Ein Kuss im Schnee, ein Ja für immer

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Schon als Teenager hat Hadley für den aufregend attraktiven Rodeo-Star Liam Wade geschwärmt. Nun braucht er sie als Nanny für seine Nichte. Hadley ist hin- und hergerissen zwischen unwiderstehlicher Anziehung und Misstrauen, denn sie kennt Liams zweifelhaften Ruf als Playboy. Ganz bestimmt wird sie nicht die nächste seiner zahllosen Geliebten sein! Doch als die beiden bei einem heftigen Schneesturm auf einer einsamen Berghütte festsitzen, zeigt Liam sich plötzlich von seiner zärtlichen Seite …


  • Erscheinungstag 27.12.2017
  • Bandnummer 3
  • ISBN / Artikelnummer 9783733724566
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Am Neujahrsmorgen um kurz nach sechs Uhr verließ Liam Wade die große Scheune, in der die jungen Pferde untergebracht waren. Er hatte die erste Fütterung hinter sich, und das Malmen der Tiere, hin und wieder unterbrochen durch ein leises Schnauben, weckte in ihm ein Gefühl tiefer Zufriedenheit.

In den letzten Jahren war Liam am Neujahrsmorgen üblicherweise in den Armen einer schönen Frau aufgewacht, noch halb betrunken von einer wilden Silvesterparty. Aber dieses Mal hatte er die Party relativ früh und vor allem allein verlassen.

Sein Handy vibrierte in der Hosentasche. Liam zog es heraus. Eine Nachricht von seiner Haushälterin.

Hier ist eine Frau, die unbedingt mit Ihnen sprechen möchte.

Liam runzelte die Stirn. Das konnte nichts Gutes bedeuten. Was, um alles in der Welt, wollte diese Frau schon so früh von ihm? Er simste zurück, dass er auf dem Weg sei, und ging mit schnellen Schritten zu seinem Range Rover.

Vor seinem Haus parkte ein grauer Wagen, den er noch nie gesehen hatte. Er lief die Stufen zu der mächtigen Eingangstür des viktorianischen Ranchhauses empor, das sein Ururgroß­vater Ende des neunzehnten Jahrhunderts gebaut hatte. Liam und sein Zwillingsbruder Kyle waren hier bei ihrem Großvater aufgewachsen, da ihre Mutter sie schon früh verlassen hatte, nach Dallas gezogen war und dort eine sehr erfolgreiche Maklerfirma aufgebaut hatte.

Liam war unbehaglich zumute. Er liebte den Frieden und die Einsamkeit auf dem Land und hasste jede Störung. Als er die Tür aufstieß und in die große Eingangshalle trat, fiel ihm gleich der Kindersitz auf, der neben der Tür an der Wand lehnte. Außerdem hörte er ein Baby wimmern.

Er durchquerte die Halle und trat in das Wohnzimmer, aus dem die Laute kamen. Bei dem Bild, das sich ihm bot, blieb er verblüfft in der Tür stehen. Er hörte noch, wie seine Haushälterin Candace sagte: „Liam muss jede Sekunde hier sein“, dann trat er ein.

„Was geht hier vor?“ Er blickte zwischen Candace und der blonden Fremden hin und her.

Candace, die ihn nicht hatte kommen hören, wandte sich ihm hastig zu und sah ihn erleichtert an. „Das ist Diane Garner. Und das unglückliche Baby hier ist Dianes Enkeltochter.“

„Sind Sie Liam Wade?“

„Ja.“ Liam war überrascht über den feindseligen Tonfall der Frau. Er war absolut sicher, dass er sie noch nie gesehen hatte. Auch der Name sagte ihm nichts.

„Meine Tochter ist tot.“ Die Fremde sah ihn ernst an.

