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Verführe heute Nacht den Mann deiner Träume, lautet die Aufgabe, die Lindsay als Mitglied des Klubs "Bikinis & Martinis" erfüllen soll. Gar nicht so einfach! Denn der sexy Bar-Manager ist ziemlich irritiert von ihrem eindeutigen Angebot und lässt sie abblitzen …


  • Erscheinungstag 20.10.2022
  • ISBN / Artikelnummer 9783751520416
  • Seitenanzahl 140
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

PROLOG

Meine liebe Tochter,

es fällt mir sehr schwer, diesen Brief zu schreiben. Ich bin krank, und du wirst diese Zeilen wahrscheinlich erst nach meinem Tod lesen, da es zweifellos eine Weile dauern wird, bis mein Anwalt dich findet. Es ist ein Klischee und doch so wahr, dass man angesichts des nahenden Endes anfängt, darüber nachzudenken, was man hätte anders machen können. Wenn ich mein Leben noch einmal leben könnte, würde ich dich nicht zur Adoption freigeben, egal welche Opfer ich dafür bringen müsste. Ich habe den Schmerz des Verlustes immer gespürt. Doch als mein Leben endlich so abgesichert war, dass ich dich hätte ernähren können, warst du bereits Teil deiner neuen Familie. Welches Recht hatte ich da noch an dir? Auch das würde ich heute anders machen. Ich hätte dich wenigstens treffen und dir von deinen Wurzeln erzählen können.

Immerhin eines kann ich dir jetzt geben, und zwar das Wissen, dass du drei wunderbare Schwestern hast: meine anderen Töchter. Brooke, die Älteste, ist zwei Jahre jünger als du. Sie ist meine vernünftigste, praktischste und gütigste Tochter, obwohl ich eine wilde Ader in ihr vermute, die sie pflichtbewusst unterdrückt hat. Die nächste ist Joey, eine brillante Rechtsanwältin, die glaubt, dass sie ihre Verwundbarkeit und Aufsässigkeit hinter Ehrgeiz und Stärke verbergen kann. Und schließlich Katie, meine Jüngste. Sie muss noch lernen, ihr impulsives Verhalten kreativer und konstruktiver auszuleben.

Was du mit diesem Wissen machst, liegt ganz bei dir. Alle drei leben noch in Boston, wo sie bei mir aufgewachsen sind. Ich hoffe, du wirst sie aufsuchen und damit die Familie wieder zusammenführen.

Ich möchte, dass du eines weißt: Es ist kein Tag vergangen, an dem ich die drei Mädchen ansah und dabei nicht an dich dachte – und an die entzückende junge Frau, zu der du dich ganz sicher entwickelt hast.

Daisy Breckenridge Winfield

1. KAPITEL

In ihrem Büro legte Lindsay Beckham den Telefonhörer so vorsichtig auf, als enthielte er Sprengstoff. Ginas Anrufe hatten immer etwas Unwirkliches. Im Fernsehen war Erpressung eine dramatische Angelegenheit, bei der jede Menge auf dem Spiel stand. Es gab Drohungen, Kraftausdrücke, Händeringen und Flüche. Oder es war quälend, berechnend und auf grausame Art aufregend.

Die Gespräche mit Gina hingegen waren grotesk, weil sie scheinbar so normal waren. Aber eben nur scheinbar. Gina war eine alte Freundin, zumindest hatte Lindsay das aufgrund ihrer schlechten Menschenkenntnis angenommen. Ihre Unterhaltungen hatten stets etwas Vertrautes gehabt, sie waren zwar längst nicht mehr warmherzig, drifteten aber auch nicht ins Feindselige ab. Gina redete über ihr „Gehalt“, als ob sie Lindsay einen Dienst erwies, den diese frohgemut bezahlen sollte. Sie plauderte über persönliche Angelegenheiten, als ob ihre Freundschaft nicht vor ein paar Monaten diese verblüffende Wende genommen hätte, als Gina mitten in einem Telefonat herausgeplatzt war: „Wusstest du übrigens, dass es für Mord keine Verjährungsfrist gibt?“

Würde es die Presse nicht spannend finden, wenn sie erfuhr, dass Gina Nelson vor ein paar Jahren Augenzeugin wurde, als Lindsay Beckham, die neue Besitzerin von Bostons angesagtester Bar „Chassy“ ihren Freund ermordet hat? Ach, was heißt hier die Presse! Würde es nicht sogar viel eher die Polizei interessieren?

