Ein gefährlich prickelndes Spiel

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"Ich biete Ihnen fünfhundert Dollar, wenn Sie heute Abend meine Freundin spielen." Abby stockt der Atem. Der sexy Multimillionär Matthew Smythe ist wirklich unverschämt, schließlich sollte sie nur das Dinner für seine Gäste vorbereiten! Doch seltsamerweise macht sein anzügliches Angebot sie nicht nur wütend - es löst auch ein höchst erregendes Prickeln in ihr aus. Und gegen jede Vernunft sagt Abby zu. Natürlich stellt sie dabei klar: "Ich werde nicht mit ihnen schlafen!" Auch wenn sie bereits ahnt, dass sie gegenüber Matthews Verführungskünsten machtlos sein wird …


  • Erscheinungstag 07.04.2015
  • Bandnummer 1866
  • ISBN / Artikelnummer 9783733721084
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

Mit langen Schritten strebte Matthew Smythe wütend in den leeren Raum, seine persönliche Assistentin im Schlepptau. Sie wirkte wie ein kleines Ruderboot, das hilflos im brodelnden Kielwasser eines Schlachtschiffes trudelt. „Wieso ist nichts vorbereitet?“, blaffte Matthew. „Wo steckt Belinda?“

Paula Shapiro seufzte ergeben. „Sir, sie hat heute Morgen gekündigt. Schon vergessen?“ Aber wie immer hörte der Präsident von Smythe International nur das, was er hören wollte.

„Lächerlich! Die Frau hat doch erst vor zwei Monaten angefangen.“

„Ich denke, dass der Job ihr, wie den anderen auch, zu …“, Paula suchte nach einem unverfänglichen Wort, „… zu anspruchsvoll war. Es ist nicht leicht, aus dem Stehgreif solche Events auf die Beine zu stellen.“ Oder die Launen des Chefs zu ertragen, fügte sie im Stillen hinzu.

„Einen geschmackvollen Empfang für ein paar Kunden zu organisieren – wie schwierig kann das sein?“, brummte Matt und schaute sich stirnrunzelnd in dem kahlen Raum um. Längst hätte eine Bar aufgebaut sein sollen, ganz zu schweigen von einem üppigen Büfett importierter Köstlichkeiten, das die getönte Glasfront mit dem atemberaubenden Blick auf die Chicagoer Skyline hätte säumen sollen. Anstelle der Metallklappstühle hätten komfortable Sitzgelegenheiten bereitstehen müssen.

Vage erinnerte er sich daran, dass die letzte in einer langen Reihe von Kundenbetreuerinnen heute Morgen aufgeregt und verärgert gewirkt hatte. Aber er hatte Wichtigeres um die Ohren gehabt und nichts auf ihre Hysterie gegeben. Hätte er es doch getan! Paula war nicht im Büro gewesen, weil sie etwas für ihn erledigt hatte, ansonsten hätte sie das sich anbahnende Desaster gewittert. Jetzt war es zu spät.

Aufgebracht starrte er auf seine Armbanduhr. In weniger als zwei Stunden würden die Gäste eintreffen. Er fuhr sich mit den Fingern durchs dichte, dunkle Haar. „Was sollen wir tun? Irgendeine Idee?“

„Ich könnte Ihren Caterer anrufen“, schlug Paula zögernd vor.

Matt schüttelte den Kopf. „Und morgen Mittag würde Franco dann endlich mit einem einzigen ausgefallenen Dip auftauchen. Nein, kümmern Sie sich darum. Wir haben alles hier, was Sie brauchen.“

„Lord Smythe!“ Paula senkte das Kinn, verengte die Augen und stemmte die Fäuste in die ausladenden Hüften.

Das war kein gutes Zeichen, wie Matt wusste. Paula war eine intelligente Frau mittleren Alters mit dauergewellten blonden Haaren. Ihre Brille war an den Ecken des spitz zulaufenden Gestells mit Glitzersteinchen besetzt. Paula herrschte kompetent über sein Büro und machte willig Überstunden, wofür er sie großzügig entlohnte. Aber wenn sie ihn mit seinem Adelstitel anredete und das Kinn senkte, hieß das, dass er zu weit gegangen war.

„Es ist gerade einmal fünf Minuten her, dass ich Sie daran erinnert habe.“ Ihr funkelnder Blick wurde durchdringend. „Ich muss meinen Jüngsten zum Zahnarzt bringen.“

„Oh … ja, natürlich. Tut mir leid. Fällt Ihnen sonst noch etwas ein, wodurch sich dieser Empfang retten ließe?“ Er könnte das Büfett selbst aufbauen, wusste jedoch nicht, ob das eine gute Idee war. Und damit hätte er noch immer niemanden, der sich um die Gäste kümmerte, was Belindas zweite Aufgabe gewesen wäre.

