Die schöne Parfümhändlerin

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Venedig, 1525: Als Kapitän Marcos Antonio Velazquez das Geschäft der schönen Parfümhändlerin Julietta Bassano betritt, weckt er sofort ihr Interesse. Auch er scheint von ihr angetan, denn er lädt sie zum Maskenball ein. Im Treiben der Nacht verliert Julietta ihr Herz an Marcos und gibt sich ihm hin. Doch ihr Glück ist in Gefahr. Ein mächtiger Mann spinnt eine böse Intrige gegen Marcos, denn er will Julietta für sich!


  • Erscheinungstag 07.09.2016
  • ISBN / Artikelnummer 9783733769123
  • Seitenanzahl 256
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

Venedig, 1525

Ja, er war wirklich tot.

Madre di dio“, flüsterte Julietta Bassano, während sie sich über den Leichnam im goldenen Bett beugte. Das einst so blühende Gesicht war fleckig rotblau verfärbt. In dem schwarzen Bart klebten Blut und Erbrochenes, und die weit aufgerissenen Augen starrten ins Leere. Im Todeskampf hatte der arme Mann Arme und Beine weit von sich gestreckt. Sie begannen schon zu erkalten.

Gewiss war es kein leichter Tod gewesen. Julietta kannte diese Qualen, hatte sie bei ihrem eigenen Mann beobachtet. Vor drei Jahren war er auf dem Ehebett zusammengebrochen, hatte sich erbrochen und in Krämpfen gewunden. „Hexe!“, hatte er geschrien. „Zauberin! Ihr habt mich ermordet.“ Mit seinen gichtigen Fingern hatte er an ihrem Gewand gezerrt, überall hatte sein Blut und Erbrochenes geklebt; noch heute war ihr der unerträgliche Gestank gegenwärtig – der Atem des Todes.

Julietta schloss die Augen und versuchte, die Erinnerung zu verscheuchen. Seitdem war schließlich viel Zeit vergangen, und Giovanni hatte das Ende erlitten, das er verdient hatte. Dieser miese Schurke konnte niemanden mehr verletzen – nie mehr.

Genau wie dieser Mann …

Julietta blickte wieder auf den Leichnam. Ein Mitglied der herrschenden Schicht – fett und verweichlicht, dachte sie. Micheletto Landucci. Patrizier der Serenissima, Mitglied des Savio ai Cerimoniali, des Komitees für Staatsbesuche. Sein vornehmes Brokatwams war aufgerissen und enthüllte den dicken, haarigen Bauch. Julietta zog leise die Luft ein – das einzige Zeichen ihres Unmuts – und deckte das Seidenlaken über den Toten, damit ihr sein Anblick erspart blieb.

Hinter sich hörte sie einen leisen, ängstlichen Schluchzer, ein unterdrücktes, erschrockenes Wimmern. Julietta versuchte sich zu beruhigen und atmete tief durch. Beißend stieg ihr der Dunst des Todes in die Nase. Er hing schon in ihren Kleidern, in ihren Haaren. Wie zum Schutz zog sie ihren schwarzen Samtumhang fester um sich, während sie sich nach der Frau umdrehte, die in die Schatten des prunkvollen Schlafgemachs zurückgewichen war. Cosima Landucci, die Gattin – nein, die Witwe – des Mannes unter dem Laken. Im Gegensatz zu ihrem Gemahl trug sie noch ihre kostbare Robe aus blauer Seide mit Goldstickerei. Das dichte dunkle Haar war nach hinten gekämmt, ein paar Strähnen hatten sich gelöst und fielen ihr ins Gesicht. Ihre weichen, glatten Gesichtszüge waren ein untrügliches Zeichen, dass sie sehr viel jünger war als ihr Mann. Sie war fast noch ein Kind.

Ein Kind, dessen Mann vergiftet in seinem Bett lag. Erstaunlich, dachte Julietta, einen Mord hatte sie der scheuen, kleinen Cosima eigentlich nicht zugetraut. Die Menschen überraschten Julietta immer wieder aufs Neue.

„Was ist geschehen?“, fragte sie so einfühlsam wie möglich. Sie kannte die junge Frau. Seit fast zwei Jahren war Cosima eine treue Kundin in Juliettas Parfümladen. Einmal in der Woche kam sie, um ihr ganz spezielles Parfüm – Jasmin und Lilie – zu kaufen und um sich mit Julietta zu unterhalten. Cosima redete und redete dann, als hätte sie keine andere Freundin als die Parfümhändlerin, der sie ihr Herz ausschütten könnte. Immer hatte Julietta geduldig zugehört. Die junge Frau hatte ihr leidgetan. Sie war ihr so unglücklich und einsam erschienen, trotz all ihrer kostbaren Roben und teuren Juwelen. Irgendwie hatte sie Julietta an sich selbst erinnert, an damals, als all ihre Träume von Ehe und Familie angesichts der rauen Wirklichkeit zerbrochen waren.

Doch das hier – das war etwas ganz anderes.

„Nun, Signora?“, drängte Julietta die junge Frau, die unaufhörlich leise schluchzte.

Cosima hielt sich das Spitzentuch vors Gesicht, ihre Hände zitterten. „Ich … ich weiß nicht, was geschehen ist, Signora Bassano.“

„Ihr wart nicht hier? Euer Gatte war schon tot, als Ihr ins Zimmer kamt?“ Julietta sah nachdenklich auf die zierlichen Schuhe und den juwelenbesetzten Haarschmuck auf dem prächtigen türkischen Bettvorleger.

Cosima, die ihrem Blick gefolgt war, schüttelte so heftig den Kopf, dass ihr die roten Locken über die Schultern fielen. „Doch, ich war hier. Wir waren gerade von einem Abendessen gekommen, und er … er …“, versuchte sie mit leiser, fast kindlicher Stimme zu erklären.

„… verlangte seine ehelichen Rechte?“

Cosima nickte verlegen.

„Hmm … Und was hat er sonst noch getan?“

„Ge…getan?“

Julietta unterdrückte einen ungeduldigen Seufzer. Dio mio! Sie hatten wirklich nicht die ganze Nacht Zeit! Es war schon spät genug. In ein paar Stunden war der gesamte Landucci-Haushalt auf den Beinen. Julietta wollte endlich wissen, warum die junge Frau sie hergebeten hatte, und dann schnellstens wieder verschwinden. Schließlich musste sie sich um ihr Geschäft kümmern. Ihr Parfümladen war ihr wichtiger als diese dumme kleine Patrizierin und ihr toter Gemahl, der zweifelsohne seinen Tod verdient hatte.

Was wollte Cosima wirklich von ihr?

Julietta wusste, wenn sie Cosima drängte, würde die junge Frau völlig zusammenbrechen. Sie zitterte bereits wie Espenlaub.

„Also, was hat er getan, bevor er Euch ins Bett befahl? Ihr seid noch nicht entkleidet, Madonna“, fragte Julietta deutlicher und deutete dabei auf Cosimas Robe. Weder an den Ärmeln noch am Mieder waren die goldenen Spitzenbänder gelöst.

Cosima war kreideweiß im Gesicht, die Augen waren rot vom Weinen. Verlegen zerknüllte sie ihr Spitzentuch in der Hand. „Er hat Wein getrunken. Wie immer, bevor … bevor er … Viel Wein.“

Julietta runzelte die Stirn. Sie konnte nirgends einen Weinkelch oder einen Wasserkrug entdecken. Erst als sie mit den Augen Cosimas tränenverhangenen, unruhigen Blick auf den Boden folgte, sah Julietta den glänzenden Fuß eines silbernen Weinkelches unter dem Bettrand hervorlugen. Sie kniete nieder und zog den Kelch unter den schweren Falten des samtenen Bettüberwurfs hervor.