Und dann hatte Gina noch erwähnt, dass potenzielle Investoren für den geplanten Ausbau des Chassy sicher die Ohren spitzen würden, wenn sie erführen, dass die Frau, die auf ihr Geld aus war, mit siebzehn von ihrer Adoptivfamilie davongelaufen war, Drogen genommen und ständig die Liebhaber gewechselt hatte – immer auf der Suche nach Liebe und ihrer eigenen Identität, die sie auf diese Weise bestimmt nicht finden würde.

Dieser Verrat hatte nicht nur menschlich, sondern auch beruflich wehgetan. Gina schien genau zu wissen, was Lindsay ihr an Schweigegeld zahlen konnte, ohne Schulden aufnehmen zu müssen. Aber Lindsay hätte das Kapital dringend gebraucht. Sie hatte große Pläne für das Chassy und war bereits auf dem richtigen Weg, sie umzusetzen. Unter anderem hatte sie die Martinis & Bikinis gegründet, ein reiner Frauenclub, der ihr Stammgäste garantierte, die zu den monatlichen Treffen kamen. Bei jedem dieser Treffen wurden zwei Mitglieder ausgewählt, die bestimmte Herausforderungen annehmen mussten, um sich persönlich weiterzuentwickeln.

Aber nun klebte Gina wie ein Blutegel an ihr und saugte sie aus. Lindsay hatte gehofft, sich von ihrer Vergangenheit befreit zu haben, aber wie es schien, nicht genug. Sie hatte es endlich geschafft, den größten Teil ihrer Schuld am Tod ihres Exfreunds Ty zu verarbeiten. Aber vor Gericht würde sie dennoch als Schuldige dastehen.

Ein paar glückliche Wochen lang hatte Lindsay endlich geglaubt, dass die schlechten Zeiten für sie endgültig vorbei waren und dass das Pech sie nicht mehr verfolgte. Sie hatte sich geschworen, ein anständiges Leben zu führen und beruflich erfolgreich zu sein. Dann die große Überraschung: Im letzten Sommer hatte sie einen Brief ihrer leiblichen Mutter erhalten und von ihren drei Halbschwestern Brooke, Joey und Katie erfahren. Lindsay hatte sie eingeladen, den Martinis & Bikinis beizutreten, und lernte so die drei allmählich kennen.

Und jetzt der Tiefschlag mit Gina.

Irgendetwas ging immer schief. Zugegeben, sie hatte viele falsche Entscheidungen getroffen, aber ihr Leben war nun mal kein Zuckerschlecken gewesen wie das ihrer blaublütigen Winfield-Halbschwestern.

„Hallo.“

Als sie die Stimme ihres Bar-Managers hörte, setzte Lindsay hastig ein Lächeln auf. Genau wie ihren Halbschwestern, war Denver Langston alles in den Schoß gefallen. Er war auf das Ivy League College gegangen und dann auf die medizinische Fakultät. Er hatte sich den Luxus leisten können, seine blendende Karriere als plastischer Chirurg in Los Angeles hinzuschmeißen, weil die Arbeit nicht seinen Erwartungen entsprochen hatte. Bis er sich darüber klar wurde, was er als nächstes tun wollte, machte er sich eine schöne Zeit in ihrer Bar.

Wenn Lindsay ihn nicht so sehr respektieren würde, dann … nun, vielleicht auch nicht …

„Hi, Denver.“

Er kam wie immer zu früh zu seiner Schicht. Als er auf sie zuging, zog er seine marineblaue Jacke aus. Die sah bei Weitem nicht dick genug aus, um feuchte Kälte abzuhalten, wie sie in Massachusetts im Winter herrschte. Zweifellos handelte es sich um eine mehrere hundert Dollar teure Bergsteigerjacke aus modernsten Klimafasern. „Wie steht’s?“

Lindsay zuckte die Schultern und sah sich auf ihrem pedantisch aufgeräumten Schreibtisch nach etwas um, das sie zurechtrücken konnte. Ordnung half ihr, nicht in Panik zu geraten oder von Gefühlen überwältigt zu werden. Etwas an Denver löste gleich beide Zustände bei ihr aus.

„Nichts Außergewöhnliches.“ Wie verkorkst musste ihr Leben sein, dass es für sie nicht außergewöhnlich war, erpresst zu werden?

