Ein Fest der Liebe für uns zwei

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Olivias Herz klopft verräterisch, als sie sich mit ihrem Noch-Ehemann Grady verabredet. Aber sie hat eine Entscheidung getroffen. Und sie wird sich daran halten! Seit ihnen das Schicksal vor drei Jahren kurz vor Weihnachten ihren geliebten Sohn nahm, liegt ihre Ehe in Trümmern. Jetzt will Olivia mit der Scheidung endlich einen Schlussstrich ziehen unter die traurige Vergangenheit. Doch sie hat die Rechnung ohne Grady und seinen unerschütterlichen Glauben an Happy Ends gemacht. Er versucht alles, damit Weihnachten endlich wieder zum Fest der Liebe für sie wird. Mit Erfolg?


  • Erscheinungstag 20.12.2013
  • Bandnummer 1917
  • ISBN / Artikelnummer 9783733730697
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Sobald Olivia Markham-Foster das italienische Restaurant mit der romantischen Atmosphäre betrat, wusste sie, dass sie einen Riesenfehler machte.

Der Kellner führte sie zu einem Tisch in einer Ecke hinten im Raum, die den Gästen ungestörte Zweisamkeit garantierte. Die Abgeschiedenheit war ihr recht. Aber die kuschelige, romantische Komponente war einfach nicht angebracht.

Heute Abend ging es nicht um Romantik. Wenn Grady sie in diesem Restaurant, an diesem Tisch sitzen sah, dann würde er völlig falsche Schlüsse ziehen.

Ihr Ehemann hatte trotz seiner rauen Schale einen weichen Kern. Er glaubte an das berühmt-berüchtigte Happy End. Ihm würde nicht gefallen, was sie ihm zu sagen hatte.

Aber Olivia hatte eine Entscheidung getroffen. Und sie würde sich an ihren Plan halten. An der Wahl des Lokals war nur ihre Freundin Samantha schuld, und jetzt war es zu spät, um daran etwas zu ändern. Jetzt musste Olivia ihren Entschluss in die Tat umsetzen. Ihr Leben hing davon ab. Und Gradys auch. So weiterzumachen wie bisher, entzweit und festgefahren, das machte sie doch nur beide fertig.

Olivia seufzte und spielte mit ihrem Weinglas. Er würde das nicht so sehen. Stattdessen würde er die gleichen Argumente anbringen wie immer und sie daran erinnern, wie es früher zwischen ihnen war. Als ob sie das je vergessen könnte! So würde er versuchen, ihr den Kopf zu verdrehen, bis sie nachgab.

„Diesmal nicht“, flüsterte sie. Diesmal würde sie stark bleiben.

Ohne Vorwarnung überlief sie ein Schauer. Er war da. Sie musste nicht einmal aufschauen, um das zu wissen. Ihr Körper spürte Grady. Verdammt, sie konnte seine Anwesenheit fühlen. So war das schon immer gewesen. Trotzdem blickte sie auf.

Noch ein Fehler.

Sie versuchte wegzuschauen. Aber das war unmöglich. Grady Foster kam nicht einfach nur herein. Mit seinen langen Beinen bewegte er sich anmutig wie ein Tänzer. Gleichzeitig wirkte er gefährlich wie ein Panther, wild und ungezähmt. Seine markanten Gesichtszüge wirkten wie gemeißelt. Sein kohlrabenschwarzes Haar war gerade lang genug, um seine kantigen Kiefer und hohen Wangenknochen zu betonen.

Er sah sie an. Nicht einmal die Entfernung konnte das Glitzern seiner Augen verbergen, als er sie erwartungsvoll musterte. Ihr Herz klopfte heftig.

Mit langen Schritten kam er auf sie zu. Seine ganze Aufmerksamkeit richtete sich auf sie. Hastig nahm sie einen Schluck Wein, bevor sie tief Luft holte. Sie zwang sich, zu entspannen und das kühle Lächeln aufzusetzen, das sie in den vergangenen drei Jahren perfekt einstudiert hatte. Wenn sie es schaffte, ihre Gefühle zu verbergen und sich ungerührt und selbstsicher zu geben, würde sie diesen Abend überstehen.

