Die Söhne Chicagos - Macht, Leidenschaft und Geheimnisse (4-teilige Serie)

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SEX, LÜGEN UND EIN TRAUMMANN
Darcis Plan ist simpel: Sie wird sich auf den Jahresempfang von Colborn Aerospace in Chicago einschleichen. Irgendwo auf dem Anwesen muss sie schriftliche Beweise dafür finden, dass die Firma ihr Vermögen mit einer Erfindung ihres Vaters gemacht hat! Aber so weit kommt es gar nicht. Denn ausgerechnet Shane Colborn hat sie im Blick und fängt an, heiß mit ihr zu flirten. Mit seinem frechen Lächeln, seiner lässigen Eleganz und seiner messerscharfen Intelligenz könnte er glatt Darcis Traummann sein. Wäre er nicht der Kopf des betrügerischen Unternehmens - ihr Feind …

LUST, INTRIGEN UND EIN TRAUMMANN
Hals über Kopf verliebt Kalissa sich in den attraktiven Riley Ellis. Der smarte Unternehmer aus Chicago umwirbt sie heiß, und in seinen Armen spürt Kalissa eine Leidenschaft, wie sie sie noch nie erlebt hat! Er gibt ihr das Gefühl, die schönste Frau der Welt zu sein. Bis sie eine schreckliche Entdeckung macht: Ihr Traummann ist der Erzfeind von Shane Colborn, dem frischgebackenen Ehemann ihrer Zwillingsschwester. Schon lange versucht Riley, seinen Rivalen zu übertrumpfen. Hat er sie nur erobert, um der Familie Colborn nah zu sein - um sie endlich zu besiegen?

HEIßE NÄCHTE MIT DEM BOSS
Lawrence "Tuck" Tucker lebt sorgenfrei in den Tag hinein. Bis plötzlich sein Bruder verschwindet und er die Leitung des Familienimperiums übernehmen muss. Dabei ist er auf die Hilfe der attraktiven Chefsekretärin Amber Bowen angewiesen. Doch die ist nicht nur eine ständige Versuchung für den notorischen Playboy, sie verschweigt offensichtlich auch, wo sich ihr Boss aufhält. Das muss Tuck unbedingt aus ihr herausbekommen - schließlich will er endlich sein altes Leben zurück: ohne Verpflichtungen und Verantwortung. Aber auch ohne Amber? Da ist er sich nicht mehr so sicher …

BESCHÜTZ MICH, VERFÜHR MICH
"Diese Frau hat etwas Besseres verdient!", schießt es dem Privatdetektiv Jackson Rush durch den Kopf, als er die schöne Braut sieht. Kurzerhand entführt er die ahnungslose Crista direkt vor der Kirchentür. Nur zu gern erfüllt er seinen Auftrag, ihre Hochzeit zu verhindern. Denn er weiß: Sie ist kurz davor, einen skrupellosen Verbrecher zu heiraten, der es nur auf ihr Geld abgesehen hat und sie außerdem mit einer anderen betrügt. Aber wie kann er sie davon überzeugen, dass er nur die besten Absichten hat? Jackson versucht es mit Verführung …


  • Erscheinungstag 07.11.2019
  • ISBN / Artikelnummer 9783733728465
  • Seitenanzahl 576
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Cover

Barbara Dunlop

Die Söhne Chicagos - Macht, Leidenschaft und Geheimnisse (4-teilige Serie)

IMPRESSUM

BACCARA erscheint in der HarperCollins Germany GmbH

Cora-Logo Redaktion und Verlag:
Postfach 301161, 20304 Hamburg
Telefon: +49(0) 40/6 36 64 20-0
Fax: +49(0) 711/72 52-399
E-Mail: kundenservice@cora.de

© 2015 by Barbara Dunlop
Originaltitel: „Sex, Lies And The CEO“
erschienen bei: Harlequin Enterprises Ltd., Toronto
in der Reihe: DESIRE
Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

© Deutsche Erstausgabe in der Reihe BACCARA
Band 1935 - 2016 by HarperCollins Germany GmbH, Hamburg
Übersetzung: Peter Müller

Abbildungen: Harlequin Books S.A., alle Rechte vorbehalten

Veröffentlicht im ePub Format in 07/2016 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 9783733723033

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.
CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:
BIANCA, JULIA, ROMANA, HISTORICAL, MYSTERY, TIFFANY

 

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1. KAPITEL

„Geh bloß nicht ran“, rief Darci Rivers, als sie das Klingeln hörte, und stürmte durch das Loft, in dem komplettes Chaos herrschte.

„Er wird es schon nicht sein“, erwiderte Jennifer Shelton und wühlte in ihrer Handtasche nach dem Handy.

Darci schlitterte auf ihren Socken um einige Umzugskartons herum, als es erneut klingelte. „Das ist er garantiert.“

„Ist er bestimmt ni…“ Jennifer blickte aufs Display ihres Handys. Dann sah sie Darci mit großen Augen an. „Er ist es.“

Schnell nahm Darci ihrer Mitbewohnerin das Gerät ab. „Stark bleiben, Jennifer.“

„Ja, ich bleibe stark“, versprach Jennifer. Dabei warf sie einen wehmütigen Blick auf das Smartphone.

„Der Typ ist für dich gestorben“, betonte Darci und trat sicherheitshalber einen Schritt zurück.

„Aber vielleicht …“

„Nein, bestimmt nicht.“

„Du weißt doch gar nicht, was ich sagen wollte.“

Darci drückte den Anruf weg und steckte das Handy in ihre Hosentasche. „Du wolltest sagen: Aber vielleicht tut es ihm leid.“

„Vielleicht tut es ihm ja auch leid“, protestierte Jennifer leise.

Darci ging in den Küchenbereich des riesigen Lofts. Durch die Fensterfront blickte sie auf die Skyline von Chicago.

Wieder klingelte das Handy. Gleichzeitig spürte sie den Vibrationsalarm in ihrer Hosentasche.

„Komm schon, gib’s mir wieder“, forderte Jennifer sie auf und folgte ihr.

Sicherheitshalber verschanzte sich Darci hinter der Kücheninsel. „Was hast du doch gleich noch gestern Abend zu mir gesagt?“

„Ist doch egal. Vielleicht ist das jetzt ein anderer Anruf. Möglicherweise ein Kunde.“

„Was hast du gestern zu mir gesagt?“

„Jetzt komm schon, Darci.“

„Falls es ein Kunde ist, hinterlässt er garantiert eine Nachricht.“

Es war schon fast neunzehn Uhr. Darci und Jennifer hatten es sich zwar zum Prinzip gemacht, fast rund um die Uhr für die Kunden ihrer Webdesignfirma verfügbar zu sein. Aber einen Anruf konnte man ruhig mal versäumen …

„Wir wollten doch immer für unsere Kunden da sein …“

Sicherheitshalber zog Darci das Handy aus der Hosentasche und blickte aufs Display. „Es ist wieder er. Wie ich’s mir gedacht hatte.“ Erneut drückte sie den Anruf weg und steckte das Handy wieder ein.

„Vielleicht steckt er in Schwierigkeiten“, sagte Jennifer und bewegte sich fast unmerklich auf Darci zu.

Darci musste lächeln. „Natürlich steckt er in Schwierigkeiten. Weil er jetzt endlich kapiert hat, dass du es ernst meinst.“

Inzwischen hatte sie den kleinen Umzugskarton entdeckt, auf dem mit Filzstift das Wort „Weinflaschen“ vermerkt war. Sie öffnete ihn. Vorausschauend, wie sie war, hatte sie den Korkenzieher im gleichen Karton verstaut. So konnte man sich, ohne lange suchen zu müssen, nach dem überstandenen Umzug gleich ein wohlverdientes Schlückchen gönnen. Wenn sie sich jetzt nur noch erinnern könnte, wo die Weingläser waren …

Sie deutete auf einen weißen Karton. „Schau doch bitte mal nach, ob da Gläser drin sind.“

„Du kannst mir doch nicht einfach das Handy wegnehmen.“

„Kann ich wohl. Das musste ich dir doch gestern sogar versprechen. Um dich vor Dummheiten zu bewahren.“

„Ich … ich habe meine Meinung geändert.“

„Netter Versuch. Aber damit kommst du bei mir nicht durch.“

„Darci, hab doch ein Herz.“

Streng blickte Darci ihre Freundin an. „Du hast wörtlich zu mir gesagt: ‚Pass auf, dass ich nie mehr ein Wort mit diesem Schuft wechsle.‘ Übrigens, die Weingläser könnten in dem weißen Karton sein. Wenn du mal bitte …“

Jennifer reagierte nicht.

Aufseufzend griff Darci selbst nach der Kiste und entfernte das Klebeband. „Er hat dich betrogen, Jen.“

„Ja, aber er war betrunken.“

„Und wenn er wieder mal was trinkt? Dann betrügt er dich wieder. Du weißt doch nicht mal, ob es wirklich das erste Mal war.“

„Ich bin mir ziemlich sicher …“

„Ziemlich? Du armes Mäuschen. Selbst wenn du ihm das eine Mal als Ausrutscher durchgehen lässt, solltest du hundertprozentig sicher sein, dass er dich vorher nie betrogen hat und es auch in Zukunft nicht mehr tun wird. Sonst hat er nur einen Tritt in den Hintern verdient. Gib ihm den Laufpass.“

„Du bist ganz schön hart.“

„Aha.“ Darci hatte die Weingläser gefunden. Sicherheitshalber spülte sie sie kurz ab.

„Bei Männern kann man sich doch nie hundertprozentig sicher sein“, murmelte Jennifer.

„Himmel, Mädchen, was redest du da bloß für einen Unsinn!“

Schweigend blickte Jennifer zu Boden. Dann sagte sie: „Ich weiß ja, dass du eigentlich recht hast. Aber er ist so …“

„Egozentrisch und selbstverliebt?“

„So unglaublich heiß und verführerisch, wollte ich eigentlich sagen.“ Gedankenverloren spielte Jennifer mit den Verschlussklappen eines Kartons.

„Ein Mann muss mehr zu bieten haben als einen breiten Brustkorb und einen knackigen Hintern.“

Jennifer zuckte mit den Schultern und blickte in den Karton.

„Sag, dass ich recht habe“, forderte Darci sie auf.

„Du hast recht.“

„Etwas mehr Überzeugung bitte. Es muss so rüberkommen, dass ich es dir auch wirklich abkaufe.“

Jennifer seufzte auf und zog mehrere alte Fotoalben aus dem Karton. „Ja, du hast recht, du hast tausendmal recht. Kriege ich jetzt bitte mein Handy wieder?“

„Nein. Aber ein schönes Glas Wein könnte ich dir anbieten.“

Die beiden Frauen hatten schon so manches Fläschchen der unteren bis mittleren Preisklasse zusammen geleert. Seit der Highschool waren sie beste Freundinnen, hatten beide Grafikdesign studiert und schon damals zusammen gewohnt. Sie hatten keine Geheimnisse voreinander.

Darci vertraute Jennifer grenzenlos. Nur nicht, was ihren Männergeschmack anging. Warum musste sie sich auch ausgerechnet in Ashton Watson verlieben?

Er war gut aussehend, redegewandt und charmant, und Jennifer war voll auf ihn hereingefallen. Dabei war er ein Windhund, der sie immer wieder enttäuschte. Schon dreimal innerhalb der vergangenen vier Monate hatte sie mit ihm Schluss gemacht. Aber jedes Mal hatte er mit Engelszungen auf sie eingeredet, hatte ihr hoch und heilig versprochen, rücksichtsvoller zu sein, nicht mehr so selbstsüchtig. Und jedes Mal hatte sie ihn zurückgenommen.

Darci wollte dafür sorgen, dass so etwas nicht noch einmal geschah. Dieser Mann war einfach nicht für eine Beziehung geeignet!

Jennifer holte drei dicke braune Umschläge aus dem Karton vor ihr und legte sie neben die Fotoalben. „Eigentlich möchte ich jetzt gar keinen Wein.“

„Doch, möchtest du.“ Darci schob ihr ein gefülltes Glas hinüber.

Jennifer wühlte weiter in dem Karton und zog eine abgewetzte Lederbrieftasche hervor. „Sind das alles die Sachen von deinem Vater?“

„Ja, aus seiner Kommodenschublade. Ich habe alles nur ganz schnell zusammengepackt, als ich sein Apartment leerräumen musste. An dem Tag war ich zu aufgewühlt, um mir die Sachen näher anzusehen.“

Jennifer blickte betreten drein. „Dann sollte ich sie lieber nicht anrühren, oder?“

Darci wusste, es hatte keinen Sinn, das Unvermeidliche länger vor sich herzuschieben. Sie nahm einen großen Schluck Wein. „Ist schon gut. Ich bin so weit, mir alles anzusehen. Immerhin ist Dads Tod inzwischen schon ein Vierteljahr her.“

Erneut griff Jennifer in den Karton und brachte eine alte Zigarrenkiste zum Vorschein.

„Hat dein Vater Zigarren geraucht?“

„Nicht dass ich wüsste. Höchstens mal eine Zigarette.“

„Die Zigarrenkiste sieht ziemlich alt aus.“ Jennifer öffnete den metallenen Verschluss.

Darcis Neugier war geweckt. Sie vermisste ihren Vater immer noch, aber sie wusste auch, dass die letzten Monate für den schwerkranken Mann eine Qual gewesen waren. Obendrein schien er seit Langem psychisch angeschlagen gewesen zu sein. Wahrscheinlich schon, seit ihre Mutter ihn verlassen hatte. Darci war damals noch ein Baby gewesen. Allmählich gewöhnte sie sich an den Gedanken, dass er nun endlich seinen Frieden gefunden hatte.

Vorsichtig öffnete Jennifer den Deckel des Zigarrenkästchens.

Darci beugte sich vor.

„Geld“, sagte Jennifer.

Überrascht blickte Darci sie an.

„Münzen“, präzisierte Jennifer. Sie zog einige Plastikhüllen hervor, die golden und silbern glänzende Geldstücke enthielten. „Sieht wie eine Sammlung aus.“

„Ich hoffe nur, dass sie nicht viel wert sind.“

„Warum?“

„Er ist finanziell immer nur gerade so eben über die Runden gekommen. Es würde mir wehtun, wenn er sich Geld vom Mund abgespart hätte, um mir diese Münzsammlung zu vererben.“

„Für teuren Single-Malt-Whisky scheint er immer noch genug Geld übrig gehabt zu haben“, kommentierte Jennifer.

Darci lächelte versonnen. Ja, ihr Vater Ian war ein waschechter Schotte gewesen, in Aberdeen aufgewachsen und einem guten Scotch nicht abgeneigt.

„Oh, was ist das?“ Unter den Münzen hatte Jennifer noch einen alten in der Mitte gefalteten Umschlag gefunden. Darin steckte ein Foto. Sie zog es heraus.

Darci musterte das Bild. „Das ist eindeutig mein Dad in jüngeren Jahren.“

Das Foto zeigte Ian in einem kleinen, spärlich möblierten Büro. Darci drehte das Bild herum, aber auf der Rückseite fand sich keine Inschrift.

„Im Umschlag steckt ein Schriftstück“, sagte Jennifer.

„Vielleicht ein Gutachten über den Wert der Münzen?“, mutmaßte Darci.

„Nein, ein Brief.“

„An meinen Dad?“

Wenn ihr Vater ihn zusammen mit den Münzen aufbewahrt hatte, hatte er ihm offenbar viel bedeutet. Vielleicht war es ein Liebesbrief? Möglicherweise sogar von ihrer Mutter Alison? Alison Rivers hatte sich nach ihrem Verschwinden zwar nie wieder persönlich bei ihnen gemeldet – aber vielleicht hatte sie ja einmal einen Brief geschrieben …?

