Der Reiz des Fremden - Blind Dates mit Folgen

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ENDLICH DER RICHTIGE?

Eventplanerin Holly Denison möchte ihr Schicksal endlich selbst in die Hand nehmen: Der Traummann für ihre eigene Hochzeit muss doch zu finden sein! Auf einem Blind Date trifft sie den attraktiven, erfolgreichen Jake. Wenn er doch nur ebenso vom Heiraten überzeugt wäre…

VERGISS NICHT ZU LEBEN

"Zum Ersten, zum Zweiten, zum Dritten! Und dieser Mann gehört Ihnen." - Bei einer Wohltätigkeitsauktion ersteigert ihre exzentrische Tante für Patsy ein Blind Date mit einem attraktiven Junggesellen: Sergeant Ray Darling. Was als Scherz begann, geht bald viel tiefer, denn Ray rührt längst verstummte Saiten in Patsy. Seine zärtlichen Küsse zeigen ihr, wie schön das Leben ist. Trotzdem hat sie Angst, sich ihm zu öffnen. Denn in seinem Job bei der Air Force schwebt Ray ständig in Gefahr. Und noch einmal würde Patsy es nicht verkraften, einen geliebten Menschen zu verlieren …

BLIND DATE AM VALENTINSTAG

Als die hübsche Cari entdeckt, dass Max gar nicht ihr Blind Date für den Valentinstag ist, ist es bereits zu spät: Sie hat sich auf den ersten Blick in den gut aussehenden Geschäftsmann verliebt. Doch auch er hält sie für jemand anderes - seine zukünftige Frau!

ICH LIEBE DICH, MEIN ENGEL

Was für eine Nacht voller Erotik und Lust - Josie ist glücklich, dass sie das "erste Mal" mit ihrem Blind Date Bob erleben durfte. Jede Nacht küsst er sie auf seinem Hausboot in den Himmel der Liebe. Doch dann merkt Josie, dass Bob nicht der ist, für den sie ihn gehalten hat …

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Ein knisterndes Blind Date im sonnigen Florida? Joes sexy Fantasie wird Wirklichkeit - mit Meg, die ein wahr gewordener Männertraum ist! Verständlich also, dass Joe alles daransetzt, sie in sein Bett zu locken. Doch aus dem erotischen Intermezzo wird schon bald ein gefährliches Abenteuer …

GEWAGTES BLIND DATE

Eine heißes Blind Date mit sinnlichen Folgen …

Es ist Atlantas heißester Nachtclub für Blind Dates - und Lacey will sich endlich mal wieder richtig amüsieren. Tanzen, feiern, flirten. An den Computern um sie herum chatten andere Gäste anonym und suchen noch ihren Traummann. Aber Lacey hat schon den perfekten Kandidaten für sich entdeckt: Den geheimnisvollen, ganz in Schwarz gekleideten Fremden nah der Bar will sie unbedingt näher kennenlernen. Auch wenn er bereits mit einer anderen Frau verabredet zu sein scheint. Doch Lacey hat einen sinnlichen Plan, um ihn auf sich aufmerksam zu machen ….


  • Erscheinungstag 19.07.2018
  • ISBN / Artikelnummer 9783733736323
  • Seitenanzahl 816
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Cover

Ally Blake, Bonnie Gardner, Raye Morgan, Lori Foster, Cheryl Anne Porter, Julie Elizabeth Leto

Der Reiz des Fremden - Blind Dates mit Folgen

IMPRESSUM

Endlich der Richtige? erscheint in der HarperCollins Germany GmbH

Cora-Logo Redaktion und Verlag:
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© 2003 by Ally Blake
Originaltitel: „The Wedding Wish“
erschienen bei: Harlequin Enterprises Ltd., Toronto
Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

© Deutsche Erstausgabe in der Reihe ROMANA
Band 1560 - 2004 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg
Übersetzung: Irmgard Sander

Umschlagsmotive: SanneBerg / Getty Images

Veröffentlicht im ePub Format in 07/2018 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 9783733736484

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.
CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

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1. KAPITEL

„Ich werde heiraten!“, verkündete Holly. Sie war an diesem Morgen fünfzehn Minuten zu spät dran und knallte ihre Aktenmappe auf den Schreibtisch ihres Büros in der Event-Agentur „Wolke Sieben“.

„Du machst was?“, ertönte Beth’ Stimme entgeistert aus dem Lautsprecher der Telefonanlage.

Holly setzte sich an ihren Schreibtisch, schlug die Beine übereinander und entdeckte die Laufmasche in ihrer Strumpfhose. Ihre Stimmung erreichte einen erneuten Tiefpunkt. Sie nahm sich ein Paket mit einer neuen Strumpfhose von dem Vorratsstapel in der untersten Schublade des Schreibtisches und ging in das zu ihrem Büro gehörige Bad, um sich umzuziehen. Zwar musste sie laut werden, um von dort aus über die Telefonanlage von Beth verstanden zu werden, was bei ihrer gegenwärtigen Laune jedoch kein Problem war. „Ich sagte, ich werde heiraten!“

„Aber ich kann mich nicht erinnern, dass du dich in den vergangenen sechs Monaten mehr als einmal mit demselben Mann verabredet hättest“, wandte ihre Freundin am anderen Ende der Leitung verblüfft ein, „geschweige denn, dass du einem davon so nahegekommen wärst, um ihn heiraten zu wollen!“

Hollys Assistentin Lydia wählte genau diesen Moment, um das Büro zu betreten. Sie blieb wie angewurzelt stehen, so dass aus dem Becher, den sie in der Hand hielt, der Kaffee beinahe überschwappte, und starrte fast beleidigt auf die Telefonanlage. Holly kam aus dem Bad, wieder makellos bekleidet, winkte Lydia ungeduldig zu, und diese stellte den Kaffeebecher sogleich in Reichweite für Holly auf den Schreibtisch.

Ohne um Erlaubnis zu bitten, mischte sich Lydia ganz selbstverständlich in das Privatgespräch ein. „Habe ich euch richtig verstanden? In der kurzen Zeit, die ich gebraucht habe, um Holly einen Kaffee zu machen, hat sie sich einen Bräutigam an Land gezogen?“

„Bist du das, Lydia?“, fragte Beth am anderen Ende der Leitung.

Lydia beugte sich über die Telefonanlage. „Wie geht es dir, Beth? Wann kommt das Baby?“

„Oh, es geht mir bestens, und das Baby soll ungefähr in einem Monat kommen …“

„Bitte, Mädels“, unterbrach Holly die beiden. „Hier werden gerade ganz wesentliche Entscheidungen für mein Leben getroffen.“

Lydia machte sofort eine Geste, als würde sie sich die Lippen verschließen.

„Tut mir leid, Darling“, meldete sich Beth vergnügt. „Aber Lydia ist schuld. Du weißt genau, dass ich mich nicht zurückhalten kann, wenn mich jemand nach dem Baby fragt. Bitte, rede jetzt weiter.“

„Danke.“ Holly atmete tief ein. „Heute Morgen, als ich gerade am letzten Block in der Lonsdale Street entlangging, hat mich dieser … Mann praktisch platt gewalzt. Mein Aktenkoffer landete in der Gosse, die Kulis rollten über die Straße, und meine wichtigen Unterlagen flatterten über den Gehweg. Und als ich dann auf Händen und Knien meine Sachen wieder einsammelte, besaß dieser Typ auch noch die Frechheit, mir zu sagen, ich solle besser aufpassen!“

„War er süß?“, erkundigte sich Lydia sofort.

Nein, süß war nicht der treffende Ausdruck. Holly rief sich seine braunen Augen in Erinnerung. Die dunklen Schatten der Erschöpfung darunter hatten unwillkürlich ihr Mitgefühl geweckt. Aber sein finsterer Blick, als er erkannte, dass sie alles fallen gelassen hatte, hatte derartige Gefühle rasch wieder erstickt. Trotz seines gereizten Tons hatte seine Stimme einen tiefen, warmen Klang gehabt … mit einem Anflug von amerikanischem Akzent. Nein, süß traf es wirklich nicht.

„Groß“, antwortete Holly zögernd. „Dunkles, zerzaustes Haar. Grübchen in beiden Wangen. Hat angenehm geduftet. Aber das tut nichts zur Sache.“

„Tut nichts zur Sache?“, widersprach Beth über das Telefon. „Er klingt perfekt!“

„Das meine ich auch“, pflichtete Lydia ihr bei.

Und Beth, die einen starken Hang zum Esoterischen hatte, fügte schwärmerisch hinzu: „Gerade wenn man aufhört zu suchen, findet er dich. Es ist Kismet.“

Holly verdrehte die Augen. „Er hat mich nicht gefunden, Beth, sondern mich ausgeschimpft und verletzt. Sieh her!“ Sie zeigte Lydia eine kleine Schürfwunde an ihrem Knie, und ihre Assistentin machte ein mitfühlendes Gesicht.

„Und den Burschen willst du heiraten?“, fragte sie dann etwas verwirrt.

„Nein! Ihr habt beide nicht verstanden, worum es geht. Diese schreckliche Episode hat mir die Augen geöffnet. Mein geselliges Leben beschränkt sich ausschließlich auf den Besuch von Partys, die wir organisieren. Anstatt Männer kennen zu lernen, lerne ich nur männliche Partylöwen kennen. Die führen mich mit ihrem attraktiven, charmanten und selbstbewussten Auftreten in die Irre, aber sie sind nichts als Blender. Der ‚Gentleman‘ von vorhin war sehr attraktiv, kompromisslos und rücksichtslos und somit die Verkörperung all dessen, was den Männern, die ich kennen lerne, fehlt. Das ist eine narrensichere Theorie.“

„Ich muss zugeben, ich bin verwirrt“, sagte Lydia. „Wenn es nicht der Typ ist, wen, in aller Welt, willst du dann heiraten?“

„Das ist ja der Punkt … Ich bin zu dem Schluss gekommen, dass Ben ihn für mich finden wird.“

„Mein Ben?“, fragte Beth übers Telefon.

„Natürlich. Siehst du denn nicht, dass das der einzige Weg ist? Ben arbeitet für eine große Firma und hat viele Angestellte unter sich, zumeist junge Männer, die er selbst ausgesucht hat und somit besser kennt als jeder andere. Er kann mir jemanden aussuchen, den er selber gut leiden mag, und dann werden wir vier auf immer die besten Freunde sein. Du weißt schon … man lebt Tür an Tür, lädt sich gegenseitig zum Grillen ein, geht gemeinsam auf Campingtour …“

„Aber du hasst Camping!“

„He, Beth, ich scherze nicht. Du musst doch zugeben, der Plan ist perfekt.“

„Und das alles, weil du auf der Straße mit einem sehr attraktiven, gut riechenden Burschen mit Grübchen zusammengeprallt bist?“, fragte Beth, immer noch ungläubig.

„Es war, als hätte er mir bei unserem Zusammenprall etwas Vernunft eingebläut.“

„Er hat dir wohl eher eine Gehirnerschütterung verpasst“, meinte Lydia respektlos, was Holly mit einem ungnädigen Blick quittierte.

„Der Typ muss ja ein toller Hecht gewesen sein, um ausgerechnet dich zu veranlassen, vom Heiraten zu reden“, meldete sich Beth über die Telefonanlage.

„Was soll das heißen … ausgerechnet mich?“

„Komm schon, Holly. Ich kenne keine Frau, die so beherrscht und unabhängig ist wie du. Du meine Güte, du hast in deinem Schreibtisch im Büro sogar einen Stapel Ersatzstrumpfhosen in verschiedenen Farben!“

Hollys Blick schweifte unwillkürlich zu besagtem Stapel. Sie stieß die Schublade mit dem Fuß zu.

„Und plötzlich willst du dein zukünftiges Glück in die Hände eines anderen Menschen legen“, fuhr Beth fort.

„Ben ist nicht irgendjemand, das weißt du genau. Ich traue ihm zu, dass er eine gute Wahl treffen wird.“

„Ich kann nicht glauben, dass du es wirklich ernst meinst“, gestand Beth. „Aber gut, komm heute Abend zum Essen zu uns, damit wir meinen armen, ahnungslosen Mann überfallen können.“

„Danke, Beth. Du bist die beste Freundin auf der Welt.“

„Dass du mir es bloß nicht vergisst!“

Nachdem Beth das Gespräch beendet hatte, ging auch Lydia zur Tür. Auf der Schwelle drehte sie sich aber noch einmal um und fragte: „Hat er dir geholfen, deine Sachen wieder aufzuheben?“

Holly, die sich bereits den Unterlagen auf ihrem Schreibtisch zugewandt hatte, blickte auf. „Wie? Ja, er hat praktisch sofort sein Gepäck abgestellt und sich gebückt, um mir zu helfen. Aber dabei hat er mich ausgeschimpft, weshalb das auch ohne Bedeutung ist.“

„Und du bist mit gesenktem Kopf und in Gedanken schon ganz bei deinen heutigen Projekten vor dich hin gegangen, ohne auf irgendetwas zu achten, stimmt’s?“

„Sicher …“

„Aber das ist auch ohne Bedeutung, richtig?“

Holly warf Lydia einen giftigen Blick zu, was diese jedoch nicht abschreckte.

„Ein großer dunkelhaariger, gut aussehender Fremder rennt dich um und geht dann in die Knie, um dir zu helfen. Und du hältst das für schlecht. Ich dagegen würde den Rest des Tages verträumt aus dem Fenster sehen, wenn mir so etwas passieren würde. Leider habe ich nicht so viel Glück. Ich musste mich auf dem Weg hierher mit einer Horde Schüler in die U-Bahn quetschen.“ Lydia seufzte dramatisch, und Holly lächelte wider Willen.

„Dir ist doch klar, dass ich dein Boss bin und es deshalb dein Job ist, mich gebührend zu bedauern, oder?“

„Und ich dachte, es sei mein Job, dir Kaffee zu bringen, auf Stühlen zu stehen, so dass du mich mit Stoffen behängen kannst, und alle Anrufe von irgendwelchen Männern abzuwimmeln, mit denen du am Abend zuvor ein langweiliges Date verbracht hast.“

„Natürlich“, antwortete Holly nach kurzem Überlegen, „das auch.“

Lydia verließ den Raum und ging zurück an ihren Schreibtisch, um zumindest eine Weile verträumt aus dem Fenster zu sehen und sich vorzustellen, sie würde die Lonsdale Street entlanggehen und mit großen dunkelhaarigen, gut aussehenden Fremden zusammenprallen.

Jake half dem Fahrer, die letzten Gepäckstücke in den Kofferraum des Taxis zu laden. Als sie dann losfuhren, strich er sich durch das zerzauste Haar, lehnte sich zurück und ließ den Blick einen Moment auf dem erschöpften Ausdruck seines Spiegelbildes im Seitenfenster verweilen.

Dann wandte er den Blick nach draußen, wo die ihm vertrauten Häuserfluchten seiner Heimatstadt vorbeizogen. Er war sich noch nicht sicher, was er davon halten sollte, wieder zu Hause zu sein. So weit, so gut. Und eine heiße Dusche und ein erholsamer Schlaf in seinem eigenen Bett würden es noch besser machen. Aber wie lang würde es diesmal dauern, bis in ihm der Wunsch erwachte weiterzuziehen?

So oder so, Melbourne war eine großartige Stadt. Wenn er allein an die bezaubernde Frau dachte, mit der er gerade auf der Straße den kurzen Austausch gehabt hatte. Eine typische Frau aus Melbourne … heller, seidiger Teint, elegant bis ins kleinste Detail, ein hinreißendes Gesicht und eine natürlich selbstbewusste Haltung. So eine Frau fand man sonst nirgendwo auf der Welt. Jedenfalls er hatte bislang keine solche gefunden. Während der Fahrt nach Hause schweiften seine Gedanken immer wieder zu der Brünetten mit den blitzenden blauen Augen, die es irgendwie geschafft hatte, ihn aus seiner sonst für ihn typischen Gemütsruhe zu reißen.

Jetlag. Es musste am Jetlag liegen.

„Schatz?“ Bens Stimme schallte aus der Eingangsdiele.

Holly schluckte. Sie hatte nicht gehört, dass er die Haustür aufgeschlossen hatte.

„Wir sind hier, Darling!“ rief Beth, die in einem Sessel saß, den sie ihrem schmerzenden Rücken zuliebe in die Küche geschleppt hatten. Holly begegnete dem bezeichnenden Blick ihrer Freundin. Das ist deine letzte Chance, es dir noch anders zu überlegen, besagte er. Aber Holly war fest entschlossen. „Folge einfach dem köstlichen Duft von Brathähnchen à la Holly in die Küche.“

Ben kam herein, beugte sich herab und küsste seine Frau, ohne auch nur zu fragen, warum der Wohnzimmersessel in der Küche stand. Holly hielt ihm ebenfalls ihre Wange zum Kuss hin und wurde nicht enttäuscht.

„Was verschafft uns das Vergnügen deiner Gesellschaft, Prinzessin?“ Ben spähte über ihre Schulter auf das so verlockend duftende Abendessen. Holly gab ihm einen Klaps auf die Finger, als er versuchte, sich ein Stück Tomate zu stibitzen.

Nach einem prüfenden Blick auf Beth, die ihr hinter Ben aufmunternd den hochgereckten Daumen zeigte, antwortete Holly: „Ich möchte, dass du mir zu einem Date mit einem deiner Angestellten verhilfst.“ Mit angehaltenem Atem wartete sie auf das unvermeidliche Nein.

„Kein Problem“, erwiderte Ben, und Holly war zu verblüfft, um ihn daran zu hindern, eine Kirschtomate zu naschen.

„Wirklich?“

„Natürlich. Es geht um Derek aus der Lohnbuchhaltung, stimmt’s? Der hat schon seit langem ein Auge auf dich geworfen.“

„Also zuerst einmal … es geht nicht um Derek. Ich meine … igitt!“

„Komm schon, Ben“, kam Beth ihr zu Hilfe. „Du weißt doch, dass sie auf große dunkelhaarige, attraktive Männer steht. Derek ist ein Langeweiler.“

„Um wen geht es dann?“

Holly räusperte sich umständlich und erklärte Ben dann mit wachsender Begeisterung ihre geniale Theorie und ihren Plan, bis Ben nicht mehr daran zweifeln konnte, dass sie es ernst meinte.

„Ihr beide meint es ernst, richtig?“, fragte er unnötigerweise.

„Todernst“, bekräftigte seine Frau. „Ich habe ihr Horoskop erstellt … Holly ist scharf.“ Sie bemerkte Bens entsetzten Blick und stieß ihn lachend in die Rippen. „Scharf auf die ganz große Chance natürlich, du Dummkopf. Nein, es ist wirklich ernst, Ben. Sie kommt allmählich in die Jahre.“

„Sie ist siebenundzwanzig, du meine Güte!“

„Und ich möchte ihre Ehrendame sein, solange ich noch jung und hübsch genug bin, wenigstens eine kleine Chance zu haben, die Braut auszustechen.“

„Ihr beide seid komplett verrückt, und ich sollte euch nicht mehr in einem Raum miteinander allein lassen!“ meinte Ben kopfschüttelnd.

„Aber du wirst es tun, nicht wahr, Darling?“

Ben begegnete den erwartungsvollen Blicken der beiden Frauen und brachte es nicht übers Herz, abzulehnen.

2. KAPITEL

Am nächsten Abend flanierte Holly also am Arm des Ehemannes ihrer besten Freundin durch die vordere Bar des Sport- und Nachtclubs „Fun and Games“. Sie hatte sich schwer in Schale geworfen und trug ein hautenges, schulterfreies schwarzes Seidenkleid, dessen Rock bis zum Oberschenkel geschlitzt war.

„Hattest du für heute Abend an irgendjemand Bestimmten für mich gedacht?“ brüllte sie Ben ins Ohr, damit er sie über die dröhnende Musik hinweg verstehen konnte.

„Also, ehrlich gesagt, habe ich dein Foto an die Wand in der Männertoilette in der Firma gepinnt zusammen mit einem Hinweis, dass du heute Abend hier sein würdest“, antwortete er ungerührt. „Auf diese Weise können sie dich ganz zwanglos ansprechen.“

„Das ist nicht komisch!“ Holly kniff ihn ziemlich unelegant in den Arm. „Was ist das überhaupt für eine Veranstaltung hier?“

„Von unserer eigenen Firma. Das ist Lincolns Idee. Wir veranstalten all unsere Feiern in den verschiedenen Clubs, die uns gehören, so dass wir praktisch ständig in uns selber investieren.“

Holly nickte. „Genial. Nur schade, dass ‚Lincoln Holdings‘ all seine Veranstaltungen intern managt. Ich hätte viel Spaß mit einem Budget dieser Größenordnung.“ Sie schmiegte sich enger an Ben. „Ist der große Boss heute auch hier?“

„Lincoln? Tut mir leid, Holly, aber den kannst du von deiner Liste streichen. Er hat in den letzten Jahren unsere internationalen Geschäfte von New Orleans aus geleitet.“

„Ich wette, er ist groß und dunkelhaarig und umwerfend attraktiv“, meinte Holly schmollend, und Ben lächelte nur. Holly wertete diese Reaktion als einen Hinweis, dass sein Boss ein verheirateter Workaholic war mit drei nervenden Kindern, einem Bierbauch und zu hohem Blutdruck.