„Falls Sie in der Klemme stecken …“, ertönte eine sanfte weibliche Stimme in seinem Rücken, „… könnte ich die Sache in die Hand nehmen.“

Matt fuhr herum. In der Tür zum Konferenzzimmer stand eine zierliche junge Frau. Das Erste, was ihm auffiel, war ihre rote Mähne. Draußen musste es windig sein, denn einzelne Strähnen standen in alle Richtungen ab. Dennoch umrahmte das Haar ihre elfenhaften Züge überaus vorteilhaft und glänzte sogar in zerzaustem Zustand. Die zweite Besonderheit an ihr waren die langen Beine. In weniger konservativer Kleidung als dem marineblauen Kostüm, dessen Rock brav die Knie bedeckte, würde sie auf der Straße wahrscheinlich für ein Verkehrschaos sorgen. Matt musterte sie eingehender. Das flammend rote Haar hatte ihn darauf tippen lassen, dass ihre Augen grün waren, aber tatsächlich strahlten sie in einem satten Mokkabraun. Etwas durchzuckte ihn heiß. „Wer sind Sie?“, knurrte er.

Sie hatte ihre Visitenkarte schneller gezückt, als John Wayne seinen Colt hätte ziehen können. Sie trat vor und überreichte ihm die kleine pinkfarbene Karte.

„Abigail Benton.“ Sie betonte jede Silbe. „Ich repräsentiere das Cup and Saucer, einen Coffeeshop hier in Chicago. Vielleicht kennen Sie uns?“ Sie wartete seine Antwort nicht ab. Worte sprudelten ihr über die vollen Lippen, die sie mit einem sinnlich beerenfarbenen Lipgloss geschminkt hatte. „Ich habe hier im Gebäude einen Termin, bin aber früh dran. Wenn Sie möchten, richte ich den Raum für Sie her. Wie viele Gäste erwarten Sie?“

Matt sah die junge Frau abschätzend an. Ihre geröteten Wangen und der Umstand, dass sie halb auf den Zehenspitzen stand, wiesen darauf hin, dass sie nicht ganz so selbstsicher war, wie sie vorgab. Trotzdem war ihr Auftritt verdammt überzeugend. Und er musste zugeben, dass er tatsächlich in der Bredouille saß. Was immer sie für ihn tun könnte, wäre besser als nichts. „Wir sind zu siebt, außer mir kommen drei Paare.“ Er wandte sich zum Gehen. „Paula, zeigen Sie ihr alles, und dann fort mit Ihnen, damit der junge Mann zum Zahnarzt kommt.“

Am Schreibtisch in seinem Büro zog Matt sich die Akten über seine Gäste heran. Die Schriftstücke bedeckten das goldene Familienwappen, das ins Leder der Schreibtischunterlage eingeprägt war. Er ging die persönlichen ebenso wie die geschäftlichen Profile in jedem Ordner durch. Bald allerdings schob er alles entnervt beiseite, weil er unfähig war, sich zu konzentrieren. Alles, was er vor seinem geistigen Auge sah, war der lodernd rote Schopf … und ihre Augen. Abigail Bentons Augen waren wirklich außergewöhnlich.

Unbarmherzig zwang er seine Aufmerksamkeit zurück auf die anstehende Aufgabe.

Die unmittelbare Katastrophe war abgewendet, aber was zum Teufel sollte aus den restlichen Meetings in dieser Woche werden? Und nächste Woche? Sein Terminplan quoll über. Er brauchte händeringend eine Angestellte, die sich seiner Kunden annahm. Smythe International pflegte den Ruf, seine Geschäftspartner überaus stilvoll zu bewirten: Sein Unternehmen gab glanzvolle, aber legere Dinnerpartys für Exporteure aus Übersee und Empfänge in gemütlicher Atmosphäre für amerikanische Einzelhändler, deren exklusive Läden Matt belieferte.

Sich in puncto Bewirtung spendabel zu zeigen, hatte sich für Matthew Smythe, den siebten Earl of Brighton, rentiert. Sein Katalog umfasste Hunderte Delikatessen aus aller Welt – die berühmte Valrhona-Schokolade aus Frankreich, neapolitanischen Kaffee, türkische Gewürze und feine Plätzchen aus England, die sich an einem gemütlichen Nachmittag zu einer nach Bergamotte duftenden Tasse Earl Grey genießen ließen.

