Tortenplatten ab, die Sophia und Yana gespült hatten. Es war das Ende eines langen, anstrengenden Tages in der Bäckerei, doch Tina half lieber beim Aufräumen, statt nach Hause zu gehen. Wenn sie sich beschäftigte, dachte sie nicht so viel nach.

Es tat weh nachzudenken. Es tat schon weh, überhaupt zu atmen.

„Und der Kuchen! Ivan, du musst etwas ganz Besonderes kreieren, so besonders, dass es den Gästen allein beim Anblick der Torte die Sprache verschlägt!“

Beim Gedanken an Rachels Hochzeitstorte traten Tina die Tränen in die Augen. Sie freute sich für ihre Schwester und Jason, natürlich, aber angesichts des Scherbenhaufens ihres eigenen Liebeslebens, fiel es ihr schwer, sich für eine Hochzeitsfeier zu begeistern.

Reid hatte mehrmals versucht, mit ihr zu sprechen, seit sie aus seinem Büro gestürmt war, doch sie hatte schnell jedes Gespräch beendet. Warum sollten sie über etwas diskutieren, das nicht sein konnte? Es war unmöglich, dass sie sich in der Öffentlichkeit trafen, und gefährlich, es heimlich zu tun.

Vielleicht ist es so am besten, dachte sie. Sie waren nur kurz zusammen gewesen. Zu einem späteren Zeitpunkt hätte es mehr wehgetan, sagte sie sich. Trotzdem fühlte sie sich nicht besser. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass der Schmerz noch schlimmer sein konnte, als er jetzt schon war.

„Abraham Danforths Sekretärin hat heute Morgen angerufen und dreihundert Gebäckstücke für Samstag bestellt“, sagte Mariska in die Runde. „Wir brauchen zusätzliche Hilfe, damit wir bis vier Uhr fertig sind.“

Tina umklammerte das Handtuch. Schon wenn sie den Namen Danforth hörte, machte ihr Herz einen Satz. Doch sie zwang sich zur Ruhe. Sie wusste, dass sich ihre Familie um sie sorgte, seit sie sich von Reid getrennt hatte.

Da sie die Sorge um sie nicht ertragen konnte, hatte Tina ihrer Familie versichert, dass es ihr gut ging und dass Reid verstand, warum sie nie mehr als nur Freunde sein konnten. Natürlich war das lächerlich. Niemals könnte sie mit Reid nur befreundet sein. Nicht, solange sie sich jedes Mal, wenn sie ihn sah, in seine Arme stürzen und ihn küssen wollte.

Sie schüttelte den gefährlichen Gedanken ab, stellte die Platte weg, die sie abgetrocknet hatte, und nahm die nächste.

„Wir müssen alle bis halb sieben für die Party fertig sein“, fuhr Mariska fort. „Um sieben werden Cocktails serviert, Dinner ist um acht.“

Party? Tina hielt mitten im Abtrocknen inne.

Die Party. In Crofthaven. Vor einer Ewigkeit, wie es schien, hatte Nicola alle Helfer zu einer Wahlkampf-Auftaktparty eingeladen. Tina stöhnte lautlos. Das hatte sie ganz vergessen. Als ihr bewusst wurde, dass die Party schon in zwei Tagen stattfinden würde, schlug ihr das Herz wie wild gegen die Rippen.

Um Gottes willen! Sie konnte da unmöglich hingehen. Sie konnte Reid nicht ansehen, hielt es nicht einmal aus, mit ihm im selben Raum zu sein. Hier in der Bäckerei war es schon schwer, aber auf einer Party?

„Tina?“

Sie blickte in das Gesicht ihrer Mutter. „Was?“

„Ist das okay für dich?“, fragte Mariska sanft. „Du musst nicht gehen, wenn du nicht willst.“

„Natürlich gehe ich.“ So wie alle sie ansahen, mit so viel Mitleid in den Augen, musste sie einfach gehen. Sie musste ihrer Familie beweisen, dass sie über Reid hinweg war. Es wäre die perfekte Gelegenheit. Sie würde lachen, sie würde sich amüsieren und vielleicht sogar flirten. Nein, flirten ganz bestimmt nicht, dann würde sie eher in Stöckelschuhen Blaubeeren pflücken, nackt.

„Sicher?“, fragte Sophia leise.

„Natürlich.“ Tina zuckte mit den Schultern und griff nach der nächsten Platte. „Reid und ich sind immer noch Freunde. Es ist alles in Ordnung.“

Ihr Vater grunzte, und sie war nicht sicher, ob das Geräusch dem Ofen galt, den er reinigte, oder ihr. So schwer es war, sie würde zur Party gehen und so tun, als würde sie sich prächtig amüsieren.

Es war fast Mitternacht, als Reid durch die Haustür kam. Er hatte den Tag in der Wahlkampfzentrale seines Vaters verbracht und war dann aufgrund der eskalierenden Krise wegen des verschwundenen Containers bis spät in den Abend in seinem Büro bei Danforth & Co. gewesen. Der zuständige Versandmitarbeiter von Maximilian Paper Products hatte Reids Mitarbeiter angeschrien, sie sollten den Container sofort finden, und Reid hatte beschlossen, sich selbst um das Problem zu kümmern. Glücklicherweise hatte sich herausgestellt, dass der Fehler auf Maximilians Seite lag. Reid hatte entdeckt, dass einer der Angestellten sich in der Docknummer geirrt hatte. Nachdem die Sache geklärt war, konnte Reid endlich nach Hause gehen.

Obwohl es ihm eigentlich egal war, wohin er ging. Im Gegenteil, er wäre lieber im Büro geblieben und hätte sich mit aufgebrachten Kunden auseinandergesetzt. Das war einfacher, als nach Hause in eine leere Wohnung zu kommen. Viel leichter, als allein in seinem Bett zu liegen und an Tina zu denken und sich daran zu erinnern, wie sie mit ihrem zerzausten Haar und den vor Leidenschaft glitzernden Augen ausgesehen hatte.

Er vermisste ihr Lächeln und die Art, wie sie die Augenbrauen hochzog, wenn sie überrascht war. Die Art, wie sie seinen Namen sagte. Wenn sie verärgert war, dann war es „Reid!“, kurz und knapp. Wenn sie lächelte, dann „Reid“, liebevoll und weich. Wenn sie sich liebten, atemlos, „Reid …“

Er konnte sie nicht vergessen, sosehr er sich auch bemühte. Abgesehen von dem kurzen, höflichen Hallo, wenn er in die Bäckerei kam, hatte sie nicht mehr wirklich mit ihm gesprochen. Und das seit zehn Tagen, verdammt!

Er ließ seinen Schlüssel auf den Tisch in der Diele fallen und raufte sich die Haare. Wenn sie sich weigerte, mit ihm zu sprechen, wie sollten sie dann ihr Problem lösen?

Die eigentliche Frage war, konnten sie es überhaupt?

Seufzend zog er seine Jacke aus und warf sie im Wohnzimmer über einen Stuhl. Dann ließ er sich aufs Sofa fallen. Immer wieder hatte er sich die Geschichte ihrer Familie durch den Kopf gehen lassen, hatte nach einem Ausweg aus der Klemme gesucht, jedoch keinen gefunden. Jede offene Konfrontation mit ihrem Großvater würde ihre Familie in Gefahr bringen, und wenn er und Tina sich weiterhin sahen, dann würde die Presse Wind davon bekommen und sich auf ihre Familie stürzen und solange suchen, bis sie etwas gefunden hatte. Sie fand immer etwas. Egal, wie klein dieses Etwas war, wie unwichtig, es würde zu einer Sensation werden. Es würde dem Wahlkampf seines Vaters schaden, und auch wenn Reid ernsthaft bezweifelte, dass Tinas Vater ausgewiesen würde oder ins Gefängnis käme, sein Ruf stand auf jeden Fall auf dem Spiel.

Die Geschichte wäre das gefundene Fressen für die Medien und die Klatschmäuler.

Er öffnete sein Hemd, schloss die Augen und legte den Kopf zurück. Er konnte Tina fast riechen, konnte sie beinah schmecken, konnte ihr Lachen hören, ihr Seufzen.

Leise fluchend stand er wieder auf und ging an seine Bar, holte eine Flasche Glenlivet heraus und stellte sie dann zurück. Zu weich, dachte er, und nahm stattdessen eine Flasche mit einem billigen Whiskey.

Er schenkte sich einen guten Schluck ein, kippte ihn hinunter, spürte das Brennen in der Kehle und schenkte sich dann noch etwas ein. Er hoffte, dass der Alkohol den Knoten in der Brust lösen würde, den er seit Tagen hatte.

Crofthaven Manor erstrahlte in hellem Licht. Uniformierte Diener empfingen die Gäste, eine fünfköpfige Band spielte leise Popmusik, und Kellner mit weißen Handschuhen servierten Krabbenhäppchen, mit Lachsmousse gefüllte Cherrytomaten, Blätterteigtaschen mit geschmolzenem Brie und würzige Fleischbällchen in Weinsoße. Drinks gab es an der Bar, aufmerksame Kellner füllten die Gläser der durstigen Gäste nach.