Genau wie sie alles andere auch durchgestanden hatte.

Er ließ sich auf den Stuhl ihr gegenüber fallen und nickte ihr zu. Dann zog er an seiner Krawatte, um sie ein wenig zu lockern. Grady hasste Anzüge. Schade eigentlich. Wenige Männer sahen im Anzug so heiß aus wie ihr Ehemann.

„Danke, dass du einem Treffen zugestimmt hast“, sagte sie mit leiser, klarer Stimme. Sie hoffte, das Gespräch in geordnete Bahnen zu lenken, bevor sie sich wieder in den Schatten der Vergangenheit verloren. Außerdem wollte sie sich nicht anmerken lassen, wie sehr seine Gegenwart sie verunsicherte. „Ich war mir nicht sicher, ob du dich darauf einlassen würdest.“

Ungläubig runzelte er die Stirn. „Du bist meine Frau, Olly. Warum glaubst du, dass ich dich nicht sehen will? Auf dieses Treffen … darauf habe ich schon lange gewartet.“

„Aber …“ Sie räusperte sich. Er hatte ja recht. Ganz egal, wie oft sie seine Versöhnungsversuche abgelehnt hatte, sie hatte gewusst, dass er kommen würde. Denn er hatte die Hoffnung nicht aufgegeben. Sie schon. Also musste eine Notlüge herhalten. „Ich war mir eben nicht sicher“, wiederholte sie.

„Dann hast du nicht aufgepasst.“ Seine zimtbraun gefleckten Augen verdunkelten sich. „Ich bin für dich da. Egal wann du mich brauchst. Das habe ich dir doch ganz deutlich gesagt, oder?“

„D-das hast du, aber … Also …“ Erleichtert brach sie ab, als der Kellner auf ihren Tisch zusteuerte. So hatte sie ein paar Minuten, um sich wieder zu beruhigen.

Der Ober legte ihnen die Speisekarten vor und erläuterte kurz die Empfehlungen des Tages. Nachdem Grady sich etwas zu trinken bestellt hatte, ließ der Kellner sie wieder allein.

Grady sah sie an. „Ich bin so froh, dass du angerufen hast, Olivia. Ich freue mich so, dass wir zusammen hier sind. In so einem Lokal sind wir nicht mehr gewesen, seit …“ Er fuhr sich mit der Hand über das Kinn und runzelte die Stirn. „… sind wir schon seit Jahren nicht mehr gewesen.“

Es war so unglaublich schwierig, nicht auf das zu reagieren, was er beinahe gesagt hatte. Das vertraute Gefühl der Trauer überkam sie und überwältigte sie beinahe. Wenn sie das zuließ, würde sie zusammenbrechen. Also verhielt sie sich wie immer – und unterdrückte jegliche Gefühlsregung so unerbittlich und so schnell sie konnte. „Ja. Das ist Jahre her. Und das Restaurant ist wirklich nett. Aber, Grady …“ Olivia holte hastig Luft und nahm all ihren Mut zusammen. „Ich weiß, du denkst wahrscheinlich, dass ich dich hergebeten habe, um … um …“

Er seufzte genervt. „Okay, Olivia. Was soll das? Ich denke, du hast mich hergebeten, um was zu tun? Ein gutes Essen zu genießen?“ Obwohl er sich um einen scherzhaften Tonfall bemühte, vertieften sich die Furchen seiner gerunzelten Stirn. „Na los, sag mir schon, was ich denke. Bitte.“

Oh Gott, warum hatte sie nur auf Samantha gehört? Sich hier zu treffen war nur ihre Idee. Olivia hätte es besser wissen müssen. „Du denkst, dass ich dich hergebeten habe, um eine Versöhnung zu besprechen.“

Er erstarrte.