„Das tut mir sehr leid.“

„Sie war auf dem Weg zu Ihnen, als die Wehen einsetzten und sie die Kontrolle über den Wagen verlor. Die Ärzte konnten das Kind retten, nicht aber die Mutter.“

„Das ist wirklich tragisch.“ Liam wusste nicht, was er sonst sagen sollte, gleichzeitig überlegte er fieberhaft. Garner, Garner? Aber er verband mit dem Namen nichts. „Hatten Ihre Tochter und ich einen Termin?“

Diane starrte ihn fassungslos an. „Einen Termin nennen Sie das?“

„Wie war noch gleich der Name Ihrer Tochter?“

„Margaret Garner. Sie sind sich in San Antonio begegnet.“ Diane wurde immer wütender. „Sie wollen mir doch nicht weismachen, dass Sie sich nicht daran erinnern!“

„Tut mir leid.“ Liam blieb betont ruhig. „Ich bin schon länger nicht mehr dort gewesen.“

„Vor genau acht Monaten das letzte Mal. Und da wollen Sie behaupten, Sie hätten meine Tochter bereits vergessen?“

Liam wollte gerade sagen, dass er vor acht Monaten noch nicht einmal in der Nähe von San Antonio gewesen war, als ihm plötzlich aufging, was die Frau damit andeuten wollte. Er drehte sich um und starrte das Baby an. „Sie glauben, das ist mein Kind?“

„Allerdings. Sie heißt Maggie, und ich weiß, dass sie Ihre Tochter ist.“

Beinahe hätte Liam laut losgelacht. Er konnte absolut sicher sein, dass Maggie nicht sein Kind war. Seit einem Jahr hatte er nicht mehr mit einer Frau geschlafen. „Sie irren sich, das ver­sichere ich Ihnen.“

„Und ich dachte, Sie wären anständig genug, um Verantwortung zu übernehmen. Maggie ist Ihr Kind. Wollen Sie etwa leugnen, dass Sie ein Verhältnis mit meiner Tochter hatten?“

Liam schwieg kurz. Er musste zugeben, dass er früher manchmal mit Frauen geschlafen hatte, deren Namen er nicht einmal kannte. Er hatte nichts über sie gewusst, nur dass sie genauso scharf auf Sex gewesen waren wie er. Aber er hatte immer verhütet, und bisher war auch keine mit einem Baby im Arm vor seiner Tür aufgetaucht.

„Falls ich mal etwas mit Ihrer Tochter hatte …“, fing er vorsichtig an, „… dann ist das schon lange her. Auf keinen Fall ist das mein Kind.“

„Ich habe Fotos, die das Gegenteil beweisen.“ Diane holte ihr Smartphone aus der Tasche und rief ein Foto auf. „Das hier sind Sie mit meiner Tochter. An dem Datum sehen Sie, dass das Bild vor acht Monaten aufgenommen wurde. Wollen Sie etwa abstreiten, dass Sie das sind?“

Liam sah genauer hin. Eine hübsche blonde Frau mit blauen ­Augen küsste die Wange eines Mannes, den Liam nur zu gut kannte. Es war sein Bruder Kyle.

Die Zwillinge sahen sich wirklich sehr ähnlich. Allerdings hatte Liam eine kleine Narbe am Kinn, Kyle nicht.

„Ich gebe zu, dass man uns verwechseln kann, aber das ist mein Zwillingsbruder Kyle.“ Wie glücklich Kyle auf dem Bild aussieht, ging es Liam durch den Kopf. Und als Diane sich zur Tür wandte, fügte er schnell hinzu: „Deshalb muss das Kind noch lange nicht von ihm sein.“

Diane blieb an der Tür stehen und blickte ihn empört an. „Was wollen Sie damit sagen? Margaret hatte sehr wenige Männerbekanntschaften. Und sie ist ganz sicher nicht mit jedem Mann ins Bett gegangen. Sie hat Sie geliebt, das sieht man deutlich.“

Entweder hatte Diane nicht gehört, was er gesagt hatte, oder sie hielt es für eine faule Ausrede. Während Liam noch überlegte, wie er sich ihr verständlich machen konnte, riss sie bereits die Tür auf und verließ das Haus.

Verblüfft starrte er ihr hinterher. Möglicherweise war die Kleine ja wirklich seine Nichte. Das wäre durch einen DNA-Test leicht festzustellen. Und dann?