„Nein, der Brief ist nicht an deinen Vater, sondern von deinem Vater. An einen Mann namens Dalton Colborn.“

Darci zuckte zusammen. Den Namen hatte sie jahrelang nicht mehr gehört.

„Kennst du ihn?“

„Ich habe ihn nie persönlich getroffen. Er war der Besitzer von Colborn Aerospace. Und vor Urzeiten einmal der Geschäftspartner meines Vaters.“

„Dein Dad hatte Anteile an Colborn Aerospace?“

„Nein, die beiden hatten eine andere Firma namens D&I zusammen. Ich weiß aber so gut wie nichts darüber. Die Sache wurde schon beendet, als ich noch ein Baby war.“ Versonnen musterte Darci das Foto. „Dalton und mein Dad waren Ingenieure. Ihr gemeinsames Unternehmen muss in einem Fiasko geendet sein. Ich weiß nur noch, dass mein Dad immer vor Wut an die Decke gegangen ist, wenn er irgendwo den Namen Colborn gelesen hat.“

„Der Brief muss uralt sein“, kommentierte Jennifer. „Und ganz offensichtlich wurde er niemals abgeschickt.“

„Bitte lies ihn mir vor“, forderte Darci ihre Freundin auf.

„Bist du sicher?“

Darci nahm einen großen Schluck Wein. „Ja. Völlig.“

Wutentbrannt stieß Shane Colborn das Buch von sich. Es rutschte über den Schreibtisch, und Justin Massey, der Leiter der Rechtsabteilung von Colborn Aerospace, konnte gerade noch verhindern, dass es zu Boden fiel.

„Das nenne ich einen absoluten Tiefpunkt“, kommentierte Shane.

Nur ungern las er etwas über sich. Artikel in Wirtschaftsmagazinen waren schon schlimm genug. Noch übler waren Beiträge in Klatschzeitschriften, aber die waren meistens wenigstens kurz. Dieses Buch hier hingegen – das war der Super-GAU.

„Wir können die Veröffentlichung leider nicht verhindern“, erklärte Justin bedauernd. „Wir hatten schon Glück, dass wir dieses Vorabexemplar bekommen haben.“ Er räusperte sich verlegen. „Mal ehrlich – wie viel davon stimmt?“

„Was weiß ich. Willst du eine Prozentangabe?“

„Das würde schon helfen. Eine grobe Schätzung.“

„Sagen wir, zwanzig Prozent. Vielleicht dreißig. Die Daten und Orte stimmen. Aber viel mehr auch nicht. Wenn ich mit einer Frau im Bett bin, zitiere ich garantiert keine Dichterverse aus dem achtzehnten Jahrhundert. Solch schwülstiges Zeug gebe ich nicht von mir. In keiner Lebenslage.“

Justin grinste.

„Halt die Klappe“, herrschte Shane ihn an.

„Ich habe doch gar nichts gesagt.“

Shane erhob sich und stützte sich mit den Händen auf der Schreibtischplatte ab. „Diese Frau ist eine unverschämte Lügnerin“, stieß er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. „Ich habe in ihrer Anwesenheit niemals mit anderen geflirtet. Und mir vorzuwerfen, ich wäre geizig! Ausgerechnet ich! Dabei habe ich sie freigehalten, solange wir zusammen waren. Exquisite Restaurants, Klamotten – und zu ihrem Geburtstag im März habe ich ihr ein sündhaft teures Diamantarmband gekauft!“

Bianca hatte so lange darum gebettelt, bis er nachgegeben hatte. Und jetzt diese schmutzige Trennung. Die Angelegenheit hatte nur ein Gutes: Er war sie endlich los!

„Am meisten bereitet mir Kapitel sechs Kopfzerbrechen“, sagte Justin nachdenklich.

„Wo sie mir geheime illegale Absprachen und Betriebsspionage bei der Konkurrenz vorwirft?“

„Genau. Mal ehrlich, was du im Bett treibst, dürfte deinen Kunden und Geschäftspartnern herzlich gleichgültig sein. Aber sie schätzen es ganz sicher nicht, wenn du dich an Preiskartellen beteiligst oder geistiges Eigentum stiehlst.“

„So etwas würde ich nie tun!“

„Das weiß ich doch. Mich brauchst du nicht zu überzeugen. Aber viele, viele andere.“

„Wie soll ich mich deiner Meinung nach verhalten, Justin? Alles dementieren? Die Vorwürfe zu entkräften versuchen?“

„Wer sich verteidigt, klagt sich an. Du musst darauf gefasst sein, dass Bianca durch sämtliche Talkshows bei den Lokalsendern tingelt. Aber wenn du auf ihre Vorwürfe anspringst, nimmt das Ganze erst recht kein Ende mehr.“

„Ich soll mich also überhaupt nicht äußern.“

„Ganz genau.“

„Und soll unwidersprochen stehen lassen, dass ich im Bett ein Gedichte rezitierendes Weichei bin.“

„Ich werde all unsere Kunden und Geschäftspartner davon in Kenntnis setzen, dass an den Vorwürfen über unsauberes Geschäftsgebaren nichts dran ist. Wenn du möchtest, betone ich natürlich gleichzeitig, was für ein toller Liebhaber du bist.“

„Sehr witzig, wirklich.“

„Spaß muss sein. Aber jetzt zu etwas anderem: Hast du in dieser Woche schon was von Gobrecht gehört?“

Shane schüttelte den Kopf.

Gobrecht Airlines hatte seinen Hauptsitz in Berlin. Die Firma plante den Kauf von zwanzig neuen Linienflugzeugen, und die Colborn A-200 hatte gute Chancen, den Auftrag an Land zu ziehen. Falls Gobrecht orderte, würde Beaumont Air in Paris höchstwahrscheinlich nachziehen – mit einem sogar noch größeren Auftrag.

Justin erhob sich und ging zur Tür. „Bisher war es immer ganz gut fürs Geschäft, wenn etwas über dich in der Zeitung stand. Aber könntest du jetzt bitte versuchen, dich aus den Schlagzeilen rauszuhalten?“

„Ich habe mich nie ins Rampenlicht gedrängt. Und eigentlich hatte ich gedacht, Bianca wüsste, wie wichtig mir Diskretion ist.“

Shane hatte Bianca durch die Millers kennengelernt. Sie war die Tochter eines guten Freundes des Ehepaars. Deshalb war Shane davon ausgegangen, sie käme aus gutem Hause und wüsste, wie man sich in solchen Kreisen benahm. Nie hätte er damit gerechnet, dass sie öffentlich schmutzige Wäsche waschen würde. Und in seinen schlimmsten Albträumen wäre er nicht auf die Idee gekommen, dass sie nur um des Geldes willen ein sogenanntes Enthüllungsbuch voller Lügen und Halbwahrheiten verfasste!

„Man weiß eben nie, wem man trauen kann“, kommentierte Justin.

„Ich vertraue dir.“

„Ich bin ja auch vertraglich verpflichtet, vertrauenswürdig zu sein.“

„Vielleicht sollte ich meinen Dates auch einen Vertrag vorlegen“, sinnierte Shane. Es klang wie ein Scherz, war aber halb ernst gemeint. „Noch vor der Vorspeise. Eine Verpflichtung zu absoluter Vertraulichkeit.“

„Du solltest dich lieber eine Zeit lang überhaupt nicht mehr mit Frauen treffen.“

„Und vor Langeweile eingehen?“

„Lies ein gutes Buch. Oder such dir ein Hobby.“

„Zum Beispiel Golf spielen oder Angeln?“

„Golf spielen hört sich doch gar nicht so schlecht an.“

„Ich hab’s einmal versucht“, erwiderte Shane und schüttelte sich. „Ich wäre fast im Stehen eingeschlafen.“

„Du weißt doch, beim Golfspielen geht es nicht um den Ball. Es geht um die Gespräche.“

„Nur Langweiler spielen Golf.“

Justin lächelte. „Mächtige Menschen spielen Golf. Die Entscheider, die Elite.“

„Dann schon lieber Tauchen. Oder Schießen.“

„Das ist doch auch was. Worauf wartest du noch?“

„Eigentlich habe ich gar nicht die Zeit für so was.“

„Wenn du dich nicht mehr mit Frauen triffst, hast du alle Zeit der Welt.“

„Du übertreibst. Am Freitag findet die Vorstandssitzung statt. Am darauffolgenden Mittwoch ist die Grundsteinlegung für das neue Gebäude der Entwicklungsabteilung. Und am Samstag kommender Woche bin ich auf der Wohltätigkeitsveranstaltung zugunsten der Bergwacht.“ Shane hielt einen Moment inne. „Ach ja, übrigens … Du glaubst ja wohl nicht, dass ich da ohne weibliche Begleitung hingehe.“

„Und ob du das tust.“

„Hallo …? Ganz sicher nicht.“

„Dann such dir wenigstens jemand Unverfängliches“, riet Justin ihm. „Deine Cousine zum Beispiel.“

„Madeline als mein Date? Das geht gar nicht.“

„Und ob das geht. So lieferst du den Pressefritzen jedenfalls keine Nahrung.“

„Sie könnten schreiben, dass ich was mit meiner Cousine habe.“

„Quatsch. Sie ist deine Co-Moderatorin, nicht dein Date. Die Presse wird schreiben, dass ihr die perfekten Gastgeber wart und Hunderttausende an Spenden für die Bergwacht eingenommen habt.“

Shane dachte nach. Vielleicht hatte Justin recht. Und Madeline würde ihm diesen Gefallen sicher tun. Sie war ein ungeheuer liebenswerter Mensch.

„Na schön, ich rufe sie an.“

„Eine weise Entscheidung.“

„Aber du weißt schon, dass ich nach Wohltätigkeitspartys noch nie allein ins Bett gegangen bin?“

„Und ich hoffe, du weißt, dass es deinen Bekanntschaften immer nur um den Milliardär ging und nicht um sein wahres Ich?“

„Für irgendwas muss die Familienvilla doch gut sein.“

Das prächtige Anwesen gehörte seiner Familie schon seit vielen Jahrzehnten. Aber von dort aus brauchte man über eine Stunde in die Stadt. Und welcher alleinstehende Mann benötigte schon vierzehn Morgen Land um sich herum und sieben Schlafzimmer?

Daher wohnte Shane meist in seinem Penthouse am Lake Shore Drive. Die drei großen Zimmer genügten ihm voll und ganz. Obendrein hatte man dort einen fantastischen Ausblick, und in der Nähe gab es jede Menge erstklassiger Restaurants.

„Dein Vater wäre sicher stolz darauf, wie du die Immobilien der Familie nutzt“, kommentierte Justin.

Beim Gedanken an seinen Vater musste Shane wehmütig lächeln. Sechs Jahre war er nun schon tot – gestorben bei einem Bootsunfall, zusammen mit Shanes Mutter. Shane war damals vierundzwanzig gewesen. Er vermisste die beiden immer noch. Und er war sich sicher: Sein alter Herr hätte gegen sein Liebesleben nichts einzuwenden gehabt.

Plötzlich meldete sich seine Sekretärin Ginger über die Gegensprechanlage. „Mr. Colborn? Ich habe hier Hans Strutz von Gobrecht Airlines am Telefon.“

Schnell tauschten Shane und Justin besorgte Blicke.

Shane drückte auf den Knopf der Gegensprechanlage. „Ich nehme das Gespräch entgegen.“

„Danke, Sir. Leitung eins.“

Shane atmete tief durch. „Das könnten richtig gute Nachrichten sein. Oder richtig schlechte.“

Justin griff nach dem Türknauf. „Gib mir anschließend gleich Bescheid, wie es ausgegangen ist.“

„Wird gemacht“, erwiderte Shane und drückte den Knopf für Leitung eins.

Verunsichert saß Darci auf dem Bänkchen an der Bushaltestelle. Von hier aus hatte sie den Hauptsitz von Colborn Aerospace genau im Blick. Die warme Junisonne bestrahlte das riesige blaue Firmenschild. Das einundzwanzigstöckige Gebäude war zwei Straßenzüge vom Fluss entfernt direkt an einem kleinen Park gelegen.

Der alte Brief, den ihr Vater niemals abgeschickt hatte, hatte ihr so einiges klargemacht. Das Schriftstück erklärte Ians Verbitterung, seinen Zorn auf Dalton Colborn – und wahrscheinlich auch seine Liebe zum Whisky, die über die Jahre immer stärker geworden war. In dem Brief warf Ian Dalton vor, er habe ihn betrogen, indem er ihm seine Konstruktionspläne für eine neuartige Turbine stahl und patentieren ließ.

Offenbar waren Ian und Dalton jahrelang die besten Freunde gewesen, bis Dalton die Firma für sich allein wollte und Ians Entwürfe an sich brachte. In seinem Brief hatte Darcis Vater mit einem Gerichtsprozess gedroht. Dabei ging es natürlich um Geld, aber noch viel mehr um Ians Anerkennung als genialer Erfinder. Denn Dalton hatte mit der gestohlenen Konstruktion mehrere Preise gewonnen. Mit dem Ruhm kam das Geld, und schließlich hatte Dalton die erfolgreiche Firma Colborn Aerospace gegründet. Ian hingegen lebte hinfort das Leben eines Gescheiterten, eines Versagers. Seine Ehe ging in die Brüche, das Geld wurde knapp und er immer schwermütiger.

In dem Brief stand, dass es unwiderlegbare Beweise für Ians Behauptungen gebe. Ian schrieb, dass seine originalen, von ihm unterzeichneten Konstruktionspläne an einem Ort versteckt seien, wo nur er sie finden könne, und zwar irgendwo in der Firma. Ursprünglich hatte Ian gerichtlich gegen Dalton vorgehen wollen, um die Pläne zurückzuerhalten und Dalton zu einem Geständnis zu zwingen.

Doch im Endeffekt hatte Ian den Brief niemals abgeschickt. Über die Gründe konnte Darci nur spekulieren. Vielleicht hatte er Dalton keinen unabsichtlichen Hinweis geben wollen; vielleicht hatte er Angst bekommen, dass sein Erzfeind die Pläne letztendlich doch finden und die Beweise zerstören könnte. Hätte er nicht lieber einen Anwalt zurate ziehen sollen? Oder hatte er es vielleicht sogar getan?

Darci atmete tief durch. Einige der offenen Fragen würden sich vielleicht nie mehr klären lassen.

Nachdenklich musterte sie die Fassade des beeindruckenden Gebäudes. Steckten hier – irgendwo verborgen – die Beweise? Gab es hier vielleicht irgendwo einen Lagerraum voller verstaubter Akten, unter denen sich auch der Beleg dafür befand, dass ihr Vater ein brillanter Ingenieur gewesen war? Und falls ja – wie sollte sie an die Unterlagen kommen?

Ständig betraten und verließen Menschen das Gebäude. Allein, zu zweit, in Grüppchen. Einige waren ganz offensichtlich Firmenangestellte, andere wahrscheinlich Kunden und Geschäftspartner.

In die Lobby des Gebäudes würde sie ohne Schwierigkeiten kommen. Viel weiter jedoch sicher nicht; dafür würde zweifelsfrei das Wachpersonal sorgen. Vielleicht sollte sie sich einfach zum Empfang begeben und einen Termin mit dem jetzigen Firmenchef Shane Colborn verlangen. Vielleicht sollte sie sich einfach vor ihn hinstellen und Einsicht in die alten Akten verlangen.