Doch damit alles reibungslos lief, brauchte er zuverlässiges Personal. Gleich morgen würde er einige Anwärterinnen für Belindas Position zum Vorstellungsgespräch bitten. Aber bis dahin …

Sein Blick fiel auf die Visitenkarte, die er geistesabwesend auf den Schreibtisch hatte fallen lassen. Abigail, ein altmodischer Name für eine solch wilde Schönheit. Sie war jung, und falls er ihre Körpersprache richtig gedeutet hatte, war sie noch unerfahren in ihrem Metier. Vielleicht auch in anderen Bereichen. Hinter ihrem strahlenden Enthusiasmus verbarg sich Nervosität. Vermutlich war es verrückt, eine Fremde mit einer solch wichtigen Aufgabe zu betrauen. Aber er konnte sie ihr Möglichstes tun lassen – oder seine Gästeschar in ein Restaurant ausführen. Letzteres würde weder den Absatz seiner Produkte ankurbeln noch seinem Image dienen. Also musste er das Risiko auf sich nehmen.

Abby stand in der Mitte einer riesigen klimatisierten Kammer und schaute sich so aufgeregt um wie ein Kind, das man im Süßwarenladen sich selbst überlassen hat. Seit neun Monaten arbeitete sie nun für das Cup and Saucer. Es war besser, als im Kaufhaus Parfüm zu verkaufen oder in einem Schnellrestaurant zu kellnern. Während ihres Studiums an der Northwestern University hatte sie beides getan.

Das lag jetzt hoffentlich hinter ihr. Inzwischen hatte sie eine Festanstellung ergattert. Zwar erhielt sie nur den Mindestlohn, aber dafür wurde sie am Gewinn beteiligt! Und sie liebte ihren Job.

Zwei Tage vor ihrem fünfundzwanzigsten Geburtstag hatte sie die Abschlussarbeit für ihren Master in Handelsmarketing fertiggestellt. Anschließend war sie auf Jobsuche gegangen. Sie hatte sich gedacht, dass sie sich ebenso gut für eine Stelle bewerben konnte, die ihr gefiel. Als Studentin hatte sie sich gern dann und wann einen Cappuccino oder Kräutertee im Cup and Saucer gegönnt – wenn sie sich diesen Luxus gerade hatte leisten können. Aber selbst wenn es um ihre Finanzen nicht zum Besten stand, hatte sie leidenschaftlich gern im kunterbunten Angebot an exotischen Tee- und Kaffeesorten, Konfekt aus aller Welt, zart-knusprigen Pasteten, hausgemachten Cranberry-Orangen-Muffins und Keksen mit Schokosplittern gestöbert. In dieser Welt könnte sie es für den Rest ihres Lebens aushalten.

Bei ihrem letzten Besuch auf der heimatlichen kleinen Farm südlich von Alton, Illinois, hatte sie ihrer Mutter ihren Traum anvertraut. „Ich werde ein paar Jahre lang arbeiten und sparen und alles lernen, was ich über die Feinkostbranche wissen muss“, hatte sie erklärt. „Anschließend eröffne ich einen kleinen Laden unten am Navy Pier in Chicago – das wäre traumhaft.“ Sie bebte förmlich vor Aufregung.

„Klingt gut, Liebes“, hatte ihre Mutter nachsichtig lächelnd erwidert und ihr den Arm getätschelt. Eine Frau sollte ruhig ein Hobby haben, bis sie eine Familie gründete – diese Ansicht ihrer Mutter hatte unausgesprochen im Raum gestanden. Abby hatte nur geseufzt. Ihre Mutter verstand ihre Träume eben nicht.

Dabei wünschte sie sich natürlich trotzdem einen Mann und Kinder, aber zunächst wollte sie sich selbst verwirklichen.

Mit frischem Mut machte sie sich daran, Gläser mit importierten Calamares und schwarzen Oliven aus Spanien, mit Wachsrinde überzogene Stilton- und Brie-Ecken, Cracker in farbenfrohen Verpackungen sowie frisches Obst und aufwendig verzierte Keksdosen aus den Regalen zu nehmen. Sie würde Süßes und Salziges, herzhaft Pikantes und aromatisch Mildes ausgewogen kombinieren, da sie den Geschmack der Gäste nicht kannte. Nachdem sie ihre Beute beiseitegelegt hatte, öffnete sie die schwere Tür zum Kühlraum und holte Brötchen, Pasteten, Brot und Fleisch heraus.