Kyle war als Soldat im Ausland stationiert und konnte keinesfalls die Verantwortung für einen Säugling übernehmen.

Das laute Geschrei der Kleinen riss Liam aus seinen Gedanken. Candace hielt Maggie auf dem Arm, und erst jetzt wurde Liam klar, dass Diane das Kind wohl einfach hierlassen wollte. Er rannte hinter ihr her. Glücklicherweise erwischte er sie noch, bevor sie die Wagentür zuschlagen konnte.

„Haben Sie etwa vor, das Baby nicht wieder mitzunehmen?“

„Allerdings. Margaret war auf dem Weg zu Ihnen. Sie wollte mit Ihnen besprechen, was geschehen sollte. Entweder wären Sie bereit, das Kind nach der Geburt zu sich zu nehmen, oder sie wollte von Ihnen schriftlich haben, dass sie das Kind zur Adoption freigeben kann. Die Formulare hatte sie dabei.“

„Sie wollte das Kind nicht?“

„Nein, sie wollte nie eigene Kinder.“ Diane blickte zu Boden. „Und ich bin sicher, sie wäre nicht in der Lage gewesen, ein Kind allein aufzuziehen.“

„Und wenn ich mich nun weigere, das Kind aufzunehmen?“

„Dann übergebe ich es dem Sozialamt.“

„Aber Sie sind doch die Großmutter. Können Sie die Kleine nicht wenigstens so lange bei sich behalten, bis wir einen DNA-Test gemacht haben?“

„Nein. Ich bin eine kranke Frau und kann nicht für sie sorgen. Sie sind Maggies Vater. Sie müssen sich um sie kümmern.“

Der Vater war zwar nicht er, sondern möglicherweise Kyle, aber kümmern musste er sich schon irgendwie. Denn Kyle war dazu nicht in der Lage. Und wenn die Kleine seine Nichte war, dann gehörte sie ja irgendwie hierher … Was für eine verfahrene Situation.

„Wie kann ich Sie erreichen?“, fragte Liam. Diane wollte doch sicher in Kontakt bleiben. Schließlich war sie die Großmutter.

„Ihre Haushälterin hat meine Telefonnummer.“ Diane hob den Kopf und sah ihn mehrere Sekunden lang ernst an. „Bitte sorgen Sie gut für das Kind“, sagte sie leise. Dann zog sie die Fahrertür zu, ließ den Motor an und fuhr davon.

Nachdenklich blickte Liam dem grauen Wagen hinterher. Unwillkürlich hatte er an seine eigene Mutter denken müssen, die ihren Vater mit zwei kleinen Jungen allein gelassen hatte. Auch sie hatte nicht Mutter sein wollen, sondern sich in Dallas ein eigenes Leben aufgebaut. Eigentlich hatte Liam sie nie vermisst, sondern sich bei seinem Großvater sehr wohlgefühlt. Warum sollte die kleine Maggie nicht auch ohne Mutter gut zurechtkommen?

Langsam ging er zum Haus zurück. Candace war in der Küche und wärmte Babynahrung auf, die Diane offenbar dagelassen hatte. Das Baby schrie immer noch aus Leibeskräften.

Candace warf Liam einen besorgten Blick zu. „Sie haben sie gehen lassen?“

„Was hätte ich denn sonst tun sollen?“

„Sie überzeugen, dass sie das Kind wieder mitnehmen muss. Wir wissen doch beide, dass Maggie nicht Ihre Tochter ist.“

„Sind Sie da so sicher?“ Er sah sie schmunzelnd an. Seit sieben Jahren arbeitete Candace bei ihm und hatte allerlei miterlebt. ­Diane Garner war nicht die erste Frau, die plötzlich vor seiner Tür stand, allerdings die erste mit einem Kind.