Er sah sie mit dem dunklen Blick an, der sie an all das denken ließ, was sie mit ihm nicht erleben konnte. Sex, Intimität, Sex, Spaß, Sex … hatte sie Sex schon erwähnt? Zu gefährlich. Sie war seine Chefin und wollte nicht riskieren, wegen sexueller Belästigung angezeigt zu werden. Außerdem mochte sie ihn, und wenn sie sich mit ihm auf etwas einließ, würde es schon bald ihr Arbeitsverhältnis trüben. Sie hatte viel Lehrgeld bezahlt, während sie lernte, dass Männer nicht bei der Stange blieben, wenn die anfängliche Lust einmal abgeebbt war.

„Ist alles in Ordnung?“

Sie nickte, auch wenn sie sicher war, ihn damit nicht täuschen zu können. Denver redete nicht viel, aber er konnte sich auf beunruhigende Weise in ihre Stimmungen einfühlen.

„Bist du sicher?“

„Sicher.“ Sie nickte und merkte, dass sie aufgesetzt fröhlich klang.

„Na klar.“ Sarkasmus stand ihm gut. Alles stand ihm gut. „Und ich bin Paris Hilton.“

Wenn sie ihn noch länger ansah, würde sie erröten und zu stottern anfangen.

Groß und eindrucksvoll, durchaus gut aussehend, mit einer Nase, die zu hochmütig wirkte, um perfekt zu sein, war Denver nicht der Typ, der Frauen auf den ersten Blick den Kopf verdrehte – aber vielleicht auf den zweiten oder dritten, vor allem, wenn er einmal gelächelt und seinen ungezwungenen Charme eingesetzt hatte. Er war außerdem der Typ, der die meisten Menschen einfach dadurch einschüchtern konnte, dass er das Kinn anspannte und die Stirn runzelte. Sie hatte das beobachten können, wann immer ein Gast rauflustig wurde.

Zum Glück bedurfte es mehr als eines harten Kinns und eines Stirnrunzelns, um sie einzuschüchtern.

„Du willst mir also nicht sagen, was los ist?“

„Habe ich das jemals getan?“

Amüsiert schüttelte er den Kopf und zog die Mundwinkel hoch. „Niemals. Aber ich versuch’s weiter.“

Warum gab er sich solche Mühe? Sie öffnete eine Schublade ihres Aktenschranks, um beschäftigt zu wirken, und blätterte durch das Hängeregister auf der Suche nach der Mappe für die morgige Veranstaltung: Die Martinis & Bikinis Valentins-Vorfeier unter dem Motto: „Liebe oder Lust?“

„Suchst du das hier?“ Er zog die Mappe heraus, die sie womöglich dreimal übersehen hatte, und reichte sie ihr.

Sie drehte den Kopf weg, damit er nicht sah, wie rot sie wurde. Auf ihrem hellen Teint fiel das besonders auf, aber normalerweise konnte sie ein Erröten problemlos unterdrücken. Nur bei Denver gelang ihr das nie. „Danke.“

„Lindsay.“ Seine Stimme war zu vertraulich. Er kam näher, und sie versteifte sich auf der Stelle.

Sie wollte ihm gerade sagen, dass er Abstand halten sollte, als eine Stimme rief: „Na, Jungs, was gibt’s?“

Es war Justin Bell, der sie aus der prekären Lage rettete, der heiße, junge Barkeeper, dem die weiblichen Gäste zu Füßen lagen. Er stolzierte in hautengen schwarzen Hosen und einem schwarzen T-Shirt in ihr Büro, die dunkelblonden Haare gewollt unordentlich gestylt.

„Hallo, Justin.“ Lindsay ging an Denver vorbei. „Denk daran, dass wir heute für unseren tropischen Winterabend Mango-Mojitos und Passionsfrucht-Martinis anbieten. Du musst alles vorbereitet haben. Also sei bereit.“

„Herzchen, für dich bin ich immer bereit.“ Justin ließ seine Hüfte kreisen, was Lindsay trotz ihrer miesen Laune zum Lachen brachte. „Jemand müsste dir mal so richtig einheizen, damit das Eis schmilzt, in dem du gefangen bist.“

Hinter sich hörte sie Denver prusten. Männer!

