Der Rancher und die Lady

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Liebe und Romantik? Kein Thema für Rory Compton. Er sucht eine Frau, die mit ihm zusammen auf seiner einsam gelegenen Farm leben will. Sie muss die Natur, aber nicht die Glitzerwelt der Großstadt lieben. Dass die glamouröse Modejournalistin Allegra Hamilton diese Kriterien alle nicht erfüllt, ist nur zu offensichtlich. Doch Rory, der ihr die elterliche Ranch abkaufen will, muss viel länger in ihrer verführerischen Nähe bleiben als geplant. Und ausgerechnet in diese Frau, die er sich so gar nicht in Jeans und Karohemd vorstellen kann, verliebt er sich unsterblich ...


  • Erscheinungstag 09.06.2008
  • Bandnummer 1744
  • ISBN / Artikelnummer 9783863493370
  • Seitenanzahl 160
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Rory Compton lächelte, obwohl er eigentlich schlechte Laune hatte. Wieso war die Hauptstraße von Jimboorie mittags so leer? Nicht mal ein streunender Hund ließ sich blicken. Keine Kinder tollten umher, und keine besorgten Mütter waren zu sehen. Nirgendwo wurde ein Pick-up mit neuen Vorräten beladen, kein staubiger Jeep näherte sich aus dem Umland und gab den Bewohnern Gelegenheit, dem Fahrer freundschaftlich zuzuwinken.

Rory hatte seinen Platz günstig gewählt. Er saß auf der oberen Veranda von Vince Doughertys Pub und konnte das Zentrum der kleinen Kreisstadt, in der vor allem das Rathaus und der Park bemerkenswert waren, gut beobachten. Er trank sein Bier aus und kapitulierte endgültig vor der riesigen Portion Roastbeef mit Mixed Pickles, die Katie Dougherty ihm hingestellt hatte. Er war als Einziger nicht nach „Jimboorie Station“ hinausgefahren, der historischen Ranch, nach der man die Stadt benannt hatte. Dort fand heute die große Besichtigung statt, und Rory kämpfte mit sich, ob er nicht doch noch aufbrechen sollte. Vielleicht würde sich seine Stimmung dann ein wenig bessern.

Wenn er Vince glauben durfte, lohnte es sich, das von Grund auf renovierte Herrenhaus in Augenschein zu nehmen, das noch vor Kurzem eine halbe Ruine gewesen war.

„Der letzte Besitzer Angus Cunningham hat das schöne Haus verfallen lassen“, hatte Vince ihm erklärt. „Ein merkwürdig alter Kauz, der sich allen anderen überlegen gefühlt hat!“

Der Name Cunningham war Rory natürlich bekannt. Die Cunninghams zählten zu den Outback-Pionieren, die das Land zu dem gemacht hatten, was es jetzt war. Sie gehörten zu den Schafzüchtern, die das Channel Country, diese von Flüssen durchzogene Wüste im tiefen Südwesten von Queensland, kultiviert hatten.

„Der neue Besitzer, ein Großneffe von Angus, hat ein Vermögen für die Renovierung ausgegeben“, hatte Vince weiter berichtet. „Er würde sich bestimmt über Ihren Besuch freuen.“

Das bezweifelte Rory nicht, aber seit dem bösen Streit mit seinem Vater vor zwei Wochen verspürte er zu nichts Lust. Er lebte eher in den Tag hinein, zog von einer kleinen Stadt zur nächsten und hielt nach einer Ranch Ausschau, die er mithilfe eines Bankkredits vielleicht finanzieren konnte. Die wirklich großen Objekte, die über hundert Millionen Dollar wert waren, lagen jenseits seiner Möglichkeiten, aber mit dem Erbe von seinem Großvater brachte er es gut und gern auf zwei Millionen – eine Summe, um die ihn mancher beneidet hätte.