Ben nahm ihre Hand und zog Holly hinter sich her durch die Menschenmenge in einen privaten Veranstaltungsraum, der zu einer Art Theater umgestaltet worden war. Deckenscheinwerfer tauchten den Raum in blendendes Licht, schalldichte Wände schlossen die dröhnende Popmusik von nebenan aus, so dass man nur das Klingen von Gläsern und ein fröhliches Stimmengewirr hörte.

Sie folgte Ben zu ihrem Platz vorbei an mehreren attraktiven Männern in Abendanzügen, deren Anblick ihr Herz höherschlagen ließ. Nachdem sie dann Platz genommen hatten, wandte sie sich an Ben, um ihn zu fragen, was sich hinter dem Samtvorhang verbarg, der in der Mitte des Raumes von der Decke bis zum Boden reichte. Doch genau in diesem Moment wurde er langsam hochgezogen und enthüllte … einen Boxring!

Ben unterhielt sich mit zwei Kollegen in der Reihe davor. Begeistert fachsimpelten sie über die beiden Boxer, die gleich vor ihnen zur Sache gehen würden.

Holly zupfte Ben am Ärmel. „Da vorn ist ein Boxring.“

Er lächelte nachsichtig. „Damit die Boxer für sich bleiben und sich nicht durch die Menge prügeln.“

„Aber … ich dachte, dies sei eine Geschäftsfeier und wir würden am Tisch sitzen und gepflegt zu Abend essen und du würdest mich lauter eleganten, distinguierten Herren vorstellen.“

„Wir sitzen. Wir essen.“ Ben warf sich eine Hand voll Nüsse in den Mund, die er von einem vorbeikommenden Ober aufgegriffen hatte. „Und dies hier sind Mark und Jeremy.“ Die beiden unscheinbaren Herren mittleren Altes aus der Reihe vor ihnen lächelten höflich.

Holly packte Ben bei den Satinaufschlägen seines Smokings und sorgte so dafür, dass das übermütige Funkeln in seinen Augen rasch erstarb. „Aber so habe ich es mir ganz und gar nicht vorgestellt!“

„He, entspann dich, Holly. Es wird dir gefallen.“

Holly verschränkte mit skeptischer Miene die Arme. „Es überrascht mich, dass sich ‚Lincoln Holdings‘ mit einer derart primitiven und zweifelhaften Unternehmung in Verbindung bringen lässt.“

„Sämtliche Angestellte von ‚Lincoln Holdings‘, vom Geschäftsführer bis hin zum Wachpersonal, treffen sich zu diesen Abenden. Bürointerne Probleme wirken plötzlich klein und nichtig, wenn man sie damit vergleicht, wie schwer sich diese Burschen im Ring ihren Lebensunterhalt verdienen müssen. Und du solltest doch am besten wissen, dass man bei einem erfolgreichen Gag bleiben sollte.“

„Aber dies ist nicht bloß ein Gag, Ben. Hier werden die Leute ermutigt, ihre Probleme mit den Fäusten auszutragen. Wessen Idee war das überhaupt?“

„Lincolns natürlich“, antwortete Ben lächelnd. „Der Gute ist eine Quelle der Inspiration.“

Holly dachte jetzt eher an einen Schlägertyp und war plötzlich froh, dass Bens Boss die Veranstaltung nicht besuchen würde. Sie hätte ihm nämlich unmissverständlich klargemacht, was sie von seiner kleinen Soiree hielt … ohne Rücksicht auf seinen Blutdruck. Es frustrierte sie maßlos, dass sich zu Hause in ihrem „magischen“ Aktenkoffer, wie Lydia ihn immer bewundernd nannte, allein ein Dutzend besser geeignete und fantasievollere Ideen für derartige Veranstaltungen befanden.

Ein Raunen lief durch die Menge, als in diesem Moment ein Ansager, bekleidet mit Abendanzug und schwarzer Fliege, in den Ring sprang und von den Deckenbalken ein Mikrofon herabgelassen wurde. Die Leute erhoben sich von ihren Plätzen. Holly tat es ihnen nach, aber nur, um sich einen Weg durch die Reihen zu bahnen und sich irgendwo eine Zuflucht zu suchen.

Im Waschraum sank sie auf eine große, mit pinkfarbenem Samt bezogene Ottomane, die mitten in dem Raum stand. Sie schloss die Augen und malte sich aus, wie sie sich an Ben rächen würde, als sie hörte, wie die Tür aufging. In der Erwartung, Trost bei einer mitfühlenden Seelenverwandten zu finden, öffnete Holly die Augen … und erblickte eine Person, die alles andere als feminin war!

Herein kam ein Mann, der gut einen Meter neunzig groß sein mochte, bekleidet mit einem Smoking, der maßgeschneidert auf den breiten Schultern saß und die athletische Statur betonte. Der Anblick allein raubte Holly den Atem. Vielleicht war dieser Abend ja doch kein Flop.

Im nächsten Moment jedoch machte es bei ihr klick … Tags zuvor war sein dunkles Haar noch länger und zerzaust gewesen. Jetzt war es frisch geschnitten und elegant frisiert. Aber die dichten Brauen und die dunkelbraunen Augen waren unverkennbar … Das war der Grobian, der sie gestern auf der Straße über den Haufen gerannt hatte!

Sofort war sie hellwach und auf der Hut. Der Typ strahlte Charisma und Selbstvertrauen aus. Jede andere Frau hätte dieser gefährlichen Kombination vermutlich nicht widerstehen können. Aber sie, Holly, war nicht irgendeine x-beliebige Frau. Sie hatte eine narrensichere Theorie, und sie hatte Ben, der sie genau gegen solche Kerle abschirmen sollte.

Nur, wo war Ben, wenn sie ihn wirklich brauchte? Schön, sie und ihre Theorie mussten sich selbst verteidigen. Und ihr wichtigstes Anliegen war, den Mann zu vertreiben, bevor er sie wiedererkennen würde!

Holly sprang auf. „Entschuldigen Sie, aber dies ist der Waschraum für Damen!“

Der Fremde nahm es gelassen. „Dem ist nicht so“, antwortete er mit leicht amerikanischem Akzent und deutete auf zwei Türen auf der anderen Seite des Raumes. „Dort geht es zu den getrennten Waschräumen. Dies ist eine gemeinschaftliche Ruhezone.“

„Oh.“ Holly sank zurück auf die Ottomane. Nun gut, er würde also jeden Moment im Waschraum für Herren verschwinden, so dass sie ihr Heil in der Flucht suchen konnte.

Aber den Gefallen tat er ihr nicht. Schließlich blickte Holly unbehaglich auf und musste feststellen, dass der Typ lässig an der Tür lehnte, ihr somit den Weg nach draußen versperrte, und sie beobachtete. Unübersehbar amüsiert ließ er den Blick über ihr dunkles Haar schweifen, das sie an diesem Abend zu kunstvollen Locken hochgesteckt hatte, weiter hinab über ihr zartes Gesicht, das unter seinem intensiven Blick errötete, und hinunter über ihren Hals und ihre Schultern, die ihr plötzlich ganz furchtbar entblößt vorkamen.

Holly folgte dem Blick des Fremden weiter hinab und stellte fest, dass der Schlitz im Rock ihres Kleides uneingeschränkt ihre langen, übereinander geschlagenen Beine enthüllte. Die schimmernden, hauchzarten Strümpfe ließen die leichte Schürfwunde am Knie erahnen, die sie sich bei dem kleinen Handgemenge mit ihm auf der Straße zugezogen hatte. Rasch stellte Holly die Beine nebeneinander und zog den Rock über die Knie, um die verräterische Wunde zu verbergen.

Eine Geste, die ihrem Gegenüber natürlich nicht entging. Ein kleines Lächeln, bei dem jeder Frau die Knie weich geworden wären, huschte über sein Gesicht, und geradezu unwiderstehliche Grübchen erschienen in beiden Wangen.

Bleib stark, Holly. Bleib stark.

Ihre einzige Hoffnung war, dass das belustigte Funkeln in seinen braunen Augen kein Hinweis darauf war, dass er sie erkannt hatte!

Sie war es. Sie musste es sein. Sie war die Frau mit dem Aktenkoffer und dem hitzigen Temperament.

Sie war ganz anders gekleidet und schrie ihn diesmal nicht an … also hätte er sie eigentlich gar nicht erkennen dürfen. Aber er hatte während des gestrigen und des heutigen Tages unaufhörlich an ihr seidiges dunkles Haar, die ausdrucksvollen Augen und ihre natürliche Eleganz denken müssen, dass er schon fast überzeugt gewesen war, sie sei lediglich eine durch das Jetlag hervorgerufene Einbildung gewesen.

Doch sie war Wirklichkeit. Kaum zu glauben … er ging durch diese Tür auf der Suche nach etwas Ruhe und Frieden … und da saß sie, auf einer pinkfarbenen Ottomane drapiert, wie ein hinreißendes Geschenk in einer zauberhaften Verpackung!

Jake setzte an, sich ihr vorzustellen. Immerhin waren sie einander ja schon begegnet … gewissermaßen. Und vor allem konnte sie sich während seines Aufenthaltes hier als eine nette Abwechslung für ihn erweisen.

Gerade noch rechtzeitig hielt er sich zurück. Sie hatte ihn auch erkannt, das war ihr anzusehen, aber sie schien ganz und gar nicht glücklich über das Wiedersehen. Gut, sie beide waren eher aufeinandergeprallt, als sich zu „begegnen“, doch für ihn machte sie das nur noch denkwürdiger. Anstatt den Vorfall jedoch lachend abzutun oder ihn erneut mit Vorwürfen zu überhäufen, wirkte sie befangen und verlegen, als hätte sie sich am liebsten in ein Mauseloch verkrochen.

Vielleicht war es also nicht der richtige Zeitpunkt, sich vorzustellen. Vielleicht sollte er sich lieber noch eine Weile an ihrer Befangenheit und Verlegenheit ergötzen.

„Ihr Gesicht kommt mir bekannt vor, aber ich weiß einfach nicht, woher“, sagte Jake, wobei er Holly betont forschend und nachdenklich ansah.

Hilfe!

„Arbeiten Sie für die Firma?“ fragte er.

Das fehlte noch! „Nein, glücklicherweise nicht“, antwortete sie ehrlich.

„Sie haben etwas gegen ‚Lincoln Holdings‘?“ fragte er interessiert.

Sie zuckte die Schultern. „Ich bin kein großer Fan von Bier und Boxen. Damit bin ich vermutlich auch kein großer Fan von ‚Lincoln Holdings‘.“

Jake erwiderte eine Weile gar nichts, was Holly nur noch nervöser machte. „Haben Sie vor, die ganze Nacht hier zu bleiben?“ erkundigte er sich dann.

„So weit hatte ich noch gar nicht gedacht. Ich bin in Begleitung hergekommen, brauche also irgendeine Fahrgelegenheit nach Hause.“ Sie wich seinem Blick aus und hielt das Gesicht so weit abgewandt, wie es noch als höflich gelten konnte.

„Ich könnte Ihnen ein Taxi rufen lassen, wenn Sie möchten.“

„Nein, danke.“ Und nun verschwinden Sie endlich!

„Nun, wenigstens kann ich doch Ihrem Begleiter sagen, dass Sie sich hier befinden“, bot er an. „Ich bin sicher, er möchte Sie nur ungern lange aus den Augen verlieren.“ Und er lächelte erneut.

Holly verspürte ein heftiges Kribbeln im Bauch. Ein derartig entwaffnendes Lächeln war einfach nicht fair. Wenn dieser Mann noch einmal lächelte, würde sie auf dieser pinkfarbenen Ottomane dahinschmelzen! Es war völlig verrückt, aber sie fühlte sich wider Willen zu ihm hingezogen. Wenn er also nicht bald verschwand, würde sie gehen müssen. „Vielleicht … sollte ich mir wirklich ein Taxi nehmen. Soll sich Ben ruhig Sorgen machen. Geschieht ihm recht.“

„Ben?“

„Ja, ich bin mit Ben Jeffries hier … einem der Vize-Direktoren der Firma.“

Urplötzlich kühlte das Interesse des Mannes ihr gegenüber spürbar ab. Holly war im ersten Moment überrascht, bis ihr einfiel, warum sie sich überhaupt auf die Suche nach einem Ehemann gemacht hatte … ihre Theorie über die Männer, die sie anzog. Auf Partys.

Dieser Typ war für sie wie ein offenes Buch, wie er so scheinbar gelassen und elegant dastand. Er hatte ihr seine Party-Persönlichkeit vorgespielt, wie sie es alle taten. Und er war attraktiv genug, um eine Frau mit einem Lächeln aus der Fassung zu bringen. Sie wäre fast darauf reingefallen.

Der Klang einer Glocke drang gedämpft durch die Tür, gefolgt von lautem Jubel. Allein bei der Vorstellung, wie die beiden Boxer jetzt aufeinander losschlagen würden, zuckte Holly zusammen.

Ihr Gegenüber betrachtete sie einen Moment lang nachdenklich, dann nickte er und verschwand durch die Tür nach draußen. Holly blieb mit widerstreitenden Gedanken zurück. Der gedämpfte Jubel der begeisterten Zuschauer des Boxkampfes mischte sich störend in ihre Überlegungen. Und plötzlich kam ihr in den Sinn, dass allein das unfreundliche Verhalten des Fremden bei ihrem ersten Zusammentreffen der Grund dafür war, dass sie hier in einem Waschraum saß … aufgebrezelt, hungrig und allein. Ein Lächeln huschte über ihr Gesicht. Es tat gut, wieder nur schlecht von ihm zu denken.

3. KAPITEL

Am Montagmorgen suchte Jake Lincoln als Erstes seinen Stellvertreter in dessen Büro auf. Schon am Samstagabend hatte er ihn kurz begrüßt und einige Worte mit ihm wechseln können, aber eine ganz bestimmte Sache hatte ihm seitdem keine Ruhe gelassen.

Ben kam um seinen Schreibtisch herum, umarmte seinen alten Freund und klopfte ihm auf die Schultern. „Ich kann immer noch nicht glauben, dass du wieder da bist. Und was für ein Auftritt! Stolzierst einfach vorgestern Abend mitten in den Kampf … seelenruhig und selbstverständlich, als wärst du nie fort gewesen! Hast du den Jetlag schon überstanden?“

„Einigermaßen. Ich hatte ganz vergessen, wie kühl und trocken die Luft in Melbourne ist. Das trifft einen wie ein Schock, wenn man aus dem Flugzeug steigt. Ich bin aber ganz froh drum, denn an die drückende Schwüle in New Orleans habe ich mich nie gewöhnen können.“

„Gut so! Das bedeutet, dass du im Herzen ein Melbourner bist.“

Jake zuckte die Schultern. „Vielleicht bedeutet es auch nur, dass ich es das nächste Mal mit San Francisco versuchen sollte.“ Er setzte sich in den Ledersessel neben Bens Schreibtisch und räusperte sich, bevor er ansprach, was ihm auf der Seele lag. „Gestern bei dem Boxkampf habe ich deine … Begleiterin kennen gelernt.“

Ben grinste breit. „Dann kennst du jetzt also die andere Frau in meinem Leben.“

Jake sah ihn argwöhnisch an. Wie konnte sein Freund so liebevoll von einer anderen Frau sprechen als seiner hochschwangeren Ehefrau? Aber Ben prustete los.

„He, sieh mich nicht so böse an, Jake. Sie ist Beth’ beste Freundin. Meine arme Frau kann kaum noch eine Treppe hochgehen, geschweige denn, mich zu einer Veranstaltung in einem Nachtclub begleiten, deshalb hat sie mich gebeten, Holly mitzunehmen. Die beiden kennen sich seit einer Ewigkeit, und als ich mich unsterblich in meine Frau verliebt habe, war Holly sozusagen mit im Paket.“

Jake lehnte sich sichtlich erleichtert zurück. „Wie ist sie denn?“

„He, du kennst sie doch. Klein, blond und hochschwanger.“ Ben langte nach seiner Brieftasche. „Soll ich dir ein neueres Foto von ihr zeigen?“

„Ich habe Holly gemeint, wie du ganz genau weißt.“

„Ach so, Holly.“ Ben steckte die Brieftasche wieder weg.

„Kommt ihr gut miteinander klar?“ fragte Jake.

„Das kann man wohl sagen. So gut, dass sie mich überrumpelt hat, ihr einen Mann zu suchen.“

„Wirklich?“ Erstaunlich, denn sie wirkte gar nicht wie der Typ, der ein Blind Date nötig gehabt hätte. Andererseits, solange er in der Stadt sein würde …

„Ja, und nicht nur einfach einen Mann …“, Ben schüttelte lächelnd den Kopf, „… sondern einen Ehemann!“

Achtung! Ein Blind Date war eine Sache, aber … Er war erst wenige Tage wieder im Land und bereits zweimal auf dieselbe Frau gestoßen, und beide Male hatte er zugelassen, dass sie ihm tüchtig unter die Haut gegangen war. Er hätte eigentlich klüger sein müssen. Also griff er nach dem besten Heilmittel für diese Fälle: Sie war auf der Jagd nach einem Ehemann. Plötzlich schien ihm San Francisco immer verlockender.

„Sie ist niedlich, nicht?“ fragte Ben augenzwinkernd.

„Sicher …“ Wenn man eine Frau mit stürmisch funkelnden blauen Augen und endlos langen Beinen als „niedlich“ bezeichnen wollte.

„Hat sie zufällig etwas darüber gesagt, wie ihr der Boxkampf gefallen hat?“

„Nun, genau genommen haben wir uns kurz vor Beginn des Kampfes getroffen … was sie jedoch nicht daran gehindert hat, ihre wenig schmeichelhafte Meinung über die Veranstaltung im Besonderen und meine Firma im Allgemeinen kundzutun.“

„Das klingt ganz nach Holly. Hast du dich ihr vorgestellt?“ fragte Ben vorsichtig. „Ich meine, wusste sie, wer du bist?“

„Das muss sie wohl.“ Jake rief sich ihr ausdrucksvolles Gesicht ins Gedächtnis. Mit jedem Blick hatte sie verraten, dass sie ihn wiedererkannt hatte. „Was tut das zur Sache?“ Er stand auf.

„Vermutlich nichts.“ Ben begleitete Jake zur Tür. „Was hast du heute Abend vor?“, fragte er betont beiläufig. „Könnte ein Lammbraten dich verlocken? Beth hat dich schon eine Ewigkeit nicht mehr gesehen und würde sich sicher freuen, wenn du zum Abendessen kommen würdest.“

Jake ließ sich nicht zweimal bitten. Ein Abend in der unkomplizierten Gesellschaft von Ben und Beth würde ihm guttun. „Gern. Um wie viel Uhr?“

„Gegen sieben?“

Jake nickte und wollte Bens Büro verlassen. Auf der Schwelle drehte er sich jedoch noch einmal um. „Übrigens, ich bin noch nie in meinem Leben stolziert!“

„Es war schrecklich!“ Holly stand weit nach vorn gebückt, den Po in die Luft, den Kopf zwischen den Beinen.

„Ben hat sich bestens amüsiert.“ Die hochschwangere Beth vollführte eine wesentlich behutsamere Dehnübung, wobei der Yogalehrer sie aufmerksam beobachtete.

„Natürlich! Er ist ja auch ein Mann und in diesem Punkt ein Neandertaler, wie ich soeben feststellen musste.“

„Glaub mir, wenn er mir vorher gesagt hätte, dass es sich um eine solche Veranstaltung handeln würde, hätte ich ihm nie vorgeschlagen, dich mitzunehmen. Ich habe ihm ein wenig von deinem Vater erzählt, aber anscheinend nicht genug.“

Beth drückte mitfühlend den Arm der Freundin. Holly schüttelte ihre Hand jedoch ab und bedauerte im nächsten Moment ihre schroffe Reaktion. Sie hatte diese Erinnerungen längst hinter sich gelassen. Es gab keinen Grund, überempfindlich zu reagieren. „Er hält diesen Lincoln für genial!“, sagte sie betont locker. „Dabei könnte ich die Partys seiner Firma im Schlaf oder mit einer Hand auf den Rücken gefesselt besser hinkriegen!“

„Oder mit dem Kopf zwischen den Beinen, wie es aussieht“, warf Beth ein, wofür sie ein Lächeln von Holly erntete. „Also, hast du irgendwelche Schätzchen kennen gelernt?“

„Nein“, antwortete Holly prompt, wobei sie energisch das Bild der samtbraunen Augen zu ignorieren versuchte, das sich ihr ungebeten aufdrängen wollte. Außerdem war der Typ kein „Schätzchen“. Er war der Feind.