In Anbetracht der gewaltigen Dimensionen des Herrenhauses waren hundertfünfzig Gäste keine allzu große Party. Abraham und Nicola hatten nur die erste Garde der Wahlhelfer und etwa ein Dutzend der wichtigsten Unterstützer der Kampagne eingeladen. Die Presse – einige wenige ausgewählte Journalisten – war ebenfalls zu dem Fest eingeladen. Sie schwärmten wie Hornissen durch die Menge, stellten geschickt Fragen in, wie es schien, lockeren Gesprächen und hofften auf Aufsehen erregende Neuigkeiten, ob gut oder schlecht, obwohl jeder Journalist wusste, dass schlechte Nachrichten eine größere, interessantere Schlagzeile gaben.

Reid stand mit Ian an der geschlossenen Terrassentür und ließ seinen Blick über die Menschen schweifen. Er hatte Nackenschmerzen vom Schlafen auf dem Sofa in der letzten Woche, seine Augen brannten von der stundenlangen Arbeit am Computer, und obendrein hatte er noch ein ärgerliches Zucken im linken Augenwinkel.

Als Albert Johnson, einer der reichsten und loyalsten Wahlkampfspender seines Vaters, vorbeiging, rang Reid sich ein Lächeln ab, auch wenn es ihm schwerfiel.

„Kaum zu glauben, dass es hier vor einer Woche noch von Polizisten nur so gewimmelt hat“, sagte Ian leise zu Reid. „Es scheint fast, als hätten wir das Ganze nur geträumt.“

Dieser nickte und nahm ein Glas Rotwein vom Tablett eines Kellners. „Ich wundere mich, dass noch kein Wort zur Presse durchgedrungen ist.“

„Nicola hat eine Presseerklärung fertig. Zwei, besser gesagt. Eine für den Fall, dass es sich tatsächlich um Vickie handelt, und eine, wenn sie es nicht ist. In der Zwischenzeit warten wir einfach ab.“

Reid blickte zu seiner Tante und seinem Onkel, die auf der anderen Seite des Ballsaals standen. Obwohl beide lächelten und den Gästen die Hände schüttelten, wusste Reid, dass sie innerlich angespannt waren und ängstlich auf das Ergebnis der Obduktion warteten.

Er wusste auch, dass sie am heutigen Abend lieber nicht gekommen wären und nur erschienen waren, weil ihre Abwesenheit zu neugierigen Fragen hätte führen können, Fragen die den Verdacht erregten, es könnte Probleme in der Familie Danforth geben. Probleme, auf die die anderen Kandidaten sich gern stürzen und sie unverhältnismäßig aufblähen würden.

Genau deshalb bin ich heute Abend auch hier, dachte Reid. Ihm war auch nicht danach, Hände zu schütteln und oberflächliche Konversation zu betreiben. Lieber hätte er sich Boxhandschuhe angezogen und auf einen Sandsack einschlagen, um die Aggressionen abzubauen, die sich in ihm aufgestaut hatten, seit Tina aus seinem Leben verschwunden war.

Er würde noch verrückt werden.

Er hatte gehofft, die Sehnsucht nach ihr würde von Tag zu Tag weiter abklingen, bis er irgendwann tagsüber nicht mehr jede Minute an sie denken und nachts von ihr träumen würde. Das Gegenteil war der Fall. Er vermisste sie noch mehr. Er hatte sich in Arbeit gestürzt, doch auch das hatte nicht geholfen.

Und auch wenn er sich immer wieder sagte, dass er eigentlich gar nicht hier sein wollte und nur gekommen war, um den Schein zu wahren, kannte er den wirklichen Grund seines Kommens. Den einzigen Grund.

Er hatte gehofft, Tina zu treffen.

Als Ivan und Mariska vor ein paar Minuten ohne ihre jüngste Tochter eingetroffen waren, hatte sich Reids Hoffnung in Luft aufgelöst. Natürlich ahnte er, weshalb sie durch Abwesenheit glänzte, aber, verdammt, wenn er sonst schon nichts tun konnte, dann wollte er zumindest mit ihr sprechen. Sie sehen.

Während er seinen Blick weiter über den Ballsaal schweifen ließ, für den Fall, sie übersehen zu haben, trank er von seinem Wein und gab sich größte Mühe, Ians Ausführungen über eine neue Kaffeesorte zu folgen, die er dem umfangreichen Angebot des D&D’s hinzugefügt hatte.

„… voller Körper, leicht süßer Geschmack …“

Tina schmeckt auch süß, dachte Reid. Und ihr Körper … ihr Körper machte ihn verrückt.

„… weich im Abgang …“

Weich. Tinas Haut war seidenweich, wie Rosenblüten.

„… verkauft sich gut, obwohl es eine Vorliebe für heiße …“

Absolut heiß. Das Bild von Tina, wie sie nackt unter ihm lag, seinen Namen flüsterte, sich im gleichen Rhythmus wie er bewegte … verdammt!

Er vermisste alles an ihr.

„Hast du ein Problem mit deinem Auge?“, unterbrach Ian Reids Gedanken.

„Nein.“

Ina beugte sich näher. „Es zuckt.“

„Das hat nichts zu bedeuten.“

„Nichts.“ Ian lachte. „Ist Tina nichts?“

„Lass es gut sein, Ian.“

„Sicher, dass du nicht darüber sprechen willst? So, wie du aussiehst, tut es dir vielleicht gut, dir alles von der Seele zu reden.“ Ian grinste breit.

„Willst du mich provozieren?“

„Nein.“ Ians Grinsen wurde noch breiter. „Aber ich bin auf dein Gesicht gespannt, wenn ich dir sage, dass Tina gerade mit ihrer Tante gekommen ist.“

Reid drehte abrupt den Kopf, als er das hörte. Und dann sah er sie, an der Tür zum Ballsaal, und sein Herz setzte aus, und er konnte nicht mehr denken oder atmen.

Sie trug Rot. Kein verführerisches Rot, sondern ein dunkles Rot, eher die Farbe eines feinen Bordeaux. Das Kleid schmiegte sich um ihre schlanke Figur, hatte einen tiefen Ausschnitt, aber eine züchtige Länge. Dazu trug sie hohe, schwarze Peep Toes. Ihre Haare waren zu einer Seite gekämmt und fielen dort in weichen Wellen über ihre Schulter. Ihre Lippen waren rot geschminkt, die Augen dunkel.

Als sie sich umdrehte und er die Rückenansicht ihres Kleides sah – eine Schnürkorsage, die gerade genug Haut zeigte, um in einem Mann das Bedürfnis zu wecken, mehr zu sehen –, schlug ihm das Herz bis zum Hals.

„Kann ich sie haben?“ Ian klang hoffnungsvoll. „Denn wenn du nicht …“

„Halt den Mund, Ian“, knurrte Reid. „Sag es nicht, denk nicht einmal daran, wenn du nicht willst, dass wir morgen die Schlagzeile des Savannah Morning sind.“

„Wie du meinst, Bruderherz.“

Ohne den Blick von Tina zu wenden, drückte Reid seinem Bruder sein Weinglas in die Hand und machte sich auf den Weg durch die Menge.

„Tina, um Gottes willen …“ Yana hakte sich bei ihrer Nichte ein, „… du fällst gleich in Ohnmacht, wenn du weiter die Luft anhältst.“

„Ich werde in Ohnmacht fallen.“ Tina klammerte sich am Arm ihrer Tante fest, drehte sie mit sich um und versuchte, Yana zurück zu der Tür zu ziehen, durch die sie gerade gekommen waren. „Bitte, ich schaffe es nicht. Ich weiß, dass ich dir und allen andere gesagt habe, dass ich über Reid hinweg bin, aber das war gelogen.“

„Ich weiß, Katina.“ Yana tätschelte Tinas Arm und drehte sich wieder mit ihr um. „Wir alle wissen das. Es war auch gelogen, als wir gesagt haben, wir glauben dir.“

„Du hast es gewusst? Ihr habt es gewusst?“ So viel zu ihren schauspielerischen Fähigkeiten.

„Natürlich, Schätzchen.“

„Dann weißt du, dass ich das hier nicht kann.“ Tina spürte Panik in sich aufsteigen, als ihre Tante sie in die Menge zog. „Wenn ich ihn sehe, schmelze ich dahin.“

„Unsinn. Alexander-Frauen schmelzen wegen eines Mannes nicht dahin.“ Mit einem Augenzwinkern fügte sie hinzu: „Zumindest nicht in der Öffentlichkeit.“

An Yanas Seite durch die Menge zu laufen gleicht dem Durchzug durchs Rote Meer, dachte Tina. Ein Blick auf ihre wunderschöne Tante, und die Menschen traten von allein zur Seite. Heute Abend hatte Tina jedoch das Gefühl, dass die Blicke auch auf ihr ruhten. Einige der Männer lächelten, als sie vorübergingen, und der Blick in ihren Augen drückte Anerkennung und Gefallen aus. Tina nickte höflich, aber ohne Interesse.

Es gab nur einen Mann, der sie interessierte, und den konnte sie nicht haben.

„Lächle, Tina“, flüsterte Yana. „Ich habe mir nicht umsonst so viel Mühe mit deinem Kleid und deiner Frisur gemacht. Du siehst umwerfend aus und solltest damit ruhig angeben.“

„Was habe ich davon?“, fragte Tina ruhig. „Was für eine Rolle spielt es, wie ich jetzt aussehe? Du weißt, dass Reid und ich nicht zusammen sein können. Ich hätte genauso gut im Jogginganzug kommen können, so egal ist mir das.“

„Warte ab“, sagte Yana mit einem Lächeln. „Glaube mir, Reid wird eine kalte Dusche brauchen, sobald er dich sieht.“

„Ich bin diejenige, die eine Dusche braucht”, murmelte Tina. Sie ließ sich von ihrer Tante an die Bar führen. Vielleicht half ein Glas Wein gegen ihre Nervosität. Früher oder später würde sie Reid gegenübertreten müssen.