„Ich vermache deinem Bruder Jay außer der Ranch nur einige persönliche Erinnerungsstücke“, hatte Trevis Compton vor Jahren zu Rory gesagt, als sie auf den Stufen vor dem Haus saßen und einen der unvergleichlichen Sonnenuntergänge beobachteten. „Jay als Älterer von euch beiden erbt ‚Turrawin Station‘, so schreibt es die Tradition vor. Grundbesitz zu teilen, ist niemals gut. Jay ist ein braver Junge, und ich liebe ihn aufrichtig, aber er ist nicht wie du, Rory. Du bist zu Großem berufen, und ein kleines finanzielles Polster wird dir nach meinem Tod vielleicht den Start erleichtern.“

Rory meinte noch heute die Stimme seines Großvaters zu hören. Wie konnten zwei Männer so verschieden sein? Trevis und Bernard Compton hatten absolut nichts gemein. Vielleicht spielte es eine Rolle, dass Trevis immer ein harmonisches Eheleben geführt hatte, während Bernard in seiner Ehe gescheitert war. Wie auch immer … dieser letzte Streit vor zwei Wochen hatte das Fass zum Überlaufen gebracht. Bernard hatte Rory in übelster Weise beschimpft und dann praktisch aus dem Haus geworfen.

„Wie konnte Vater das tun?“, hatte Jay unglücklich gefragt, als er Rory anschließend in der Halle begegnet war. Seine Sympathie galt dem jüngeren Bruder, aber es fehlte ihm die Kraft, ihn zu verteidigen. Das wäre auch sinnlos gewesen. Bernard Compton ließ sich bei seinen Entscheidungen von niemandem beeinflussen. Was machte es da aus, dass Rory die Ranch während der letzten vier Jahre erfolgreich bewirtschaftet hatte? Sein Vater wollte ihn um jeden Preis los sein. Manchmal war es Rory so vorgekommen, als müsste er sich zwingen, ihn überhaupt anzusehen.

Besonders nah hatten sie sich nie gestanden, und dafür gab es einen triftigen Grund. Rory glich zu sehr seiner Mutter, die ihren Mann verlassen hatte, als ihre Söhne zwölf und vierzehn Jahre alt gewesen waren. Lauras Verschwinden löste einen ungeheuren Skandal aus und brachte die restliche Familie in beträchtliche Schwierigkeiten. Bernards Verhalten wurde unerträglich, sodass seine Söhne bald in Angst und Schrecken vor ihm lebten.

Jay weinte, wenn er mit der Reitpeitsche geschlagen wurde, während Rory die Zähne zusammenbiss, was seinen Vater nur noch wütender machte. Beide atmeten auf, als sie aufs Internat geschickt wurden. Nach Hause zurückgekehrt, waren sie größer und stärker als ihr Vater und zwangen ihn dadurch, auf Schläge zu verzichten und nur noch seine scharfe Zunge als Waffe einzusetzen.

„Sobald Dad gestorben ist, mache ich dich zu meinem gleichberechtigten Partner“, hatte Jay immer wieder versprochen, und er meinte es ehrlich. Er liebte und bewunderte Rory, der alle Eigenschaften besaß, die ihm selber fehlten. „Ohne dich könnte ich ‚Turrawin‘ niemals halten, das wissen wir beide. Die Männer achten nur dich. Weder Dad noch ich haben Grandads Fähigkeiten geerbt, aber du bist der geborene Viehzüchter.“

Rory lehnte sich seufzend auf seinem Stuhl zurück. Sein Vater hatte ihn tief verletzt, seinen Willen jedoch nicht gebrochen. Noch besaß er alles, was ihm eine glänzende Zukunft verhieß: Jugend, Gesundheit, Kraft und einen wachen Verstand. Er hatte vor, sich sein eigenes Imperium aufzubauen – ganz langsam, Schritt für Schritt. Er würde wie seine Vorfahren eine neue Compton-Dynastie gründen. Demnächst – und zwar ziemlich bald, denn er war gerade achtundzwanzig geworden – würde er sich eine Frau nehmen. Eine junge, die im Outback aufgewachsen war, das Land liebte und in der unendlichen Weite leben konnte und sich nicht nach städtischem Trubel sehnte.