„Ja“, sagte Candace. „Weil Sie seit einem Jahr irgendwie anders sind. Gelassener, offener.“

Candace hatte ihn nie gefragt, was diese plötzliche Veränderung bewirkt hatte. Früher hatte er keine Party ausgelassen, und die Frauen hatten sich quasi bei ihm die Türklinke in die Hand gegeben. Aber seit einem Jahr kümmerte er sich nur noch um die Ranch und sein Gestüt. Vielleicht ging seine Haushälterin davon aus, dass er mit dreißig beschlossen hatte, sein Leben zu ändern. Das war vielleicht auch ein Grund gewesen.

„Gelassener? Ich habe in letzter Zeit wie ein Mönch gelebt.“

„Das auch.“

In komischer Verzweiflung sah er das Baby an, das immer noch schrie, obwohl Candace es in den Armen wiegte. „Was soll ich bloß mit ihr anfangen? Weshalb schreit sie dauernd?“

„Ihre Windel ist trocken. Also hat sie wahrscheinlich Hunger.“

Oder sie sehnte sich nach ihrer Mutter. Das sagte Candace nicht, aber ihr Gesicht sprach Bände.

„Können Sie sie mal eben halten, während ich die Flasche ­zurechtmache?“

„Lieber nicht.“

„Sie geht nicht kaputt.“

Aber sie war so winzig! Liam schüttelte heftig den Kopf. „Sagen Sie mir, was ich mit der Flasche tun muss.“

Und dann war endlich Ruhe! Maggie lag in Candace’ Armen und saugte gierig an ihrer Flasche. Liam durchsuchte das Internet nach einer Nanny-Agentur in Royal. Er fand eine, aber das Büro war nicht besetzt. So hinterließ er eine Nachricht und hoffte, dass die Agentur sich bald melden würde. Dann setzte er sich hin und überlegte, was er alles für das Baby anschaffen musste.

Hadley Stratton nahm den Fuß vom Gas und ließ den Wagen ausrollen. Unmittelbar vor der angegebenen Adresse bremste sie und sah hoch.

Was für ein riesiges, prachtvolles altes Haus! Von ihrem Apartment in Royal aus hatte sie nur eine Viertelstunde gebraucht, das war zeitlich sehr viel günstiger als bei ihrem letzten Job in Pine Valley. Dennoch hatte sie gezögert, diesen Auftrag anzunehmen.

Sie kannte Liam Wades Ruf als Playboy und hatte keine Lust, wieder in Schwierigkeiten zu geraten. Aber das Gehalt, das er ihr bot, hatte sie einfach nicht ausschlagen können. Außerdem war er bereit, noch einen Extrabonus zu zahlen, wenn sie sofort anfing.

Sie seufzte leise. Na ja, sie hatte ihre bösen Erfahrungen hinter sich und würde in Zukunft vorsichtiger sein. Wie hätte sie auch ahnen können, dass einer ihrer früheren Arbeitgeber, der sie umworben und in den sie sich schließlich verliebt hatte, dann doch zu seiner Frau zurückkehren würde. So etwas wie mit Noah Heston würde ihr nicht noch einmal passieren.

Hadley parkte den Wagen, lief die Stufen zur Haustür hinauf und klingelte. Drinnen schrie ein Baby. Ein Baby …

Wie war Liam Wade plötzlich zu einem Baby gekommen? Man hatte ihr nur gesagt, dass er dringend eine Nanny brauchte.

Als sich ein Schatten hinter der farbigen Glastür abzeichnete, schlug Hadleys Herz schneller. Vielleicht hätte sie den Auftrag lieber doch nicht annehmen sollen. In der letzten Stunde hatte sie sich immer wieder zu überzeugen versucht, dass Liam Wade ein Arbeitgeber wie jeder andere war. Sicher, er war ein sehr guter und bekannter Rodeoreiter und wahnsinnig sexy. Und sie war vor zehn Jahren unglaublich verknallt in ihn gewesen, als sie selbst noch Westernreiten gemacht hatte. All ihren Freundinnen war es genauso gegangen.

Aber zehn Jahre waren eine lange Zeit. Sie war kein schwärmerischer Teenager mehr, sondern eine erwachsene Frau und eine sehr gute Nanny. Und sie wusste, wie gefährlich es war, sich in die Väter ihrer kleinen Schützlinge zu verlieben.