Als sie eine Hand auf ihrem Arm spürte, drehte sie sich um.

Scheint früher zu sein, dachte sie, als sie in Reids dunkelblaue Augen blickte.

„Darf ich dir etwas zu trinken bestellen?“, fragte er leise.

„Gern“, erwiderte sie etwas atemlos.

„Lass dich davon nicht beeindrucken, Katina.“ Yana trat zwischen sie und nahm sanft Reids Hand von Tinas Arm. „Die Drinks sind kostenlos. Hallo, Reid.“

Ohne den Blick von Tina zu wenden, nickte Reid. „Yana.“

Hin- und hergerissen zwischen Verzweiflung und Erleichterung, dass ihre Tante sich einmischte, rang Tina sich ein Lächeln ab. „Es ist eine tolle Party.“

„Jetzt ist sie das.“ Er nahm wieder Tinas Arm. „Darf ich dich herumführen?“

„Vorsicht, Kamera“, sagte Yana. „Lächeln.“

Die harte Linie um Reids Mund verwandelte sich in ein Lächeln, und er ließ Tinas Arm in dem Moment los, als ein Fotograf sich vor sie stellte. Lächelnd trat Yana näher zu Reid und blockierte die Sicht auf Tina genau in dem Moment, als das Blitzlicht der Kamera aufblitzte. Als der Fotograf weiterging, streckte Reid wieder die Hand nach Tina aus.

Doch Yana war zu schnell. Sie hakte sich bei Reid ein und lächelte ihn an. „Führen Sie doch uns beide herum.“

Er blickte von Yana zu Tina. „Gern.“

Zögernd folgte Tina ihrer Tante und Reid. Eigentlich sollte sie fliehen, aber dazu war sie zu schwach. Zu hilflos.

Zu verliebt.

Reid führte sie aus dem Ballsaal heraus und durch eine große Halle abseits des Haupteingangs. Sie warfen einen Blick in den Musikraum, während Reid einen kurzen geschichtlichen Abriss über Crofthaven Manor gab, und begaben sich dann in die Bibliothek.

Es trieb Tina fast in den Wahnsinn, Reid so nah zu sein und seinen vertrauten Duft einzuatmen und ihn dennoch nicht berühren zu dürfen. Um sich abzulenken, ging sie ans andere Ende des großen Raumes und schaute sich eine in Leder gebundene Ausgabe südamerikanischer Dichtung des zwanzigsten Jahrhunderts an. Als sie das Klicken der Tür hörte, drehte sie sich um und merkte, dass Yana gegangen war.

Allein. Sie und Reid waren allein.

Ihre Hand zitterte, als sie das Buch zurück ins Regal stellte und sich dann zu ihm umdrehte. Er beobachtete sie, sein Blick war so intensiv, dass es ihr den Atem nahm.

„Ich habe dich vermisst“, sagte er ruhig.

Sie sah weg. „Reid …“

Er ging auf sie zu. Sie wich einen Schritt zurück.

„Es ist noch nicht vorbei mit uns.“ Schritt für Schritt kam er näher. Ihr Puls begann zu rasen.

Wenn sie nur wüsste, wohin mit den Händen. Die Versuchung war groß, sie nach Reid auszustrecken und ihm zu sagen, dass auch sie ihn vermisst hatte und nicht wollte, dass es mit ihnen vorbei war. Sie konnte nur den Kopf schüttelten.

„Ich habe eine Entscheidung gefällt, Tina.“

Er nahm den Blick nicht von ihr, kam immer näher. Sie wich zurück, bis sie gegen eines der Regale stieß. Sie hielt den Atem an.

„Tina.“ Er sagte ihren Namen so sanft, so sehnsuchtsvoll, dass ihr die Tränen in die Augen traten. „Ich liebe dich.“

Hatte sie richtig gehört? „Du … du liebst mich?“

„Ja.“

Als er ihre Wange berührte, schloss sie die Augen und begann zu zittern. Wie konnte sie sich gleichzeitig so wunderbar und so schrecklich fühlen?

Lieber Gott, hilf mir. Jetzt konnte sie nicht lügen, konnte sich nicht zurückhalten. Nicht in diesem Moment.

„Ich liebe dich auch.“

„Wie schön.“ Er trat so nah zu ihr, dass ihre Schenkel sich berührten. „Das sollte die Voraussetzung für eine Hochzeit sein.“

Heiraten? Er wollte sie heiraten?

Ihr Herz schwang sich in die Höhe, begann sofort aber wieder einen Sturzflug. „Du weißt, dass das nicht möglich ist.“

„Ich will nicht ohne dich sein.“ Er legte den Finger unter ihr Kinn, hob ihr Gesicht und sah ihr mit einer Entschlossenheit in die Augen, die sie hoffen, ja fast das Unmögliche glauben ließ. „Ich kann nicht ohne dich sein“, fügte er leise hinzu.

„Es hat sich nichts geändert.“ Sie kämpfte gegen die Tränen an.

„Dann sorgen wir dafür, dass sich etwas ändert. Wir reisen nach Europa.“ Er stützte seine Hände neben ihrem Kopf an der Wand ab und beugte sich vor. „Es kann Monate dauern, bis man uns dort findet. Wenn überhaupt. Wir werden in einer Villa etwas abseits der spanischen Küste leben. Es ist wunderschön dort. Lass uns dorthin gehen. Lass uns heiraten.“ Seine Lippen berührten ihre. „Lass mich dich lieben.“

Wie wundervoll das klang. Unwillkürlich schmiegte sie sich an ihn, ihre Lippen wurden weich unter seinen.

Dann wich sie zurück, schüttelte den Kopf.

„Wie lange könnten wir unter diesen Umständen glücklich sein?“, fragte sie, obwohl sie ein traumhaftes Bild vor Augen hatte. „Wie lange würde es dauern, bis du dich über mich ärgerst oder wir unser Leben hier vermissen?“

Sie schlüpfte unter seinem Arm hindurch, unsicher, ob ihre Beine sie bis zur Tür tragen würden. „Tut mir leid, Reid. Ich möchte dich heiraten, du ahnst nicht, wie sehr ich mir das wünsche. Aber nicht unter diesen Voraussetzungen.“

Beim Klang einer tiefen, sich räuspernden Stimme, wirbelte Tina herum und schnappte nach Luft, als sie Abraham Danforth und ihre Eltern in der Tür stehen sah.

„Dad.“ Mit angespanntem Kiefermuskel blickte Reid zu seinem Vater, dann zu Mariska und Ivan. „Guten Abend, Mariska und Ivan.“

Sie sahen einander kurz an, dann betraten sie den Raum. Abraham schloss die Tür.

„Ich fürchte, das betrifft uns alle, mein Sohn.“ Abraham verschloss die Tür. „Wir können diesen Zustand einfach nicht hinnehmen.“

„Um Gottes willen, Dad.“ Reid stieß den Atem aus, dann schüttelte er den Kopf. „Ich liebe diese Frau. Ich will sie heiraten. Und ich werde sie heiraten, verdammt.“

„Wie romantisch.“ Mit Tränen in den Augen trat Mariska zu Tina und nahm das Gesicht ihrer Tochter zwischen die Hände. „Er ist so stark. Was für tolle Kinder ihr haben werdet.“

„Mom. Dad. Mr Danforth. Ich weiß, dass ihr alle …“ Tina sah wieder zu ihrer Mutter. „Was hast du gerade gesagt?“

„Ich habe gesagt, was für tolle Kinder ihr haben werdet“, wiederholte Mariska. „Wir sind nicht gekommen, um euch zu sagen, dass wir etwas gegen die Hochzeit haben, sondern um euch unseren Segen zu geben.“

„Aber, Dad …“ Sie sah ihren Vater an, dann Abraham. „Ich kann nicht, wir können nicht …“

„Hast du wirklich geglaubt, ich würde tatenlos zusehen, wie du unglücklich wirst?“, fragte Ivan mit ebenso viel Verärgerung wie Liebe in der Stimme. „Dass ich zulasse, dass du mir dein Glück opferst?“

Tina war völlig durcheinander und konnte keinen klaren Gedanken mehr fassen. „Alle werden leiden“, sagte sie. „Unsere Familie. Die Danforths. Wie können Reid und ich …“, sie sah ihn an, und Tränen traten ihr in die Augen, „… wie könnten wir glücklich werden, wenn die Menschen leiden müssen, die wir lieben?“

„Und wie könnten wir glücklich sein …“, gab Mariska zurück und schüttelte den Kopf, „… wenn wir euch euer Glück stehlen?“

Als Reid neben sie trat und den Arm um sie legte, schmiegte sie sich an ihn und fragte, wie sie jemals die Sicherheit aufgeben konnte, die sie in seinen Armen verspürte.

Aber sie befanden sich immer noch in der Zwickmühle und sah keinen Ausweg.

„Als Ivan und Mariska mich heute Morgen anriefen, hatte ich das Gefühl vor einer kaum zu bewältigenden Herausforderung zu stehen“, sagte Abraham. „Bis ich auf eine kleine, sehr interessante Information stieß. Klingelt es bei dem Namen Maximilian?“

Tina konnte mit dem Namen nichts anfangen, aber Reids Gesichtsausdruck nach zu urteilen, hatte der Name eine Bedeutung für ihn. „Johann Maximilian?“, fragte er.

