Ein Lord für alle Fälle

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Gesucht: Ein Lord zum Heiraten
Lady Chloe braucht einen Bräutigam - und zwar auf der Stelle! Sonst zwingt ihr Vormund sie zu einer arrangierten Ehe. In ihrer Verzweiflung überlegt sie, ihren netten Nachbarn Sir Preston zu betören. Da taucht überraschend Lord Salcombe auf und versetzt ihr Herz in ungeahnte Aufregung. Nachdem er Chloe in einer kompromittierenden Situation erwischt hat, stellt er sie erst zur Rede - und zieht sie dann selbst in die Arme und küsst sie heiß! Gegen ihren Willen verspürt Chloe plötzlich eine verlockende Versuchung, der sie nicht widerstehen kann…

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  • Erscheinungstag 21.02.2014
  • ISBN / Artikelnummer 9783733786854
  • Seitenanzahl 896
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Cover

Ann Elizabeth Cree, Elizabeth Beacon, Marguerite Kaye, Anne Herries

Ein Lord für alle Fälle

ANN ELIZABETH CREE

GESUCHT: EIN LORD ZUM HEIRATEN

IMPRESSUM

MYLADY erscheint im CORA Verlag GmbH & Co. KG,
20350 Hamburg, Axel-Springer-Platz 1

Cora-Logo Redaktion und Verlag:
Brieffach 8500, 20350 Hamburg
Telefon: 040/347-25852
Fax: 040/347-25991

© 2003 by Annemarie Hasnain
Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V., Amsterdam

© Deutsche Erstausgabe in der Reihe MYLADY
Band 499 - 2008 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg
Übersetzung: Elisabeth Tappehorn

Fotos: Harlequin Books S.A.

Veröffentlicht im ePub Format im 04/2011 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

eBook-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 978-3-86349-939-6

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.
CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Führung in Lesezirkeln nur mit ausdrücklicher Genehmigung des Verlages. Für unaufgefordert eingesandte Manuskripte übernimmt der Verlag keine Haftung. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

 

1. KAPITEL
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Chloe sah auf die Uhr auf dem Kaminsims und erschrak. Bereits vor fünf Minuten hätte sie sich bei den anderen im Salon einfinden sollen, aber sie war so in den Artikel über die Getreideknappheit in Europa vertieft gewesen, dass sie gar nicht auf die Zeit geachtet hatte. Eilig erhob sie sich.

„Weiß Justin, dass Sie heimlich seine Zeitschriften lesen?“

Errötend wirbelte sie herum. Brandt, Viscount Salcombe, stand mit einem amüsierten Lächeln auf den Lippen in der Tür. Chloe unterdrückte ein Stöhnen. Weshalb musste ausgerechnet er sie hier entdecken? „Ich … ich wollte nur etwas herausfinden.“

„Im Gentleman’s Magazine? Hatten Sie vor, eines der Themen heute Abend zur Sprache zu bringen?“

Da genau das ihre Absicht gewesen war, errötete sie heftig. „Wie lächerlich!“ Weshalb musste er sie ständig ärgern? Und ihr das Gefühl geben, ein dummes kleines Mädchen zu sein? „Ist es nicht Zeit, zu der Gesellschaft zu fahren?“, fragte sie spitz.

„Ja, deshalb hat Belle mich gebeten, Sie zu suchen. Leider versäumte sie, mir mitzuteilen, dass Sie im Arbeitszimmer sind und Justins Zeitschriften lesen.“

„Es ist nicht notwendig, das zu erwähnen.“ Wenn Belle oder ihr Gatte, der Duke of Westmore, sie nun fragen würden, weshalb sie sich plötzlich für Landwirtschaft interessierte?

„Nun gut, ich werde Ihr Geheimnis für mich behalten – unter einer Bedingung.“

„Welche?“, fragte sie misstrauisch.

„Sie willigen ein, heute Abend mit mir zu tanzen.“

„Na schön“, sagte sie ungnädig. Sie wusste, sie benahm sich kindisch. Aber sie schien nicht in der Lage zu sein, Brandt mit der kühlen Höflichkeit zu begegnen, die eine junge Dame einem Gentleman gegenüber an den Tag legen sollte, auch wenn sie ihn nicht mochte. Dass er in ihr offenbar eine Quelle der Belustigung sah, machte sie noch verdrossener.

Sie legte die Zeitschrift auf den Stapel auf dem Schreibtisch und hoffte inständig, dass Brandt sein Wort halten und sie nicht verraten würde. Belle oder Justin sollten nicht dahinterkommen, dass sie die Absicht hatte, Sir Preston zu heiraten.

Sie marschierte an Brandt vorbei in die Halle und warf ihm einen kühlen Blick zu. Ihre Laune besserte sich nicht, als sie sich in der Kutsche neben Belle setzte und feststellte, dass Brandt ihr gegenüber neben Justin Platz nahm. Seit Brandts Ankunft am Vortag war ihr der Aufenthalt in Falconcliff gründlich verdorben.

Bisher hatte sie eineinhalb idyllische Monate in Devon verbracht. Zum ersten Mal seit langer Zeit verspürte sie wieder ein Gefühl von Freiheit; ihr Vormund Arthur, der Earl of Ralston, und seine Pläne, sie an den Meistbietenden zu verheiraten, waren weit fort. In den ersten Wochen hatte sie sich von einer ernsthaften Grippeerkrankung erholen müssen. Die Seeluft und die ausgedehnten Spaziergänge hatten ebenso dazu beigetragen, dass sie wieder zu Kräften kam, wie ihre Freude, bei Belle, deren Gatten Justin und dem kleinen Julian zu sein, der nun fast sechs Monate alt war. Und sie hatte beschlossen, sich in Sir Preston Kentworth zu verlieben, von dem sie sicher war, dass er ihre Zuneigung zu erwidern begann.

Alles war perfekt gewesen. Bis gestern.

Sie warf Brandt, der sich ungezwungen mit Justin und Belle unterhielt, einen finsteren Blick zu. Er war Justins Cousin, und zwischen den beiden Männern bestand eine unverkennbare Ähnlichkeit. Sie waren annähernd gleich groß, breitschultrig und dunkelhaarig und besaßen beide eine durch nichts zu erschütternde Selbstsicherheit. Eigentlich galt Justin mit seiner kühlen Zurückhaltung als der besser aussehende Gentleman, doch Chloe wusste durch Klatschgeschichten in London, dass viele Frauen Brandt mit seinem entwaffnenden Charme gleichermaßen anziehend fanden.

Zweifellos würde er die hiesigen Damen ebenso bezaubern. Chloe hoffte allerdings, dass er nicht reihenweise gebrochene Herzen zurücklassen würde, denn es war kaum anzunehmen, dass er lange in einem so langweiligen kleinen Ort wie Weyham bleiben würde. Jedenfalls war sie ihm gegenüber immun. Sie fand ihn zwar gut aussehend, doch für ihren Geschmack war er zu groß. Sie zog Männer vor, die nicht auf sie herabsahen und ihr das Gefühl gaben, ihnen hilflos unterlegen zu sein. Das war noch ein Grund, der für Sir Preston sprach, denn mit ihm konnte sie Konversation machen, ohne ihren Hals recken zu müssen.

Chloe sah aus dem Kutschenfenster und stellte fest, dass sie die Gesellschaftsräume erreicht hatten. Das Haus war vor einem halben Jahrhundert erbaut worden, als Weyham ein recht beliebtes Seebad gewesen war. Heutzutage kamen nur noch wenige Besucher an die schönen Strände, die wöchentlichen Gesellschaften indes fanden nach wie vor großen Zuspruch. In der Eingangshalle gestattete Belle den Herren voranzugehen. Sie blieb stehen und wandte sich an Chloe: „Ich weiß, dass du Brandt nicht sonderlich magst“, sagte sie leise, „aber versuch doch bitte, dir das nicht so deutlich anmerken zu lassen.“

„Es tut mir leid. Das kommt nur daher, weil er mich ständig ärgert. War es wirklich so offensichtlich?“

„Ich fürchte, ja. Du hast ihn äußerst finster angestarrt.“

„Oje.“ Chloe wusste, wie sehr Belle den Cousin mochte, der für Justin wie ein Bruder war. „Ich werde mich bemühen, zuvorkommender zu sein, das verspreche ich dir, und heute Abend sogar mit ihm tanzen.“ Sie brauchte ja nicht zu erwähnen, dass sie dazu erpresst worden war.

Belle schenkte ihr ein Lächeln.

„Ich weiß, dass du ein freundliches Wesen hast, und ich hoffe, du wirst es auch Brandt gegenüber zeigen. Er ist wirklich nicht so schlimm. Und er wird noch einige Zeit bei uns bleiben.“

Wie enttäuschend. Sie folgte Belle und beschloss, keinen Gedanken mehr an Brandt zu verschwenden. Mrs. Heyburn, die Gattin des örtlichen Friedensrichters, gesellte sich zu ihnen. Chloe hörte der Konversation nur mit halbem Ohr zu, während sie sich im Saal umsah, in der Hoffnung, Sir Preston zu finden. Schließlich entdeckte sie ihn in einer Gruppe von Gentlemen.

Sie entschuldigte sich bei Belle und Mrs. Heyburn und durchquerte den Saal, dann zögerte sie. Es würde schwierig sein, Sir Preston in Gegenwart seiner Freunde anzusprechen. Er war sehr zurückhaltend und brauchte immer sehr viel Ermutigung. Selbst eine Dame zum Tanz aufzufordern, schien ihm Unbehagen zu bereiten.

Bevor sie zu einem Entschluss gekommen war, was sie nun tun sollte, kam Lydia Sutton zu ihr. „Chloe! Weshalb hast du mir nicht erzählt, dass Lord Salcombe mitkommt!“

„Ich wusste es bis gestern Abend ebenfalls nicht. Er traf unerwartet ein“, erwiderte Chloe ohne große Begeisterung. Sie hatte keine Lust, über Brandt zu sprechen.

„Er ist so schneidig. Und ein Lebemann, nicht wahr?“ Lydia fächelte sich Luft zu. „Weißt du, ob er die Absicht hat, zu tanzen?“

„Das kann ich dir wirklich nicht sagen.“ Chloe bemerkte, dass Sir Preston den Ballsaal verließ. Sie hoffte, er würde sich nicht ins Kartenzimmer begeben. „In London hat er selten getanzt.“ Und er hatte sich keineswegs so skandalös verhalten, wie man ihm nachsagte.

Lydias Aufmerksamkeit wurde von etwas anderem gefesselt. „Da ist Emily. Also wirklich! Man sollte meinen, ihr würde auffallen, wie grauenhaft Zitronengelb zu ihrem Teint passt.“

Chloe folgte Lydias Blick. Emily Coltrane stand wie gewöhnlich mit finsterem Gesichtsausdruck in einer Ecke des Saales, als wolle sie jedermann davor warnen, sich ihr zu nähern. Lydia hatte recht, das gelbe Kleid betonte ihre fahle Haut und das mausbraune Haar höchst unvorteilhaft. Obwohl Emily sie aus einem unerfindlichen Grund nicht leiden konnte, tat Chloe das junge Mädchen unwillkürlich leid.

Lydia klappte ihren Fächer zusammen. „Da! Lord Salcombe tanzt mit Lady Haversham. Er ist ein ausgezeichneter Tänzer, findest du nicht?“

Chloe sah zur Tanzfläche, wo Brandt gerade Lady Marguerite Haversham die Hand reichte, der Gattin eines Nachbarn. Die beiden schienen sich über irgendetwas zu amüsieren, und Chloe wandte den Blick ab. Sie musste Lydia unbedingt entkommen, nicht nur um Sir Preston zu finden, sondern weil sie nicht den ganzen Abend über den Viscount sprechen wollte. „Lydia …“, begann sie, doch ehe sie den Satz beenden konnte, kam Gilbert Rushton zu ihnen geschlendert.

„Guten Abend, Lady Chloe, Lydia“, begrüßte er sie grinsend. „Ich habe gesehen, wie Sie beide die Leute beobachten, und mich gefragt, über wen Sie wohl sprechen.“

„Wir haben nur festgestellt, wie gut Lord Salcombe tanzt“, sagte Lydia.

Mr. Rushton warf einen Blick auf die Tanzfläche. „In der Tat. Seine Anwesenheit ist eine Bereicherung für Weyham. Gerüchten zufolge hat er Waverly erworben.“

„Wie großartig!“, rief Lydia aus.

Chloe drehte sich der Magen um. „Das kann nicht sein!“, protestierte sie. Sir Preston war für den Moment völlig vergessen.

Mr. Rushton hob eine Braue. „Weshalb nicht?“

„Weil …“ Weil sie sich nicht vorstellen konnte, wo er das Geld dafür herhaben sollte. Und darüber hinaus war er der letzte Mensch, den sie in dem alten Anwesen sehen wollte, in das sie sich auf den ersten Blick verliebt hatte: Es hatte sich trotz der überwucherten Gärten und bröckelnden Mauern eine solide Würde bewahrt. Die dort stehende vernachlässigte Kapelle mit ihrem winzigen ummauerten Garten war das Romantischste, was man sich vorstellen konnte. Es gab auch Gerüchte darüber, dass Geheimgänge auf dem Gelände existierten, die vom Haus zur Kapelle und sogar bis an die darunterliegende Küste führen sollten. Chloe war entzückt gewesen, als Arbeiter kurz nach ihrer Ankunft auf Falconcliff damit begonnen hatten, das Dach und die Wände zu reparieren. Die Identität des Käufers blieb unbekannt, obwohl im Dorf unzählige Vermutungen angestellt wurden, wer er sein könnte. „Ein solches Haus würde ihm gewiss überhaupt nicht gefallen. Sie irren sich sicher. Ich muss jetzt wirklich Belle suchen.“

„Du kommst doch morgen zu mir, nicht wahr?“, hielt Lydia sie auf. „Denk daran, wir wollen die Tänze für den Ball der Havershams üben. Mr. Rushton wird ebenfalls da sein“, fügte sie hinzu und bedachte den jungen Mann mit einem strengen Blick.

„Allerdings. Indes muss ich nun meine Verabredung zum Kartenspiel einhalten.“ Mr. Rushton verbeugte sich und schlenderte davon.

„Du kommst doch, nicht wahr, Chloe? Hast du Sir Preston nicht versprochen, ihm den Walzer beizubringen?“

„Oh ja.“ Wie hätte sie das vergessen sollen, wo sie so viel Zeit damit verbracht hatte, etwas über Landwirtschaft zu lesen, damit sie Sir Preston mit ihrem neu erworbenen Wissen beeindrucken konnte.

„Meinst du, Lord Salcombe würde sich uns anschließen?“

„Lord Salcombe?“ Chloe starrte nun Lydia an. „Höchstwahrscheinlich nicht. Er findet einen solchen Zeitvertreib sicher zu langweilig.“

„Vielleicht könntest du ihn fragen. Ihr seid schließlich verwandt.“

„Wir sind allenfalls angeheiratete Verwandte.“ Auch wenn sie Belle als Schwester betrachtete, so war diese in Wahrheit doch nur ihre Schwägerin, weil sie in erster Ehe Chloes Halbbruder Lucien geheiratet hatte.

„Fragst du ihn trotzdem?“

„Vielleicht“, erwiderte Chloe unbestimmt. Ihr war ganz und gar nicht wohl bei der Vorstellung, dass Brandt sie mit seinen sarkastisch blitzenden Augen beobachtete, während sie versuchte, sich mit Sir Preston über Landwirtschaft zu unterhalten.

Sir Preston schien tatsächlich im Kartenzimmer zu sein – jedenfalls konnte sie ihn nirgends entdecken. Sie hörte ihren Namen, drehte sich um und sah Lady Kentworth, Sir Prestons Mutter, vor sich, das dicke Gesicht zu einem Lächeln verzogen. „Meine liebe Lady Chloe! Wie entzückend, Sie zu treffen. Haben Sie meinen Sohn gesehen? Nein? Dann ist er sicher im Kartenzimmer. Ich hoffe, er lässt sich wenigstens zu einem Tanz überreden. Vielleicht mit Ihnen, Sie sind doch so gute Freunde geworden.“ Sie gab Chloe keine Möglichkeit, darauf zu antworten, und plapperte mit ihrer lauten Stimme weiter, bis sie endlich erklärte, sie wolle eine Runde Karten spielen. Sie bestand darauf, dass Chloe Sir Preston unbedingt begrüßen müsse, und so kam es, dass Chloe Lady Kentworth ins Kartenzimmer begleitete.

Der Raum, den man für die Kartenspiele reserviert hatte, war klein und stickig. Es war Chloe peinlich, wie Lady Kentworth sie zwischen den eng beieinanderstehenden Tischen hindurchführte. Mehrere Anwesende sahen auf, als sie an ihnen vorbeikamen, unter anderem Lady Haversham, die ihr einen mitleidigen Blick zuwarf. Als sie bei Sir Preston stehen blieben, wäre Chloe am liebsten davongelaufen. Er saß mit zwei anderen Gentlemen am Tisch. Mr. Blanton und –

Brandt.