Nicht zum ersten Mal wünschte sich Olivia, sie könnte das auch. Ihm nur durch starres Schweigen so zuzusetzen, bis er die Stille brach. Aber er war der Panther hier, nicht sie. „Ich … will nicht. Wieder mit dir zusammen sein, jedenfalls. Wir müssen reden. Jedoch nicht über eine Versöhnung.“

Seine Miene wirkte versteinert, als er sie ungläubig anstarrte. „Ich habe mich in einen Anzug gequält und bin quer durch die Stadt gefahren, nur damit du mir sagst, dass sich nichts geändert hat? Diese Unterhaltung hätten wir auch am Telefon führen können. Verdammt, Olly, was hast du dir nur dabei gedacht?“

„Ich habe nicht nachgedacht … ich wusste einfach nicht … Samantha hat mir das Restaurant empfohlen. So etwas sollte man nicht am Telefon besprechen. Und du wohnst jetzt schon seit Monaten nicht mehr zu Hause.“ Sie straffte die Schultern. „Ich habe gedacht, es wäre nur fair, sich an einem Ort zu treffen, der für uns beide neu ist“, sagte sie leise. „Oder so etwas in der Art.“

Er entspannte sich ein wenig. „Samantha hat gesagt, du sollst mich hierher bitten?“

„Ja. Ich hatte ja keine Ahnung …“ Samantha Hagen war ihre beste Freundin. Aber Samantha hatte Grady auch sehr gern. Sie wünschte sich eine Versöhnung zwischen ihnen beinahe so sehr wie Grady.

„Sammy habe ich schon immer gemocht.“ Grady lächelte. „Ich habe jetzt seit Ewigkeiten nicht mehr mit ihr gesprochen. Wie geht es ihr?“

„Gut“, fuhr Olivia ihn an. „Man könnte sagen, ihr Geschäft blüht.“ Samantha war Scheidungsanwältin. „Sie hat mehr zu tun als je zuvor.“

Sein Lächeln verschwand. „Das freut mich für sie, aber …“

„… du glaubst nicht an Scheidung“, beendete sie den Satz für ihn.

„Das stimmt nicht ganz. Ich denke nicht, dass man aufgeben sollte, ohne wirklich alles versucht zu haben.“ Er warf ihr einen durchdringenden Blick zu. „Früher hast du das auch geglaubt.“

Ein Schauder lief ihr den Rücken hinunter, aber sie erwiderte mit fester Stimme: „Früher habe ich eine ganze Menge geglaubt. Die Dinge ändern sich.“

Bevor sie auch nur blinzeln konnte, hatte er ihre Hand genommen. Diese schlichte Berührung entfachte ein Gefühl des Verlangens tief in ihrem Körper. Himmel, wie sehr sie es vermisst hatte, ihn zu spüren. Olivia zog die Hand weg und ballte sie zur Faust. „Die Dinge ändern sich“, wiederholte sie.

Das hat sich nicht geändert. Du begehrst mich immer noch. Und ich dich auch. Warum sträubst du dich so dagegen?“

„Weil körperliche Anziehung nicht reicht.“

„Das sagst du immer wieder, aber …“ Der Kellner tauchte wieder auf und brachte Grady sein Bier. Dann erkundigte er sich nach ihren Bestellungen.

Olivia hatte kaum einen Blick auf die Karte geworfen. Sie wollte schon sagen, dass sie noch ein paar Minuten brauchte, als Grady sich einmischte und für sie beide bestellte. Das hatte er früher oft getan, und sie hatte das immer irgendwie süß gefunden. Aber jetzt ärgerte sie sich darüber.

Als der Ober wieder weg war, bedachte sie ihren Ehemann mit einem finsteren Blick. „Vielleicht wollte ich lieber etwas anderes. Vielleicht habe ich Lust auf Linguine mit Jakobsmuscheln.“

Er zog die linke Augenbraue hoch. „Ehrlich? Aber du liebst Hühnchen in Marsala.“

„Darum geht es nicht.“

„Um was denn dann?“

Entnervt stieß sie den Atem aus. „Du hättest mich fragen sollen.“

„Warum denn?“

„Warum nicht?“

„Weil du früher immer Hühnchen in Marsala bestellt hast, wenn wir beim Italiener waren.“ Verwirrt schüttelte er den Kopf. „Warum sollte ich glauben, dass sich das geändert hat?“

„Und warum solltest du das nicht glauben? Ich bin nicht mehr die Frau, die du geheiratet hast. Vieles, vieles hat sich geändert. Warum kannst du das nicht akzeptieren?“

„Wenn du Linguine willst, ändere ich deine Bestellung eben.“ Er hob schon die Hand, um dem Kellner zu winken, da packte sie ihn am Arm und hielt ihn fest.