Wo hatte der Mann all diese Leckereien her? Abby merkte sich Markennamen und Herkunftsorte. Wer immer der Kerl war, für den sie hier das Büffet aufbaute, er war ein Gourmet und hatte ein Händchen für die richtigen Bezugsquellen. Womöglich kaufte er sogar bei Smythe International ein; immerhin befand er sich in demselben Gebäude wie das namhafte Delikatessen-Unternehmen. Sogar auf derselben Etage. Leider fand Abby nirgends einen Firmennamen, der verraten hätte, wem der Konferenzraum gehörte.

Sie sah auf die Uhr und keuchte entsetzt. Sie musste sich beeilen!

Als sie vierzig Minuten später fertig war, wirkte das Konferenzzimmer einladend und ansprechend. An der Bar standen sowohl gekühltes Quellwasser und heißes Wasser für Kräutertee als auch eine Auswahl an Weinen und Cocktail-Zutaten bereit. Auf einem runden Tisch wartete ein Büfett aus importierten und heimischen Delikatessen auf die Gäste.

Abby war versucht zu naschen, denn sie war hungrig. Aber ihr blieb nicht einmal mehr die Gelegenheit, jemandem Bescheid zu sagen, dass sie mit der Arbeit fertig war. Es war höchste Zeit für ihren Termin! Atemlos stürmte sie den Flur entlang und entzifferte im Laufen die Nummern an den Bürotüren. Sie war bereits zehn Minuten zu spät, aber mit etwas Glück war auch der Handelsvertreter unpünktlich. Normalerweise kamen die Vertreter ins Cup and Saucer, aber Abby hatte den geplanten Termin als Vorwand genommen, einen Blick in die Räumlichkeiten des berühmten Delikatessen-Importeurs zu werfen.

Schließlich entdeckte sie das Firmenschild von Smythe International, stürzte durch die Tür – und prallte gegen eine Wand aus Muskeln. „Uff“, machte der Mann im Anzug.

„Oh, tut mir leid, ich …“ Sie brach ab, als sie unwillkürlich rückwärts stolperte. Der Mann packte sie mit festem Griff an den Schultern und half ihr, das Gleichgewicht wiederzufinden.

Langsam hob sie den Blick und erkannte den auffallend attraktiven Mann von vorhin. Verwirrt runzelte sie die Stirn. „Tut mir schrecklich leid“, brachte sie atemlos heraus. „Ich war … ein wenig in Eile.“

Er starrte sie finster an. „Gibt es etwa ein Problem?“

„Nein, keineswegs. Der Raum ist fertig.“

Kritisch musterte er ihr Haar, ehe er ihr Kostüm von der Stange auf eine Weise in Augenschein nahm, die sie verlegen machte. „Sie werden sich umziehen müssen“, beschied er ihr.

„Wie bitte?“

„Diese biedere Aufmachung passt wohl kaum zu unseren exklusiven Genüssen und den ausgezeichneten Weinen.“

Sie starrte ihn an. Zum ersten Mal wurde ihr bewusst, wie groß er war, verglichen mit ihren gerade mal eins sechzig. Sie schätzte ihn auf gut einen Meter neunzig. Ein Fels von einem Mann. Und etwas an ihm kam ihr seltsam bekannt vor, wenngleich sie bezweifelte, ihn je zuvor getroffen zu haben. „Das ist wohl ein Missverständnis.“ Sie schenkte ihm ein diplomatisches Lächeln, das ihn allerdings kaltließ. „Ich habe jetzt einen wichtigen Termin, und ich bin schon zu spät. Ich habe nur ausgeholfen, weil Not am Mann war.“

„Aus reiner Herzensgüte, richtig?“ Seine Stimme triefte vor Sarkasmus.

Abby versteifte sich, ihr Lächeln verblasste. „Richtig. Es gibt Menschen, die sind einfach nett. Und jetzt entschuldigen Sie mich bitte. Ich komme zu spät zu meinem Treffen mit dem Handelsvertreter von Smythe International.“ Sie wollte sich an ihm vorbeistehlen, aber er trat ihr mit einer fließenden Bewegung in den Weg.

„Ich habe Brian nach Hause geschickt.“

Sie runzelte die Stirn. Was redete er da? Die Art, wie er sie ansah, machte es ihr nicht gerade leichter, seinen Worten einen Sinn zu entnehmen. Es war, als zöge er sie mit seinem Blick aus. Und nicht nur die Kleidung; sein Blick bohrte sich tiefer, als wollte er sie prüfen. Es gefiel Abby nicht, aber sie würde sich von diesem Mann nicht noch mehr aus der Fassung bringen lassen, als es ohnehin schon der Fall war. Sie hatte Wichtigeres zu tun. „Er kann unmöglich fort sein“, wandte sie ein. „Ich habe den Termin vor zwei Wochen vereinbart.“

Es war, als hätte der Mann vor ihr sie gar nicht gehört. „Wo wohnen Sie?“, wollte er wissen.

