Die schönste Nacht für ein Wunder

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Warum hat er Maria nur gehen lassen? Unbedingt will Sebastian Cattaneo seiner getrennt lebenden Ehefrau beweisen, dass sie das Wichtigste für ihn ist. Und nicht etwa sein Job im familieneigenen Juwelen-Imperium, was sie ihm vorgeworfen hat! Deshalb lockt er Maria galant in sein verschneites Luxus-Chalet. Eine Schlittenfahrt und Küsse im Kerzenschein werden zu einem romantischen Neuanfang, die erste Liebesnacht nach der Trennung ist für sie beide ein zärtliches Wunder. Doch als der Wintermorgen anbricht, muss Sebastian eine fatale Entscheidung treffen …


  • Erscheinungstag 03.12.2019
  • Bandnummer 252019
  • ISBN / Artikelnummer 9783733712631
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Mit bebenden Lippen starrte Maria Cattaneo – nein, jetzt wieder Rossi! erinnerte sie sich, selbst wenn das erst nach der Scheidung offiziell sein würde – auf das Luxus-Chalet vor sich. Sie umfasste die Hand ihres kleinen Sohnes fester. Wie konnte sich etwas so Vertrautes gleichzeitig so fremd anfühlen? Schon Jahre bevor Sebastian und sie ein Paar gewesen waren, hatte sie die Weihnachtsfeste und ihre Skiurlaube im Cattaneo-Chalet in Mont Coeur verbracht. Und zumindest äußerlich hatte sich der Prachtbau seither kaum verändert.

Die massiven Balken der rustikalen umlaufenden Holzveranda des riesigen, im traditionellen Stil erbauten Chalets waren mit üppigen Girlanden aus Tannengrün und roten Früchten geschmückt. Die Haustür zierte ein dicker Kranz aus den gleichen Materialien. Die Fenster waren heimelig erleuchtet, und ohne hineinschauen zu können, wusste Maria, dass in der Eingangshalle ein prachtvoller Christbaum stehen würde, bevorzugt dekoriert in Rot und Gold.

Alles war wie immer. Alles außer ihr …

„Mamma?“ Frankie schaute zu ihr hoch, das kleine verfrorene Gesichtchen halb verborgen in der wattierten Kapuze seines Schneeanzugs. Es war eiskalt, die Dunkelheit brach bereits herein, ihr Sohn musste endlich ins Warme.

„Tutto bene, Piccolo?“, fragte sie rau und zwang sich zu einem Lächeln, weil sie Frankie nicht durch ihr Unbehagen irritieren wollte. Das würde keinem von ihnen beiden die erzwungene Heimkehr erleichtern. „Wollen wir reingehen?“

„Um Papà zu sehen?“ Frankie nickte heftig, obwohl sein Gesichtchen dabei viel zu ernst blieb.

Na, wenigstens einer von uns ist bereit! dachte Maria selbstironisch, nahm ihn auf den Arm, stieg die breiten Stufen hinauf, klopfte und holte noch einmal tief Luft. Vielleicht öffnete ihnen ja ihre Schwägerin Noemi. Oder der mysteriöse, wie aus dem Nichts aufgetauchte Bruder von Sebastian und Noemi. Alles wäre besser als …

Die Tür öffnete sich, und vor ihr ragte der vertraute muskulöse Körper ihres Noch-Ehemannes auf. Für einen Sekundenbruchteil erlaubte Maria sich die Illusion, alles wäre wie immer. Dass sie Sebastian nie verlassen hätte, immer noch in ihn verliebt wäre und dass sie beide glücklich wären …

Vergiss es!

Sie waren nicht glücklich gewesen, darum hatte sie ihn auch verlassen.

Das Glück wohnte jetzt Hunderte Kilometer von hier entfernt, auf dem Anwesen ihrer Eltern, in dem kleinen Cottage, in dem sie und Frankie seit einem Jahr lebten. Ganz sicher nicht hier, in den Schweizer Alpen im Luxus-Chalet der Cattaneos. Und nicht bei Sebastian, was immer sie sich auch erhofft hatte.