„Das wundert mich nicht. Kannst du mir verraten, wieso du in der ‚gemeinschaftlichen Ruhezone‘ einen Ehemann zu finden gehofft hast?“

„Zu dem Zeitpunkt hoffte ich nur noch, eine Zuflucht vor dem lärmenden Haufen draußen zu finden.“

„Aber du würdest doch wohl nicht gern deinen Enkelkindern erzählen: ‚Euer Großvater und ich haben uns auf der Toilette kennen gelernt …‘!“

„Was soll’s?“ Holly seufzte und streckte die Arme, um ihre Zehenspitzen zu berühren. „Ich werde sowieso keinen Ehemann finden und damit auch keine Enkel haben!“

„Nun, wenn das deine Einstellung ist, sage ich deine Verabredung für heute Abend besser ab.“

„Verabredung? Heute Abend?“ Holly richtete sich so schnell auf, dass ihr schwindelig wurde.

„Als Wiedergutmachung für den Boxkampfabend hat Ben für heute Abend einen Arbeitskollegen zum Essen zu uns eingeladen … in der Hoffnung, dass ihr beiden euch kennen lernen, euch unsterblich ineinander verlieben und heiraten würdet. Aber wenn du nicht interessiert bist …“

„Natürlich bin ich das! Kennst du ihn? Ist er nett? Intelligent? Süß?“

„Sei einfach um halb sieben bei uns.“

„Ja, ja. Okay!“ Holly umarmte Beth. „Ben und du, ihr seid so gut zu mir!“

„Vor einer Minute war Ben für dich noch ein Neandertaler.“

„Ben? Niemals! Er ist der wundervollste Mann auf der Welt!“

Beth nickte und stimmte ihr in diesem Punkt aus ganzem Herzen zu.

Als es auf sieben Uhr ging, beschwor Beth ihren Mann, Holly ins Wohnzimmer zu bringen und dort zu beschäftigen. „Wenn sie mich noch einmal fragt, wie er ist, begieße ich euch beide mit Sauce!“

Holly setzte sich also im Wohnzimmer in einen Sessel, schlug die Beine übereinander und wippte ungeduldig mit dem Fuß. Die Anspannung war kaum zu ertragen. „Ben?“

„Ja, Holly.“ Es klang genervt.

„Was weiß er von mir?“

„Willst du das wirklich wissen? Oder unterbrichst du mich wieder sofort, wenn ich anfange, es dir zu erzählen?“

„Ich will es wissen. Sag es mir. Ich kann es ertragen. Ich muss doch irgendetwas wissen!“ Ihr Fuß wippte heftiger.

„Also gut, ich habe ihm gesagt, dass du niedlich bist“, sagte Ben.

Das Wippen hörte auf. „Du bist so lieb!“

Ben sah, dass sie sich endlich etwas entspannte, und wurde mutiger. „Ich habe ihm auch gesagt, dass du mit Beth eine Ewigkeit befreundet bist …“

„Er kennt Beth gut genug, dass du das erwähnt hast?“ rief Holly aus und war erneut nicht zu stoppen. Ben gab es auf. „Kenne ich ihn etwa? Nein, ich habe keine Ahnung. Mag Beth ihn? Was hast du ihm sonst noch erzählt?“

In diesem Moment fuhr ein Auto vor dem Haus vor. Holly schluckte, als das Motorgeräusch erstarb. Ihr Blind Date war eingetroffen. „Ich … kann das nicht“, flüsterte sie. „Hilfe!“

Ben ging entschlossen zu ihr, nahm sie bei der Hand und zog sie auf die Füße. „Du möchtest also wissen, was ich ihm sonst noch erzählt habe?“

Er zog sie hinter sich her zur Haustür, und Holly war klar, dass sie seine Geduld überstrapaziert hatte. „Ich glaube nicht“, sagte sie und lächelte entschuldigend.

Doch es war zu spät. Es läutete, und bevor Ben die Haustür aufriss, flüsterte er Holly noch ins Ohr: „Ich habe ihm gesagt, du seist auf der Jagd nach einem Ehemann und er sei der Kandidat Nummer eins.“

Die Tür schwang auf, und Jake sah sich Holly gegenüber, die wie vom Donner gerührt dastand, die blauen Augen weit, den schönen Mund halb geöffnet. Wie jedes Mal, wenn er sie bisher gesehen hatte, stieg ein wundervoll warmes Gefühl in ihm hoch, und er lächelte spontan.

Im nächsten Moment aber fiel ihm ein, was Ben über sie erzählt hatte. Er ließ die Hand, die die Blumen für Beth hielt, sinken, blickte zwischen Hollys seltsam bleichem und Bens reumütigem Gesicht hin und her und wusste Bescheid. Er war gerade zu einem Blind Date mit einer Frau erschienen, die darauf aus war, sich einen Ehemann zu angeln.

„Sieh nur, Holly, Blumen.“ Ben nahm Jake den Strauß ab und drückte ihn Holly in die Hand. „Geh und stell sie in eine Vase.“ Er drehte Holly um und schob sie in Richtung Küche.

Jake zog seinen Mantel aus und schüttelte sich einige Regentropfen aus dem Haar, dann legte er seinem Freund freundlich, aber bestimmt einen Arm um die Schultern. „Ist das hier das, was ich denke?“

„He, Junge, es tut mir leid. Ich hatte das Gefühl, keiner von euch beiden hätte meine Einladung angenommen, wenn ich verraten hätte, dass der andere da sein würde.“

„Da hattest du verdammt recht!“

„Wenn du eine Weile in Melbourne bleibst, werdet ihr in denselben Kreisen verkehren, und es ist nur sinnvoll, dass ihr euch kennen lernt.“

„Klingt vernünftig. Aber wenn es nur darum geht, warum benimmt sie sich dann so seltsam?“

Ben blickte leicht verstohlen zur geschlossenen Küchentür. „Weißt du, Holly kann mich manchmal bis zum Wahnsinn treiben, und heute Abend war es wieder so. Kurz bevor ich die Tür geöffnet habe, hatte ich dann die Nase voll und habe ihr erzählt …“ Ben verstummte und schluckte. Jake drückte ihm aufmunternd die Schulter. „Ich … habe ihr praktisch gesagt, du wüsstest, dass sie auf der Jagd nach einem Ehemann sei, und wärst aus diesem Grund gekommen.“

„Du hast ihr was gesagt?“ Jake ließ die Hand von der Schulter seines Freundes sinken und wich entsetzt zurück.

„Hör zu, Beth kommt jeden Moment aus der Küche, und sie kann im Moment keine Aufregung vertragen. Bleib also einfach und genieße ein köstliches Essen. In wenigen Stunden ist alles vorbei.“

„Ich werde bleiben“, willigte Jake widerstrebend ein. „Beth zuliebe!“

„Und noch eins“, fuhr Ben fort, und Jake horchte argwöhnisch auf. „Wie es aussieht, weiß Holly nicht, dass du der Jacob Lincoln von ‚Lincoln Holdings‘ bist, was ganz gut ist, weil ihr diese Boxkampfgeschichte absolut nicht gefallen hat und sie von ihm … das heißt, von dir … nicht sehr viel hält.“

Jakes dunkle Augen blitzten auf. Ihm war ein Gedanke gekommen. Nichts war so erfrischend wie eine gute Herausforderung … „So, deine Holly hält also nicht viel von mir? Andererseits glaubt sie aber, ich hätte mich ihr auf dem silbernen Tablett präsentiert, ja?“

„Ja, ja. Und?“

Voller Genugtuung spürte Jake Bens Besorgnis. „Oh, ich glaube nicht, dass du gegenwärtig das Recht hast, mir irgendwelche Fragen zu stellen, mein Freund. Ich erspare deiner Frau jegliche Aufregung, solange du heute Abend allem zustimmst, was ich sage, einverstanden?“

Ben blickte besorgt zur Küche, wo in diesem Moment die Tür geöffnet wurde. „Okay, einverstanden!“

Zufrieden lächelnd schlug Jake ihm auf den Rücken. Nachdem Ben ihr seinen anderen Gast recht beiläufig als „Jake“ vorgestellt hatte, ließ Holly sich viel Zeit damit, das Essen aufzutragen. Sie hatte es nicht eilig, sich zu den anderen zu gesellen. Schließlich aber nahmen alle bei Tisch Platz, und Jake verkündete in die Runde, dass seine jüngere Schwester sich verlobt habe.

„Deshalb bist du also zurück“, meinte Beth. „Ich habe doch geahnt, dass mein Lammbraten nicht der einzige Grund ist. Hast du ihren Verlobten schon kennen gelernt?“

„Ja, am Sonntag. Ein netter Kerl“, sagte Jake. „Es wird seine zweite Ehe sein. Er ist Witwer.“

„Oh, dann ist er also älter als Ana?“ fragte Beth interessiert.

„Um einiges.“

„Das überrascht mich eigentlich nicht. Und wie ich Ana kenne, arbeitet er in irgendeinem Sozialberuf. Ist er vielleicht Tierarzt?“

„Krankenpfleger.“

Beth lächelte. „Scheint mir ideal.“

„Ja, es braucht schon jemand mit einer entsprechenden Geduld, um in der Lage zu sein, sich um Ana zu kümmern. Sie kann einen ganz schön auf Trab halten.“

„Du solltest es wissen.“

„Kein Kommentar.“

Holly hatte den kleinen Austausch zwischen Beth und Jake aufmerksam verfolgt. Beth’ Bemerkungen hatten unwillkürlich ihre Neugier geweckt, aber der Wunsch überwog, sich möglichst im Hintergrund zu halten.

„Auf jeden Fall ist es prima, dass er sich ihrer angenommen hat“, fuhr Jake nun fort. „Ich nehme an, dass manche Menschen einfach unbedingt heiraten möchten.“

Holly hätte sich fast an dem Bissen in ihrem Mund verschluckt. Hatte dieser Typ wirklich gesagt, was sie meinte gehört zu haben?

Ben hüstelte, und sie hoffte, er würde an seinem Bissen ersticken. Beth dagegen blickte völlig arglos und unschuldig in die Runde. Vielleicht hatte sie, Holly, Jakes Bemerkung ja auch missverstanden, und er hatte gar nicht sie gemeint, sondern nur über seine Schwester gesprochen.

„Würden Sie mir bitte den Broccoli reichen, Holly“, wandte Jake sich nun direkt an sie.

Sie zuckte zusammen. Angespannt reichte sie Jake die Schüssel über den Tisch und zwang sich, seinem Blick standzuhalten. Er lächelte und brachte damit seine unwiderstehlichen Grübchen ins Spiel.

Er ist der Anti-Ehemann! rief Holly sich energisch ins Gedächtnis, kühl und gefühllos. Und seine zugegebenermaßen hinreißenden Grübchen sind … völlig unwichtig.

„Holly hat das Gemüse zubereitet“, warf Beth eifrig ein. „Sie ist eine tolle Köchin.“

Holly sah sie an und rang sich ein genervtes Lächeln ab.

„Wie auch immer“, nahm Jake den Faden wieder auf, „Ana und Michael kennen sich erst seit sechs Monaten, sind seit einer Woche verlobt und sprechen schon von Kindern.“

„Wie wundervoll!“ meinte Beth.

„Ja, ich halte auch viel von sehr kurzen Verlobungszeiten“, bekräftigte Jake. „Sie hat einen Gleichgesinnten gefunden, wobei der Zeitpunkt für beide offensichtlich passte, und hat ihn sich geschnappt. Das Klügste, was sie tun konnte.“

Sprach er im Ernst? Holly selber wusste ja, warum sie sich auf die Jagd nach einem Ehemann begab, aber was wollte Mr. Cool mit einem Blind Date mit einer Frau anfangen, von der er wusste, dass sie auf die Ehe aus war? Das ergab einfach keinen Sinn … und schlimmer noch, es führte ihre Theorie ad absurdum.

Wer, in aller Welt, war dieser Kerl überhaupt? Ben hatte merkwürdigerweise keinen Hinweis darauf gegeben, welche Aufgabe Jake in der Firma wahrnahm. Ihre größte Sorge aber war, dass er sie schließlich doch noch erkennen und den anderen verraten würde, dass er der Typ auf der Straße gewesen sei, von dem Beth wusste, dass er sie, Holly, zu diesem Kreuzzug veranlasst hatte. Wenn Beth das erfuhr, würde sie sicher in ihrem astrologischen Hobby schwelgen und einen Vortrag über Vorzeichen, Zufall und Schicksal halten. Das hätte diesem entsetzlichen Abend die Krone aufgesetzt.

„Ich jedenfalls will Kinder“, fuhr Jake nun sachlich fort. „Mindestens acht … nein, elf – eine ganze Fußballmannschaft. Also sollte ich wahrscheinlich am besten so bald wie möglich damit anfangen.“

Holly legte ihr Besteck beiseite. Sie brachte keinen Bissen mehr herunter.

Nach einem peinlich offensichtlichen Blick auf Holly fragte Beth: „Hast du schon eine bestimmte Frau im Auge, die diese Fußballmannschaft für dich auf die Welt bringen soll?“

Holly sah die Freundin wütend an, aber Beth wich ihrem Blick standhaft aus.

„Nicht direkt.“ Jake spießte ein Broccoli-Röschen mit der Gabel auf und betrachtete es vielsagend. „Aber sie muss eine gute Köchin sein. Allerdings sollte sie die Produkte ihrer Kochkunst wiederum nicht so sehr lieben, dass sie nach der Geburt der Kinder ihre gute Figur einbüßt.“

Wie bitte? War das ein Witz?

Jake hatte Mühe, ernst zu bleiben. Ben hatte das Gesicht in den Händen vergraben, Beth blickte ihn bei jeder seiner absurden Behauptungen mit zunehmendem Entsetzen an, und die schöne Holly sank immer tiefer in ihren Stuhl.

„Ben und ich haben heute im Büro schon darüber gesprochen. Nicht wahr, Ben?“ Jake sah seinen Freund bedeutsam an, und Ben lächelte zerknirscht und nickte.

„Ja … natürlich, Junge, unaufhörlich. Ich habe kaum etwas geschafft, weil wir nur über Kinder gesprochen haben.“

Aber Jake war noch nicht fertig. „Und ich liebe Blondinen“, fuhr er ungerührt fort. „Sollte ich also eine Brünette heiraten, müsste sie sich für mich die Haare färben. Ich meine, wenn sie mich wirklich liebt, wird sie das tun, oder nicht?“

Verblüfftes Schweigen. Jake blickte triumphierend in die Runde. „Und, Holly? Wie steht’s mit Ihnen?“ fragte er angelegentlich.

Sie räusperte sich. „Wie bitte?“ fragte sie heiser.

„Ich meine, wie viele Kinder wollen Sie haben?“ fragte Jake.

Holly warf ihren Freunden einen flehentlichen Blick zu, fand aber dort keine Hilfe. Ben studierte mit allerhöchstem Interesse sein Besteck, Beth blickte immer noch verwundert und wie gebannt auf Jake. „Kinder? Ich habe noch nicht darüber nachgedacht.“

„Tatsächlich? Das überrascht mich“, erwiderte Jake nachdrücklich.

„Überrascht?“ Ihre Stimme klang immer noch heiser. Holly räusperte sich erneut.

„Denken nicht alle Frauen über diese Dinge nach? Wie viele Kinder sie haben wollen und welche Namen sie ihnen geben würden?“

„Ja, vermutlich“, räumte Holly ein und hätte sich am liebsten in ein Mauseloch verkrochen.

„Und haben Sie sich noch gar keine Vorstellung von dem Mann gemacht, den Sie heiraten möchten?“

Er sah sie erwartungsvoll an und lächelte … strahlend, gewinnend. Seine Grübchen und sein Charisma warfen sie um. Deutlicher hätte er nicht auf sich als möglichen Kandidaten verweisen können. Er war anscheinend so reif für die Ehe, dass er wahrscheinlich ständig den Verlobungsring seiner Großmutter bei sich trug … für den Fall. Holly schluckte. Ihr war klar, dass man ihr ansah, unter welchem Stress sie stand, aber sie hatte keine Ahnung, wie sie diesem Albtraum hätte entfliehen können.

Plötzlich aber wurde Jakes Blick eindringlich und forschend, und im nächsten Moment bemerkte Holly in seinen samtbraunen Augen einen freundlichen, mitfühlenden Ausdruck. Sie nahm die Entschuldigung wahr, als hätte er sie laut ausgesprochen. Und obwohl sie es für unmöglich gehalten hatte, wurde sie jetzt erst richtig schwach.

Es war genug. Er hatte bewiesen, worauf es ihm ankam. Nach dieser Vorstellung würden Beth und Ben es nicht noch einmal wagen, ihn zu einem derartigen Date zu bitten. Mehr wollte er gar nicht, deshalb schlug Jake nun eine andere Richtung ein.

„Was ist mit dir, Beth? Hättest du von Anfang an gedacht, dass du bei unserem Benny-Boy landen würdest?“

Und während Beth nun die Runde mit Anekdoten über die zahlreichen Traumprinzen ihrer Mädchenjahre unterhielt, beobachtete Jake zufrieden, wie Holly sich allmählich entspannte und ihre natürlich rosige Gesichtsfarbe zurückkehrte. Jake stellte wieder einmal fest, was für eine ungemein attraktive Frau sie war … und genau sein Typ. Nicht zu groß, anmutig, wohl gerundet, temperamentvoll. Er hatte sie natürlich aufgezogen … er stand keineswegs auf Blondinen. Im Gegenteil, ihr glänzendes dunkles Haar faszinierte ihn. Es kribbelte ihm in den Fingerspitzen, die Haarnadeln herauszuziehen und die seidigen Strähnen durch die Finger gleiten zu lassen …

„Erinnerst du dich noch an Gary Phelbs, Holly?“ fragte Beth und lenkte damit Jakes Aufmerksamkeit zurück auf das Gespräch. Holly lachte leise. Es klang hübsch … leicht und unbefangen.

„Der war doch schrecklich, Beth!“ sagte sie und verzog das Gesicht. „Klein und ungepflegt. Ich habe nie verstanden, was du an ihm gefunden hast.“

„He, nur weil er nicht groß, dunkelhaarig und gut aussehend war wie alle Jungs, für die du je geschwärmt hast, heißt das nicht, dass eine andere ihn nicht attraktiv finden konnte! Ich zum Beispiel. Keiner konnte so küssen wie Gary!“

Holly warf Jake einen verstohlenen Blick zu, den er zufällig auffing. Der Blick verriet unmissverständlich, dass sie sich zu ihm hingezogen fühlte. Eigentlich hätte er, Jake, sofort aufspringen und um sein Leben rennen sollen. Aber er tat es nicht. Mit ihrer Abkanzlung seiner Geschäftspraktiken hatte diese Frau sein Ego genug angekratzt. Zum Ausgleich würde er jetzt jede positive Aufmerksamkeit, die sie ihm schenkte, mitnehmen. Das war nur fair.

„Sag mal, ist dir eigentlich klar, dass hier dein Ehemann und der Vater deines noch ungeborenen Kindes sitzt und sich die Geschichten deiner Jugendlieben anhören muss?“ beschwerte sich Ben scherzhaft.

„Ja, Darling, aber du darfst nicht vergessen, dass ich aus dieser Reihe von Traumprinzen dich ausgewählt habe.“

„Stimmt.“ Ben strahlte seine Frau liebevoll an.

Und während Jake in das allgemeine Lachen einstimmte, blickte er verstohlen zu Holly. Sie saß lächelnd da, das Kinn in die Hände gestützt, und beobachtete Ben und Beth mit einem Ausdruck reiner, ungetrübter Freude auf dem schönen Gesicht. In diesem Moment glaubte er, sie zu verstehen. Es war verständlich, sich zu wünschen, was Beth und Ben miteinander teilten.

Jake spürte, wie sich sein Herz zusammenkrampfte. Nicht gut. Er brauchte eine Auszeit. Entschlossen schob er den Stuhl zurück und stand auf. „Entschuldigt mich, Leute, aber ich muss mir mal die Nase pudern.“

Sobald Jake den Raum verlassen hatte, beugte sich Beth verschwörerisch vor. „Was, in aller Welt, ist heute nur mit ihm los, Ben? All das Gerede von Babys und Blondinen, das ist nicht der alte Jacob Lincoln, wie ich ihn kenne!“

„Lincoln?“ wiederholte Holly fassungslos. „Er ist Jacob Lincoln? Ich meine, dein Boss Lincoln, Ben? Der von ‚Lincoln Holdings‘?“

Ben zuckte sichtlich zusammen. „Äh … ja. Genau der ist er.“

„Und wieso ist er hier? Du hast mir doch gesagt, er würde in … New Orleans oder sonst wo leben!“ Und wieso war er nicht untersetzt, hatte einen Bierbauch und zu hohen Blutdruck, sondern stellte äußerlich so ziemlich genau das Gegenteil von dem dar, was sie sich vorgestellt hatte?