„Wir öffnen in dreißig Minuten, also an die Arbeit! Und morgen Abend, wenn sich die Martinis & Bikinis treffen, lass im Granatapfelsaft-Cocktail für die Valentinis den Sirup weg. Ich fand ihn zu süß, und viele Frauen achten auf Kohlehydrate und Kalorien.“

„Ja, Chefin.“

Sie wollte ihm gerade sagen, dass er sie Lindsay nennen sollte, als Denver sie am Oberarm packte. Sie fauchte wie eine Katze, denn sie mochte es nicht, ohne Vorwarnung angefasst zu werden.

Sofort lockerte er seinen Griff. „Selbst für deine Verhältnisse bist du heute ganz schön gereizt.“

Da hatte er wohl den Nagel auf den Kopf getroffen. Entnervt entwand sie sich seinem Griff. „Justin, wenn Casey um punkt fünf nicht da ist, dann ruf sie auf dem Handy an und mach ihr Feuer unter dem Hintern.“

„Klar, Süße.“

„Lindsay.“

„Kein Problem, süße Lindsay.“

Sie erwiderte sein spitzbübisches Grinsen mit einem vernichtenden Blick, dann scheuchte sie ihn in die Bar zurück. Mit verschränkten Armen drehte sie sich daraufhin zu Denver um, der lässig an ihrem Schreibtisch lehnte. „Na, Junge, was gibt’s?“

Er lächelte darüber, wie sie Justin nachahmte. „Soll ich gleich zur Sache kommen?“

„So ist es mir am liebsten.“ Sie schloss die Arme fester um sich und musste sich daran erinnern, die Schultern nicht bis zu den Ohren hochzuziehen. Bitte nicht noch mehr schlechte Neuigkeiten! Gina hatte angedeutet, dass sie bald eine „Gehaltserhöhung“ wollte, und Lindsay musste das erst mal durchrechnen.

„Casey hat gekündigt. Sie ist schwanger, ihr ist übel, und sie kann nicht mehr so lange auf den Beinen sein.“ Seine Stimme war ruhig, aber sie sah die Besorgnis in seinen Augen.

„In Ordnung.“ Lindsay nickte gefasst, während sie innerlich schrie: Nicht Casey, nicht jetzt! „Dann werde ich morgen die Schicht während der Martinis & Bikinis-Feier übernehmen. Wie schnell kannst du Ersatz beschaffen?“

Er schüttelte den Kopf, stieß sich vom Schreibtisch ab und blieb nur einen halben Meter entfernt stehen. Sie musste sich zwingen, nicht einen Schritt rückwärts zu machen. „Was ist mit dir los?“, fragte er.

„Wie meinst du das?“ Sie hatte auch ohne seine Psychoanalyse genug am Hals, was ihr zu schaffen machte.

Kopfschüttelnd stemmte er die Hände auf die Hüften. „Ich meine, dass du alles in dich hineinfrisst. Ich kann das Wirrwarr von Gefühlen in dir regelrecht sehen. Wie Schlangen in einer Kiste.“

„Mensch, Denver, wie poetisch.“ Sie musste grinsen. Was hatte er erwartet? Dass sie heulend zusammenbrach, weil sie selbst härter arbeiten musste, bis sie einen Ersatz gefunden hatten? Sie hatte keine Angst vor Arbeit. Arbeit war gesund, sauber und konstruktiv.

Wenn er also glaubte, dass sie ihren Kopf an seine starke Brust lehnen würde, ihm etwas vorjammern und zulassen, dass er stärker, fähiger und ihr überlegen war, dann täuschte er sich gewaltig.

Angestellte kündigen nun mal, das gehört zum Geschäft. Sie marschierte zur Tür und rief Justin zu: „Du brauchst Casey doch kein Feuer unterm Hintern zu machen. Sie kommt heute nicht.“

„Geht klar, Chefin.“

Sie wandte sich wieder um. Sie fühlte sich so zerbrechlich und verwundbar, als ob der nächste Stoß sie zu Boden strecken könnte. Vielleicht bräuchte sie diese männliche Brust dann doch noch.

Aber nein! Das Leben hatte sie gelehrt, dass sie viel mehr Mist ertragen konnte und dabei weit weniger traumatisiert wurde als die meisten Menschen.

Ihr privates Telefon klingelte. Sie wollte sich schon darauf stürzen, da bremste sie sich. Denver mit seinen feinen Antennen würde ihre Panik sofort bemerken. Aber dann gewann die Panik, und sie griff erneut nach dem Hörer. Doch Denver kam ihr zuvor.