Von der großen Liebe träumte Rory nicht. Liebe war niemals von Dauer, das machte sie so fragwürdig. Er brauchte eine Partnerin, die bereit war, ein Leben lang mit ihm durch dick und dünn zu gehen. Dann wäre es nicht weiter schwierig, sich gemeinsam eine Zukunft aufzubauen. Wenn sie jung und nicht gerade hässlich war, könnte es auch mit dem Sex klappen. Rory wünschte sich Kinder.

Er hielt sich für den geborenen Vater und war überzeugt, dass er die Fehler seines Vaters, unter denen er und Jay so gelitten hatten, vermeiden würde. Im Outback wurden harte, zähe Männer gebraucht und keine Tyrannen wie Bernard Compton.

Rory stand auf und reckte sich. Unten auf der Straße war noch immer alles still. Er hatte Zeit – viel Zeit. Warum sollte er nicht zur „Jimboorie Ranch“ hinausfahren? Vince hatte ihm den Weg genau beschrieben. Das alte Herrenhaus sollte glänzend renoviert sein und war gewiss sehenswert. Vielleicht besserte sich dort endlich seine Stimmung. Der Name des neuen Besitzers sollte Clay sein, Clay Cunningham. Vor Jahren hatte er einen Clay gekannt, doch der war Aufseher auf der „Havilah Ranch“ gewesen und hatte mit Nachnamen Dyson geheißen. Colonel Forbes, der inzwischen verstorbene Besitzer von „Havilah“, hatte große Stücke auf ihn gehalten und ihn angeblich sogar in seinem Testament bedacht. Gut möglich, dass Clays Aufstieg damals begonnen hatte.

Rory erkannte auf den ersten Blick, dass „Jimboorie“ zu den Besitzungen gehörte, die für ihn so unerreichbar waren wie der Planet Neptun. Die Gäste tummelten sich noch immer auf dem weiten Rasen vor dem Haus, aber einige strebten bereits dem Parkplatz zu, der mit Fahrzeugen aller Marken und Preisklassen überfüllt war.

Nachdem Rory eine Lücke für seinen Wagen gefunden hatte und ausgestiegen war, sah er sich zuerst im Garten um. Er war großzügig und fachmännisch angelegt und wies eine seltene Vielfalt von Bäumen und Büschen auf, die, wie Rory vermutete, längere Trockenzeiten und heiße Sandstürme gut überstehen konnten.

In einem langen, schattigen Laubengang, der von üppig blühenden kirschroten Bougainvilleen gebildet wurde, begegnete er zwei jungen Frauen, die ihn erkannten und schüchtern anlächelten. Rory hob eine Hand und erwiderte ihr Lächeln, ohne zu ahnen, wie sich sein Gesicht dadurch veränderte. Es verlor mit einem Schlag den ernsten, fast düsteren Ausdruck.

„Jimboorie House“ beeindruckte ihn nachhaltig, denn er hatte es sich weder so weitläufig noch so großartig vorgestellt. Es übertraf bei Weitem alle historischen Herrenhäuser, die er früher durch seine Mutter kennengelernt hatte. Laura war äußerst beliebt gewesen. Ihr Name hatte selten auf einer Gästeliste gefehlt, und wenn sie selbst auf „Turrawin“ ein Fest gab, ließ sich niemand ein so glanzvolles Ereignis entgehen.