„Guten Morgen, Mr. Wade“, sagte sie freundlich, als sich die Tür öffnete. „Ich komme von Royal Nannies und heiße …“

„Hadley?“ Mit seinen flaschengrünen Augen blickte er sie forschend an.

„Hadley Stratton.“ Erinnerte er sich etwa an sie? Sie räusperte sich. „Stratton“, wiederholte sie. Wahrscheinlich hatte ihm die Agentur gesagt, wen sie schicken würden.

„Sie arbeiten als Nanny?“ Er runzelte die Stirn.

„Ja.“ Vielleicht hatte er eine ältere Frau erwartet. „Ich habe meine Zeugnisse und Referenzen dabei, falls Sie sie sehen möchten.“ Sie zog einen schmalen Ordner aus der Tasche.

„Nein, das ist nicht nötig“, wehrte er ab und trat einen Schritt zurück. „Kommen Sie herein. Das Baby ist im Wohnzimmer.“ Sie trat ein, und er schloss die Tür. „Sie brauchen nur dem Geschrei zu folgen.“

Hadley ging in die Richtung und blieb überrascht in der Tür stehen. Jetzt erst wurde ihr klar, dass sie mit einer sehr jungen, bildhübschen Mutter gerechnet hatte, der Babys eher lästig waren. Stattdessen stand sie einer Frau von wahrscheinlich Ende vierzig gegenüber, die Jeans, ein Flanellhemd und Turnschuhe trug – und ein Baby auf dem Arm hielt.

„Hadley Stratton, meine Haushälterin Candace Tolliver“, stellte Liam sie einander vor. Er grinste Candace an. „Die sehr froh ist, dass Sie so schnell kommen konnten.“

„Das kann man wohl sagen.“ Candace blickte einigermaßen verzweifelt auf das schreiende Bündel in ihren Armen. „Ich habe sie gefüttert und ihre Windel gewechselt. Und trotzdem ist sie unglücklich.“

„Wie ist denn ihr normaler Tagesablauf?“ Hadley war näher getreten, blickte auf die Kleine und fragte sich, was wohl mit der Mutter geschehen war. Das Kind wirkte kleiner als andere Neugeborene.

„Das wissen wir leider nicht.“ Candace warf Liam einen schnellen Blick zu. „Wir haben sie gerade erst bekommen. Hier!“ Sie drückte Hadley das Kind in den Arm und floh in die Küche.

„Das sind die Krankenhausunterlagen.“ Liam wies auf eine schmale Mappe, die auf dem Couchtisch lag. „Obwohl sie etwas zu früh geboren wurde, hat man sie als gesund entlassen.“

„Wie viel zu früh?“ Hadley steckte dem Säugling den kleinen Finger zwischen die Lippen. Irgendwie musste die Kleine doch zu beruhigen sein. „Hat sie einen Schnuller?“

„Nein.“

Das kam so barsch, dass sie Liam überrascht ansah. Er stand da, eine Hand in der Hosentasche, mit der anderen fuhr er sich durch das zerzauste dunkle Haar.

Du solltest auch mal wieder zum Friseur gehen, dachte Hadley, während sie sich im Raum umsah. Bis auf einen Autokindersitz und eine Plastiktüte von der örtlichen Drogerie konnte sie nichts entdecken, was darauf hinwies, dass hier ein Kind lebte. Im Gegenteil, der sehr edel eingerichtete Raum war makellos aufgeräumt und sah aus wie von einem Innenarchitekten gestaltet.

„Wo sind denn ihre Sachen?“

„Was für Sachen?“

„Na ja, Windeln, Babydecken, Kleidung. In ihrem Zimmer?“

„Sie hat kein Zimmer.“

„Wo schläft sie denn dann?“

„Das müssen wir uns noch überlegen.“

Jetzt verstand Hadley überhaupt nichts mehr.