Während der Unterhaltung beobachtete er sie die ganze Zeit.

„Margaret verspätet sich. Sie steckt in einem Verkehrschaos auf dem Mass Pike fest.“

Lindsay nickte. „Ich übernehme für sie.“

„Wann hattest du das letzte Mal einen Tag frei?“

„Hör auf, mich zu bevormunden.“

„Es war eine einfache Frage.“

„Ich nehme mir nicht frei.“

„Das musst du aber.“ Sein Ton war sachlich, aber sein Blick unnachgiebig. „Du kannst anderen etwas vormachen, aber nicht mir.“

„Lass mich in Ruhe.“ Sie tat so, als müsse sie den Schichtplan studieren. Sie hasste es, wenn er besorgt war und bohrende Fragen stellte. Sie hasste die Schwäche, die er in ihr so leicht zum Vorschein brachte, verbunden mit dem kleinen, hartnäckigen Drängen, ihm ihr Herz auszuschütten. Warum ihm und nicht ihren drei neuen Halbschwestern? Sie war nahe daran, Brooke zu vertrauen, der sanftmütigsten, ältesten der Winfield-Schwestern, obwohl ihr die feurige Joey und die lebhafte Katie mehr Spaß machten.

Sie nahm es Denver übel, dass er solche Macht über sie hatte, und darum behandelte sie ihn rüder als sie wollte, was sie ebenfalls hasste.

Und dann hasste sie es außerdem, dass sie das Gefühl hatte, er wüsste das alles.

„Geh heute nach der Arbeit mit mir schwimmen.“

„Was?“ Sie drehte sich um und sah ihn an. Sollte das eine Verabredung unter Freunden sein oder mehr? „Schwimmen?“

„Ja, in Wasser eintauchen und darin mit koordinierten Arm- und Beinbewegungen vorwärtskommen.“ Er machte Kraulbewegungen.

Sie musste lächeln. „Hab’s verstanden.“

„Unsere Nachbarn sind mit meinen Eltern auf eine griechische Insel geflogen. Solange sie weg sind, darf ich ihr Hallenbad benutzen. Es hat ein Glasdach, durch das man den Himmel sehen kann. Das würde dir gefallen.“

Sie stellte sich vor, wie sie und er nach Mitternacht allein im Mondlicht schwammen, und war schockiert darüber, wie wahnsinnig gern sie das machen würde.

„Nein, ich glaube nicht. Wirklich nicht.“ Sie griff nach einem Blatt, das ihr sofort wieder entglitt.

„Eines Tages, Lindsay.“ Er kam ihr ständig zu nahe, beobachtete sie zu genau und konnte ohne Zweifel ihren Gefühlszustand zu deutlich erkennen.

„Was wird eines Tages sein?“ Sie tat so, als kümmerte es sie nicht, und machte sich selber vor, dass er nicht merkte, dass sie nur so tat. Zur Hölle mit dem Kerl, der so glatt rasiert und muskulös war und so gut roch.

„Eines Tages werde ich in dich dringen.“

Sie wusste, was er meinte, und bekam Herzrasen. „Worauf willst du hinaus?“

„Dass es schön wird – für uns beide.“

Flirtete er mit ihr? War er sich dessen bewusst? „Das hört sich nach Sex an.“

„Wie bitte?“ Er schlug in einer unschuldigen Geste die Hände vor die Brust und hob die Augenbrauen. „Aber nicht doch.“

Sie wollte etwas sagen, merkte aber, dass sie sprachlos war. Sie spürte, wie das Blut ihr ins Gesicht schoss, und wollte sich umdrehen, doch er nahm sie am Arm. „Nein, geh nicht, lass mich den Augenblick genießen. Endlich zeigst du eine Reaktion. Wie habe ich auf diesen Moment gewartet!“

„Hm, vielleicht sollte ich dir mehr Arbeit aufbrummen.“

„Nein.“ Denver zog sie sanft am Handgelenk. „Aber ich werde dich wieder fragen, wenn wir die Bar schließen – auch morgen und in jeder folgenden Nacht, bis du mit mir schwimmen gehst, dich entspannst und Spaß hast, und wenn es nur für eine Stunde ist.“

„Ohne dass du versuchst, in mich einzudringen?“ Sie versuchte, so sarkastisch wie möglich zu klingen, obwohl sie immer aufgeregter wurde.