Auf dem Boden des Gefäßes waren noch Reste eines dunklen roten Weines zu erkennen, dickflüssig wie Blut und an den Rändern bereits angetrocknet. Julietta hob das Glas auf und roch vorsichtig daran. Neben der schweren Süße des Rotweins witterte ihre empfindliche Nase einen Hauch von einem feinen grasigen Duft. Und noch etwas. Jasmin und Lilie – Cosimas Parfüm, das Julietta stets selbst zusammenstellte und wöchentlich in Cosimas Flakon aus blauem Muranoglas füllte.

Julietta stellte den Kelch zur Seite und schaute noch einmal unter das Bett. Sie rümpfte die Nase über die Unmengen von Staub. Sehr sorgfältig putzten die Dienerinnen wohl nicht. Doch sie entdeckte noch mehr als nur Staub und Schmutz im Dunkel unter dem Bett: das schwache Glitzern eines hellblauen Glases.

Sie zog es hervor und hielt es ins Licht. Der Flakon war leer, der silberne Stöpsel verloren. Der Duft von Jasmin und Lilie hing noch im Glas und außerdem dieser seltsame Hauch von grasigem Grün.

Ein Geruch, den Julietta nur allzu gut kannte.

„Gift“, wisperte sie. Wie ein Totengeläut hallte das Wort durch das riesige Schlafgemach.

„Nein“, rief Cosima entsetzt, rannte quer durch den Raum und warf sich neben Julietta auf die Knie. Das hübsche Gesicht angstverzerrt, klammerte sie sich verzweifelt an den Arm ihrer Parfümeurin. „Das kann nicht sein. Vergiftet! Ich war es ganz bestimmt nicht. Bitte, Signora Bassano, Ihr müsst mir glauben!“

Julietta war kurz versucht, sich der Umklammerung zu entledigen, doch sie hielt nur den leeren Flakon in die Höhe. „Wenn Ihr es nicht wart, Madonna, dann hat jemand aber keine Mühe gescheut, damit es so aussieht, als wäret Ihr es gewesen.“

Mit großen, vor Entsetzen weit aufgerissenen Augen starrte Cosima auf das Glas. „Nein, ich war es nicht“, beteuerte sie. „Ja, Signora, Ihr wisst, dass ich meinen Mann nicht so geliebt habe, wie eine gute Ehefrau es sollte. Aber ich bin eine gläubige Christin! Niemals würde ich meine sterbliche Seele beflecken mit einem …“ Sie brach wieder in Tränen aus.

Basta!“ Julietta packte die junge Frau bei den Schultern und schüttelte sie. „Zum Weinen ist jetzt keine Zeit, Madonna! In Kürze wird Eure Dienerschaft wach sein. Bis dahin gibt es eine Menge zu tun.“

Schluchzend sah Cosima zu Julietta auf. „Ihr wollt mir helfen?“, fragte sie voller Hoffnung in der Stimme.

Ernst schaute Julietta die junge Frau an. Und wieder stieg die Erinnerung in ihr auf. So war auch sie einst gewesen: jung, allein und verängstigt. So schrecklich verängstigt. Und nicht ohne Grund. Am liebsten wäre sie jetzt einfach aufgestanden und gegangen, geflüchtet vor dieser unheilvollen jungen Frau und aus diesem Haus, über dem offenbar ein Fluch lag. Aber sie konnte es nicht.

„Ich werde Euch helfen“, sagte sie barsch. „Ihr müsst aber tun, was ich Euch befehle, und zwar schnell und unverzüglich.“

Cosima nickte. „Gewiss, Signora, gewiss! Ich werde tun, was Ihr befehlt, wenn Ihr mich nur nicht im Stich lasst.“

„Ruft meine Dienerin Bianca herein. Sie wartet draußen im Korridor. Ihr zwei müsst ein Feuer im Kamin entfachen. Es muss ein großes, loderndes Feuer sein.“

Cosima nickte wieder, stand auf und eilte still zur Tür. Die Tränen waren offensichtlich vergessen. Nun ja, dachte Julietta, zumindest kann sie sich schnell bewegen, wenn es von ihr verlangt wird.

Als Cosima die Tür hinter sich geschlossen hatte, trat Julietta ans Fenster. Zu so später Nachtstunde war keine Menschenseele mehr unterwegs, nicht einmal ein Gondoliere oder ein Freudenmädchen. Der offizielle Beginn der Karnevalswochen war erst in einigen Tagen. Sie drückte die Fensterflügel auf und schaute hinunter auf den Kanal. Ruhig floss das dunkle Wasser, ab und zu schwappte es leise gegen die Wand des Palazzo, wo es winzige weiße Schaumkrönchen bildete. Das Wasser wusste seine Geheimnisse zu wahren. Für immer! Julietta nahm den Kelch und den Flakon und schleuderte beide weit hinaus.

Glitzernd tanzte einen Moment lang das fahle Mondlicht auf dem Glas. Dann waren die Behältnisse verschwunden, geräuschlos, als hätte es sie nie gegeben.

Madre di dio“, flehte Julietta leise. „Lass es nicht von Neuem beginnen.“

Der Himmel färbte sich schon hell, als Julietta endlich den Palazzo Landucci verließ. Zusammen mit Bianca, die dicht hinter ihr ging, eilte sie durch die menschenleeren Gassen zurück zu ihrer Wohnung nördlich der Rialto-Brücke. Julietta war völlig erschöpft, sie wollte nur noch schlafen. Schlafen und vergessen. Doch sie wusste, dass sie keine Ruhe finden würde, weder heute noch in den kommenden Nächten.

Nicht nach all dem, was sie getan hatte.

Es war ganz still. Nur ihre eigenen Schritte auf dem Kopfsteinpflaster waren zu hören, gelegentlich schlug ein Fensterladen im Wind. Noch war keine Menschenseele unterwegs, nicht einmal die Händler, die in aller Frühe ihre Waren auf dem Fischmarkt aufbauten. Die Luft war kühl, über dem Wasser hingen Nebel und ein modrig süßer Geruch. Kein Stern war zu sehen, und gräulichweiß erschien im fahlen Schein des untergehenden Mondes der Zierrat an den Häusern, die bei Tageslicht rosa, gelb oder orange in der Sonne strahlten.

Julietta zog die Kapuze ihres Umhangs tiefer ins Gesicht und beschleunigte ihre Schritte. Wenn sie doch nur schon zu Hause wäre, wo sie sich sicher fühlen konnte.

„Signora …“, begann Bianca, während sie versuchte, neben Julietta Schritt zu halten.

„Nicht jetzt. Man könnte uns hören“, wisperte Julietta.

Sie bogen in die schmale Gasse, die zu ihrem campo führte, einem kleinen gepflegten Platz mit einem Brunnen in der Mitte, an dem alle Anwohner frisches Wasser holen konnten. Noch ein paar Tage, dann sollte aus diesem Brunnen zum Vergnügen von Scharen Kostümierter wieder der Wein fließen. Vom Kirchturm von San Felice schlugen die Glocken zum Gebet, als Julietta den Brunnen passierte. Schon sah sie die blau getünchte Tür ihres Hauses, in dem sich Laden und Wohnung befanden. Eilig zog sie den Schlüssel aus der Innentasche ihres Umhangs. Gerade wollte sie den Schlüssel ins Messingschloss stecken, da ließ ein scharfes, schepperndes Geräusch sie herumfahren. Angespannt, die Hand am Gürtel unter ihrem Umhang, wo ihr kleiner Dolch steckte, flog ihr Blick über den campo. Jeden Winkel suchte sie nach einem Anzeichen von Gefahr ab.