„Stopp! Bitte, Grady. Du kannst nicht alles wieder in Ordnung bringen! Du kannst nicht alles wiedergutmachen.“ Sie schnappte nach Luft. „Hör endlich auf damit.“

Er stieß einen unterdrückten Fluch aus. „Es tut mir leid, dass ich einfach so für dich mitbestellt habe. Das ist eine alte Angewohnheit. Ich habe nicht nachgedacht. Ich wollte dich wirklich nicht aufregen.“

Tränen stiegen ihr in die Augen. Wenn sie noch einmal blinzelte, würde sie anfangen zu weinen. Aber sie konnte nicht – würde nicht – vor Grady weinen. Sonst würde er an ihrer Entscheidung zweifeln. Und wenn er sie zu sehr bedrängte, würde sie wahrscheinlich nachgeben. Dann würde sie das nächste Jahr und das übernächste und vielleicht sogar den Rest ihres Lebens in dieser schrecklichen Leere gefangen bleiben. So hatte sie schon viel zu lange gelebt.

Es war höchste Zeit. Sie musste sagen, warum sie hergekommen war, bevor ihre Gefühle die Oberhand gewannen. Bis nach dem Essen zu warten kam ihr jetzt absurd und sinnlos vor. Sie wollte etwas sagen, aber sie brachte keinen Ton heraus.

Unausgesprochene Gefühle bildeten eine unsichtbare Wand zwischen ihnen. Grady starrte sie mit zusammengepressten Lippen und dunklen Augen an. Allmählich schien er zu begreifen. Mühsam atmete er aus. „Es geht gar nicht um das Hühnchen, oder?“

„Nein.“

„Worum dann, Olivia?“

Sie konnte es noch nicht herausbringen. Erinnerungen daran, wie glücklich sie früher waren, gingen ihr durch den Kopf.

„Also?“ Er klang resigniert. Als ob er wusste, was kommen würde, und es einfach nur hinter sich bringen wollte.

Sie hob das Kinn und sah ihm in die Augen. Das half ihr, sich wieder auf ihren Plan zu besinnen. Ganz egal, wie schön es früher war, Erinnerungen waren nicht genug. „Ich will die Scheidung“, sagte sie leise.

„Was hast du gesagt?“

„Ich habe gesagt, dass ich mich scheiden lassen will.“ Ihr Herz klopfte so heftig, dass es fast wehtat. „Es tut mir leid, Grady. Aber es ist Zeit. Das weißt du genau.“

„Davon weiß ich überhaupt nichts.“ Grady kniff die Augen zusammen. „An einer Scheidung bin ich nicht interessiert. Und wir haben noch einiges vor uns, bevor ich willens bin, darüber auch nur nachzudenken.“

„Wie lange denn noch? Wir sind jetzt schon zwei, beinahe drei Jahre nicht mehr wirklich zusammen.“

„Wir waren sieben Jahre lang glücklich miteinander.“

„Das war ein anderes Leben.“

„Das ist unser Leben, Olly. Dein Leben und mein Leben. Warum willst du uns keine Chance geben?“ Er klang frustriert. „Wovor hast du solche Angst?“

„Ich habe keine Angst. Aber du bist vor neun Monaten ausgezogen. Es gibt keinen Grund, sich weiter etwas vorzumachen, Grady.“ Erneut reckte sie das Kinn. „Unsere Ehe ist zu Ende.“

„Ich bin nur ausgezogen, weil du mich darum gebeten hast.“ Heftig fuhr er sich mit den Fingern durchs Haar.