Er zwinkerte ihr zu. „Das werden wir dann sehen.“

„Denver …“ Sie überspielte ihre Verwirrung mit einem warnenden „Ich bin deine Chefin“-Tonfall.

„Ich mache Witze, Lindsay. Natürlich verabreden wir uns nur als Freunde, die sich nach der Arbeit in einem beheizten Pool entspannen.“

„Das weiß ich doch. Ich wusste es. Ich weiß es.“ Sie entzog sich seiner Hand und war wütend auf sich, weil sie an mehr gedacht hatte … und noch wütender darüber, dass sie enttäuscht war, weil er es nicht getan hatte.

Frustriert beendete Denver eine weitere Runde im Pool. Er lehnte sich in eine Ecke und sah durch das Glasdach zu dem vollkommenen Sternenhimmel hoch. Er hatte die Lichter nicht angemacht, um diesen Anblick genießen zu können. Sogar der abnehmende Mond war zu sehen, weiß und makellos. Das Wasser war warm, die Luft kühl, ein Floß lud zum Entspannen ein. Es könnte nicht besser sein, wenn man davon absah, dass Lindsay nicht mitgekommen war.

Nicht, dass er es erwartet hätte. Er fragte sich, warum er sie überhaupt eingeladen hatte und warum er so hartnäckig versuchte, durch ihre starre Hülle zu dringen. Er wusste nicht, warum er in der Stadt blieb, in dieser Bar, anstatt zu versuchen, seine Karriere als plastischer Chirurg wieder aufzubauen. Er wollte Menschen helfen, die durch Brandverletzungen, Krankheiten oder angeborene Missbildungen entstellt waren, und nicht Brüste vergrößern und Augenlider straffen.

Er hatte seine Anstellung in der angesehensten Schönheitsklinik in Los Angeles verloren, nachdem er sich über eine Mutter aufgeregt hatte, die wollte, dass er ihre wunderschöne sechzehnjährige Tochter einer Operation unterzog, damit sie einem stereotypen Ideal entsprach.

Also war er mit Sack und Pack nach Massachusetts zurückgezogen ins Brookliner Haus seiner Eltern, die als Frührentner sowieso ständig auf Achse waren, und hatte den Job im Chassy angenommen. Er wollte das nur für ein paar Monate machen, bis er seine Gedanken geordnet hatte. Aber aus den wenigen Monaten war schon fast ein Jahr geworden. Ihm gefiel die angenehme Routine. Er fand es aufregend, die Bar unter Lindsays geschickter Geschäftsführung gedeihen zu sehen. Er redete sich ein, dass er doch etwas mehr Zeit brauchte, um zu entscheiden, ob er überhaupt nach Kalifornien zurückkehren wollte. Dann sagte er sich, dass Lindsay einen Freund brauchte. Er wusste, was passiert, wenn man Unzufriedenheit zu lange unterdrückt, und erkannte die Symptome bei ihr.

Das waren plausible, logische Gründe, die allesamt einen Funken Wahrheit enthielten. Aber sie zeigten nicht das ganze Bild, sondern nur einen Ausschnitt.

Er war auch nicht sicher, ob er selbst schon bereit war, das ganze Bild zu sehen. Er wusste nur, dass sein Interesse an Lindsay sich langsam veränderte. Zu Respekt, Freundschaft und Sorge kamen immer mehr kraftvolle, sexuelle Gefühle dazu.

Leider konnte er Lindsay nicht helfen, er konnte ihr schließlich nicht ärztlich verordnen, Zeit mit ihm zu verbringen. Er konnte an ihr keine emotionale Operation durchführen, um ihre seelischen Narben zu entfernen. Er konnte sie nur wissen lassen, dass er da war, bereit zuzuhören und zu helfen, wo er konnte, sie hin und wieder ein bisschen anzustoßen, aber nicht zu sehr, um das gewonnene Vertrauen nicht sofort wieder zu verlieren.

Die Glastür glitt zur Seite. Sein Kopf schoss hoch, und er sah die Gestalt an, die den Poolbereich betrat. Der Adrenalinschub, den er dabei verspürte, zeigte ihm, wie sehr er hoffte, es wäre Lindsay.

Die Gestalt näherte sich, und er war enttäuscht. Sie war kleiner als Lindsay, kurvenreicher und hatte gewellte Haare. Es war Adele, eine Freundin der Robinsons.