„Preston, mein Junge. Lady Chloe ist hier.“

Die Männer blickten hoch. Chloe spürte, wie ihr die Hitze in die Wangen stieg, als Brandt sie musterte. „Lady Chloe. Möchten Sie sich zu uns gesellen? Oder wollten Sie mich an unseren Tanz erinnern?“

Den Tanz? Den hatte sie vollkommen vergessen. „Ich wollte nur ein wenig zuschauen.“

„Vielleicht möchte Lady Chloe gerne eine Runde spielen. Sir Preston hat es ihr nämlich beigebracht, wissen Sie“, verkündete Lady Kentworth.

„Nein danke, ich muss wirklich gehen und …“

Sir Preston sah sie an. Ein Lächeln erhellte sein angenehmes, kantiges Gesicht. „Ich würde mich freuen, wenn Sie sich zu uns gesellen.“

„Ich glaube nicht …“

Mr. Blanton lächelte ebenfalls. „Kein Grund, schüchtern zu sein, Lady Chloe. Kentworth behauptet, Sie seien eine vielversprechende Schülerin.“

„Sie brauchen sich nicht zu beunruhigen“, fügte Lady Kentworth hinzu. „Setzen Sie sich, Lady Chloe.“ Ihr Ton duldete keinen Widerspruch, und so nahm Chloe neben Brandt Platz. Lady Kentworth strahlte. „Sehr schön. Ich habe Sylvie Compton versprochen, eine Runde mit ihr zu spielen.“ Geschäftig eilte sie davon.

Chloe wusste nicht, wohin sie schauen sollte. „Ich möchte wirklich nicht spielen.“

„Haben Sie Angst, dass wir Sie vernichtend schlagen?“, fragte Brandt mit einem verschmitzten Funkeln in den Augen.

„Natürlich nicht“, erwiderte sie gereizt, doch dann fiel ihr ein, dass man sie ja für eine Anfängerin hielt. „Ich meine, ich rechne durchaus damit.“ Das klang keineswegs besser, und es war Brandt deutlich anzusehen, wie amüsiert er war.

„Dann spielen Sie eben Whist. Salcombe kann Ihr Partner sein“, schlug Mr. Blanton vor. „So haben alle gleich gute Chancen.“

Brandt? Sie sah ihn kurz an. Er erwiderte ihren Blick mit ausdruckslosem Gesicht. Sie hob das Kinn. „Ich hatte eigentlich an Sir Preston gedacht.“

Sir Preston schaute erschrocken drein. „Äh, ich fühle mich natürlich geehrt, aber ich bin gewiss nicht der beste Partner für Sie. Salcombe hat mehr Erfahrung.“

Jetzt verstand sie. Sie dachten, sie würde so schlecht spielen, dass Brandt ihre fehlenden Kenntnisse wettmachen müsste. „Wir werden uns sicher gut schlagen.“

Sie hätte völlig blind sein müssen, um den Blick zu übersehen, den die drei Männer tauschten. „Äh, zweifellos“, sagte Sir Preston.

Sie konnte es ihnen kaum verübeln. Sie hatte keineswegs die Absicht gehabt, in Devon zu spielen, aber bei einer Gesellschaft vor einem Monat hatte Sir Preston bemerkt, wie sie bei einem Spiel zugesehen hatte, und angenommen, dass sie es nicht konnte. Er war zu ihr getreten und hatte ihr angeboten, es ihr beizubringen. Sie hatte es nicht übers Herz gebracht hatte, seinen Eindruck von ihr zu korrigieren. Als sie damals sein offenes, freundliches Gesicht betrachtet hatte, während er ihr die Regeln erklärte, war sie zu dem Schluss gekommen, dass er genau der richtige Ehegatte für sie wäre. Ihr Glück wurde nur durch das Wissen getrübt, dass sie ihn betrog, denn es fiel ihr immer schwerer, Unkenntnis vorzutäuschen und den Drang, zu gewinnen, den sie so an sich hasste, zu beherrschen.

„Dann wäre das geregelt.“ Brandt nahm das Kartendeck zur Hand. „Whist?“

„Whist, bitte.“

Chloe hob ab, dann teilte Brandt die Karten aus, und das Spiel begann. Nach wenigen Zügen wurde ihr klar, dass die drei Männer, vor allem Brandt, nachsichtig mit ihr waren. Als er die Karte nicht ausspielte, von der sie annahm, dass er sie auf der Hand hatte, und sie einen Stich machen ließ, hatte sie es plötzlich satt, Unfähigkeit vorzutäuschen. Sobald sie wieder an der Reihe war, machte sie einen Stich und dann noch einen. Blanton rieb sich das Kinn und warf Brandt mit hochgezogenen Brauen einen Blick zu. Als sie den nächsten Stich ebenfalls bekam, konnte sie beinahe spüren, wie die Atmosphäre zu knistern begann. Die fiebrige Konzentration, die sie seit einer Ewigkeit nicht mehr verspürt hatte, ergriff Besitz von ihr, und sie vergaß alles, außer dem Wunsch, zu gewinnen. Sie würde Brandt beweisen, dass sie nicht das dumme kleine Mädchen war, für das er sie hielt.

Sie spielten drei Runden, und am Ende waren sie und Sir Preston Sieger. Chloe wandte sich zu Brandt und versuchte gar nicht erst, ihren Triumph zu verbergen. „Wir haben fünf Punkte.“

Schweigen. Die drei Männer starrten sie an. „In der Tat“, sagte Brandt schließlich. Chloe vermochte seinen Gesichtsausdruck nicht zu deuten.

„Hervorragend!“, rief jemand hinter ihr. „Noch nie hat jemand Brandt beim Whist besiegt.“ Erschrocken bemerkte Chloe, dass Lady Haversham und mehrere andere Leute sich um sie geschart hatten. Sie wäre am liebsten im Boden versunken, doch sie zwang sich, Sir Preston anzusehen.

„Großartig, Lady Chloe“, sagte Sir Preston verblüfft. „Ich hätte nie gedacht … nun jedenfalls nicht, als wir letztes Mal miteinander gespielt haben.“

„Eine weitere Runde, Salcombe?“, dröhnte Squire Heyburn. „Ein Spiel zwischen Ihnen und Lady Chloe. Ich werde mein Geld jedenfalls auf Lady Chloe setzen. Was haben Sie ihr außerdem beigebracht, Kentworth? Piquet?“

„Ich denke nicht …“, begann Chloe.

„Kommen Sie, Lady Chloe“, unterbrach Mr. Blanton sie.

„Nur ein Spiel. Solche Fähigkeiten sollte man nicht verkümmern lassen.“

„Obwohl ich immer wieder feststelle, dass Kartenspielen zum großen Teil Glückssache ist.“ Emily Coltrane musterte Chloe mit dem kühlen, missbilligenden Blick, mit dem sie sie stets ansah.

„Nun, es hängt davon ab, ob man weiß, wie man die Gelegenheit nutzt, die sich einem bietet“, sagte Brandt schleppend.

„Das weiß Lady Chloe auf jeden Fall“, dröhnte der Squire. „Kommen Sie, noch ein Spiel.“

Komm schon, Chloe, noch ein Spiel. Plötzlich war sie wieder in dem dunklen, feuchten Arbeitszimmer in Braddon Hall, und ihr Bruder Lucien lächelte charmant und bedrängte sie schmeichelnd, eine weitere Runde gegen einen seiner betrunkenen Freunde zu spielen. Sie konnte sich nicht weigern, denn dann würde sein strahlendes Lächeln verschwinden und dem höhnischen Grinsen weichen, das ihr Angst machte. Also musste sie so lange weiterspielen, bis er sie in ihr Schlafgemach schickte, wo sie in ihr Bett und in einen von Albträumen geplagten Schlaf fallen würde.

„Chloe?“ Marguerites besorgte Stimme riss sie aus ihrer Trance. Sie erhob sich, die Freude über ihren Sieg war verschwunden. Im Augenblick wollte sie nur noch fort. „Danke, nein. Jedenfalls nicht jetzt. Emily hat völlig recht. Ich habe einfach Glück gehabt.“

Brandt erhob sich ebenfalls. „Lady Chloe hat mir einen Tanz versprochen.“ Er reichte ihr seinen Arm. „Ich werde Sie in den Ballsaal zurückbegleiten.“

Sie wusste kaum, was sie tat, als sie sich bei ihm einhakte. Marguerite nickte, obwohl sie noch immer besorgt aussah. „Eine großartige Idee.“

Chloe brachte ein Lächeln zustande. Brandt führte sie in den Ballsaal, wo gerade ein Ländler getanzt wurde. Er sah sie mit einem nachdenklichen, prüfenden Blick an.

„Wo haben Sie so gut Kartenspielen gelernt?“

Sie erschrak. „Sir Preston hat es mir beigebracht.“ Das klang selbst in ihren eigenen Ohren gelogen.

„Seine Fähigkeiten als Lehrer übersteigen anscheinend seine Fähigkeiten als Spieler bei Weitem.“

„Ich hatte heute Abend einfach Glück.“

„Natürlich.“

Sie hatte den Verdacht, dass er ihr kein Wort glaubte. „Ich … ich werde bestimmt haushoch verlieren, wenn ich das nächste Mal spiele.“

„Sie unterschätzen Ihre Fähigkeiten. Sie sind außergewöhnlich talentiert.“

„Wenn das so ist, dann ist es ein Talent, das ich lieber nicht hätte!“, platzte es aus ihr heraus. Als sie seinen erschrockenen Gesichtsausdruck bemerkte, hätte sie sich am liebsten auf die Zunge gebissen.

„Sie brauchen sich dessen nicht zu schämen“, sagte er schließlich. „Ich bezweifle, dass Sie die Absicht haben, Ihr Talent an den Spieltischen zu nutzen.“

Einen Augenblick lang war ihr schwindlig, und ihr wurde beinahe übel. „Ganz sicher nicht“, erwiderte sie schwach.

Er starrte sie an. „Ich wollte Sie nicht aufregen.“

„Ich … das haben Sie nicht.“

„Sie sehen aus, als würden Sie gleich in Ohnmacht fallen. Vergessen Sie den Tanz. Sie sollten sich setzen.“

Bevor sie protestieren konnte, führte er sie in ein kleines Zimmer neben dem Ballsaal, in dem es verschiedene Sitzgelegenheiten gab. Er brachte sie zu einem Sessel und bestand darauf, dass sie Platz nahm. „Ich werde Belle zu Ihnen schicken und Ihnen eine Limonade holen.“

Wenige Minuten später kam Belle in den Raum geeilt. „Chloe, was ist los? Brandt sagt, du wärest im Ballsaal beinahe in Ohnmacht gefallen.“

„Er übertreibt.“

Belle setzte sich in den Sessel neben ihr und betrachtete sie besorgt. „Was ist passiert?“, fragte sie sanft.

„Nichts …“, begann Chloe, brach dann jedoch ab. „Oh, Belle, ich habe etwas ganz Schreckliches getan. Ich habe mit Sir Preston, Mr. Blanton und Brandt Whist gespielt. Sir Preston war mein Partner und … und wir haben gewonnen.“

Belle schwieg einen Augenblick. „Was ist daran so schrecklich?“

„Ich habe die ganze Zeit so getan, als verstünde ich nichts vom Kartenspielen! Und niemand sollte herausfinden, dass das nicht stimmt! Ich hatte wirklich nicht vor, zu spielen, doch als Lady Kentworth darauf bestand, habe ich schließlich zugestimmt. Ich merkte sofort, dass sie mich schonten, und das machte mich wütend. Ich wollte ihnen beweisen, dass ich nicht so dumm bin, wie sie meinten … Was mir ja auch gelungen ist; ich habe es jedoch umgehend bereut. Alle waren verblüfft und bestanden darauf, dass ich weiterspiele, und ich wollte ihnen nur noch entkommen.“

Sie holte Luft. „Als wir wieder im Ballsaal waren, fragte Brandt mich, wo ich so gut Kartenspielen gelernt hätte. Ich konnte sehen, dass er mir nicht glaubte, als ich ihm erklärte, Sir Preston habe es mir beigebracht.“ Sie starrte Belle an. „Ich wollte heute Abend gewinnen, Belle, unbedingt. Genau wie früher. Und ich hasse mich dafür. Wie alle mich erstaunt anstarren und dann wetten, ob ich auch das nächste Spiel gewinnen werde.“

„Es ist doch nicht so wie damals“, sagte Belle sanft. „Es gibt keinen Lucien mehr, der dich nötigt, weiterzuspielen.“ Sie nahm Chloes Hand. „Du warst erst dreizehn, eigentlich ein Kind. Lucien war ein schlechter Mensch, weil er dich für seine Zwecke benutzt hat.“

„Dennoch habe ich gespürt, dass das, was ich tat, falsch war. Ich hätte es Papa sagen sollen“, flüsterte Chloe. Oh, wie oft hatte sie sich das bereits vorgeworfen?

„Lucien hat dir doch gedroht, dass es dir schlecht ergehen würde, wenn du etwas sagst. Wie hättest du dagegen ankommen sollen?“ Belle drückte Chloes Hand und sah hoch. „Brandt kommt mit deiner Limonade. Du musst all das hinter dir lassen – es ist Vergangenheit. Lucien ist tot. Er kann niemandem mehr wehtun.“

„Du hast recht, Belle.“ Außer dass sie nach dem heutigen Abend befürchten musste, dass die Vergangenheit sie einholen würde, obwohl sie sich solche Mühe gab, sie zu vergessen.

2. KAPITEL
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Brandt stand am Fenster des Frühstückssalons. Er hatte seinen jüngsten Cousin auf dem Arm und fragte sich, worüber man sich mit einem fünf Monate alten Säugling unterhielt. Der kleine Marquis of Wroth gab einen glucksenden Laut von sich und schaute ihn unverwandt an. Würde er etwa anfangen zu weinen? Brandt räusperte sich. „Ich fürchte, deine Mama hat dich sehr unerfahrenen Händen überlassen. Ich hoffe, sie ist gleich wieder da.“

Plötzlich verzog der Kleine den Mund, und Brandt stellte zu seinem Erstaunen fest, dass sein winziger Cousin ihn anlächelte. Unwillkürlich lächelte er zurück und strich sanft über die weiche Wange des Jungen. Der kleine Julian gluckste erneut, hob seine pummelige Hand und hielt Brandts Finger fest. Unerwartet durchflutete Brandt ein Gefühl der Wärme, und plötzlich war ihm klar, weshalb Justin so völlig im Bann seines Sohnes stand. Natürlich hatte er Julian bei seiner Taufe gesehen, da er der Pate des Kindes war, aber damals hatte ihm das Glück seines Cousins das Gefühl gegeben, nicht dazuzugehören. Nun bedauerte Brandt, dass er so lange nicht mehr da gewesen war.

Er hörte Schritte und hob den Kopf. Da er Belle erwartete, erschrak er, als er stattdessen Chloe erblickte. Sie sah ihn ebenfalls erschrocken an. Dann bemerkte sie Julian auf seinem Arm, und ihre Augen weiteten sich erstaunt.

„Die Duchess bat mich, Kindermädchen zu spielen, solange sie sich mit Mrs. Keith bespricht.“

„Ich verstehe.“ Chloes Gesichtsausdruck war beherrscht, wie stets, wenn sie in seiner Nähe war. Sie trug ein cremefarbenes Musselinkleid, und ihr rotbraunes Haar war am Hinterkopf zu einem Knoten gesteckt. Ein paar Löckchen umrahmten ihr Gesicht. Sie sah frisch und hübsch aus. Und vollkommen unberührbar. Er hatte keine Ahnung, wie es einem Mädchen, das so warm lächeln konnte, gelang, sich gleichzeitig jeden möglichen Verehrer vom Leibe zu halten. Er war sich sehr wohl darüber im Klaren, dass sie ihn nicht mochte, und er konnte es ihr bis zu einem gewissen Grad nicht verübeln. Dennoch verwirrte es ihn, dass sie auch die Annäherungsversuche anderer begehrenswerter junger Gentlemen zurückwies.

Auch ihr Verhalten am vorherigen Abend am Kartentisch verwirrte ihn. Jeder Narr konnte sehen, dass sie keine Anfängerin war. Weshalb hatte sie dann so getan, als habe Kentworth ihr das Kartenspiel beigebracht? Noch verwirrender war ihre entsetzte Miene gewesen, nachdem sie gewonnen hatte.