Unglaublich! Erst zog er sie mit dem Blick förmlich aus, und nun erwartete er, dass sie ihm ihre Adresse verriet. „Verzeihung, aber das geht Sie ja wohl kaum etwas an.“

„Verdammt, ich bin doch kein Weiberheld!“

Der altmodische Ausdruck wirkte komisch, so wie er es sagte. Bildete sie es sich ein, oder sprach er mit einem leichten ausländischen Akzent? Britisch vielleicht?

„Ich will nur wissen“, fuhr der Mann fort, „ob Ihnen noch Zeit bleibt, nach Hause zu gehen und sich vor dem Empfang umzuziehen. Falls nicht – Belinda dürfte einige Kostüme dagelassen haben.“ Wieder dieser durchdringende Blick. „Sie scheinen dieselbe Größe zu haben.“

Abby funkelte ihn an. „Ich gehe bestimmt nicht nach Hause, sondern zurück zur Arbeit, da ich meinen Termin hier offenbar verpasst habe.“

„Ah, richtig.“ Er hob den Blick und lächelte. „Der kleine Coffeeshop drüben an der Oak Street. Ich war einige Male dort.“ Er nickte, behielt seine Meinung jedoch für sich.

„Es tut mir leid, dass ich nicht bleiben und mich um Ihre Gäste kümmern kann. Aber ich bin sicher, dass Sie auch allein zurechtkommen.“

Er verkniff sich einen Einwand. „Rufen Sie Ihren Chef an und nehmen Sie sich den Rest des Tages frei. Ich biete Ihnen fünf große Scheine dafür, dass Sie lächeln und nett zu meinen Gästen sind, die jeden Moment eintreffen.“

Ihr blieb der Mund offen stehen. „Fünfhundert Dollar?“ Erst einen Herzschlag später drang die übrige Botschaft zu ihr durch. „Das ist nicht mein Bereich, Mr …“

„Matthew Smythe.“ Er streckte ihr die Rechte hin, und da ging ihr auf, wo sie ihn gesehen hatte … oder zumindest Fotos von ihm: auf der Titelseite der Zeitschrift Fortune. Automatisch ergriff sie seine Hand. Im Geiste ging sie durch, was sie bislang von sich gegeben hatte. Vermutlich hatte sie wie eine Verrückte geklungen.

„Sie sind der Präsident von Smythe International“, brachte sie schwach heraus. „Des drittgrößten Importunternehmens dieser Branche in den USA.“ Sie hatte sowohl im Wall Street Journal als auch in der Fortune und in der Gesellschaftsspalte der Chicago Tribune über ihn gelesen. Überall wurde er nur „der amerikanische Earl“ genannt. Lord Matthew Smythe gehörte der britischen Aristokratie an und hatte in Amerika ein zweites Vermögen gemacht.

„Wir stehen ganz gut da“, murmelte er wegwerfend. „Hören Sie, verstehen Sie mich bitte nicht falsch, Miss Benton, aber ich sitze in der Klemme. In einer Stunde stehen drei Vertreter florierender Einzelhandelsfirmen mitsamt Anhang vor der Tür.“ Er fuhr sich mit der Hand durchs akkurat geschnittene Haar, das umgehend wieder in Form fiel. „Einfach nur Proben meiner importierten Waren zu präsentieren, genügt nicht als Verkaufsargument. Ich brauche einen Partner, der sich unter die Gäste mischt, Kommentare aufgreift, die Damen unterhält und eine liebenswürdige Miene zur Schau trägt. Ich brauche Sie.“ Die letzten drei Worte klangen beinahe wie ein Grollen.

„Aber ich kann nicht …“ Sie wollte einwenden, dass sie über keinerlei Erfahrung verfügte, was die Bewirtung derart exklusiver Gäste anging. Doch der potenzielle Nutzen ließ sie ihre Schüchternheit überwinden. Einmal abgesehen von den fünfhundert Dollar und der Tatsache, dass dieser Mann ihr etwas schuldig war, wenn sie ihm jetzt aushalf – die Erfahrungen und Kontakte, die ihr ein solcher Abend einbringen würde, wären unschätzbar wertvoll. Es wäre dumm, Nein zu sagen!

Abby atmete tief durch. „Ich ziehe mich um und bin vor Ablauf der Stunde zurück.“

„Dieses Kleid sieht auch toll aus“, bemerkte Dee D’Angello, Abbys Mitbewohnerin. „Ich weiß nicht, wieso du solch einen Aufstand wegen einer läppischen Cocktailparty machst.“ Dee hockte auf Abbys Bett und schaute zu, während Abby innerhalb einer Viertelstunde das sechste Kleid anprobierte.