Er konnte ihr nicht geben, was sie brauchte, sonst wäre sie geblieben. Doch ganz offensichtlich war er nicht fähig, ihr die Liebe entgegenzubringen, nach der sie hungerte, die sie wie die Luft zum Atmen brauchte. Das durfte sie nicht vergessen, wenn sie ihr Herz nicht noch einmal riskieren wollte.

Als Sebastian sie angerufen und gebeten hatte, mit Frankie zum Weihnachtsfest nach Mont Coeur zu kommen, war ihr erster Reflex gewesen, sich zu weigern. Wann immer er in den letzten Monaten seinen Sohn hatte sehen wollen, hatte sie es so arrangiert, dass er ihn bei ihren Eltern abgeholt hatte, während sie unterwegs gewesen war. Da es sich nur um zwei, drei Termine gehandelt hatte, hatte sich der Stress für sie in Grenzen gehalten.

Aber sosehr sie sich auch zu dem Besuch in Mont Coeur hatte überwinden müssen, wusste Maria, dass er richtig war. Ihr Sohn brauchte seinen Vater. Und Sebastian hatte in der letzten Zeit einiges durchmachen müssen. Ein Weihnachtsbesuch von Frankie war das Wenigste, was sie für ihn tun konnte.

Außerdem hatte sie diese kryptische Mail von Noemi bekommen, in der sie ihre Hoffnung ausdrückte, dass Maria heute Abend dabei sein würde, da sie mit der ganzen Familie etwas zu besprechen hätte. Es hatte ihr gutgetan, wenigstens für Noemi immer noch zur Familie zu gehören.

Sebastian trat einen kleinen Schritt vor. Die Verandabeleuchtung erhellte seine markanten Züge, und Maria musste sich zusammennehmen, um nicht hörbar zu stöhnen. Zwölf Monate war es her, seit sie ihren Mann zuletzt gesehen hatte. Doch angesichts der Müdigkeit in den tiefgrünen Augen, der fahlen Gesichtsfarbe und steilen Falten zwischen den dunkeln Brauen, hätte es auch ein Jahrzehnt oder mehr gewesen sein können. Sebastian war vom Typ her weder so leichtherzig noch so unbeschwert wie seine Schwester, aber derart niedergeschlagen und abgekämpft hatte sie ihn nie zuvor gesehen.

Ist er das etwa meinetwegen?

Maria biss sich nervös auf die Lippe, während sie auf ein Wort von ihm wartete. Doch Sebastian schien damit zufrieden zu sein, Frankie und sie einfach nur stumm anzustarren. Und sie konnte nicht anders, als dasselbe zu tun.

Ihr Herz zog sich zusammen, während sie das einst so geliebte Gesicht mit wehem Blick abtastete. Sein dunkelbraunes Haar trug er kürzer, als sie es je an ihm gesehen hatte, und irgendwie wirkte er noch größer, obwohl er sie ohnehin fast um einen Kopf überragte.

Maria schluckte trocken. Sie hatte es immer genossen, ihren Kopf auf seine Brust zu legen und zu spüren, wie sein Herz stark und kraftvoll gegen ihre Wange schlug. Für sie hatte sich das angefühlt, als wären sie enger und tiefer verbunden gewesen als allein durch die von ihren Familien arrangierte Ehe.

Sebastian hatte zu ihrem Leben gehört, solange sie sich überhaupt zurückerinnern konnte. Sie waren quasi zusammen aufgewachsen, hatten nahezu alles miteinander geteilt. War es überhaupt vorstellbar, ihn komplett aus ihrem Leben zu streichen? Egal, wie weit sie rannte? Egal, wie sie sich anstrengte?

„Du bist gekommen“, sagte Sebastian schließlich, und seine raue Stimme tat ihr weh. Maria verwünschte ihn innerlich.

„Du hast mich doch selbst darum gebeten.“

Sein schwaches Lächeln traf sie ins Herz. „Was keine Garantie dafür war, dass du auch wirklich kommen würdest.“

Sie presste die Lippen zusammen. Sein letzter Satz bewies ein weiteres Mal, wie wenig er sie wirklich kannte. Hätte er begriffen, wie aufrichtig und verzehrend ihre Liebe für ihn war, wüsste er auch, dass sie diese Bitte niemals hätte ablehnen können.