Das wäre sehr direkt – und wahrscheinlich auch dumm. Shane Colborn war vermutlich ebenso selbstsüchtig und geldgierig wie sein Vater. Wenn er erfuhr, dass es Beweise für die Unredlichkeit seiner Familie gab, würde er Darci bestimmt nicht freiwillig danach suchen lassen. Eher würde er selbst nach den Beweisen suchen – um sie dann zu vernichten.

Vielleicht sollte ich einfach alles auf sich beruhen lassen, dachte Darci. Vielleicht sollte ich den uralten Brief einfach vergessen und mein Leben weiterleben wie bisher. Ich könnte einfach zurück ins Loft fahren und weiter Umzugskartons auspacken.

Es war Freitag. Sie und Jennifer wollten an diesem Abend in den Woodrow Club. Sie würden sich mit ein paar alten Freundinnen treffen, etwas trinken, vielleicht sogar ein paar nette Typen kennenlernen. Wer konnte das schon wissen? Wenn das Schicksal es so wollte, würde sie vielleicht sogar ihrem Traummann begegnen.

Allerdings war sie weit davon entfernt, Torschlusspanik zu bekommen. Sicher, eines Tages wollte sie heiraten und Kinder haben. Wie die meisten ihrer Freundinnen auch. Aber sie hatte es damit nicht eilig.

Die Webdesignfirma, die Jennifer und sie gegründet hatten, lief gut. Als kleine Belohnung für ihre Erfolge hatten sie für den Juli einen New-York-Aufenthalt geplant. Sie hatten bereits Zimmer in einem Hotel am Times Square gebucht und Karten für mehrere Musicals und Theateraufführungen vorbestellt. Das würde ein Spaß werden!

Doch der Gedanke an den Brief und die versteckten Pläne ließ sie nicht los. Nein, sie würde sich irgendwie in das Gebäude einschleichen müssen. Vielleicht als Mitarbeiterin eines Reparaturdienstes? Sie konnte sich eine Uniform und einen Werkzeugkasten leihen und vorgeben, von der Telefongesellschaft oder den Elektrizitätswerken zu kommen.

Allerdings hatte sie in dieser Richtung kein Fachwissen. Die Gefahr war groß, dass sie schon nach den ersten Sätzen aufflog.

Oder sollte sie so tun, als käme sie vom Pizzaservice?

Sie sah, wie eine junge Frau die Stufen zum Haupteingang emporschritt. Plötzlich blieb sie stehen und strich sich nervös den Rock glatt. Innerlich schien sie sich einen Ruck zu geben und betrat dann das Gebäude. Sicher bewirbt sie sich für einen Job, dachte Darci.

Das war es! Das war die Idee!

Sie würde sich für einen Job bei Colborn Aerospace bewerben! Als Angestellte hätte sie sicher überall Zugang. Obendrein konnte sie die Kollegen ausfragen. So würde es ihr am ehesten gelingen, an die Entwürfe ihres Vaters zu kommen.

Der Plan war einfach brillant! Jetzt musste sie nur noch einen Job bei ihren Feinden an Land ziehen …

2. KAPITEL

Normalerweise besaß Darci viel zu viel Anstand, um uneingeladen auf einer Party aufzutauchen. Noch dazu auf einer, bei der sich die High Society von Chicago traf – und die von ihrem neuen Arbeitgeber Shane Colborn in seiner Familienvilla veranstaltet wurde! Aber ihr Vorhaben diente einem höheren Zweck. Sie war gewissermaßen in geheimer Mission unterwegs …

Extra für diesen Anlass hatte sie sich ein sündteures Abendkleid ausgeliehen und ein halbes Vermögen beim Friseur ausgegeben. Dafür sah sie jetzt allerdings auch wirklich großartig aus, fand sie. Niemand würde daran zweifeln, dass sie zu den Reichen und Schönen Chicagos gehörte.

Jetzt musste sie nur noch durch die Eingangstür kommen!

Wie bei derartigen feierlichen Anlässen üblich, überprüfte ein Butler am Eingang die Einladungen. Noch hatte Darci die Zufahrt zur Villa nicht betreten, sondern stand in der Nähe des Parkplatzes.

Plötzlich ging ein älteres Ehepaar an ihr vorbei. Die Frau trug ein taubenblaues Kleid mit einer auffälligen Diamantbrosche. Kurz entschlossen schloss Darci sich dem Paar an und ging neben den beiden her.

„Was für eine wunderhübsche Brosche“, sagte sie bewundernd.

Die Frau lächelte sie freundlich an. „Ja, nicht wahr? Freut mich, dass sie Ihnen gefällt. Sie ist von Cartier.“

„Man sieht gleich, was für ein edles Stück es ist“, lobte Darci. „Oh, Sie haben da eine kleine Falte. Darf ich sie Ihnen kurz wegstreichen?“

Inzwischen hatten sie den Eingang erreicht. „Dürfte ich bitte Ihre Einladungen sehen, meine Herrschaften?“, fragte der Butler formvollendet.

Das Herz schlug Darci bis zum Hals, als der ältere Herr dem Butler seine Einladung überreichte.

„Wie schön, dass Sie uns heute Abend die Ehre erweisen“, sagte der Butler höflich.

„Dann hinein ins Vergnügen“, kommentierte Darci. Selbstbewusst ging sie neben ihren neuen Freunden her und schenkte dem Butler ihr bezauberndstes Lächeln. Der jedoch war schon mit den nächsten Gästen beschäftigt.

Frechheit siegt, dachte Darci triumphierend. Aber das Herz schlug ihr immer noch bis zum Hals, als sie mit dem Ehepaar das riesige Foyer betrat.

„Ich wünsche Ihnen beiden noch einen schönen Abend“, sagte sie zu den Eheleuten.

„Wir Ihnen auch“, gab die ältere Dame zurück. „Vielleicht sieht man sich später noch.“

Unauffällig mischte sich Darci unter die anderen Gäste.

„Champagner, Madam?“, fragte ein Butler sie.

„Oh ja, gern, danke.“ Darci nahm ein Glas vom Tablett.

Eigentlich wollte sie keinen Alkohol trinken, aber mit einem Champagnerglas in der Hand wirkte sie noch mehr wie ein ganz normaler Gast.

Zu Beginn der Woche hatte sie ihren Job im Archiv von Colborn Aerospace angetreten. Es war mehr oder weniger eine Hilfstätigkeit, für die keine Erfahrung erforderlich war, und schlecht bezahlt noch dazu.

Aber für sie war es perfekt. Sie hatte Zugang zu sämtlichen Kellerräumen mit Bergen von alten Papieren. Allerdings hatte sie schon an ihrem zweiten Arbeitstag erfahren, dass die ältesten Akten in den Keller der Colborn-Familienvilla ausgelagert waren. Deshalb hatte sie sich, als sie von der Wohltätigkeitsveranstaltung in dem Gebäude gehört hatte, selbst „eingeladen“.

Sie nippte an ihrem Champagnerglas und blickte sich unauffällig um. Wenn der Abend etwas fortgeschritten war, würde sie hoffentlich die Gelegenheit haben, heimlich …

„Guten Abend.“ Ein Mann um die dreißig in einem eleganten Anzug trat auf sie zu.

„Guten Abend“, gab Darci zurück und lächelte ihn freundlich an.

Er reichte ihr die Hand. „Ich bin Lawrence Tucker von Tucker Transportation.“

„Angenehm. Mein Name ist Darci. Darci …“ Ich sollte lieber nicht meinen echten Nachnamen benutzen, schoss es ihr da durch den Kopf. „… Lake.“

„Schön, Sie kennenzulernen, Darci Lake. Sie gehören also auch zu den Unterstützern der Bergwacht?“

„Selbstverständlich. Ist doch eine wichtige Sache. Und Sie?“

Sein Händedruck war fest, sein Blick offen und ehrlich.

„Wenn es um einen guten Zweck geht, lässt Tucker Transportation sich nicht lumpen. Wir haben für die Wohltätigkeitsauktion einen Gutschein für den Transport von zwanzig Containern gespendet, an jedes gewünschte Ziel in Europa.“

„Ach, Sie machen Transporte nach Europa?“ Darci wollte sicherheitshalber nicht über sich selbst reden, deshalb heuchelte sie Interesse am internationalen Transportwesen.

„Wir transportieren Güter jeder Art in die ganze Welt. Europa, Afrika, Asien …“

„Dann ist das eine ziemlich große Firma?“

„Jetzt erzählen Sie mir nicht, dass Sie noch nie von Tucker Transportation gehört haben.“

„Doch, natürlich ist mir der Firmenname ein Begriff“, schwindelte sie. „Aber ich weiß nichts Näheres.“

„Wir sind der drittgrößte Spediteur des Landes.“

„Wirklich beeindruckend.“ Sie nahm einen kleinen Schluck Champagner.

„Ah, da bist du ja, Tuck.“ Eine hochgewachsene, überaus attraktive Blondine hakte sich besitzergreifend bei Lawrence Tucker ein.

„Hallo, Petra!“ Er gab ihr einen flüchtigen Kuss auf die Wange.

„Ich hoffe, du hast nicht vergessen, dass wir nachher noch gemeinsam die Weinkellertour machen wollten.“

„Wie könnte ich das vergessen, Petra?“ Die Frau warf Darci einen prüfenden Blick zu.

„Das ist Darci Lake“, stellte Tuck vor.

„Schön, Sie kennenzulernen“, sagte Petra. Dabei blieb sie eng an Tuck geschmiegt.

Sie war wesentlich größer als Darci und trug obendrein noch hochhackige Schuhe. Darci schätzte sie auf Ende zwanzig. Sie war perfekt gestylt, und ihr Abendkleid wirkte um einiges teurer als das von Darci. Obendrein hatte sie es sicherlich gekauft und nicht nur geliehen.

„Vielen Dank für das nette Gespräch“, sagte Darci zu Tuck und machte Anzeichen, sich zu entfernen. Auf keinen Fall wollte sie sich zwischen ihn und diese Petra drängen. „Vielleicht sieht man sich später noch.“

Der Abend war zwar noch nicht sehr weit fortgeschritten, aber alle Gäste schienen sich bereits prächtig zu amüsieren. Niemand achtete auf Darci. Daher beschloss sie, ihre Erkundungstour zu beginnen. Schließlich war sie nicht zum Vergnügen hier!

Schnell fand sie die Treppe, die ins Kellergeschoss führte, wo sie in irgendeinem der zahlreichen Räume die alten Unterlagen vermutete. Hier im Kellergang war vom Luxus des Erdgeschosses nicht viel zu sehen. Die Wände waren weiß getüncht, an der Decke flackerten Neonlampen.

Schließlich kam sie zu einer breiten Tür, die wie der Eingang zu einem größeren Lagerraum wirkte. Natürlich war sie verschlossen – leider. Trotzdem drehte Darci noch mehrfach den Türknauf, in der Hoffnung, das alte Konstrukt könnte nachgeben.

„Kann ich Ihnen helfen?“, ertönte da plötzlich eine barsche Stimme hinter ihr.

Darci zuckte zusammen. Das Gesicht des Neuankömmlings lag im Schatten, aber es bestand kein Zweifel, dass es sich um den Hausherrn handeln musste. „Oh, Mr. Colborn.“

Er trat näher auf sie zu und musterte sie misstrauisch. „Haben Sie sich vielleicht verlaufen?“

Ihr Gehirn lief auf Hochtouren. „Ich, äh, hatte etwas von einer Führung durch den Weinkeller gehört …“

„Ach, tatsächlich?“, fragte er skeptisch.

„Ja, Petra hat so etwas erwähnt. Petra und Tuck. Ich habe vorhin ein Gläschen Sekt mit ihnen getrunken, und …“

„Sie kennen Tuck?“

Darci nickte energisch. Ja, natürlich kannte sie Tuck! Zwar erst seit ein paar Minuten, aber das brauchte sie Shane Colborn ja nicht auf die Nase zu binden.

Diese Auskunft schien Shane zu beruhigen. „Mir ist er heute Abend noch gar nicht über den Weg gelaufen.“

„Dafür hat Petra ihn sofort ausfindig gemacht. Sie scheint mir ein bisschen besitzergreifend zu sein, was ihn angeht.“

Shane lachte auf. „Das haben Sie sehr gut erkannt. Sie ist in ihn verknallt, seit wir alle noch Teenager waren.“

Er reichte Darci die Hand. „Ich bin Shane Colborn, der Gastgeber dieser Wohltätigkeitsveranstaltung. Aber das scheinen Sie ja schon zu wissen.“

„Natürlich, wer kennt Sie nicht? Und ich bin Darci Lake. Ihre Villa ist wirklich beeindruckend.“

„Wobei der Keller Sie ja besonders zu faszinieren scheint.“

Darci lachte nervös. „Wie gesagt, ich dachte, der Weinkeller …“

„Ach ja, richtig. Die offizielle Führung findet erst später statt, und ich kann Ihnen versichern, es gibt ein paar wirklich edle Tropfen zu kosten. Aber wenn Sie möchten, gebe ich Ihnen schon einen kleinen Vorgeschmack.“

„Es wäre mir eine Ehre.“ Sie hakte sich bei ihm ein. Sein Arm war kräftig und muskulös.

„Mögen Sie europäische oder amerikanische Weine lieber?“

„Äh, eigentlich amerikanische, glaube ich.“ Sie trank zwar gern mal ein Gläschen, hatte aber im Grunde keine Ahnung und konnte gerade mal Rot- von Weißwein unterscheiden.

„Also sind Sie kein Snob.“

„Weder Snob noch Experte.“

Er lachte. „Finde ich gut so. Ihre Ehrlichkeit ist erfrischend. Ich kenne mich ganz gut aus, aber glauben Sie mir, selbst die größten Experten haben sich schon von einem Billigwein hinters Licht führen lassen.“

Verstohlen musterte sie ihn, während sie sich durch die Gänge bewegten. Er sah erstaunlich gut aus, besser noch als auf den Fotos, die sie von ihm kannte. Einige Klatschblätter nannten ihn den begehrenswertesten Junggesellen von ganz Chicago. Mit Sicherheit träumten unzählige Frauen davon, in seinen starken Armen zu liegen!

Doch Darci wusste, sie durfte ihr Ziel nicht aus den Augen verlieren. „Der Keller ist so groß, was lagern Sie denn hier so alles?“, fragte sie so unverfänglich wie möglich.

„Mich interessiert hier eigentlich nur der Weinkeller. Der ganze Rest ist mir herzlich egal.“

„Das kaufe ich Ihnen nicht ab.“ Um nicht sein Misstrauen zu wecken, schlug sie einen scherzhaften Ton an. „Sie als Besitzer dieses Hauses müssen doch wissen, was …“

„Ich habe das Ganze ja nur geerbt“, unterbrach er sie. „Das meiste, was hier gelagert ist, stammt von meinen Eltern. Kistenweise Zeug. Wahrscheinlich alte Gemälde, Geschirr und so weiter.“ Er lächelte sie an. „Aber hier sind nirgends Leichen versteckt, wenn Sie das meinen.“

„Man weiß ja nie“, erwiderte sie und zwang sich zu einem Lächeln. Vielleicht hatte er doch eine Leiche im Keller – wenn auch nur im übertragenen Sinne! „Auf jeden Fall sind wir hier unten ganz allein. Ich hoffe, man kann Ihnen trauen, Mr. Colborn.“

„Mir? Auf keinen Fall!“, erwiderte er lachend. „So, hier ist übrigens der sagenumwobene Weinkeller.“

Er zog einen großen alten Schlüssel aus der Tasche und öffnete die schwere Holztür. „Der Weinkeller wird immer verschlossen gehalten“, erklärte er. „Das Personal des Anwesens wechselt manchmal, und man weiß ja nie, wem man trauen kann. Etliche Flaschen hier unten sind nämlich ein kleines Vermögen wert. Oder sogar ein großes. Weine waren nun mal ein Hobby meines Vaters …“

Der riesige Raum war kühl; an der linken und der rechten Wand befanden sich Weinregale, so weit man schauen konnte. In der Mitte des vorderen Bereichs stand ein großer Tisch mit mindestens zwanzig Weingläsern, darum herum waren Stühle platziert.