Warum hatte sie die Familie eigentlich verlassen? Bernard Compton behauptete immer noch, dass die verwöhnte Städterin so lange mit ihrer Flucht aus dem trostlosen Outback gewartet habe, bis ihre Söhne alt genug waren, um ihr Handeln zu verstehen. Inzwischen begriff Rory, was für ein Leben seine Mutter hier draußen geführt hatte, noch dazu mit einem starrsinnigen, unbeherrschten Mann, der vor Gewalt nicht zurückschreckte. Er nahm es ihr auch nicht übel, dass sie nach der Scheidung wieder geheiratet hatte. So etwas kam alle Tage vor, wenn es für die Kinder auch manchmal folgenreich war.

Bernard hatte sich vor Gericht das Sorgerecht erkämpft, was ihm mit seinem Namen, seinem Geld und Einfluss nicht schwergefallen war. Das Sorgerecht mit Laura zu teilen, kam ihm nicht in den Sinn. Seiner Meinung nach trug sie allein die Schuld am Scheitern ihrer Ehe. Er verachtete sie und stellte sich selbst als tragisches Opfer hin. Eigene Fehler zuzugeben, hielt er für eine Charakterschwäche.

Anfangs durften die Brüder ihre Mutter noch regelmäßig sehen, aber der empfindsame Jay litt jedes Mal so sehr unter der neuerlichen Trennung, dass die Besuche immer seltener wurden und schließlich ganz aufhörten. Auch Rory empfand seelische Qualen und brachte seine Verzweiflung – erst bei seiner Mutter und dann bei seinem Vater – zum Ausdruck.

„Habe ich es nicht immer gesagt?“, triumphierte Bernard bei solchen Gelegenheiten. „Sie will euch nicht. Sie wollte euch nie. Sie ist eine selbstsüchtige, herzlose Hexe. Wir können von Glück sagen, dass wir sie los sind!“

Nein, dachte Rory, während er jetzt die Halle von „Jimboorie House“ betrat. Als Eltern hätten beide keinen Preis verdient. War es jedoch wirklich ein Glück gewesen, die Mutter los zu sein? Kummer, Zorn und Verzweiflung hatten alles nur noch schlimmer gemacht. Bernard war vor allem in seinem Stolz gekränkt, und seine Söhne verdrängten die Erinnerung an eine Mutter, die ihnen immer sanft, liebevoll und fröhlich erschienen war. Warum sie die Familie trotzdem verlassen hatte, blieb ein Rätsel, das Rory lieber nicht lösen wollte.

Bei der Wahl seiner eigenen Frau würde er vorsichtiger vorgehen, Augen und Ohren offenhalten und sich auch nicht durch Schönheit verführen lassen. Zugegeben, hübsche Frauen konnten ihm gefährlich werden – vielleicht sogar mehr als anderen Männern –, aber wenn es um seine Zukunft ging, würde er einen kühlen Kopf bewahren.

Jedenfalls traute er sich das zu.

Vince Dougherty entdeckte Rory, als dieser gerade das prächtige Treppenhaus des Herrensitzes bewunderte. Es machte einen wahrhaft königlichen Eindruck und war vermutlich das Werk eines bekannten Innenarchitekten aus Brisbane oder Sydney.

„Da sind Sie ja!“ Vince strahlte, als hätte er Rory seit Tagen gesucht und endlich wiedergefunden. „Was sagen Sie zu dem Haus?“ Er schüttelte Rory die Hand und schlug ihm anschließend kräftig auf die Schulter. „Auf Ihr Urteil lege ich großen Wert“, meinte er plump vertraulich.