Abraham sah Tina an. „Johann Maximilian ist einer unserer größten Frachtkunden in Österreich. Ich kenne den Mann seit zwanzig Jahren.“

„Ich habe letzte Woche fast täglich wegen eines Problems mit einem Container mit seinem Büro telefoniert.“

„Johann hat die ganze Sache wirklich sehr leidgetan“, sagte Abraham.

„Ich verstehe nicht.“ Tina wünschte verzweifelt, irgendjemand würde endlich zum Punkt kommen. „Was hat dieser Mann mit uns zu tun?“

„Meine Mutter ist eine geborene Maximilian“, sagte Mariska. „Johann ist mein Cousin.“

„Du … wir … haben noch Familie?“, fragte Tina. „Abgesehen von deinem Vater?“

Mariska nickte. „Wir haben damals die Vergangenheit hinter uns gelassen, damit wir eine Zukunft haben konnten.“

„Aber was hat all das mit Wilheim zu tun?“, wollte Reid wissen.

„Mein Vater war immer ein unzufriedener Mann“, erzählte Mariska traurig. „Aus den Erzählungen meiner Familie weiß ich, dass mein Vater, als er meine Mutter heiratete und auf Schloss Marcel zu arbeiten begann, wie besessen war von seiner eigenen Wichtigkeit. Er war ein Tyrann. Bei der Arbeit und zu Hause. Das weiß ich aus eigener Erfahrung. Er hielt meine Mutter und mich von Freunden und Familie fern, aber er benutzte den Familiennamen meiner Mutter auch, um sein eigenes Renommee zu stützen.“

Mariska hielt kurz inne. „Als meine Mutter starb, brach er die Verbindung zu den Maximilians ab, behielt aber seinen Status in unserer Stadt. Er war so wütend auf mich, als ich deinen Vater heiraten wollte, dass er alles getan hätte, mich daran zu hindern.“

„Deshalb sind wir abgehauen.“ Ivan nahm Mariskas Hand. „Nachdem wir uns in Amerika niedergelassen hatten, haben wir Kontakt zu Yana aufgenommen. Sie kam zwei Jahre später in die Staaten und nahm ebenfalls den Namen Alexander an. Ich bin nicht stolz darauf, dass ich Wilheim nicht die Stirn geboten habe“, sagte Ivan und sah seine Frau an. „Doch was ich getan habe, musste ich für meine Mariska tun.“

Tina legte die Hand an die Brust. Sie kämpfte damit, alles zu verarbeiten, was sie gerade gehört hatte. Es war zu viel auf einmal, und nur der starke Arm um ihre Taille verhinderte, dass sie zusammenbrach.

Sie blickte Reid an, dann ihre Eltern und Abraham.

„Und jetzt?“, fragte sie vorsichtig. „Was jetzt?“

„Nichts.“ Abraham zuckte mit den Schultern. „Falls irgendjemand zufällig herausfindet, dass Ivan Alexander einst Ivan Savar war, werden die Bücher einen Schreibfehler aufweisen. Ein dreißig Jahre alter Haftbefehl ist nicht länger in Kraft, und es gibt auch keine Unterlagen mehr.“ Abraham lächelte. „Johann arbeitet sehr sorgfältig.“

„Ich habe heute Morgen mit Johann gesprochen“, sagte Mariska. „Er wird dafür sorgen, dass niemand auf das unzusammenhängende Geschwätz eines alten Mannes hört.“

Noch immer hatte Reid einen Arm um Tina gelegt, den anderen streckte er seinem Vater entgegen. „Danke.“

Als er die Hand seines Vaters schüttelte, ging irgendetwas zwischen ihnen vor, was Reid noch nie zuvor verspürt hatte. Das Gefühl, dass sie sich von Mann zu Mann gegenüberstanden, nicht nur von Sohn zum Vater. Merkwürdig, dass zweiunddreißig Jahre vergehen mussten, um diesen Moment zu erleben. Es fühlt sich gut an, dachte Reid.

Es fühlte sich richtig an.

Genauso wie es sich richtig anfühlte, Tina an seiner Seite zu haben. Er drehte sich zu Tinas Eltern und gab Ivan die Hand. „Sir.“

Ivans Griff war kräftig und voller Emotion. Mariska kämpfte gegen die Tränen an, beugte sich vor und küsste Reid auf die Wange. „Ich wünsche euch all das Glück, das auch Ivan und ich gefunden haben.“ Sie küsste Tina, dann trat sie zurück. „Meine Kleine“, murmelte sie und stürzte aus dem Raum.

Abraham wandte sich an Ivan. „Ich habe eine Flasche Pálinka auf Eis. Wollen wir uns einen genehmigen?“

„Wie könnte ich ein solches Angebot ablehnen?“ Ivan verbeugte sich und ließ Abraham den Vortritt.

Und so waren sie wunderbarerweise wieder allein.

Reid drehte Tina in seinen Armen und blickte auf sie hinab. „Alles okay mit dir?“

„Ich … ich glaube ja.“ Dann lächelte sie. „Ja, ich bin okay. Besser als okay, würde ich sagen. Mir geht es wunderbar.“

Er erwiderte ihr Lächeln und küsste sie liebevoll. „Weißt du, dass ich mich in dich verliebt habe, bevor ich dich überhaupt gesehen habe?“

Überrascht sah sie ihn an. „Bevor du mich gesehen hast?“

„Ja.“ Er strich mit den Lippen über ihre. „Ich stand vor deinem Büro in der Bäckerei und habe deine Stimme gehört. Sie klang so sexy und aufregend. Und als du mich dann für den Job abgelehnt hast, war es endgültig um mich geschehen.“

„Das heißt also …“, sie fuhr mit den Fingerspitzen über seine Krawatte, „… dass ich dir einen Korb geben muss, damit du weiter interessiert bist?“

„Zu spät, Sweetheart.“ Er lächelte sie an. „Jetzt habe ich dich, und ich lasse dich nicht wieder gehen.“

Er küsste sie wieder. Heiß und leidenschaftlich. Ein Kuss voller Versprechen und Liebe. Als er schließlich den Kopf hob, rangen sie beide nach Luft.

„Wirst du mich heiraten?“ Er hob ihre Hand an den Mund und küsste ihre Fingerspitzen. „Unsere Eltern erwarten es. Du musst also Ja sagen.“

„Ich denke, wir sollten sie nicht enttäuschen, oder? Sie haben einige Mühe auf sich genommen.“

„Ja, allerdings.“ Er küsste ihr Handgelenk und konnte es nicht abwarten, mit ihr wirklich allein zu sein und noch ganz andere Stellen zu küssen. „Ich denke, wir sollten auch Johann zur Hochzeit einladen.“

„Absolut.“ Sie hielt den Atem an, als er mit der Zungenspitze über die empfindliche Innenseite ihres Handgelenks strich. „Ich liebe dich, Reid. Ich weiß nicht, wie ich jemals ohne dich hätte leben sollen.“

„Ich hätte es nicht zugelassen.“ Er lächelte sie an. „Bitte, lass mich nicht zu lange warten, Sweetheart. Ich will dir meinen Namen geben, will dich jede Nacht lieben und jeden Morgen neben dir aufwachen.“

„Ich will auch nicht warten“, antwortete sie leise. „Es ist alles nur so überwältigend. Zu denken, dass ich eine Familie habe, von der ich nichts wusste. Und auch Rachel ist jetzt verheiratet und kriegt ein Baby. Sophia wird mir nie verzeihen.“

Er zog die Augenbrauen zusammen. „Dass du heiratest?“

„Nein, dass sie die Letzte ist. Meine Mutter wird sich jetzt voll und ganz darauf konzentrieren, sie unter die Haube zu bekommen.“

Lachend zog Reid sie an sich. „Ich möchte, dass du dein Restaurant bekommst. Sobald der Wahlkampf vorbei und das Büro geschlossen ist, werde ich dir dabei helfen.“

„Das dauert noch ein Jahr.“ Sie schlang die Arme um seinen Nacken. „Es erscheint mir wie ein ganzes Leben.“

„Ein ganzes Leben liegt vor uns, Darling. Babys. Ein Zuhause. Enkel, Urenkel. Das ist ein ganzes Leben. Gott, ich liebe dich so sehr, Katina Alexander.“

„Und ich liebe dich, Reid Danforth.“

Sie verloren sich in einem langen, heißen Kuss.

„Was meinst du“, sagte er, als er schließlich den Kopf hob, „wollen wir unsere Verlobung verkünden? Während die Presse noch da ist? Sie werden begeistert sein über diesen Exklusivbericht.“

„Die Presse?“ Sie biss sich auf die Lippe. „Jetzt?“

„Besser, du gewöhnst dich gleich daran, Darling. Bald bist du eine Danforth.“

„Daran kann ich mich auf jeden Fall gewöhnen.“

– ENDE –

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Dreißig Nächte der Versuchung erscheint in der HarperCollins Germany GmbH

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© 2004 by Harlequin Books S.A.
Originaltitel: „Man Beneath The Uniform“
erschienen bei: Silhouette Books, Toronto
Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

© Deutsche Erstausgabe in der Reihe BACCARA COLLECTION
Band 311 - 2012 by Harlequin Enterprises GmbH, Hamburg
Übersetzung: Brigitte Marliani-Hörnlein

Umschlagsmotive: Harlequin Books S.A.