„Das ist wirklich beeindruckend“, sagte Darci bewundernd.

„Freut mich, dass es Ihnen gefällt. Die Tradition in diesem Gemäuer erweckt sogar in mir manchmal noch Ehrfurcht. Aber jetzt zu unserer privaten Weinprobe. Ich würde folgende Reihenfolge vorschlagen: Pinot noir, Merlot, Cabernet Sauvignon, Shiraz.“

„Vier Weine? Wollen Sie mich betrunken machen?“

„Gnädigste, es handelt sich um eine Weinprobe“, belehrte er sie lächelnd. „Mit Betonung auf Probe. Wir probieren, wir leeren doch nicht die ganze Flasche.“

Verlegen blickte sie zur Seite. „Natürlich. Wie dumm von mir.“

„Kein Problem. Wie gesagt, ich finde Ihre Ehrlichkeit erfrischend.“

„Vielleicht sollten wir mit der Weinprobe doch warten, bis die anderen dazustoßen …?“

„Ich finde es hier allein mit Ihnen eigentlich ganz gemütlich“, erwiderte er.

„Ich … ich auch“, gab sie zu.

Oje, das konnte gefährlich werden!

Verstohlen musterte sie ihn, während er die Flaschen aus den Regalen zusammensuchte. Sie hatte irgendwo gelesen, dass er fast einen Meter neunzig groß war, und er besaß eine absolut durchtrainierte Figur. Seinen Designeranzug trug er mit Würde, aber auch einer gewissen Lässigkeit.

Eigentlich sollte sie sich davon nicht beeindrucken lassen, sie hatte schließlich andere Ziele. Aber es ließ sich nun mal nicht leugnen: Shane Colborn war verdammt sexy! Kein Wunder, dass es so vielen Frauen schwerfiel, ihm zu widerstehen …

Verstohlen blickte Shane auf die Uhr. Es war fast zehn Uhr abends, und er hätte sich schon längst wieder um seine anderen Gäste kümmern müssen. Trotzdem saß er immer noch mit Darci im Weinkeller und verkostete mittlerweile das vierte exquisite Tröpfchen. Bei jeder seiner Wohltätigkeitsveranstaltungen lernte er neue Menschen kennen, aber noch keine Frau hatte ihn so fasziniert wie diese Darci Lake. Sie war so ehrlich, so ungekünstelt, kein bisschen eingebildet!

Und sie sah verflixt gut aus. Schlank, geschätzt knapp einen Meter siebzig groß, mit vollen, aber nicht zu großen Brüsten. Kastanienbraunes Haar umrahmte ihr Gesicht. Ihre Lippen waren voll und sinnlich. Er konnte kaum den Blick von ihr lassen.

„Ich finde, dieser Wein ist der beste“, sagte sie. „War das der Cabernet Sauvignon? Ich komme schon ganz durcheinander.“ Hatte sie bereits einen kleinen Schwips?

„Ja, das war der Cabernet“, bestätigte er. „Glückwunsch, Sie haben genau denselben Geschmack wie ich.“

Insgeheim war er froh, dass er Justins Rat befolgt und kein Date mit zur Veranstaltung gebracht hatte. Wenn er seine Karten richtig ausspielte, würde er bei seiner neuen Bekanntschaft vielleicht heute noch zum Zuge kommen. Sie gefiel ihm wirklich sehr …

Er wusste, beim Tanzen kam man sich am besten näher. Also sagte er kurz entschlossen: „Lassen Sie uns hochgehen.“

„Hoch?“, fragte sie verwirrt.

„Ja, nach oben, zu den anderen. Sicher wird oben schon getanzt. Sie würden doch mit mir tanzen?“

„Mit Ihnen …?“

„Ja, natürlich mit mir. Warum denn nicht?“

Sie suchte nach Worten. „Aber Sie haben doch noch so viele andere Gäste, um die Sie sich kümmern müssen. Und was ist überhaupt mit der öffentlichen Führung durch den Weinkeller und der Weinprobe?“

Er ergriff ihre Hand. „Ach, um die Weingeschichte kann sich auch meine Cousine Maddie kümmern. Ich habe fürs Erste genug Promille im Blut.“

Sie verließen den Weinkeller. „Wollen Sie gar nicht abschließen?“, fragte Darci.

„Nicht nötig. Mein Sommelier kommt sowieso in ein paar Minuten.“

„Sie haben einen eigenen Sommelier?“

„Jeder sollte seinen eigenen Sommelier haben.“

Sie musterte ihn skeptisch, und ihm wurde bewusst, dass er wie ein Snob geklungen hatte.

„Tut mir leid“, murmelte er und blickte betreten zu Boden.

„Es gibt nichts, was Ihnen leidtun müsste.“

„Doch, das hat jetzt ungeheuer eingebildet geklungen. Aber ich versichere Ihnen, ich bin kein verzogenes Luxussöhnchen. Ich habe eigentlich einen ganz normalen Lebensstil.“

Urplötzlich wirkte sie distanziert. „Ihre Familie ist schwerreich, so ist das nun mal.“

„Ja, aber ich behandle niemandem herablassend und bin normalerweise auch kein Angeber.“

„Sie sind mir keine Erklärung schuldig.“

„Ich habe Sie verärgert, das spüre ich.“

Sie wich seinem Blick aus. „Schon okay.“

Doch etwas war anders, dafür hatte er eine feine Antenne.

„Ich hoffe, Sie schenken mir trotzdem einen Tanz?“

Sie presste die Lippen aufeinander.

„Sie tanzen doch mit mir? Bitte!“

Plötzlich hallten von ferne Stimmen durch die Kellerräume. Der Sommelier mit seinen Gehilfen kam.

„Na schön“, sagte sie zu Shane. „Einen Tanz.“

„Guten Abend, Mr. Colborn“, begrüßte ihn der Sommelier Julien Duval.

„Guten Abend, Julien. Im Weinkeller ist noch etwas aufzuräumen.“

„Wird sofort erledigt, Sir. Leisten Sie uns gleich Gesellschaft …?“

„Diesmal nicht. Bitte fragen Sie Madeline, ob sie mich vertritt.“

„Selbstverständlich, Sir.“

„Danke, Julien.“

Als sie die Treppe nach oben nahmen, legte Shane vorsichtig den Arm um Darcis Hüfte. Sie ließ es sich gefallen.

Im Erdgeschoss spielte bereits die Musik, und viele Gäste tanzten. Immer wieder musste Shane bekannte Gesichter mit einem Nicken grüßen, doch er ließ sich nicht davon abhalten, Darci auf die Tanzfläche zu führen. Kaum hatten sie begonnen, sich im Takt der Musik zu bewegen, war der Song zu Ende.

„Dieser Tanz zählt nicht“, flüsterte er ihr ins Ohr.

„Ach, legen Sie die Regeln fest?“, neckte sie ihn.

„Mein Haus, meine Regeln“, erwiderte er lächelnd und sah ihr tief in die Augen.

Der nächste Tanz war ein langsamer Walzer. Darci konnte sich nichts vormachen, sie genoss Shanes Nähe.

„Sie haben also das Sagen bei Colborn Aerospace?“, fragte sie.

„Das könnte man so ausdrücken, ja.“

„Und, wie sind Sie so zu Ihren Angestellten? Sind Sie ein guter Boss?“

Er musste lächeln. „Wahrscheinlich würde jeder schlechte Chef von sich behaupten, ein guter Boss zu sein. Also müssten Sie wohl eher meine Angestellten fragen.“

Sie blickte sich auf der Tanzfläche um. „Sind denn welche von Ihren Angestellten hier?“

„Nur ein paar Herren aus der Führungsetage. Soll ich sie Ihnen vorstellen?“

„Nein“, sagte sie schnell.

„Sie möchten sie nicht über mich ausfragen?“

„Nicht nötig, ich bilde mir mein Urteil lieber selbst.“

Er konnte nur hoffen, dass es positiv ausfiel. Denn er begehrte diese Frau, er begehrte sie wirklich. Und auch er ließ sie offensichtlich nicht kalt. Beide bewegten sich in perfekter Harmonie, und sie schien seine Berührungen zu genießen.

Er beschloss, etwas mutiger zu werden. Ganz sanft berührten seine Lippen ihre Schläfe. Zärtlich flüsterte er ihr ins Ohr: „Ich möchte, dass Sie heute bei mir bleiben.“

Schockiert fuhr sie zurück. Entsetzen lag in ihrem Blick.

Am liebsten hätte Shane sich für seine Dummheit selbst geohrfeigt.

3. KAPITEL

Shanes Worte hatten Darci aus ihrer verzückten Trance gerissen.

War sie denn verrückt geworden? Sie hatte sich beim Tanzen so eng an ihn geschmiegt – da war es doch kein Wunder, dass er auf falsche Gedanken gekommen war!

Verlegen blickte er zu Boden. „Bitte entschuldigen Sie. Das hat jetzt anders geklungen, als es gemeint war.“

Oh, sie war sich ziemlich sicher, dass es genau so gemeint war, wie es geklungen hatte! Doch sie gab sich zumindest eine Mitschuld daran.

„Ich hatte gemeint, dass sie für den Rest der Party mit mir zusammen bleiben“, sagte er ernsthaft. „Dass Sie nicht schon vor Ende der Party gehen.“

Sie trat einen Schritt zurück. Du bist hier, um Shane Colborn auszuspionieren, sagte sie sich. Nicht, um mit ihm anzubändeln!

Obwohl es sicher auch seinen Reiz hätte, etwas mit ihm anzufangen …

Sie riss sich zusammen. Das war nur der Wein, der da aus ihr sprach!

Shane trat einen Schritt auf sie zu. „Bitte lassen Sie uns weitertanzen.“

„Ich wollte Ihnen keinen falschen Eindruck von mir vermitteln“, bekannte sie mit einer Spur von Schuldbewusstsein in der Stimme.

Er ergriff ihre Hand. „Unsinn. Das haben Sie auch nicht.“

„Ich meine, wir haben uns ja gerade erst kennengelernt. Und ich bin keine Frau, die … Sie verstehen schon …“

Er legte den Arm um sie, und sie ließ es geschehen.

„Das Ganze ist meine Schuld“, murmelte er.

Darci fand, dass es an der Zeit war, den Tanz zu beenden. „Danke, dass Sie mir Ihren Weinkeller gezeigt haben. Es war wirklich nett von Ihnen, sich so viel Zeit für mich zu nehmen.“

„Aber Sie sind mir nicht so dankbar, dass …?“

Dieser unerwartete Scherz löste die Spannung zwischen den beiden.

„So dankbar bin ich nie“, sagte sie.

„Freut mich zu hören.“

„Das glaube ich kaum.“

„Sagen wir so: Es freut mich, dass Sie sich anderen Männern gegenüber nicht so schnell dankbar erweisen.“

„Das scheint Sie ja sehr zu beschäftigen.“

„Tut es auch.“

„Ich darf Sie daran erinnern, dass wir uns erst vor zwei Stunden kennengelernt haben?“

Er schwieg einen Moment, während sie um ein anderes Paar herumtanzten. „Kommt mir länger vor.“

„Das heißt, ich langweile Sie?“

„Ganz im Gegenteil. Sie faszinieren mich.“

„Sind Sie immer so?“ Fragend sah Darci ihn an.

„Wie denn?“ Shane lächelte.

„So offen und freundlich gegenüber Menschen, die Sie gerade erst kennengelernt haben.“

„Sind Sie es?“

Diese Gegenfrage überraschte sie. Wenn sie darüber nachdachte, musste sie sich über sich selbst wundern, wie offen sie mit dem für sie fremden Mann umging.

„Nein, normalerweise bin ich nicht so“, gab sie zurück. „Deswegen dachte ich, es liegt an Ihnen.“

„Normalerweise bin ich sehr zurückhaltend.“

„Na klar doch“, erwiderte sie ironisch.

„Wirklich. Da können Sie fragen, wen Sie wollen.“

„Das werde ich auch tun.“

„Zum Beispiel Tuck.“

„Genau. Ich werde Tuck fragen.“

Das war natürlich geschwindelt. Sie rechnete nicht damit, Tuck überhaupt noch einmal wiederzusehen.

Die Musik wechselte, und die beiden tanzten einfach weiter.

„Äh, Sie sind doch nie mit Tuck ausgegangen, oder?“, wollte Shane plötzlich wissen.

Überrascht lachte sie auf. „Nein, bin ich nicht.“ War jetzt der Zeitpunkt gekommen, ihm zu gestehen, dass sie Tuck so gut wie gar nicht kannte?

„Das wäre mir nämlich etwas unangenehm“, meinte Shane. „Wir beide sind sehr gute Freunde.“

Darci wusste nicht, was sie darauf erwidern sollte.

„Und sich für die Ex eines sehr guten Freundes zu interessieren – das gehört sich irgendwie nicht. Ich meine, es steht nicht im Gesetzbuch, aber es gibt so gewisse ungeschriebene Anstandsregeln …“

„Jetzt mal langsam“, unterbrach Darci ihn. „Wie schon gesagt – Sie und ich haben uns gerade erst kennengelernt. Deuten Sie nicht zu viel in den Tanz hinein. Wir gehen ja nicht miteinander aus.“

„Sollten wir aber.“

Sie sah ihn mit großen Augen an. War das seine übliche Masche? Sie würde sich nicht darauf einlassen.

„Was machen Sie zum Beispiel am Freitag?“, bohrte er nach.

„Da arbeite ich.“

„Nach Feierabend, meinte ich natürlich.“

„Da arbeite ich auch. Ich bin nämlich selbstständig und habe momentan sehr viel zu tun.“

Ganz davon zu schweigen, dass sie in geheimer Mission in seiner Firma arbeitete und gegen seine Familie zu Felde zog. Er mochte ja gut aussehend und charmant sein, aber mit ihm auszugehen – das kam überhaupt nicht infrage!

„Wenn Sie selbstständig sind, können Sie sich doch selber freigegeben“, scherzte er.

„Ich habe Kunden und Termine.“ Ein Date mit diesem Mann – nein, never!

„Wir könnten essen gehen oder ins Theater. Oder am besten beides. Hört sich doch gut an, oder?“

„Verstehen Sie nicht, dass ich Nein sage?“

„Verstehen Sie nicht, dass ich nicht aufgebe?“

„Gut, dann jetzt noch mal klar und deutlich: Ich werde nicht mit Ihnen ausgehen, Shane.“

„Haben Sie einen Freund?“

„Nein“, antwortete sie wahrheitsgemäß – und hätte sich ein paar Sekunden später schon dafür ohrfeigen können. Ein fester Freund wäre der beste Vorwand gewesen, nicht mit Shane auszugehen.

„Wir könnten auch ein Jazzkonzert besuchen“, schlug Shane ungerührt vor. „Oder eine Hafenrundfahrt machen.“

„Schluss jetzt, Shane.“

„Oder unser nächstes Treffen findet wieder hier statt“, fuhr er fort. „Wir könnten auf der Veranda zu Abend essen, und den Wein könnten Sie sich selber aus dem Weinkeller aussuchen. Den kennen Sie jetzt ja schon.“

In diesem Moment hatte sie einen Geistesblitz. Wenn sie weiter nach den Konstruktionsplänen ihres Vaters suchen wollte, musste sie zurück in die Villa, in den Keller. Und das würde ihr nur gelingen, wenn sie Shane besser kennenlernte – so gefährlich das auch sein mochte.