„Das war ja auch so“, verteidigte sich Ben. „Ohne einem Menschen etwas davon zu sagen, ist er vor wenigen Tagen nach Melbourne zurückgekehrt.“

Besagter Morgen, als er voll bepackt an der Straßenecke gestanden hatte … der leichte amerikanische Akzent … Holly barg das Gesicht in den Händen. „Mit anderen Worten, ich habe ihm gesagt, wie wenig ich von seiner Idee mit den Boxkämpfen halte, ohne zu wissen, dass es seine war. Dann habe ich ihm vorgeworfen, den falschen Waschraum betreten zu haben, ohne zu wissen, dass der ganze Club ihm gehört! Ist er wirklich Jacob Lincoln?“, flüsterte sie.

Ben zuckte reumütig lächelnd die Schultern.

Holly wandte sich ihm zu und machte ihrem Zorn Luft. „Und obwohl du das alles wusstest, hast du dieses Abendessen arrangiert und ihm gesagt, dass ich mich auf der Jagd nach einem Ehemann befinde und er die Nummer eins auf meiner Kandidatenliste sei?“

Beth sah ihren Mann entgeistert an. „Hast du das wirklich getan?“

Ben hob abwehrend die Hände. „He, ihr Mädels habt mich in diesen lächerlichen Plan hineingezogen. Also habe ich dich auf eine Veranstaltung mitgenommen, auf der du zahllose heißblütige Junggesellen hättest kennen lernen können, aber du hast dich den ganzen Abend im Waschraum versteckt. Dann habe ich für dich den begehrtesten aller heißblütigen Junggesellen, den ich kenne, zum Essen eingeladen, und du gehst auf mich los!“

„Aber du hast ihm gesagt …“

„Die Wahrheit, Holly. Aber ehrlich gesagt, habe ich mir wirklich überlegt, ob meine beiden besten Freunde nicht gut zueinander passen würden.“

Beth war sofort wieder milde gestimmt. „Das war so lieb von dir, Ben! Holly, du solltest ihm verzeihen.“

Holly lehnte sich zurück. Ihre Wut war verpufft. Was für ein Chaos hatten sie angerichtet!

Beth kicherte. „Und jetzt glaubt der arme Jake, Holly sei scharf auf ihn. Kein Wunder, dass er sich so seltsam benommen hat!“

„Nun ja“, wandte Ben zögernd ein, „tatsächlich weiß er alles und hat dich den ganzen Abend nur aufgezogen, Holly.“

„Ha!“ Beth klatschte in die Hände. „Das klingt schon mehr nach dem Jacob Lincoln, den ich von früher kenne!“

Holly aber war überhaupt nicht amüsiert. Sie dachte nach, schmiedete Pläne. „Er weiß alles und glaubt, ich würde nun schmoren?“

„Nun ja, Prinzessin, du hast während des gesamten Abends ziemlich geschmort“, meinte Ben.

„Aber jetzt nicht mehr.“ Denn jetzt wusste sie, dass das Leuchten in Jakes Augen lediglich ein Zeichen dafür gewesen war, wie sehr er seinen Spaß genoss, und keineswegs ein Hinweis darauf, dass er sie sich bereits im Brautkleid vorgestellt hatte. Schön, er sollte seinen Spaß bekommen …

4. KAPITEL

Als Jake ins Esszimmer zurückkam, stand Holly neben ihrem Stuhl, die Augen geschlossen, und neigte behutsam den Kopf von rechts nach links, wie, um eine Nackenverspannung zu lösen. Jake unterdrückte ein Lächeln und setzte sich wieder an seinen Platz. Seine Sorge war unnötig gewesen … er besaß immer noch die Oberhand. Die Ärmste war das reinste Nervenbündel!

Während er nun zusah, ließ sie langsam eine Hand seitlich an ihrem Körper hinaufgleiten und begann, sich sanft die Schultern zu massieren, die Augen immer noch geschlossen, den Kopf leicht zurückgelehnt. Sie seufzte genussvoll.

Wow! Jake rutschte unbehaglich auf seinem Stuhl herum. Energisch riss er den Blick von diesem betörenden Anblick los, bevor er erneut nach draußen flüchten musste, um sich wieder in den Griff zu bekommen.

„Habe ich etwas verpasst?“ wandte er sich ganz bewusst an Ben und Beth.

Holly war inzwischen mit ihrer Massage fertig, und Jakes Blick wurde wie gebannt davon angezogen, als sie nun die Hand wieder an ihrem Körper hinabgleiten ließ, wobei sie jede reizvolle Rundung auszukosten schien, bevor sie die Hand provokant auf die Hüfte stützte.

„Nichts Besonderes“, hauchte Holly dann in aufreizendem Ton. „Ich habe gerade nur bemerkt, wie sehr es mich nach … etwas Süßem gelüstet.“ Dabei blickte sie kokett auf und ließ den Blick vielsagend auf seinem Mund verweilen.

Hol es dir doch! lag es Jake auf der Zunge zu sagen. Reiß dich zusammen, ermahnte er sich sofort, du bist einfach nur müde und hast Halluzinationen. Konnte es immer noch der Jetlag sein?

„Dann ist es wohl höchste Zeit für das Dessert“, meinte Beth fröhlich.

Jake hatte fast vergessen, dass noch zwei andere Leute bei Tisch saßen. Entschlossen konzentrierte er sich auf Beth und deren Pläne für die Einrichtung des Kinderzimmers und ignorierte Holly, die um den Tisch ging und die Teller einsammelte. Sein Entschluss geriet jedoch mächtig ins Wanken, als er sie in seinem Rücken spürte, und brach vollends zusammen, als sie sich vorbeugte, um seinen Teller zu nehmen, und dabei ihr Atem sein Ohr streichelte. Er erschauerte unwillkürlich.

Und bevor Holly mit den Tellern in die Küche verschwand, drehte sie sich noch einmal zu ihm um und zwinkerte ihm kokett zu.

Jake blickte ihr entgeistert nach, als sich die Küchentür hinter ihr schloss. Ganz offenbar hatte Holly geschwindelt, als sie ihm versichert hatte, während seiner Abwesenheit sei nichts Wichtiges passiert. Innerhalb weniger Minuten hatte sie sich von einer sprachlos verblüfften jungen Frau in einen wilden Vamp verwandelt. Und er, Jake, war gegen seinen Willen von ihr bezaubert. Hinter ihrer eher abweisend kühlen Fassade lauerte offenbar eine Wildkatze, die nur darauf wartete, freigelassen zu werden. Es war eine verlockende Vorstellung, die Tür zu diesem Käfig zu öffnen.

Ben und Beth’ übermütiges Lachen riss Jake aus seiner Versunkenheit. Er sah seine Freunde an, und es dämmerte ihm. „Sie weiß Bescheid!“ Geschlagen warf er seine Serviette auf den Tisch.

„Sie weiß Bescheid“, bestätigte Ben reumütig. „Ich bin den beiden Damen in geballter Macht einfach nicht gewachsen, Jake.“

„Also …“, fragte Beth scherzhaft, „wirst du ihr vor oder nach dem Dessert den Heiratsantrag machen?“

Holly war froh, als sie in der Küche das fröhliche Lachen hörte. Gerade wollte sie ins Esszimmer zurückkehren, um das Besteck zu holen, als die Küchentür aufging und Jake hereinkam, das Besteck in den Händen.

„Oh.“ Holly wich zurück. Die Küche schien plötzlich viel zu klein für sie und diesen Mann. Als er sich vorbeugte, um das Besteck in die Spüle zu legen, streifte er mit dem Ärmel seines dunkelgrauen Anzugs ihren nackten Arm. Es war ein elektrisierendes Gefühl. „Ich räume schon ab … Setzen Sie sich ruhig wieder an den Tisch“, sagte sie und wich weiter zurück, bis sie die Küchenschränke im Rücken spürte.

Doch Jake tat ihr nicht den Gefallen zu verschwinden. „Ehrlich gesagt, bin ich hier, um mit Ihnen zu reden. Das Besteck war nur ein Vorwand.“

„Oh“, flüsterte sie.

„Das war eine beachtliche Vorstellung von Ihnen da drinnen.“

Sie errötete. „Ihre schauspielerische Leistung war auch nicht schlecht.“

„Man könnte sagen, wir sind damit quitt.“ Er streckte die Hand aus. „Waffenstillstand?“

Holly zögerte einen Moment, bevor sie die dargebotene Rechte ergriff. Jakes Händedruck war angenehm warm und fest. Als er ihre Hand wieder freigab, ließ Holly nervös die Fingerspitzen über den Ausschnitt ihres Kleides gleiten.

„Und ich möchte mich auch für mein Benehmen letzthin morgens auf der Straße entschuldigen.“

Sie erstarrte mitten in der Bewegung.

„Das war ganz untypisch für mich“, fuhr Jake fort. „Und obwohl ich unter den Folgen des Jetlags litt, gibt es keine Entschuldigung für meine schlechten Manieren.“

Sie hatte ihre Sprache wiedergefunden. „Sie haben es Ben doch nicht erzählt?“ platzte sie heraus. Denn Ben würde es Beth erzählen, und die würde ihr keine Ruhe mehr lassen! „Ich meine, dass wir uns ursprünglich so das erste Mal begegnet sind?“

„Nein, soweit ich mich erinnere.“

„Dann tun Sie es bitte auch nicht. Aus bestimmten Gründen, die für Sie völlig uninteressant sind, wäre es mir lieber, wenn unser erstes Zusammentreffen ein Geheimnis bliebe.“

„Natürlich.“

Sie blinzelte verblüfft, denn sie hatte nicht erwartet, dass er so leicht einwilligen würde. Ihrer Theorie nach war er eigentlich starrsinnig und unnachgiebig.

„Nur noch eins, um letzte Unklarheiten auszuräumen“, sagte Jake.

„Legen Sie los!“ Holly war so froh, dass ihr Beth’ Lektion über Karma und Kismet erspart bleiben würde, dass sie bereit war, ihm alles zu sagen.

„Würden Sie mir verraten, warum Sie Bens Hilfe brauchen, um einen Ehemann zu finden?“ Er lehnte sich entspannt gegen die Küchenschränke.

„Oh.“ Holly errötete tief. „Ist das nicht etwas zu persönlich?“

„Zu persönlich?“ Jake lachte. „Vor sieben Uhr heute Abend waren Sie noch bereit, mich zu heiraten!“

Holly presste sich beide Hände an die glühenden Wangen. „Erinnern Sie mich bitte nicht daran.“ Langsam ließ sie die Hände sinken. Anscheinend war es in der kleinen Küche ziemlich warm, denn Jakes Wangen wirkten genauso erhitzt wie ihre. Das bildete sie sich nicht ein.

Ohne Vorwarnung streckte Jake die Hand aus und ließ eine Locke durch die Finger gleiten, die sich aus ihrer Frisur gelöst hatte. Dann strich er sie ihr sacht hinters Ohr und ließ die Hand einen Moment an ihrer Wange ruhen. Holly blickte ihm wie gebannt in die samtbraunen Augen.

Das Geräusch von Stühlerücken aus dem Esszimmer brach den Bann. Holly wandte sich hastig zur Anrichte um, wo die Teller mit dem Dessert schon bereitstanden. Jake räusperte sich und verließ die Küche.

Holly griff nach zwei der Schälchen, merkte, dass ihre Hände zitterten, und atmete tief durch. „Vergiss nicht, er ist der Feind“, sagte sie laut. „Der Anti-Ehemann. Er ist nur da, um dich auf die Probe zu stellen. Wenn du ihm widerstehen kannst, kannst du allen Männern seiner Art widerstehen.“ Ein energischer Blick auf ihre Hände machte dem Zittern ein Ende, und sie trug den Nachtisch ins Esszimmer.

Einige Stunden später half Holly Beth die Treppe hinauf ins Schlafzimmer, während sich die Männer unten voneinander verabschiedeten.

„Er ist ein Süßer, Holly“, sagte Beth, als sie sich erleichtert im Bett ausstreckte.

„Natürlich, sonst hättest du ihn ja nicht geheiratet.“

„Ich meine Jake, du Dummchen.“

Süß wäre das letzte Wort, das mir bei ihm einfiele, dachte Holly. Laut aber sagte sie: „Nun ja, die Geschworenen haben sich in diesem Punkt noch nicht entschieden.“

„Versprich mir, dass du ihm eine Chance gibst.“

Höchst unwahrscheinlich. „Aber natürlich, Schätzchen. Für dich tue ich alles.“

„Gut. Gute Nacht …“

Holly küsste ihre Freundin liebevoll auf die Wange, schlich sich aus dem Zimmer und ging leise wieder nach unten. Die Stimmen der Männer drangen von unten herauf. Holly blieb auf der halben Treppe stehen und lauschte mit klopfendem Herzen.

„Gib ihr eine Chance“, hörte sie Ben sagen. Unwillkürlich huschte ein Lächeln über ihr Gesicht. Wie ähnlich sich Beth und Ben doch waren! Aber ihr Lächeln verschwand, sobald sie Jakes Antwort hörte.

„Bedräng mich nicht, Ben. Ich bin erst wenige Tage wieder im Lande und habe noch nicht einmal die Zeit gefunden, mir eine Haushälterin zu suchen. Außerdem weiß ich gar nicht, wie lang ich diesmal bleibe, und du kennst meine Ansichten über die Ehe. Was hast du dir nur dabei gedacht?“

Sie hatte es gewusst! In dem Moment, als sie auf der Straße mit ihm zusammengeprallt war, hatte sie gespürt, dass er der Inbegriff eines unzugänglichen Mannes war. Er war das Gegenteil des liebevollen Familienmenschen Ben. Ihre Theorie hatte sich als richtig erwiesen.

Holly lauschte angestrengt und hörte, wie Jake nach kurzer Pause hinzufügte: „Es sei denn, sie kann geschickt mit einem Staubwedel umgehen … dann wären unser beider Probleme auf einen Streich gelöst.“

Wie reizend! Holly wartete, dass Ben protestieren würde … vergeblich.

„Das ist leider unwahrscheinlich“, antwortete der nette Ehemann ihrer besten Freundin stattdessen. „Unsere Holly hat eher etwas von einer Prinzessin.“

Ben! Er hatte ihr schon oft im Spaß vorgeworfen, dass sie bei einem Besen ein Ende nicht vom anderen unterscheiden könne, aber musste er sie vor einem Fremden so beschreiben? Wie würde er sie erst einem ernsthaften Bewerber empfehlen? Nun, sie musste das später mit ihm klären, damit ihr Projekt nicht scheitern würde.

Bewusst laut ging sie nun die restlichen Stufen hinunter.

„Schläft Beth nicht schon?“ erkundigte sich Ben besorgt.

Holly atmete tief ein. „Vielen Dank für einen super Abend, Benny“, sagte sie honigsüß.

Jake half ihr in den Mantel. Sie warf Ben wütende Blicke zu, die nichts Gutes verhießen, als er ihnen nachwinkte und die Haustür hinter ihnen schloss. Da es einen Großteil des Abends geregnet hatte, waren die Eingangsstufen und die Auffahrt nass und rutschig, deshalb blieb Holly nichts anderes übrig, als den Arm zu nehmen, den Jake ihr anbot, wenn sie sicheren Fußes zu ihrem Auto gelangen wollte.

„Danke.“ Sobald sie ihren Wagen erreicht hatten, zog sie ihre Hand zurück. In der kalten Nachtluft stieg ihr Atem als weiße Wölkchen auf.

„Es war mir ein Vergnügen.“ Jake schob die Hände tief in seine Manteltaschen.

„Hören Sie …“

Sie hatten gleichzeitig gesprochen, so dass Jake Holly höflich das Wort überließ.

„Es ist unwahrscheinlich, dass wir uns häufig begegnen werden. Ich denke, es ist deshalb das Beste, wenn wir einfach so tun, als wären wir uns nie begegnet.“

„Natürlich“, antwortete Jake. „Kein Problem.“

Hm. Kein Problem? Die Antwort passte ihr wiederum gar nicht. War sie so leicht zu vergessen? Wider alle Vernunft nahm sie ihre überheblichste Haltung an. „Übrigens, egal, was Ben Ihnen erzählt hat … und nicht, dass es mir irgendetwas ausmacht, was Sie von mir halten … ich bin keineswegs eine ‚Prinzessin‘.“

Jake lachte herzlich, was Holly momentan die Sprache verschlug. „Sie haben das gehört?“ fragte er amüsiert.

„Laut und deutlich. Und ich denke, es war sehr falsch von Ben und höchst unhöflich von Ihnen, darüber auch noch Witze zu machen.“

„Sind Sie fertig?“

Überrascht von seinem schroffen Ton, blickte sie auf. „Nun ja, ich denke schon …“

Jake beugte sich vor und küsste sie zart auf den offenen Mund, womit er sie effektvoll zum Schweigen brachte. Er machte keinen Versuch, sie in die Arme zu nehmen, so dass ihre warmen Lippen der einzige Berührungspunkt blieben. Aber es war ein so unerwartet zärtlicher Kuss, dass Holly sich seinem Zauber nicht entziehen konnte. Sie schloss die Augen und lehnte den Kopf kaum merklich zurück. Diese kleine Geste genügte als Ermutigung. Jake beugte sich etwas näher zu ihr, und eine ungeahnte Sehnsucht entflammte zwischen ihnen. Was als ein vielleicht übertrieben freundlicher Gutenachtkuss begonnen hatte, entwickelte sich zu etwas ganz anderem. Es war zart und verlockend und wunderschön.

Nachdem sie es einige Momente ausgekostet hatten, lösten sie sich voneinander. Holly wankte und war froh, sich gegen ihr Auto lehnen zu können. Seufzend schlug sie die Augen auf.

Jake lächelte und zeigte wieder einmal seine unwiderstehlichen Grübchen. „Ich glaube, jetzt sollten wir getrennte Wege gehen. Für einen Abend haben wir beide schon viel zu viele widersprüchliche Erinnerungen geschaffen.“

„Gute Nacht, Jake“, flüsterte Holly.

„Gute Nacht, Holly“, antwortete er, aber sein Blick verriet, dass er am liebsten etwas anderes gesagt hätte. Er atmete tief ein und wandte sich kopfschüttelnd ab.

Holly wollte sich schon in ihren Wagen setzen, als Jake sich besann und noch einmal zurückkam.

„Das muss ich noch loswerden“, sagte er, wobei sie sein Gesicht in der Dunkelheit nicht erkennen konnte. „Sie sind eine faszinierende, temperamentvolle und wunderschöne Frau, Holly. Verkennen Sie Ihren eigenen Wert nicht!“

Ohne ein weiteres Wort ging er dann davon und verschwand in der nebligen Nacht.

5. KAPITEL

Holly wartete bis zur Pause zwischen den Rennen, ehe sie aus dem großen weißen Festzelt auf das grüne Oval in der Mitte der Rennbahn trat, wo die Benefizveranstaltung für den „Hidden Valley Greyhound Course“ stattfand. Sie hob die Füße vorsichtig hoch, weil der Boden vom Regen aufgeweicht und lehmig war. Colonel Charles Lyneham, ehemals Verwalter der Rennbahn und nun schon lange im Ruhestand und ihr Ehrengast, hatte sich vor einer Stunde auf einen Rundgang begeben und war noch nicht zurückgekehrt. Holly musste ihn suchen.

Sie duckte sich durch ein Loch im Zaun, wo der Maschendraht schon seit Jahren kaputt war, und stieg die alten Holzstufen zur Haupttribüne hinauf. Sie sah in den Angestelltenbüros, in den Wettzonen und sogar auf dem Parkplatz nach. Der Colonel war nirgends zu finden. Also blieb nur noch die Kneipe. Holly wandte sich in die Richtung in der Hoffnung, den Colonel dort zu finden.

Als sie um die Ecke bog, traf sie die Szene vor ihr wie ein Déjà-vu-Erlebnis. Der Geruch von Bier, Rauch, Lehm und Schweiß. Sie, wie sie draußen vor der Kneipe stand und hineinblickte, um jemanden zu suchen. Nur dass sie damals vor vielen Jahren viel kleiner gewesen war. Diesmal hatte sie wenigstens die richtige Größe, um den gesuchten silberfarbenen Haarschopf entdecken zu können.

Holly stellte sich auf die Zehenspitzen. Aber anstelle des besagten Haarschopfes entdeckte sie lediglich zwei faszinierende, fröhlich blitzende samtbraune Augen, die in ihre Richtung blickten. Sofort machte sie sich so klein wie möglich und dachte an das letzte Mal zurück, als sie diese Augen gesehen hatte: Es war um Mitternacht auf einer nebligen Straße gewesen, nach einem hinreißenden Kuss, der sie außerordentlich verwirrt hatte.