„Wenn du ihn gesehen hättest, würdest du es verstehen“, erwiderte Abby trocken. „Der Mann ist umwerfend. Und sein Anzug! Das war bestimmt eine Maßanfertigung.“ Sie streifte sich ein anderes Kleid über, betrachtete sich in der Spiegeltür ihres Kleiderschrankes und strich ein paar Falten glatt. „Ich wette, allein seine Krawatte kostet mehr, als ich pro Woche verdiene.“

„Klingt so, als wäre da jemand scharf auf dich, Süße“, sagte Dee versonnen.

„Sei nicht albern. Ich will diesen Abend nur überstehen, um ein wenig Insiderwissen zu sammeln. Smythe steht an der Spitze der Welt, zu der ich gehören möchte.“

„Und du glaubst, dass sein Glanz auf dich abfärbt?“

Lachend schüttelte Abby den Kopf. „So naiv bin ich nicht. Es ist schlicht eine Chance, in die Import-Export-Branche hineinzuschnuppern. Einige Stunden mit Lord Smythe und seinen einflussreichen Klienten sind mehr wert als ein Jahr an der Uni. Sogar mehr als fünf Jahre im Cup and Saucer.“

„Schön und gut“, räumte Dee ein. „Aber sei vorsichtig. Reiche Leute führen ein Leben auf der Überholspur.“

Abby schob ihre Füße in beigefarbene Riemchenpumps und begutachtete, ob sie zum Gesamtbild passten. „Was hast du gesagt?“, fragte sie abwesend.

„Gib nicht mehr, als du dir leisten kannst.“ Dee sah sie unter halb geschlossenen Lidern und dunklen Wimpern hervor an.

Abby lachte. „Du meinst, ich sollte nicht mit einem von Smythes Kunden ins Bett springen, nur um einen Deal für ihn zu sichern? Keine Bange, das habe ich nicht vor.“

„Was ist mit Smythe selbst? Er klingt zum Anbeißen.“

Zugegeben, die Vorstellung hatte ihren Reiz. Abby seufzte. „Der Earl mag blendend aussehen, aber sein Ego ist so groß wie der Mount Rushmore, und sein hochtrabendes Auftreten stellt sogar das britische Königshaus in den Schatten. Ich würde mich auf gar keinen Fall mit ihm einlassen.“

„Na, dann“, murmelte Dee und hob ein türkisfarbenes Etuikleid vom Bett auf. „Zieh dieses an.“

„Bist du sicher?“ Oder vielmehr: War sie sich selbst sicher? Wollte sie ihre ungefährliche, einfache Welt wirklich verlassen, um Cocktails zu schlürfen und Marktgeheimnisse von Leuten aufzuschnappen, deren Einkommen zehn-, wenn nicht gar hundertmal so hoch war wie ihres?

Sie erinnerte sich daran, welche Macht Matthew Smythe verströmt, wie er ihr den Weg versperrt hatte, bis sie eingeknickt war. Seltsamerweise hatte sein aggressives Gebaren sie erregt. Nun fragte sie sich, ob es klug war, wegen eines sinnlichen Prickelns ihren gesunden Menschenverstand zu vergessen.

Sie konnte immer noch einen Rückzieher machen. Schließlich schuldete sie ihm nichts.

Etwas jedoch zog sie zu der Suite im fünfzehnten Stock hin, von der aus man den Blick über den exklusiven Lake Shore Drive und das stählern glänzende Wasser des Lake Michigan schweifen lassen konnte. Binnen eines Atemzugs war ihr klar, dass sie hingehen würde.

Sie würde nicht kommen. Matt wusste es einfach. Sie hatte es versprochen, aber die nervöse kleine Maus in ihr hatte kalte Füße bekommen. Ich hätte ihr mehr Geld bieten sollen, dachte er, während er den Flur auf- und abschritt und bei jeder Kehrtwende die Aufzugtüren aus poliertem Messing fixierte. Zwei seiner Gäste mit Begleitung hatte er bereits willkommen geheißen und in den Empfangsraum geleitet.

Der Aufzug kam; die Türen glitten auf. Matt schaute auf und rang sich, seiner schwarzen Stimmung zum Trotz, ein verkrampftes Lächeln für seine letzten Gäste ab. Gerade wollte er mit festem Schritt auf sie zustreben, um sie zu begrüßen, als er jäh innehielt.