War ihnen jemand gefolgt? Sie hatte das Gefühl, beobachtet zu werden. Wie Nadelstiche spürte sie die fremden Blicke auf ihrer Haut.

Doch es war niemand zu sehen. In den Nachbarhäusern war alles ruhig. Nur ein einsamer Kater strich gemächlich um den Brunnen.

Hörbar erleichtert atmete Bianca auf. „Ein Kater, Signora“, flüsterte sie.

Sì“, antwortete Julietta, obwohl sie nicht ganz überzeugt war. „Gehen wir lieber schnell hinein.“ Sie drehte sich wieder zur Tür. Mit zittrigen Händen öffnete sie das Schloss und zog Bianca mit sich ins dunkle Innere des Hauses.

Erst als die stabilen Holzläden fest verschlossen waren, konnte Julietta aufatmen.

Geschafft. Fürs Erste fühlte sie sich sicher.

2. KAPITEL

Das war also die berühmt-berüchtigte Julietta Bassano.

Noch lange nachdem er Signora Bassano in ihrem Haus hatte verschwinden sehen, verweilte Marcos Antonio Velazquez in seinem engen Schlupfwinkel zwischen zwei hohen Häusern. Im unteren Stockwerk, wo die Signora ihren Parfümladen betrieb, beobachtete Marcos den schwachen Schein eines goldenen Lichtes. Dann, nach einiger Zeit, verfolgte er, wie das Licht zunächst verschwand, bevor es im Stockwerk darüber wie ein verheißungsvolles Leuchtfeuer im nebelkalten Wintermorgen Venedigs wieder auftauchte.

Sie war ganz anders, als er sie sich vorgestellt hatte. Eine Schönheit hatte er erwartet, so wie es die Mode derzeit in Venedig verlangte: blondes Haar, hellblaue Augen, voller Busen, runde Hüften. Das Bild einer Frau, wie es der Florentiner Botticelli so glorios auf der Leinwand zum Leben erweckt hatte.

Julietta Bassano würde niemals mit der von Botticelli dargestellten Liebesgöttin verwechselt werden. War sie doch groß und schlank und trug ein einfaches schwarz-weißes Gewand, soweit Marcos das unter ihrem weiten Umhang hatte erspähen können. Keine sanften Kurven an Busen, Hüften und Bauch, wie es in diesen anspruchsvollen Zeiten wünschenswert schien. Nur klare Linien hatte er erkannt. Lange Beine, schmale Schultern. Das Haar, das unter ihrer Kapuze hervorlugte, erschien ihm schwarz wie die Nacht. Nicht blond wie das der Damen, die stundenlang ohne Kopfbedeckung in der Sonne saßen, um ihre Haare zu bleichen. Ihre Gesichtszüge hatte er leider nicht genau erkennen können. Doch er glaubte zu wissen, dass ihr Gesicht so schmal wie die übrige Gestalt war: blass, oval, mit scharfen Backenknochen und spitzem Kinn.

Trotz allem! Sie besaß etwas – doch was war es nur? Ein gewisser Zauber umgab sie, eine rätselhafte Traurigkeit hüllte sie ein wie ein zweiter Samtumhang. Nicht zu übersehen und dennoch so verführerisch geheimnisvoll.

Rätseln musste Marcos stets auf den Grund gehen, und Schwierigkeiten forderten seine Kämpfernatur heraus. Dieser Wesenszug war das größte Problem in seinem Leben. Und auch jetzt musste er alles über diese eigenartige Frau herausfinden, gleichgültig, wohin es ihn führen würde. Auf jeden Fall hielt er es für ausgeschlossen, dass sie tatsächlich zu der Sorte Frauen gehören könnte, die sein Auftraggeber Ermano bevorzugte. Diese Frau war keine sanfte, goldgelockte, kichernde Schönheit. Diese Frau umgaben Dunkelheit und – wie er gesehen hatte – verborgene Dolche.

Nein, sie war wirklich nicht die Sorte Frau, die Ermano normalerweise bevorzugte. Aber Marcos, er war bezaubert.

Vielleicht erwies sich seine Aufgabe doch als erfreulicher, als er angenommen hatte. Erfreulich – bis er sie vernichten müsste. Wahrlich sehr bedauerlich.

3. KAPITEL

Julietta stand auf Zehenspitzen auf einem Hocker und stellte vorsichtig den letzten Flakon auf die Glasetagere. Kritisch begutachtete sie die stattliche Reihe von zierlichen Gefäßen aus glänzendem Glas, aus hauchdünn geschliffenem Elfenbein oder leuchtendem Onyx. Meist brachten ihre Kundinnen ihre eigenen Parfümfläschchen zum Füllen mit speziell für sie kreierten Düften, einige wenige jedoch kauften auch gerne neue Flakons und waren willens, für die beste Qualität auch viel zu bezahlen. Julietta war zufrieden. Die neue Sendung, die per Schiff aus Frankreich gekommen war, sah sehr gut aus.

Prüfend legte sie den Kopf zur Seite. „Was meinst du, Bianca? Sieht die Auslage ansprechend aus?“ Bianca, die gerade die lange Platte des Kundentisches polierte, trat neben ihre Herrin und begutachtete die Reihe glänzender Fläschchen. Sie war eine typische Vertreterin eines osmanischen Nomadenstammes, zierlich, schmal, dunkelhäutig und so klein, dass sie Julietta gerade mal bis zur Schulter reichte. Seit Julietta nach leidvollen, düsteren Tagen in Mailand in die Stadt der Masken geflüchtet war, war ihr Bianca stets eine treue Gefährtin.

„Sehr gut, Madonna!“, bestätigte Bianca lächelnd und wedelte mit dem Staublappen kurz über das Regal. „Die Flakons werden uns einen schönen Gewinn bringen, nachdem sie nun endlich eingetroffen sind.“

Sì, nachdem die fremden Piraten endlich vertrieben worden sind“, antwortete Julietta. Für die venezianische Schifffahrt waren die Piraten Anfang des Jahres eine echte Plage gewesen. Immer wieder hatten sie die Handelskonvois mit ihren Ladungen voller Gewürze, Seidenstoffe, Wein und Zucker und schließlich auch mit den kostbaren Parfümphiolen geplündert und am Einlaufen in den Hafen gehindert. Julietta hatte keinen Lavendel mehr aus Frankreich oder weiße Rosen aus England erhalten, ganz zu schweigen von den exotischeren Blüten und Gewürzen aus Spanien und Ägypten. Nun waren die Piraten schließlich besiegt worden. Darüber waren unzählige abenteuerliche und spannende Berichte in Umlauf, die selbst die ansonsten recht sachliche Julietta fesseln konnten. Bei jeder Gelegenheit erzählte man sich immer wieder die Geschichte von Il leone, dem kühnen Kapitän, der die bösen Piraten vernichtet und die ehrwürdige Schifffahrt der Serenissima gerettet habe. Auch Bianca, die letzte Woche die triumphale Ankunft des Kapitäns beobachtet hatte, sprach von nichts anderem mehr.