Plötzlich wurde sie gepackt, in die Menge gezogen, und jemand drückte ihr einen brüderlichen Kuss auf die Wange.

„Ben! Was machst du denn hier?“ Holly spähte über seine Schulter, weil sie schon befürchtete, Jake würde ihm auf dem Fuß folgen.

„Unsere Firma hat hier eine Loge und Jake heute die ganze Führungsmannschaft zu einem Willkommensumtrunk eingeladen. Gesell dich doch zu uns.“

„Danke, aber es geht leider nicht, Ben. Ich bin hier nicht zum Spaß, sondern sozusagen im Einsatz. Hast du zufällig Charles Lyneham gesehen? Er gehört zu meiner Gesellschaft und scheint sich irgendwie verirrt zu haben.“

„Der Colonel? Er ist bei uns.“

Ben packte sie fest beim Arm und zog sie hinter sich her durch die dicht gedrängte Menge in der Kneipe. Von allen Seiten wurde geschubst und gedrängelt, so dass Holly gar nichts anderes übrigblieb, als sich an Ben festzuhalten und sich so eng wie möglich an ihn zu schmiegen.

„Jake hat ihn nach dem ersten Rennen draußen getroffen“, erzählte Ben, „und ihn zu einem kleinen Drink eingeladen. Seitdem ist er bei uns. Jetzt bleibt dir nichts anderes übrig, als wenigstens Hallo zu sagen.“

„Na toll! Der Colonel soll in einer knappen halben Stunde auf unserer Spendenparty die Dankesrede halten, und Charlie belässt es normalerweise nicht bei einem ‚kleinen Drink‘. Dank deines Freundes pichelt er jetzt schon eine geschlagene Stunde und wird vermutlich auch den Rest des Tages an der Bar hängen bleiben.“

Ben machte ein zerknirschtes Gesicht. „Tut mir leid, Prinzessin.“, sagte er.

Jakes herzliches Lachen lenkte ihre Aufmerksamkeit in eine andere Richtung. Wider Willen huschte ein Lächeln über Hollys Gesicht. Es war schon ein unwiderstehlicher Anblick, wie er, die meisten der Umstehenden überragend, dastand, bekleidet mit einem eleganten Maßanzug, ein kühles Glas Bier in der Hand, einen Fuß lässig auf den unteren Holm eines Barhockers gestützt.

Er war nur etwa zehn Meter von ihr entfernt. Die Luft in der voll besetzten Kneipe war heiß und stickig, und mit jedem Schritt, den sie, Holly, sich ihm näherte, klopfte ihr Herz schneller. Immer noch klammerte sie sich an Ben, um nicht unter die Füße zu geraten. Vom Colonel war nichts zu sehen, aber er war bestimmt nicht weit.

Noch fünf Meter. Das Kribbeln im Bauch wurde stärker. Komm schon, blick endlich auf und bemerke mich! Lass es uns hinter uns bringen. Lass sehen, ob dieser Kuss dir genauso … wenig bedeutet hat wie mir.

„Jake!“ rief Ben über die Umstehenden hinweg.

Jake schaute in ihre Richtung. Als er Ben erkannte, wurde sein Lächeln breiter, und er zwinkerte ihm zu. Dann bemerkte er Holly, und sein Gesichtsausdruck veränderte sich. Seine dunklen Augen leuchteten auf, so dass es ihr noch wärmer wurde. Langsam ließ Jake den Blick hinabgleiten und auf ihrer Hand verweilen, mit der sie sich immer noch an Bens Arm klammerte.

Hastig ließ sie ihn los. Es war ihr unangenehm, so hilflos zu wirken, wie sie sich Schutz suchend an Ben klammerte. Ben schien ihr Dilemma nicht zu bemerken, sondern lächelte sie nur an und schob sie in die Gruppe. Als Jake ihr wieder in die Augen blickte, war sein Lächeln ebenso verschwunden wie das warme Leuchten in seinen dunklen Augen. Mit unergründlicher Miene hob er sein Glas in ihre Richtung, trank dann einen gehörigen Schluck und wandte sich wieder seinen Leuten zu.

Holly spürte, wie ihr das Blut heiß in die Wangen schoss. Natürlich war es ihr Wunsch gewesen, so zu tun, als wären sie sich nie begegnet, aber sie hätte nicht gedacht, dass es ihm so leichtfallen würde. Ihr jedenfalls schlug das Herz bis zum Hals, wohingegen er absolut cool wirkte. Pah! Was hatte sie anderes erwartet? Sie hatte ihn doch von Anfang an so eingeschätzt. Wie es aussah, hielt ihre Theorie stand. Entschlossen wandte sie sich von Jake ab und setzte ihr schönstes Lächeln auf. „Wie ich höre, Gentlemen, haben Sie einen meiner Freunde entführt.“

Die Männer verstummten sofort und schenkten ihr ihre ganze Aufmerksamkeit.

„Tut mir leid, Holly“, sagte Ben, „ich hatte es völlig vergessen. Holly organisiert die große Spendenparty in dem weißen Festzelt, und wie es aussieht, haben wir ihr den Ehrengast abspenstig gemacht.“ Er blickte sich um. „Wohin ist denn der gute Colonel verschwunden?“

„Ich fürchte, dies ist seine Runde“, mischte sich ein attraktiver junger Mann ein, wobei er Holly einladend ansah. „Wir können ihn auf keinen Fall gehen lassen, bevor er seine Schuld bezahlt hat. Sie werden also bei uns warten müssen, bis er mit den Drinks zurückkommt. Und da dieser Stoffel da uns anscheinend nicht vorstellen will, fange ich schon mal an. Ich bin Matt Riley, der neue Buchhalter.“

„Freut mich, Sie kennen zu lernen, Matt. Ich bin Holly Denison.“ Sie schüttelte ihm die Hand.

Er hielt ihre eine Spur länger als nötig. „Ich weiß“, sagte er überraschend.

Holly dachte an Bens Scherz über ihr Foto in der Männertoilette und war für einen Moment irritiert.

Ihr zweifelnder Ausdruck veranlasste Matt hinzuzufügen: „Ich habe Sie bei dem Boxkampf gesehen.“

Der Typ war beim Boxkampf gewesen? Er war einer der Männer, die sie an jenem Abend hätte kennen lernen können? Holly betrachtete genauer, was sich ihr da als greifbare Möglichkeit anbot: groß, athletisch, jungenhaftes Lächeln. Wirklich süß.

„Dann müssen Sie sehr gute Augen haben, Riley“, spottete Jake unerwartet von hinten. „Denn sie war allerhöchstens für zehn Sekunden anwesend.“ Er sah sie ungerührt an, während sie ihn mit wütendem Blick warnte, ja nicht noch mehr zu verraten. Schließlich zuckte er die Schultern und wandte sich Matt Riley zu. „Jedenfalls nach allem, was Benny mir gesagt hat.“

„Nun, offensichtlich haben zehn Sekunden genügt, um einen unauslöschlichen Eindruck bei mir zu hinterlassen“, erwiderte Matt charmant. „Aber Sie waren tatsächlich verschwunden, bevor ich mich Ihnen vorstellen konnte.“

Holly schenkte ihrem galanten Bewunderer ein strahlendes Lächeln und warf Jake über die Schulter einen triumphierenden Blick zu. „Was Sie nicht sagen!“

Nicht schlecht, Matt, dachte sie. Du bist jünger, vermutlich süßer und ganz sicher charmanter als das Großmaul hinter dir. Blond im Gegensatz zu dunkel. Offen im Gegensatz zu unergründlich. Ja, wirklich sehr süß. Aber ich denke, du weißt es auch genau. Höchstwahrscheinlich bist du auch nur so ein Blender.

Plötzlich war sie das Spiel leid. Sie wandte sich von Matt ab und der übrigen Gruppe zu, um sich vorzustellen. Es waren einige junge Männer in ihrem Alter darunter, die auch sehr gut aussahen. Diese Burschen gehörten zur Führungsetage von „Lincoln Holdings“, was bedeutete, dass sie intelligent und erfolgreich waren und zu einer handverlesenen Elite gehörten, die Ben höchstpersönlich eingestellt hatte. Das war die Klientel, aus der Ben ein Date für sie hätte auswählen sollen!

Für kurze Zeit schwelgte Holly in den Möglichkeiten, bis sie erneut Jakes Blick begegnete. Er lächelte sie nicht bewundernd an wie die anderen Männer, nein, er saß mit verschränkten Armen auf einem Barhocker, beobachtete sie und schien sich köstlich zu amüsieren. Offenbar wusste er genau, was sie dachte.

Holly bewahrte sich entschlossen ihr Lächeln und zuckte die Schultern. Warum sollte sie es leugnen? Was ging es ihn überhaupt an?

„Holly, meine Kleine, wie nett, dass du dich zu uns gesellt hast.“ Der Colonel tauchte mit einem Tablett voller Drinks in der Hand wieder auf. „Ich hätte dich ja eingeladen, mit mir zu kommen, aber es ist meines Wissens Jahre her, dass du zuletzt einen Fuß in diese alte Kneipe gesetzt hast, Prinzessin.“

„Charlie.“ Der Anblick des liebenswerten alten Mannes besänftigte Hollys Zorn. „Sie wissen doch, ich würde Ihnen überallhin folgen. Aber wir haben heute noch eine andere Verabredung. Erinnern Sie sich noch an die Spendenparty?“

Der alte Colonel nickte.

„Das große Festzelt? Ihre Dankesrede?“

Er hielt inne. „Oh!“

Holly betrachtete ihn genauer. War er betrunken? Er schwitzte ein wenig, aber in der vollen Kneipe war es auch sehr heiß. Er schwankte nicht und sprach ohne zu lallen. Und da sie nicht an seinem Drink schnuppern wollte, den er in der Hand hielt, wusste sie nicht sicher zu sagen, ob er getrunken hatte.

„Ich schlage vor, wir lassen Charlie noch in Ruhe seine Limonade austrinken“, mischte sich Jake jetzt ein. „Dann begleiten wir ihn zum Festzelt und hören uns seine große Rede an. Was halten Sie davon, Miss Denison?“

Limonade? Holly blickte erstaunt zu Jake auf, der sie nun entspannt anlächelte. Wie hatte er ahnen können, was sie beschäftigte? „Das klingt mir fair.“ Sie nickte Jake dankend zu.

Der Colonel leerte das Limonadenglas mit einem großen Schluck. „Dann los!“

Holly wandte sich dem Ausgang zu und zögerte unwillkürlich, sich einen Weg durch die dicht gedrängte, schwitzende Gästeschar zu bahnen. Doch dann ertönte hinter ihr Jakes Stimme.

„Machen Sie bitte Platz, Gentlemen! Der Colonel will durch.“

Und wie von Zauberhand veranlasst, wichen die Männer auseinander und bildeten eine Gasse bis zur Tür. Der Colonel strich sich glättend über sein Tweedjackett und ging mit stolz erhobenem Kopf voraus. Holly spürte, wie Jake sie von hinten am Ellbogen fasste, und drehte sich zu ihm um.

„Sollen wir, Miss Denison?“ Er bot ihr galant seinen Arm an.

Sie blickte ein wenig argwöhnisch zu ihm auf, doch der Blick seiner dunklen Augen war unergründlich. Allerdings drohte sich die Gasse zum Ausgang bereits wieder zu schließen, und Holly begann allmählich, in der stickigen, überfüllten Kneipe unter klaustrophobischen Anwandlungen zu leiden. So schien es ihr das kleinere Übel, Jakes dargebotenen Arm anzunehmen und sich von ihm sicher nach draußen führen zu lassen. Holly schloss die Augen, klammerte sich an Jakes Arm und folgte ihm blind. Er legte eine Hand schützend auf ihre und drückte sie beruhigend.

Sobald Holly wieder frische Luft atmete, öffnete sie die Augen und stellte fest, dass sie sich auf der großen Plattform oberhalb der Haupttribüne befanden. Sie wandte sich Jake zu, um ihm zu danken. Doch er war in ein angeregtes Gespräch mit zwei seiner Mitarbeiter vertieft, wobei er auf die Rennbahn deutete, wo gerade das dritte Rennen begonnen hatte. Und Holly wusste aus Erfahrung, dass man mit den Männern erst wieder vernünftig reden konnte, wenn das Ganze vorbei war.

Schweigend beobachtete sie, wie die Hunde um die letzte Kurve schossen. Die wenigen Zuschauer auf der Haupttribüne sprangen auf. Auch ihre Gruppe von der Spendenparty hüpfte rufend und schreiend auf und ab, die Wettzettel in den Händen. Sir Pete, der Favorit in diesem Rennen, lag eine Nasenlänge zurück, so dass die Möglichkeit einer kleinen Sensation in der Luft lag.

„Ich weiß gar nicht, warum sie sich alle so aufregen“, sagte Holly vor sich hin. „Sir Pete wird sowieso gewinnen.“

„Wetten Sie nicht darauf“, erwiderte Jake, der neben ihr stand.

„Das würde ich niemals tun.“

Auf den letzten zwanzig Metern legte Sir Pete plötzlich einen phänomenalen Endspurt hin und kam mit zwei Längen Vorsprung vor seinem schärfsten Rivalen ins Ziel.

„Ich hasse es, zu verlieren“, sagte Jake und zerriss theatralisch seinen Wettschein.

„Dann sollten Sie auf den Favoriten setzen.“

Er lächelte sie so unerwartet strahlend an, dass ihr der Atem stockte. „Sie sind eine Frau voller Überraschungen, Holly Denison.“

Holly schluckte. Höchste Zeit, wieder zu ihrer eigenen Gesellschaft zurückzukehren! Erst als Holly sich aufmachte, ihrer Gruppe in das Festzelt zu folgen, wurde ihr bewusst, dass sie sich immer noch bei Jake untergehakt hatte. Mit einem entschuldigenden Lächeln wollte sie seinen Arm loslassen, doch er hielt sie fest.

„Noch nicht, Miss Denison“, sagte er schmeichelnd. „Bevor ich Sie loslasse, müssen Sie mir unbedingt eine Frage beantworten.“

Holly errötete. „Fragen Sie“, antwortete sie heiser.

„Was, in aller Welt, tragen Sie da nur an den Füßen?“

Holly blinzelte, blickte auf ihre Füße … und lachte. In ihrer Verwirrung hatte sie es ganz vergessen. „Haben Sie denn noch nie Gummigaloschen gesehen, Mr. Lincoln?“ fragte sie schalkhaft.

„Natürlich. Ich habe sogar schon so schreiend gelbe wie diese gesehen. Aber ich muss zugeben noch nie an einer Frau, die ansonsten so elegant zurechtgemacht ist, wie Sie es sind. Ist das vielleicht die neueste Mode?“

„Hm, Sie sind ziemlich lange fort gewesen, nicht wahr? Leuchtend gelbe Gummigaloschen sind in diesem Winter ein absolutes Muss in Melbournes Modewelt.“

„Sie meinen, sie haben sogar das ‚kleine Schwarze‘ verdrängt?“ fragte Jake gespielt ernst.

Holly griff sich ans Herz und schnappte theatralisch nach Luft. „Du liebe Güte, nein! Niemals. Aber man trägt sie selbstverständlich zum ‚kleinen Schwarzen‘.“

Jake nickte, ohne die Miene zu verziehen, und führte sie zu der Treppe der Haupttribüne. „Nachdem Sie mir nun das Was beantwortet haben, verraten Sie mir jetzt auch das Warum?“

„Damit meine Füße nicht nass werden“, antwortete sie, ohne mit der Wimper zu zucken.

Jake betrachtete sie zweifelnd.

„Also schön … nach dem Wolkenbruch vergangene Nacht habe ich bei meiner Ankunft heute früh festgestellt, dass der Boden in und um mein Festzelt völlig aufgeweicht und schlammig war. Um zu verhindern, dass meine Gäste von diesem Tag nur in Erinnerung behalten, dass sie nasse Füße bekommen haben, habe ich einfach für alle Galoschen und warme Socken herbeigeschafft.“

Jakes Augen funkelten belustigt. „Und hat irgendeiner, ich meine, abgesehen von Ihnen, die Dinger auch tatsächlich angezogen?“

„Aber natürlich. Alle haben sie angezogen.“

Holly war mit Jake vor dem Zaun stehen geblieben, der die Zuschauer von der Rennbahn trennte. Die Partygesellschaft war einige Meter seitlich bemüht, den Zaun umständlich zu umgehen, um zu dem Festzelt zu gelangen. Jake wollte ihnen nach, aber Holly zog ihn zurück. Stolz lächelnd schlüpfte sie durch das Loch im Zaun, das die anderen nicht kannten. Jake beobachtete sie erstaunt und folgte ihr.

Langsam näherten sie sich über den lehmigen Pfad dem riesigen weißen Festzelt, das in der strahlenden Mittagssonne glänzte. Das Zeltdach flatterte leicht in der sanften Brise, und von drinnen drangen das Klingen von Gläsern und fröhliches Stimmengewirr an ihr Ohr.

Holly amüsierte sich insgeheim über Jakes zweifelnde Miene. Er sah aus wie ein kleiner Junge am Weihnachtsabend, kurz bevor er das Geschenk von seiner Großmutter auspackte. Würde es der Monster-Truck sein, den er sich so gewünscht hatte, oder waren es wieder nur Handschuhe im Schottenkaro?

Irgendwie erfüllten sie seine unübersehbaren Zweifel aber auch mit Traurigkeit. Sie hatte das unbestimmte Gefühl, dass Jake Lincoln das Gute vermutlich stets bezweifelte, bevor er es mit eigenen Augen sah. Dieser Mann wusste, was Enttäuschung bedeutete.

Holly sorgte dafür, dass sie vor Jake das Zelt betrat. Wie ein Zeremonienmeister hielt sie ihm dann den großen Eingangsvorhang auf und genoss den Effekt.

Jake war beeindruckt.

In dem Festzelt waren Glastische aufgestellt. Wo immer Platz war, standen Kerzen, leuchteten auch in improvisierten Kronleuchtern, die tief von der Zeltdecke herabhingen, und tauchten die ganze Szenerie in gedämpftes Licht. Heizgeräte waren diskret im Zelt verteilt, und an den Wänden rankte Efeu, geschmückt mit Gänseblümchen und Osterglocken. Wie durch ein Wunder schien hier mitten auf dem matschigen Oval der Rennbahn ein Hauch von Frühling gezaubert worden zu sein.

Jake blickte in die Gesichter der Gäste. Viele davon waren ihm bekannt, manche davon prominent. Alle Anwesenden lachten, prosteten sich zu und amüsierten sich offensichtlich bestens. Und alle trugen an den Füßen leuchtend gelbe Gummigaloschen!

Er wandte sich Holly zu, die ihn zufrieden lächelnd beobachtete. „Ich bin beeindruckt.“

„Und wie steht’s mit Ihren Schuhen?“

Jake hob einen Fuß und begutachtete seine völlig durchnässten, teuren Lederschuhe. „Ruiniert. Sogar die Socken kann ich auswringen!“

Holly nickte jemandem zu, und einen Augenblick später brachte ein Ober auf einem Tablett ein Paar nagelneue gelbe Gummistiefel und dicke Baumwollsocken.

„Muss ich wirklich?“ fragte Jake zweifelnd.

„Was glauben Sie?“

Anstatt zu antworten, nahm Jake die Stiefel und die Strümpfe und zog sich einen freien Stuhl heran. Seine durchnässten Schuhe gab er dem Ober, der sie gegen eine Garderobenmarke in Empfang nahm und wegbrachte.

„So“, sagte Holly zufrieden, „jetzt passen Sie dazu und sind einer von uns.“

Sie wandte sich ab, um einem eifrigen jungen Mann mit Klemmbrett in den Händen einige Anweisungen zu erteilen. Jake beobachtete sie. Sie war tüchtig und hatte gern alles im Griff. Und plötzlich begriff er: Sie war in diesem Moment glücklich, weil er sich ihren Wünschen gebeugt hatte. Sofort begehrte er insgeheim dagegen auf. Die Vorstellung, eingeengt und manipuliert zu werden, behagte ihm überhaupt nicht. Er war ein freier Mann und ließ sich von niemandem bestimmen. Er hatte die Erfahrung lange genug gemacht, den Bedürfnissen und Wünschen eines anderen Menschen verpflichtet zu sein, und wollte diesen Weg nie wieder gehen.

Bleib cool! Es geht nur um ein Paar Schuhe. Nur um diesen einen Nachmittag. Für einen Nachmittag kannst du dich doch nach den Wünschen eines anderen Menschen richten. Es ist doch nicht so, dass du dieser Frau alle Entscheidungen für den Rest deines Lebens überlässt!