Julian strampelte und streckte seine Ärmchen nach Chloe aus. „Ich glaube, er möchte zu Ihnen.“ Brandt warf einen zweifelnden Blick auf ihr Kleid. „Falls Sie ihn haben möchten.“

„Natürlich.“ Chloe trat zu ihm und nahm ihm das Kind ab. Der Junge kuschelte sich an sie, drehte das Köpfchen und lächelte Brandt zögernd an. Chloes Gesichtsausdruck wurde weich, als sie den Kleinen betrachtete. Dann blickte sie Brandt an. „Er mag Sie.“

„Das will ich hoffen, schließlich sind wir verwandt.“

„Ich glaube nicht, dass das der einzige Grund ist.“

„Und welchen Grund könnte es sonst dafür geben?“

„Ich …“ Sie wirkte verlegen. „Sie sind nett.“

„Ah. Ein Kompliment aus Ihrem Munde. Ich werde es hüten wie einen Schatz.“

Sie errötete heftig. „Sie brauchen nicht so sarkastisch zu sein.“ Ihr Gesichtsausdruck wurde wieder verschlossen, und sie senkte rasch den Blick.

Er verkniff sich einen Fluch. Er hatte keine Ahnung, weshalb er in ihrer Gegenwart so unbeholfen war.

Sie setzte sich an den Tisch. Sofort griff Julian nach einem Löffel. Als er ihm aus der Hand fiel, begann er zu weinen.

Brandt starrte den Jungen ratlos an. „Soll ich Belle holen gehen?“

„Nein. Heben Sie den Löffel auf.“ Chloe erhob sich, wiegte den Jungen sanft hin und her und sprach leise auf ihn ein.

Brandt holte den Löffel unter dem Stuhl hervor. Er hielt ihn Julian hin. Der Kleine hörte auf zu weinen, doch statt nach dem Löffel zu greifen, streckte er Brandt seine Ärmchen entgegen.

„Er möchte wieder zu Ihnen“, sagte Chloe. „Hier …“ Sie hielt ihm Julian hin.

Und wieder hielt Brandt das pummelige, glucksende Bündel in den Armen, das ihn mit einem strahlenden Lächeln ansah. Er erwiderte das Lächeln und hatte das höchst seltsame Gefühl, dass er nie mehr derselbe sein würde.

Er warf Chloe einen Blick zu und stellte fest, dass sie ihn beobachtete. Und was noch erstaunlicher war, sie lächelte ihn tatsächlich an. Zum zweiten Mal innerhalb einer Minute wurde ihm beinahe schwindlig. „Er ist … er ist entzückend.“ Das schien ihm völlig unzureichend zu sein.

„Das finde ich auch.“ Sie lächelte dieses warme Lächeln, das er erst ein- oder zweimal an ihr gesehen hatte. Es ließ ihr Gesicht aufleuchten, sodass sie unglaublich schön aussah.

Brandt fühlte sich, als habe er einen Schlag in die Magengrube bekommen. Ihr Lächeln schwand, als sie seinen Gesichtsausdruck bemerkte. Julian begann zu strampeln und gab fröhliche, ungeduldige Laute von sich. Als Brandt sich von Chloes Anblick losriss, sah er, weshalb: Justin und Belle waren gerade hereingekommen.

Der Duke of Westmore blieb stehen. „Du scheinst ja erstaunlich gut mit unserem Sohn zurechtzukommen.“

„Glücklicherweise kam Chloe, kurz nachdem Belle gegangen war, und rettete mich.“

„Er hatte es nicht nötig, gerettet zu werden“, sagte Chloe.

Überrascht, dass sie ihn verteidigte, warf er ihr einen Blick zu, doch ihr Gesicht zeigte wieder den üblichen verschlossenen Ausdruck. Julian kreischte und streckte seine Ärmchen nach seinem Vater aus. Lächelnd nahm Justin seinen Sohn und drückte einen Kuss auf seinen Scheitel. Dann sah er seine Gattin an. Sie lächelte ihm zu, und für einen kurzen Moment schienen die drei auf eine Weise verbunden zu sein, die den Rest der Welt ausschloss.

Ein merkwürdiges Gefühl durchzuckte Brandt wie ein kurzer, heftiger Blitz. Er begegnete Chloes Blick. Sie starrten einander an, und er meinte das gleiche Sehnen in ihren Augen wahrzunehmen, das er selber empfand. Dann sah sie weg.

Irgendetwas an dieser Verbindung zwischen ihnen beunruhigte ihn, und er wollte flüchten. „Da ihr meine Dienste als Kindermädchen nicht mehr benötigt, werde ich mich verabschieden und meinen Anwalt aufsuchen.“ Er lächelte Belle an. „Ich fürchte, du wirst hier öfter über mich stolpern, als dir lieb sein könnte.“

Sie erwiderte sein Lächeln. „Das bezweifle ich. Ich bin froh, dass du uns endlich besuchst. Ich hatte schon Angst, dass du für Julian ein Fremder bleibst.“

Brandt sah das Kind an, das ihm so plötzlich ans Herz gewachsen war. „Das brauchst du nicht mehr zu befürchten“, sagte er weich.

Er verabschiedete sich und nickte Chloe kurz zu. Dieses eine Mal hatte er keine Lust, sie zu necken. Tatsächlich schien es ihm das Beste zu sein, ihr möglichst aus dem Weg zu gehen.

Er war fast vor der Kanzlei des Anwalts angelangt, als ihm auf einmal einfiel, dass Ms. Sutton ihn am Abend zuvor zu der Tanzstunde eingeladen hatte, die an diesem Nachmittag in ihrem Hause stattfinden würde. Sie hatte die Hoffnung geäußert, ihn zu dieser Gelegenheit begrüßen zu dürfen. Dass sie hinzugefügt hatte, Chloe sei der Ansicht, dass er eine solche Zerstreuung langweilig finden würde, hatte ausgereicht, ihr augenblicklich eine Zusage zu geben. Besonders als er erfahren hatte, dass Chloe dabei sein würde. Er freute sich darauf, ihr zu beweisen, dass er keineswegs der gelangweilte Mann von Welt war, für den sie ihn offenbar hielt. Im Augenblick allerdings schien ihm die Aussicht auf den Nachmittag nicht mehr so verlockend.

Als Chloe sich wieder an den Frühstückstisch setzte, überschlugen sich ihre Gedanken. Was war da gerade geschehen? Für einen kurzen Moment, als ihre Blicke sich trafen, hatte sie ganz genau gewusst, was Brandt dachte und was er fühlte. Sie hatte eine verletzliche Seite an ihm gesehen, die ihn rührend menschlich machte. Allerdings war sie bereits völlig aus dem Gleichgewicht geraten, als er Julian das zweite Mal auf den Arm genommen hatte. Der arrogante, kühle Viscount war plötzlich wie ausgewechselt gewesen. Als sein Gesichtsausdruck beim Anblick des Kleinen weich geworden war und er verkündet hatte, der Junge sei entzückend, war ihre Abneigung gegen ihn geschwunden.

„Chloe?“

Ihr wurde bewusst, dass sie den Toast auf ihrem Teller angestarrt hatte. „Ich … ich fürchte, ich war in Gedanken versunken, Belle.“

„Das sehe ich. Bist du noch wegen gestern Abend beunruhigt? Oder hat Brandt etwas gesagt, das dich beschäftigt?“

„Er war nur besorgt, weil er Julian auf dem Arm hatte.“

Belle lächelte. „So ist das bei Männern. Ich habe Brandt nie zuvor so bestürzt gesehen wie in dem Moment, als ich ihn bat, Julian zu halten, während ich mit Mrs. Keith spreche. Ich war überrascht, dass er ihn auf dem Arm behalten hat, bis ich zurückkam. Ich war sicher, er würde ihn dir sofort geben.“

„Das tat er, doch Julian hat ihm unmissverständlich klargemacht, dass er wieder zu ihm wollte.“

Belle lachte. Sie goss sich Kaffee nach und warf Chloe einen Blick zu. „Das klingt nicht danach, als ob ihr auf dem Kriegsfuß gestanden hättet.“

„Ausnahmsweise nicht.“

„Gut. Ich hoffe nämlich, ihr könnt Freunde werden.“

„Das bezweifle ich. Wir kommen nicht gut miteinander aus.“

„Bist du sicher? Ich habe das Gefühl, die Abneigung geht hauptsächlich von dir aus. Allerdings weiß ich nicht recht, was du gegen ihn hast.“

„Er ist mir zu arrogant. Solche Männer kann ich nicht leiden.“ Chloe senkte den Blick.

„Das ist schade, denn ich glaube, er mag dich“, sagte Belle sanft.

Chloes Kopf ruckte hoch. „Das bezweifle ich. Er neckt mich gnadenlos, und es scheint ihn zu freuen, dass ich mich darüber ärgere.“

„Ich denke eher, er tut das, um deine Aufmerksamkeit zu erlangen. Sonst neigst du nämlich dazu, ihn zu schneiden.“

Chloes Wangen röteten sich. Es lag nicht in ihrer Natur, jemanden zu kränken, und sie hatte ihre Unhöflichkeit Brandt gegenüber damit entschuldigt, dass er wahrscheinlich ohnehin keine Gefühle habe, die sie verletzen könnte. „Ich nehme an, ich kann ihm einfach nicht verzeihen, wie er dich zu Anfang behandelt hat. Wie konnte er glauben, dass du irgendetwas mit Luciens Plan zu tun hattest, Justin zu vernichten.“ Sie würde niemals vergessen, wie kaltherzig Brandt sich Belle gegenüber verhalten hatte, als sie ihm zum ersten Mal bei einer Soiree begegnet war. Schon allein deswegen hatte sie sofort eine Abneigung gegen ihn gefasst.

„Das ist Vergangenheit. Und du mochtest Justin zunächst auch nicht, doch jetzt scheinst du nichts mehr gegen ihn zu haben. Wenn überhaupt, dann war er derjenige, der die Absicht hatte, mich zu verletzen, während Brandt einzig seinen Cousin beschützen wollte. Genau wie du versucht hast, mich zu beschützen.“

„Ich weiß.“ Ihre Gefühle waren sicherlich unvernünftig. Als Justin nach England zurückgekehrt war, hatte er allen Grund gehabt, zu glauben, dass Belle Luciens Komplizin war. Lucien hatte geplant, Justins Vater zu zerstören, indem er Justin in einem Duell tötete. Stattdessen war Lucien verwundet und Justin auf den Kontinent verbannt worden. Justin war darauf versessen gewesen, sich zu rächen, und hatte sich zum Ziel gesetzt, Belle zu seiner Mätresse zu machen. Wenn überhaupt, hätte sie, Chloe, Justin verabscheuen müssen, doch wie konnte sie das, wenn er Belle und nun Julian so offensichtlich liebte? Außerdem hatte er sie so freundlich bei sich aufgenommen, obwohl er sie ebenso gut hätte hassen können, weil sie Luciens Halbschwester war.

„Es gibt einen weiteren Grund, weshalb ich hoffe, dass du Brandt mit der Zeit besser leiden kannst“, fuhr Belle fort. „Er wird unser Nachbar.“

Resigniert erkannte Chloe, dass Mr. Rushton recht gehabt hatte. „Er hat also Waverly gekauft.“

„Woher weißt du es?“

„Mr. Rushton sprach gestern Abend davon.“ Chloe biss sich auf die Lippe. „Weshalb hast du es mir nicht erzählt?“

„Er bat mich, nichts darüber verlauten zu lassen, da es Ungereimtheiten bei den Eigentumsrechten gab, die erst ausgeräumt werden mussten. Aber er wird den Kaufvertrag heute unterzeichnen.“

„Ich kann mir nicht vorstellen, weshalb er das Anwesen haben will! Es ist alt und vernachlässigt und hat keine modernen Annehmlichkeiten. Weshalb kann er nicht in Salcombe House wohnen?“

„Er mag Salcombe House nicht“, sagte Belle freundlich.

„Und woher hat er das Geld, Waverly zu kaufen?“, platzte Chloe heraus und war zutiefst beschämt, als sie den leisen Vorwurf in Belles Gesichtsausdruck sah. „Oh, Belle, es tut mir leid. Ich hätte so etwas Unhöfliches nicht äußern dürfen. Schließlich geht es mich wirklich nichts an.“

„Nein, doch andere Leute werden zweifellos die gleiche Frage stellen. Er hat einen Großteil seiner Besitztümer, die nicht zum Fideikommiss gehörten, veräußert, um die Schulden seines Vaters zu bezahlen und die notwendigen Modernisierungen an seinem Besitz vornehmen zu lassen. Das übrige Geld hat er investiert, und ich nehme an, dass er Waverly von den Gewinnen kauft.“

„Er hat es anscheinend unbedingt haben wollen. Ich verstehe allerdings nicht, weshalb.“

Belle lächelte. „Ich nehme an, dass er sich auf den ersten Blick in das Haus verliebt hat. Genau wie du.“

Unschlüssig blieb Brandt vor dem hübschen Backsteinhaus der Suttons stehen. Was zum Teufel tat er hier eigentlich? Er hatte nicht den Wunsch, an einer Veranstaltung teilzunehmen, bei der kichernde junge Mädchen und ihre Bewunderer die Schritte der neuesten Tänze übten. Genau die Art ländliche Unterhaltung, die er in einem rückständigen Dorf wie Weyham erwartete. Andererseits hatte er nie Gelegenheit gehabt, eine solche Tanzstunde zu besuchen. Die ständigen Krankheiten seiner Mutter und die strengen moralischen Grundsätze seines Vaters und dessen kalte Missachtung seiner Nachbarn hatten ihn nicht dazu ermutigt, mit dem Landadel der Umgebung Umgang zu pflegen. Und als Brandt nach dem Tod seiner Mutter endlich in der Gesellschaft verkehrte, hatte er sich den wüstesten Lebemännern angeschlossen. Erst als sein Vater tot in einem von Londons verrufensten Bordellen aufgefunden wurde, war er zur Vernunft gekommen. Aber zu dem Zeitpunkt war er bereits zu desillusioniert gewesen, um sich an so einfachen Vergnügungen wie einem Nachmittag mit Tanzübungen erfreuen zu können.

„Haben Sie vor hineinzugehen, Salcombe?“

Brandt schrak auf, als Gilbert Rushtons Stimme hinter ihm erklang. Er drehte sich um. „Ich überlege noch.“

„Dazu ist es zu spät. Ms. Sutton beugt sich bereits aus dem Fenster. Es wäre unverzeihlich, wenn Sie jetzt wieder gehen würden.“ Er grinste Brandt an. „Machen Sie sich keine Sorgen, es dauert höchstens ein paar Stunden.“

Tatsächlich winkte ihnen Ms. Sutton aus einem der Fenster im ersten Stockwerk zu. Brandt folgte Rushton zur Tür. „Also hat Ms. Sutton Sie ebenfalls überredet?“

„Richtig. Als ich indes erfuhr, dass Lady Chloe ebenfalls hier sein wird, musste man mich nicht lange überreden.“

„Lady Chloe?“

„Ein verdammt hübsches Mädel, klug und obendrein eine Erbin. Manche Gentlemen mögen keine Mädchen, die ihnen beim Kartenspiel überlegen sind, ich schon. Mir gefällt es, wenn eine Frau Temperament und Köpfchen hat.“

Unerklärlicherweise ärgerte Brandt sich darüber.

Inzwischen hatten sie die Eingangstür erreicht. Rushton blickte ihn an. „Ich dringe doch nicht etwa in Ihr Revier ein?“

„Nein, ich habe kein Interesse an Lady Chloe, abgesehen davon, dass wir miteinander verwandt sind.“

„Dann haben Sie nichts dagegen, wenn ich die Bekanntschaft mit ihr vertiefe?“

Oh, er hatte auf jeden Fall etwas dagegen. Wie konnte er wollen, dass sie dem Charme eines Tunichtguts wie Gilbert Rushton erlag? „Nein, es sei denn, Sie tändeln mit ihr.“

„Meine Absichten sind vollkommen ehrenhaft.“

Das war nicht dazu angetan, Brandt zu beruhigen. Aber die Haushälterin hatte ihnen bereits geöffnet und führte sie in den sonnigen Salon, in dem sich bereits ein halbes Dutzend junger Leute um das Klavier versammelt hatte. Chloe saß auf einem kleinen Sofa neben Sir Preston. Sie sah erstaunt auf und wandte dann rasch den Blick ab.

Mrs. Sutton begrüßte sie mit einem freundlichen Lächeln. „Guten Tag, Gilbert. Wie reizend, Sie zu sehen, Lord Salcombe. Wir finden es großartig, Sie in Zukunft bei uns zu haben. Wir hatten schon befürchtet, dass Waverly abgerissen würde und …“ Als sie seine Miene gewahrte, brach sie ab. „Oje! Ich fürchte, das hätte ich nicht …“

Brandt hatte seine Überraschung nicht ganz verbergen können. „Keine Sorge, Madam. Ich habe gerade heute die letzten Papiere unterzeichnet und brauche die Sache daher nicht länger geheim zu halten.“

Der ängstliche Ausdruck wich aus Mrs. Suttons Zügen. „Das ist ja wunderbar!“

„Also stimmten die Gerüchte! Herzlichen Glückwunsch!“, sagte Rushton.