Sie atmete tief durch. Dann sagte sie: „Es ist vorbei. Das musst du doch wissen.“

Ungläubig schüttelte er den Kopf. „Ich weiß, dass uns noch sehr viel verbindet. Sag mir, dass ich mich irre.“

Das tat so unglaublich weh. „Nein, da irrst du dich nicht“, flüsterte sie mit zitternder Stimme. „Da sind schon noch Gefühle. Wahrscheinlich werden wir immer etwas füreinander empfinden. Aber wir können eben nicht …“

„Was?“, fragte er. „Was können wir nicht?“

„Zurück. Wieder so sein wie früher. Das Rad zurückdrehen.“ Gott, wie sehr sie sich das doch wünschte. Sie unterdrückte ein Schluchzen.

Da wurde seine Miene ganz weich. Er schloss die Augen und holte so tief Luft, dass er es noch in den Zehenspitzen spüren musste. Als er die Augen wieder aufmachte, sah sie keinen Frust mehr. Stattdessen erblickte sie Mitleid und den tiefen Schmerz, dem sie bei jedem Blick in den Spiegel ausgesetzt war. Nur das verband sie noch miteinander: Schmerz und Verlust. Wie sollte man auf so einer Grundlage etwas aufbauen?

„Du hast recht. Ich würde alles geben, um zu ändern, was geschehen ist. Aber das kann ich nicht, Süße. Und du auch nicht. Es wird nie wieder so sein wie früher. Aber wir können wieder glücklich sein. Daran glaube ich, Olly. Wenn du uns nur eine Chance geben würdest.“ Stur presste er die Lippen zusammen. „Es sei denn … Gibt es einen anderen?“

„Nein“, sagte sie sofort. „Aber das liegt vielleicht auch daran, dass wir auf dem Papier noch verheiratet sind.“

„Ich will keine andere Frau“, knurrte er.

„Schön! Aber vielleicht will ich einen anderen Mann! Vie…vielleicht bin ich soweit, wieder auszugehen.“ Diese Lüge sagte sich so leicht, auch wenn es in ihrem Herzen ganz anders aussah. „Vielleicht bin ich bereit, darüber hinwegzukommen.“

„Dann lass uns das gemeinsam tun. Geh mit mir aus.“

Bei ihm hörte sich das so einfach an. Als ob ein Ja genügen würde, um alles wieder ins Lot zu bringen. Und sie wollte so gerne Ja sagen. Aber in den letzten neun Monaten hatte sie mehr Seelenfrieden gefunden als vor seinem Auszug. Deswegen war ihre Antwort klar. „Das kann ich nicht. Das führt doch zu nichts. Es ist jetzt drei Jahre her, seit wir zusammen glücklich waren, Grady.“

„Jawohl“, stimmte er ihr überraschenderweise zu. „Aber haben wir in diesen drei Jahren eine Therapie versucht? Haben wir auch nur ein einziges Mal offen und ehrlich über das gesprochen, was passiert ist?“ Er schüttelte den Kopf. „Nein, das haben wir nicht. Also haben wir noch längst nicht alles versucht.“

„Dann sag mir bitte, dass die letzten neun Monate keine Erleichterung für dich waren!“

„Für mich waren sie die Hölle“, erwiderte er leise.

„Für mich nicht.“ Das war allerdings nicht ganz richtig. Sie hatte ihren Mann vermisst. Manchmal hatte sie sich geradezu schmerzhaft nach ihm gesehnt. Danach, seine Stimme zu hören, nachts seine Arme um sich zu spüren. Aber vor allem hatte sie Erleichterung verspürt. „Ich … ich brauche deine Zustimmung nicht, um die Scheidung einzureichen.“

„Nein, die brauchst du nicht. Aber das heißt noch lange nicht, dass ich kampflos aufgebe.“

„Es wäre einfacher, wenn du zustimmst. Ich will mich nicht mir dir streiten“, gab sie hastig zu. „Aber ich kann nicht länger warten. Bitte versteh das.“

„Was soll ich verstehen? Ich liebe dich, Olivia. Bedeutet dir das nichts mehr?“

Sie liebte ihn ja auch. Immer noch. Wahrscheinlich würde sie ihn immer lieben. Aber manchmal war Liebe eben nicht genug. „Nein, Grady. Tut es nicht.“ Innerlich ließ ihr Tonfall sie zusammenzucken. Noch eine Lüge. Aber es gab kein Zurück mehr. „Ich brauche die Scheidung. Irgendwie muss ich weiterleben. Und das kann ich erst, wenn unsere Ehe offiziell vorbei ist.“