Veröffentlicht im ePub Format in 10/2015 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 9783733765767

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.
CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:
BIANCA, JULIA, ROMANA, HISTORICAL, TIFFANY

 

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1. KAPITEL

Zack Sheridan sah mit finsterem Blick auf die Straßenlaternen hinaus, deren Licht durch die großen Fenster fiel. Dann drehte er sich gemächlich zu dem Mann um, der ihm in der Nische gegenübersaß.

„Sie beobachtet Fische?“ Danny Akiona, Vollblut-Hawaiianer und Navy-SEAL, Mitglied einer Spezialeinheit der US Navy, schaute seinen Freund an und lachte.

Du nervst, dachte Zack verärgert, musste sich aber eingestehen, dass er sich auch köstlich darüber amüsiert hätte, wenn nicht er, sondern Danny den Auftrag bekommen hätte.

Zack setzte die Bierflasche an und trank einen großen Schluck. Doch selbst der Alkohol konnte dem Spott seines Freundes nicht den Stachel nehmen. Er lehnte sich zurück und warf einen Blick auf die Menschen, die die Bar im Hafen füllten.

Paare saßen in den Nischen, Singles lungerten an der Bar herum und versuchten, Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, egal von wem. Aus der alten Jukebox, die mit einem bunten Mix aus Oldies bis hin zu Hip-Hop-Songs bestückt war, ertönte Musik. Die Kellnerinnen in ihren kurzen hautengen schwarzen Lederröcken, roten bauchfreien Tops und roten Stöckelschuhen drängten sich mit ihren vollen Tabletts durch die Menge und servierten Getränke.

Zack seufzte, als sein Blick auf eine besonders reizvolle blonde Bardame fiel, die ihren üppigen Busen in ein zwei Nummern zu kleines Top gezwängt hatte. Wenn er ein freier Mann wäre, hätte er sich an sie rangemacht und mit ihr die erste Nacht seines Urlaubs genossen. Doch da ihm dreißig Tage pure Hölle bevorstanden, war ihm nicht danach.

„Oh Mann.“ Danny lachte und schüttelte den Kopf. „Das ist einfach zu komisch.“

Zack warf seinem Freund einen wütenden Blick zu. „Wie schön, dass wenigstens einer von uns darüber lachen kann.“

„Es ist perfekt, Mann.“ Dannys braune Augen blitzten vor Vergnügen, und ein breites Grinsen zog über sein braun gebranntes Gesicht. „Wir bekommen einen Monat frei, um uns auszuruhen und zu erholen, und du wirst dazu verurteilt, Babysitter für eine Wissenschaftlerin zu spielen.“ Er prostete seinem Freund gut gelaunt zu. „Auf die vielen Frauen, die ich jetzt erobern werde, weil du für eine ganze Weile ausfällst.“

Ich werde ausfallen, okay, dachte Zack missmutig. Dreißig lange Tage sollte er eine junge Frau beaufsichtigen, die mit einem silbernen Löffel im Mund geboren worden war und ein Faible für Fische hatte.

„Der Monat wird lang werden.“ Zack blickte durch das Fenster hinaus auf das muntere Treiben auf der Straße vor der Bar.

Selbst an einem kalten Abend im Februar wimmelte es in Savannah vor Touristen. Mit der Kamera um den Hals, einen Reiseführer unter den Arm geklemmt wie eine Bibel, bummelten die Besucher durch die engen Straßen und das Hafenviertel. Die Souvenirläden brummten das ganze Jahr über, die Einheimischen zählten sorgfältig ihre Pennys und warteten sehnsüchtig auf den Sommer, wenn noch mehr Touristen das Städtchen bevölkerten.

Savannah war eine kleine, aber ungemein geschäftige Südstaatenstadt. Sie hatte einen bedeutenden Hafen, wunderbare alte Häuser und viele wirklich großartige Bars. Normalerweise hätte Zack sich auf ein paar freie Tage an diesem Ort gefreut. Er wäre durch die Stadt gewandert und hätte ein paar Südstaatenschönheiten aufgerissen. Doch sein Aufenthalt hier war dieses Mal rein dienstlich.

Man konnte ihn auch als Strafe bezeichnen.

„Es kam nicht überraschend“, sagte Danny und lenkte damit Zacks Aufmerksamkeit wieder auf das Thema. „Verdammt, du hast gewusst, dass du die Hucke vollkriegst, sobald wir nach Hause kommen.“

Zack zog sein Glas durch die Wasserringe, die es auf dem lackierten Holztisch hinterlassen hatte. Er sah seinen Freund an und fragte: „Hätte ich deiner Meinung nach anders handeln sollen?“

„Verdammt, nein.“ Danny richtete sich auf dem roten Ledersitz auf und legte beide Arme auf den Tisch. „Wenn du nicht wegen Hunter zurückgegangen wärst …“ Er verstummte und schüttelte den Kopf. „Unmöglich. Wir mussten ihn holen. Befehl oder nicht.“

„Genau.“ Sie prosteten sich zu.

Zack wusste, dass er das Richtige getan hatte – das Einzige, was er hätte tun können. Doch es tat gut zu wissen, dass sein Freund ihn in dieser Sache bestätigte. Die Regeln waren einfach, und er lebte danach. Ein Navy-SEAL ließ keinen Mann zurück. Wenn ein Team von sechs Mann loszog, dann kamen verdammt noch mal auch sechs Männer wieder zurück. Tot oder lebendig, jeder SEAL kehrte nach Hause zurück. Immer.

Erinnerungen schossen ihm durch den Kopf. Kurze Augenblicke blitzten auf, wurden lebendig und verblassten wieder. Er erinnerte sich ganz deutlich an alles. Die Mission vor zwei Wochen war von Anfang an schlecht gelaufen. Sein Team hatte den Auftrag gehabt zu unterwandern, einzudringen, zu retten, dann zu verschwinden. Schnell.

Doch irgendjemand hatte falsche geheime Informationen verbreitet. Die Geisel war nicht dort gewesen, wo sie sein sollte. Als Zack und die anderen ihren Mann endlich gefunden hatten, war nicht mehr viel Zeit geblieben. Ihre Tarnung war aufgeflogen, und auf Hunter Cabot war geschossen worden. Zack und der Rest des Teams hatten mit der Geisel schon das Schlauchboot erreicht, als sie gemerkt hatten, dass Hunter fehlte.

Zack hatte Bericht erstattet und den Befehl erhalten, Hunter zurückzulassen und schnellstens aus Dodge zu verschwinden. Allein der Gedanke daran, mit welcher Leichtfertigkeit das Leben eines SEALs weggeworfen werden sollte, machte ihn schon wieder wütend. Zack umklammerte seine Bierflasche. Niemals hätte er einfach einen Mann aus seinem Team zurückgelassen. Also hatte er den Befehl missachtet, seinem Team befohlen, die Geisel zu bewachen, und war allein zurückgegangen, um Hunter zu suchen.

Jetzt erholte sich Hunter in einem Krankenhaus, umgeben von heißen Krankenschwestern, und Zack war dazu verurteilt worden, Kindermädchen für eine Fachidiotin, einen Fisch-Nerd zu spielen.

Das Leben war unfair.

„Was für Fische, denkst du?“

„Wie bitte?“ Zack blickte Danny finster an.

„Ich meine“, sagte sein Freund, „vielleicht sind es ja so interessante Tiere wie Haie. Zu Hause habe ich mal einen Hai gesehen. Der war groß genug, um …“

„Bitte.“ Zack hob abwehrend die Hände. „Verschon mich heute mit deinen hawaiianischen Märchen, okay?“

Danny liebte nichts so sehr, wie von Hawaiis Schönheit zu schwärmen, den hohen Wellen, tollen Frauen und davon, wie viele dieser Frauen verrückt nach Danny Akiona waren. Heute war Zack nicht in der Stimmung, sich solche Geschichten anzuhören.

Danny grinste. „Schön. Wann triffst du die Fischfrau?“

„Bis morgen früh um acht Uhr bin ich ein freier Mann.“

„Aber hallo, brudda“, Danny benutzte das hawaiianische Wort für Bruder und fuhr dann mit seiner melodischen Stimme fort: „… dann bleibt uns ja die ganze Nacht.“

Zack lächelte. Er fühlte sich schon etwas besser. Acht Uhr lag in weiter Ferne. Im Gefängnis war er erst, wenn die Tür hinter ihm zuschlug. Noch war er ein freier Mann und konnte tun und lassen, was er wollte. „Du hast recht.“

„Auf jeden Fall.“ Danny bestellte die nächste Runde Bier, dann sah er Zack an. „Ich würde sagen, wir suchen uns ein paar heiße Ladys und amüsieren uns. Es ist für einen Monat deine letzte freie Nacht, brudda, also lass uns etwas daraus machen.“

Eine Nacht. Das hatten sie schon früher getan. Egal, in welchem Land oder in welcher Stadt sie gewesen waren, Danny und er hatten oft die Nacht zum Tag gemacht, Frauen aufgerissen und das Leben einfach genossen. Warum sollte er also nicht am Abend vor seinem neuen Auftrag auf Sauftour gehen?

Wie auch immer Kimberly Danforth – was für ein großkotziger Name – sein mochte, er musste diesem Fisch-Nerd erst morgen früh gegenübertreten. Und jeder SEAL lebte nach dem Motto: Lebe den Augenblick, denn du weißt nicht, ob es der letzte ist.