„Es freut mich, dass Sie mich so einschätzen“, antwortete Rory, ohne Vince wirklich ernst zu nehmen. „Das Haus ist absolut fantastisch.“

Vince warf sich in die Brust, als wäre er Besitzer, Architekt und Landschaftsgärtner in einer Person. „Habe ich es Ihnen nicht gesagt? Sie hätten gleich mitkommen sollen. Haben Sie die Cunninghams schon getroffen?“

Rory schüttelte den Kopf. „Noch nicht, aber ich wollte mir eigentlich nur das Haus ansehen. Wie ich bereits sagte … ich bin lediglich auf der Durchreise.“

„Wer weiß?“ Vince lächelte verschwörerisch. Er hatte eine hohe Meinung von Rory und hätte ihn gern für die Gemeinde gewonnen. „Da oben ist übrigens Carrie.“ Er wies auf die Galerie. „Mrs. Caroline Cunningham.“

Rory sah in die angegebene Richtung und entdeckte die junge blonde Frau sofort. Sie stand mit einigen Freundinnen zusammen, die über etwas lachten, was sie gerade gesagt hatte. Den Gesichtern nach musste es sehr komisch gewesen sein.

„Eine schöne Frau“, meinte er mit ehrlicher Bewunderung. „Sie passt in dieses Haus.“

„Nicht wahr?“ Vince tat, als wäre alles sein Verdienst. „Sie ist ein Engel, und Clay bezeichnet sich zu Recht als den glücklichsten Mann der Welt. Wo er nur steckt? Sie beide werden sich wunderbar verstehen.“

„Verraten Sie mir, wo ich ihn finde“, antwortete Rory, der selbst neugierig war.“ Übrigens, da kommt Ihre Frau.“

„Die gute Katie.“ Vince winkte seiner Frau zu, die er anscheinend immer noch vergötterte. „Wir müssen sowieso in die Stadt zurück. Versuchen Sie es mal draußen im Garten … vielleicht am Brunnen. Vor einigen Minuten war Clay noch dort.“

„Danke.“ Rory tippte lässig an seinen Akubra. Es konnte nichts schaden, den Besitzer von „Jimboorie Station“ persönlich in Augenschein zu nehmen.

Der Brunnen bestand aus drei sich verjüngenden Marmorschalen und ließ in der Mitte eine kräftige Fontäne in den Himmel steigen. Vielleicht war er etwas zu monumental geraten, aber das störte niemanden, am wenigsten die Kinder, die nur mit Mühe davon abzuhalten waren, sich gegenseitig nass zu spritzen oder die untere Brunnenschale als Badewanne zu benutzen.

Nicht weit entfernt stand auf dem Rasen, der sanft zu einem Bach abfiel, ein gut aussehender junger Mann, der nur der Besitzer von „Jimboorie“ sein konnte. Stolz betrachtete er sein Eigentum – von dem stattlichen Wohnhaus bis hinunter zum Bach, an dem Schilf und unzählige weiße Wasserlilien wuchsen. Rory näherte sich ihm ohne Scheu. Dieser Mann musste Clay Dyson sein, da gab es für ihn keinen Zweifel.

„Ja, er ist es!“, rief er schon von Weitem. „Clay Dyson, ‚Havilahs‘ ehemaliger Aufseher.“

Der Mann drehte sich um und erkannte Rory ebenfalls sofort. Lächelnd streckte er ihm die Hand entgegen. „Nicht mehr Dyson, sondern Cunningham“, meinte er dabei. „Cunningham ist übrigens mein richtiger Name. Wie geht es dir, und was führt dich hierher? Wie schön, dich wiederzusehen.“

„Ich freue mich auch.“ Rory hatte immer viel von Clay gehalten. „Meinen allerherzlichsten Glückwunsch!“ Er zeigte auf das Haus, dessen Fassade im Sonnenlicht schimmerte. „Dahinter steckt doch eine Geschichte?“

Clay nickte lächelnd. „Du hast recht. Die gibt es tatsächlich … sogar eine sehr lange. Vielleicht erzähle ich sie dir einmal. Um es kurz zu machen … all das ist Ergebnis einer Familienfehde. Du kennst die Geschichte?“

„Allerdings“, gestand Rory.