Nicht angesichts seiner hörbaren Verzweiflung: „Ti prego, Maria. Ich brauche dich und den kleinen Francesco hier. Es ist … alles hat sich geändert. Bitte kommt.“

Natürlich hatte sie dieser flehentlichen Bitte Folge geleistet. Und sich, zumindest im Hinterkopf, gestattet, dieses ‚alles hat sich geändert‘, so zu interpretieren, als könnte ihre Ehe doch noch das sein, wovon sie immer geträumt hatte.

Vielleicht war sie aber auch hier, weil sie sich immer noch schuldig fühlte, dass sie überhaupt gegangen und nicht einmal zurückgekehrt war, als Noemi sie angerufen und ihr die schreckliche Hiobsbotschaft überbracht hatte.

„Ich wäre fast schon früher gekommen, nachdem ich das von deinen Eltern gehört habe“, gestand sie leise.

Nicole und Salvo Cattaneo waren für sie so etwas wie ihre Ersatzeltern gewesen, und als sie von ihrem tödlichen Helikopterabsturz in New York erfahren hatte, hatte sie wochenlang nicht aufhören können zu weinen. Irgendwann hatte sie all ihre Kraft zusammengenommen und ihre Tränen getrocknet – wie nach der Trennung von Sebastian. Ihr kleiner Sohn verdiente keine trauernde, in Tränen aufgelöste Mutter. Für ihn musste sie stark sein und sich wieder dem Leben zuwenden.

Dasselbe galt auch für Sebastian, der sich trotz seiner persönlichen Betroffenheit und dem Schmerz um den Fortbestand des Familienunternehmens kümmern musste, der weltbekannten Firma Cattaneo Jewels.

Möglicherweise wäre das sogar eine heilsame Ablenkung von seiner Trauer gewesen, wäre nicht wie aus dem Erdboden ein verschollener großer Bruder aufgetaucht, der ihm und Noemi – von den Verstorbenen testamentarisch verfügt – das Erbe streitig machte. Ihrem unehelichen und schmerzlich entbehrten Sohn aus Amerika hatten seine Eltern die Kontrolle über den gesamten Betrieb übertragen. Eine bittere Pille für Sebastian.

Da Maria seine Ernsthaftigkeit und seinen Ehrgeiz nur zu gut kannte, blutete ihr Herz für ihn, ungeachtet ihrer privaten Probleme. Trotzdem hatte sie es nicht über sich gebracht, nach Mont Coeur zurückzukehren, bis Sebastian selbst angerufen und sie gefragt hatte.

Immerhin war dies das erste wirkliche Zeichen, dass er überhaupt registrierte, dass sie ihn verlassen hatte und nicht nur einen längeren Urlaub machte.

„Warum bist du nicht gekommen? Zumindest zum Begräbnis?“ Nicht der Hauch einer Anklage lag in seiner Stimme, eher Neugier und Verwunderung.

„Ich war mir nicht sicher, ob ich noch hierhergehöre.“ Oder ob du mich überhaupt wahrgenommen hättest, fügte sie für sich hinzu.

„Maria …“ Seine Augen verdunkelten sich, und sein Blick wirkte, wenn überhaupt möglich, noch ernster als zuvor. „Was auch geschieht, hier wird es immer einen Platz für dich geben. Für dich und für Frankie, so viel kann ich versprechen.“

Das reicht nicht! Es hatte ihr nie gereicht.

Aber wenn Sebastian das schon nicht begriffen hatte, als sie gegangen war, wie sollte er dann jetzt darauf kommen? Besonders nach den darauffolgenden dramatischen Ereignissen und Einschnitten in seinem Leben.

„Danke“, sagte sie deshalb nur leise.

Als Sebastian ihr Frankie abnehmen wollte, der ihn aus großen Augen stumm gemustert hatte, drückte Maria ihren Sohn instinktiv fester an sich, worauf dieser seinen Kopf mit einem erstickten Laut an ihrer Schulter barg.

Tadeln konnte man ihn dafür kaum, da er nach einer gefühlten Ewigkeit gerade eben erst wieder in seinem alten Zuhause angekommen war. Die raren Treffen mit seinem Vater hatten entweder auf dem Grundstück ihrer Eltern stattgefunden oder in Mailand, in der Nähe des Stammhauses von Cattaneo Jewels.