„Ich habe es schon einmal gesagt, aber ich wiederhole es gern noch einmal.“ Zack lehnte sich entspannt zurück und beschloss, den Rest des Abends zu genießen. „Hula“, er benutzte den Spitznamen, den das Team Danny gegeben hatte, „ich mag deine Art.“

Kim Danforth starrte auf den Telefonhörer in ihrer Hand, dann nahm sie ihn wieder ans Ohr. Sie war frustriert, und das Gefühl, diesen Kampf zu verlieren, wurde immer stärker. „Dad, das ist schlichtweg lächerlich. Ich will keinen Wachhund, und vor allem brauche ich keinen.“

Abraham Danforths kräftige, befehlsgewohnte Stimme dröhnte durch die Leitung. „Kimberly, akzeptier es für mich einfach. Diese Drohungen können wir nicht ignorieren.“

Die Angst um die Sicherheit ihres Vaters milderte ihren Frust etwas. „Dad, es hat nur eine Drohung gegeben, und sie war gegen dich gerichtet, nicht gegen mich.“

Eine lange Pause entstand, und sie hörte, wie er tief einatmete. Sie zählte bis zehn, wusste, dass er dasselbe tat. Abraham wog seine Worte immer sorgfältig ab und rühmte sich für seine Selbstbeherrschung. Sogar innerhalb der Familie überlegte er genau, was er sagte, dachte nach, bevor er sprach. Das war nur einer der Gründe dafür, dass er ein ausgezeichneter Kandidat für das Amt des Senators war.

„Kimberly, wer auch immer dahinterstecken mag, weiß mit Sicherheit, dass er mich am schwersten trifft, wenn er meiner Familie etwas antut.“

Kim seufzte. Ihr Vater hatte nie viel Zeit für die Familie gehabt. Als Geschäftsmann hatte er all seine Energie in das Wachstum des Wohlstandes der Danforths gesetzt, statt Zeit mit seinen fünf Kindern zu verbringen. Aber er liebte seine Kinder, und Kim wusste, dass er sich vor allem um sie sorgte, sein jüngstes Kind und einzige Tochter.

Sie wusste allerdings ebenfalls, dass er die Situation auch nutzte, um jetzt der Vater zu sein, der er gern gewesen wäre, als sie aufgewachsen war. Die Drohungen, die per E-Mail an Abraham geschickt worden waren, richteten sich nicht gegen seine Familie. Kim wusste genau, dass sie eigentlich nicht in Gefahr war – was den Gedanken an einen Bodyguard noch weniger akzeptabel machte. Aber sie brachte es nicht übers Herz, ihrem Vater eine Abfuhr zu erteilen und ihm einen weiteren Grund zur Sorge zu geben.

Außerdem hatte Harold, der jüngere Bruder ihres Dads, sie gebeten, auf die Bitte ihres Vaters einzugehen. Uncle Harold hatte gesagt, die ganze Familie wäre erleichtert, wenn sie Kim in Sicherheit wüsste.

„Bitte, hör einmal auf deinen alten Dad.“

Sie lächelte und schüttelte den Kopf. Sie hatte keine Wahl. Gegen ihren Vater und ihren Onkel kam sie nicht an, und das wusste sie. Harold Danforth war für sie und ihre Brüder eine Art Ersatzvater gewesen. Da er das Danforth-Unternehmen nicht verantwortlich leiten musste, hatte er Zeit für seine und Abrahams Kinder gehabt.

„Okay“, sagte sie. „Er kann mich beschützen. Aber er wird hier nicht wohnen.“

„Du hast Platz genug“, entgegnete Abraham kurzangebunden. „Bring ihn einfach in deinem Gästezimmer unter.“

„Dad, ich lasse keinen Fremden in meinem Haus wohnen.“

„Er ist kein Fremder. Er ist der Sohn von …“

„Deinem alten Kumpel von der Navy, ich weiß“, unterbrach sie ihren Vater, bevor sie erneut die alten Kriegsgeschichten anhören musste. Der einzige Krieg, der sie zurzeit interessierte, war der Privatkrieg um ihre Unabhängigkeit.

„Zack müsste jeden Moment da sein“, sagte ihr Vater gerade. „Ich erwarte, dass du kooperierst.“

„Dad …“

„Ich muss jetzt los.“

Das Freizeichen beendete das Telefonat. „War nett, mit dir gesprochen zu haben, Dad“, sagte sie und wünschte, sie hätte wenigstens einmal das letzte Wort gehabt.

Als es einen Augenblick später an der Tür klingelte, war Kim noch auf Kampf programmiert.

Sie öffnete die Tür einem Mann mit grimmigem Gesicht und dunkler Brille. Die ohnehin kleine Veranda vor ihrer Haustür mit den hübschen Blumenkübeln wirkte plötzlich noch kleiner. Sollte dieser Navy-SEAL etwa ihr Beschützer sein? Sahen die Männer vom Militär nicht gepflegter aus? „Ja?“

Der Mann blickte sie finster an und rieb sich die Stirn. „Müssen Sie so schreien?“ Seine Stimme klang kratzig, gedämpft.

„Ich habe nicht geschrien.“

„Sie schreien immer noch.“ Widerwillig nahm er seine Sonnenbrille ab und kniff die Augen gegen das grelle Tageslicht zusammen. „Scheiß-Morgen.“

Kim sah zu ihm auf. Der Mann war groß, mindestens einen Meter neunzig, hatte breite Schultern, eine schmale Taille und unglaublich lange Beine. Sein braunes Haar war militärisch kurz geschnitten, seine alten Jeans waren an den Knien abgewetzt und verwaschen. Der Kragen seines roten Hemdes war an einer Seite aufgestellt, die andere Seite nach innen geschlagen. Darüber trug er ein dunkelblaues Sweatshirt, das genauso verwaschen war wie seine Jeans. Seine Füße steckten in Turnschuhen. Er hatte grünblaue Augen, die jetzt rot unterlaufen war. Wahrscheinlich das Ergebnis einer durchzechten Nacht.

Dies kann nicht der Mann sein, den mein Vater mir geschickt hat, dachte sie. Zack Sheridan war ein Navy – SEAL – kein Mann, der mit Kater und unrasiert bei ihr auftauchen würde.

Sie wünschte plötzlich, sie hätte eine Sicherheitstür aus Eisen.

„Was wollen Sie?“

„Gute Frage.“ Seine tiefe Stimme ging ihr durch und durch. „Was ich will“, sagte er, „ist ein Aspirin und ein abgedunkeltes Zimmer. Vor allem möchte ich irgendwo sein, nur nicht hier.“

„Sehr charmant.“ Sie war kurz davor, ihm die Tür vor der Nase zuzuschlagen. „Warum besorgen Sie sich nicht diese Dinge? Fangen Sie am besten mit dem Letzten an und verschwinden Sie von hier.“

Sie wollte die Tür schließen, doch er schob seinen Fuß dazwischen.

Kim starrte ihn aus zusammengekniffenen Augen an. Das Herz rutschte ihr vor Angst fast in die Hose. Natürlich ließ sie es sich nicht anmerken. „Nehmen Sie den Fuß weg, Mister, oder ich zerquetsche ihn.“

„Lassen Sie uns noch einmal ganz von vorn beginnen.“ Er bewegte seinen Fuß keinen Millimeter.

„Nein.“ Sie zog fester an der Tür.

Er kniff die Lippen zusammen. „Das tut weh.“

„Das soll es auch.“

Er seufzte. „Sind Sie Kimberly Danforth?“

„Glauben Sie, damit mein Vertrauen zu gewinnen? Weil Sie meinen Namen kennen?“ Sie stemmte sich mit ganzem Gewicht gegen die Tür und hatte das Gefühl, dass sie sich bewegte.

Er legte eine Hand an die Tür und drückte zurück. Ohne große Anstrengung schaffte er es, die Tür einen Spalt weiter zu öffnen.

„He, lassen Sie meine Tür los.“

„Ich bin Zack Sheridan.“

„Schön für Sie.“

„Ihr Vater hat mich geschickt.“

Sie ließ ein wenig von der Tür ab, und er drückte diese mit seiner kräftigen Hand so weit auf, dass sie gegen die Wand schlug.

„Verdammt, ist das laut“, fluchte er und legte die Hand wieder gegen die Stirn, als wollte er so verhindern, dass ihm der Schädel platzte.

Kim überdachte die ganze Situation. Dieser Mann hatte offensichtlich einen entsetzlichen Kater, was nicht gerade Vertrauen weckte. Er hatte mehr Ähnlichkeit mit einem Pirat als mit einem Navy-SEAL. Gefahr ging von ihm aus, griff nach ihr und zerrte an ihren Nerven.

Allerdings drehte sich ihr der Magen nicht nur vor Angst um, sondern ihr war auch ganz flau, weil dieser Mann etwas unbeschreiblich Aufregendes ausstrahlte. Höchstwahrscheinlich war es besser, dieses Gefühl zu ignorieren.

Sicher, sie hatte der Bitte ihres Vaters zugestimmt. Doch beschlich sie das Gefühl, Abraham Danforth wäre – wenn er Zack in diesem Zustand sehen könnte – nicht begeistert von der Vorstellung, dass dieser Mann bei seinem kleinen Mädchen wohnte.