„Zum Glück gehört das inzwischen der Vergangenheit an“, fuhr Clay fort. „Großonkel Angus hat mir ‚Jimboorie‘ hinterlassen. Meine Frau Caroline und ich sind gerade erst mit der Renovierung fertig geworden. Sie war aufwendig und viel kostspieliger, als ich es mir eigentlich leisten konnte.“

„Das kann ich mir vorstellen. Ich wohne für einige Tage in Vince Doughertys Pub. Er hat mich zu diesem Besuch gedrängt, und ich bin froh, dass ich gekommen bin.“

„Die Freude ist ganz auf meiner Seite“, erklärte Clay. „Hast du Caroline schon kennengelernt?“

„Die hübsche Blondine mit den großen braunen Augen?“

„Ja, das ist sie.“ Clay konnte seine Genugtuung nicht verbergen.

„Gesprochen habe ich noch nicht mit ihr, aber du hast zweifellos das große Los gezogen.“

„Das musst gerade du sagen.“ Clay schien mit Rorys veränderten Verhältnissen nicht vertraut zu sein. „Wie geht es Jay und deinem Vater?“

„Meinem Bruder geht es gut. Er erbt die Ranch, aber zwischen mir und meinem Vater ist es aus. Deshalb führe ich zurzeit ein Vagabundenleben.“

Clay ließ sich durch Rorys lässigen Ton nicht täuschen. „Das ist hart für dich“, meinte er, „denn die Comptons gehörten wie die Cunninghams zu den Pionierfamilien des Landes.“

„Das Ganze war nur eine Frage der Zeit“, erklärte Rory. „Irgendwann musste ich ‚Turrawin‘ verlassen und mir etwas Neues suchen. Jetzt ahne ich, warum mir mein Grandad seine gesamten Ersparnisse hinterlassen hat. Er wusste, dass ich das Geld eines Tages brauchen würde. Natürlich ist es nicht genug, um etwas so Feudales wie ‚Jimboorie‘ zu erwerben, aber für eine kleine Ranch dürfte es reichen.“

Clay sah nachdenklich vor sich hin. „Hältst du eine Versöhnung für ausgeschlossen?“

„Ja.“ Rory nahm seinen Hut ab und fuhr sich durch das dichte schwarze Haar. „Ich würde es gar nicht erst versuchen. Dieser Abschnitt meines Lebens liegt hinter mir. Nur der arme Jay tut mir leid. Er muss jetzt allein mit allem fertig werden.“

„Vielleicht kann ich dir helfen“, sagte Clay in einem Ton, als wüsste er bereits die Lösung. „Warum gehen wir nicht ins Haus? Sprich mit Caroline … bleib zum Abendessen. Wir haben Gäste, die hier übernachten. Du willst doch nicht unbedingt in die Stadt zurück, oder?“

„Um Himmels willen, nein!“ Rory fühlte sich bereits viel besser. „Ich bleibe gern, wenn deine hübsche Frau nichts dagegen hat.“

„Bestimmt nicht.“ Clay lag viel daran, die Freundschaft mit Rory wieder aufzufrischen. „Sie wird dich mit offenen Armen aufnehmen, und wir beide können über alte Zeiten reden.“

„Abgemacht.“

Clays unverfälschte Gastfreundschaft tat Rory gut. Seltsam, dachte er, das Schicksal schenkt einem Freunde, wenn man es am wenigsten erwartet.

2. KAPITEL

Es fiel Rory nicht schwer, sich in dem großen, hohen Gästezimmer wohlzufühlen. Für einen Mann von seiner Größe war es weitaus bequemer als das bescheidene Zimmer in „Dougherty’s Pub“.

„Bleib doch hier“, hatte Clay ihn mehrmals aufgefordert. „Wir werden im Lauf des Abends etwas trinken, und bis zur Stadt ist es ziemlich weit. Alle anderen Gäste übernachten auch hier. Wir haben mehr als genug Platz. Zwölf Schlafzimmer, von denen einige allerdings noch möbliert werden müssen.“

Rorys Raum hatte einen dunklen Parkettboden, der teilweise von einem wertvollen Teppich verdeckt wurde. Dunkel gebeizte moderne Teakholzmöbel verliehen dem Ambiente eine leicht maskuline Note. Vorhänge, Kissen und Bettdecke waren aus mattgelber Thaiseide gearbeitet, was allem einen fernöstlichen Touch gab.