Geduld, Geduld … Offenbar gab es hier irgendein dunkles Geheimnis. „Vielleicht sollten Sie mir erklären, was hier eigentlich los ist. Wo zum Beispiel ist ihre Mutter?“

„Sie starb vor Kurzem bei einem Autounfall.“

„Oh, das tut mir sehr leid.“ Wie schrecklich. Hadley blickte auf die Kleine, die sehr viel ruhiger geworden war, seit sie an ­ihrem Finger saugen konnte. „Dann wird das arme Kind nie seine Mutter kennenlernen.“

„Äh, ich … ich kenne sie übrigens auch nicht.“

Hadley warf Liam einen kühlen Blick zu. „Aber Sie müssen doch …“ Sie stockte. Nein, er musste eben nicht.

Es konnte durchaus sein, dass er die Mutter nach einem One-Night-Stand nie wiedergesehen hatte. „Wie heißt du denn, Schätzchen?“, flüsterte Hadley und beugte sich über das winzige Wesen, das glücklicherweise gerade die Augen geschlossen hatte.

„Maggie. Ihre Mutter hieß Margaret.“

„Hallo, kleine Maggie.“ Hadley summte leise vor sich hin und wiegte die Kleine dabei sanft hin und her. Als sie sicher war, dass Maggie eingeschlafen war, legte sie sie behutsam in den Kindersitz.

Liam hatte ihr bewundernd zugesehen. „Das machen Sie ja unglaublich gut.“

Hadley, die Maggie gerade vorsichtig in dem Sitz festschnallte, blickte ihn über die Schulter hinweg an. Er stand dicht hinter ihr, die reine Verführung. Der Duft nach teurer Seife stieg ihr in die Nase, und sie registrierte die tief sitzende ausgeblichene Jeans, das braun-beige karierte Hemd, die teuren, abgetragenen Lederstiefel, sein gebräuntes Gesicht … Ihr Puls raste.

Liam Wade besaß bestimmt viel Geld, aber darauf hatte er sich nie etwas eingebildet. Ob bei Pferdeauktionen oder Rodeos, er benahm sich so wie alle anderen, saß mit den Männern zusammen, flirtete mit den Mädchen und war sich für keine Arbeit zu schade. Den Eindruck zumindest hatte Hadley gewonnen, die aus der Entfernung seinen Werdegang verfolgt hatte. Was er besaß, hatte er sich selbst erarbeitet, und darauf war er zu Recht stolz.

„Zum ersten Mal ist sie ruhig, seit sie hier ist.“ Liams angespannte Gesichtszüge glätteten sich, und er lächelte Hadley an. „Es ist ein Wunder.“

„Nicht unbedingt. Maggie war nur gestresst. Ich vermute, Ihre Anspannung hat sich auf die Kleine übertragen. Wie lange ist sie denn schon hier?“

„Ungefähr seit sieben Uhr heute Morgen.“ Er wies auf die schwarze Ledercouch, aber Hadley ließ sich in einen Sessel fallen, der dicht neben dem Kind stand. „Ihre Großmutter hat sie hier abgeliefert und ist sofort wieder verschwunden.“

„Dann hatten Sie nicht mit ihr gerechnet?“

Liam schüttelte den Kopf. „Nein. Aber vielleicht sollte ich ­Ihnen die ganze Sache von Anfang an erzählen.“

„Das wäre wohl das Beste.“

In diesem Augenblick kam Candace mit einer Kanne Kaffee und zwei Bechern herein. Sie nickte Hadley anerkennend zu, als sie die Kleine schlafen sah, und ging wieder hinaus. Liam goss ein und ging dann mit seinem Becher in der Hand langsam auf und ab.