Für den Rest deines Lebens. Plötzlich fiel es ihm wieder ein. Sie war auf der Suche nach einem Ehemann und hatte Ben überredet, ihr zu helfen. Warum? Sie war doch hinreißend … schlank und wohlgerundet, langes, seidig schimmerndes dunkles Haar, bei dessen Anblick es jedem Mann in den Fingern kribbelte, und aufregend lange Beine … auch wenn sie jetzt in diesen lächerlichen gelben Gummistiefeln steckten.

Seit sie das Zelt betreten hatte, hatten sich einige Männer interessiert nach ihr umgedreht, und seine Mitarbeiter vorher hatten wie die Schuljungen um ihr Lächeln gebuhlt. Jake bemerkte, wie mehrere gut gekleidete Kerle auf der gegenüberliegenden Seite des Zeltes sie beobachteten und ganz offensichtlich über sie sprachen, und er verspürte plötzlich den unerwarteten Wunsch, zu ihr zu gehen … um sie vor den Blicken dieser Männer abzuschirmen und sie zu beschützen.

Sie musste ihn dabei ertappt haben, wie er sie beobachtete, denn sie zog fragend die Brauen hoch. Dann bedeutete sie ihm, dass sie in einer Minute wieder bei ihm sein würde. Ihr Gesicht war so ausdrucksvoll, egal, ob sie lächelte oder nachdenklich blickte … wie ein offenes Buch. Und es wurde ihm immer vertrauter.

Schließlich kam sie zu ihm und sank neben ihn auf einen Stuhl. Ein zarter Duft stieg ihm in die Nase, blumig und betörend. Ihr Parfüm. Es haute ihn fast um.

Achtung, Ärger! schoss es ihm durch den Kopf. Ganz von selbst konnte sich diese Situation zu einem ganzen Berg von Problemen entwickeln. Er sollte jetzt besser gehen. Zurück in seine Firmenloge. Zurück ins Büro. Am besten zurück ans andere Ende der Welt.

Er sollte, aber er konnte nicht. Jedenfalls noch nicht.

„Sie sind ein Arbeitspferd, Miss Denison“, sagte er leutselig.

„Alles zum Wohl der Hunderennbahn“, antwortete sie.

„Und zum Wohl des Firmenkontos von ‚Wolke Sieben’“, ergänzte Jake sachlich.

„Tut mir leid, diese Sache nicht. Das hier ist eine ganz private Aktion meinerseits, vor der die Leute von ‚Wolke Sieben‘ netterweise die Augen verschließen.“

„Heißt das, Sie machen das alles hier umsonst?“

„Verstehen Sie mich nicht falsch … ich zahle keineswegs die Rechnung für diese grandiose Bewirtung. Die Kosten werden von den Spendeneinnahmen abgezogen, aber ich kann Ihnen versprechen, dass noch ein satter Gewinn übrigbleibt.“

„Von dem Sie keinen Cent sehen?“ Jake wollte seinen Ohren nicht trauen.

Holly lachte. „Sie sind ein so ungläubiger Thomas, Mr. Lincoln. Aber ich versichere Ihnen, dass ich nicht einmal vierzig Cent für ein Telefongespräch einbehalte.“

„Und warum nicht?“

„Diese Spendenaktionen bringen jedes Jahr gerade genug ein, um die Rennbahn am Leben zu erhalten. Wenn ich mein übliches Honorar berechnete, würde es sich nicht mehr lohnen.“

„Aber warum ausgerechnet für diese Hunderennbahn? Ich meine, Sie haben gesagt, dass Sie niemals wetten. Haben Sie ein solches Faible für Greyhounds?“

Sie verzog das Gesicht. „Ganz und gar nicht. Diese Hundegerippe, die einem Köder nachjagen, sind nicht mein Fall. Ich mache es nur für den Colonel.“

„Und woher kennen Sie ihn so gut?“

Holly wollte antworten, besann sich aber anders. Sie blickte sich um, als suchte sie nach einem Vorwand, das Thema zu wechseln, und atmete erleichtert auf, als sie den alten Colonel kommen sah.

„Holly, meine Süße.“ Er näherte sich ihr mit ausgebreiteten Armen.

Holly stand auf und drückte den großen, alten Mann liebevoll. Jake, der die Szene beobachtete, durchzuckte es eifersüchtig. Ihm gegenüber war sie stets die kühle, selbstbewusste Geschäftsfrau, aber in der Gesellschaft bestimmter Menschen schien sie zu einem ganz anderen Wesen aufzublühen. Ihr Lächeln wurde strahlender und liebevoller, und ihre blauen Augen blitzten übermütig.

„Charlie! Amüsieren Sie sich gut?“

„Wie immer, Prinzessin.“

„Und sind Sie bereit für Ihre Rede? In zehn Minuten ist es so weit.“

„Kein Problem. Du bist die Beste, Prinzessin.“ Er wandte sich zu Jake. „Sie war immer unser kleines Maskottchen, lief uns ständig zwischen den Füßen herum und sammelte auf der Haupttribüne die alten Wettscheine ein, in der Hoffnung, einen Gewinner darunter zu finden. Und sehen Sie diese kleine Narbe?“ Der Colonel deutete auf Hollys Nasenrücken. Scheinbar spielerisch schob sie seine Hand weg, aber Jake sah etwas wie Panik in ihren Augen aufleuchten. „Jetzt ist sie kaum noch zu sehen, längst verheilt, aber …“

Holly nahm ihn kurz entschlossen bei der Hand und zog ihn fort. „Kommen Sie, Charlie, es ist ja gut und schön, in Erinnerungen zu schwelgen, aber jetzt ist es höchste Zeit für Ihre Rede. Entschuldigen Sie uns, Jake.“ Diesmal galt ihr Lächeln allein ihm, und Jake wusste, dass er wider alle Vernunft so bald nirgendwo anders hingehen würde.

Die Rede des Colonels war brillant … kurzweilig, humorvoll und überzeugend, und die Spenden flossen so großzügig, dass der Betrieb auf dem alten „Hidden Valley Greyhound Course“ für ein weiteres Jahr gesichert war.

Jake und Ben hatten auf Holly gewartet, und diese bot ihnen an, sie nach Hause zu fahren. Als die Sonne über der alten Hunderennbahn unterging, überquerten sie schweigend die Bahn. Im Lauf des Tages war der Boden etwas abgetrocknet, so dass sie jetzt alle ihr übliches Schuhwerk trugen.

„Müsstet ihr Männer jetzt nicht eure Mäntel vor meinen Füßen ausbreiten?“ fragte Holly, die etwas Mühe hatte, mit ihren hochhackigen Pumps Schritt zu halten.

„Soweit ich weiß, gilt das nur für eine Königin“, meinte Ben ungerührt.

„Und wie wir wissen, sind Sie nur eine Prinzessin“, flüsterte Jake ihr ins Ohr, und ihr Herz pochte schneller.

Egal, wie sehr sie sich an ihre Theorie klammerte, ihr dämmerte es allmählich, dass sich hinter Jakes unergründlicher Miene mehr Charakter verbarg, als sie zunächst angenommen hatte. Was für eine Persönlichkeit musste zum Beispiel ein Mann besitzen, der es schaffte, einen Alkoholiker dazu zu überreden, in einer Kneipe nur Limonade zu trinken?

Vielleicht musste ihre Theorie aber auch nur ein wenig angepasst werden. Möglicherweise war Mr. Cool ja durchaus mit einem Gewissen ausgestattet, aber nicht mit einem „Beziehungs-Gen“. Er mochte ja so attraktiv wie Adonis und so intelligent wie Platon sein, aber war er auch ein so treuer Familienmensch wie etwa Ben? Das bezweifelte sie sehr.

Sie setzte zuerst Jake bei den Büros von „Lincoln Holdings“ ab, wo er noch etwas arbeiten wollte. Er stieg aus dem Auto und kam auf die Fahrerseite, so dass Holly gezwungenermaßen das Fenster herunterließ.

„Danke fürs Mitnehmen.“

„Keine Ursache.“ Holly ließ den Motor laufen.

„Und für den netten Nachmittag. Damit … hatte ich gar nicht gerechnet.“

Holly rang sich ein Lächeln ab und hielt nervös den Atem an, als er sich herabbeugte und ins Wageninnere spähte. Er war ihr so nahe, dass sie den dezenten Duft seines exklusiven After Shaves riechen konnte.

„Wir sehen uns morgen im Büro, Benny-Boy“, sagte er an ihr vorbei zu Ben.

Der visierte ihn spaßhaft mit dem Zeigefinger wie mit einem Pistolenlauf an. „Aber klar, Boss.“

Jake wandte sich wieder Holly zu und war ihr immer noch so nahe, dass sie versucht war, die Augen zu schließen. „Wir sehen uns auch, Holly“, sagte er nachdrücklich und küsste sie zart auf die Wange. „Und versprechen Sie mir, dass Sie unseren Benny-Boy heil zu Hause bei seiner Beth abliefern.“

„Ich verspreche es, Jake.“

Sobald er sich aufgerichtet hatte, gab sie Gas und fuhr davon. Ein kurzer Blick in den Rückspiegel verriet ihr, dass Jake auf der Straße stehen geblieben war und ihr nachblickte. „Hast du noch irgendeinen Kandidaten aufgetrieben, mit dem du für mich ein Date machen kannst?“ fragte sie Ben.

Der zögerte und schien erst einmal gründlich über diese Frage nachzudenken. „Es gäbe da sicher einige Möglichkeiten …“

„Dann tu es bitte. So bald wie möglich.“

„Sicher, wenn du es wirklich immer noch willst“, gab Ben vorsichtig zu bedenken.

Sie nickte energisch und fuhr Ben nach Hause.

6. KAPITEL

Gott sei Dank, dass es Freitag ist, dachte Holly, als der Ober ihr den Cocktail aus Zitronen- und Limonensaft, Bitterlikör und einer Spur Honig reichte. Sie trank genüsslich einen Schluck und ließ den Blick durch den Raum schweifen. Sämtliche Gäste der Spendengala der „Arty Pants Modern Art Gallery“ schienen sich prächtig zu amüsieren und auch die Kunstwerke gebührend zu bewundern. Alles war bestens.

Bis der Typ in der Ecke sie anlächelte. Teurer Anzug, leicht schütteres, aber perfekt gestyltes Blondhaar, gebräunter Teint, makellose, strahlend weiße Zähne. Hollys Lächeln verschwand.

Du liebe Güte, schon wieder so einer! Springen die etwa irgendwo vom Fließband, nur um Partys und Vernissagen zu besuchen und meine Theorie zu untermauern?

Der Mann prostete ihr zu. Holly nickte höflich und wandte sich ab. Glücklicherweise erblickte sie in diesem Moment Lydia, die gerade von einem „Star Trek“-Konvent in Sydney zurückgekehrt war, bei dem sie assistiert hatte.

„Hi, Prinzessin“, rief sie in der für sie typischen, ungestümen Art und drückte Holly an sich. „Toller Abend, Holly. Ein wahres Fest für die Augen … dabei fällt mir ein, wer ist eigentlich der blonde Typ in der Ecke, der dich mit seinen Blicken verschlingt?“

Holly warf besagtem Mann einen verstohlenen Blick zu. Er beobachtete sie immer noch über sein Whiskyglas hinweg. „Tut mir leid, Lydia. Ich bin nicht interessiert.“

Lydia zog ungläubig die schmalen Brauen hoch. „Warum? Wartet vielleicht zum Dinner schon ein besserer Kandidat?“

„Wohl kaum. Ehrlich gesagt, während deiner Abwesenheit hat Ben einige Blind Dates für mich arrangiert, und ich habe erst einmal genug davon, meine ganze Lebensgeschichte auszubreiten.“

„Dann liegt die Jagd nach einem Ehemann also wieder auf Eis?“

Holly zuckte die Schultern.

„He, während du hier wildromantische Nächte mit Dutzenden von Männern genießen durftest, musste ich mich gegen spitzohrige Freaks in Gummimasken verteidigen. Obwohl der eine Klingone …“ Lydia lächelte versonnen, bevor sie Holly beschwor: „Ich brenne auf Einzelheiten! Sicher waren sie alle ganz wundervoll?“

Holly lachte. „Ermüdend trifft es eher. Der Kerl am Mittwoch hat mich in ein japanisches Restaurant ausgeführt, wo man auf dem Boden sitzt. Das war ja ganz gut und schön, bis er die Schuhe auszog!“

„Dann kauf ihm Baumwollsocken. Oder wasch ihm jeden Abend die Füße. Das ist unglaublich sexy! Schön, der Nächste!“

„Okay. Mein Blind Date gestern Abend holte mich von der Arbeit ab. Nettes Auto. Nette Unterhaltung. Netter Typ. Bis er einen Umweg über sein Zuhause machte und mich seiner Mutter vorstellte … noch vor dem Dinner!“

„Du bist zu pingelig. Muttersöhnchen können ganz wundervoll sein. Ich wette, der kann sogar kochen und putzen.“

„Du meinst, ich wäre zu pingelig? Hör zu, es war sogar einer darunter, der mit mir eine ganze Fußballmannschaft zeugen wollte!“

Lydia lachte so laut und herzlich, dass sich einige Gäste zu ihr umdrehten. „Der Mann hat zweifellos eine dauerhafte Beziehung im Sinn! Wenn du ihn nicht willst, gib mir seine Telefonnummer.“

Seltsamerweise behagte Holly der Gedanke gar nicht, Lydia die Telefonnummer von ausgerechnet diesem „Kandidaten“ zu geben.

„Wow! Der schnuckelige Typ war es allein wert, herzukommen!“ sagte Lydia plötzlich und nickte über Hollys Schulter hinweg.

„Wer?“ Holly drehte sich neugierig um. Es gelang ihr nicht, ihre Überraschung zu verbergen, als sie Jake Lincoln erblickte, der sich gerade den Mantel auszog.

Lydia sah Holly scharf an. „Du kennst ihn, wie ich sehe?“

„Kaum.“ Holly wandte sich errötend ab und suchte nach einer Fluchtmöglichkeit.

„Holly, du weißt doch, was für eine miserable Lügnerin du bist! Bilde dir bloß nicht ein, du könntest dich davor drücken, uns nicht vorzustellen!“ Energisch packte Lydia Holly beim Ellbogen und schob sie in Richtung Eingang. Jake rückte sich gerade die Krawatte zurecht, lächelte das Mädchen an, das ihm den Mantel abgenommen hatte, und ließ den Blick durch den Raum schweifen.

Er bemerkte die beiden jungen Frauen in der Nähe der Bar fast augenblicklich. Die jüngere der beiden, die durch ihren blonden Wuschelkopf und eine neonpinkfarbene Federboa um die schmalen Schultern auffiel, blickte ihn unverhohlen einladend an, wohingegen die aufregende Brünette, die ein hautenges Kleid in auffallenden Blau- und Grünschattierungen trug, scheinbar fasziniert auf ihre Fußspitzen starrte.

Er atmete tief ein, richtete sich auf und ging geradewegs auf die beiden zu.

Holly beobachtete verstohlen, wie Jake sich näherte. Seine angespannte Haltung verriet, dass er sich in diesen unkonventionellen Künstlerkreisen, in denen sie zu Hause war, unwohl fühlte. Er wirkte ähnlich verunsichert wie sie im Umfeld von Kneipen, Boxkämpfen und Wetten. Ein Lächeln huschte über ihr Gesicht. Jetzt waren sie quitt.

Vermutlich kam er sich auch etwas zu elegant gekleidet vor, aber Holly fand, dass er in seinem schwarzen Smoking, kombiniert mit einem weißen Hemd und einer lavendelfarbenen Krawatte, umwerfend aussah und alle anderen anwesenden Männer mit Abstand in den Schatten stellte. Er nickte ihr grüßend zu. Holly nickte ebenfalls, blickte jedoch nur kurz zu ihm auf. Neben ihr strahlte Lydia über das ganze Gesicht und versetzte ihr einen auffordernden Stoß in die Rippen.

„Jake, darf ich Ihnen meine Assistentin Lydia Lane vorstellen? Lydia, dies ist Jacob Lincoln von ‚Lincoln Holdings‘.“

Lydia reichte Jake die schmale Hand. Neonpink lackierte Fingernägel schimmerten. „Ich bin entzückt, Jake.“

„Das Vergnügen ist ganz auf meiner Seite, Lydia“, erwiderte Jake und schenkte ihr ein Lächeln, das seine Grübchen zur Geltung brachte.

„Ich hatte keine Ahnung, dass der Mann mit diesem Namen so jung und attraktiv ist!“ sagte Lydia in der für sie typischen unverblümten Art. „Auf jeden Fall bringen Sie etwas frischen Wind in diesen Haufen.“

Jake beugte sich verschwörerisch zu ihr vor. „Ich muss gestehen, ich war noch nie auf einer derartigen Veranstaltung.“

„Wirklich nicht?“ Lydia ging auf seinen Ton ein. „Und warum sind Sie dann heute Abend hier?“

„Ich wurde von den netten Menschen der Event-Agentur ‚Wolke Sieben‘ eingeladen.“

Holly blickte erstaunt auf. „Nein, das ist unmöglich!“

Lydia räusperte sich vernehmlich.

„Ich meine, ich kann mich nicht entsinnen, Ihren Namen auf der Gästeliste gesehen zu haben“, verbesserte sich Holly betont höflich.

Jake langte in die Tasche, zog seine Einladung hervor und reichte sie ihr. Die Einladung war adressiert an den Vorsitzenden der Stiftung „Ein Zuhause für Familien“, der die Haupteinnahmen des Abends galten.

Holly sah ihn erneut überrascht an. „Das sind Sie?“

„Das bin ich.“

„Aber dieser Verein ist wundervoll!“

„Mit anderen Worten, ich bin es nicht?“

Holly begegnete seinem amüsierten Blick und schluckte. „Nein … ich meine, diese Stiftung leistet so viel Gutes, und die Leute sind so nett, dass sie meinen … zu den Lieblingsklienten von ‚Wolke Sieben‘ zu gehören. Der Vorstand schickt stets überaus freundliche Dankesbriefe für unsere Bemühungen, aber es ist noch nie ein Vertreter zu den Veranstaltungen erschienen.“

„Nun, jetzt bin ich da, oder nicht?“ fragte Jake langsam, und sein leichter amerikanischer Akzent ließ seine Stimme noch wärmer klingen.

„Sieht aus, als hätte da jemand seine Hausaufgaben nicht gemacht“, sagte Lydia unverfroren. „Mein Fehler ist es jedenfalls nicht. Ich war in Sydney.“

Jake lächelte.

„Ich muss Sie etwas fragen“, wandte sich Lydia ohne Umschweife an ihn. „‚Lincoln Holdings‘ organisiert alle Feiern und Veranstaltungen intern. Warum?“

„Ich habe gern alles im Griff, deshalb achte ich darauf, meine Interessen nicht zu sehr zu verzweigen. Ich halte nichts davon, Arbeiten auszugliedern, die ich gewöhnlich selber besser erledigen kann.“ Hollys halblauter Protest veranlasste ihn hinzuzufügen: „Obwohl Holly und ich uns einig sind, dass wir uns in diesem Punkt nicht einig sind.“

„Wenn Sie kein Partylöwe sind und keine Verwendung für Ihre beruflichen Fachkenntnisse haben, wo haben Sie meine hinreißende Freundin dann kennen gelernt?“ fragte Lydia frech.

„Ach, wir sind uns ein-, zweimal kurz begegnet“, mischte sich Holly verlegen ein.

„Gemeinsame Freunde haben ein Blind Date für uns arrangiert“, antwortete Jake gleichzeitig laut und deutlich, so dass er ihre Antwort übertönte. Holly stöhnte insgeheim auf und wünschte sich, sie hätte Lydia nicht kurz vorher mit ihren Katastrophengeschichten von ihren Blind Dates unterhalten.

Es kam, wie es kommen musste. „Sie machen Witze!“ Lydia klatschte begeistert in die Hände und fragte gespannt: „Welcher waren Sie? Das Muttersöhnchen oder der Typ, der Holly für das nächste Jahrzehnt jedes Jahr ein Kind machen will? He, Holly, wenn er der mit dem Fußgeruch ist … dem Mann würde ich morgens, mittags und abends die Füße waschen!“

Das Muttersöhnchen? Der mit dem Fußgeruch? Hatte Holly, seit sie ihn kennen gelernt hatte, weitere Blind Dates gehabt? Ben hatte es mit keinem Wort erwähnt. Sicher, er hatte Ben auch nicht danach gefragt, weil er einfach angenommen hatte, sie habe ihren verrückten Plan inzwischen aufgegeben.

Doch offensichtlich hatte es andere gegeben. Und obwohl das bedeutete, dass Holly anscheinend immer noch an ihrer irrwitzigen Jagd nach einem Ehemann festhielt, gestand sich Jake in diesem Moment ein, dass ihm die Vorstellung überhaupt nicht gefiel, dass sie sich mit anderen Männern traf.