Die anderen kamen hinzu, um ihm ebenfalls zu gratulieren, außer Chloe, die zu Brandts Ärger mit verschlossenem Gesichtsausdruck im Hintergrund blieb.

Schließlich drehte Lydia sich zu Chloe um. „Siehst du! Ich wusste, dass Lord Salcombe kommen würde. Er versicherte mir, er würde es überhaupt nicht langweilig finden, wie du behauptet hast.“

„Ich verstehe“, sagte Chloe schwach. Sie sah Brandt nicht an.

Lydia lächelte strahlend. „Wollen wir anfangen? Harriet wird Klavier spielen. Zuerst tanzen wir einen Ländler, um Sir Preston zu zeigen, wie es geht. Dann kann er es selber versuchen.“

Sir Preston zupfte an seinem Krawattentuch. „Äh, sicher.“

„Meint ihr nicht, dass es zu verwirrend für ihn wird, wenn wir alle auf einmal tanzen?“, fragte Emily. „Ich denke, es wäre das Beste, wenn Lady Chloe und Lord Salcombe zuerst die Schritte vorführen. Sie haben wahrscheinlich die meiste Erfahrung.“

Chloe sah sie entsetzt an. „Was mich anbelangt, so trifft das nicht zu.“

„Das Gleiche gilt für mich“, sagte Brandt unwirsch und verschränkte die Arme vor der Brust. Er hatte nicht die Absicht, sich Chloe aufzudrängen.

„Ich würde mich freuen, Lady Chloes Partner zu sein“, sagte Rushton. Er lächelte sie in einer Weise an, die Brandt ärgerlich fand.

„Dann kann Lydia ja mit Lord Salcombe tanzen“, beschied Emily.

Lydia hatte sich über Emilys Einmischung geärgert, doch nun erhellte sich ihr Gesicht. „Das ist eine großartige Idee. Bei zwei Paaren ist es viel leichter zuzuschauen.“

„Da wir das geregelt haben, können wir ja jetzt anfangen“, sagte Tom Coltrane. Er stand mit Henry Ashton neben dem Pianoforte und versuchte, einen Gesichtsausdruck gelangweilten Amüsements aufzusetzen.

Sie nahmen ihre Plätze ein, und Harriet begann einen Ländler zu spielen. Brandt, der bei zahllosen Bällen in Anwesenheit der hochnäsigsten Mitglieder des ton getanzt hatte, wurde plötzlich von einer unerwarteten Befangenheit ergriffen, nur weil eine Hand voll junger Leute ihn beobachtete. Harriets abgehackte Spielweise und die Tatsache, dass sie gelegentlich Passagen wiederholte, wenn sie eine falsche Note gespielt hatte, machten es beinahe unmöglich, im Takt zu bleiben. Dass Rushton flüsternd mit Chloe flirtete, brachte Brandt noch mehr aus dem Konzept. Und als er Lydia losließ und versehentlich nach Rushtons Hand griff statt nach Chloes, wusste er nicht, ob er lachen oder fluchen sollte.

Die anderen begannen zu kichern. Chloe starrte ihn an. Sie biss sich auf die Lippe, dann begannen ihre Mundwinkel zu zucken. Sie blieb stehen, und Lydia stieß gegen sie. „Oje …“

Sie schlug die Hand vor den Mund und versuchte vergebens, nicht zu lachen.

Brandt grinste. Alle außer Lydia waren nun in Gelächter ausgebrochen. „Oh, hört auf!“, rief sie. „So komisch war es nun auch wieder nicht!“

„Doch!“ Tom hielt sich die Seiten. „Wird das in London etwa so gemacht? Ich hatte mir diese ton – Bälle immer ein wenig fade vorgestellt! Mir scheint, ich habe mich geirrt!“

Sogar Sir Preston lächelte. „Hätte von mir stammen können, die Demonstration.“

Lydia marschierte zum Pianoforte. „Harriet! Wieso hast du nicht geübt?“

Harriet sprang auf. „Ich hasse es, Tänze zu spielen, das habe ich dir doch gesagt!“ Sie sah aus, als würde sie gleich in Tränen ausbrechen.

„Mach dir nichts draus, Harriet“, sagte Emily energisch. „Du kannst mit Tom tanzen, und ich werde dieses Mal spielen.“ Sie sah ihren Bruder, der sich immer noch die Augen auswischte, bedeutungsvoll an.

„Äh, ja.“ Tom reichte Harriet seinen Arm. Sie strahlte ihn an, als sie ihren Platz bei den anderen einnahmen.

Dieses Mal ging alles glatt. Als der Tanz vorbei war, erhob Emily sich. „Ich weiß, dass Sie ganz wunderbar spielen, Lady Chloe. Vielleicht könnten Sie sich nun ans Pianoforte setzen, und ich werde Sir Preston die richtigen Schritte zeigen.“

Brandt sah Chloe gerade rechtzeitig genug an, um den seltsamen Gesichtsausdruck zu bemerken, der über ihre Züge huschte. Sie warf Sir Preston einen Blick zu und erklärte schließlich: „Ich fürchte, mir geht es wie Harriet. Ich kann keine Tänze spielen.“

„Oh, das bezweifle ich“, erwiderte Emily. Das Lächeln, das sie Chloe schenkte, war unübersehbar falsch.

„Spiel für uns, Chloe!“, bat Lydia.

Chloe setzte sich an das Instrument, ohne ein Hehl daraus zu machen, dass sie nicht erbaut war. Emily nahm Sir Prestons Hand und ging mit ihm in ihrer sachlichen Art die Schritte durch. Als der Tanz anfing, wurde rasch deutlich, dass Emilys Unterweisung gut gewesen war; Sir Preston patzte nur ein einziges Mal.

Danach brachte die Haushälterin ein Tablett mit Erfrischungen. Trotz des fröhlichen Geplauders der anderen schien Chloe bedrückt und mit ihren Gedanken woanders zu sein. Obwohl Brandt sich vorgenommen hatte, sich von ihr fernzuhalten, hätte er sie gerne gefragt, was mit ihr los war. Doch bevor er sich von Lydia loseisen konnte, nahm Gilbert Rushton bereits den Platz neben Chloe auf dem Sofa ein. Er sagte etwas zu ihr, und sie schenkte ihm ein leichtes Lächeln, was Brandt wütend machte.

„Wollen Sie Waverly zu Ihrem Zuhause machen, Lord Salcombe?“, fragte Lydia ihn.

„Das habe ich vor, Ms. Sutton.“

„Sie werden bestimmt häufig in London sein.“

„Tatsächlich habe ich nicht die Absicht, viel Zeit in der Stadt zu verbringen. Ich werde mit Waverly genug beschäftigt sein.“

Aus irgendeinem Grund sah sie enttäuscht aus. Ms. Coltrane erhob sich. „Wir könnten jetzt den Walzer üben. Doch den müssen Lord Salcombe und Lady Chloe uns vorführen.“

Brandt sah Chloe an und wartete auf die unvermeidliche Ablehnung. Sie begegnete seinem spöttischen Blick und hob das Kinn. „Es wäre mir eine Freude, wenn Lord Salcombe einverstanden ist.“

„Es wäre mir ebenfalls eine Freude, Lady Chloe. – Was hat Sie dazu gebracht, schließlich doch noch mit mir zu tanzen?“, murmelte er, als sie neben ihm stand.

„Wie Sich erinnern werden, haben Sie einen Tanz bei mir gut. Ich wollte einfach meine Schulden begleichen.“

Ms. Coltrane begann zu spielen. Brandt legte Chloe den Arm um die Taille und ergriff ihre Hand. Chloe zögerte kurz, dann ließ sie sich von ihm führen. Er vergaß, dass er in einem kleinen Salon vor wenigen Zuschauern tanzte – er war sich nur bewusst, wie gut sich ihr schlanker Rücken anfühlte, spürte die sachte Berührung ihrer Finger, sah nur noch, wie sie zu ihm aufblickte, wie weich und einladend ihr Mund war. Bei der Vorstellung, wie er diese Lippen mit seinen verschloss, stockte ihm der Atem.

Er hörte, wie sie scharf Luft holte. Ihre Augen weiteten sich, als ob sie sein Verlangen erraten hätte. Die Musik endete, und er riss sich von ihrem Anblick los. Was zum Teufel machte er da? Er ließ seine Hände sinken und verbeugte sich leicht. „Danke für den Tanz, Lady Chloe.“

Sie knickste. „Danke, Lord Salcombe.“ Dann drehte sie sich zu Sir Preston um. „Möchten Sie es ebenfalls versuchen, Sir? Ich würde Ihnen die Schritte gerne zeigen. Ms. Coltrane hat so großartig gespielt, sicher hätte sie nichts dagegen, es noch einmal zu tun.“

„Oh, selbstverständlich nicht“, versetzte Ms. Coltrane mit einem kühlen Lächeln.

Dieses Mal spielte sie den Walzer, als handele es sich um ein Requiem. Brandt kam indes nicht dazu, zu überlegen, weshalb, weil Chloes Bemühungen, Sir Preston die Feinheiten des Walzers beizubringen, ihn ablenkten. Als er sah, wie sie Sir Prestons Hand an ihre Taille führte, wünschte er, dass er derjenige wäre, der Walzer üben müsste. Und als Sir Preston schließlich fehlerfrei tanzen konnte, lächelte Chloe ihn in einer Weise an, dass Brandt von Eifersucht gepackt wurde.

Mrs. Sutton bestand darauf, zu spielen, damit alle tanzen konnten, bis Ms. Coltrane verkündete, es sei Zeit für sie, aufzubrechen.

Die anderen folgten ihrem Beispiel, und die Gesellschaft löste sich auf. Als Brandt sich von Mrs. Sutton verabschiedete, lächelte die Dame des Hauses ihn an. „Wir haben uns ja so gefreut, dass Sie heute bei uns waren! Ich hoffe, Sie werden bei

Lady Havershams Sommerball ebenfalls zugegen sein?“

„Ja, ich werde kommen.“

Mrs. Sutton strahlte. „Wie schön.“

Es gelang ihm schließlich, ihr zu entkommen, doch von Chloe war nichts mehr zu sehen.

In gedrückter Stimmung ging Chloe den Weg entlang. Sie fragte sich, ob sie diesen Nachmittag als Erfolg werten konnte oder nicht. Sie hatte zwar einige Zeit neben Sir Preston gesessen, aber nachdem Emily und Tom eingetroffen waren, hatte sich die Konversation um Pferderennen gedreht, ein Thema, über das Chloe nur wenig wusste. Brandts unerwartete Ankunft hatte ihr die Laune erst recht verdorben, und als Lydia geäußert hatte, dass er die Tanzstunde keineswegs langweilig fände, wäre Chloe am liebsten im Boden versunken.

Es war ihr aufgefallen, dass Emily aus einem unerfindlichen Grund entschlossen schien, sie von Sir Preston fernzuhalten. Wenigstens war es ihr zuletzt doch noch gelungen, Emilys Plan zu durchkreuzen und Sir Preston den Walzer zu zeigen. Seltsamerweise war es jedoch eine recht langweilige Angelegenheit gewesen, nachdem sie mit Brandt getanzt hatte. Brandt war natürlich ein erfahrener Tänzer, vermutlich war es deshalb interessanter mit ihm. Was allerdings nicht erklärte, weshalb dieses merkwürdige Kribbeln durch sie hindurchgerast war, als Brandt seine Hand auf ihre Taille gelegt hatte. Und weshalb sie überhaupt nichts empfunden hatte, als Sir Preston dasselbe tat. Oder weshalb ihr Herzschlag bei dem Blick in Brandts Augen am Ende des Tanzes außer Takt geraten war.

Sie hatte lediglich aus dem Grund eingewilligt, mit ihm Walzer zu tanzen, weil sie es ihm am Abend zuvor versprochen hatte. Und weil er sie mit diesem wissenden Blick angesehen hatte, als ob er nur darauf wartete, dass sie ablehnte. Sie hatte ihn eines Besseren belehren wollen.

Was blödsinnig war. Genauso wie an ihn zu denken, obwohl sie eigentlich an Sir Preston denken sollte. Er war ein verlässlicher, vertrauenswürdiger Mann – und genau so einen wollte sie heiraten. Einen Mann, bei dem sie sich wohlfühlen würde. Einen Mann, der sie nicht behandelte, als ob sie unfähig wäre, eigenständig zu denken. Nicht so wie ihr Vater. Oder Lucien. Oder wie Arthur es tat. Und ein kühler, selbstsicherer, arroganter Mann wie Brandt es gewiss ebenfalls tun würde.

Jemand rief ihren Namen, und Chloe drehte sich um. Emily kam hinter ihr her geeilt. Chloe unterdrückte ein Stöhnen. Emily war der letzte Mensch, den sie in diesem Augenblick sehen wollte.

Sie holte Chloe ein. „Sie haben wirklich gut mit Lord Salcombe Walzer getanzt. Wie nett von Ihnen, Sir Preston die Schritte zu zeigen, obwohl ich bezweifle, dass er von Ihren Fachkenntnissen ebenso profitiert, wie sich seine Fachkenntnisse im Kartenspiel für Sie ausgezahlt haben.“

„Ich hatte einfach Glück.“

„Ich glaube nicht, dass es nur Glück war. Sie haben beachtliches Talent. Jeder konnte sehen, dass Sie das Spiel in der Hand hatten. Ich nehme an, es war sehr demütigend für den armen Sir Preston.“

„Sir Preston hat hervorragend gespielt. Ich würde mich jederzeit freuen, ihn zum Partner zu haben.“

Emily lachte auf. „Wie vehement Sie ihn verteidigen. Man könnte beinahe meinen, Sie hegten ein tendre für ihn.“

Offenbar wollte sie damit andeuten, dass keine Frau, die ihre fünf Sinne beisammenhatte, dergleichen in Betracht ziehen würde. „Ich kann mir vorstellen, dass eine Menge Frauen ein tendre für Sir Preston entwickeln könnten“, erwiderte Chloe.

„Also ist es wahr! Ich hätte gedacht, dass Sie einen Mann wie Lord Salcombe vorziehen würden.“

„Ich habe nicht behauptet, dass ich ein tendre für Sir Preston hege.“ Chloes Wangen röteten sich. „Und ich weiß nicht, wie Sie auf die Idee kommen, dass ich Lord Salcombe vorzöge.“

„Er ist kultivierter und weltgewandter, und ich nehme an, dass er nicht nur an sein Land und seine Pferde denkt. Man muss schließlich etwas mit demjenigen gemeinsam haben, dem man seine Zuneigung schenkt, und soweit ich sehe, haben Sie kein Interesse an Landwirtschaft und Pferden.“

„Natürlich bin ich daran interessiert.“ Chloe ärgerte sich immer mehr über Emilys impertinente Fragen.

Das Mädchen lächelte überheblich. „Armer Sir Preston. Hat er einen Verdacht? Nein, natürlich nicht. Dazu ist er zu begriffsstutzig.“

Chloe hätte sie am liebsten geohrfeigt. „Ich hege kein tendre für irgendjemanden. Ich mag Sir Preston, weil er nett ist.“ Gott sei Dank hatten sie den Abzweig nach Falconcliff erreicht. „Ich muss hier entlang. Ich hoffe, Sie werden derartige Spekulationen niemandem sonst gegenüber erwähnen.“

„Oh, mit keinem Wort“, äußerte Emily munter. „Auf Wiedersehen, Lady Chloe.“ Sie ging mit hoch erhobenem Kopf davon.

Chloe starrte ihr hinterher. Lieber Himmel! Wenn Emily nun doch redete? Sie würde vor Scham sterben, wenn man glaubte, sie hätte es auf Sir Preston abgesehen.

Vor allem Brandt. Sie konnte sich seine Erheiterung vorstellen. Nein, sie wollte nicht, dass jemand davon erfuhr, bevor sie nicht mit Sir Preston verlobt war.

Falls es überhaupt dazu kommen würde.

Chloes Laune wurde noch schlechter, als sie ihr Schlafgemach betrat und auf dem Ankleidetisch einen Brief von Arthur fand. Normalerweise schrieb er, um sie dafür zu tadeln, dass sie ihr ganzes Nadelgeld ausgegeben hatte.

Sie ging zum Fenster, erbrach das Siegel und faltete den Brief auseinander. „Oh nein“, flüsterte sie.

Der Marquis of Denbigh und seine Schwester, Lady Barbara, waren so überaus freundlich, uns zu ihrer Hausgesellschaft nach Denbigh Hall einzuladen. Ich werde zehn Tage nach Lady Havershams Ball in Falconcliff eintreffen, und am nächsten Morgen werden wir zeitig nach Denbigh Hall aufbrechen.