„Ich würde ein Heldengedicht über Il leone schreiben, Bianca, wenn ich die Gabe dazu hätte“, scherzte Julietta, während sie vom Hocker stieg und sich die Hände an der Leinenschürze abwischte, die sie über ihrem schwarz-weißen Kleid trug. „Damit könnten wir ein Vermögen verdienen. Die Troubadoure würden sich darum reißen, sie würden wetteifern, es mit Musik zu untermalen und in den großen Sälen Venedigs vorzutragen!“

„Ach Madonna, Ihr besitzt doch bereits ein Vermögen“,warf Bianca lachend ein, überrascht von der ansteckenden Fröhlichkeit ihrer sonst so ernsthaften Herrin. Auch Julietta selbst war erstaunt über ihre ausgelassenen Scherze; nur selten gab sie ihre Stimmung preis. Dazu war sie einerseits viel zu sehr die nüchterne Geschäftsfrau und andererseits viel zu vorsichtig. Und nach der vergangenen Nacht im Palazzo Landucci sollte ihr eigentlich noch viel weniger der Sinn nach Fröhlichkeit stehen.

Doch bei Tageslicht sahen die Dinge viel weniger bedrohlich aus. Vielleicht waren es nur die Gedanken an schneidige Seeleute und böse Piraten, die ihre Angst vertrieben hatten. Aber selbst die Stadt, in den Nebelschwaden vor Sonnenaufgang noch so menschenleer und unheimlich, hatte sich im fahlen Winterlicht verändert. Über den kleinen campo eilten die Menschen. Geschäftig gingen sie ihren morgendlichen Besorgungen nach. Lachen und Scherzen ertönten und mischten sich mit dem stets gegenwärtigen Glockenklang von San Felice. Bald war endlich Karneval, für ihren Laden die beste Zeit des Jahres. Sie konnte also froh in die Zukunft sehen. Und morgens in aller Frühe, nach nur zwei Stunden unruhigen Schlafs, war sie ja auch zur Messe in San Felice gegangen und hatte um Absolution für die Sünden der Nacht gebetet.

Ja, wenn mit der Absolution nur auch ewiges Vergessen einherginge … Wenn außerdem Conte Ermano Grattiano ihr heute nicht wieder seine Aufwartung machen würde … Auch ohne seine ständigen und lästigen Aufmerksamkeiten musste sie schon genug Aufregung und Gefahren meistern.

„Du hast recht, Bianca. Wir sind reich genug. Ich werde die Welt lieber doch mit meinen erbärmlichen dichterischen Fähigkeiten verschonen. Irgendwie muss mir der Mangel an Schlaf zu Kopf gestiegen sein.“

Die Dienerin nickte nachdenklich. „Sicher, Madonna. Ihr solltet Euch ausruhen. Geht und legt Euch ein paar Stunden ins Bett.“

„Nein, auf keinen Fall. Wir müssen gleich den Laden öffnen. Vielleicht gönne ich mir heute Mittag eine Pause. Nun sei so gut und hole mir etwas von der Kamillenessenz aus dem Lager. Ich muss noch die Tinktur für Signora Mercanti mischen.“

Bianca nickte wieder. Der Saum ihres langen hellblau-weiß gestreiften Rockes wippte über den frisch geputzten Fliesenboden, so schnell eilte sie davon. Julietta hörte die Tür zum Lagerraum hinter ihrer Dienerin zufallen und schloss die Ladentür auf, bevor sie sich an die restlichen Aufräumarbeiten machte.

Viel zu tun gab es nicht. Schließlich hielt Julietta ihren Laden stets makellos sauber. Sie fürchtete immer, Staub oder Schmutz könnten ihre kostbaren Materialien verunreinigen, aus denen sie in stundenlanger Arbeit ihre Mixturen fertigte. Jeder Flakon, jedes Döschen, jeder Becher und jede Amphore enthielten ein Erzeugnis ihrer Hände Arbeit – Ergebnisse ihrer eigenen sorgfältigen Studien. Und die Damen Venedigs, gleich ob Kurtisane oder Aristokratin, kamen in Scharen, ihre Produkte zu kaufen, oder baten, einen ganz besonderen, magischen Duft für sie zu mischen.

Julietta, die mit dem Rücken zur blauen Eingangstür stand, trat einen Schritt vom Ladentisch zurück und betrachtete ihr kleines Reich. Groß war es nicht, gewiss, aber es gehörte ihr – angefangen von den Mosaikfliesen auf dem Fußboden bis zu der weiß getünchten Decke. Es war das Erste und Einzige, was ihr jemals ganz alleine gehört hatte, und das Einzige, was ihr wirklich am Herzen lag. Ganz besonders aber schätzte sie den kleinen, hinter dem Holzpaneel versteckten Raum.

Ein blaues, mit Silber und Saphiren geschmücktes Fläschchen erregte ihre Aufmerksamkeit. Es stand etwas außerhalb des sorgsam aufgebauten Arrangements auf dem Ladentisch.

Julietta nahm den Flakon und schnupperte daran – Jasmin und Lilie roch ihre geschulte Nase.

Jasmin und Lilie! Eilig stellte sie das Fläschchen, das für Cosima Landucci bestimmt war, zurück auf die Theke. Doch der schwere, süße Duft hing Julietta an den Fingern und erinnerte sie wieder an die vergangene Nacht. Während sie einen Schritt zurücktrat, sah sie sich im goldgerahmten Spiegel, der an der Wand hinter der Ladentheke hing. Ihr Haar lag wie immer in ordentlichen Flechten um den Kopf, und wie immer trug sie einen kleinen schwarzen Spitzenschleier. Und nachdem sie die Schürze abgenommen hatte, erschien ihr auch das schwarzweiße Gewand, das lediglich an den Ärmeln mit einem roten Band ein wenig aufgeputzt war, so sauber und zurückhaltend kleidsam wie immer. Nur ihr Gesicht – sie war bleich wie ein Gespenst.

Oder eine Hexe.

Die Türglocke kündete den ersten Kunden des Tages an. Julietta holte tief Atem, sog die angenehm parfümierte Luft ein, hoffte, so ein wenig Farbe auf die Wangen zu bekommen, und verzog den Mund zu einem liebenswürdigen Lächeln, bevor sie sich umdrehte. „Buon giorno! Willkommen in …“

Der Anblick ihres ersten Kunden verschlug ihr die Sprache. Es war nicht eine blonde Kurtisane oder eine verschleierte Aristokratin, die nach einem besonderen Parfüm oder einer speziellen Lotion suchte oder nach einer Ware verlangte, die nur heimlich unter dem Ladentisch zusammengemischt wurde. Der Kunde war ein Mann. Und was für ein Mann!

Er war groß, mit breiten Schultern über dem vornehmen dunkelroten Samtwams, das eng geschnitten, aber mit keinerlei Spitzen oder Stickerei verziert war. Unter den gezackten Ärmelmanschetten und zwischen den Seidenschließen des Wamses lugte ein leicht glänzendes cremefarbenes Seidenhemd hervor, das unter wenigen kleinen Rüschen den braunen Hals und ein wenig der unbehaarten, wettergegerbten Brust preisgab.

Unwillkürlich glitt Juliettas Blick an den engen schwarzen Beinkleidern entlang bis hinunter zu den Schuhen aus dunklem Leder und mit glänzenden goldenen Schnallen. Keine noch so kunstvoll gearbeitete Schamkapsel in Form einer Muschelschale oder einer Gondel, kein bunt gestreiftes Beinkleid vervollständigten oder betonten seine maskuline Ausstattung. Dieser Mann war kein Schönling. Jedoch auch kein Mann, der nicht an Luxus gewöhnt war. Ihr Blick glitt wieder hoch, über die schmalen Hüften zurück zu den kräftigen Schultern und der starken Brust. Von dem Gesicht des Mannes – das rote Samtbarett hatte er tief in die Stirn gezogen – konnte sie nicht viel erkennen. Doch sie sah den großen blutroten Rubin an der Kopfbedeckung und die tropfenförmige Perle, die an seinem linken Ohrläppchen baumelte. Nein – Luxus war diesem Mann durchaus nicht fremd.