„Ich weiß auch nicht viel“, begann er. „Heute früh tauchte diese Diane Garner mit Maggie bei uns auf. Sie erzählte uns, ihre Tochter sei bei einem Autounfall ums Leben gekommen. Anscheinend hatten während der Fahrt die Wehen eingesetzt, und das hat zu dem Unfall geführt. Man konnte nichts mehr für sie tun, aber das Baby wurde gerettet.“

„Wie wahnsinnig traurig. Wo ist diese Diane denn jetzt?“

„Auf dem Weg zurück nach Houston, vermute ich.“

„Und sie hat das Baby hier bei Ihnen zurückgelassen?“

„Ja. Ich hatte den Eindruck, dass sie nicht in der Lage ist, für das Kind zu sorgen. Oder Angst vor der Verantwortung hat.“

„Und da dachte sie, es sei besser, das Kind bei seinem Vater zu lassen.“

„Kann sein. Aber Maggie ist nicht meine Tochter“, sagte Liam mit Nachdruck. „Sie ist das Kind meines Bruders.“

Verblüfft sah Hadley ihn an. Warum hatte er Maggie dann aufgenommen? „Ach so. Dann arbeite ich für Ihren Bruder?“

„Nein. Kyle ist beim Militär und kann sich nicht um das Kind kümmern.“

„Dann hat er Ihnen das Sorgerecht übertragen?“

„Wieder nein.“ Liam blieb am Fenster stehen und blickte über die weite Rasenfläche. „Er ist momentan nicht zu erreichen. Also konnte ich auch noch nicht mit ihm sprechen. Ich bin auch gar nicht sicher, dass Maggie sein Kind ist.“

Für Hadleys Geschmack hörte sich das alles sehr verworren an. Wer weiß, dachte sie, vielleicht ist Liam doch der Vater, will es aber nicht zugeben und wälzt die Sache auf seinen abwesenden Bruder ab.

Als Rodeoreiter hatte sie Liam Wade immer bewundert. Aber sie wusste auch, dass er ein ziemlicher Playboy war und bestimmt schon so manche Frau mit seinem Charme zum Sex verführt hatte, ohne ihren Namen oder ihre Telefonnummer zu kennen.

„Ich bin wirklich nicht sicher, ob ich die richtige Nanny für Sie bin …“, fing Hadley an, wurde aber sofort von Liam unterbrochen.

„Sie sind genau das, was Maggie braucht. Sehen Sie doch nur, wie friedlich sie schläft. Candace hat zwei Stunden lang versucht, das Kind zu beruhigen. Und Sie waren kaum zehn Minuten da, und schon schlief sie. Bitte bleiben Sie. Die Kleine hat ihre Mutter verloren, zu Ihnen aber spontan Vertrauen gefasst.“

„Sie brauchen jemanden, der rund um die Uhr mit Maggie ­zusammen sein kann. Ich habe aber nur tagsüber Zeit.“

„Die Agentur hat gesagt, dass Sie noch zum College gehen.“

„Ja. Ich bin dabei, meinen Master zu machen.“

„Fängt das Semester nicht erst Anfang Februar an?“ Als sie nickte, fuhr er schnell fort: „Also in ungefähr vier Wochen. Bis dahin wissen wir, woran wir sind. Und wir brauchen Sie nur dann tagsüber, wenn ich mit den Pferden arbeite.“

„Wie stellen Sie sich das vor?“

„Wären Sie bereit, hier zu wohnen? Wir haben mehr Platz, als wir brauchen.“

Um Himmels willen … Hadley schüttelte den Kopf. In ihrem eigenen Bett fühlte sie sich sehr viel sicherer. Sicherer? Hatte sie etwa Angst vor Liam Wade? Sie war ganz bestimmt nicht sein Typ.

„Nein“, sagte sie fest. „Aber bis Februar kann ich früh kommen und so lange bleiben, wie es nötig ist. Inzwischen sollten Sie sich vielleicht nach jemandem umsehen, der ab dann ständig hier ist.“

Sie hatte den Verdacht, dass das Baby erst einmal hier bei Liam bleiben würde, auch wenn es das Kind seines Bruders sein sollte. Die Mutter war tot, die Großmutter konnte oder wollte die Verantwortung nicht übernehmen, da brauchte er jemanden, der in Vollzeit für das Kind da war.

„Okay, so machen wir es erst einmal.“ Liam streckte die Hand aus, und sie schlug ein.

Er hielt ihre Hand ein bisschen länger fest, als es unbedingt nötig war, und Hadley überlief es heiß.