Grady wirkte geschlagen. Doch dann verzerrte sich sein Gesicht, als heftige Gefühle in ihm aufwallten. „Was würde Cody dazu sagen? Hast du darüber schon mal nachgedacht?“

Seine Worte trafen sie bis ins Mark, erschütterten sie zutiefst. „Lass Cody aus dem Spiel.“

„Komm schon, Olivia. Lass uns ausnahmsweise mal ehrlich miteinander sein.“ Grady ballte die Hände zu Fäusten. „Hier geht es doch nur um Cody. Also frage ich dich noch mal: Was würde unser Sohn dazu sagen?“

Da verlor sie die Fassung, die sie bisher so mühsam bewahrt hatte. Sie musste hier weg – weg von ihm. Sie stand auf und warf ihrem Mann einen eisigen Blick zu. „Ich werde Samantha bitten, sich um die Formalitäten zu kümmern. Du solltest dir einen Anwalt nehmen.“

Mit diesen Worten verließ sie das Restaurant. Sie zitterte am ganzen Körper. Trauer, Schock und Wut durchfuhren sie. Wie konnte er es wagen? Ihren Sohn in diese Sache hineinzuziehen war falsch.

Sie erreichte ihren Wagen, ohne eine Träne zu vergießen. Wahrscheinlich würde Grady nach ihr suchen. Um sicher zu sein, dass es ihr gut ging. Und um sie zu trösten. Also fuhr sie erst mal ein Stück und hielt dann auf einem Parkplatz vor einem Supermarkt an.

Dann erst stützte sie sich mit überkreuzten Armen aufs Lenkrad und weinte sich aus. Lieber Gott, sie vermisste Grady so sehr. Aber ihr kleiner Junge fehlte ihr noch viel mehr. Und darum war es so schwierig, mit Grady zusammen zu sein. Denn Cody war seinem Vater wie aus dem Gesicht geschnitten gewesen. Jedes Mal, wenn Grady lächelte, sah sie Codys Lächeln vor sich. Wenn sie Grady in die Augen schaute, waren es die Augen ihres Sohnes. Sogar ihr Lachen war gleich. Die Ähnlichkeit zwischen Vater und Sohn erschütterte sie jedes Mal, wenn sie Grady ansah.

Sie liebte ihren Ehemann noch so sehr wie am Tag ihrer Hochzeit. Aber das spielte keine Rolle. Es war auch egal, dass ihr Leben sich ohne ihn ganz leer anfühlte. All das hatte keine Bedeutung gemessen am Verlust ihres Kindes.

Grady glaubte, dass sie ihm die Schuld am Tod ihres Sohnes gab. Doch das stimmte nicht. Im Gegenteil. Vor sich selbst konnte sie zugeben, wie viel einfacher alles wäre, wenn sie Grady dafür verantwortlich machen könnte. Ihm könnte sie verzeihen. Sich selbst zu vergeben erschien ihr dagegen unmöglich.

Denn es war ihre Schuld, dass ihr Mann und ihr Sohn zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen waren. Es war ihre Schuld, dass die beiden auf eisglatten Straßen im Auto unterwegs gewesen waren. Sie hatte Codys Besuch beim Weihnachtsmann wochenlang vor sich her geschoben. Und dann hatte sie Cody den Floh ins Ohr gesetzt, Daddy zum Weihnachtsmann mitzunehmen. Und als Grady ihr vorgeschlagen hatte, einen Familienausflug daraus zu machen, hatte sie sich für die Idee eines Abenteuers nur für Vater und Sohn stark gemacht. Bis Grady zugestimmt hatte.

Selbstsüchtig hatte sie ein paar Stunden nur für sich haben wollen, um sich vom Weihnachtsrummel zu erholen. Nur darum hatte sie alles verloren, was ihr je etwas bedeutet hatte.

Darum konnte sie nicht mehr mit Grady zusammen sein. Grady weckte zu viele Erinnerungen in ihr, zu viele Gefühle. Mit ihm würde sie nie wieder auch nur ansatzweise ihren Seelenfrieden finden.