„Kommen Sie“, ließ Lydia nicht locker. „Welcher waren Sie?“

Holly wartete gespannt. Jake hatte sie die ganze Zeit nachdenklich angesehen. Jetzt lächelte er sie plötzlich so gewinnend an, dass ihr der Atem stockte.

„Nun“, sagte er langsam und ohne den Blick von ihr zu wenden, „ich hoffe, ich bin derjenige, der sie für alle anderen verdorben hat.“

Sie wollte schon protestieren, doch dann dämmerte es ihr. Genau das hatte er getan! Die anderen Dates hatte sie unbewusst mit Jake verglichen, und sie hatten ihm weder, was sein Aussehen, noch, was seine Intelligenz und seinen feinen Sinn für Humor betraf, das Wasser reichen können. Und bei der Erinnerung an den Kuss im Nebel auf der Straße wurden ihr jedes Mal aufs Neue die Knie weich.

Andererseits genügte er aber so gar nicht ihren Kriterien. Er war viel zu reserviert, zu unabhängig, einfach … zu viel. Überhaupt nicht wie Ben. Und Ben war ihr Maßstab, was einen guten Ehemann betraf.

„He, wie war das Date denn nun wirklich?“ fragte Lydia neugierig.

„Einfach schrecklich“, sagte Holly.

„Recht vielversprechend“, sagte Jake.

„Vielversprechend schrecklich oder schrecklich vielversprechend?“ fragte Lydia. Ehe einer der beiden antworten konnte, wurde ihre Aufmerksamkeit jedoch abgelenkt. „Oh, da sehe ich den meisterhaften St. John. Ich muss ihm unbedingt zu seinen Lithographien gratulieren. Ich lasse das junge Glück also allein, okay?“

Lydia verschwand in einer Wolke von blumigem Parfüm und pinkfarbenen Federn, und Holly blieb allein mit Jake zurück. Ihr war klar, dass sie ihm am besten einen schönen Abend gewünscht hätte und ihrer Wege gegangen wäre. Verzweifelt suchte sie nach einer Ausrede … vielleicht irgendein Gast, um den sie sich kümmern musste? Aber sie fand nur den schmachtenden Blonden in der Ecke, der sie immer noch mit Argusaugen beobachtete. Holly sah Jake an und wusste sofort, dass der Blonde die sicherere Lösung wäre.

Doch es war schon zu spät. Sie stand wie angewurzelt da und blickte Jake gebannt in die samtbraunen Augen. Und ohne dass sie es verhindern konnte, schoss ihr das Blut heiß in die Wangen.

Jake beobachtete fasziniert, wie Holly sanft errötete. Am liebsten hätte er ihr eine Hand auf die zarte Wange gelegt und ihre Wärme gespürt. Es verwunderte ihn, wie stark sie auf ihn reagierte … und es schmeichelte ihm natürlich.

„Warum sind Sie heute Abend wirklich gekommen?“ fragte Holly, wobei ihr ausdrucksvolles Gesicht ihre Verunsicherung verriet.

„Ich hatte zufällig eine Lücke in meinem Terminkalender, und auf der Einladung stand, dass es Kanapees umsonst geben würde.“ Ihm war klar, dass seine betont schnodderige Bemerkung nicht sehr überzeugend klang, aber er hatte nicht vor, Holly zu verraten, so viel an sie gedacht zu haben, dass er sich kaum auf seine Arbeit hatte konzentrieren können.

Tatsächlich war er zu dem Schluss gelangt, dass es das einzige Heilmittel sein würde, sie wiederzusehen. Die Traumfrau, die er sich in den letzten Tagen in der Fantasie ausgemalt hatte, konnte nur durch die Realität ausgetrieben werden. Durch dieses Nervenbündel vor ihm. Das einen Ehemann suchte. Und das, wie es sich erwies, leider noch viel verlockender war als die Fantasieversion.

„Wo kann man denn hier etwas zu trinken bekommen?“ Er blickte sich suchend um und führte Holly zu der kleinen Bar. „Noch einen Drink für die Lady und für mich das Gleiche, bitte“, wandte er sich an den Ober.

„Aber das ist kein Champagner“, warf Holly ein.

„Trinken Sie nicht?“

„Nicht, wenn ich arbeite.“

Er hatte ganz vergessen, dass sie ja beruflich und keinesfalls zu ihrem … und seinem … Vergnügen hier war. Das war ein großer Fehler. Während sie jetzt mit dem Weinkellner sprach und sich vergewisserte, dass es den Gästen an nichts fehlte, nutzte Jake die Zeit, um die Dinge wieder ins rechte Licht zu rücken. Die Tatsache, dass Holly auf der Jagd nach einem Ehemann war, schien ihn nicht mehr ausreichend abzuschrecken. Deshalb betrachtete er sie jetzt kritisch, um möglichst viele Fehler an ihr zu entdecken, die sie für ihn unattraktiv machen würden.

Sie trug den Fransenpony heute mit einem tiefen Seitenscheitel und das restliche Haar zu einem eleganten Knoten im Nacken frisiert, was ihre zierlichen Schultern betonte. Jake wünschte sich, sie würde ihr schönes Haar einmal offen tragen. Das war doch ein Makel, oder nicht? Weiter hinab glitt sein skeptischer Blick über ihre reizvollen Rundungen, die das aparte Kleid voll zur Geltung brachte. Der schimmernde blaugrüne Stoff schmiegte sich an ihren Körper und reichte bis hinunter zu ihren Füßen, so dass er ihre hinreißenden Beine verbarg. Überhaupt versteckte sie die viel zu oft. Ein wenig weit hergeholt, aber es musste als Makel herhalten.

Als hätte sie seinen Blick gespürt, hörte Holly plötzlich auf, gedankenverloren mit einem ihrer baumelnden Türkisohrringe zu spielen, ließ stattdessen die Hand über ihr Bein zu ihrem Fuß hinabgleiten und rieb sich eine schmerzende Stelle. Überrascht erhaschte Jake einen Blick auf einen goldenen Zehenring an einem der mit zierlichen Sandaletten bekleideten Füße. Inmitten kühler Eleganz ein Hauch von Zigeunerromantik. Er atmete tief ein. Wie viel mehr versprach dieses eine Schmuckstück? Es gab so viele Geheimnisse. So viel zu entdecken.

Während ihres Gesprächs mit dem Ober war sich Holly wiederum die ganze Zeit bewusst gewesen, dass Jake sie beobachtete. Sie hatte sich kaum konzentrieren können, so dass der arme Ober sich mehrfach wiederholen musste. Als sie sich dann aber Jake zuwandte, blickte der ungläubig auf den Ober, der gerade einen Teelöffel in ihre Drinks tauchte.

„Ist das Honig?“ fragte Jake entgeistert.

Holly zog nur die Brauen hoch, was besagen sollte: Sie haben es doch so gewollt. Gelassen nahm sie ihren Drink und nippte daran.

Jake hob sein Glas an die Nase, schnupperte daran, begutachtete es skeptisch und schüttelte es leicht. Ja, er hielt sogar sein Ohr daran!

„Warum trinken Sie es nicht einfach?“ fragte Holly belustigt.

„Und warum setzen Sie sich nicht einen Moment?“

„Na gut.“ Holly rutschte auf den Barhocker neben ihn und streckte seufzend die schmerzenden Füße von sich. „Also, warum sind Sie aus Amerika zurückgekommen?“

„Der Zeitpunkt passte.“

Sie nickte, verspürte aber den Wunsch, mehr über ihn zu erfahren. „Und ich wette, Ihre Schwester ist sehr glücklich in Anbetracht ihrer bevorstehenden Hochzeit?“

„Ja, das ist sie.“ Für einen Moment vergaß Jake seine Reserviertheit, und das Aufleuchten seiner dunklen Augen verriet, wie sehr er seine Schwester liebte.

Holly schluckte. Ihrer Theorie nach durfte dieser Mann allenfalls seinen Beruf lieben, vielleicht noch sein Auto … aber auf keinen Fall durfte er so liebevoll von einem anderen Menschen reden. Cool bleiben. Vielleicht musste sie ihre Theorie nur ein wenig modifizieren. Vielleicht traf die Beziehungsunfähigkeit nicht auf enge Verwandte zu. Das schien nachvollziehbar.

„Und Ihre Angestellten und Mitarbeiter?“ fuhr Holly neugierig fort. „Waren die auch froh, Sie wiederzusehen? Obwohl die ja jetzt vermutlich richtig ans Arbeiten kommen. Keine dreistündigen Mittagspausen mehr, und weg mit den Bürobesuchen der Masseuse, von der Ben immer so schwärmt.“

„Machen Sie Witze? Gerade ihretwegen bin ich doch zurückgekommen!“ Jake massierte sich mit einer Hand den Nacken. „Ich habe diesen penetranten Schmerz im dritten Rückenwirbel …“

„Aber natürlich!“ Holly schüttelte lächelnd den Kopf und stellte dann die Frage, die ihr seit Tagen auf der Seele brannte: „Dann haben Sie also vor zu bleiben?“

Sein belustigtes Lächeln verschwand. Jake betrachtete sie nachdenklich. „Erst einmal“, antwortete er schließlich langsam.

Holly nickte, obwohl seine Antwort ihre ebenso unerklärliche wie unvernünftige Besorgnis in keiner Weise beschwichtigt hatte. Gedankenverloren massierte sie sich erneut einen ihrer schmerzenden Füße.

„Ein langer Tag?“ fragte Jake mitfühlend.

Holly seufzte. „Eine lange Woche.“

„Zu viele Termine am Abend.“

Holly richtete sich langsam auf. „Da muss ich Ihnen wohl zustimmen“, sagte sie, ohne ihn anzusehen.

„Vielleicht sollten Sie das etwas einschränken?“

„Vielleicht.“ Ihr Herz pochte. Irrte sie sich, oder bat er sie gerade, sich nicht mehr mit anderen Männern zu treffen? Und sie? Stimmte sie etwa zu? War sie verrückt geworden?

„Was, wenn …?“ Jake verstummte unschlüssig.

Was, wenn was? Holly wartete mit angehaltenem Atem.

„Dinner. Morgen Abend. Nur Sie und ich.“ Jake wandte sich ihr zu und legte seine Hand auf ihre. „Ganz unverbindlich. Einfach nur Dinner.“ Und dann lächelte er.

Stark bleiben, Holly! Es ist nur ein Lächeln.

„Ich werde von Ihnen nicht verlangen, dass Sie mir am Ende des Abends die Füße waschen. Es sei denn, Sie hätten das Bedürfnis …“

Holly entzog ihm ihre Hand. Sie wollte Verbindlichkeit. Darum ging es ja. Sie stand auf und wich bewusst einen Schritt zurück. „Es geht nie nur um Dinner, Jake. Und das sollte auch so sein.“

„Aber …“

„Sie kennen meine Zukunftspläne. Ich will einen Ehemann. Und Sie können mir nicht einmal sagen, ob Sie nächste Woche noch im Land sein werden. Ich nehme deshalb an, dass die Ehe in Ihrer unmittelbaren Zukunftsplanung keine Rolle spielt.“

Jake wurde blass, und das war Antwort genug.

Er liebt seine Schwester, engagiert sich für wohltätige Zwecke und hat ein unwiderstehliches Lächeln. Trotzdem wird er immer der indiskutable Anti-Ehemann sein. „Das dachte ich mir“, sagte sie betont locker. „Also hat es eigentlich keinen Sinn, wenn ich mit Ihnen zum Essen ausgehen würde, oder?“ Und weil ihre Gefühle ihren Worten so heftig widersprachen, fügte sie, nicht der Wahrheit entsprechend, hinzu: „Und außerdem sind Sie auch einfach nicht mein Typ.“

Jake presste die Lippen zusammen und schwieg einen Moment. Dann fragte er: „Und die anderen armen Teufel im Lauf der Woche … sind die genauso vorgewarnt worden wie ich?“

Sein verbitterter Ton ließ sie zusammenzucken. Doch gerade deshalb wusste sie, dass sie das Richtige tat … jeglichen Kontakt mit ihm zu unterbinden, bevor er einen so tiefen Eindruck bei ihr hinterlassen würde, dass sie ihn nicht mehr, dass sie ihn nicht mehr würde hinwegdiskutieren können. „Adieu, Jake.“

Holly spürte, dass Jake ihr hinterherblickte, als sie davonging. Entschlossen kaperte sie sich den Inhaber der Galerie und tauchte in dessen überschwänglicher, fröhlich lauter Künstlergruppe unter, bis Jake sich längst seinen Mantel genommen und die Vernissage verlassen hatte.

7. KAPITEL

Es war Montagmorgen. Die Gegensprechanlage auf Hollys Schreibtisch summte.

„Ein Anruf auf Leitung drei, Miss Denison“, meldete sich die Sekretärin.

Holly warf Lydia, die mit ausgebreiteten Armen, über die verschiedene große Stoffbahnen drapiert waren, in der Mitte des Büros auf einem Stuhl stand, einen entschuldigenden Blick zu. „Macht es dir etwas aus, einen Moment so zu bleiben?“

Lydia seufzte dramatisch. „Geh nur, Holly. Ich komme hier oben schon klar.“

Holly griff nach dem Telefon und ließ sich schwungvoll in ihren ledernen Schreibtischsessel sinken. „Holly Denison am Apparat.“

„Hi, Holly. Ich bin’s. Jake“, meldete sich eine warme Stimme, die ihr nur allzu vertraut war.

Sofort richtete sich Holly kerzengerade auf und stellte beide Füße wieder fest auf den Boden. Lydia zog neugierig die Brauen hoch. „Wer ist dran?“ bedeutete sie stumm.

Doch Holly winkte nur ab und drückte das Telefon fest an ihr Ohr. Sie hatte ein unruhiges Wochenende verbracht und sich unaufhörlich einzureden versucht, dass es richtig gewesen sei, Jake zurückzuweisen. Aber der Klang seiner Stimme jetzt genügte, um all ihre Zweifel erneut zu wecken. Und wenn er anrief, um sie wieder zum Abendessen einzuladen, wusste sie nicht, ob sie die Kraft haben würde abzulehnen. „Ja, Jake?“

„Ich muss eine Feier organisieren und möchte dazu Ihre professionellen Dienste anheuern.“

Holly kritzelte auf ihren Notizblock: „Lincoln Holdings – Party.“ Lydia, die aus ihrer erhöhten Position den Notizblock im Blickfeld hatte, beugte sich neugierig vor. Holly bedeutete ihr daraufhin mit hektischen Gesten, die Stoffbahnen über den Stuhl zu legen und einfach zu verschwinden. Lydia tat, wie ihr geheißen, und zeigte Holly noch aufmunternd den gehobenen Daumen, bevor sie leise die Tür hinter sich schloss.

Jake rief also nicht an, um seine Einladung zu wiederholen. Glücklicherweise konnte er nicht sehen, wie sie errötete. Wie es aussah, hatte er sie in diesem Punkt beim Wort genommen. Das hatte sie doch gewollt, oder nicht?

Dann erst wurde ihr klar, was er gesagt hatte. Jacob Lincoln wollte von „Wolke Sieben“ eine Veranstaltung organisieren lassen! Allerdings wusste sie, dass sich seine Vorstellung von einer Party sehr von ihrer unterschied. Schaudernd sah sie sich schon Bars und Kneipen nach einem geeigneten Veranstaltungsort abklappern und Poster für einen „Nasses T-Shirt Wettbewerb“ aufhängen mit einem Kasten Bier als Hauptpreis. „Ich fühle mich wirklich geschmeichelt, dass Sie an ‚Wolke Sieben‘ gedacht haben, Jake, aber ich bin nicht sicher, ob unsere Partys Ihrem Geschmack entsprechen.“

Zu ihrer Überraschung lachte Jake herzlich. „Keine Sorge, Holly, ich habe keineswegs an nackte Schlammringer gedacht. Es ist auch keine Firmenveranstaltung, sondern eine private Feier. Meine Schwester Ana möchte eine Verlobungsparty, ähnlich wie Sie es neulich in dem großen Festzelt organisiert haben.“

Das klang wirklich schon viel annehmbarer, aber Hollys Sorge galt im Grunde etwas ganz anderem. „Ich bin leider im Augenblick ziemlich ausgebucht, könnte Sie aber an eine meiner Kolleginnen verweisen, die genau auf solche Partys spezialisiert ist …“

„Holly“, fiel er ihr ungeduldig ins Wort, „Ihnen scheint nicht klar zu sein, dass dies nur der Anfang dessen ist, was ich Ihnen anbieten möchte. Wenn mir Ihre Arbeit zusagt, biete ich Ihnen an, in Zukunft sämtliche Veranstaltungen für ‚Lincoln Holdings‘ zu organisieren, samt des dazugehörigen Etats, natürlich.“

Holly blinzelte verblüfft. Am liebsten hätte sie sich gekniffen, um sich zu vergewissern, dass sie nicht träumte. „Den gesamten Veranstaltungsetat von ‚Lincoln Holdings‘?“, wiederholte sie heiser.

„Ja. Die Firma expandiert inzwischen auch international in einem Tempo, dass der Aufwand für uns zu groß wird.“

Verzweifelt bemühte sich Holly, einen klaren Kopf zu bewahren. „Wo ist der Haken?“

„Der Haken ist, dass ich nicht wünsche, dass irgendjemand anders mit meinem Etat betraut wird. Ich will Sie.“

Sei vorsichtig, was du dir wünschst, denn du könntest es bekommen! dachte Holly benommen und versuchte, die Sache vernünftig zu überdenken. Jake bot ihr einen Etat, um den sich die Agentur seit Jahren ohne Erfolg bemüht hatte. Sie konnte es weder vor sich selber noch vor jemand anderem ernsthaft vertreten, wenn sie dieses Angebot ausschlug. Sie musste die Party für ihn organisieren und perfekte Arbeit leisten. Ein wenig resigniert seufzte sie. „Also gut. Ich mache es.“

Er lachte. „Oh bitte, klingen Sie nicht ganz so begeistert!“

„Verstehen Sie mich nicht falsch … ich bin begeistert. Das ist eine große Chance. Aber ich frage mich natürlich, warum.“

„Warum nicht?“ entgegnete Jake.

„Nun, Sie kennen meine Arbeit, und wir wissen beide, dass wir nicht denselben Geschmack haben.“

Jake lachte, und Holly wünschte, er würde es bleiben lassen, weil jedes Mal ihr Herz schneller schlug. „Sie haben wirklich eine geschickte Art, sich zu verkaufen. Allmählich kommen mir Zweifel, ob ich mir die Sache nicht noch einmal überlegen sollte.“

Unwillkürlich lachte Holly auch. „Hören Sie, ich werde die Verlobungsparty Ihrer Schwester sehr gern organisieren, und sie wird so fantastisch sein, dass Ihnen die Augen übergehen werden. Aber ich möchte Ihnen einen Gegenvorschlag machen.“ Sie atmete tief ein. „Ich werde für diese Party nur mit Ihrer Schwester verhandeln, und wenn Sie mir danach den Veranstaltungsetat von ‚Lincoln Holdings‘ überantworten werden, woran ich nicht zweifle, werde ich mit Ihrer Werbeabteilung zusammenarbeiten und nicht mit Ihnen.“

„Wenn Sie darauf bestehen“, sagte Jake bedeutsam. „Ich hatte keine Ahnung, dass Sie derart auf Ihren Selbstschutz bedacht sind.“

Sie räusperte sich. „Dank Ihnen“, erwiderte sie heiser. „Wenn Sie mir jetzt die Nummer Ihrer Schwester geben, kann ich mich sofort in die Arbeit stürzen.“

Jake entsprach ihrer Bitte. „Und eins ist klar: Was immer Ana wünscht, bekommt sie auch. Ich war so lange weg, da muss ich jetzt versuchen, mir ihre Zuneigung wieder zu erkaufen.“ Sein liebevoller Ton verriet jedoch, dass dies keineswegs der Wahrheit entsprach. Und nicht zum ersten Mal fragte sich Holly ein wenig neidisch, welche Frau eine solch zärtliche Zuneigung in diesem Mann wecken konnte. „Ich bin zu allem bereit, solange ich Ana nicht persönlich helfen muss, sich zwischen Kerzenhaltern aus Bronze oder Zinn zu entscheiden. Das habe ich hinter mir und möchte ich nicht noch einmal erleben.“

„Zinn“, warf Holly zerstreut ein, während sie bereits eifrig Ideen auf ihren Notizblock kritzelte.

„Genau dafür hat sie sich schließlich entschieden. Ich glaube, Sie beide sind füreinander geschaffen.“

„Und ich glaube, dass sie es jederzeit einer Riesenparty vorziehen würde, wenn Sie versprechen würden, für immer hier zu bleiben.“ Holly biss sich auf die Zunge, aber es war zu spät.