Dunkelbraune, in der Sonne glänzende Locken fielen ihm bis auf die Schultern. Außerdem konnte sie noch ein markantes, glatt rasiertes und von der Sonne gebräuntes Kinn erkennen. Also kein verweichlichter Kaufmann und auch kein Bankier, der seine Tage im Schutz dicker Mauern verbrachte. Sicherlich auch kein Mann der Kirche, aber auch kein armer Seemann oder Schiffsbauer vom Arsenal.

Ganz gewiss war er ein vornehmer Mann, der nicht nur Reichtum und Ansehen, sondern auch Macht besaß. Außerdem erkannte Juliettas empfindliche Nase selbst aus dieser Entfernung, dass dies kein Mann war, der sich mit billigem Parfüm übergoss. Er roch nach frischer, salziger Seeluft, ein wenig nach Limone – ein reiner Duft umgab ihn. Was konnte einen solchen Mann in ihr Geschäft führen?

Ach ja, natürlich. Ein Geschenk für eine Dame. Und sie? Sie stand da, starrte ihn an wie ein Schwachkopf, glotzte auf seine Schultern, seine Brust und seine herrlichen Haare wie ein gewöhnliches Freudenmädchen.

Julietta richtete sich zu ihrer vollen Größe auf, während sie mit der Hand kurz den Sitz ihres Schleiers überprüfte. „Buon giorno, signore“, wiederholte sie mit einem kurzen, angedeuteten Knicks ihren Gruß.

Buon giorno, madonna“, antwortete er. Seine Stimme klang tiefer und rauer, als Julietta erwartete hatte. „Ich fürchtete, Ihr hättet noch nicht geöffnet.“ Sie vernahm einen leichten fremdländischen Tonfall. Also kein Venezianer.

„Für einen eiligen Kunden haben wir immer geöffnet, Signore“, erwiderte sie und fuhr sich mit der Zungenspitze über die Lippen, denn plötzlich war ihr Mund ganz trocken. In der Stimme dieses Mannes war etwas Seltsames, Geheimnisvolles. Julietta kam es vor, als wolle sie sie schmeichelnd und liebkosend umgarnen. Und dann dazu der Duft, der diesen Mann umgab …

War er vielleicht ein Magier? Ein geheimnisvoller Zauberer aus dem Ausland?

Sei nicht närrisch, Julietta!, rief sie sich streng zur Ordnung. Er ist ein Mann wie jeder andere.

Möglicherweise sogar ein sehr guter Kunde – nach dem Rubin, der Perle und dem vornehmen Samtwams zu urteilen –, wenn sie ihn nicht mit ihren unziemlichen Blicken vertrieb. Julietta trat zurück, hinter ihrer Ladentheke suchte sie Sicherheit.

„Und womit können wir Euch dienen, Signore?“, erkundigte sie sich ein wenig barsch, während sie sich über die bronzene Kohlenpfanne beugte, die auf dem Fliesenboden stand und bereits wohlige Wärme verströmte. Julietta legte parfümierte Holzstäbchen auf die Glut, und sofort erfüllte ein Duft von weißen Rosen die kühle Luft im Raum. „Unsere Auswahl an herausragenden Düften ist in ganz Venedig unübertroffen.“

Mit wenigen entschlossenen Schritten trat er vor die Theke. Den kurzen roten Samtumhang, am Hals nur von einer dünnen Goldkordel gehalten, schlug er dabei über die Schultern zurück und gab ein teures, weiches Zobelfutter preis. Er setzte das Barett ab und strich sich mit der Hand das lockige Haar zur Seite. Im gleichen Moment fiel durch das Fenster ein Lichtstrahl auf ihn.

Julietta verschlug es den Atem. Wie ein Heiliger in einem Buntglasfenster erschien er ihr. Diese Augen! Blau waren sie – nein, nicht blau, türkis wie das Meer. Klar und leuchtend, auffällig strahlend in dem sonnengebräunten Gesicht. Stechend. Alles sehend.

Doch ein Zauberer! Oder gar il diavolo, der Teufel?

Unwillkürlich umklammerten ihre Finger die Räucherstäbchen so fest, dass sie sich einen Span in den Finger stach. Leise seufzend drehte sie sich um und warf die restlichen Stäbchen ins Feuer, nur um nicht mehr in diese Augen sehen zu müssen.

„Das habe ich auch gehört, Madonna“, sagte der Mann hinter ihr. Sie spürte regelrecht, wie er sich gegen die Theke lehnte und sie genau beobachtete.

„Gehört“, murmelte sie ein wenig einfältig. Richtig, ganz und gar einfältig benahm sie sich. Wer war sie denn, eine erwachsene Frau, Witwe zudem und Ladenbesitzerin. Niemand sollte sie verunsichern oder gar aus der Fassung bringen.

Nein! Du fürchtest dich nicht, befahl sie sich, drehte sich um und sah ihm direkt ins Gesicht.

Ein leichtes Lächeln umspielte seinen Mund. Voll und sinnlich waren die Lippen. Er schien jünger zu sein, als sie zunächst angenommen hatte. Kaum sichtbar waren die Fältchen um die Augen und die leicht gekrümmte Nase dieses Zauberers. Egal wie reich oder wie vornehm, wieso konnte ein so junger Mann sie so beunruhigen?

„Ich habe gehört, dass dies die beste Parfümerie von Venedig sein soll. Und dass ich hier unbedingt vorbeischauen sollte“, erklärte er heiter.

„Ich bin geschmeichelt, Signore.“ Julietta ging langsam wieder zum Rand der Theke. Ihre Hände legte sie flach auf die Marmorplatte, direkt neben den weichen Samt seines Gewandes. Der Körper dieses Mannes verströmte eine angenehme Wärme. Und abermals verschlug es Julietta beinahe den Atem, so groß war die Unruhe, die sie in seiner Nähe befiel. Doch dieses Mal hielt sie stand und rückte nicht von ihm ab. „Und womit kann ich Euch nun dienen, Signore? Ein Geschenk für eine entzückende Dame? Keine Frau kann einem Parfüm, das speziell für sie gemischt ist, widerstehen. Vielleicht in einem mit Juwelen besetzten Flakon? Als Zeichen Eurer Bewunderung immer ein hübsches Geschenk.“

Der Fremde lächelte breit, lehnte sich mit den Ellbogen auf den Ladentisch und schaute verführerisch zu Julietta auf. „Ach, ich bin erst seit Kurzem in Venedig. Die entzückende Dame, die meine Geschenke als Zeichen meiner Bewunderung annehmen würde, habe ich bislang noch nicht gefunden. Aber ich suche wirklich ein Geschenk und auch für eine ganz besondere Dame.“

Julietta zog erstaunt die Brauen hoch. „Keine Dame aus Venedig?“

„Nein, aus Sevilla. Wo immer ich bin, suche ich nach einem hübschen Andenken, damit sie weiß, dass ich an sie denke.“

Eine steile Falte bildete sich auf Juliettas Stirn. Plötzlich empfand sie Eifersucht – eine Gefühlsregung, die ihr bislang völlig unbekannt gewesen war. „Eure Gemahlin, Signore?“

Er lachte laut auf, rau klang es, aber musikalisch und warm wie ein Sommertag. Die feinen Fältchen um die Augenwinkel wurden ein wenig tiefer, während die Augen fröhlich und fragend auf sie gerichtet waren. Julietta presste die Lippen fest zusammen, um nicht zu kichern, obwohl sie nicht recht wusste, worüber sie eigentlich lachen musste.