Fünfundvierzig Minuten später durchquerte Grady den Friedhof und blieb erst stehen, als er das Grab seines Sohnes erreicht hatte. Inzwischen war es fast drei Jahre her, seit er das letzte Mal Codys Lachen gehört hatte. Drei Jahre, seit er sein Kind zum letzten Mal umarmt hatte. Wie war das nur möglich?

Normalerweise schaffte es Grady, die schmerzhafte Leere zu überwinden und weiterzumachen. Er bewältigte den Alltag und konnte so tun, als ob er ein ganz normaler Mann war. Nur hier musste er niemandem etwas vorgaukeln. Dafür gab es hier keinen Grund. Hier war er mit seinem Sohn allein.

Er zitterte. Wegen der Erinnerungen und wegen des Schnees, der inzwischen die ganze Stadt überhauchte. Die letzten Winter in Portland, Oregon, waren alle schneereicher gewesen, als man es hier gewohnt war. Aber Grady konnte sich nicht erinnern, dass es je so früh im Jahr geschneit hatte. Vielleicht war es albern und sentimental, aber es kam ihm fast so vor, als ob Cody ihm ein Zeichen geben wollte. Sein Sohn hatte den Winter geliebt.

Grady bückte sich und wischte die Schneeflocken von den Buchstaben, die den Namen seines Sohnes formten. Es war einfach nicht richtig, dass er Cody verloren hatte. Und es war auch nicht fair. Aber verdammt, wann war das Leben schon fair? So etwas passierte eben. Und bei manchen Tiefschlägen hatte man das Gefühl, man würde sich nie wieder erholen. Aber man musste weitermachen. Irgendwie musste man das durchstehen, an sich halten, überleben.

„Hey, Kleiner. Ich habe heute viel an dich gedacht. Eigentlich tue ich das immer.“ Bei diesen Worten schnürte es Grady die Kehle zu. Doch er sprach weiter. Egal wie hart die Besuche am Grab seines Sohnes für ihn waren, er wusste aus Erfahrung, dass er sich dadurch Cody näher fühlte. „Heute Abend habe ich deine Mom getroffen. Du hättest sie sehen sollen, mein Junge. Sie war so wunderschön.“

Olivia hatte ihr langes dunkelbraunes Haar offen getragen. Es hatte ihr Gesicht umrahmt und ihre bezaubernden blauen Augen betont. Bei ihrem Anblick hatte er sich sofort wieder aufs Neue in sie verliebt. Himmel, was war er doch für ein Narr. Als Olivia ihn zum Abendessen eingeladen hatte, da war er sicher gewesen, dass es endlich soweit war: Sie würden sich aussprechen und versöhnen.

„Ich will sie nicht aufgeben“, flüsterte Grady der kalten Nachtluft zu. „Ich verspreche dir, ich versuche es weiter, Cody. Aber ich muss ihr jetzt ein paar Tage Zeit geben, um sich zu beruhigen. Ich bin schuld, dass sie sich heute Abend so aufgeregt hat. Dabei wollte ich das überhaupt nicht.“

Als Olivia ihn im Restaurant zurückgelassen hatte, wäre er am liebsten aufgesprungen und hinter ihr hergelaufen. Aber er hatte sich gezwungen zu bleiben, wo er war. Dass er Cody erwähnt hatte, hatte sie hart getroffen. Wahrscheinlich hätte er das nicht tun sollen. Doch er sehnte sich danach, mit Olivia über Cody zu sprechen. Eines war allerdings jetzt klar: Sie war noch nicht bereit dazu. Nach dem heutigen Abend fragte er sich, ob sie es je sein würde.

Er hatte geglaubt, dass Olivia und er mit genügend Abstand wieder zusammenfinden würden. Also hatte er darauf gewartet, dass Olivia wieder auf ihn zugehen würde. Dass sie endlich all das aussprechen würde, was sie bisher nicht gesagt hatte. Dann könnten sie ihre Ehe hoffentlich retten. Doch jetzt hatte sie ihn um die Scheidung gebeten.