Der Abend war warm, weshalb Abigail sich kein Tuch umgelegt hatte. Ihre bloßen, mit blassen Sommersprossen besprenkelten Schultern schimmerten cremeweiß wie frische Milch. Das Kleid war trägerlos und schien durch reine Willenskraft an ihrem Körper zu haften. Es umschmeichelte ihre Formen, ohne aufreizend oder billig zu wirken. Der Schnitt war zu schlicht für ein Designerkleid, aber der erlesene Türkiston betonte ihr rostrotes Haar, das ihr in Wellen über die Schultern fiel. Matt gefiel alles, was er sah, wie auch all das, was er sich nur ausmalen konnte.

Sie trat aus dem Fahrstuhl, schaute ihn an und hob eine Braue, als wollte sie sagen: Was denn? Ich bin doch da.

„Sie sind spät dran“, brummte er schroff. „Vier meiner Gäste sind bereits da.“

„Was tun Sie dann hier draußen?“

Auf Sie warten, hätte er sie beinahe angefahren, hielt sich jedoch zurück. Sie sollte nicht wissen, dass er nicht mehr mit ihrem Erscheinen gerechnet hatte. Er ging zu ihr und legte eine Hand auf ihren Ellbogen, woraufhin sie sich versteifte. „Entspannen Sie sich“, sagte er. „Das dient nur dem Schein.“

„Dem Schein?“ Aus den Augenwinkeln sah sie ihn argwöhnisch an.

„Es macht die Sache leichter, wenn meine Gäste annehmen, dass die Dame, die sie betreut, zugleich meine …“

… meine Geliebte ist.

Wieso kam ihm ausgerechnet dieses Wort in den Sinn? „Wenn sie glauben, dass wir beide …“, fuhr er langsam fort.

„Ein Paar sind?“, half sie ihm und lenkte den Satz damit in weniger schlüpfrige Bahnen.

„Genau. Wenn ich über Geschäftliches spreche, fühle ich mich nicht gern verpflichtet zu flirten.“

„Stellt das ein großes Problem dar?“, erkundigte sich Abigail mit einem verhalten süffisanten Lächeln. „Kommt es oft vor, dass Sie schmachtende Kundinnen oder den weiblichen Anhang von Klienten abwehren müssen?“

So wie sie es sagte, klang die Sache banal. Aber gelegentlich hatte es ihn schon in Verlegenheit gebracht, wenn manche Frauen unverhohlen mit ihm flirteten. Geschäft war Geschäft. Sex hatte durchaus einen festen Platz in seinem Leben, aber er trennte beides strikt. „Falls Sie vorhaben, die Besserwisserin zu spielen, können Sie gleich wieder gehen“, knurrte er.

Sie straffte sich und blieb abrupt stehen. „Sie sind derjenige, der das Thema zur Sprache gebracht hat, Lord Smythe. Ich sollte ein wenig über Sie wissen, wenn ich vorgeben soll, Ihre Freundin zu sein.“ Sie funkelte ihn herausfordernd an, ehe ihr Blick sanfter wurde. „Haben Sie das ernst gemeint – das mit den fünfhundert Dollar?“

„Selbstverständlich.“

Sie nickte zufrieden.

Matt ließ sich nicht davon kränken, dass sie offenbar nur eine großzügige Abfindung für die unangenehme Aufgabe entschädigen konnte, seine Freundin zu spielen. Er hatte Rotschöpfe ohnehin nie ausstehen können, redete er sich ein. Allerdings hatte er noch keinen derart umwerfenden Rotschopf getroffen.

Er schob den Gedanken beiseite. Zurück zum Geschäftlichen … „Ein paar Dinge sollten Sie tatsächlich wissen, bevor wir hineingehen.“ Er atmete tief durch und konzentrierte sich auf ihr ernstes Gesicht. „Der stattlich gebaute Herr ist Ronald Franklin von …“

„Etwa von Franklin & James, die in jedem Einkaufszentrum landesweit eine Filiale haben?“, fiel sie ihm atemlos ins Wort.

„Ebender. Er und seine Gattin lassen sich nicht gern drängen. Also verkneifen Sie sich Kommentare über Produkte, Käufe oder Marketingstrategien. Unterhalten Sie die beiden einfach. Sie sind kürzlich Großeltern geworden, vielleicht versuchen Sie es auf dieser Schiene.“

Sie nickte und warf ihm einen leicht missbilligenden Blick zu. Er hatte keine Ahnung, warum. „Und das andere Paar?“, fragte sie.

„Ted Ramsey mit Begleiterin.“

Mehr brauchte er nicht zu sagen, erkannte er, als es in ihren Augen aufleuchtete. Sie war gut. Sehr gut.