Nicht Lord Denbigh, der sie mit seinem massigen Körper, den hervorquellenden Augen und den feuchten Händen an einen großen Frosch erinnerte! Sie war ihm in der vergangenen Saison vorgestellt worden und hatte ihn nicht gemocht, weil er sie an Luciens Bekannte erinnerte. Sie war erstaunt gewesen, als Denbighs verwitwete Schwester, die weltgewandte Lady Barbara Grant, sie ins Theater einlud, bei Gesellschaften ihre Nähe suchte und sie zu Ausfahrten in ihrem modischen Landauer mitnahm. Lord Denbigh war fast jedes Mal dabei gewesen. Chloe hatte versucht, ihm aus dem Weg zu gehen, denn die Art, wie er sie betrachtete, beunruhigte sie. Doch eines Abends, als ihre Mutter und sie bei Lady Barbara zum Dinner eingeladen waren, hatte Lady Barbara Denbigh und sie in dem kleinen Garten hinter ihrem Stadthaus allein gelassen. Plötzlich war er über sie hergefallen und hatte sie mit seinem feuchten, dicken Mund geküsst. Ihr war übel geworden, aber erst als sie anfing, zu würgen, hatte er von ihr abgelassen.

Am darauffolgenden Tag hatte Chloe angefangen zu fiebern, und der ganze Körper hatte ihr wehgetan. Nach mehreren Wochen war sie genesen, jedoch immer noch so geschwächt, dass der Arzt einen Aufenthalt an der Küste empfohlen hatte. Die Einladung nach Falconcliff war ihr wie ein Geschenk des Himmels erschienen. Chloe hatte sich gefreut, Belle wiederzusehen, und sie war erleichtert gewesen, London und Lord Denbigh zu entkommen. Jedenfalls hatte sie das geglaubt.

Was sollte sie nun tun? Allein der Gedanke, Lord Denbigh erneut zu begegnen, machte ihr Angst. Würde Sir Preston ihr doch nur einen Antrag machen! Wenn sie mit ihm verlobt wäre, bräuchte sie sicher nicht mehr zu der Hausgesellschaft nach Denbigh Hall fahren. Sie könnte bis zur Hochzeit in Falconcliff bleiben, und danach würde sie für immer hier in Devon leben.

Mit dem Brief in der Hand wandte Chloe sich vom Fenster ab und setzte sich auf das Bett. Sir Preston war nett und aufmerksam, aber was Frauen anging, besaß er kein besonderes Geschick. Er erinnerte sie an Charles Hampton, Serenas Verlobten. Serena war ihre beste Freundin und hatte ihr geschrieben, sie habe ihren Charles dazu zwingen müssen, ihre Erwartungen zu erfüllen.

Wie hatte sie das nur bewerkstelligt? Chloe erhob sich und durchsuchte die kleine Holzkiste, in der sie ihre Korrespondenz aufbewahrte, bis sie Serenas Brief gefunden hatte.

Ich muss zugeben, ich war gezwungen, die Sache selbst in die Hand zu nehmen. Wahrscheinlich bist du über meine Unverfrorenheit schockiert, ich weiß doch, wie anständig du bist! Bei der Gesellschaft gestern Abend bat ich ihn unter dem Vorwand, mir sei zu heiß im Saal, mich in den Garten zu begleiten. Ich lotste ihn zu einer Bank, die schön abgelegen war, und wir setzten uns. Nach kurzer Zeit erklärte ich ihm, mir sei kalt, und rückte ganz nah an ihn heran. Dann lächelte ich und sah ihm tief in die Augen. Es war dreist von mir, ich weiß, aber endlich küsste er mich, und danach fühlte er sich verpflichtet, mir einen Antrag zu machen, den ich sittsam angenommen habe.

Die Sache mit dem Küssen verursachte Chloe leichte Übelkeit, doch wenn sie Sir Preston heiraten wollte, dann musste sie Küsse zulassen. Vielleicht gewöhnte man sich ja mit der Zeit daran.

Bei Belle war das jedenfalls so, der verträumte Ausdruck in ihren Augen, wenn Justin sie auf eine bestimmte Art anblickte, ließ darauf schließen. Indes fand Chloe das Verlangen der beiden nacheinander nicht abstoßend. Im Gegensatz zu dem Ekel, den sie bei Denbigh empfunden hatte. Oder bei Luciens Bekannten.

Und das war ein weiterer Grund, weshalb sie sich bei Sir Preston sicher fühlte. Er blickte sie nie auf diese widerliche Art an. Sie mochte Sir Preston, also würden ihr seine Küsse vielleicht nichts ausmachen. Außerdem wünschte sie sich Kinder, und deshalb musste sie lernen, nichts gegen solche Vertraulichkeiten zu haben.

Konnte sie es irgendwie erzwingen, dass Sir Preston um ihre Hand anhielt? Sie erschauerte bei dem Gedanken daran, aber sie sah keine andere Möglichkeit, Arthurs Ansinnen zu vereiteln.

Arthur würde in weniger als zwei Wochen eintreffen. Bis dahin musste sie sich etwas einfallen lassen.

3. KAPITEL
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Brandt betrachtete das Kind, das auf seinem Knie saß, und fragte sich, wie es dazu gekommen war, dass man ihm wieder ein Menschlein, das nicht einmal ein Jahr alt war, in den Arm gedrückt hatte. Dieses Mal war es Lady Emma Peyton, die jüngste Tochter von Lord und Lady Haversham. Sie sah ihn mit ihren großen blauen Augen unverwandt an, und als er sie zögernd anlächelte, verzog sie ihr Mündchen, das wie eine Rosenknospe aussah, zu einem unwiderstehlichen Lächeln. In wenigen Jahren würde sie zweifellos jeden Mann, der sie zu Gesicht bekam, bezaubern. Bei ihm war ihr das bereits gelungen.

„Also werden wir das Picknick in Waverly zwei Tage nach dem Ball veranstalten“, sagte Marguerite. Sie saß ihm gegenüber auf einem der Sofas in ihrem Salon.

Brandt riss sich von Lady Emmas Anblick los. „Solange es nicht regnet. Im Empfangszimmer liegt immer noch fingerdick der Gipsstaub.“

„In diesem Fall werden wir das Picknick einfach hierher verlegen.“

Emma strampelte auf seinem Arm, und Brandt begann sie zu schaukeln. Sie ließ ein entzücktes Glucksen hören.

„Ich glaube, es wird Zeit für dich, eigene Kinder zu bekommen“, schmunzelte Marguerite.

„Warum? Ich kann doch den Onkel für deine und Belles Kinder spielen.“

„Das ist nicht dasselbe, wie eigene Kinder zu haben. Was meinst du, Giles? Ich glaube, er wäre ein großartiger Vater.“

„Zweifellos.“ Giles, der am Kamin stand, wandte sich grinsend zu Brandt. „Sei lieber vorsichtig. Wenn sie solche Dinge sagt, könnte es dir passieren, dass du im Handumdrehen eine ganze Schar von Rangen am Hals hast.“

„Dazu braucht er erst einmal eine Gattin“, gab Marguerite zu bedenken. Sie sah Brandt an. „Gibt es denn keine Frau, für die du dich interessierst? Eine respektable, meine ich.“

„Ich fürchte, alle respektablen, interessanten Frauen sind entweder verheiratet oder … „, er betrachtete Emma, „… viel zu jung.“

Marguerite verdrehte die Augen. „Wirklich, Brandt, kannst du nicht mal einen Augenblick ernst sein?“ Sie erhob sich, um ihre Tochter zu nehmen. „Waverly braucht Kinder, also musst du eine Frau finden, die zu dir passt und die dir gefällt.“

„Ich kann mir im Augenblick keine Gattin leisten.“

„Dann musst du dir eine Erbin suchen“, meinte Giles.

Marguerite starrte ihren Gatten an, als habe er gerade eine brillante Idee gehabt. „Natürlich. Chloe. Sie wäre perfekt! Sie liebt Kinder, und sie liebt Waverly! Du könntest keine finden, die besser zu dir passt!“

War Marguerite verrückt geworden? „Ich glaube, sie würde eher einem von uns den Kopf abschlagen, als sich von mir zum Altar führen lassen.“

Giles grinste amüsiert. „Weshalb eigentlich nicht? Ich bin sicher, du würdest dich keine Minute langweilen.“

„Nein. Ich müsste höchstens befürchten, dass ich mit einem Dolch an der Kehle aufwache.“

„Vielleicht wäre sie nicht mehr böse auf dich, wenn du aufhören würdest, sie zu ärgern“, erklärte Marguerite. „Ich muss Emma zu ihrer Kinderfrau zurückbringen und mich vergewissern, dass die Zimmer hergerichtet sind. Unsere ersten Gäste werden heute eintreffen. Sosehr ich mich auf den Ball freue, ich bin erleichtert, wenn er übermorgen vorbei ist.“ Marguerite ging zur Tür und drehte sich um. „Wenn du Chloe nicht in Betracht ziehst, werde ich eine andere Kandidatin für dich finden müssen“, drohte sie Brandt und ging hinaus.

Giles schmunzelte. „Eigentlich ist Chloe sehr freundlich und großzügig. Heute hat sie Caroline und Will zu einem Picknick mitgenommen. Ich kenne nicht viele junge Damen, die bereit wären, so viel Zeit mit zwei Kindern zu verbringen, mit denen sie nicht verwandt sind. Die beiden beten sie an. Du könntest es schlechter treffen.“

„Eigentlich bin ich gar nicht auf der Suche nach einer Gattin.“

„Jetzt bist du es.“ Giles lachte, als er Brandts Gesichtsausdruck sah. „Wenn Marguerite etwas dazu zu sagen hat.“

Brandt ritt den Weg entlang, der über die Klippen nach Waverly führte. Unter ihm lag der Strand und dahinter die funkelnde See, doch er schenkte der Landschaft keine Beachtung. Stattdessen ging ihm der Gedanke an Kinder nicht aus dem Kopf. Seine Kinder. In Waverly.

Er musste verrückt sein. Gewiss hatten Julian und Emma ihn nicht so sehr bezaubern können, dass er plötzlich eigenen Nachwuchs haben wollte. Wenn er je über Kinder nachgedacht hatte, dann waren sie stets gesichtslos gewesen.

Nun waren sie das nicht mehr. Sie hatten rundliche Wangen und pummelige Händchen. Und ihr Lächeln rührte sein Herz. Obwohl er spürte, dass Waverly das Richtige für ihn war, schien dort irgendetwas zu fehlen, als ob es noch etwas gäbe, das er sich wünschte. Jetzt wusste er, was es war. Dasselbe, was Justin und Giles hatten: warmherzige, liebevolle Familien.

Nicht so wie seine eigene Familie, mit einer Mutter, die niemals lächelte, und dem kalten, strengen Vater, der bei den kleinsten Verstößen zornig wurde. Brandt konnte sich kaum an eine Zeit erinnern, in der seine Mutter nicht krank gewesen war, und obwohl sie nie die Stimme erhoben und nie vor anderen geweint hatte, stand für ihn fest, dass sie furchtbar unglücklich gewesen sein musste. Und sein Vater hatte sich ihm gegenüber nie wie ein Vater verhalten. Nur in Justins Familie war ihm Wärme zuteil geworden.

Er war oft bei den Westmores gewesen. Die Duchess hatte ihm die gleiche Liebe und Herzlichkeit entgegengebracht wie ihrem eigenen Sohn. Sie hatte ihm stets zugehört, wenn er etwas auf dem Herzen hatte, und war sich nicht zu schade gewesen, sich auf den Boden zu hocken und mit ihnen zu spielen. Der Duke war zwar zurückhaltender, aber genauso freundlich gewesen.

Brandt hatte Justin beneidet. Er tat es noch immer.

Doch selbst wenn er eine Gattin haben wollte, er konnte sich keine leisten. Es war ihm zwar gelungen, einen Teil des Vermögens zu retten, das sein Vater vergeudet hatte, aber die Ausgaben für all die Reparaturen und Verbesserungen auf dem Grundbesitz, die sein Vater vorzunehmen versäumt hatte, waren immens hoch gewesen. Einen Teil hatte er für ein gewagtes Unternehmen aufs Spiel gesetzt, das gegenwärtig erfolglos zu sein schien. Aber immerhin besaß er Waverly, das Anwesen, das er haben wollte, seit er es zum ersten Mal gesehen hatte.

Er wollte nicht des Geldes wegen heiraten oder eine Vernunftehe eingehen. Oder für den Erben sorgen, den seine Großtante Lady Farrows in keinem Brief unerwähnt ließ. Er würde keinen Nachwuchs in die Welt setzen, es sei denn, er heiratete eine Frau, die Kinder ebenso anbetete, wie Marguerite oder Belle es taten.

Eine Frau wie Chloe.

Er verwünschte Marguerite, weil sie ihm diesen Gedanken in den Kopf gesetzt hatte. Chloe passte nicht zu ihm. Sie war zu unschuldig, zu gut.

Und er besaß den gleichen Charakter wie sein Vater. Er hatte beweisen wollen, dass er anders war. Mit seinem zügellosen Leben in London hatte er sich zu überzeugen versucht, dass er alle Fleischeslüste kosten konnte, die die Hauptstadt zu bieten hatte. Vergnügungen, die sein kalter, leidenschaftsloser Vater verurteilte. Ironischerweise hatte er erkennen müssen, dass er aus dem gleichen Holz geschnitzt war wie sein Vater.

Brandt erreichte die baufälligen Stallungen, saß ab und übergab sein Pferd einem Stallburschen. Statt sich zum Haus zu begeben, schlug er den Weg ein, der zur Küste führte. Am Rand der Klippen blieb er stehen. Plötzlich bemerkte er auf den flachen Felsen im Watt zwei Kinder und eine Frau, die er ohne Schwierigkeiten erkannte: Es waren Lord Will Haversham und seine Schwester Lady Caroline – und Lady Chloe.

Er fluchte leise. Seiner Berechnung nach musste die Flut bald kommen. Er hoffte, Chloe war so vernünftig, die Felsen vorher zu verlassen. Rasch eilte er zu den unebenen Steinstufen, die zum Strand hinunterführten.

„Guck mal, Chloe!“, rief William. Chloe hob ihre Röcke an und lief vorsichtig über die Felsen. Als sie den Tümpel erreicht hatte, vor dem der Junge kniete, ging sie neben ihm in die Hocke. „Was hast du entdeckt?“

„Einen Seestern! Ist er nicht großartig?“

„Das ist er“, bestätigte Chloe und lächelte. Mit seinen sechs Jahren war William begeisterungsfähig, lebhaft und voller Tatendrang. Sie hatte ihn ebenso gern wie seine ernsthaftere ältere Schwester Caroline und natürlich die kleine Emma. Lydia konnte nicht verstehen, weshalb sie so langweilige Dinge tat, wie die Kinder zu einem Picknick mitzunehmen oder Tümpel bei Ebbe zu erforschen oder auf Ponys zum Fischbach in der Nähe des Dorfes zu reiten. Lydia hatte Spielkameraden gehabt und war unter Geschwistern aufgewachsen. Beides hatte sie, Chloe, schmerzlich vermisst, und mit Lucien war es schlimmer gewesen, als wenn sie gar keinen Bruder gehabt hätte. Mit Will und Caroline konnte sie all jene Dinge erleben, nach denen sie sich als Kind so gesehnt hatte.

„Chloe!“ Caroline stand neben ihr. „Ich glaube, wir sollten umkehren. Die Flut kommt langsam herein.“

„Du hast recht. Komm, Will, lass uns aufbrechen.“

„Ich möchte noch bleiben. Nur ein bisschen.“

„Nein, William“, sagte Caroline. „Wir müssen an den Strand zurück. Wir wollen doch nicht auf den Felsen gefangen sein.“

„Das werden wir schon nicht. Guck mal, da ist ein Krebs!“

„William!“

„Wenn die Flut kommt, können wir den unterirdischen Gang nehmen. Der mündet im Garten von Waverly.“

Caroline erschauerte. „Bitte nicht. Da drin ist es finster und nass und glitschig, und es stinkt nach Fisch.“

„Und ich hasse dunkle, kalte Orte“, fügte Chloe hinzu. Will hatte ihr den Höhleneingang einmal gezeigt. Darin hallte das Meeresrauschen auf so Furcht einflößende Weise wider, dass ihr allein bei der Erinnerung fröstelte. Trotz Wills Versicherung, dass der Gang vom Meer weg die Klippe hinaufführte, befielen sie entsetzliche Visionen, vom steigenden Wasser gefangen zu sein. Außerdem hatte sie nicht den Wunsch, im Garten von Waverly zu landen. Zumindest jetzt nicht mehr. „Wir können die Aprikosentörtchen essen.“

Das zeigte die gewünschte Wirkung. Will stand auf und kletterte erstaunlich schnell über die Felsen in Richtung Strand. Auf dem letzten blieb er stehen. „Der Erste, der beim Picknickkorb ist, kriegt drei Törtchen!“ Er sprang hinunter und rannte über den Sand.

Mit einem Aufjauchzen folgte Caroline ihrem Bruder, und auch Chloe setzte sich eilends in Bewegung.