Doch bevor sie etwas antworten konnte, ertönte eine männliche Stimme hinter ihnen. „Shane, warum belegst du Darci den ganzen Abend mit Beschlag?“

Unwillkürlich hielt Shane sie fester. „Hallo, Tuck.“

„Ich übernehme jetzt mal“, sagte Tuck.

„Tust du nicht.“

„Und ob.“

Prüfend musterte Shane seine Partnerin. „Darci, ich dachte, Sie hätten gesagt, dass Sie nie mit ihm ausgegangen sind.“

„Bin ich ja auch nicht“, beteuerte sie verlegen. Irgendwie entwickelte sich das Ganze in eine gefährliche Richtung …

„Jetzt stell dich nicht so an“, sagte Tuck zu Shane. „Petra ist mir auf den Fersen. Ich brauche unbedingt eine Tanzpartnerin.“

„Dann such dir eine andere.“

„Shane, Mann, was ist los mit dir?“

„Wenn du Interesse an Darci hast, hättest du ein bisschen früher kommen sollen.“

„Was meinst du? Wann denn?“

„Als du sie kennengelernt hast. Vor Monaten oder Jahren, was weiß ich.“

Darci fühlte sich unsagbar unwohl. Am liebsten wäre sie im Erdboden versunken. „Ich sollte vielleicht …“

Der Klang einer weiblichen Stimme rettete sie aus ihrer Verlegenheit. „Shane, könntest du mal kurz kommen?“

Shane wandte den Kopf.

„Deine Cousine braucht dich“, sagte Tuck und nutzte die Gelegenheit, Darci an sich zu ziehen. Sofort begann er mit ihr zu tanzen, während Shane sich Maddie zuwandte.

Darci ärgerte sich, dass sie Shanes Einladung in die Villa nicht sofort angenommen hatte. Jetzt war die Chance wahrscheinlich vertan …

„Der kleine Zwischenfall tut mir leid“, erklärte Tuck bedauernd. „Aber Petra hat mir ordentlich zugesetzt, und sie ist eine sehr entschlossene Frau.“

„Sie scheinen mir aber auch ein sehr entschlossener Mann zu sein.“

Tuck lachte auf. „Shane kam mir gerade eben auch sehr entschlossen vor. Übrigens, warum hat er gedacht, dass ich Sie schon länger kenne? Und dass ich Interesse an Ihnen haben könnte?“

„Das ist meine Schuld“, gestand Darci verlegen. „Ich hatte Sie vorhin kurz erwähnt, und das muss er irgendwie missverstanden haben. Ich hätte das natürlich sofort richtigstellen müssen.“

„Ach, lassen Sie nur. Ich finde das ganz lustig so. So kann ich ihm vielleicht heimzahlen, was er mir früher angetan hat. In unseren Jugendjahren.“

„Das müssen Sie mir näher erklären.“

„Wir waren beide reiche junge Männer mit schnellen Autos und kamen problemlos in die angesagtesten Nachtclubs. Aber er hat immer besser ausgesehen.“

„Jetzt stellen Sie Ihr Licht nicht so unter den Scheffel. Sie sind doch sehr attraktiv.“

Tuck wirkte ein wenig grobschlächtiger als Shane, sein Lächeln war etwas schief, und auf seinem Kinn prangte eine kleine Narbe. Dennoch war er mehr als ansehnlich.

Er lachte. „Vielen Dank, aber ich war nicht auf Komplimente aus. Um zu der Geschichte zurückzukommen: Jedes Mal, wenn ich ein Mädchen interessant fand, fing Shane an, mit ihr zu flirten.“

„Das gehört sich aber nicht.“

„Später hat er es dann auch gelassen. Außerdem ist mir im Laufe der Zeit klargeworden, dass er es gewissermaßen zu meinem Schutz getan hat. Er hat die Frauen auf die Probe gestellt – ob sie wirklich mich mochten oder ob sie sich auf jeden einließen, der viel Geld hatte.“

„Und, haben sich alle für Shane entschieden?“ Fast hatte sie Mitleid mit Tuck.

„Alle bis auf Roberta Wilson in der Highschool. Die ist überhaupt nicht auf ihn abgefahren.“

„Und …?“

„Oh, wir waren fast ein halbes Jahr zusammen.“ Er zuckte mit den Schultern. „Und dann war Schluss. Sie wechselte auf ein anderes College. Und obendrein war es ganz plötzlich mit unserem sorglosen Lebensstil vorbei, als Shane seine Eltern verloren hat.“

Stimmt ja, dachte Darci, Shane hat es im Leben auch nicht immer leicht gehabt.

Schweigend tanzten sie weiter.

„Shane scheint eine treue Seele zu sein“, nahm Darci das Gespräch wieder auf. „Jemand, der nichts auf die kommen lässt, die ihm nahestehen.“ Sie wollte herausfinden, wie weit er gehen würde, um die Ehre seines Vaters zu verteidigen.

„Ja, er ist ein treuer Freund“, bestätigte Tuck. „Aber jetzt erzählen Sie mir ein bisschen was über sich. Ich habe nämlich das dumpfe Gefühl, Shane wird mich hinterher über Sie aushorchen.“

Darci fühlte sich nicht wohl dabei, Tuck zu beschwindeln. Aber sie fühlte, es gab kein Zurück mehr …

„Was wollen Sie denn wissen?“

„Zum Beispiel, wo Sie herkommen und was Sie so treiben.“

„Ich bin in Chicago aufgewachsen und habe auf dem Columbia College Grafikdesign studiert. Jetzt betreibe ich eine Webdesignfirma.“

„Ein wachsender Markt“, kommentierte Tuck.

„Die Geschäfte laufen ganz gut.“ Für ihren Geschmack momentan fast zu gut. Tagsüber arbeitete sie undercover bei Colborn Aerospace, nachts versuchte sie ihrer eigentlichen Tätigkeit nachzugehen. Da bekam sie kaum Schlaf.

„Vielleicht sollte ich Sie auch engagieren, um meine Website auf Vordermann zu bringen.“

„Tut mir leid, ich habe jetzt schon eine Warteliste.“ Sie lehnte nur ungern einen neuen Auftrag ab, aber von Shanes Freunden wollte sie sich sicherheitshalber fernhalten. „Erzählen Sie mir lieber noch ein bisschen mehr über sich.“

„Na schön. Ich bin der zweite Sohn von Jamison Tucker, der wiederum der einzige Sohn von Randal Tucker war, dem Gründer von Tucker Transportation. Ich bin einer der Geschäftsführer unseres Familienunternehmens. Mein älterer Bruder Dixon soll die Firmenleitung übernehmen, sobald mein Vater sich zur Ruhe setzt.“

„Wurmt Sie das nicht?“

„Dass ich nur die Nummer zwei sein werde? Nein, kein Stück. So habe ich weniger Verantwortung und mehr Freizeit.“

„Sie tun so, als ob ein Stellvertreter keine Arbeit hätte.“

„Wenn man den Job richtig angeht …“

„Tanz beendet“, ertönte plötzlich Shanes barsche Stimme.

„Ich schätze, ich sollte mich diskret zurückziehen“, meinte Tuck und ließ sie los. „Vielen Dank für den Tanz, Darci.“

„Ich danke Ihnen“, erwiderte sie. Sie war ehrlich überrascht, dass Shane zu ihr zurückgekehrt war.

Besitzergreifend zog er sie in die Arme. Er war nicht mehr so lässig und locker wie zuvor, sondern wirkte angespannt.

„Ich hoffe, Sie hatten Spaß“, merkte er sarkastisch an.

„Es war okay.“

„Mögen Sie Tuck?“

„Er ist nett.“

„Nett?“

„Ja, nett.“ Plötzlich ging ihr auf, wie lächerlich die Situation war. „Jetzt hören Sie aber auf damit.“

„Womit?“

„Sie tun ja so, als ob ich Sie betrogen hätte, weil ich mit Tuck getanzt habe. Als ob Ihnen eine Frau gehören würde, die Sie gerade mal zwei Stunden kennen.“

„Inzwischen schon fast drei Stunden.“

„Wo Sie recht haben, haben Sie recht.“

Er schien sich etwas beruhigt zu haben, und ihr Tanz wurde wieder harmonischer.

„Also Freitagabend?“, fragte er plötzlich.

Sie beschloss, die Chance zu nutzen. „Auf der Veranda der Villa? Mit einer Flasche Wein aus Ihrem grandiosen Weinkeller?“

„Genau so.“

„Gut, machen wir. Wir haben ein Date.“

„Wir haben ein Date“, wiederholte er.

Zwar war ihr angst und bange bei diesem Gedanken, aber da musste sie jetzt durch …

„Ich kann’s kaum glauben“, sagte Jennifer, während sie ein Regal im neuen Loft einräumte. „Du hast also ein Date mit Shane Colborn.“

„Nein, ich tue nur so.“

„Aber das weiß er nicht, oder?“

„Natürlich nicht. Das ist doch der Sinn der Sache, wenn man so tut als ob.“ Darci öffnete einen weiteren Umzugskarton.

„Die ganze Sache gefällt mir nicht.“ Jennifer legte einen Bücherstapel beiseite und setzte sich auf einen Hocker. „Du begibt dich in Gefahr, Kleines. Willst du nicht lieber erst alle Akten im Colborn-Hauptgebäude durchforsten, bevor du in der Villa …?“

„Die Wahrscheinlichkeit ist gar nicht so gering, dass die Entwürfe in der Villa liegen“, unterbrach Darci ihre Freundin. „Ich muss also zweigleisig fahren.“

Natürlich war ihr bei der ganzen Angelegenheit nicht wohl. Immerhin war sie Grafikdesignerin und keine Privatdetektivin. Aber sie fühlte sich verpflichtet, ihrem Vater späte Gerechtigkeit widerfahren zu lassen.

„Ich habe solche Angst, dass sie dich erwischen, Darci.“

Darci machte eine wegwerfende Handbewegung. „Ich begehe ja kein wirklich großes Verbrechen“, betonte sie. „Ich will mir nur ein paar alte Unterlagen ausleihen. Und die gebe ich ja zurück, wenn ich den Nachweis erbracht habe, was mein Vater geleistet hat.“

„Aber wenn du diesen Nachweis erbracht hast, könnten dir Millionen und Abermillionen von Dollar zustehen.“

„Es geht mir nicht um Geld.“

„Dir nicht. Aber Shane Colborn. Was meinst du, wozu ein Mann wie er imstande ist, wenn es für ihn um so viel Kohle geht?“

Darci lachte auf. „Jetzt tu nicht so, als würde er mir einen Auftragskiller auf den Hals hetzen.“

„Auftragskiller sind schon aus geringeren Gründen angeheuert worden.“

„Ach, du guckst zu viele Krimis im Fernsehen. Mach dir keine Sorgen. Aber jetzt mal was ganz anderes: Kannst du beschwören, dass du heute nicht Ashton angerufen hast?“

Jennifer blickte verlegen zur Seite. „Ich habe nicht mit ihm telefoniert.“

Misstrauisch musterte Darci ihre Freundin. „Aber du hast es versucht …? Hast du versucht, ihn anzurufen?“

„Na schön, ich habe es versucht. Aber es war nur seine Mailbox dran.“

Darci stöhnte auf. „Ich hoffe, du hast ihm wenigstens keine Nachricht hinterlassen.“

„Nein, nein, habe ich nicht. Ich habe aufgelegt.“

Darci schüttelte den Kopf. „Jennifer, Jennifer. Was machen wir nur mit dir? Du musst diesen Kerl endlich vergessen. Lass die Finger von ihm.“

„Ich weiß ja, dass du recht hast“, gestand Jennifer ein. „Aber irgendwie ist er wie Kuchenteig – du weißt, dass du nicht von ihm naschen solltest, aber du kannst dich nicht beherrschen.“

„Jetzt hast du mich hungrig gemacht. Haben wir irgendwas Süßes da?“

„Irgendwo müsste ich noch eine Schachtel Kekse haben.“

„Dann her damit.“

Jennifer ging zum Vorratsschrank. „Erzähl mir von deinem geplanten Date.“

„Abendessen und Wein auf seiner Veranda. Mein Plan ist, mit ihm in den Weinkeller zu gehen und dann so zu tun, als ob ich ganz dringend aufs Klo müsste. Aber natürlich gehe ich nicht aufs Klo, sondern stöbere im Keller herum.“

„Und falls er dir folgt?“

„Dann tue ich so, als hätte ich mich verlaufen.“

„Hm, das könnte sogar klappen“, gab Jennifer zu.

Als sie mit den Keksen zurückkam, griff sie nach der Fernbedienung und schaltete den Fernseher an. Ein Moderator erschien auf dem Bildschirm.

„Und selbst wenn er misstrauisch wird“, sagte Darci, „wird er nie darauf kommen, was ich wirklich vorhabe.“

„Vielleicht hält er dich für eine Journalistin, die eine Enthüllungsstory über ihn schreiben will“, sagte Jennifer.

„Glaubst du?“ Auf diese Idee war Darci noch gar nicht gekommen.

„Du wärst bestimmt nicht die Erste, die so was versucht.“

„Was meinst du damit?“

„Schau nur“, forderte Jennifer sie auf.

Darci blickte auf den Bildschirm.

„Siehst du?“, fragte Jennifer. „Bianca Covington hat gerade ein Buch über Shane Colborn veröffentlicht.“

„Wer ist Bianca Covington?“

„Muss irgend so eine Promi-Tussi sein.“

Gebannt verfolgten die beiden Freundinnen die Sendung. Es war ein Klatschmagazin, das von dem stadtbekannten – und eher berüchtigten als beliebten – Reporter Berkley Nash moderiert wurde. Ihm gegenüber saß eine überaus attraktive Blondine, die ein Buch in die Kamera hielt. Der Titel war: „Shane Colborn – der Mann hinter der Maske.“

„So was kann passieren, wenn man reich ist“, kommentierte Jennifer.

„Ob da viel Gutes über ihn drinsteht?“, fragte Darci, während ein Porträtfoto von Shane eingeblendet wurde. Augenblicklich schlug ihr Herz schneller. Er sah einfach verboten gut aus!

Gleichzeitig spürte sie, wie Unsicherheit von ihr Besitz ergriff. Warum war er so wild auf ein Date mit ihr, wenn er doch jede Frau der Stadt haben konnte? Sicher, sie hatte ein teures Kleid getragen und war nett zurechtgemacht gewesen – aber sie war keine Bianca Covington. Wusste er vielleicht, was sie vorhatte, und wollte ihr eine Falle stellen?

„In Ihrem Buch erheben Sie schwere Anschuldigungen gegen Mr. Colborn“, sagte der Fernsehreporter gerade.

Bianca Covington lehnte sich zurück und lachte. „Ich glaube, viele Leser werden schockiert sein, wenn sie die dunkle Seite von Shane Colborn kennenlernen.“

Erstaunt blickte Jennifer ihre Freundin Darci an. „Die dunkle Seite?“

„Ach, die übertreibt doch. Sie will nur ihr Buch verkaufen.“

„Du besuchst ihn in seiner Villa.“

„Wird schon alles gut gehen.“

„Du ganz allein mit ihm …“

„Jetzt hör mal, er ist doch nicht Jack the Ripper!“

„Trotzdem. Du hast doch gerade gehört, er hat eine dunkle Seite.“

Im Fernsehen redete Bianca unterdessen weiter. „Der Mann ist rücksichtslos“, erklärte sie ernst. „Ein Narzisst, total egozentrisch. Er wurde mit einem goldenen Löffel im Mund geboren und schert sich einen Dreck um das Wohl anderer.“

Besonders nett hört sich das nicht an, dachte Darci. Vielleicht sollte sie sich noch schnell das Buch kaufen, bevor sie sich am Freitag mit Shane traf …

Auch in Daelan’s Bar and Grill, wo Shane sich mit Justin und Tuck aufhielt, war das Interview mit Bianca im Fernsehen gelaufen. Und obwohl die drei Männer in einer dunklen Ecke saßen, spürte Shane die forschenden Blicke der anderen Gäste.