Da Rory in einem kurzärmligen Khaki-Shirt gekommen war, hatte Clay ihm für den Abend ein feineres Hemd geliehen. Sie hatten fast die gleiche Figur, und wie Rory beim Anziehen feststellte, saß das Kleidungsstück wie angegossen.

Um sieben Uhr sollte es im Wohnzimmer Cocktails geben. Inzwischen war es fast so weit, und er warf noch schnell einen letzten Blick in den Spiegel. Es verblüffte ihn immer wieder, wie sehr er seiner Mutter glich. Er hatte ihr glänzendes schwarzes Haar, ihren dunklen Teint und vor allem die silbergrauen Augen geerbt, ebenso die hohen Wangenknochen und die untere Gesichtspartie.

Nie wäre er auf den Gedanken gekommen, dass ihm diese Ähnlichkeit einmal Unglück bringen würde. Bei Jay war es genau umgekehrt. Er kam zu sehr seinem Vater nach, was dem eigensinnigen Tyrannen gleichermaßen missfiel. Charakterlich waren sie zum Glück grundverschieden. Jay konnte niemandem etwas antun. Er war der liebenswürdigste Mensch von der Welt, aber nicht zum Rancher geboren. Nach der Rückkehr aus dem Internat hatte er den Wunsch geäußert, Medizin zu studieren, und damit einen Sturm der Entrüstung ausgelöst.

„So ein Blödsinn!“, hatte Bernard ihn angeschrien. „Was sind das für Hirngespinste? Du bist mein Erbe und wirst eines Tages die Ranch übernehmen. Alles andere schlag dir gefälligst aus dem Kopf!“

Rory verspürte noch jetzt den alten Zorn, als er an die damalige Auseinandersetzung dachte. Nun war Jay allein mit dem bösen, verbitterten Mann. Noch der kleinste Fehler würde ihm angelastet werden, denn sein Bruder war keine Kämpfernatur und konnte nicht für sich einstehen. Rory wusste, sein Bruder hätte, genau wie er, ihrem Vater keine Träne nachgeweint.

„Nimm dich zusammen“, sagte er halblaut zu seinem Spiegelbild. „In dieser Stimmung bist du für die Gesellschaft nicht gerade ein Gewinn.“

Die meisten Gäste hatte er schon kennengelernt. Da waren die Stapletons und die Mastermans, zwei nette Ehepaare in seinem Alter. Nicht sehr aufregend, zumindest nicht aufregender als die junge Chloe Sanders mit ihrem gewellten braunen Haar und den blauen Kinderaugen. Sie war tief errötet, als er sie ansprach – wahrscheinlich aus Schüchternheit.

Über Chloes Schwester Allegra, die ebenfalls zu Gast, aber noch nicht aufgetaucht war, hatte Caroline ihm verraten: „Sie ist erst kürzlich geschieden worden und hin und wieder ziemlich niedergeschlagen. Seit einiger Zeit wohnt sie bei ihrer Mutter und Schwester auf deren Ranch ‚Naroom‘. Der Vater hat sich während eines Aufenthalts in Neuguinea mit Malaria angesteckt und ist hier im Krankenhaus gestorben. Eine Katastrophe für die drei Frauen, wie Sie sich denken können.“

Anschließend hatte Caroline noch kurz die Geschichte von Allegras gescheiterter Ehe mit Mark Hamilton, einem renommierten Börsenmakler aus Sydney, erzählt.