Es war gar nicht so leicht, auf Sand zu laufen, und schon nach ein paar Metern hielt sie außer Atem an. Sie sah zu William hinüber und erstarrte. Was in aller Welt machte Brandt hier?

Er stand neben Will und Caroline und beobachtete sie.

Chloe wurde plötzlich bewusst, wie verblichen, nass und beschmutzt ihr Kleid aussehen musste. Ihr Haar hatte sich aus den Nadeln gelöst, und ihre bloßen Füße waren voller Sand. Wahrscheinlich sah sie wie ein zu groß geratenes Straßenkind aus. Sie setzte ihren Hut auf, der an den Bändern auf ihrem Rücken gebaumelt hatte.

William rannte auf sie zu. „Guck mal, Chloe! Onkel Brandt ist hier! Ich habe ihm erzählt, dass es Aprikosentörtchen gibt und dass er eines abbekommt!“ Der Junge ergriff ihre Hand und zog sie mit sich.

Brandt sah sie unverwandt an und sagte nichts. Dann schien er aufzuschrecken. „Nur, wenn genug davon da sind.“

„Ganz bestimmt“, erwiderte sie und fühlte sich noch unbehaglicher.

Sie nahmen alle Platz. Chloe öffnete den Picknickkorb und verteilte die ersten Törtchen. Sie passte auf, dass ihre Finger Brandts starke, schlanke Hand nicht streiften, als er ihr das Gebäck abnahm.

Sie setzte sich auf die Fersen, dankbar, dass Brandt neben Will saß und der Picknickkorb als Barriere zwischen ihnen diente. Wenigstens brauchte sie sich keine Gedanken über die Konversation zu machen, denn Will plapperte zwischen zwei Bissen begeistert über Seesterne, Tümpel und Meerestiere. Chloes Name wurde für ihren Geschmack viel zu oft erwähnt. Mehr als einmal stellte sie fest, dass Brandt sie betrachtete, was ihre Beklommenheit verstärkte.

„Und Chloe macht es nichts aus, wenn ihre Röcke nass werden! Sie läuft sogar ohne Schuhe herum! Zeig es ihm, Chloe!“

Chloe fuhr zusammen. „Das möchte ich lieber nicht tun.“

„Warum denn nicht?“

Brandts Mundwinkel zuckten, als er dem Jungen antwortete. „Weil es sich für Damen nicht schickt, Gentlemen ihre nackten Füße zu zeigen.“

„Oh.“ Will schien die Auskunft verdauen zu müssen. „Bist du ein Gentleman?“, fragte er dann.

„Natürlich!“, warf Caroline ein und sah ihren Bruder vorwurfsvoll an.

Brandt suchte Chloes Blick. Er tat es mit einem so jungenhaften Grinsen, wie sie es noch nie an ihm gesehen hatte.

Unwillkürlich erwiderte sie sein Lächeln. Sein Grinsen schwand langsam, und er starrte sie auf eine Weise an, dass ihre Wangen sich röteten und ihr Herz heftig zu schlagen begann. Sie wandte den Blick ab. „Möchte noch jemand ein Törtchen?“ Ihre Stimme klang seltsam hoch.

„Ich!“, rief William.

Caroline wollte ebenfalls eines. Chloe war dankbar für die Ablenkung. Nachdem er zwei weitere Törtchen gegessen hatte, griff der Junge nach Brandts Hand. „Lass uns durchs Wasser waten“, drängte er ihn und erhob sich flink.

Mit einer trägen, eleganten Bewegung kam Brandt auf die Füße. „Ich wollte euch eigentlich vor der Flut warnen. Ich möchte nicht, dass jemand auf meinem Land zu Tode kommt. Aber wie ich sehe, ist das nicht nötig.“

„Dies ist Ihr Land?“, wollte Chloe wissen.

„Ja. Ich habe es als Teil des Besitzes erworben. Machen Sie sich keine Sorgen, Sie sind hier jederzeit herzlich willkommen.“

„Ich verstehe.“ Also gehört ihm auch noch meine Lieblingsbucht, dachte sie mit einem Anflug von Verbitterung und machte sich daran, die Picknicksachen zusammenzupacken.

„Darf ich euch nach Haversham Hall begleiten?“, fragte Brandt, als er kurz darauf mit William zurückkam.

„Das ist nicht nötig“, erwiderte sie scharf, dann versuchte sie freundlicher zu klingen. „Aber wenn Sie es gerne möchten, wäre es sehr nett.“

Sie gingen zu den Steinstufen, die an den Klippen hinaufführten. William plapperte unaufhörlich über ihren Ausflug, und sogar die zurückhaltende Caroline beteiligte sich an dem Gespräch. Verärgert stapfte Chloe hinter den dreien her – was lächerlich war, wie sie selbst wusste. Schließlich hatten William und Caroline das Recht, zu mögen, wen sie wollten. Aber sie fühlte sich irgendwie … ausgeschlossen. Es hatte ihr gefallen, die besondere Freundin der Kinder zu sein, und nun stellte sich heraus, dass Brandt ihnen ebenso viel bedeutete.

Chloe tat sich selbst leid, als sie Haversham Hall erreichten. Sie folgte den anderen in die Eingangshalle, wo Caroline sich zu ihr umdrehte. „Bleibst du noch eine Weile bei uns, Chloe?“

„Nein. Ich bin viel zu schmutzig, um den Salon zu betreten.“ Rasch umarmte sie das Mädchen und schüttelte William die Hand.

„Also hast du sie gefunden, Brandt.“ Marguerite kam die Stufen der großen Freitreppe herunter. „Dann kannst du Chloe ja jetzt nach Falconcliff begleiten.“

„Ich wollte es ihr gerade anbieten.“

Marguerite war bei ihnen angelangt und gab Chloe die Hand. „Vielen, vielen Dank, liebe Chloe.“ Sie wandte sich zu Brandt. „Die Kinder beten sie an.“

„Davon konnte ich mich selbst überzeugen“, erwiderte er.

„Sie sollte eigene Kinder haben, meinst du nicht auch?“

Chloe errötete.

„Wenn es ihr Wunsch ist“, entgegnete Brandt höflich.

„Natürlich bräuchte sie zunächst einmal einen geeigneten Gatten“, beharrte Marguerite und warf Chloe einen verschmitzten Blick zu.

„Ich …“ Weshalb musste Marguerite sie ausgerechnet in Gegenwart von Brandt damit necken? „Ich … ich möchte nicht heiraten.“ Das hatte sie eigentlich gar nicht sagen wollen. „Wie auch immer, ich muss mich auf den Weg machen.“

Marguerite sah sie zerknirscht an. „Ich wollte dich nicht in Verlegenheit bringen. Manchmal geht meine Zunge mit mir durch, aber ich würde mich so freuen, wenn du eine Familie und Kinder hättest.“ Sie sah Brandt an. „Genau wie ich hoffe, dass Brandt eine Familie gründet.“

Überrascht bemerkte Chloe, dass Brandts Wangen sich leicht röteten. „Chloe hat recht. Wir sollten lieber aufbrechen, bevor du beschließt, das Aufgebot zu bestellen.“

„So vermessen wäre ich nun nicht!“ Aus einem unerfindlichen Grund schien Marguerite sehr zufrieden mit sich.

Zum ersten Mal war Chloe wirklich erleichtert, sich von ihr verabschieden zu können. Sie mochte Brandt kaum ansehen geschweige denn mit ihm reden, als sie den Weg entlanggingen, der über das Land der Havershams nach Falconcliff führte. Er schien ebenfalls keine Lust auf eine Unterhaltung zu haben, was sie mehr reizte, als wenn er sie neckte.

Schließlich warf er ihr einen kurzen Blick zu. „Nehmen Sie Marguerites Bemerkungen nicht unnötig ernst. Sie mischt sich liebend gerne in die Angelegenheiten anderer ein, vor allem, wenn es um Hochzeiten geht.“

„Es ist nur recht peinlich, wenn dergleichen Dinge öffentlich zur Sprache gebracht werden.“

Er lächelte leicht. „Das stimmt. Besonders, wenn sie ganz offensichtlich eine Ehe stiften will.“

Chloe runzelte die Stirn. „Tatsächlich? Zwischen wem?“ Sie war so verlegen gewesen, dass sie gar nicht richtig begriffen hatte, worauf Marguerite hinauswollte.

„Ihnen und mir.“

Chloe starrte ihn an. „Wie bitte?“

Sie hatten das Steintor zum rückwärtigen Garten von Falconcliff erreicht. Brandt ließ ihr den Vortritt und ging dann neben ihr den Weg zum Haus entlang. „Sie ist der Meinung, dass Sie und ich gut zusammenpassen.“

Chloe klappte der Unterkiefer herunter. Sie brachte kein Wort heraus.

„Machen Sie sich keine Gedanken. Ich bin mir bewusst, dass Sie Ihr Leben lieber in Newgate verbringen würden, als mich zu heiraten.“ Nun wirkte Brandt ziemlich amüsiert.

„Das ist nicht wahr!“, rief sie aus.

„Nicht?“

„Nein, natürlich nicht!“ Du lieber Himmel, hoffentlich dachte er nicht, sie sei auf einen Antrag aus! „Ich … ich möchte nicht heiraten.“

Er verzog keine Miene. „Und weshalb nicht? Sie scheinen Kinder zu mögen. Möchten Sie nicht eines Tages selbst welche?“

„Ich bin sehr glücklich damit, Tante zu sein“, erwiderte sie steif. „Wenn man selbst Kinder haben will, muss man heiraten.“

„Es empfiehlt sich, das zu tun.“ Sein Mund zuckte. „Was hat Ihnen eine solche Abneigung gegen die Ehe eingeflößt? Die meisten jungen Damen scheinen erpicht darauf zu sein, so rasch wie möglich vor den Traualtar zu treten.“

Nun, sie war eben nicht wie die meisten jungen Damen, und sie ärgerte sich über seine Erheiterung. „Wenn Sie es denn wissen müssen, mir sagt der Gedanke an einen Gatten nicht zu.“

„Weshalb nicht?“

„Weil … nun, im Allgemeinen meinen die Männer, dass eine Gattin nur zu ihrer eigenen Bequemlichkeit da ist.“

„Das ist keine sehr romantische Auffassung von der Ehe.“

„Ich bin nicht romantisch. Wenn überhaupt, würde ich eine Vernunftehe eingehen. Tatsächlich glaube ich, dass es lästig wäre, verliebt zu sein. Und eine Garantie auf ewiges Glück ist es schon gar nicht!“

„Direkt vor unserer Nase gibt es zwei Paare, die diese Theorie widerlegen.“

„Belle und Justin waren sehr unglücklich miteinander, bis sie ihre Meinungsverschiedenheiten beigelegt hatten. Das möchte ich nicht durchmachen! Und dass Giles und Marguerite so glücklich sind, liegt meiner Meinung nach daran, dass sie sich inzwischen so wohl miteinander fühlen. Marguerite erzählte mir, dass sie monatelang verzweifelt war, weil sie glaubte, Giles könne sie nicht leiden. Und Giles gestand ihr schließlich, dass er das Gleiche von ihr geglaubt hatte. Ich kann mir nichts vorstellen, was unangenehmer wäre als solche dummen Missverständnisse.“

„Ich muss zugeben, dass ich Ihnen im Großen und Ganzen zustimme.“

Ärgerlicherweise war sie enttäuscht, dass er ihr nicht widersprach. „Weshalb sind Sie nicht verheiratet? Sie scheinen Kinder ebenfalls gerne zu mögen.“

Er mied ihren Blick. „Selbst wenn ich es wollte, wäre ich kaum in der Lage, mir eine Gattin zu nehmen.“

„Weshalb denn nicht?“ Sie hätte sich die Hand vor den Mund schlagen mögen, als ihr ihr Gespräch mit Belle wieder einfiel.

Brandt deutete ihre Reaktion richtig und nickte. „Genau.“

„Ich kann mir nicht vorstellen, dass es derjenigen etwas ausmachen würde, wenn sie etwas für Sie empfindet.“

„Und Sie sind keine Romantikerin? In der Regel erwarten Frauen gewisse Annehmlichkeiten, wenn sie heiraten. Ich bezweifle, dass es vielen gefallen würde, in einem alten Haus an der Küste von Devon weit entfernt von London zu leben.“

Ihr gefiel die Vorstellung, doch das konnte Chloe ihm wohl kaum sagen. „Waverly wird wunderschön sein, wenn es fertig ist.“

„Wenn die notwendigen Reparaturen erst einmal ausgeführt sind, werde ich kaum Geld übrig haben, um einer Frau einen akzeptablen Lebensstil bieten zu können. Ich habe das Haus in London verkauft, also würde es keine häufigen Besuche in der Stadt geben.“

„Nicht jede Frau ist auf Aufenthalte in London erpicht. Und Sie haben noch Ihren anderen Besitz, nicht wahr?“

Er lächelte kühl. „Ja, leider. Ich würde ihn sofort verkaufen, wenn er kein Fideikommiss wäre.“

„Weshalb?“

Er sah sie an. „Weil ich Salcombe House und alles, wofür es steht, verabscheue“, sagte er rau.

„Das … das wusste ich nicht. Es tut mir leid“, erwiderte Chloe. Sie hatte keine Ahnung, wovon er sprach.

„Nicht nötig.“ Er hielt den Blick auf den Weg gerichtet. „Und ich habe nicht die Absicht, eine Erbin zu heiraten.“

Versuchte er etwa, sie zu warnen? Als ob sie sich in ihn verlieben würde! Verärgert sagte sie: „Was ist, wenn Sie sich in eine Frau verlieben, die Geld hat?“

„Das wird nicht geschehen.“ Er blieb stehen und sah sie mit einem gefährlichen Funkeln in den Augen an. „Wenn Sie weiterhin darauf beharren, mir derartige Fragen zu stellen, könnte mich das auf die Idee bringen, Sie wären selbst in mich verliebt.“

„Wie bitte?“ Chloe wich zurück und errötete heftig.

Er schenkte ihr ein teuflisches Lächeln „Das dachte ich mir. Vielleicht sollten wir über etwas Angenehmeres sprechen. Zum Beispiel über das Wetter.“

Ein unbehagliches Schweigen entstand, und sie gingen weiter. Als sie die Terrasse erreicht hatten, blieb Brandt stehen. „Ich sehe Sie dann morgen.“

„Morgen? Dinieren Sie nicht mit uns?“

„Nein. Ich bin mit Gilbert Rushton und Sir Preston Kentworth im Gasthof verabredet.“

„Mit Sir Preston?“ Der Name war ihr herausgerutscht, ehe sie sich davon abhalten konnte.

„Haben Sie etwas dagegen, wenn ich mit Sir Preston zu Abend esse?“

„Oh nein, er ist sehr nett.“

Er bedachte sie mit einem ziemlich seltsamen Blick. „Ich sollte mich lieber umziehen. Vielen Dank.“ Sie eilte durch die Terrassentür ins Haus, bevor er etwas sagen konnte. Oder bevor sie eine dumme Bemerkung machte.

„Ich muss gehen.“ Sir Preston erhob sich und nickte Brandt zu. „Es ist schön, Sie bei uns zu haben, Salcombe. Gute Nacht, Rushton.“

Brandt sah ihm nach, als er den Schankraum verließ. Er mochte Kentworth, sein Betragen war unverstellt und angenehm.

Rushton lehnte sich zurück. „Ich frage mich, ob ihm aufgefallen ist, dass er die Zuneigung von gleich zwei Mitgliedern des schönen Geschlechts errungen hat.“

„Kentworth?“, fragte Brandt erschrocken.

Rushton grinste. „Schwer zu glauben, aber wer weiß schon, was die Leidenschaft im Herzen einer Frau zu wecken vermag? Es wird bereits eifrig darüber spekuliert, welche der Damen ihn einfangen wird. Ich habe mit dem Gedanken gespielt, eine Wette darauf abzuschließen, doch ich wollte mir nicht den Unmut gewisser Leute zuziehen.“

„Da sind Sie gut beraten, glaube ich.“

„Sie möchten vermutlich nicht wissen, wer die beiden Rivalinnen sind?“

„Nicht unbedingt.“

„Obwohl es Sie in diesem Fall interessieren dürfte.“ Rushton beugte sich mit funkelnden Augen vor.

„Dann sollten Sie es mir wohl erzählen.“ Schon während er es sagte, beschlich Brandt eine ungute Vorahnung.