„Ach ja, würde sie das?“ fragte Jake sanft und vielsagend.

„Fragen Sie sie doch“, antwortete Holly so arglos wie möglich.

„Wahrscheinlich haben Sie recht“, antwortete er sachlich. „Ich werde mich dann wohl bei Ana erkundigen, wie die Vorbereitungen laufen.“

„Dafür wäre ich Ihnen sehr dankbar. Und Jake …“

„Ja, Holly?“

„Danke.“

„Danken Sie mir noch nicht“, warnte er sie, bevor er auflegte.

Lydia spähte erwartungsvoll durch die Glastür, und Holly winkte ihr, hereinzukommen.

„Und?“ fragte ihre Assistentin gespannt.

„Wie es aussieht, können wir bald eine Pressemitteilung veröffentlichen, dass ‚Wolke Sieben‘ sich den Veranstaltungsetat von ‚Lincoln Holdings‘ an Land gezogen hat.“

„Yippie!“ Lydia wirbelte übermütig herum, bevor sie auf den Stuhl mit den Stoffbahnen sank.

„Du hast doch für die nächsten Wochen Tag und Nacht nichts vor, oder?“ fragte Holly.

Lydia winkte ab. „Der Klingone kann warten.“

Holly entschied sich, lieber nicht nachzufragen. „Je schneller wir unsere anderen Projekte fertig haben, desto eher können wir uns Jake Lincoln angeln.“

„Du meinst ‚Lincoln Holdings‘, oder nicht?“

„Natürlich.“ Holly wechselte rasch das Thema. „Und jetzt stell dich wieder auf den Stuhl, damit wir noch vor Mittag diese Stoffe ausgewählt haben!“

„Ich kann nicht glauben, dass du das gerade getan hast“, sagte Ben von der Tür her.

Jake blickte auf. Das selbstgefällige Grinsen des Freundes verriet ihm, dass Ben den entscheidenden Teil seines Telefongesprächs mit Holly mitgehört haben musste. „Glaub es nur, Benny-Boy“, sagte er so gelassen wie möglich. „Der Aufwand ist zu groß geworden, und ich denke schon seit einiger Zeit darüber nach, die Arbeit anderweitig zu vergeben.“ Seit drei Tagen, um genau zu sein.

„Ich höre zum ersten Mal davon.“

„Deshalb trägt die Firma ja meinen Namen und nicht deinen.“

Ben schlenderte gemächlich in das Büro und streckte sich auf einer Lederliege vor der gegenüberliegenden Wand aus. Er nahm ein Magazin vom Beistelltisch und blätterte es angelegentlich durch. „Sie hat an diesem Wochenende keine Dates wahrgenommen, weißt du. Ich hatte einige Kandidaten an der Hand, darunter den neuen Buchhalter Matt Riley … du weißt schon, der sich schon auf der Rennbahn an sie herangemacht hat. Aber sie hat gekniffen.“

Das geht mich gar nichts an, dachte Jake und merkte im nächsten Moment, dass er Ben mit angehaltenem Atem zugehört hatte.

„Dabei gilt dieser Matt als Adonis, wenn ich den Damen aus der Buchhaltung glauben kann“, fuhr Ben fort. „Er hat sich sein College-Studium als Model verdient, weißt du. Trotzdem … hat sie Nein gesagt.“ Ben blickte auf. „Du weißt nicht zufällig, warum sie plötzlich einen Rückzieher macht?“

Jake schüttelte nur stumm den Kopf, weil er nicht wusste, ob seine Stimme vielleicht seine Aufregung verraten hätte. Möglicherweise hatte Holly ja die Jagd aufgegeben und sich entschlossen, eine ganz normale, selbstständige, alleinstehende Frau zu bleiben. Wäre das nicht interessant?

„Aber vielleicht muss sie ja auch nur ihre Batterien aufladen und sich für eine neue Runde nächste Woche vorbereiten“, fügte Ben hinzu, was Jake unsanft auf den Boden der Wirklichkeit zurückbrachte.

„Möglich“, murmelte er.

„Die Sache ist sowieso viel leichter, als ich gedacht hätte. Bei deiner Willkommensfeier auf der Rennbahn hat Holly schwer Eindruck auf die Jungs gemacht. Sobald es sich herumgesprochen hatte, dass sie an einem Date interessiert sei, brauchte ich kaum noch etwas zu tun.“

„Glück für dich.“

„Ja. Mehrere richtig nette Kerle haben sich bei mir um ein Date mit ihr beworben. Letzte Woche musste ich sogar einem Typen absagen, weil Holly ausgebucht war, aber weil wir beide so gut miteinander klarkamen, habe ich mich zum Trost mit ihm zum Squash verabredet.“

Jake wollte Ben nicht die Genugtuung gönnen, sich anmerken zu lassen, dass dessen scheinbar so harmlose Bemerkungen überraschenderweise brennende Eifersucht in ihm weckten. „Kann ich sonst noch etwas für dich tun?“

Ben schien angestrengt nachzudenken. „Nein, eigentlich nicht.“

„Wenn du dich langweilst, finde ich bestimmt eine Beschäftigung für dich“, meinte Jake spitz. „Meine Jalousien sind sicher seit Jahren nicht mehr gereinigt worden.“

Ben warf einen Blick auf die Uhr. „Tut mir leid, Jake, aber ich muss zum Squash mit meinem neuen Freund.“ Er stand auf und schlenderte zur Tür. Auf der Schwelle drehte er sich noch einmal grinsend zu Jake um. „Man stelle sich vor, wenn Holly nicht neulich von diesem Grobian auf der Straße umgerannt worden wäre, wonach sie sich angewidert entschlossen hat, sich einen Ehemann zu suchen, würde ich heute meine Mittagspause allein in meinem Büro verbringen. Man muss dieses Mädchen einfach lieben!“

„Wer ist hier ein Grobian?“ rief Jake ihm nach, aber Ben war bereits verschwunden.

So, Holly war also angeblich angewidert gewesen von dem Grobian auf der Straße! Jake kochte innerlich vor Wut. Kein Wunder, dass sie ihn gebeten hatte, Beth nicht zu erzählen, dass sie sich bereits zuvor begegnet waren! Sie hatte ihn an diesem Morgen mit ihren Blicken förmlich ausgezogen, die kleine Heuchlerin.

Oder irrte er sich und sie hatte ihn wirklich vom ersten Moment an nicht leiden können? Jedes Mal, wenn sie sich seitdem getroffen hatten, hatte sie deutlich gezeigt, dass sie sich in seiner Gesellschaft nicht wohl fühlte. Und zuletzt hatte sie sehr überzeugend geäußert, dass er „nicht ihr Typ“ sei. Umso besser für ihn!

Doch plötzlich beugte er sich vor und schlug mit beiden Händen auf den Schreibtisch, als ihm klar wurde, was Ben soeben unwissentlich aufgedeckt hatte … das eine Detail, das alle anderen Möglichkeiten unwichtig machte: Er, Jake, war der Grund und der Auslöser dafür, dass Holly überhaupt nach einem Ehemann suchte.

„Toll, Holly. Was für ein Fang!“, gratulierte Beth abends am Telefon. „Und Ana wird dir gefallen.“

„Versprich mir, dass du kommen wirst, Beth.“ Holly saß im Lotussitz auf ihrem Bett, bekleidet mit einem Shorty und dicken Baumwollsocken, und machte einige leichte Entspannungsübungen, um den üblichen Montagsstress abzulegen.

„Natürlich. Wenn das Baby keine anderen Pläne hat, werden Ben und ich natürlich bei der Verlobungsparty dabei sein. He, wie Ben mir erzählt hat, hast du zwei deiner hoffnungsvollen Kandidaten am Wochenende abgesagt. Stimmt das?“

„Ja, ich brauchte eine Pause.“

„Ist das der einzige Grund? Hat denn wirklich noch keiner dein ernsthaftes Interesse erregt?“ fragte Beth zweifelnd.

„Keiner.“

„Nicht einmal Jake?“

„Beth …“

„Komm schon, Holly, wenn ich nicht Ben hätte, würde ich mir Jake mit beiden Händen greifen und nicht wieder loslassen. Er ist der Fang für jede Frau.“

„Das würdest du nicht. Er ist nicht dein Typ.“

„Und wessen Typ ist er?“

Holly entschied sich, diese Frage zu überhören. „Nein, ich brauche wirklich eine Pause, weil ich das Gefühl habe, meine Lebensgeschichte schon so oft wiederholt zu haben, dass ich selbst davon gelangweilt bin.“ Sie legte sich zurück aufs Bett und streckte Arme und Beine aus.

„Solange dein Plan nicht im Sande verlaufen ist“, warnte Beth.

„Nichts ist im Sande verlaufen, versprochen!“

„Gut, denn ich habe mich bereits entschieden, als deine Ehrendame ein leuchtend rotes, rückenfreies Kleid zu tragen. Außerdem habe ich dir ein aktuelles Horoskop erstellt, und der Juli wäre der ideale Monat für dich für eine Liaison. Vielleicht sollte ich dir die Karten legen …“

„Nein! Bei aller Freundschaft, da ist bei mir Schluss.“ Holly kuschelte sich zusammen, das schnurlose Telefon in der Halsbeuge, und seufzte. „Ach Beth, du weißt gar nicht, wie viel Glück du mit Ben hast. Er ist so anständig, stark und verlässlich.“

Beth lachte. „Deiner Beschreibung nach klingt Ben wie ein Bernhardiner! Aber im Ernst, ein Mensch wie Ben würde dich ganz schnell verrückt machen. Zum Beispiel wirft er seine Socken und Unterhosen alle in eine Schublade, wohingegen du alles in getrennte Schubladen und auch noch nach Farben sortierst. Aber eines Tages wirst du den Richtigen treffen. Ein Mann, der alles, was er kocht, mit Honig süßt … und der dir erlaubt, euren ersten Sohn Maximus zu nennen, wie du es dir immer gewünscht hast. Gott stehe dem armen Kind bei.“

„Was ist denn so schlimm an Maximus? Das ist doch ein sehr schöner, männlicher Name …“

„Unterbrich mich nicht“, fiel Beth ihr energisch ins Wort. „Ich meine doch nur, dass irgendwo auf der Welt der Richtige für dich existiert. Aber er wird ganz bestimmt nicht wie Ben sein. Und das ist keine Kritik an meinem Mann. Denn du treibst ihn ja auch zum Wahnsinn.“

„Besten Dank.“ Holly begriff in diesem Moment, dass ihre Freunde zwar immer für sie da sein würden, aber dass sie sich den Mann fürs Leben wohl doch würde selber suchen müssen.

Am Dienstagmittag ging Holly zusammen mit Lydia ins Restaurant „Lunar“, um sich zu einer ersten Besprechung mit Anabella wegen der Verlobungsparty zu treffen. Sie hatte am Morgen mit Ana telefoniert, und Jakes Schwester hatte den Eindruck gemacht, als würde sie sich schon sehr auf das Treffen freuen.

Holly bestellte ihren üblichen Cocktail mit Honig, Lydia ein pinkfarbenes Mixgetränk mit einer gewaltigen Portion Schlagsahne und Schokolade obendrauf. Kurz darauf tauchte Jake Lincoln auf und setzte sich ihnen gegenüber an den Tisch.

„Jake! Was tun Sie denn hier?“ Hatte er nicht versprochen, sie mit der Planung dieser Party allein zu lassen? Er hatte einfach kein Recht, hier einfach hereinzuschneien mit seinem unwiderstehlichen Lächeln und diesen hinreißenden Grübchen!

„Bitte schütten Sie mir nicht diesen Drink ins Gesicht, Holly“, bat Jake, wobei er ihr verschwörerisch zuzwinkerte. „Der Anzug ist neu. Anabella bittet Sie um Entschuldigung, aber sie musste plötzlich verreisen … für eine Woche.“

Holly riss sich zusammen, denn Lydia beobachtete sie und Jake neugierig. „Aber ich habe heute Morgen mit ihr telefoniert, und sie hat nichts davon gesagt.“

Jake zuckte die Schultern. „Wie ich schon sagte, es war sehr plötzlich.“

„Konnte ihr Verlobter denn nicht für sie einspringen?“

„Nun, auch er musste plötzlich verreisen. Mit Anabella. Zum Skiurlaub nach Neuseeland.“

„Ich verstehe“, sagte Holly so gefasst wie möglich. „Und warum hat sie unser Treffen nicht einfach auf einen Termin nach ihrer Rückkehr verschoben?“

„Sie möchte, dass die Party Samstag in einer Woche stattfindet, wird aber selber erst tags zuvor wieder in Sydney sein. Mir hat sie als eine Richtschnur diese Notizen mitgegeben, aber im Grunde gibt sie Ihnen freie Hand.“ Jake schob einige pinkfarbene Briefbögen über den Tisch, die mit einer schwungvollen Handschrift beschrieben waren. Lydia nahm sie sofort an sich.

„Ich habe also eineinhalb Wochen Zeit, um eine Party zu organisieren für … wie viele Leute?“

„Dreihundert“, sagte Lydia, die die Notizen überflog.

„Dreihundert Leute?“

„Ja, natürlich Leute, obwohl hier in den Notizen nicht ausdrücklich Leute steht …“

„Lydia!“

Jake blickte von ihr zu Lydia. „Hören Sie, wenn Sie vielleicht Hilfe brauchen oder ich doch lieber jemand anderen damit beauftragen soll …“

Holly legte beide Hände flach auf den Tisch. „Nein“, sagte sie ruhig und entschieden. „Wir kommen schon zurecht.“

Der Ober kam, um die Bestellungen fürs Essen aufzunehmen. Jake sah Holly erwartungsvoll an. Er hatte seine Karten auf den Tisch gelegt, hatte die Regeln geändert und nicht versprochen, es nicht wieder zu tun. So viel zu den beruflichen Grenzen. Doch jetzt war sie an der Reihe. Sie konnte Essen bestellen oder nicht. Das Geschäft abschließen oder nicht. Die Entscheidung lag bei ihr.

Holly bestellte: Tagessuppe und dazu einen Salat. Das würde schnell serviert werden und ließ sich schnell essen. Außerdem war es gerade genug für ihren nervösen Magen. Jake wählte einen Vorspeisenteller und Filetsteak. Lydia trank mit einem gurgelnden Schluck aus dem Strohhalm ihren Drink aus und entschied sich für Apfelstrudel mit Vanilleeis. „Der Zucker stimuliert mich“, sagte sie bedeutsam.

Jake lachte, und der junge Ober räusperte sich heftig, als er davonging.

„Und wie ist es Ihnen ergangen, seit wir uns zuletzt gesehen haben, Lydia?“ erkundigte sich Jake.

„Fabelhaft, Jake. Und Ihnen?“

„Fabelhaft“, antwortete er langsam.

Holly trank einen großen Schluck aus ihrem Glas. „Könnten wir jetzt über die Party sprechen?“

Jake hob gespielt entsetzt beide Hände. „Sie haben mir versprochen, dass ich nicht zwischen Bronze und Zinn entscheiden muss! Halten Sie sich, wenn nötig, an die Notizen … aber wie ich schon sagte: Im Grunde haben Sie freie Hand.“

Das klang theoretisch perfekt, aber Holly wusste genau, dass man einen Klienten nur zufrieden stellen konnte, wenn man seine Wünsche so genau wie möglich in Erfahrung brachte. Des einen Bronze war des anderen Zinn.

Lydia schien das Gleiche zu denken und zog den vorbereiteten Vertrag hervor. „Wenn Sie sich das hier bitte durchlesen, die noch fehlenden Details ergänzen und unterschreiben würden. Dann sind wir uns einig.“

Jake folgte dieser Aufforderung, und dann setzte Holly ihre Unterschrift neben seine. Lydia klatschte erfreut in die Hände, nahm den Vertrag an sich und legte ihn sorgsam in ihren pinkfarbenen Aktenkoffer.

„So“, sagte sie dann, „Jake, würden Sie um die Ecke spähen, ob mein Apfelstrudel schon kommt? Ich bin halb verhungert.“

Lächelnd tat Jake ihr den Gefallen. „Noch nicht.“

„Gut. Lässt du mich dann bitte mal durch, Holly? Ich mach noch einen Besuch im Waschraum.“ Bereitwillig stand Holly auf und machte ihrer jungen Assistentin Platz. „Danke, Prinzessin“, sagte Lydia über die Schulter und verschwand mit aufreizendem Hüftschwung in Richtung Waschraum.

„Ist sie nicht manchmal etwas anstrengend?“ fragte Jake augenzwinkernd, als Holly sich ihm wieder gegenübersetzte.

Gut, reden wir über Lydia. Ein unverfängliches Thema. „Sie ist enthusiastisch, fantasievoll, und die Klienten lieben sie. Vermutlich werde ich eines Tages für sie arbeiten.“

Jake schwieg einen Moment, dann fragte er unerwartet: „Sie hat Sie ‚Prinzessin‘ genannt. Ich habe das auch schon von Ben und Beth und dem Colonel gehört. Wie kommen Sie zu diesem Kosenamen?“

Kein professionelles Gesprächsthema. Kurze Erklärung, dann Themenwechsel. „Mein Vater hat mich so genannt, als ich klein war. Leute, die ich schon ewig kenne, wie der Colonel und Beth, haben das übernommen, und Ben dann natürlich über Beth. Bei einer Weihnachtsparty vor einigen Jahren hat Ben mich dann auch vor meinen Kollegen so genannt. So ist der Name an mir hängen geblieben. Ich registriere es schon gar nicht mehr, wenn man mich so nennt.“

„Es passt zu Ihnen“, sagte Jake lächelnd.

Holly spähte über ihre Schulter, ob Lydia nicht endlich zurückkommen würde. Nach einer weiteren bedeutsamen Pause wechselte Jake glücklicherweise von sich aus das Thema.

„Können Sie sich eigentlich vorstellen, eine eigene Firma aufzuziehen?“ fragte er unvermittelt.

„Ich liebe meine Arbeit, und wenn die Agentur mir gehören würde, bliebe mir keine Zeit mehr dafür. Ich müsste mich auf Auftragsbeschaffung, auf Finanzen und Bilanzen konzentrieren. Nein, es genügt mir völlig, mit dem Geld anderer Leute zu spielen.“

„Und auf diese Weise könnten Sie sich leichter einmal freinehmen, wenn es nötig wäre.“

„Vermutlich.“ Sie fragte sich, was ihn daran wohl interessieren mochte. „Aber auf die Dauer würde es allerdings schwierig, die Raten für das Haus zu bezahlen, wenn ich nur noch Urlaub machte.“

„Sie haben ein eigenes Haus?“ fragte er interessiert.

„Nun, es werden noch einige Jahre ins Land gehen, bevor ich das vor der Bank behaupten kann.“

„Ich verstehe. Aber unter geänderten Umständen könnten Sie durchaus auch ganz aufhören zu arbeiten, richtig?“ Jake sah sie eindringlich an.

„Nun ja, ich denke schon.“ Wenn ich das große Los ziehen oder in meinem Garten einen Schatz ausgraben würde … Und plötzlich dämmerte es ihr. Er glaubte, sie lege bei einem Job vor allem auf die nötige Flexibilität wert, die es ihr erlauben würde, zu heiraten und so bald wie möglich Kinder zu bekommen! Wie sehr er sich irrte! Oder nicht?

Wenn sie ihren Plan konsequent zu Ende führte, war die logische Entwicklung doch Heirat, Flitterwochen und eines Tages Kinder. Sie liebte ihre Arbeit, aber die Vorstellung von einer richtigen Familie war zugegebenermaßen verlockend.

Aber halt! Dies war kein harmloses Plauderstündchen mit Beth, und der Mann, der ihr gegenübersaß, war auch kein möglicher Heiratskandidat, der ihre Interessen erkunden wollte. Dieser Mann würde einen Großteil ihres Gehalts finanzieren, wenn sie ihre Karten richtig ausspielte. Würde er ernsthaft erwägen, ihr den Veranstaltungsetat von „Lincoln Holdings“ zu überantworten, wenn sie in absehbarer Zukunft plante, eine Familie zu gründen? Umgekehrt, würde sie ernsthaft überlegen, eine Familie zu gründen, wenn das bedeutete, den Etat von „Lincoln Holdings“ zu verlieren, der all das repräsentierte, was sie sich je für ihre Karriere erträumt hatte?

Bevor sie jedoch irgendetwas sagen konnte, um diesen Punkt zu klären, erschien der Ober, um das Essen zu servieren, gefolgt von Lydia.

„Habt ihr mich vermisst?“ fragte sie ungeniert und glitt an Holly vorbei auf ihren Platz.

„Unbeschreiblich“, versicherte Jake ihr ernsthaft, wobei er Holly einen unergründlichen Blick zuwarf.

Diese senkte schweigend den Kopf über ihre Suppe und konzentrierte sich ganz auf das Essen.

Autor

Julie Leto
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