„Nein, Madonna“, sagte er. „Ich bin Seemann. Ich habe keine Frau. Ich suche ein Geschenk für meine Mutter.“

Seine Mutter! Madre di dio!, stöhnte Julietta insgeheim. Oh Gott, heute war sie aber wirklich närrisch. „Ihr sucht ein Geschenk für Eure Mutter?“

Sì, und zwar eines, wie Ihr bereits vorgeschlagen habt, eigens für sie zusammengestellt. Sie ist nämlich eine ganz besondere Frau.“

„Sehr schön?“ Musste sie ja sein, bei so einem Sohn.

„Ja, und sehr gütig und gläubig. Unschuldig wie der junge Morgen. Was würdet Ihr vorschlagen, Madonna?“

Aha. Nun war Julietta in ihrem Element. Den perfekten Duft erschaffen. Das verstand sie. Kühl und nüchtern überlegte sie, während sie bereits unter dem Ladentisch ein Tablett hervorzog, auf dem in einem Elfenbeingestell eine Menge Phiolen voller kostbarer Öle standen. Suchend strich sie mit den Fingerspitzen über die Korkstöpsel der ordentlich beschrifteten Fläschchen. „Rosen natürlich. Und? Vielleicht Veilchen?“, murmelte sie. „Veilchen aus Spanien? Was meint Ihr, Signore?“

Julietta hielt ihm das Fläschchen entgegen. Er lehnte sich herüber und atmete tief ein. Zu tief, er keuchte und hustete.

Julietta lachte leise. „Vorsicht, das ist reine Veilchenessenz. Die riecht sehr stark.“ Sie zog die Spitzenrüschen ihres Ärmels zurück, träufelte einen winzigen Tropfen des Öls auf ihr Handgelenk und hielt es dem Kunden entgegen. „So, riecht jetzt einmal.“

Behutsam, mit zwei Fingern nur, hielt er ihr Handgelenk. Julietta holte erschrocken Luft. Lang und warm waren seine Finger, schwielig und voller kleiner weißer Narben. Am Ringfinger glänzte ein Rubin in einem Goldring. Ganz sanft hielt dieser Mann ihre Hand, und doch spürte Julietta die unterdrückte Kraft, die dieser Berührung innewohnte. Sein Blick war auf ihr Handgelenk gerichtet, und sie konnte seinen Atem warm auf ihrer Haut spüren. Langsam, ganz langsam beugte der Fremde sich über den betörend duftenden Tropfen, die Lippen näherten sich …

„Madonna, habt Ihr die Lotion für Signora Lac…“ Biancas vertraute Stimme brach den Bann, dem Julietta fast erlegen wäre, zerriss das Netz, das der türkisäugige Zauberer um sie gesponnen hatte. Eilig zog sie ihre Hand zurück, strich die Rüschen wieder über das Handgelenk und trat zugleich einen Schritt zurück.

„Ich wusste nicht, dass Ihr bereits Kundschaft habt“, erklärte die Dienerin erstaunt, während sie sich neben Julietta stellte. Fragend richtete Bianca ihre dunklen Augen auf ihre Herrin. „Guten Morgen, Signore. Habt Ihr gefunden, was …“ Verwundert hielt Bianca inne. „Oh!“ Erschrocken hielt sie sich die Hand vor den Mund. Das Glas mit der Lotion fiel zu Boden. Ein Wunder, dass es nicht zerbrach, sondern lediglich unter den Ladentisch rollte. „Il leone“, flüsterte sie ehrfürchtig.

„Wovon redest du, Bianca?“, fragte Julietta verstört, während sie sich nach dem Glas bückte. Sie fühlte sich plötzlich schrecklich einsam, der Berührung des Zauberers beraubt, zugleich war sie erschüttert und ärgerlich über sich selbst, dass sie solche törichten Gefühle zuließ.

Während sie langsam wieder zu sich kam und sich mit dem Glas in der Hand wieder aufrichtete, glitt Bianca wie unter einem Bann um die Ladentheke.

Ein Zauber, ähnlich wie ihm zuvor auch Julietta erlegen war.

„Ihr seid es, nicht wahr?“, wisperte Bianca. „Ihr seid doch Il leone? Ich sah Euch letzte Woche bei Eurer Ankunft in der Stadt. Fantastisch! Ja, Ihr seid der Held. Il leone!“

Vielleicht war es Einbildung, aber Julietta glaubte, bei dem Fremden ein Erröten zu bemerken. Wahrhaftig, ein leichtes Rot überzog die sonnengebräunte Haut auf seinen Wangenknochen. ll leone? Sollte er es wirklich sein? Der mutige Seefahrer, der den lästigen Piratenschwarm vor Venedigs Küste verjagt hatte? Sie bemerkte ein leichtes Zucken um seine Mundwinkel. Verlegenheit? Schämte er sich seines Ruhms? Oder war es Ärger?

„Ach Signorina.“ Galant nahm er Biancas Hand und hauchte einen Kuss auf ihr Handgelenk. „Ihr seid zu gütig. Ich habe nur meine Pflicht getan. Piraten sind so ein Ärgernis.“

„Aber nein!“, widersprach Bianca heftig. „Ihr selbst habt den Piratenkapitän mit dem Dolch getötet. Ihr habt seine Flotte mit Euren Kanonen vernichtet, ohne selbst einen Mann zu verlieren. Ihr seid … Il leone.“

„Ach, ich ziehe es vor, bei meinem richtigen Namen genannt zu werden: Marcos Antonio Velazquez. Und wer seid Ihr? Mit wem habe ich die Ehre?“

Verzückt schaute Bianca zu ihm auf. „Ich heiße Bianca, Signor Velazquez. Und das ist meine Herrin, Signora Julietta Bassano. Es ist uns eine Ehre, dass Ihr unsere Parfümerie besucht“

„Eine Ehre“, wiederholte Julietta. „Ich hatte ja keine Ahnung, dass so ein Held uns die Gunst seiner Kundschaft erweisen würde. Erlaubt mir, Signore, Euch das Parfüm als Geschenk des Hauses zu überreichen.“

„Aber nein, Madonna“, widersprach er. „Es ist viel zu wertvoll …“

„Ohne Euren Mut und Eure Kühnheit hätten wir bald keine Ware mehr zu verkaufen gehabt. Bitte, erlaubt mir, Euch dieses Geschenk zu machen. Als Zeichen meiner Dankbarkeit.“

„Habt Dank, Madonna“, sagte er mit einer leichten Verbeugung. Dabei sah er sie so durchdringend an, dass Julietta seinem Blick nicht standhalten konnte. Wie kam es nur, dass sie sich ständig vor ihm zum Narren machte?

„Bianca, der Signore hat einen Duft für seine Mutter in Spanien in Auftrag gegeben. Wenn Ihr die Güte habt, Signor Velazquez, in zwei Tagen wieder vorbeizuschauen, dann wird Euer Parfüm bereitstehen.“

„In zwei Tagen erst?“, fragte er leise. „So lange, bis ich wiederkommen darf?“

Julietta zuckte mit den Schultern. „Die Herstellung eines Parfüms ist eine Kunst, Signore. Eine Kunst, die Feingefühl und Zeit verlangt, da darf man nichts übereilen.“

„Oh ja, Madonna. Das verstehe ich.“

Die kleine Glocke am Eingang läutete, als die Tür aufgestoßen wurde. Signora Mercanti, eine von Juliettas besten Kundinnen, betrat geräuschvoll den Laden. Ihr zerfurchtes, dick gepudertes Gesicht war gerötet vor Aufregung, die dunklen Augen glänzten. Den plötzlichen Trubel, den die in Pelze und flatternde Stoffe gehüllte Signora samt ihren in den kleinen Ladenraum drängenden Dienern und kläffenden Schoßhündchen verursachte, nutzte Signor Velazquez, um ungesehen – außer von Julietta – aus dem Laden zu flüchten. Sie trat ans Fenster und verfolgte, wie er den campo überquerte – ein scharlachroter Farbtupfer inmitten der grauen Menge. An der Zisterne traf er eine große, unauffällig gekleidete Person. Gemeinsam mit dem Fremden verließ er den Platz, bog in eine schmale Gasse und verschwand hinaus in die große Stadt.