„Die eine ist Emily Coltrane.“ Rushton machte eine wirkungsvolle Pause. „Und die andere ist Lady Chloe.“

Brandt sah ihn ausdruckslos an. „Woher wissen Sie das?“

„Tom Coltrane. Er meint, seine Schwester sei ziemlich verschnupft seit Lady Chloes Ankunft. Emily ist offenbar nicht entgangen, dass Lady Chloe es auf den armen Kentworth abgesehen hat. Sie behauptet, dass der Unterricht im Kartenspielen eine Finte von Lady Chloe war, um ihn auf sich aufmerksam zu machen. Wie es scheint, hat Emily recht damit.“

Er hätte es wissen müssen. Alle Anzeichen dafür waren vorhanden: ihr Gesichtsausdruck bei den Tanzstunden, ihr Erröten, als er erwähnt hatte, dass er sich mit Kentworth treffen würde. „Erwidert Kentworth ihre Gefühle?“

Rushton zuckte die Achseln. „Schwer zu sagen. Kentworth ist in solchen Dingen ein wenig begriffsstutzig. Seine Mutter hingegen fördert die Sache. Sie lässt überall Bemerkungen fallen, dass sie bald eine enge Verbindung zu den Westmores haben könnte.“

Zur Hölle. Dieses intrigante Frauenzimmer, das Chloe in das Kartenspiel verwickelt hatte? „Weiß mein Cousin davon?“

„Das glaube ich nicht. Lady Kentworth wird zu verhindern wissen, dass dem Duke irgendetwas zu Ohren kommt, bis sie Lady Chloe in ihren Netzen hat. Ich dachte, ich sollte Sie warnen, damit Sie die Duchess informieren können. Es wäre sträflich, Lady Kentworth zu unterschätzen, wenn sie sich etwas in den Kopf gesetzt hat, und ich möchte nicht, dass man Lady Chloe wehtut. Oder Kentworth. Nach dem, was ich über Lady Chloes Vormund gehört habe, glaube ich nicht, dass er einen Landbaronet in der Familie willkommen heißen würde.“

Rushton hatte recht. Brandt leerte seinen Weinbrand. „Nein, das würde Ralston nicht tun.“ Er musterte den jungen Mann. „Es war klug von Ihnen, keine Wette abzuschließen. Sie hätten es nicht nur mit Westmore, sondern auch mit mir zu tun bekommen.“

„Das habe ich mir beinahe gedacht.“ Rushton hob die Hände. „Sie brauchen nicht so grimmig dreinzuschauen. Bei mir ist Lady Chloes Ruf nicht in Gefahr.“

Brandt erhob sich. „Ich muss mich nun ebenfalls verabschieden.“

Er beschloss, ein Auge auf Chloe zu haben, falls Kentworth oder seine Mutter in ihrer Nähe auftauchten. Aber weshalb hatte sie so hartnäckig behauptet, eine Abneigung gegen die Ehe zu haben, wenn sie ein tendre für Sir Preston hegte? Oder hielt sie eine Verbindung mit Sir Preston etwa für vernünftig?

Er würde ihr nicht die Chance geben, das herauszufinden.

Am nächsten Morgen nach dem Frühstück sprach Brandt mit Belle darüber. Er fand sie mit Julian auf ihrem Schoß im Garten. Sie blickte lächelnd auf, doch dann schwand die Heiterkeit aus ihren Zügen. „Gibt es etwas Ernstes?“

„Ja. Rushton erzählte mir gestern, es seien Gerüchte im Umlauf, dass Chloe es auf Sir Preston abgesehen habe.“

„Oje. Ich hatte gehofft, dass es niemandem auffallen würde. Es ist schon schlimm, wenn man ein tendre für jemanden hegt. Wenn jedoch Gerüchte darüber verbreitet werden, ist es demütigend. Besonders wenn man hofft, es geheim halten zu können.“

Brandt erschrak. „Dir ist bekannt, dass Chloe ein Auge auf Sir Preston geworfen hat?“ Dass Belle die Sache bestätigte, machte ihn aus unerfindlichen Gründen wütend. „Weshalb um alles in der Welt hast du nichts dagegen unternommen?“

„Ich kann Chloe nicht vorschreiben, für wen sie ein tendre haben soll. Und außerdem ist Sir Preston ein anständiger, freundlicher Mann.“

„Willst du damit sagen, dass du eine Verbindung zwischen den beiden gutheißen würdest? Weiß Justin davon?“

Merkwürdigerweise sah Belle aus, als ob sie sich ein Lachen verbeißen müsste. „Ja, Justin ist informiert, und er hat genauso reagiert wie du. Ich konnte ihn davon überzeugen, dass Sir Preston in Chloes Augen nur noch romantischer wird, wenn wir ihr den Umgang mit ihm untersagen, und außerdem würde sich Sir Preston darüber wundern. Natürlich passen die beiden überhaupt nicht zusammen. Die arme Chloe, sie hat keine Ahnung von Landwirtschaft und liest verzweifelt alle Gentleman’s Magazines von Justin in der Hoffnung, dass sie dann in der Lage ist, mit Sir Preston über Themen zu sprechen, die ihn interessieren.“

Was Belle gesagt hatte, klang vernünftig, doch bei dem Gedanken, dass Chloe Sir Preston romantisch fand, knirschte Brandt innerlich mit den Zähnen. „Sicherlich weißt du jedoch nicht, dass Lady Kentworth allenthalben verlauten lässt, sie erwarte eine engere Verbindung mit deiner Familie.“

„Nein, das war mir nicht bekannt.“ Belle runzelte leicht die Stirn. „Bist du sicher, dass das stimmt?“

„Ich weiß nur, was Gilbert Rushton mir erzählt hat.“

„Jedenfalls ist es offensichtlich, dass Lady Kentworth Chloe hofiert. Ich werde natürlich mit Justin darüber sprechen. Da Chloe jedoch nur noch eine Woche bei uns ist, möchte ich kein unnötiges Aufsehen erregen. Wir werden dafür sorgen, dass ab jetzt immer eine Anstandsperson bei ihr ist.“ Sie lächelte ihn beruhigend an. „Ich bin sicher, alles wird gut. Es ist nett von dir, dass du dir Gedanken um sie machst.“

Brandt kam sich ziemlicher idiotisch vor, da Belle die Situation gut im Griff zu haben schien. „Sie ist eine Verwandte, deshalb bin ich natürlich besorgt.“

„Natürlich.“ Sie zwinkerte ihm zu. „Ich hoffe, du wirst Chloe nichts davon erzählen. Ich fürchte, es würde sie nur gegen dich aufbringen, und dann ständet ihr wieder miteinander auf Kriegsfuß. Das fände ich gar nicht schön.“

„Ich werde nichts sagen.“ Was nicht bedeutete, dass er sie nicht im Auge behalten würde, schließlich hatte er als Verwandter eine gewisse Verantwortung für sie. Immerhin waren Belle und er einer Meinung darüber, dass Kentworth und Chloe nicht zusammenpassten.

Chloe erhob sich und lächelte Julian an. „Ich glaube, wir müssen dich zu deiner Kinderfrau zurückbringen.“ Sie hatte eine Stunde mit ihm im Garten verbracht und jede Minute genossen. Als Julians Mündchen sich zu einem breiten Lächeln verzog, schmolz ihr Herz dahin. Sie hatte kleinen Kindern zuvor nie besondere Aufmerksamkeit geschenkt, aber in Julian hatte sie sich augenblicklich und unwiderruflich verliebt.

Sie betrat den Salon durch die Terrassentür. Den Mann, der im Raum stand, bemerkte sie erst, als er sie ansprach.

„Guten Tag, Chloe. Wie ich sehe, ist dein Aufzug wieder einmal völlig unangemessen.“

Sie fuhr zusammen. „Arthur? Was machst du hier?“

Wie gewöhnlich starrte ihr Vormund sie missbilligend an. Er war mittelgroß, hatte hellbraunes Haar und ein knochiges Gesicht, das stets so aussah, als wollte er jemanden tadeln. „Und deine Manieren haben sich ebenfalls nicht gebessert.“ Der Earl of Ralston verschränkte die Hände hinter dem Rücken. „Ich habe beschlossen, unverzüglich nach Denbigh Hall zu reisen. Seine Lordschaft und Lady Barbara erwarten ungeduldig deine Ankunft.“

„Das kannst du nicht tun! Ich soll noch eine ganze Woche hierbleiben, und morgen findet Lady Havershams Ball statt!“

„Ich hatte nicht die Absicht, bereits heute aufzubrechen. Wir werden zwei Tage nach dem Ball fahren.“ Er maß Julian, der ungewöhnlich still geworden war, mit einem geringschätzigen Blick. „Sobald du dieses Kind zu seiner Amme gebracht hast, möchte ich mit dir sprechen.“

Wie konnte er es wagen, so abfällig von Julian zu reden? „Du wolltest sicher sagen, sobald ich Lord Wroth zu seiner Amme gebracht habe“, sagte sie schneidend und stolzierte an Arthur vorbei. Zufrieden registrierte sie dabei seinen finsteren Blick. Doch die Freude über ihren kleinen Sieg schwand rasch. In Arthurs Gegenwart gelang es ihr nie, den Mund zu halten und das unterwürfige Gesicht aufzusetzen, das junge Damen seiner Ansicht nach zur Schau tragen sollten. Stattdessen schaffte sie es jedes Mal, ihn gegen sich aufzubringen.

Als sie die Halle betrat, kam Belle mit bestürztem Gesichtsausdruck auf sie zugeeilt. „Chloe, Arthur ist hier. Er will dich umgehend sprechen.“

Chloe gab Julian seiner Mutter und verzog das Gesicht. „Ich weiß. Er stand im Salon, als ich durch die Terrassentür hereinkam, und wies mich als Erstes wegen meiner unordentlichen Kleidung und meiner Manieren zurecht.“

„Oje.“ Belle sah sie mitleidig an.

Chloe seufzte und kehrte in den Salon zurück. Arthur hatte sich mit hinter dem Rücken verschränkten Händen am Fenster postiert. Er deutete auf einen der Sessel. „Setz dich.“

Sie nahm Platz, faltete die Hände im Schoß und schwor sich, alle ungebührlichen Bemerkungen zu unterlassen, die ihr in den Sinn kommen würden.

„Wenn du verheiratet bist, wird dein Gatte dich hoffentlich lehren, deine Zunge im Zaum zu halten. Und dafür sorgen, dass du anständig gekleidet bist.“

„Nun, noch habe ich keinen Gatten“, erwiderte sie heiter.

Ein frostiges Lächeln überflog das Gesicht des Earl. „Ich beabsichtige, Lord Denbighs Antrag anzunehmen.“

Chloe drehte sich der Magen um, und jeder Gedanke an Unterwürfigkeit war wie weggeblasen. Sie sprang auf. „Nein! Er … er ist zu alt!“

„Unsinn. Ein Mann in seinen Jahren ist wenigstens in der Lage, dich vernünftig zu leiten, was du ganz sicher nötig hast.“

„Ich werde ihn nicht akzeptieren.“

„Weshalb fahren wir sonst wohl nach Denbigh Hall?“

„Also habe ich keine andere Wahl?“

Arthur maß sie mit einem kalten Blick. „Du hattest in den letzten zwei Saisons die Wahl, doch du hast alle Anträge abgelehnt. Zweifellos gibt es Gentlemen, die bereit sind, dein fortgeschrittenes Alter zu übersehen, ich ziehe es indes vor, dich verlobt zu sehen, bevor du einundzwanzig bist.“

„Ich kann ihn nicht leiden“, sagte sie ruhig.

Lord Ralston kniff die schmalen Lippen zusammen. „Und was soll das heißen? Es ist töricht, zu glauben, dass Gefühle bei der Wahl eines passenden Gatten eine Rolle spielen. Er stammt aus einer der ältesten Familien Englands und ist sehr reich.“

„Ich finde ihn abstoßend. Er erinnert mich an einen … Frosch!“

Arthur starrte sie verkniffen an. „Du bist respektlos und kindisch. Es gibt keinen Grund, weshalb du Denbigh nicht akzeptieren solltest. Wenn du einmal über die Vorteile einer solchen Verbindung nachgedacht hast, wirst du zweifellos zur Vernunft kommen.“

„Niemals. Ich kann ihn nicht heiraten.“

„Wenn du es nicht tust, werde ich gezwungen sein, dein Nadelgeld zu streichen. Und das deiner Mutter ebenfalls.“

„Du bist verabscheuenswürdig!“

Ralstons Züge verzerrten sich vor Zorn, und Chloe rannte ohne nachzudenken aus dem Salon, um unversehens gegen eine harte männliche Brust zu stoßen. Starke Arme hielten sie fest und drückten sie gegen einen Mantel, der nach frischer Luft und Pferden roch. Dann wurde sie losgelassen und blickte in Brandts verblüfftes Gesicht.

Verflixt! Dass sie ausgerechnet gegen ihn rennen musste! „Verzeihen Sie“, sagte sie steif. Dem Zustand seiner Kleidung nach zu schließen war er in Waverly gewesen. Sein Mantel und seine Hosen waren zerknittert und staubig. Er sah wie ein Lausbub aus. Ein gefährlicher und sehr attraktiver Lausbub. Dieser unerwartete Gedanke beunruhigte sie mehr, als ihr lieb war.

Brandt lächelte. „Ich muss zugeben, Sie sind die letzte Frau, von der ich erwartet hätte, dass sie sich mir in die Arme werfen würde.“

Verstört wich Chloe vor ihm zurück. „Wenn Sie mich entschuldigen wollen, ich … ich muss gehen.“

„Wo wollten Sie denn in solcher Eile hin? Es ist fast Zeit, sich zum Dinner umzuziehen.“

„Nirgends … nur nach draußen. Ich bitte Sie, lassen Sie mich vorbei.“

Er musterte sie besorgt. „Was ist geschehen, Lady Chloe?“

„Nichts. Gar nichts.“

„Sie sehen aus, als ob der Teufel hinter Ihnen her wäre.“

„Chloe!“, klang Arthurs Stimme schneidend zu ihnen herüber. „Ich bin noch nicht fertig mit dir.“

„Ich verstehe. Nicht wirklich der Teufel, aber beinahe“, murmelte Brandt.

„Ich muss gehen“, sagte sie verzweifelt.

„Guten Tag, Salcombe.“ Arthur kam heran und musterte Brandt voller Abscheu. Höchstwahrscheinlich fand er staubige Kleidung abstoßend und vermochte nicht nachzuvollziehen, wie ein Gentleman sich je in einem solchen Zustand sehen lassen konnte.

„Guten Tag, Ralston.“ Um Brandts Mundwinkel zuckte es amüsiert. „Sind Sie zu Besuch in Devon?“

„Ich werde Lady Chloe zu einer Hausgesellschaft begleiten“, entgegnete der Earl eisig.

„Aber doch sicher nicht heute?“

„Natürlich nicht. Wir reisen in drei Tagen ab. Allerdings möchte ich Sie nicht aufhalten. Chloe, komm.“

„Nein.“

„Ich sagte, ich bin noch nicht mit dir fertig.“

Brandt trat neben sie. „Anscheinend ist sie jedoch mit Ihnen fertig. Und im Übrigen ist es Zeit, sich zum Dinner umzuziehen.“

Dass Brandt ihr zur Seite sprang, beruhigte Chloe so weit, dass es ihr gelang zu sagen: „Hast du nicht eben darauf hingewiesen, dass meine Kleidung in Unordnung ist?“

„Ja, aber …“

„Dann sehen wir uns beim Dinner, Arthur.“ Sie lächelte Brandt kurz zu. „Ich danke Ihnen.“ Damit drehte sie sich um und eilte die Treppe hinauf.

In ihrem Schlafzimmer angelangt, schloss sie die Tür und lehnte sich dagegen. Wieder drehte sich ihr der Magen um. Lord Denbigh. Allein sein Name ließ sie erschaudern. Wenn sie Sir Preston morgen nicht dazu bringen konnte, sich ihr zu erklären, würde Arthur sie zwingen, Lord Denbigh zu heiraten oder ihrer Mutter kaum einen Penny zum Leben lassen.

Sie musste Sir Preston dazu bewegen, ihr einen Antrag zu machen. Sobald sie verheiratet war, hatte Arthur keine Verfügungsgewalt mehr über sie und ihr Vermögen.

Chloe atmete tief durch. Ihr blieb keine andere Wahl. Sie würde Sir Preston, genau wie ihre Freundin Serena es mit Charles Hampton getan hatte, dazu bringen, um ihre Hand anzuhalten. Und die einzige Chance dazu hatte sie morgen Abend. Beim Ball der Havershams.

4. KAPITEL
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„Chloe? Bist du fertig?“ Chloe fuhr zusammen, als sie Belles Stimme hörte. Sie drehte sich um und setzte ein zittriges Lächeln auf. „Ja. Mir ist gar nicht aufgefallen, dass es Zeit zum Aufbruch ist.“

„Die Kutschen stehen bereit.“ Belle kam herein. In ihrer Robe aus rosafarbener Seide und mit den Diamanten um den Hals und an den Ohren wirkte sie vornehm und elegant. Ihr Lächeln war herzlich, als sie Chloe betrachtete. „Oh, Chloe! Wie schön und erwachsen du aussiehst! Manchmal vergesse ich, dass du kein Kind mehr bist.“

„Arthur zufolge bin ich bereits eine alte Jungfer.“

Belle verzog das Gesicht. „Er ist albern. Mach dir keine Gedanken. Ich werde ihm nicht gestatten, dich so unter Druck zu setzen. Komm, lass uns jetzt nach unten gehen.“ Sie hielt inne und musterte Chloe besorgt. „Ist alles in Ordnung mit dir?“

„Sicher. Ich bin ein wenig aufgeregt.“

Chloe versuchte zu lächeln und folgte Belle aus dem Raum. Sie konnte ihr kaum verraten, dass sie beabsichtigte, Sir Preston zu küssen. Oder um genauer zu sein, Sir Preston zu ermutigen, sie zu küssen. Wenn der Kunstgriff bei Serena funktioniert hatte, würde er bei Sir Preston vielleicht auch zum Ziel führen.