Sofort zog Sebastian sich zurück. Seine Augen waren dunkel vor Schmerz.

„Es war ein langer Tag. Wir sind beide ein bisschen müde“, murmelte Maria, um es ihm zu erleichtern, wie sie es immer getan hatte.

Sein trauriges Lächeln verriet ihr, dass er diesen Versuch honorierte, obwohl sie beide wussten, dass Frankies Scheu eher darauf beruhte, dass er seinen Vater in den letzten zwölf Monaten kaum zu Gesicht bekommen hatte. Wenn überhaupt, dann meist auf einem Computerbildschirm, falls Sebastian die Zeit für einen Video-Chat hatte aufbringen können, bevor sein kleiner Sohn ins Bett gebracht wurde.

Maria verbannte jeden Anflug von schlechtem Gewissen in den Hinterkopf. Es war nicht ihre Schuld, dass Sebastian sein Versprechen als Vater und als Ehemann nie erfüllt hatte. Oder dass sie schließlich gegangen war, um ihr eigenes Glück zu suchen. Noch länger auszuharren, hätte bedeutet zu akzeptieren, dass die große Liebe ihres Lebens ihre tiefen Gefühle niemals erwidern würde.

Dass Sebastian ihr tatsächlich nur auf Geheiß seines Vaters einen Antrag gemacht hatte, wie er es ihr in dieser furchtbaren Nacht an den Kopf geworfen hatte, war der Tropfen gewesen, der das Fass zum Überlaufen brachte: Komm schon, Maria. Du wusstest doch, worauf du dich einlässt, als du den Plänen unserer Väter zugestimmt hast. Du hast mich genommen, um euer marodes Familienunternehmen zu retten, und ich dich wegen der Fusion, die Cattaneo Juwels weiter in Richtung Weltspitze katapultierte. Und jetzt beschwerst du dich, dass ich zu viel arbeite?

Egal, was sie sagte oder tat, er würde ihr niemals glauben. Zumal sie ja tatsächlich dem Vorschlag ihres Vaters gefolgt war, ihr Betriebswirtschaftsstudium abgebrochen hatte und zurück nach Hause gekommen war, um Sebastian zu heiraten.

Aber wäre das nicht ohnehin ihr geheimer Herzenswunsch gewesen, weil sie fest darauf hoffte, dass er diese Liebe mit der Zeit erwidern würde, hätte sie auch einen anderen Weg gefunden, das Familienunternehmen zu retten. Dass er ihre offene vorbehaltlose Liebe missachtete und quasi mit Füßen trat, war eine schwer zu schluckende Tatsache, an der sie zunehmend zu ersticken drohte.

Trotzdem dauerte es lange genug, bis Maria die Kraft aufbrachte, die einzig mögliche Konsequenz aus der bitteren Wahrheit zu ziehen. Ohne Liebe konnte und wollte sie nicht leben. Und nachdem sie so hart darum gekämpft hatte, sich nach der Trennung von Sebastian ein neues Leben aufzubauen, gab es für sie auch kein Zurück.

„Kommt rein, es ist viel zu kalt da draußen“, meinte Sebastian und trat zur Seite. „Alle warten darauf, euch zu sehen. Und … willkommen zu Hause.“

Marias Herz machte einen kleinen schmerzhaften Sprung, als sie über die Schwelle trat. Mont Coeur würde nie wieder ein Zuhause für sie sein, sosehr sie es sich auch gewünscht hätte. Sobald Weihnachten vorüber war, gab es wieder nur Frankie und sie.

Sebastian konnte die Firma behalten, sie hatte etwas viel Wichtigeres – ihren Sohn. Zusammen würden sie sich ein neues, ein eigenes Leben aufbauen – weit weg von den Cattaneos und Mont Coeur.

So war es das Beste für alle. Selbst, wenn es höllisch wehtat.

Eins stand für Maria fest: Sie kannte Sebastian wahrscheinlich besser als irgendjemand sonst auf der Welt. Möglicherweise – oder sogar ganz sicher auch besser als seine Schwester. Dass er davon ausging, sie würde klaglos in sein Leben und in sein Bett zurückkehren, stand genauso fest. Sebastian war überzeugt, dass sie ihre kleine Rebellion aufgeben würde, jetzt, da ihr vor Augen geführt wurde, was sie dafür aufgegeben hatte. Dass sie die ständigen Streitereien oder ihre lähmende Einsamkeit vergaß, die sie hauptsächlich dazu bewegt hatten, ihn zu verlassen.