„Na ja, diese Aussagen waren zu erwarten“, sagte Justin, als der Reporter zum nächsten Thema überleitete. „Und wenigstens sind wir noch im Rennen, was den Auftrag von Gobrecht Airlines angeht.“

„Diese Bianca ist ganz schön heiß“, kommentierte Tuck. „Sag mal, Shane, war sie es wert?“

„Absolut nicht“, antwortete Shane trocken.

Oh, zuerst hatte sie einen lockeren, lustigen Eindruck gemacht. Sie schien sich für alles zu begeistern, was auch ihn interessierte. Sogar zu den Baseballspielen seiner Lieblingsmannschaft hatte sie ihn begleitet. Erst später war ihm bewusst geworden, dass sie das Interesse nur geheuchelt hatte, um ihn einzuwickeln.

„Vielleicht sollte man sich doch irgendwie gegen sie wehren“, murmelte er. Was sie über sein Liebesleben behauptete, sollte ihm egal sein. Doch ihre Anschuldigungen gegen ihn als Geschäftsmann konnten seinem Unternehmen schweren Schaden zufügen.

„Wir dürfen kein Öl ins Feuer gießen“, ermahnte ihn Justin.

„Und wenn wir sie vor Gericht zerren? Wegen Verleumdung oder übler Nachrede oder …“

„Dann müsste man ihr das Gegenteil beweisen können.“

„Vielleicht kann ich helfen“, schaltete Tuck sich ein. „Ich könnte mich an sie heranmachen, mit ihr schlafen – und dann ebenfalls ein paar dicke, fette Lügen über sie verbreiten.“

„Sie weiß, dass du und ich Freunde sind“, erwiderte Shane. Niemals würde er diesem Plan zustimmen. Er wollte Bianca nur auf ihrem zerstörerischen Feldzug gegen ihn aufhalten und sich nicht an ihr rächen.

„Man könnte es immerhin versuchen“, beharrte Tuck.

„Man kann nicht mit der Ex seines Freundes schlafen“, sagte Justin.

„Man sollte es nicht tun“, korrigierte Tuck. „Aber sobald sie ihn betrogen hat, ist wieder alles möglich. Shane schert es nicht, wenn ich mit ihr schlafe. Oder, Shane?“

„Von mir aus könnte dieses verräterische Miststück es mit einer ganzen Footballmannschaft treiben, und es wäre mir egal.“

„Siehst du?“, sagte Tuck.

„Du bist unmoralisch“, warf Justin ihm vor.

„Bianca ist unmoralisch“, korrigierte Shane.

Tuck erhob das Glas. „Ich glaube, in dem Punkt sind wir uns alle einig.“

Die Männer stießen an und tranken.

„Wie ist eigentlich die Sache mit Darci weitergegangen?“, fragte Tuck.

„Du lässt die Finger von ihr“, warnte Shane ihn.

„Wer ist Darci?“, wollte Justin wissen.

„Die Anti-Bianca“, antwortete Shane. „Eine tolle Frau – und eher zurückhaltend. War ganz schön schwer, sie zu einem Date zu überreden.“

„Du sollst dich doch eine Zeit lang nicht mit Frauen treffen“, erinnerte Justin ihn.

„Mach dir keine Sorgen, es ist nur ein Abendessen in der Villa. Keine ungebetenen Beobachter, keine Kameras. Nur sie und ich.“

Er freute sich schon sehr auf das Treffen. Darci wirkte so frisch, so ehrlich und aufrichtig. Es sprach für sie, dass sie sich für ein bescheidenes Date in seiner Villa entschieden hatte, statt sich in ein teures Restaurant einladen zu lassen. Ja, nicht alle Frauen waren auf seinen Ruhm und seinen Reichtum fixiert. Manche wollten ihn einfach nur kennenlernen. Ihn als Menschen.

4. KAPITEL

„Haben Sie das Buch gelesen?“, fragte Shane, während er Darci Wein nachschenkte.

„Oh ja“, antwortete sie. Endlich war die Weinflasche leer, die bei ihrer Ankunft schon auf dem Tisch gestanden hatte. Das erhöhte ihre Chance, noch in den Weinkeller zu kommen …

„Sie hätten es nicht lesen sollen“, merkte Shane an.

„Weil es Ihnen nicht gerade schmeichelt?“

„Weil es in großen Teilen gelogen ist.“

„Und welche Teile meinen Sie da genau?“

„Es ginge schneller, Ihnen das aufzuzählen, was nicht gelogen ist.“

Ein leichter, warmer Wind ließ die Kerze flackern, die auf dem Tisch stand.

„Und das wäre?“

„Mein Name ist wirklich Shane Colborn, das kann ich beweisen. Möchten Sie meinen Ausweis sehen?“

Lächelnd schüttelte sie den Kopf.

„Die Marke meines Wagens hat sie auch noch richtig genannt, das Baujahr schon nicht mehr. Was die privaten Dinge angeht – kein Kommentar. Aber Sie können mir glauben, es sind sehr viele Lügen dabei. Viel schlimmer allerdings sind die Angriffe gegen meine Geschäftspraktiken. Dabei habe ich wirklich nie über geschäftliche Dinge mit ihr gesprochen. Sie hätte sowieso nur die Hälfte verstanden.“

„Wie kommen diese Dinge dann ins Buch?“

„Einiges hätte man dem Wirtschaftsteil der Zeitung entnehmen können, anderes ist schlicht erfunden. Vermutlich hat sie einen Wirtschaftsexperten angeheuert, der ihr diese Passagen schreibt, damit das Ganze glaubwürdiger klingt.“

Jetzt wurde es interessant! Das Herz schlug Darci bis zum Hals, aber sie versuchte ruhig zu bleiben. „Und dann gibt es im Buch diese Vorwürfe des geistigen Diebstahls …“

„Gelogen, von vorne bis hinten. Wie gesagt, für diese Passagen muss sie einen Ghostwriter gehabt haben.“

„Das wäre aber ein ziemlich großer Aufwand.“ Im Stillen fragte Darci sich, ob Shane genauso betrügerisch und verlogen war wie sein Vater. Als sie seinen verärgerten Blick sah, wurde ihr klar, dass sie es nicht zu weit treiben durfte. Schließlich spielte sie das unschuldige Date …

„Ich meinte nur, sie wirkt auf mich nicht wie der Typ Frau, der für ein Klatsch- oder Enthüllungsbuch die Hilfe eines Wirtschaftsexperten sucht.“

Shane nickte zustimmend. „Sehr scharf beobachtet. Mir ist auch schon die Idee gekommen, dass da jemand anders im Hintergrund die Fäden zieht. Auf den ersten Blick scheint es das Rachebuch einer enttäuschten Exfreundin zu sein. Aber vielleicht steckt jemand dahinter, der mit den Behauptungen im Buch meiner Firma schaden will. Colborn Aerospace steckt gerade in heiklen Vertragsverhandlungen. Ein Konkurrent könnte diese Verhandlungen torpedieren wollen.“

Solche miesen Praktiken scheinen ihm nicht fremd zu sein, dachte Darci. Vielleicht hat er sie selbst schon gegen unliebsame Konkurrenten angewandt …

„Sie sind ja plötzlich so still. Was denken Sie über die ganze Sache?“

„Vielleicht stimmen ja auch alle Behauptungen in dem Buch.“ Es sollte wie ein Scherz klingen.

„Um das herauszufinden, brauchen Sie ja nur mit mir ins Bett zu gehen.“

„Ich meinte nicht die Stellen über Ihr Sexleben, sondern …“ Erst jetzt registrierte sie, dass er einen Scherz gemacht hatte. Sie lachte auf. „Sie sind mir ja einer.“

Er lächelte stumm.

Beherzt griff sie nach ihrem Glas und trank den Wein aus; schließlich hatte sie für diesen Abend noch einen Plan. „Wollen wir uns noch eine Flasche holen?“

„Ich lasse uns noch eine bringen.“

„Ich würde lieber selbst runtergehen und schauen.“

Verwirrt blickte er sie an. „Aber das ist doch nicht nötig. Ich kann jederzeit …“

„Aber es hat mir letztes Mal solchen Spaß gemacht. Vielleicht kann ich dabei ja auch noch etwas mehr über Wein lernen.“

„Na schön, wenn Sie möchten …“ Er erhob sich, ging um den Tisch herum und zog ihren Stuhl zurück.

„Oh, sehr zuvorkommend“, lobte sie.

„Sehen Sie? Egal, was Bianca sagt – in Wirklichkeit bin ich doch ein toller Typ.“

Sie lachte. Gemeinsam gingen sie von der Veranda ins Haus und von dort aus hinunter in den Keller. „Ich bin immer wieder beeindruckt, wie groß die Villa ist“, sagte Darci.

„Für meinen Geschmack fast zu groß. Aber was soll ich machen, ich habe sie nun mal geerbt.“ Er seufzte, und es klang nicht gespielt. „Manchmal kann ein so großes Erbe auch ein Fluch sein.“

„Sie meinen, weil man nie weiß, ob es den Leuten um einen selbst geht – oder nur ums Geld?“

Er nickte. „Ja, ganz genau. Bianca zum Beispiel ging es immer nur ums Geld. Aber ich will eine Frau, die mich um meiner selbst willen liebt und für die mein Reichtum keine Rolle spielt.“

„Es könnte schwierig werden, eine Frau zu finden, die nichts von Ihrem vielen Geld weiß. Sie waren schon vorher berühmt – und sind es jetzt nach dem Buch noch viel mehr.“

„Glauben Sie, dass viele Menschen das Buch lesen werden?“, fragte er unsicher.

„Ich fürchte schon. Ich habe es in mehreren Buchhandlungen im Schaufenster gesehen.“

Er fluchte leise vor sich hin. Fast tat er ihr leid.

„Aber wahrscheinlich ist es nur in Chicago so“, versuchte sie ihn zu trösten.

„Sie meinen, in ganz Chicago?“, fragte er entgeistert.

Vermutlich nicht nur in Chicago, sondern im gesamten mittleren Westen, dachte sie, schwieg aber lieber.

„Irgendwie ist das ungerecht“, schimpfte Shane. „Dass eine Person mit unwahren Behauptungen den Ruf einer anderen zerstören kann und sich dagegen so wenig tun lässt.“

„Das ist wirklich ungerecht“, stimmte Darci zu. Sie fragte sich, ob Shane wusste, was sein Vater ihrem Vater angetan hatte. Gegen die Schandtaten der Colborns verblassten Biancas Verfehlungen.

Sie hatten die Tür zum Weinkeller erreicht. Shane bückte sich und schob ein Täfelchen der Holzverkleidung zurück. „Das Geheimversteck für den Schlüssel“, erklärte er verschwörerisch. „Jetzt kennen Sie das Geheimnis.“

„Ich fühle mich geschmeichelt, dass Sie mir so vertrauen“, sagte sie. In diesem Moment erdrückte ihr schlechtes Gewissen sie fast. Sie hatte sein Vertrauen nicht verdient …

Lächelnd schloss er die schwere Holztür auf und führte Darci durch den Weinkeller. Mit Kennermiene erklärte er ihr die Unterschiede verschiedener Weinsorten. Darci musste sich eingestehen, dass er sie nicht kaltließ. Er war nicht nur gebildet, weltgewandt und höflich, er sah auch noch fantastisch aus! Hätte sie nicht das dunkle Geheimnis hinter dem Reichtum seiner Familie gekannt, hätte sie sich nur zu gern auf ihn eingelassen. Aber sie hatte eine Mission zu erfüllen! Sie musste ihrem Vater zuliebe für späte Gerechtigkeit sorgen …

„Entschuldigung, gibt es hier unten auch eine Toilette?“, fragte sie.

„Ja, weiter vorne im Keller, gleich bei der Treppe. Soll ich Sie eben hinführen?“

„Danke, nicht nötig, das finde ich schon. Bis dann.“

„Bis gleich. Ich suche uns inzwischen einen schönen Wein aus.“

Als Darci außer Sichtweite war, begann sie mit ihrer Detektivarbeit. Zum Glück waren die einzelnen Kellertüren nicht verschlossen. Sie fand alte Möbel, einen Trainingsraum, eine Vorratskammer – aber nicht das Archiv alter Unterlagen, das sie suchte. Und schnell wurde ihr klar, dass der Keller viel zu groß war, als dass sie alle Räume innerhalb weniger Minuten hätte durchsuchen können. Das hieß: Sie musste noch öfter kommen. Und das wiederum hieß: Sie musste Shane dazu bringen, sie erneut zu sich einzuladen.

Also musste sie ihm weiterhin vorspielen, dass sie sich zu ihm hingezogen fühlte. Unter Umständen würde sie ihn sogar küssen müssen – und vielleicht sogar noch ein kleines bisschen weitergehen. Bei dem Gedanken bekam sie eine Gänsehaut. Vermutlich aus Abscheu – oder doch eher aus freudiger Erregung?

Eine Tür noch, dann muss ich zurück, dachte sie und streckte die Hand nach dem Türgriff aus.

Als das laute, aggressive Gebell ertönte, hätte Shane beinahe die teure Weinflasche fallen lassen, die er gerade in den Händen hielt.

„Gus, Boomer, aus!“, rief er, während er den Kellerflur entlanglief. Sofort erstarb das Gebell.

Er fand Darci vor, wie sie sich zitternd an die Kellerwand presste. Vor ihr saßen zwei hechelnde große schwarze Hunde.

„Sie tun Ihnen nichts“, versicherte er ihr. „Gus, Boomer, kommt her.“

Sofort trotteten die Vierbeiner ihm entgegen.

„Brav“, lobte er. „Und jetzt: Sitz, und bleibt, wo ihr seid.“

Schnellen Schrittes ging er auf Darci zu. „Wie sind die beiden denn …“ In diesem Moment bemerkte er, dass die Tür zum Garten offen stand. „Warum haben Sie die Hunde reingelassen?“

„Ich … ich …“, stammelte sie. Sie war leichenblass.

Instinktiv zog er sie in die Arme, um sie zu beruhigen. „Ist schon gut“, flüsterte er. „Keine Gefahr.“

„Ich muss die falsche Tür erwischt haben“, erklärte sie entschuldigend. „Kaum war sie offen, sind die beiden die Zugangstreppe runter- und hier reingestürmt.“

„Kein Wunder, es sind ja meine Wachhunde.“ Ein schönes Gefühl, Darci in den Armen zu halten! Er spürte, wie sie immer noch zitterte. „Aber solange Sie hier nichts stehlen, tun sie Ihnen nichts.“

„Ja, sicher haben Sie mich für einen Einbrecher gehalten. Sie kennen mich ja nicht.“

„Dann werde ich Sie den beiden jetzt vorstellen.“

„Nein“, rief sie verängstigt.