„Hi“, sagte sie leise, als sie am Poolrand stehen blieb. „Wie ist das Wasser?“

„Genau richtig.“

„Dann ist es gut genug für mich.“ Elegant glitt sie ins Wasser und schwamm gemächlich am Rand entlang, dann kehrte sie lächelnd zu ihm zurück. Im schummrigen Licht sah ihr blasses Gesicht wie das einer Heldin aus einem Schwarzweißfilm aus. Wassertropfen glitzerten auf ihrer Stirn und ihren Schultern. Sie zwar zweifelsohne schön, mit hohen Wangenknochen, Mandelaugen und sinnlichen Lippen. Instinktiv zog er seine Beine unter sich, um ihr ausweichen zu können. Ihr Blick war zielstrebig, ihr Augenkontakt berechnend, aber er war nicht daran interessiert, von ihr in Versuchung geführt zu werden.

Warum eigentlich nicht?

Nach einem winzigen Moment des Überlegens stieß er sich ab und kraulte davon. Er war Lindsay gegenüber nicht zur Treue verpflichtet. Warum also sollte er sich Adele verweigern? Vielleicht traf sich Lindsay mit vier anderen Kerlen. Was wusste er schon?

Und doch war er sicher, dass er sie nicht kalt ließ. Die Art, wie sie gegen die Anziehungskraft ankämpfte, die er auf sie ausübte, sie zu leugnen versuchte und dabei nervös wurde, machte ihn nur noch entschlossener, darauf zu warten, dass sie sich ihm hingab. Noch mehr ersehnte er das, was sich danach zwischen ihnen entwickeln könnte. Er war kein Mann für eine Nacht, außer eine Frau machte von vornherein klar, dass es genau das war, was sie wollte.

Es könnte sein, dass es genau das war, was Adele jetzt wollte.

Er beendete seine Runde neben Adele am flachen Ende des Pools.

„Ich dachte schon, du weichst mir aus.“ Ihre tiefe Stimme hallte von den Glasfenstern wider. Sie spritzte ihm Wasser ins Gesicht. „Dabei beiße ich gar nicht.“ Lächelnd neigte sie neckisch den Kopf. Die nassen Haare betonten ihre erstaunlichen Wangenknochen „Oder möchtest du gebissen werden?“

„Hm.“ Er hielt sie hin und hoffte, dass man ihm seinen inneren Kampf nicht anmerkte. „Das ist ein interessanter Gedanke.“

„Also, wie wäre es?“

„Vielleicht irgendwann mal.“

„Irgendwann?“ Die Enttäuschung war ihr deutlich anzusehen. „Warum nicht heute Nacht?“

Er seufzte. Ja, warum zur Hölle eigentlich nicht? Warum wies er eine warme, willige Frau ab zugunsten einer kalten, unerreichbaren?

Weil seine Gedanken nur um Lindsay kreisten.

„Nein, nicht heute Nacht.“

„Nein?“ Adele warf sich unerwartet auf ihn, packte ihn an den Schultern und schlang die Beine um ihn. Durch die Bewegung wurden ihre unglaublichen Brüste über dem Wasser sichtbar, zwei vollkommene Rundungen, die von einem raffiniert geschnittenen, knappen Oberteil zusammengedrückt wurden. „Bist du ganz sicher?“

Ja, er dachte, dass er sicher sei. Sein Geist war es jedenfalls, doch sein Körper plötzlich nicht mehr so sehr.

„Das ist kein günstiger Zeitpunkt. Es gibt eine andere Frau.“

„Bei der Arbeit?“

Er runzelte die Stirn. „Wie kommst du darauf?“

„Ich habe nur geraten.“ Sie löste die Umklammerung ihrer Beine. „Wie läuft es dort zurzeit?“

Er zuckte die Schultern und fand es seltsam, dass sie so viel Interesse an seinem Beruf hatte. „Wie immer.“

„Die Bar läuft ja ganz gut, wie ich höre.“

Autor

Isabel Sharpe
Im Gegensatz zu ihren Autorenkollegen wurde Isabel Sharpe nicht mit einem Stift in der Hand geboren. Lange Zeit vor ihrer Karriere als Schriftstellerin erwarb sie ihren Abschluss in Musik auf der Yale Universität und einen Master in Gesangsdarbietung auf der Universität von Boston. Im Jahre 1994 rettet sie die Mutterschaft...
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