Okay. Die neue Schlafsituation war nur die erste von vielen Enttäuschungen, die er während ihres Besuchs würde hinnehmen müssen.

„Geht es dir gut?“, flüsterte Noemi ihr ins Ohr, leise genug, dass Frankie, der mit seinem neuen Onkel Max spielte, es nicht hörte.

Maria nickte nur, weil sie die Lüge nicht aussprechen wollte. Solange sie gezwungen war, hier auszuharren, konnte es ihr nicht gut gehen.

Wie hatte sich alles nur so dramatisch verändern können?

Zuerst das Auftauchen eines neuen Bruders für Sebastian und Noemi und in Kürze wohl auch eine neue Schwägerin, angesichts der innigen Blicke, die Leo und Anissa tauschten. Dann Noemi, die in naher Zukunft eine Prinzessin und Mutter von Zwillingen sein würde …

Nur was ihre eigene Ehekrise betraf, hatte sich nichts geändert.

Noemi seufzte. „Mein Bruder ist so ein Idiot!“

Dagegen erhob Maria keinen Einwand, während sie die ausladende Treppe zum ersten Stock des Familien-Chalets hinaufgingen.

Für sie war ein Chalet immer eine heimelige Berghütte oder eine rustikale Lodge gewesen, wo man sich gerade mal so lange aufhielt, um eine heiße Schokolade oder einen Punsch zu trinken, ehe man in sein richtiges Zuhause wechselte.

Doch das Cattaneo-Chalet war weder klein noch gemütlich oder rustikal. Es war riesig mit seinen geräumigen Schlafzimmern, inklusive Balkonen, diversen Wohnräumen, einer Bibliothek, der großen Küche und einem üppigen Speisesaal, perfekt geeignet für große Familienfeste.

Auch Marias Eltern waren dank ihres florierenden Familienunternehmens von jeher wohlhabend gewesen, aber verglichen mit den Cattaneos geradezu bettelarm. Und nach einer schweren Wirtschaftskrise hatten sie irgendwann vor dem drohenden Konkurs gestanden. War es da ein Wunder, dass sich ihr Vater geradezu begeistert von der Idee zeigte, seine einzige Tochter mit dem einzigen Sohn und Erben der Cattaneos zu verheiraten?

Wenn Maria daran dachte, dass sie in den Augen ihres Vaters nichts weiter als ein Mittel zum Zweck gewesen war, verspürte sie einen bitteren Geschmack im Mund. Zumal er quasi über sie verfügt hatte, ohne sie auch nur zu fragen. Und das, während sie gerade dabei gewesen war, ein Gespür und eine Begabung für das elterliche Geschäft zu entwickeln, die sie selbst überrascht hatte.

Dem Willen ihres Vaters hatte sich Maria nur gefügt, weil sie, seit sie denken konnte, heimlich in Sebastian verliebt war. Und insgeheim gehofft hatte, sie beide würden ein gutes Gespann an der Spitze der vereinten Unternehmen abgeben.

Irgendwann hatte sie aufgehört zu träumen. Sebastian brauchte sie nicht an seiner Seite, das war offenkundig. Selbst wenn Noemi, die noch nie großes Interesse an der elterlichen Firma gezeigt hatte, abgesehen davon, dass sie als Werbegesicht für Cattaneo Jewels fungierte, als Prinzessin nach Ostania gehen würde, rückte der neu gefundene große Bruder Leo in die Führungsetage auf.

Maria hatte ganz schön bohren müssen, um die vollständige Geschichte von Leos Existenz aus Noemi herauszuholen.

Nach der Beerdigung von Nicole und Salvo Cattaneo hatte Marias Vater seine Tochter angerufen, ihr von den Gerüchten um ein weiteres Kind der tödlich Verunglückten erzählt und darauf gedrungen, dass Maria aufhörte zu schmollen und lieber ihren Mann anrufen solle. Das hatte sie natürlich nicht getan, sondern stattdessen mit Noemi telefoniert.