Schnell trat sie einen Schritt zurück. „Vielleicht sollten wir uns auch noch überlegen, was für Maggie angeschafft werden muss“, sagte sie und hoffte, dass er ihre Erregung nicht bemerkte.

„Candace hat schon angefangen, eine Liste aufzustellen. Sie hat gesagt, sie wolle die Sache besorgen, sobald Sie da sind.“ Er grinste etwas verlegen. „Offenbar will sie mich nicht mit dem Baby allein lassen.“

„Warum denn nicht?“

„Sie finden es vielleicht seltsam, aber ich habe noch nie ein Baby auf dem Arm gehabt.“

„Das lernen Sie schnell.“ Sie warf einen Blick auf die Kleine, die fest schlief. „Kommen Sie, versuchen Sie es. Es ist wirklich nicht schwer.“

„Jetzt gleich?“ Liam wirkte unentschlossen, doch dann gab er nach. „Wenn Sie meinen. Was soll ich denn machen?“

2. KAPITEL

Aus dem Stand auf ein Pferd zu springen, um eine fliehende Kuh zu verfolgen und sie mit dem Lasso einzufangen, erforderte Mut, Geschick und vor allem ruhige Hände. Als weltbekannter Trainer für Westernpferde war Liam immer stolz darauf gewesen, in jeder Situation eine ruhige Hand zu haben. Aber jetzt fühlte er sich wie vor seinem ersten Wettbewerb.

„Wichtig ist, dass Sie immer ihren Kopf stützen, etwa so.“

Hadley nahm das schlafende Baby hoch und zeigte es Liam. Sie trat dicht an ihn heran und hielt ihm die Kleine hin. Zögernd streckte er die Arme aus, und Hadley legte Maggie hi­nein.

„Sehen Sie, das war doch gar nicht so schlimm.“ Sie sah ihn an, und erst jetzt bemerkte er die kleinen Goldflecken in ihren hellblauen Augen. „Sie ist nicht aufgewacht.“

„Sie duften nach Lavendel“, stieß Liam zu seiner eigenen Überraschung hervor.

Sie lachte leise. „Nach Lavendel und Kamille. Das ist mein Trick. Es sind beides beruhigende Düfte.“

„Selbst ich spüre die Wirkung.“ Während er Maggie vorsichtig in seinen Armen zurechtrückte, sodass sie bequem lag, warf er Hadley einen langen Blick zu.

Ob sie sich noch an ihn erinnerte? Immerhin hatten sie sich früher auf einigen Rodeos getroffen. Trotz ihrer Jugend war Hadley ein aufstrebender Star in der Szene gewesen. Aber mit achtzehn Jahren hatte sie mit dem Sport aufgehört. Er hatte immer gehofft, sie später noch einmal bei Wettbewerben wiederzusehen. Dann hörte er, dass sie ihr Pferd verkauft hatte, sehr zur Erleichterung ihrer Konkurrentinnen, zu denen auch eine langjährige Freundin von ihm gehörte.

„Ich habe Sie heute Morgen beinahe nicht wiedererkannt“, sagte er. „Übrigens, wollen wir uns nicht duzen? Schließlich sind wir doch alte Bekannte.“

„Ja, von mir aus.“ Sie lachte etwas verlegen. „Ich hätte nicht gedacht, dass du dich noch an mich erinnerst.“

Wie sollte er nicht? Nur weil sie sich lange nicht gesehen hatten? „Natürlich. Wir waren doch nach einem Turnier zum Essen verabredet, um deinen Sieg zu feiern. Aber du bist nicht gekommen. Und später habe ich dich nie wiedergesehen.“

„Ich kann mich nur daran erinnern, dass du mir immer gesagt hast, was ich falsch mache.“

Autor

Cat Schield
<p>Cat Schield lebt gemeinsam mit ihrer Tochter, zwei Birma-Katzen und einem Dobermann in Minnesota, USA und ist die Gewinnerin des Romance Writers of America 2010 Golden Heart® für romantische Serienromane. Wenn sie nicht gerade neue romantisch-heiße Geschichten schreibt, trifft sie sie sich mit ihren Freunden um auf dem St. Croix...
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