Also ließ sie sich von ihrem Instinkt leiten.

„Ich will Sie nicht hier haben.“ Kim hob den Kopf und sah ihm direkt in die Augen. „Ich brauche Sie auch nicht, egal, was mein Vater glaubt.“

„Lady, ich nehme nur Aufträge entgegen.“

„Das kann jeder behaupten.“

„Häh?“ Er kniff die blaugrünen Augen zusammen.

„Hören Sie.“ Sie nahm die Brille, die sie in den V-Ausschnitt ihres blauen T-Shirts geklemmt hatte, und setzte sie auf. Sie brauchte die Brille nur zum Lesen, doch sie hatte schon vor langer Zeit herausgefunden, dass ihr die Brille ein wenig Autorität verlieh. „Ich brauche Ihre Hilfe nicht, warum verschwinden Sie also nicht einfach?“

„Ich wünschte, ich könnte es.“ Er trat in ihr Haus und seufzte erleichtert, als er in das kühle Innere kam.

„Bitte, kommen Sie doch herein“, sagte sie trocken.

Er blickte sich in dem Raum um, als hätte sie nichts gesagt. Kim folgte seinem Blick und betrachtete ihr Zuhause durch die Augen eines Fremden.

Das kleine Cottage mit den zwei Schlafzimmern war über hundert Jahre alt und vereinte den Charme und die Schwächen eines alten Hauses. Die Rohrleitungen entsprachen nicht dem aktuellen Standard, und das Badezimmer war erbärmlich klein, dafür gab es eingebaute Bücherregale, einen integrierten Geschirrschrank in der Küche, und in die Wände waren Nischen für Vasen mit Blumen geschlagen. Der Garten war winzig, doch der Baum vor dem Haus war achtzig Jahre alt und spendete im Sommer den notwendigen Schatten.

Das Wohnzimmer war wie der Rest des Hauses klein wie eine Puppenstube. Doch die hellblau gestrichenen Wände wirkten wie ein wolkenloser Sommerhimmel. Vor dem gekachelten Ofen stand ein blau-weißes Sofa, ein bunter Teppich lag auf dem glänzenden Holzboden. An den Wänden hingen gerahmte Fotos von ihren Reisen und einige Gemälde von einem Marinezeichner. Es war ein Zuhause. Ihr Zuhause. Und sie wollte es mit niemandem teilen.

Nicht einmal vorübergehend.

„Schöne Wohnung“, sagte er.

„Danke. Und wenn Sie jetzt bitte …“

„Lady …“ Er verschränkte die Arme vor seiner beeindruckenden Brust und blickte sie aus blutunterlaufenen Augen an. „Ob es Ihnen passt oder nicht, dies stehen wir gemeinsam durch.“

Der Raum wirkte plötzlich viel kleiner, und die Luft wärmer. „Mir passt es nicht.“

„Wenn Sie glauben, ich habe Lust, in meinem Urlaub einen Fisch-Nerd zu beaufsichtigen …“

„Wie bitte?“ Kim richtete sich zu ihren nicht besonders beeindruckenden einen Meter siebzig auf und versuchte, ihn von oben herab zu behandeln. Nicht einfach, wenn man den Kopf in den Nacken legen musste, um überhaupt seinem Blick zu begegnen. „Ich bin zufällig Doktor der Meeresbiologie.“

„Ja? Und?“

„Ich ziehe diese Bezeichnung der eines Fisch-Nerd vor.“

„Wer würde das nicht.“ Er lachte, verstummte aber sofort wieder, als er ihre Verärgerung bemerkte. „Also schön. Dr. Danforth …“

Sie nickte. „Schon besser.“

„Und jetzt kommen Sie endlich von ihrem hohen Ross herunter, denn die nächste Zeit werden wir beide die besten Freunde sein.“

Heiße Wut kochte in ihr hoch, doch da war auch noch etwas anderes, was sie aber besser ignorierte. „Ich werde nicht …“

Er neigte den Kopf und lächelte sie geduldig an. Ein Lächeln, das er sicherlich für kleine Kinder und Halbidioten reserviert hatte.

„Ich rufe meinen Vater an.“ Ein Bluff, doch etwas anderes fiel ihr nicht ein.

Er nickte. „Grüßen Sie ihn von mir.“

Kim wurde immer wütender. Sie hatte das Gefühl, gleich zu explodieren. Diesen Mann würde sie nicht dreißig Tage lang in ihrem Haus ertragen. „Ich rufe Ihren Vorgesetzten an und beschwere mich bei ihm.“

Zack ließ sich auf einen der Sessel fallen, seufzte und streckte die langen Beine aus, als wäre es das Natürlichste auf der Welt, hier zu sein und es sich bequem zu machen. „Er wird sich freuen zu hören, dass ich meinen Dienst pünktlich begonnen habe.“

Kim verlor die Beherrschung. Sie glitt ihr durch die Finger wie das Band eines mit Helium gefüllten Luftballons an einem windigen Tag. Natürlich würde sein befehlshabender Offizier nicht auf sie hören. Dafür hatte ihr Vater bestimmt gesorgt.

„Ich rufe die Polizei an. Man wird Sie verhaften.“

Für einen kurzen Moment flackerte Hoffnung in seinen Augen auf. „Glauben Sie?“ Dann schüttelte er den Kopf. „Nein, vergiss es, Darling.“

Sie verkrampfte sich. „Nennen Sie mich nicht Darling.“

Er setzte die Sonnenbrille wieder auf, legte den Kopf an die Rückenlehne des Sessels und seufzte. „Kein Darling. Verstanden.“

„Dies wird nicht funktionieren“, sagte Kim angespannt.

Er schob seine Sonnenbrille etwas tiefer und schenkte ihr über den Rand der Brille hinweg einen warmen Blick und ein Lächeln, das irgendetwas völlig Unerwartetes in ihr auslöste. „Baby, ich bin ein SEAL. Ich bekomme alles hin.“

2. KAPITEL

Zack beobachtete, wie sie mit staksenden Schritten, das Telefon am Ohr, durch das Wohnzimmer lief und den armen Menschen, der das Pech hatte, am anderen Ende der Leitung zu sein, mit einer Flut von Beschwerden überschüttete.

Sie war stinksauer.

Und verdammt, sie sah gut aus.

Er lächelte in sich hinein. Mit zusammengekniffenen Augen, um sich gegen das grelle Sonnenlicht zu schützen, das den Raum durchflutete, bewunderte er die Frau, die irgendwie anders war, als er erwartet hatte. Wer hätte gedacht, dass ein Fisch-Nerd so gut gebaut sein konnte.

Ihr himmelblaues T-Shirt mit V-Ausschnitt schmiegte sich an ihre kleinen Brüste wie die Hände eines Lovers. Ihre langen Beine waren unter einer kakifarbenen Tunnelzughose versteckt, die tief auf ihren Hüften hing und einen verführerischen Blick auf ihre zarte, gebräunte Haut freigab. Die langen glatten schwarzen Haare hatte sie zu einem dicken Pferdeschwanz zusammengebunden, der auf ihrem Rücken hin und her schwang, als sie wütend durch den Raum marschierte.

„Es interessiert mich nicht, dass er in einer Besprechung ist“, sagte sie gerade laut und aufgebracht. „Ich will meinen Vater sprechen. Sofort.“ Pause. Dann: „Okay, ich bleibe dran.“

„Es wird nicht klappen“, murmelte Zack.

Sie warf ihm einen flüchtigen Blick zu. „Was soll nicht klappen?“

„Mich loszuwerden.“ Als ihr Gesichtsausdruck noch düsterer wurde und ihre großen grasgrünen Augen nur noch schmale Schlitze waren, hätte Zack fast gelacht. Wahnsinn, je wütender sie wurde, desto hübscher war sie. Und er war so unverschämt, die Show zu genießen. „Ich habe auch versucht, aus dieser Nummer herauszukommen. Keine Chance.“

„Sie haben es versucht?“

Ein kurzes, trockenes Lachen drang aus seiner Kehle. „Da können Sie sicher sein. Dachten Sie etwa, dies wäre meine Vorstellung von einer vergnüglichen Zeit?“

Nachdenklich legte sie die Hand über die Sprechmuschel des Telefons. „Warum haben Sie dann zugestimmt?“

„Lange Geschichte.“ Er faltete die Hände über seinem Bauch und trommelte mit den Fingern. Zack würde nicht die ganze traurige Geschichte von den unzähligen sinnlosen Malen erzählen, die er Widerstand gegen die Obrigkeit geleistet hatte. Es ging sie nichts an, und außerdem wollte er nicht daran denken. „Sagen wir mal so: Es war wesentlich besser als die Alternative.“

„Muss ja eine schöne Alternative gewesen sein.“

„Das können Sie mir glauben.“ Er gähnte. „Wenn ich diesen Auftrag abgelehnt hätte, hätte ich meinen Dienst quittieren können. Und dazu bin ich nicht bereit.“

„Also gut.“

Offensichtlich war sie zu einer Entscheidung gekommen, denn sie legte den Hörer auf und drehte sich zu ihm um. Sie verschränkte die Arme unter den Brüsten, nahm eine herausfordernde Körperhaltung ein und tippte mit den nackten Zehen auf den Teppich. „Damit dies funktionieren kann, sollten wir ein paar Grundregeln festlegen.“

„Ja?“ Zack lächelte. Er konnte nicht anders. Ihre kleine Drahtgestellbrille blitzte im Sonnenlicht, und sie presste die vollen Lippen zu einer schmalen − und wie sie wahrscheinlich glaubte − strengen Linie zusammen. Sie zog die schwarzen Augenbrauen hoch. Die Brille rutschte etwas tiefer. Nicht gerade die bedrohliche Haltung, auf die sie ohne Zweifel gehofft hatte.