Seitdem wusste sie, dass Salvo und Nicole als Teenager einen unehelichen Sohn bekommen hatten, den sie auf Drängen ihrer Familien zur Adoption freigeben mussten, da niemand außer ihnen selbst an die Dauer ihrer Liebe glaubte.

Sobald sie volljährig waren, heirateten die beiden und suchten seither verzweifelt nach ihrem verlorenen Sohn … über dreißig Jahre lang.

Und als sie ihn schließlich gefunden hatten und in New York besuchen wollten, starben sie auf dem Weg zu ihm bei einem Hubschrauberabsturz, was ebenso tragisch wie herzzerreißend war.

Das Einzige, was Marias Vater an der Geschichte interessierte, war die Tatsache, dass es plötzlich noch einen Erben gab. Einen Erben, dem, wie Gerüchte besagten, der Löwenanteil an dem weltweit erfolgreichen Unternehmen zustand.

„Vielleicht war es doch richtig, dass du Sebastian verlassen hast“, hatte ihr Vater erst vor wenigen Wochen resümiert. „Nach der Scheidung bist du noch jung genug, um wieder zu heiraten. Und beim nächsten Mal suchen wir klüger aus.“

Seit diesem Gespräch herrschte Funkstille zwischen ihnen.

„Da wären wir!“, rief Noemi fröhlich und hätte Maria, die mit jeder Stufe langsamer geworden war, fast ins Straucheln gebracht.

Dann erreichten sie doch noch den obersten Flur … Sebastians Etage, die sie als seine Ehefrau mit ihm geteilt hatte. Seine Eltern hatten sich für eine vergleichsweise kleinere Suite in einem der unteren Stockwerke entschieden und damals mit wissendem Lächeln erklärt, Sebastian und Maria würden den zusätzlichen Raum früher oder später noch brauchen.

Ihren derzeitigen Beziehungsstand hatten sie dabei ganz sicher nicht im Sinn gehabt.

Wie soll ich es nur aushalten, unter diesem Dach, in einem separaten Bett zu liegen und so zu tun, als ob ich meinen Mann nicht mehr liebe? Als wäre er mir absolut gleichgültig. Aber was hatte sie für eine Wahl?

Frankie war außer sich vor Begeisterung, sein altes Zimmer wieder zu entdecken, und lud seine Tante Noemi und seinen neuen Onkel Max gleich zu sich ein. Das verliebte Paar folgte dem Kleinen nur zu bereitwillig, wahrscheinlich in Vorfreude auf ihren eigenen zu erwartenden Nachwuchs.

Noemis Bauch war zwar noch klein, aber nicht zu übersehen. Ebenso wenig wie die Liebe für ihrem zukünftigen Mann, die ihre Augen zum Leuchten brachte und ihr Gesicht strahlen ließ. Keine Frage, die beiden würden so glücklich sein, wie Maria es sich für sie selbst und Sebastian erträumt hatte.

Wie dumm sie gewesen war. Zu jung und sträflich naiv.

Maria atmete noch einmal tief durch und folgte den anderen durch den großen offenen Wohnraum zum zweiten Schlafzimmer. Sie ignorierte den Torbogen, der zum Master-Bedroom und zu dem Kingsize-Bett führte, in dem Frankie in einer Nacht voller Leidenschaft gezeugt worden war.

„Na, Tesoro, freust du dich, hier Weihnachten feiern zu können?“, fragte sie ihren kleinen Sohn und zog ihn so fest an sich, dass er protestierte.

Kaum war er wieder frei, kletterte er aufs Bett. „Und wie!“, verkündete er fröhlich hopsend. „Und mit Papà und mit zia Noemi und zio Max?“

„Aber ja, sicuro“, versicherte sie und umfasste seine Händchen, um Frankies Aufregung ein wenig zu mildern. „Und vermutlich auch mit zio Leo und zia Anissa, oder?“

Noemi nickte zögernd. „Zumindest hoffe ich das. Es war der letzte Wunsch von Mamma und Papà, alle Kinder zu Weihnachten an einem Tisch zu haben.“ Sie lächelte wehmütig. „Ich wünschte nur, sie wären hier, um es zu sehen.“

Sofort legte Max einen Arm um ihre Schultern und drückte sie fest und innig an sich. Obwohl sie sich dafür schämte, konnte Maria einen Anflug von Neid nicht unterdrücken. Wann hatte Sebastian sie jemals so liebevoll getröstet?