„Der Casino-Mogul“, raunte sie.

„Mogul?“ Matt verkniff sich ein amüsiertes Lächeln. Die Bezeichnung schien ihm ein wenig hochgestochen für einen schlichten Immobilienspekulanten, der mit ein paar Grundstücken in Brooklyn angefangen hatte und inzwischen protzige Spielhöllen in Las Vegas und Atlantic City baute. In Matts Augen hatte der Bursche eine Menge Geld verschleudert und einfach nur Glück gehabt. Diese Art von schnellem, schluderigem Glück hielt oft nicht lange an. „Nennen Sie ihn, wie Sie wollen. Er erwägt, gehobene Geschäfte in seine Casinos zu integrieren und dort Importwaren anzubieten. Die Umsatzprognosen sind bombastisch. Ich wäre gern derjenige, der ihn beliefert.“

„Verständlich. Wie trete ich an ihn heran?“

„Gar nicht, sofern es sich vermeiden lässt. Seien Sie höflich, aber schenken Sie ihm kein aufreizendes Lächeln, sonst könnten wir ihn verlieren. Die Frau an seiner Seite ist neu, und er ist verrückt nach ihr. Man munkelt, dass sie zum eifersüchtigen Typ gehört. Beschäftigen Sie sich also mit ihr statt mit ihm. Behandeln Sie sie wie eine Königin und meiden Sie Blickkontakt mit ihm.“

Kopfschüttelnd stieß Abigail die Luft aus. „Woher wissen Sie das alles? Lassen Sie CIA-Agenten für sich spionieren?“

„Ganz so dramatisch ist es nicht.“ Aber in seine Geschäftspraktiken würde er sie nicht einweihen. „Kommen Sie, gehen wir hinein. Die Duprés sollten auch bald hier sein. Mrs Dupré gehört eine Kette von Souvenirläden mit Filialen in ganz New England.“

Sie ließ sich durch die Tür führen. Die beiden anwesenden Paare drehten sich um, und Matt stellte Abigail vor. Wenige Minuten später hatte sie die frischgebackenen Großeltern von der Gruppe losgeeist und zum Büfett begleitet. Matt entging nicht, dass sie ihren Teller ebenfalls großzügig füllte. Vermutlich hatte sie keine Zeit zum Essen gehabt. Gemeinhin sah er es nicht gern, wenn seine Angestellten sich so bedienten, aber die Franklins ließen sich offenbar anstecken, denn auch sie nahmen von allem Dargebotenen mehr als nur einen Höflichkeitshappen. Das wertete er als gutes Zeichen.

Er richtete seine Aufmerksamkeit auf Ted Ramsey und seine Begleiterin. Der Kerl war ein zu kurz geratener, grobschlächtiger Rüpel. Matt mochte weder sein Gebaren noch seine Art, Geschäfte zu machen, doch das war belanglos. Er wollte ihn als Kunden. Ramsey musste das spüren, denn er kam gleich aufs Geld zu sprechen, während seine blonde Prinzessin mit großen Augen den Zahlen lauschte, die hin- und hergeworfen wurden.

Zwanzig Minuten darauf kamen die Duprés. Matt wollte Ramsey nicht stehen lassen, denn er spürte, dass sie kurz vor einer Einigung standen. Andererseits konnte er die Neuankömmlinge nicht ignorieren. Auf sein Zeichen hin entzog sich Abigail elegant den Franklins, um die Duprés in Empfang zu nehmen. Wenig später hatte sie ihre vier Gäste um die Bar geschart, und die beiden Frauen lachten über etwas, das Abigail gesagt hatte, während die Männer sie mit verhaltener Faszination beäugten. Matt war beeindruckt.

Nachdem er seinen Deal mit Ramsey unter Dach und Fach gebracht und ihn verabschiedet hatte, trat er von hinten an Abigail heran und legte ihr eine Hand an die Hüfte. Er rechnete es ihr hoch an, dass sie nicht zusammenzuckte. Lächelnd wandte sie sich um. „Wir unterhalten uns gerade ganz wunderbar. Wusstest du, dass Caroline Aquarelle malt? Sie ist eine richtige Künstlerin.“

Autor

Kathryn Jensen

Kathryn Jensen lebt in Maryland. Glücklicherweise genau zwischen den zwei spannenden Städten Washington, D.C. und Baltimore. Aber der Mittelatlantik war nicht immer ihr zu Hause. Zu den vielen Ländern, in denen sie gelebt hat, zählen unter anderen Italien, Texas, Connecticut und Massachusetts. Viele Länder, die sie auch bereist hat, haben...

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