Zwei Tage. Dann würde er wiederkommen.

„Habt Ihr es schon gehört, Signora Bassano?“ Aufgeregt packte Signora Mercanti Juliettas Arm und zog sie zurück in die Ladenmitte. Bei solchem Trubel um sich herum blieb Julietta keine Zeit, lange über den Fremden nachzudenken. „Ein riesiger Skandal! Meine Dienerin hat es heute Morgen auf dem Markt erfahren.“

Julietta schüttelte den Kopf. Sie bückte sich, hob einen der kläffenden Hunde hoch und reichte ihn einem Diener, bevor das Tier sich an ihrem Rock oder auf ihren sauberen Fliesen erleichtern konnte. „In Venedig gibt es doch immer irgendeinen Skandal, Signora.“

„Ja, aber das ist wirklich eine ungeheuerliche Angelegenheit! Micheletto Landucci hat man heute Morgen tot in seinem Bett gefunden. Direkt neben seiner schlafenden Gemahlin.“

Julietta wurde eiskalt. Cosima Landucci und ihr toter Gemahl. Wie ein eisiger Schauer überkam sie die Erinnerung an die vergangene Nacht und spülte die letzten Spuren der Hitze, die der aufregende Il leone in ihr hinterlassen hatte, hinweg. Wie konnte die Nachricht von Landuccis Tod schon so schnell die Runde durch die Gassen und Kanäle machen? Ja, das war Venedig. Wie hätte es auch anders sein können?

„Wirklich?“ Julietta versuchte, Ruhe zu bewahren. „Kennt man die Todesursache schon?“

Signora Mercanti zuckte mit den Schultern. „Überanstrengung, vermutet man. Nach einem zu reichlichen Nachtmahl und einem Beischlaf mit einer zu jungen Frau. Landucci ist bereits das dritte Mitglied des Savio ai Cerimoniali, das innerhalb weniger Monate verstorben ist. Seltsam, nicht wahr, Signora Bassano? Ach, da fällt mir gerade was ein! Signora Landucci ist doch auch Eure Kundin, nicht wahr? Natürlich wird sie in den nächsten Tagen das Haus nicht verlassen wollen, aber vielleicht schickt sie ja ihre Dienerin. Dann könnten wir sicher mehr erfahren.“

Signora Mercanti ließ sich auf den gepolsterten Stuhl sinken und nahm von Bianca die dargebotene Süßigkeit entgegen. Es war offensichtlich, dass die Signora sich auf einen langen, gemütlichen Vormittag in Juliettas Parfümerie einstellte. Und immer wenn die Türglocke läutete und neue Kundinnen den Laden betraten, sprach man über nichts anderes als die Landuccis, die bevorstehenden Karnevalsbälle und natürlich von Il leone und seinen Heldentaten.

ll leone. Julietta warf einen letzten Blick zum Fenster, bevor sie sich ins Gefecht stürzte. Sie war erfüllt von einem unbegreiflichen Verlangen, hinter ihm herzurennen. Ihn zu bitten, ihr zur Flucht auf einem seiner großen, schnellen Segler zu verhelfen.

Fliehen. Ja, wenn sie das nur könnte. Wenn Il leone damit so einfach ihre Furcht vertreiben könnte wie diese Piraten. Doch sie wusste genau, dass er dazu nicht in der Lage war. Ihre Dämonen ließen sich nicht vertreiben, auch nicht von dem gefeierten Il leone.

4. KAPITEL

Habt Ihr sie gesehen?“, fragte Nicolai.

Marcos blieb stehen und schaute kurz zurück. Er sah die blaue Tür, darüber baumelte das Holzschild mit dem Bild einer Parfümflasche. Einen kurzen Moment lang bildete er sich ein, sie, Julietta Bassano, zu sehen – groß, kalt, stolz und zurückhaltend und dennoch, das ahnte er, nicht ganz ohne Leidenschaft. Ein entzückender rosiger Schimmer hatte ihre Wangen überzogen, als er ihr Handgelenk zärtlich gehalten hatte. „Ja, ich habe sie gesehen.“

„Und?“

Marcos zuckte mit den Schultern. „Ich verstehe nicht, was der alte Ermano an ihr findet“, log er.

Nicolai lachte laut und so herzlich, dass zwei hübsche Mägde stehen blieben und ihm interessierte Blicke zuwarfen. Auch wenn sich daraus vielleicht eine recht aufregende Affäre hätte entwickeln können, jetzt war nicht die Zeit, Aufmerksamkeit zu erregen. Marcos führte seinen Freund in eine fast leere Wirtsstube, wo sie sich bei billigem Bier und einer Fleischpastete in einer dunklen Ecke niederließen.

„Vermutlich will er nur ihren vornehmen Ansitz und ihre fruchtbaren Felder auf dem Festland.“ Träge lehnte sich Nicolai auf dem rohen Holzstuhl zurück. Sein buntes seidenes Harlekinkleid hatte er gegen ein einfaches rotbraunes Wollgewand getauscht, die goldblonden Haare streng zurückgekämmt und am Hinterkopf zusammengebunden. Nur in den ungeduldigen Gesten der schmalen Hände und in seinen blauen Augen zeigte sich nun der stets Aufmerksamkeit heischende Eifer eines geborenen Schauspielers. Marcos fragte sich insgeheim, ob der langjährige Freund seinen Plan auch einhalten würde.

Doch war Nicolai nicht einer der wenigen Freunde, denen Marcos voll und ganz vertrauen konnte? Und der einzige, der ihm bei der Durchführung seiner Vorhaben in Venedig helfen konnte? Als Wanderschauspieler war Nicolai herumgekommen und kannte viele Leute. Ihm war jeder Winkel der Serenissima vertraut, auch die dunklen und schmutzigen. Er konnte dieser Stadt ihre Geheimnisse und Gerüchte auf eine Weise entlocken, wie es Marcos selbst, der bereits mit sechs Venedig verlassen hatte, niemals möglich gewesen wäre.

Bald. Bald sollte diese ernste Stadt unterwürfig vor ihm auf dem Rücken liegen. Alle seine Wünsche, alle seine Forderungen sollte sie ihm erfüllen. Alles, wofür er geplant und gearbeitet hatte, seit er ein Kind war.

Gott mochte dem helfen, der sich ihm in den Weg stellen wollte. Niemand sollte ihn an seinen Plänen hindern, auch nicht die Frau mit nachtschwarzem Haar und weißer Haut, die nach Blüten duftete und nach Traurigkeit.

Marcos nahm einen tiefen Schluck von dem billigen Bier. „Kein Anwesen, kein Landgut sind das Theater wert, das Ermano macht. Besitzt er nicht bereits genug von solchen Gütern?“

„Vielleicht weiß der erlauchte Conte, dass er mit seiner entschlossenen und sehr öffentlichen Jagd auf die Witwe Bassano zum Gespött in Venedigs Gesellschaft wird. Und das macht ihn umso entschlossener“, sagte Nicolai, in dessen Tonfall nur noch ganz selten die Sprache seiner lange verlassenen russischen Heimat herauszuhören war.