Die Antwort war einfach: noch nie. Denn dafür hätte er verstehen müssen, was sie fühlte. Und Sebastian hatte sich nie lange genug von den Familiengeschäften losgerissen, um auch nur einen Versuch in diese Richtung zu unternehmen.

Rasch drehte Maria sich weg, aber anscheinend nicht schnell genug. Noemi befreite sich aus Max’ Armen und wandte sich ihr zu.

Max blickte kurz zwischen den beiden Frauen hin und her, dann schnappte er sich den hopsenden Frankie vom Bett. „Na, Sportsfreund, was hältst du davon, wenn wir nach unten in die Küche gehen und ein paar Weihnachtskekse probieren?“

In Erwartung der avisierten Leckereien wurden Frankies Augen riesengroß.

„Natürlich nur, wenn das für deine Mutter in Ordnung ist“, fügte Max hinzu – zu spät, als dass Maria hätte Nein sagen können.

Und ihre innere Anspannung hatte auch nichts damit zu tun, dass ihr Sohn vor dem Schlafengehen zu viel Zucker zu sich nehmen könnte. Es gab einfach schon so lange nur sie beide, dass die Vorstellung, von ihrem Sohn getrennt zu werden, Maria jedes Mal körperlich schmerzte.

„Entspann dich“, murmelte Noemi. „Max kann ein wenig Übung gebrauchen.“

Maria nickte steif, gab Frankie einen Kuss auf die Wange und schaute den beiden hinterher.

„Es geht ihm gut“, versuchte ihre Schwägerin noch einmal, sie zu beruhigen.

„Ich weiß …“, murmelte sie erstickt.

„Viel wichtiger ist, wie geht es dir?“, ließ Noemi nicht locker.

Maria sank aufs Bett und bedeckte ihr Gesicht mit den Händen. Ja, wie geht es mir damit, das Weihnachtsfest mit meinem Mann und der Familie zu verbringen und dann wieder gehen zu müssen? „Ich … ich weiß es nicht“, gestand sie rau.

Allein.

Mit brennendem Blick schaute Sebastian seiner Frau und seinem Sohn hinterher, während das schreckliche Wort in seinem Kopf und seinem Herzen widerhallte.

Frankie hatte ihn kaum angesehen, als er ihnen die Tür geöffnet hatte, und sich von ihm abgewandt, als er versucht hatte, ihn auf den Arm zu nehmen. Er hätte gern öfter über Videotelefonie Kontakt zu ihm gehabt, aber es war immer schwierig gewesen, eine Zeit zu finden, zu der sein Sohn noch wach war. Häufig antwortete Maria gar nicht erst, um ihm mitzuteilen, dass Frankie bereits schlief, und schickte in der Regel erst am nächsten Tag eine Erklärung.

Wenn er seinen Sohn jetzt ansah, fragte er sich allerdings, wie er jemals hatte glauben können, dass zehn Minuten Video pro Woche genug sein könnten. Das Baby, das er letztes Weihnachten in den Armen gehalten hatte, war für immer verschwunden.

Als Maria gegangen war, hatte Frankie gerade erst angefangen zu krabbeln. Jetzt war er flink wie ein Wiesel auf den strammen Beinchen und selbst seit seinem letzten Besuch vor vier Monaten war der Knirps offensichtlich gewachsen. Seine wachen Augen leuchteten immer noch in demselben Haselnussbraun wie auf dem Foto in seiner Brieftasche, aber Frankie sah ihn nicht mehr vertrauensvoll an. Stattdessen war sein Blick wachsam, abwägend.

Als ob er seinen eigenen Vater nicht mehr kannte.

Sebastian umklammerte die Lehne des nächststehenden Stuhls, um sich zu beruhigen. Wie und wann war das passiert? Wie hatte er das zulassen können? Und wie konnte er die verloren gegangene Zeit zurückbekommen, wiedergutmachen … wenn das überhaupt möglich war?

Niemals! Das ist unmöglich! Die Stimme in seinem Kopf klang wie Marias, an dem Tag, als sie gegangen war.