„Schießen Sie los. So langsam werden Sie mir sympathisch.“

„Wie toll.“

Er grinste.

Sie hätte fast sein Lächeln erwidert, und Zack verspürte einen festen, aber unsichtbaren Schlag in die Magengrube. Verdammt, der Fisch-Nerd hatte außer einem schönen Körper noch andere heimliche Waffen.

„Okay, hier ist mein Vorschlag.“

Zack wartete.

„Ich erdulde Sie, und Sie können Ihren Auftrag ausführen, mich tagsüber zu bewachen.“

„Und?“

„Abends gehen Sie.“

„Verlockendes Angebot, aber inakzeptabel.“

Sie warf beide Hände in die Luft, dann schlug sie sie gegen die Schenkel. „Warum?“

Er erhob sich, weil der Sessel viel zu bequem war für einen Mann, der sich die ganze Nacht um die Ohren geschlagen hatte. „Weil ich den Befehl habe, den nächsten Monat wie eine Klette an Ihnen zu kleben. Und genau das werde ich auch tun.“

„Das ist nicht nötig.“

„Ob nötig oder nicht, ich werde es tun.“

Sie bebte fast vor Ungeduld. „Sie sehen doch, dass dieses Haus viel zu klein ist für zwei Menschen.“

„Es ist … etwas eng.“ Er hatte schon in Schützengräben gelegen, die mehr Manövrierraum boten.

„Es hat nicht einmal zwei richtige Schlafzimmer. Ursprünglich war es nur ein Schlafzimmer. Jemand hat es mit einer dünnen Sperrholzplatte in zwei Zimmer geteilt.“

„Worauf wollen Sie hinaus?“

„Es gibt keinen Platz für Sie.“

„Die Couch genügt mir.“

„Kommt nicht infrage.“

„Sie haben gar nichts zu sagen.“

„Wie bitte? Was soll das denn heißen?“ Er sah die Wut in ihren Augen aufblitzen. „Dies ist mein Haus!“

„Und ich bin Ihr Gast.“

Einen Moment lang sagte sie gar nichts, und Zack fragte sich schon, ob sie einlenken wollte. Doch er glaubte es nicht. Dafür war sie viel zu stur.

Er sollte recht behalten.

„Ich lasse nicht gern über mich bestimmen.“

Er lächelte. „Ich auch nicht. Wir geben sicher ein gutes Team ab.“

„Das bezweifle ich.“

Zack betrachtete sie lange, bis er schließlich zufrieden feststellte, dass sie unbehaglich von einem Fuß auf den anderen trat. Er war bereit, sich an eine Abmachung zu halten, aber er würde sich nicht von einer Wissenschaftlerin bevormunden lassen.

„Dr. Danforth, ich will genauso wenig hier sein, wie Sie mich hier haben möchten.“

„Dann …“

„Es ändert aber nichts an der Tatsache, dass ich hier bin. Und ich werde hier bleiben, bis mein Vorgesetzter mir befiehlt zu gehen.“

Kim schlich auf Zehenspitzen durch das dunkle Haus, froh darüber, dass sie vor sechs Monaten die Dielen hatten behandeln lassen. Sie knarrten nicht mehr, und so konnte sie sich absolut geräuschlos durch das winzige Cottage bewegen.

Darauf bedacht, nicht zu laut zu atmen, hielt sie die Hausschlüssel fest in einer Hand, damit sie nicht aneinanderschlugen. Ein verschmitztes Lächeln zog über ihr Gesicht. Sie freute sich über ihre arglistige Täuschung. Es macht richtig Spaß, dem allmächtigen SEAL, der jeden meiner Schritte bewachen soll, ein Schnippchen zu schlagen, dachte sie.

Sie hatte schon lange keinen Spaß mehr gehabt, und wenn es nicht nötig gewesen wäre, total leise zu sein, dann hätte sie vielleicht dem Drang nachgegeben, laut zu lachen. Schließlich musste sie auf jeden, der zufällig durch eines der Fenster sah, einen komischen Eindruck machen. Wie ein Einbrecher schlich sie durch ihr eigenes Haus.

Sie huschte an der Tür vorbei, die in ihr Arbeitszimmer führte – das jetzt dem Eindringling als notdürftiges Gästezimmer diente. Ihr Herzschlag beruhigte sich langsam. Als sie sich auf Zehenspitzen um die Ecke im Flur stahl und zum Wohnzimmer gelangte, kam ihr in den Sinn, dass sie sich noch nie in ihrem Leben aus einem Haus geschlichen hatte.

Die Mädchen an der privaten Highschool hatten oft davon erzählt, dass sie aus dem Haus geschlüpft waren, um sich heimlich mit Jungs zu treffen. Und dass sie vor der Morgendämmerung zurück sein mussten, um nicht von den Eltern oder Bediensteten erwischt zu werden. Doch Kim hatte so etwas nie getan. Sie war immer das „liebe“ Mädchen gewesen. Das gehorsame.

Das langweilige, dachte sie jetzt.

Sie schüttelte den Kopf, biss die Zähne zusammen und verdrängte die alten Erinnerungen. Es gab keinen Grund, sie hervorzukramen. Außerdem holte sie Versäumtes jetzt nach. Sie schlich sich aus dem Haus. Auch wenn es aus ihrem eigenen war.

Das Mondlicht schien durch die weißen Gardinen und tauchte den Raum in ein schummeriges Licht. Die Augen an die Dunkelheit gewöhnt und so vertraut mit den eigenen vier Wänden, dass sie blind durch das Haus hätte schleichen können, bewegte sie sich in Richtung Haustür. Vorsichtig schob sie den Türriegel zurück, bis er mit einem hörbaren Klick aufschnappte.

Sie zuckte bei dem Geräusch zusammen und hielt den Atem an. Wartete.

Als sie nichts hörte, lächelte sie wieder in sich hinein und legte die Hand an den kalten Türknauf aus Messing. Langsam drehte sie ihn. Der leise Seufzer der Tür, als diese aufsprang, klang wie ein lauter Aufschrei in ihren Ohren. Doch wieder war von ihrem Wachhund nichts zu hören. Noch einen oder zwei Schritte, dann wäre sie frei. Sie könnte ihren nächtlichen Spaziergang machen, ohne befürchten zu müssen, verfolgt zu werden. Ohne einen Mann ertragen zu müssen, den sie in ihrem Leben weder haben wollte noch brauchte.

Kim schob sich behutsam zur Tür hinaus und trat auf die dunkle Veranda. Sie drehte sich um und schloss die Tür mit einem kaum hörbaren Klick. Schließlich wollte sie den Wachhund nicht ungeschützt zurücklassen.

Zufrieden mit sich selbst, drehte sie sich um – und prallte gegen eine breite, harte Brust.

Ihr Schreckensschrei, so schrill und hoch, dass ihn eigentlich nur Hunde hören sollten, ging Zack durch Mark und Bein.

Doch sie erholte sich schnell von dem Schock, hob ihr rechtes Bein und stieß ihre Hacke mit voller Wucht auf seinen Spann. Während der Schmerz von dem Tritt noch frisch war, wirbelte sie schon herum und rammte ihren Ellenbogen in seinen Bauch. Der Schlag kam so überraschend, dass ihm die Luft wegblieb.

Benommen fragte Zack sich, wie ein Fisch-Nerd ihm so überlegen sein konnte.

Als sie sich erneut blitzschnell bewegte, setzte sein eigener Überlebensinstinkt wieder ein – gerade noch rechtzeitig, um seine Kehle vor ihren Händen zu retten.

Zack griff nach ihrem Handgelenk und hielt es fest. „Verdammt, Doc, ich bin es!“

Sie wehrte sich heftig gegen seinen Griff, zog und zerrte, bis sie schließlich ruhiger wurde. In dem Moment wusste er, dass seine Worte zu ihr durchgedrungen waren. Sie starrte ihn an, und er sah ihren Puls in ihrer Halsgrube schlagen. Ihr Atem ging stoßweise, und ihre weit aufgerissenen grünen Augen wirkten im Mondlicht riesig.

„Sie?“ Nur ein Wort, doch sie brachte es kaum über die Lippen. Ihre Kehle war wie zugeschnürt vor Angst.

„Ja. Also regen Sie sich ab.“

„Abregen?“ Sie schnappte nach Luft, dann holte sie mit ihrer freien Hand aus und stieß die Faust in seinen Bauch.

Dieses Mal war er auf den Angriff vorbereitet. Er spannte die Muskeln an, und ihr Schlag prallte an ihm ab.

„Noch einmal“, murmelte er und schnappte sich auch die andere Hand, „und ich könnte zurückschlagen, Darling.“

Autor

Cathleen Galitz
<p>Cathleen Galitz hat als Autorin schon viele Preise gewonnen und unterrichtet an einer kleinen Schule im ländlichen Wyoming Englisch. Ihr Ehemann und sie haben zwei Söhne, die ihre Eltern mit ihren vielen unterschiedlichen Aktivitäten ganz schön auf Trab und damit auch jung halten. Cathleen liest sehr gerne, geht oft Golf...
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