Rory wurde schon erwartet, als er das Wohnzimmer betrat. „Da bist du endlich“, begrüßte ihn Clay. „Was möchtest du trinken? Ich habe unter anderem eisgekühlte Martini-Cocktails vorbereitet.“

„So einen sollten Sie unbedingt probieren“, raunte Meryl Stapleton Rory zu und hob ihr Glas. „Clay hat mir verraten, dass der Drink kaum Martini, aber sehr viel Gin enthält.“

Rory lachte. „Ich bin kein Freund von Cocktails … so oder so.“

„Wie wäre es dann mit einem Bier?“, fragte Clay.

„Gern.“ Rory nahm Flasche und Glas und setzte sich zu Chloe auf das Sofa. Diese errötete prompt und rutschte etwas zur Seite, um ihm Platz zu machen. Von ihrer Schwester war immer noch nichts zu sehen. Vielleicht litt sie wirklich an Depressionen.

Greg Stapleton machte aus seiner Neugier keinen Hehl und wollte von Rory wissen, ob er mit den Comptons aus dem Channel Country verwandt sei. „Ich meine die Rinderbarone“, fügte er erklärend hinzu.

Offenbar hatte Clay seine Gäste nicht informiert, was Rory nur lieb war. Nichts war ihm jetzt unangenehmer, als an seine Familie erinnert zu werden, aber der Frage konnte er nicht ausweichen.

„Ganz recht, Greg“, erwiderte er. „Ich gehöre zu den Channel-Comptons.“

„Na, fabelhaft!“, rief dieser aus. „Was hat Sie dann in diesen entfernten Winkel verschlagen?“

Rory hätte am liebsten nicht geantwortet, doch er musste auf seine Gastgeber Rücksicht nehmen. „Ich will mir etwas Eigenes aufbauen“, erklärte er.

„Tatsächlich?“ Greg machte ein ungläubiges Gesicht. „‚Turrawin‘ gehört zu den größten und besten Betrieben des Landes. Dort müsste es doch genug für Sie zu tun geben.“

„Ich habe einen älteren Bruder“, entgegnete Rory gleichgültig, obwohl der Rauswurf seinen Lebensnerv getroffen hatte. „Er wird die Ranch erben. Übrigens war es schon immer mein Wunsch, auf eigenen Füßen zu stehen.“

„Das wird Ihnen bestimmt gelingen“, mischte sich Chloe ein, wobei sie Rory eine Hand auf den Arm legte.

„Zweifellos“, stimmte Greg ihr zu, „aber grundsätzlich lehne ich das Erstgeburtsrecht ab. Es widerspricht der Erfahrung und ist hoffnungslos überholt.“

„Ah, da kommt Allegra.“ Caroline freute sich über die Unterbrechung und stand auf, um den Neuankömmling zu begrüßen. Clay hatte ihr einiges über Rory erzählt, und sie wusste, dass er nicht gern über seine persönlichen Verhältnisse sprach. „Wie ist es mit einem Cocktail vor dem Essen?“

Autor

Margaret Way
<p>Mit mehr als 110 Romanen, die weltweit über elf Millionen Mal verkauft wurden, ist Margaret Way eine der erfolgreichsten Liebesroman-Autorinnen überhaupt. Bevor sie 1970 ihren ersten Roman verfasste, verdiente sie ihren Unterhalt unter anderem als Konzertpianistin und Gesangslehrerin. Erst mit der Geburt ihres Sohnes kehrte Ruhe in ihr hektisches Leben...
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Margaret Way
<p>Mit mehr als 110 Romanen, die weltweit über elf Millionen Mal verkauft wurden, ist Margaret Way eine der erfolgreichsten Liebesroman-Autorinnen überhaupt. Bevor sie 1970 ihren ersten Roman verfasste, verdiente sie ihren Unterhalt unter anderem als Konzertpianistin und Gesangslehrerin. Erst mit der Geburt ihres Sohnes kehrte Ruhe in ihr hektisches Leben...
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