„Haben Sie Angst vor Hunden?“

„Vor großen Hunden schon. Und die beiden sind riesig!“

„Neufundländer sind sanftmütig und liebevoll. Das kann man überall nachlesen.“

„Hoffentlich haben die beiden das auch gelesen.“

Er musste lachen. „Gus und Boomer sind wirklich ganz brav. Wie geschaffen, um Sie von Ihrer Hundephobie zu kurieren. Wollen wir es versuchen?“

„Lieber nicht. Dafür sitzt die Angst zu tief. Schon seit meiner Kindheit.“

„Sind Sie mal gebissen worden?“

„Nein, aber ich hatte damals eine Heidenangst vor einer großen schwarzen Dogge.“ Sie hielt einen Moment inne. Solche Kindheitserlebnisse behielt sie normalerweise für sich, aber in Shanes Armen fühlte sie sich seltsam geborgen. „Sie wurde in einem eingezäunten Teil des Hinterhofs gehalten, in dem wir Kinder damals immer spielten. Ständig sprang sie kläffend gegen den Zaun. Den anderen Kindern schien das nichts auszumachen, aber ich hatte immer Angst, sie könnte ausbrechen und mich zerfleischen. Trotzdem habe ich die Zähne zusammengebissen und mit den anderen gespielt. Mit schlotternden Knien und ohne ihnen je was von meinen Ängsten zu verraten.“

„Das scheint wirklich tief zu sitzen“, murmelte er.

„Ja. Kann ich jetzt ein Glas Wein bekommen?“

„Nachdem Sie die Hunde gestreichelt und Ihre Angst überwunden haben.“

Entgeistert löste sie sich aus seiner Umarmung. Er spürte ihre Angst, und das Mitgefühl übermannte ihn fast.

„Nein“, sagte er schnell, „bitte entschuldigen Sie. Ich will Sie zu nichts drängen. Ich bin ja froh, dass Sie meine Einladung überhaupt angenommen haben. Ich bringe die Hunde wieder raus.“

„Jetzt haben Sie meinen Ehrgeiz geweckt“, erklärte sie leise. „Ich wäre bereit, es zu versuchen. Wenn Sie mir versprechen, dass nichts passieren kann. Dass Sie mich beschützen.“

„Ehrenwort“, sagte er. „Ich beschütze sie.“

Es beeindruckte ihn, dass sie bereit war, sich ihren Ängsten zu stellen. Eine ungeheure Willenskraft beherrschte diese zarte, zerbrechliche Person, diese wunderschöne Frau. Kaum ließ sich in Worte fassen, wie sehr er sich zu ihr hingezogen fühlte. Der Drang, ihr über das Haar zu streichen, sie zu küssen, wurde schier übermächtig. Eisern versuchte er dagegen anzukämpfen.

Eine Minute lang.

Dann umfasste er wie ferngesteuert ihr Gesicht mit beiden Händen, neigte den Kopf und küsste sie. Vorsichtig und zärtlich.

Sie erwiderte den Kuss. Zögernd, aber sie erwiderte ihn.

Als er sie fest in die Arme schloss, spürte er, wie ihre Lippen sich für ihn öffneten. Sofort intensivierte er den Kuss, und sie schlang seufzend die Arme um ihn.

Immer leidenschaftlicher küsste er sie, bis er sie nach einigen Sekunden wieder losließ. Er wusste, er durfte nichts überstürzen. Am vergangenen Wochenende hatte er sich um ein Haar jede Chance verbaut; das sollte ihm nicht noch einmal passieren.

Schwer atmend lächelte sie ihn an. Durch den Kuss war eine große Vertrautheit zwischen ihnen entstanden. „Jetzt bin ich bereit für die Hunde“, sagte sie. „Solange du mich beschützt …“

Eine Viertelstunde später saßen Shane und Darci in einem kleinen Zimmer im ersten Stock der Villa. Shane goss ihr Wein ein und füllte auch sein Glas. Dann erhob er es. „Auf deinen Mut.“

Sie erhob ebenfalls ihr Glas und nahm einen Schluck. „Danke. Du hattest recht, es war gar nicht so schlimm. Gus und Boomer sind wirklich ganz brav.“

„Schmeckt dir der Wein?“

„Wunderbar. Die perfekte Belohnung nach der Mutprobe. Noch ein paar Gläser davon, und ich lege mir eine Neufundländer-Zucht zu.“

Er lachte. „Wenn es nur so einfach wäre. Aber wir alle haben unsere Ängste, und meistens sitzen sie sehr tief.“

„Hast du etwa auch Ängste? So wirkst du gar nicht auf mich.“

Verlegen blickt er zu Boden. „Tja, so kann man sich täuschen.“

„Was ist es denn bei dir?“

„Na schön, ich verrate es dir. Bei mir … dreht es sich ums Geld.“

Das ergab für sie überhaupt keinen Sinn. „Erzähl mir nicht, dass du Angst vor Geld hast. Ausgerechnet du.“

Er setzte sein Glas ab. „Nicht vor Geld direkt natürlich. Aber vor dem, was es anrichten kann. Als ich ungefähr acht war, habe ich zufällig mit angehört, wie sich mein Vater mit jemandem über Entführungen und Lösegeldforderungen unterhielt …“

„Weil du als Kind schwerreicher Eltern gefährdet warst?“

Shane nickte. „Ja, genau. Und seitdem hatte ich diese Ängste. Gefesselt und geknebelt in den Kofferraum eines Autos geworfen zu werden …“

„Das kann ich nachvollziehen“, kommentierte sie mitfühlend.

„Wahrscheinlich konnte ich es mir so lebhaft vorstellen, weil ich mir zu viele Krimiserien angeschaut hatte.“

„Hast du das je jemandem erzählt?“

„Nein, noch nie. Nur dir jetzt.“

„Oh, vielen Dank. Aber ich finde, das sind ganz normale Befürchtungen, beileibe keine Phobie, die behandelt werden müsste.“

„Trotzdem hat es Einfluss auf mein Leben.“

„Aber du zuckst doch nicht vor jedem Auto zusammen, das neben dir hält.“

„Nein, aber ich lasse mich von modernster Sicherheitstechnik schützen.“

„Das würde ich an deiner Stelle auch.“

„Trotzdem. Großer Reichtum schürt Ängste, jedenfalls bei mir. Kaviar, teurer Wein, eine schöne Villa – das alles ist ja nur die eine Seite. Aber es gibt auch Nachteile. Wie zum Beispiel das Buch von Bianca.“

„Fürchtest du, dass Chicagos Damenwelt dich weniger attraktiv findet, weil du im Bett angeblich klassische Gedichte zitierst?“

Er runzelte die Stirn. „Nein, aber dass mein Unternehmen Multimillionen-Dollar-Aufträge verliert, weil in diesem Schandwerk steht, ich sei ein unseriöser Geschäftsmann.“

„Was dich aber wohl immer noch nicht an den Bettelstab bringen würde.“

Er ließ ihre Bemerkung unkommentiert. „Das Schlimmste am Reichtum ist, dass man nie weiß, wem man trauen kann.“

Einen Augenblick lang fühlte sie sich ertappt. Hatte er sie gemeint? Würde er ihr jetzt ihre Schnüffelei vorwerfen? Doch nichts dergleichen geschah. Er schwieg.

Schuldgefühle stiegen in ihr auf. Er hatte sie willkommen geheißen, ihr über ihre Ängste hinweggeholfen und ihr sogar seine eigenen offenbart. Und sie? Sie spielte ein falsches Spiel mit ihm.

Obendrein war die Bemerkung mit dem Bettelstab nicht besonders taktvoll gewesen. „Tut mir leid, was ich gesagt habe. Ich wollte mich nicht über dich lustig machen. Mir ist schon klar, dass auch reiche Leute ihre Probleme haben.“

Nachdenklich sah er sie an. „Schon gut. Ich möchte mich nicht mit dir streiten, Darci.“

„Ich möchte mich auch nicht mit dir streiten.“

Nein, lieber wollte sie ihn umarmen, ihn küssen. Seine Lippen auf ihrer Haut spüren und …

Oje, hatte sie das gerade eben wirklich gedacht? Das war nicht gut. Gar nicht gut!

„Schön, dass wir das geklärt haben“, sagte er glücklich.

„Hast du wirklich so ein Hightech-Sicherheitssystem?“, fragte sie. „Man sieht gar nichts davon, wenn man in der Villa ist.“

„Das ist ja der Sinn der Sache“, erklärte er. „Aber glaub mir, hier ist alles bestens geschützt. Versteckte Überwachungskameras, Bewegungsmelder, der ganze Klimbim. Alles zu überwachen und zu steuern von vier geheimen Kontrollanlagen.“

„Wow.“

„Ja, ich brauche vier Kontrollanlagen, weil die Villa so groß ist. Der Flur, die Küche, der Keller und mein Schlafzimmer – von überall aus kann ich das System steuern.“ Er setzte ein verschmitztes Lächeln auf. „Die Anlage in meinem Schlafzimmer kann ich dir ja mal vorführen.“

„Ich hoffe, das war ein Scherz.“

„Natürlich war das ein Scherz.“ Er lächelte vielsagend.

Manchmal wurde sie einfach nicht schlau aus ihm! Aber eines stand fest: Nie, nie, nie würde sie das Schlafzimmer dieses Mannes betreten! Was sie ihm andererseits natürlich nicht auf die Nase binden durfte …

„Aber was die Sicherheit angeht“, fuhr er scheinbar ungerührt fort, „verlasse ich mich nicht nur aufs interne System. Wir haben zusätzlich noch einen Wachdienst engagiert, der die Nachbarschaft kontrolliert. Obendrein gibt es die Hunde.“

„Und ich weiß aus eigener Erfahrung, wie wachsam die sind.“

„In meinem Penthouse in der Stadt habe ich natürlich auch eine Alarmanlage. Und in der Lobby des Hauses steht ein Wachmann.“

„Ich finde, das alles sind keine Anzeichen für unnatürliche Ängste. Wenn man reich ist, muss man eben gewisse Vorsichtsmaßnahmen treffen.“

„Gibt es bei dir zu Hause auch eine Alarmanlage?“

„Nein, wir haben keine.“

Erschrocken sah er sie an. „Wir?“

„Ich wohne mit jemand anderem zusammen, Shane.“

„Hoffentlich habt ihr nichts miteinander.“

„Nein, die andere Person steht nicht so darauf. Sie ist nämlich eine Frau und heißt Jennifer. Außerdem ist sie meine beste Freundin.“

„Sehr beruhigend“, sagte er aufatmend.

„Ich habe keinen Freund, Shane. Hatte ich dir das nicht schon letzte Woche gesagt?“

„Manchmal bin ich etwas misstrauisch, was Beziehungen angeht.“

„Das verstehe ich.“

Nervös blickte er zu Boden. „Es war schön, dich in den Armen zu halten.“

„Fand ich auch.“

„Würdest du … würdest du etwas näher kommen?“

„Oh, Shane, ich weiß nicht recht …“

„Ich kenne deine Einstellung, und ich respektiere sie. Wirklich. Ich will dich ganz bestimmt nicht zu etwas drängen. Ich würde nur gerne …“

Das tiefe Verlangen nach seinen Zärtlichkeiten überwältigte sie fast. Und obwohl sie sich der Gefahr bewusst war, war die Versuchung groß …

Seine Stimme war tief und verführerisch. „Wir ziehen uns nicht aus. Und die Hände bleiben oberhalb der Gürtellinie.“

„Meinst du, du schaffst es, dich an diese Regeln zu halten?“

„Klar. Wenn du es auch tust …?“

„Das kriege ich hin.“ Sie hatte keine Wahl.

Verführerisch lächelte er sie an. „Dann komm.“

Mit klopfendem Herzen erhob sie sich. Ihr Gehirn schrie Nein, doch jetzt schien ihr Körper das Kommando übernommen zu haben. Drei Schritte nur, und schon stand sie direkt vor ihm.

Die sexuelle Spannung zwischen ihnen war fast greifbar.

Shane zog Darci zu sich herunter, bis sie seitlich auf seinem Schoß zu sitzen kam. Zärtlich legte er den Arm um sie und drückte sie sanft gegen seinen Brustkorb.

Sie wusste, sie sollte sich jetzt nicht entspannen, sich nicht genussvoll an ihn schmiegen. Aber sie konnte nicht anders.

Nur ein paar Minuten, sagte sie sich. Sein Körper war muskulös und warm und strahlte eine ungeheure Anziehungskraft aus. Wie eine verbotene Frucht …

„Was wir hier tun, ist ein großer Fehler“, sagte sie mehr zu sich selbst als zu ihm.

„Nein“, widersprach er, „das ist das Klügste, was ich je getan habe.“ Ganz sanft küsste er sie auf die Schläfe.

Sie spürte, wie ihre Muskeln sich entspannten. Es war doch nur ein Kuss. Mit einem Kuss würde sie doch wohl noch umgehen können. Schließlich hatten sie sich geschworen, nicht weiter zu gehen.

Sie wandte den Kopf und gab ihm so die Möglichkeit, ihre vollen Lippen zu berühren.

Sofort reagierte er und küsste sie auf den Mund. Ein wohliger Schauer durchrieselte sie.

Schnell wurde der Kuss ungestümer, leidenschaftlicher. Sie drängte sich Shane entgegen, und er nahm sie fest in die Arme.

Langsam ließ sie die Hände über seinen Oberkörper gleiten. Durch sein Hemd hindurch spürte sie, wie muskulös er war, wie viel leidenschaftliche Hitze er ausstrahlte. Mit zitternden Fingern machte sie sich an seiner Krawatte zu schaffen.

Erregt flüsterte er ihren Namen, küsste ihren Hals, strich ihr sanft über die Schultern, den Rücken. Wohlige Erregung breitete sich in ihrem gesamten Körper aus.

Sie küsste seinen Hals, seine Ohrläppchen, seine Wangen, dann trafen sich ihre und seine Lippen wieder. Vor Lust wurde ihr ganz schwindlig, und sie vernahm ein Klingeln in den Ohren.

Plötzlich wurde ihr bewusst: Das Klingeln war real … und kam vom Telefon auf dem Tisch neben ihnen.

Leise fluchend ließ Shane von Darci ab und blickte aufs Display. Das Telefon klingelt erneut.

„Es ist Justin“, sagte er verärgert. „Der Leiter der Rechtsabteilung meiner Firma.“

„Ich glaube, du solltest lieber rangehen.“

Sie atmete schwer, und ihr Körper schmerzte geradezu vor unerfülltem Verlangen. Trotz ihrer vorherigen Absprache hätte sie nicht auf halbem Wege aufgehört.

Wieder fluchte er vor sich hin. Dann nahm er den Hörer ab.

„Hallo, Justin.“ Er klang erstaunlich unaufgeregt. Hätte sie nicht auf seinem Schoß gesessen und seine Erregung gespürt, hätte sie tatsächlich geglaubt, dass ihre Küsse ihn kaltgelassen hätten.

„Tatsächlich?“, fragte er ungläubig. „Verdammt!“

Darci wusste, sie musste jetzt gehen. Eigentlich hätte sie für die unerwartete Unterbrechung dankbar sein müssen. Denn sie konnte sich ungefähr ausrechnen, wie die Sache mit Shane geendet hätte …

„Paris?“, fragte Shane verärgert. Dann hörte er zu, was Justin am anderen Ende der Leitung sagte. „Ja, okay. Ist gut.“

Sie versuchte von seinem Schoß zu rutschen, aber er hielt sie fest.

„Bleib mal eben dran, Justin“, sagte er und schirmte den Hörer mit der Hand ab. „Bitte geh nicht weg“, flüsterte er Darci zu.

„Ich muss.“

„Nein, musst du nicht.“

„Shane, wir können das nicht tun.“

„Werden wir auch nicht.“

„Wir waren doch schon kurz davor.“

Mit zusammengebissenen Zähnen sah er sie an. Dann nahm er den Hörer wieder ans Ohr. „Tut mir leid, Justin, ich rufe dich gleich zurück. In zwei Minuten. Doch, so viel Zeit muss sein.“ Damit beendete er die Verbindung.