„So wird es wohl sein.“ Marcos dachte an Juliettas Augen, dunkel wie die schwärzeste Nacht und doppelt so geheimnisvoll.

Nicolais Blick schweifte prüfend durch die düstere Schankstube, als er einen tiefen Schluck von dem Bier nahm. „Was hast du als Nächstes vor, mein Freund?“

„Na ja, die schöne Signora umwerben“, antwortete Marcos mit einem freudlosen Lachen. „Sie ist der Schlüssel zu der ganzen Angelegenheit.“

„Und mit der Freiheit, die uns der Karneval gestattet, wer weiß, was da geschieht?“

„Genau!“

„Aber sei bitte vorsichtig, Marcos.“

Nicolais Stimme, die sonst immer so heiter und ein wenig spöttisch klang, war plötzlich ganz leise und ernst geworden. Marcos sah ihn verwundert über den Rand seines Bierbechers an.„Das bin ich immer. Wie könnte ich sonst als Kapitän eines Handelsschiffes überleben?“

Nicolai schüttelte den Kopf. „Ermano ist allseits bekannt für seine Heimtücke, selbst in dieser gefährlichen und heuchlerischen Stadt Venedig fürchtet man ihn.“

Plötzlich sah Marcos das Bild vor sich, das ihn überallhin verfolgte, das er niemals würde abschütteln können: das blonde Haar auf dem Marmorboden, diese schrecklich ausdruckslos ins Leere blickenden blauen Augen, am weißen Hals eine rote klaffende Wunde. „Ja, das weiß ich.“

„Und du willst immer noch mit dem Teufel feilschen?“

Marcos leerte den bitteren Rest des Glases. „Ich habe lange gebraucht, bis ich endlich so weit war. Schon viel zu viel Zeit ist vergangen, und nun muss ich endlich das Versprechen erfüllen, das ich einmal gemacht habe.“

„Ich dachte es mir. Du hast dich schon immer wie ein störrischer Esel verhalten. Erinnere dich nur an den Tag, als ich dir zum ersten Mal in dem schäbigen Bordell in Deutschland begegnet bin.“

Marcos lachte. „Du musst ja nicht mitmachen. Ich will nicht schuld sein am Unglück der wenigen Freunde, die ich noch besitze. Letztendlich geht es um mein ganz persönliches Problem.“ Doch Marcos wusste genau, dass er auf Nicolais Hilfe nicht verzichten konnte. Damals, in jenem Bordell, hatte ihm Nicolai das Leben gerettet. Aber er hatte Nicolai dann dafür viele Male das Leben gerettet. Und dieses Mal brauchte er die Rückendeckung des Freundes wirklich mehr als alles andere.

Nicolai grinste. Nun war er wieder ganz der fröhliche Harlekin. „Wie sonst könnte ich mich in diesen Tagen zerstreuen? Die Truppe reist nicht weiter. Während Karneval und der Fastenzeit bleibt sie in Venedig. Erst wenn das Volk wieder nach Fröhlichkeit verlangt, reisen wir weiter nach Mantua. Solange kannst du über mich und meine armseligen Fähigkeiten verfügen, leone.“ Die Traurigkeit, die für einen kurzen Moment in Nicolais Augen lag, überspielte er mit einem unbekümmert klingenden Lachen.„Ich bezweifle übrigens, dass viele Venezianer das für dein persönliches Problem halten würden. Wenn du mich fragst, ich glaube, manch einer würde es gerne und freiwillig mit dir teilen.“

Bevor Marcos nachfragen konnte, wurde die Tür der Schankstube geöffnet und ließ einen kalten Lufthauch und Tageslicht herein – und Julietta Bassanos Dienerin. Zielstrebig ging das Mädchen zur Theke.

„Signora Bassanos Dienerin. Ich glaube, sie heißt Bianca“, flüsterte Marcos.

„Ja, ja“, nickte Nicolai weise. „Die beste Vertraute einer Dame ist oftmals die Zofe. Diese scheint mir … besonders viel zu wissen.“ Ohne ein weiteres Wort stand Nicolai auf, ging quer durch den Schankraum und stellte sich neben Bianca. Es dauerte nicht lange, da wurde gescherzt und geschäkert, helles Lachen tönte durch den dunklen, rauchigen Raum. Da Marcos wusste, dass Nicolai noch eine ganze Weile beschäftigt sein würde, legte er ein paar Münzen neben die leeren Becher und verließ das Gasthaus.

Der beginnende Tag hatte die Nebel vertrieben, ein trübes milchigweißes Licht lag auf dem dunklen Wasser und den pastellfarbenen Häusern. Marcos zog seinen kurzen Umhang enger um die Schultern und die Mütze tief ins Gesicht und tauchte ein in die Menschenmenge, die in Richtung der Werft des Arsenals strömte. Niemand erkannte ihn als Il leone. Er fühlte sich frei, zu gehen, wohin ihn seine Füße trugen.

Doch seltsamerweise wünschte er nichts sehnlicher, als zurück zu der blauen Tür von Julietta Bassano zu wandern. Verweilen und träumen wollte er in ihrem Laden mit den süßen verführerischen Düften, diese schlanke, anmutige Dame beobachten, wie sie hinter ihren Ladentisch ging und sich Veilchenöl auf die weiße Haut träufelte. Wahrlich eine bestrickende, rätselhafte Frau, deren köstliches Geheimnis er mit Freude alsbald lösen wollte.

Doch jetzt noch nicht. Auch wenn er schon auf halbem Weg zu ihrem Laden war, wusste er, noch war es zu früh. In zwei Tagen erst wollte er zurückkommen, hatte er gesagt. Zwei Tage, in denen sie an ihn denken konnte, in denen vorsichtige Neugier ganz allmählich zu Sehnen und Begehren erblühen sollte. Und für ihn selbst zwei Tage, an sie zu denken, sich auszumalen, was er sich von ihr erträumte. Zwei sehr lange Tage.

In der Zwischenzeit galt es Wichtiges zu erledigen. Er trat an den Rand des Kanals und winkte eine Gondel herbei.

Julietta saß aufrecht im Bett und rang nach Luft. Trotz der dicken Bettdecke und des Feuers, das noch im Kamin glühte, war ihr eiskalt. Zitternd fuhr sie sich mit der Hand übers Gesicht und versuchte kopfschüttelnd ihre Träume zu verscheuchen. Es nützte nichts. Das Gefühl, dass irgendjemand sie beobachtete, blieb. Ihr war, als blickte jemand tief in ihre Seele und als kämen all ihre wohlgehüteten Geheimnisse kämen ans Licht.

Sie zündete die Kerze an, die neben ihr auf dem Nachttisch stand. Die flackernde gelb-orange Flamme warf ihr Licht bis in die hinterste Ecke der kleinen Schlafkammer. Natürlich saßen da keine heimtückischen Dämonen, die nach ihrer Seele greifen wollten. Sie war allein, wie immer. Nur Stapel von Büchern häuften sich auf jedem Tisch und jedem Stuhl, ein paar schwarz-weiß gestreifte Kleidungsstücke lagen unordentlich herum, und ein halb geleertes Weinglas stand da.

Autor

Amanda Mc Cabe
<p>Amanda McCabe schrieb ihren ersten romantischen Roman – ein gewaltiges Epos, in den Hauptrollen ihre Freunde – im Alter von sechzehn Jahren heimlich in den Mathematikstunden. Seitdem hatte sie mit Algebra nicht mehr viel am Hut, aber ihre Werke waren nominiert für zahlreiche Auszeichnungen unter anderem den RITA Award. Mit...
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