„Ich wünschte …“ Grady sprach nicht weiter. Genau wie Olivia wollte er das Rad zurückdrehen, zu dem stürmischen Wintertag vor fast drei Jahren. Zwei Tage vor Weihnachten wollte der fünfjährige Cody damals unbedingt noch den Weihnachtsmann besuchen. Ehrlich gesagt hatte Grady keine Lust dazu gehabt. Er hätte viel lieber mit seinem Sohn im Schnee gespielt, als sich durch Menschenmassen zu wühlen.

Aber Cody hatte ihn mit seinen großen braunen Augen angesehen und gebettelt, wie nur Fünfjährige es können. Also hatten sie sich auf den Weg gemacht. Grady würde nie vergessen, wie unsagbar glücklich Cody gestrahlt hatte, als er beim Weihnachtsmann auf dem Schoß gesessen war. Für dieses Lächeln hatte Grady die Tortur des überfüllten Einkaufszentrums mit den langen Warteschlangen gerne auf sich genommen.

Als sie wieder aufgebrochen waren, hatte es heftig geschneit. Eine Minute lang – eine ganze verdammte Minute lang – hatte Grady überlegt, ob sie warten sollten, bis der Schneesturm wieder abflaute. Doch er hatte sich Sorgen gemacht, dass es nur noch schlimmer werden würde. Also hatte er beschlossen, nach Hause zu fahren. Wo Olivia auf sie wartete.

Ja, er würde wirklich alles geben, um diesen Tag noch einmal zu durchleben und mit seinem Sohn Schneemänner zu bauen, statt ins Einkaufszentrum zu fahren. Oder um wenigstens eine Stunde früher wieder nach Hause zu fahren – oder später. Verdammt, eine Viertelstunde hin oder her, und alles wäre vielleicht ganz anders gelaufen. Dann wäre er nicht einem betrunkenen Autofahrer in die Quere gekommen.

Erneut streichelte er mit den Fingerspitzen über den Namen seines Sohnes.

„Deine Mom gibt mir die Schuld, Cody. Sie schwört zwar, dass sie das nicht tut, aber ich weiß es besser. Wenn sie mich nur anschreien würde! Wenn sie nicht versuchen würde, unsere Gefühle zu schonen, hätten wir vielleicht noch eine Chance.“

Grady konnte Olivia sogar verstehen. Wahrscheinlich ginge es ihm genauso, wenn Olivia an jenem Tag am Steuer gesessen hätte. Er konnte nachvollziehen, warum sie ihm Vorwürfe machte. Verdammt, er konnte ja nicht aufhören, das selbst zu tun.

Reglos stand Olivia da. Irgendwie wurde ihr ganz warm ums Herz, als sie Grady am Grab ihres Sohnes knien sah. Seit dem schrecklichen, zermürbenden Tag, an dem sie ihren Sohn begraben hatten, waren sie nicht mehr zusammen hier gewesen.

Sie schluckte schwer. So versuchte sie, das Engegefühl abzuschütteln, das ihr den Brustkorb zusammenschnürte. Ein ersticktes Schluchzen entschlüpfte ihr. Der Novemberwind wehte den Klang von Gradys Stimme zu ihr herüber. Merkwürdigerweise war das irgendwie tröstlich.

Wie seltsam, dass seine Nähe ihr so wehtat, wenn dieser Augenblick – einfach nur seine Stimme zu hören – die Panik und die Pein linderte. Vielleicht lag es an der sicheren Entfernung. Oder daran, dass er von ihrer Anwesenheit nichts ahnte. Vielleicht fühlte sie sich auch nur besser, weil sie endlich eine Entscheidung gefällt hatte, was ihre Ehe anging.

Autor

Tracy Madison
Die preisgekrönte Schriftstellerin Tracy Madison ist in Ohio zu Hause, und ihre Tage sind gut gefüllt mit Liebe, Lachen und zahlreichen Tassen Kaffee ... Die Nächte verbringt sie oft schreibend am Computer, um ihren Figuren Leben einzuhauchen und ihnen ihr wohlverdientes Happy End zu bescheren. Übrigens bekommt Tracy Madison sehr...
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