„Ich muss jetzt wirklich gehen“, beteuerte Darci und versuchte sich von ihm zu lösen.

Diesmal ließ er sie los.

Schnell erhob sie sich und strich sich das Kleid glatt. „Es tut mir so leid.“

„Du brauchst dich nicht schuldig zu fühlen.“

„Der teure Wein“, sagte sie und wies auf die Flasche. „Wir haben noch kaum …“

„Ach, vergiss den Wein.“

Sie wünschte, sie könnte ihm erklären, warum sie nicht mit ihm schlafen durfte. Sie wollte es doch selbst so gern. Aber das war eine Grenze, die sie nicht überschreiten wollte.

„Ich muss nach Frankreich fliegen“, sagte er unvermittelt.

„Jetzt sofort?“ Schlagartig wurde sie wieder daran erinnert, wer er war und was für ein Leben er führte.

„Gleich morgen früh. Wegen dieses blöden Enthüllungsbuchs. Eine deutsche Firma hat plötzlich von einem Großauftrag Abstand genommen, und eine Firma aus Frankreich hat jetzt auch Bedenken angemeldet. Es geht um irrsinnige Beträge. So leid es mir tut, ich muss …“

„Dir braucht überhaupt nichts leidzutun. Es ist schließlich dein Job.“

„Du musst unbedingt wiederkommen“, drängte er.

„Ich weiß nicht recht …“ Sie bekam ein beklommenes Gefühl in der Magengegend. Eigentlich musste sie ja weiter nach den Konstruktionszeichnungen ihres Vaters suchen, aber sie konnte und wollte nicht riskieren, dass sich so etwas wie heute Abend wiederholte.

„Nächsten Samstag“, schlug er vor. „Wir können uns ja auch tagsüber treffen, wenn dir das lieber ist, und mit den Hunden spazieren gehen.“

Was für ein Vorschlag! Wie verständnisvoll Shane doch war. Wahrscheinlich hielt er sie für entsetzlich altmodisch, prüde und verklemmt.

„Ich wünschte, ich könnte dir erklären, warum …“

„Du bist mir keine Erklärung schuldig.“ Er erhob sich. „Aber du würdest mich glücklich machen, wenn du meinen Vorschlag annimmst. Sag einfach Ja.“

Normalerweise hätte sie sein Angebot ausschlagen müssen, weil sie nicht wusste, ob sie in seiner Nähe stark bleiben und der Versuchung widerstehen konnte. Andererseits musste sie Ja sagen, sonst wäre alles, was sie schon auf sich genommen hatte, vergeblich gewesen.

„Also …?“, hakte er nach.

„In Ordnung“, antwortete sie. „Ich komme. Am Samstag.“

Einen Versuch würde sie noch wagen. Aber sie würde tunlichst darauf achten, dass sie niemals ganz allein mit ihm war. Nicht einmal für eine Minute.

5. KAPITEL

Als Darci gegen Mitternacht das Loft betrat, war ihr bewusst, dass es das Klügste wäre, sich sofort schlafen zu legen. Aber sie war noch so durcheinander, dass sie unbedingt mit jemandem reden musste.

Auf Zehenspitzen betrat sie Jennifers Schlafzimmer. „Bist du noch wach?“, flüsterte sie.

Jennifer fuhr hoch. „Was ist los?“

„Ich wollte nur wissen, ob du noch wach bist.“

„Jetzt schon“, gab Jennifer zurück und lehnte sich gegen das Kopfende ihres Bettes. „Wie ist es gelaufen?“

Darci setzte sich ans Fußende des Doppelbetts. „Nicht so gut. Ganz furchtbar, um ehrlich zu sein. Ich habe nichts gefunden. Und … na ja …“ Verlegen zupfte sie an der Bettdecke herum.

„Was denn?“, fragte Jennifer angespannt.

„Ich verstehe dich jetzt besser.“

„Was meinst du?“

„Na, die Sache mit Ashton. Vom Verstand her weiß man, was man tun sollte und was nicht. Aber der Bauch sagt etwas anderes als der Kopf, und plötzlich befindet man sich in einer Situation, in der …“

„Um Himmels willen, Darci, was hast du getan?“

„Nicht das. Ich habe es nicht getan, aber ich war nicht weit davon entfernt. Und ich bin sicher, es wäre dazu gekommen, wenn nicht sein Anwalt angerufen hätte.“

„Darci, es ist spät, und ich bin vielleicht noch im Halbschlaf, aber ich habe keine Ahnung, wovon du redest.“

„Ich rede von Sex.“

„Ja, das ist mir schon klar. So weit konnte ich dir gerade noch folgen. Aber ich meine, wie die Umstände waren. Wie es fast dazu gekommen wäre – und dann noch mit Shane Colborn!“

„Er ist nun mal der totale Frauentyp“, sagte Darci. „Vielleicht lag es auch am Wein …“

„Bist du betrunken?“

„Nein, eigentlich haben wir gar nicht so viel getrunken. Aber irgendwann bin ich auf seinem Schoß gelandet. Und dann … oh, Mann, Jen. Oh, Mann.“

Einen Augenblick lang war Jennifer sprachlos. Dann sagte sie: „Du kannst auf keinen Fall etwas mit Shane Colborn anfangen.“

„Meinst du, das weiß ich nicht selber?“

„Meinem Ashton kann man vielleicht nicht trauen. Aber dieser Shane ist viel schlimmer. Er ist dein Feind.“

„Er ist nicht … Doch, du hast recht. Er ist der Feind.“

„Und du spionierst ihn aus.“

„Allerdings bisher mit mäßigem Erfolg.“

„Immerhin hast du es schon zweimal in seine Villa geschafft. Warst du wieder im Keller? Bist du immerhin ein kleines Stückchen weitergekommen?“

„Ich weiß jetzt, dass er zwei Hunde hat. Und von einigen Kellerräumen kann ich sagen, dass die Unterlagen dort nicht sind. Aber es gibt da unten so viele Räume …“

„Vielleicht ist das Ganze doch keine so gute Idee.“

„Nächsten Samstag gehe ich wieder hin.“

„Das wird dir nicht viel helfen. Er wird dich ja nicht unbeaufsichtigt stundenlang im Keller rumkramen lassen.“

Da musste Darci ihrer Freundin recht geben. Und selbst wenn sie den Raum mit den Unterlagen fand, würde sie nicht genug Zeit haben, sie durchzusehen. Und sie konnte die Villa ja wohl kaum mit einem Stapel voller Aktenordner verlassen.

Aber konnte sie einfach aufgeben? Wollte sie sich wirklich damit abfinden, dass ihr Vater nicht einmal posthum zu seinem Recht kam?

„Könntest du vielleicht irgendwie in die Villa kommen, während er nicht da ist?“, fragte Jennifer plötzlich.

„Kaum. Die Villa ist super gut geschützt.“ Darci lachte verzweifelt auf. „Erstens bin ich keine professionelle Einbrecherin. Und zweitens würde ich mich sowieso nie strafbar machen – egal welchem ehrenwerten Zweck es dienen würde.“

„Ja, das wäre wirklich ein bisschen zu heftig“, stimmte Jennifer zu. „Allerdings ist es auch heftig, wenn du mit ihm schläfst, nur damit er dir traut.“

„Das wäre nicht der Grund gewesen, mit ihm zu schlafen.“

„Aber warum dann? Ich kenne dich doch, Darci. Du bist keine Frau, die mit einem Typen ins Bett geht, nur weil er gut aussieht.“

Darci dachte nach. „Ich verstehe es ja selbst nicht, Jennifer. Jedenfalls nicht so richtig. Er ist … einfach nett. Witzig, schlau, verständnisvoll. Er riecht gut. Er geht auf mich ein. Und sein Blick – er schaut einen an, und man hat das Gefühl, er weiß genau, was man denkt.“

„Aber er weiß nicht, dass du ihn ausspionierst.“

„Nein, das nicht. Aber wenn mir etwas Verdächtiges rausrutscht, bekommt er es sofort mit. Als ob er weiß, dass irgendwas nicht stimmt. Dass er aber nicht den Finger darauflegen kann und aus irgendeinem Grund auch nicht weiter nachbohren möchte.“

„Vielleicht weil er dich ins Bett bekommen will?“

„Oh, daraus macht er kein Geheimnis. Aber er respektiert, dass ich Nein sage.“

„Oder er tut so, als ob er es respektiert. Dass es nicht zum Äußersten gekommen ist, lag doch eher an seinem Anwalt, wenn ich dich richtig verstanden habe.“

„Da hast du recht“, bestätigte Darci. „Er muss übrigens nach Frankreich.“

„Sein Anwalt?“

„Nein, Shane. Gleich morgen früh. Ich habe herausgehört, dass er ein paar Tage fort bleibt.“

„Die beste Gelegenheit für einen kleinen Einbruch.“

„Nein, wirklich nicht. Das könnte ich nicht mit meinem Gewissen vereinbaren.“

„Wie wäre es, wenn sein Personal dich während seiner Abwesenheit reinließe?“

„Warum sollten sie das tun?“

„Du brauchst einen Vorwand. Ich weiß – du hast etwas bei ihm vergessen. Oder verloren.“ Jennifer musterte ihre Freundin. „Ja, genau – deine Ohrringe. Oder einen von ihnen. Und du hängst doch so sehr daran. Schon deine geliebte Großmutter hat diese Ohrringe zu ihrer Hochzeit getragen …“ Jennifer warf den Kopf in den Nacken und lachte.

„Ich habe meine beiden Großmütter nie kennengelernt.“

„Spielt doch keine Rolle. Du hast das gute Stück verloren. Und zwar …“ Sie hob den Zeigefinger. „… im Weinkeller. Und du brauchst das gute Stück unbedingt zurück.“

„Das ist doch lächerlich.“

„Nein, brillant.“

„Es ist eine dicke, fette Lüge.“

„Als ob du bisher ehrlich zu ihm gewesen wärst! Nein, glaub mir, das ist die beste Methode. So kannst du alleine Zeit in seinem Keller verbringen.“

„Vielleicht hast du recht. Und er hat mir ja gezeigt, wo er den Schlüssel zum Weinkeller versteckt hat.“

„Er ist abgeschlossen?“

„Ja, weil dort sehr, sehr teure Weine lagern. Ganz wohl ist mir nicht bei der Sache, aber ich ziehe es durch.“ Wahrscheinlich war es ihre einzige Chance …

Gereizt musterte Shane seinen Freund Tuck. Die beiden saßen im Frühstücksraum eines edlen Pariser Hotels. „Hätte ich dein Angebot bloß nicht angenommen und wäre lieber Linie geflogen.“

„Ist doch Unsinn“, erwiderte Tuck. „Du hattest es eilig. Und wenn ich schon Transportunternehmer mit eigenem Privatjet bin – warum soll ich einen guten Freund dann nicht schnell nach Paris bringen?“

„Ich bin dir ja auch dankbar. Aber es nervt mich, dass du mir Vorwürfe machst.“

„Ich habe nur gesagt, dass du auf deine alten Tage etwas nachlässt.“

Die Freunde waren am Vortag in Paris angekommen und hatten sich abends einen Drink in einer Bar gegönnt. Dort hatte sich eine verführerische Blondine an Shane herangemacht – und er hatte sie abblitzen lassen. Wofür Tuck natürlich keinerlei Verständnis hatte.

„Ich bin aus wichtigen geschäftlichen Gründen hier. Darauf muss ich mich konzentrieren.“ Die Wahrheit war: Andere Frauen interessierten ihn im Moment nicht. Er musste immer nur an Darci denken.

„Du bist abgelenkt.“

„Ja, weil mir die Verhandlung mit Beaumont bevorsteht.“

Tuck schüttelte den Kopf. „Nein, ich meine nicht das Geschäft. Ich rede immer noch von Frauen. Ist es wegen dieser Darci Lake?“

Shanes Misstrauen war geweckt. „Warum fragst du?“

„Schläfst du mit ihr?“

„Nein!“, antwortete Shane gereizt. „Wie kommst du darauf?“

„Sie scheint dir zu gefallen. So besitzergreifend, wie du beim Tanz auf der Wohltätigkeitsveranstaltung warst …“

„Na schön, wir haben uns noch mal getroffen, wenn du’s genau wissen willst.“

„Aber es ist nichts passiert.“

Nichts würde ich nicht sagen“, erwiderte Shane zögernd. „Wir wurden unterbrochen, weil Justin mich angerufen hat. Und dann musste ich mich ja dringend ums Geschäftliche kümmern. Aber wir sehen uns nächsten Samstag wieder.“

„Scheint eine tolle Frau zu sein.“

„Du lässt gefälligst die Finger von ihr!“

Abwehrend hob Tuck die Hände. „Schon gut, schon gut. Ich merke ja, wie begeistert du von ihr bist.“

„Sie ist so erfrischend anders“, schwärmte Shane. „Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie satt ich berechnende Frauen habe …“

„Doch, das kann ich, glaub mir.“

Plötzlich klingelte Tucks Handy. Er blickte aufs Display. „Ich muss rangehen, es ist Dixon. Er und Kassandra lassen sich übrigens scheiden.“

„Was?“, fragte Shane fassungslos. Tucks älterer Bruder war fast zehn Jahre lang glücklich verheiratet gewesen.

„Hallo, Dixon“, sprach Tuck ins Telefon. „Ich bin in Paris. Bin mit Shane hergeflogen, weil er hier was zu erledigen hat. Ach, tatsächlich? Das trifft sich ja gut. Ja, sicher, gerne. Wie …? Ja, gut, so machen wir’s. Bis dann.“

„Ich kann gar nicht fassen, dass Dixon sich scheiden lässt“, kommentierte Shane. „Was, um Himmels willen, ist passiert?“

„Dixon ist früher von einer Geschäftsreise zurückgekommen und hat sie in flagranti mit einem anderen Typen erwischt“, erzählte Tuck. „Die alte Geschichte.“

„Kassandra hat ihn betrogen?“ Fassungslos schüttelte Shane den Kopf. Das konnte er sich gar nicht vorstellen. Er kannte Kassandra seit Jahren, und sie schien Dixon sehr zu lieben.

„Dixon hätte sie am liebsten beide umgebracht.“

„Das kann ich mir vorstellen. Wer ist der Typ? Der Ehebrecher, meine ich?“

„Irgend so ein Typ aus dem mittleren Management eines Pharmazieunternehmens. Dixon kommt übrigens her.“

„Nach Paris?“

„Ja, weil er aus geschäftlichen Gründen sowieso gerade in London ist. Da liegt es nahe.“

„Aber wir haben doch den Jet genommen …“

„Er hat seinen eigenen.“

„Ganz für sich allein? Das wusste ich noch gar nicht.“

„Ist auch erst seit Kurzem so. Er ist ja jetzt das Aushängeschild der Firma, weil Dad etwas kürzertritt. Da kommt es öfter vor, dass er dringend irgendwohin muss.“

Als Einzelkind hatte Shane sich schon oft gefragt, wie es wohl für Tuck war, nur die zweite Geige hinter seinem großen Bruder zu spielen. Er hatte seinen Freund sogar darauf angesprochen, aber der hatte lachend abgewunken und das Thema gewechselt.

„Ich werde nie verstehen, warum du als Flugzeughersteller so oft mit Linienmaschinen fliegst“, sagte Tuck.

Autor

Barbara Dunlop
<p>Barbara Dunlop hat sich mit ihren humorvollen Romances einen großen Namen gemacht. Schon als kleines Mädchen dachte sie sich liebend gern Geschichten aus, doch wegen mangelnder Nachfrage blieb es stets bei einer Auflage von einem Exemplar. Das änderte sich, als sie ihr erstes Manuskript verkaufte: Mittlerweile haben die Romane von...
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