„Du verstehst es nicht“, hatte sie müde gesagt. „Du bist dazu einfach nicht fähig, das sehe ich jetzt.“

Fähig? Wozu? hatte er fragen wollen, aber da war sie schon weg gewesen und hatte es ihm überlassen, sich um alles zu kümmern: das Geschäft, die Familie und alles andere, was auf seinen Schultern lastete.

Aber nichts davon war so wichtig gewesen wie das eine Jahr im Leben seines Sohnes, das ihm niemand jemals würde zurückgeben oder ersetzen können.

Diese Erkenntnis schmerzte unendlich heftiger, als zu erfahren, dass er einen älteren Bruder hatte und dass seine Eltern ihn sein Leben lang belogen hatten, indem sie es Noemi und ihm verheimlicht hatten. Unendlich mehr, als zu erfahren, dass sie Leo dann auch noch den Anteil des Familienunternehmens zugedacht hatten, der ihm zustand. Oder von der schluchzenden Noemi zu erfahren, dass ihre Eltern tot waren.

Seine Eltern waren beerdigt. Noemi würde mit Max nach Ostania gehen, wo auch immer das sein mochte, und Maria würde Frankie wieder mit zu ihren Eltern nehmen. Übrig blieb also Leo … sein älterer Bruder, den er gerade mal einem Monat kannte.

Und selbst Leo würde wahrscheinlich nach New York zurückgehen und die Firma mitnehmen, in die er bisher seine gesamte Lebensenergie gesteckt hatte.

Sebastian spürte förmlich, wie er die Kontrolle über sich, seine Gedanken, Hoffnungen, Gefühle und schlussendlich seinen Körper zu verlieren drohte. Sein Herz donnerte wie ein Vorschlaghammer gegen den Brustkorb und erinnerte ihn zumindest daran, dass er noch lebte – anders als seine Eltern.

Dass es immer noch etwas für ihn zu tun gab, auch wenn ihm der Job, in den er sein Leben und seine ganze Kraft investiert hatte, weggenommen wurde. Dass er immer noch Wünsche und Träume hatte, immer noch fühlte, sogar liebte – selbst wenn seine Frau ihn verlassen hatte und sein Sohn ihn nicht erkannte.

Santo Cielo! Frankie … Maria …

Er brauchte Luft. Kalte, betäubende Luft. Gut, dass er in Mont Coeur war!

Wie getrieben schwang Sebastian die Beine vom Bettsofa, stolperte zur Tür, riss sie auf und sog gierig den eisigen Luftstrom ein, der ihm entgegenschlug. Dann trat er hinaus auf die Veranda und starrte die dunkle Bergkette an. Dahinter lag eine atmende, pulsierende Welt. Warum fühlt es sich für mich nur so an, als würde ich mich auflösen und einfach verschwinden?

„Sebastian?“ Leo gesellte sich zu ihm auf die Veranda. „Alles in Ordnung mit dir? Du wirkst so … sind es Noemis Neuigkeiten?“

Meine kleine Schwester, eine Prinzessin. Eine schwangere noch dazu! Na, wenigstens einer von ihnen hatte es gewagt, nach den Sternen zu greifen und seinen Lebenstraum gefunden.

Nein, sogar zwei! Denn sein Bruder Leo demonstrierte ebenso offensiv sein neu gefundenes Glück: Diese kleinen Berührungen, das versteckte Lächeln und die Heimlichkeiten, die Anissa und er ständig austauschten. Die beiden waren eindeutig ein Paar … genau wie Noemi und Max.

So wie er und Maria es noch nie gewesen waren.

Zweifellos würden sich Max und seine Schwester zukünftig voller Begeisterung mit ihren Babys in seiner einstigen Master Suite im Chalet niederlassen und seinen Platz so leicht in Besitz nehmen wie Leo das Familienunternehmen.

Autor

Sophie Pembroke
<p>Seit Sophie Pembroke während ihres Studiums der englischen Literatur an der Lancaster University ihren ersten Roman von Mills &amp; Boon las, liebte sie Liebesromane und träumte davon, Schriftstellerin zu werden. Und ihr Traum wurde wahr! Heute schreibt sie hauptberuflich Liebesromane. Sophie, die in Abu Dhabi geboren wurde, wuchs in Wales...
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