Die Gentlemen erwarteten sie im Salon. Chloes Blick fiel auf Brandt, der an diesem Abend ein ausgesprochen weltmännisches Erscheinungsbild bot. Ihr fiel auf, wie perfekt sein Frack seine breiten Schultern betonte und wie seine Kniehosen und die Seidenstrümpfe sich um seine muskulösen Beine schmiegten. Und dass er trotz all seiner Eleganz beunruhigend männlich und gefährlich aussah.

Ihre Blicke trafen sich, und im selben Moment wusste Chloe, dass Brandt den gleichen Schock empfand wie sie. Verwirrt riss sie sich von seinem Anblick los.

Es verwirrte sie nicht weniger, dass er plötzlich an ihrer Seite erschien, als sie in die angenehme Abendluft hinaustraten. „Sie sollen in meiner Kutsche mitfahren“, sagte er.

„Ich soll?“ Sie blickte ihn an und wünschte, sie wäre etwas größer, damit sie nicht zu ihm hochschauen müsste.

„Belle wird ebenfalls mit uns fahren, damit der Anstand gewahrt bleibt.“ Er sah sie mit lachenden Augen an, in denen keine Spur von Verwirrung mehr zu lesen war. „Ich dachte, Sie würden meine Gesellschaft der von Lord Ralston vorziehen.“

Gewöhnlich zog sie jedermanns Gesellschaft der von Arthur vor, doch bei Brandt war sie sich nicht sicher. Wieder spürte sie dieses beunruhigende Bewusstsein seiner Nähe.

Er half ihr und Belle beim Einsteigen. Als die Kutsche die Auffahrt entlangrumpelte, lenkten die Sorgen, die sie sich wegen ihres Vorhabens machte, Chloe von Brandt ab. Sie würde Sir Preston irgendwohin locken müssen, wo sie alleine waren. Und was sollte sie dann tun? Sie hatte keine Ahnung, wie man es anstellte, einen Mann zu einem Kuss zu ermutigen. Sie würde sich an ihn schmiegen, so wie Serena es getan hatte – doch was sollte sie tun, wenn das nicht zu dem gewünschten Erfolg führte?

„Chloe, Brandt hat dich gefragt, ob du dich auf den Ball freust“, drang Belles Stimme in ihre Gedanken.

Chloe blinzelte. „Den Ball?“

„Den Ball, zu dem wir uns begeben. Oder ist Ihnen das womöglich entfallen?“, fragte Brandt.

„Ich … nein.“

Er beobachtete sie noch immer mit dieser beunruhigenden Eindringlichkeit. „Dann freuen Sie sich also darauf?“

„Ich … ja.“ Gott sei Dank kam die Kutsche in diesem Moment vor dem Eingang von Haversham Hall zum Stehen. Justin eskortierte Belle, und Chloe fand sich an Brandts Arm wieder. Arthur folgte ihnen die Marmorstufen hinauf.

Sobald sie den üppig mit Kübelpflanzen und Blumenbouquets dekorierten Ballsaal betreten hatten, blickte Chloe sich suchend nach Sir Preston um. Als Erstes entdeckte sie Emily, die in ihrem spitzen- und rüschenbesetzten Kleid wie eine verblühte weiße Rose wirkte, dann sah sie Sir Preston.

Er trug einem dunkelblauen Frackrock zu schwarzen Seidenhosen und gab ein angenehmes Erscheinungsbild ab. Ja, sie konnte sich gut vorstellen, die Zukunft an seiner Seite zu verbringen. Er war vielleicht nicht der imposanteste und attraktivste Mann im Ballsaal, aber er besaß eine gewisse Würde.

„Brandt hat dich gerade um den ersten Tanz gebeten, meine Liebe“, drang Belles freundlich amüsierte Stimme in ihre Gedanken.

„Ich … das wäre sehr nett.“ Chloe spürte, dass Brandt sie wachsam beobachtete, wie er es in den letzten Tagen häufig getan hatte, besonders wenn sie in Gesellschaft waren. Aus irgendeinem Grund beunruhigte sie das.

Er hielt ihr seinen Arm hin. „Darf ich bitten?“

„Es wird doch gar nicht getanzt.“

„Ich dachte, wir könnten eine Runde durch den Saal drehen.“ Seine Stimme klang nach wie vor höflich, indes schwang ein Unterton darin, der deutlich besagte, dass er eine Ablehnung nicht akzeptieren würde.

Sie wollte keine Szene machen. Verärgert legte sie ihre Hand in seine Armbeuge. Viel lieber hätte sie sich zu Sir Preston begeben, aber vielleicht sollte sie nichts überstürzen. Der Ball würde nicht vor dem Morgengrauen enden, also hatte sie viel Zeit.

Zwei Stunden später war Chloe sich ihrer Sache nicht mehr so sicher. Sie hatte es nicht einmal geschafft, in Sir Prestons Nähe zu gelangen. Entweder stand er in einer Gruppe von Gentlemen, oder er war nicht im Ballsaal. Plötzlich tat ihr Herz einen Satz. Sir Preston stand alleine neben einer Kübelpalme. Chloe ging los, doch da ergriff Lydia ihren Arm, und gleichzeitig tauchte Brandt neben ihr auf. Er war den ganzen Abend nicht von ihrer Seite gewichen, und sie hätte ihm vorgeworfen, dass er sie verfolgte, wenn sie nicht sicher gewesen wäre, dass er sie dann unweigerlich auslachen würde.

„Chloe“, begann Lydia. Sie bemerkte Brandt, und ihre Augen weiteten sich. „Guten Abend, Lord Salcombe.“

„Guten Abend, Mrs. Sutton.“

Chloe verkniff sich ein Stöhnen. „Ich möchte nicht unhöflich sein, aber mir ist ziemlich warm. Wenn Sie mich bitte entschuldigen, ich wollte in den Garten.“

Brandt lächelte leicht. „Hatten Sie mir nicht diesen Tanz versprochen?“

Sie war zu gereizt, um die Form zu wahren. „Mir ist nicht nach Tanzen“, erwiderte sie kurz angebunden. Aus dem Augenwinkel gewahrte sie, dass Lydia sie entsetzt anstarrte. „Ich bin mir jedoch sicher, dass Mrs. Sutton gerne mit Ihnen tanzen würde.“

„Oh! Nein … ich … „, stammelte Lydia, hochrot im Gesicht. Dann riss sie sich zusammen. „Es … es wäre mir eine große Ehre, mit Lord Salcombe zu tanzen.“

Einen schrecklichen Augenblick lang dachte Chloe, er würde sich weigern. Schließlich sagte er: „Es wäre mir ebenfalls eine Ehre, Mrs. Sutton.“

Chloe nickte ihm kühl zu und entfernte sich. Sir Preston stand nach wie vor bei der Topfpalme, neben der sie ihn zuletzt erspäht hatte. Er lächelte, als er sie auf sich zukommen sah. „Lady Chloe, ich hatte heute Abend noch keine Gelegenheit, mit Ihnen zu sprechen. Sie waren immer belagert. Ich hoffe, der Ball gefällt Ihnen?“

„Oh ja.“ Plötzlich wurden ihre Hände feucht, und ihr Magen schien Purzelbäume zu schlagen. „Und … und Sie? Sie tanzen ja gar nicht.“

Er verzog das Gesicht. „Ich fürchte, ich brauche mehr als ein, zwei Übungsstunden. Ich möchte lieber nicht riskieren, den Damen auf die Füße zu treten.“ Er warf einen Blick auf die Tanzfläche. „Wie es scheint, spielen sie gerade einen Walzer. Sie sollten tanzen.“

Ein Walzer? Sie drehte sich um und sah Brandt und Lydia über die Tanzfläche wirbeln. Gott sei Dank hatte sie es vermeiden können, Walzer mit ihm zu tanzen. Chloe wandte sich wieder Sir Preston zu. „Ich fühle mich ein wenig erhitzt. Finden Sie es nicht ebenfalls viel zu warm hier drinnen?“ Das war nicht direkt gelogen, denn ihr wurde wirklich ziemlich heiß.

Sir Preston musterte sie besorgt. „Soll ich die Duchess holen? Sie sehen ein wenig abgespannt aus.“

„Oh nein! Ich dachte eher an eine etwas kühlere Umgebung. Vielleicht könnte ich mich in den Gart…“ Gerade rechtzeitig fiel ihr ein, dass sie Brandt gegenüber erwähnt hatte, dort wolle sie hin. „… in den Wintergarten begeben. Ob es Ihnen wohl etwas ausmachen würde, mich zu begleiten?“

Sir Preston zögerte. „Selbstverständlich nicht. Es wäre unschicklich für Sie, alleine zu gehen.“ Er bot ihr den Arm.

Sie konnte sich nicht darüber beklagen, dass er allzu stürmisch gewesen wäre oder versucht hätte, mit ihr zu flirten, doch darauf war sie ohnehin nicht erpicht. Gott sei Dank trafen sie im Wintergarten niemanden an, was für die Durchführung ihres Planes notwendig war. In der Nähe des Eingangs hatte man eine Laterne angezündet, ansonsten lag der verglaste Raum im Dunkeln. Der süße Duft von Jasmin und Gardenien stieg ihnen in die Nase.

„Wir sollten uns einen Moment ausruhen“, sagte Chloe und steuerte eine gusseiserne Bank in der Nähe an. Sie ließ sich darauf nieder und klopfte auf den Platz neben sich. „Sie können hier sitzen.“

Er setzte sich an das andere Ende der Bank. Chloe runzelte die Stirn. Es ging nicht an, dass er so weit von ihr entfernt saß. Sie rieb ihre Arme. „Ich fürchte, mir wird recht kalt.“

„Dann sollten wir lieber in den Ballsaal zurückkehren.“

„Oh nein! Ich möchte mich wenigstens ein paar Minuten an den Blumen erfreuen. Vielleicht geht es, wenn ich mich näher zu Ihnen setze.“ Sie rutschte so nah an ihn heran, dass ihr Oberschenkel seinen berührte.

Sir Preston fuhr zusammen. „Äh …“ Er sah sie unsicher an, und Chloe setzte ein scheues Lächeln auf. Er schluckte schwer. „Ich … ich frage mich, ob es Ihnen wohl etwas ausmachen würde, mich zu küssen“, platzte sie heraus und wünschte umgehend, im Erdboden versinken zu können, als sie sein erschrockenes Mienenspiel gewahrte.

Doch dann beugte er sich wie in Trance zu ihr herüber, und sein Mund berührte den ihren. Chloe war überrascht, wie angenehm es sich anfühlte, besonders wenn sie an Denbighs Kuss dachte. Sie würde sich daran gewöhnen können.

Zögernd erwiderte sie den Kuss. Ein tiefes Geräusch kam aus seiner Kehle, und plötzlich ließ er seine Zunge in ihren Mund gleiten. Chloe erstarrte. Sir Preston wich zurück und sah sie verblüfft, dann entschuldigend an. „Verzeihung. Es war unschicklich, das zu tun. Ich habe mich hinreißen lassen. Wenn wir weitermachen … wäre ich verpflichtet, um Ihre Hand anzuhalten. Nicht, dass ich etwas dagegen hätte. Ich habe selbst daran gedacht, dass es für mich an der Zeit ist, zu heiraten. Und meiner Mutter würde es gefallen. Es wäre mir eine Ehre, wenn Sie …“

„Ich glaube kaum, dass Sie Lady Chloe mit einem einzigen Kuss kompromittiert haben.“

Sie schraken beide auf, als sie die sarkastische Stimme vernahmen, die aus dem Nichts zu kommen schien. Chloe hätte sich am liebsten in Luft aufgelöst. Sir Preston erhob sich halb. „Der Teufel soll Sie holen, Salcombe! Was fällt Ihnen ein, sich einfach anzuschleichen! Wir führen eine private Konversation!“

Brandt trat aus dem Schatten hervor. Er verschränkte die Arme vor der Brust und fixierte sie mit undurchdringlicher Miene. „Lady Chloe hat mir den nächsten Tanz versprochen. Ich kam, um sie zu holen.“

Chloe fragte sich, ob sie ihn umbringen oder lieber vor Scham sterben wollte.

„Äh, das wusste ich nicht.“ Kentworth sah sie verwirrt an. „Es war Lady Chloe zu warm geworden, und sie wollte sich abkühlen. Deshalb sind wir hierher gegangen.“

„Ich verstehe.“ Brandt bedachte Chloe mit einem strengen Blick, und es kostete sie all ihre Willenskraft, nicht fortzusehen. „Ich sage es Ihnen ungern, meine Liebe, aber ein Kuss ist kaum eine Möglichkeit sich abzukühlen.“

Sie hob das Kinn. „Tatsächlich.“

Kentworth trat vor. „Ich werde nicht zulassen, dass Sie Lady Chloe beleidigen, Salcombe. Ich bin bereit, ihr gegenüber meine Pflicht zu tun.“

„Weshalb? Ich habe nicht die Absicht, jemandem von diesem Vorfall zu erzählen, und Sie sind Gentleman genug, das ebenfalls nicht zu tun.“ Ein stählerner Unterton lag in Brandts Stimme, den man als Drohung deuten konnte.

Kentworth ballte die Fäuste. „Stellen Sie meine Ehre infrage, Salcombe?“ Er klang ebenso drohend.

Chloe sprang auf. „Hören Sie auf! Niemand stellt irgendjemandes Ehre infrage!“ Sie starrte Brandt an. „Und Sie geht diese Sache ohnehin nichts an!“

Seine Augen funkelten. „Und ob. Sie gehören zur Familie meines Cousins und damit zu meiner Familie. Sie stehen genauso unter meinem Schutz wie unter dem Justins.“

„Das stimmt, Lady Chloe“, sagte Kentworth, der nun auf einmal die Seiten wechselte. „Er hat jedes Recht, etwas dagegen einzuwenden, dass ich Sie, äh … geküsst habe. Das hätte ich nicht tun dürfen. Ich bin aber selbstverständlich bereit, Ihnen meine Hand anzubieten.“

Die Vorstellung schien ihn nicht sonderlich zu erfreuen. Was hatte sie sich bloß dabei gedacht? Den armen Sir Preston in eine Falle zu locken, um ihn zu einer Ehe zu zwingen, die er gar nicht wollte, nur um sich selbst zu retten? Mit entsetzlicher Klarheit erkannte Chloe, wie selbstsüchtig, kindisch und gemein ihr Plan gewesen war. Sie durfte nicht zulassen, dass Sir Preston die Schuld für ihre Taten auf sich nahm. „Das wird nicht nötig sein, besonders, da ich mich Ihnen an den Hals geworfen habe. Sie brauchen sich nicht für mich zu opfern. Wenn Sie mich entschuldigen wollen, ich werde in den Ballsaal zurückkehren.“ Sie machte auf dem Absatz kehrt und verließ den Wintergarten so schnell sie konnte.

Ihre Demütigung war jedoch nicht zu Ende. Im Korridor stand Emily. Sie starrte Chloe verächtlich an. „Wie können Sie es wagen, zu versuchen, ihn in die Ehefalle zu locken, Sie hinterhältige Person! Ich schwöre Ihnen, wenn Sie ihm wehgetan haben, werde ich dafür sorgen, dass Sie es bereuen!“ Ihre Lippen zitterten, als wäre sie den Tränen nahe.

Die Wahrheit traf Chloe wie ein Blitz. „Sie sind in Sir Preston verliebt“, sagte sie gequält. „Es tut mir so leid. Ich wollte ihn nicht verletzen und Sie auch nicht.“ Sie eilte davon und verschwand im nächstbesten Raum.

Im Mondlicht, das durch die hohen Fenster hereinschien, erkannte sie ein Arbeitszimmer. Chloe ließ sich in einen Sessel fallen und zog die Beine an.

Wie hatte sie nur so dumm sein können? Und so dreist? Sie hatte sich wie eine Dirne benommen, Sir Preston in den Wintergarten gelotst und ihn angebettelt, sie zu küssen. Sie hätte sich nie träumen lassen, dass jemand ihnen dorthin folgen würde. Stattdessen waren zwei Leute Zeugen dieser beschämenden Szene geworden.

Brandt hatte sie mit solch eisiger Geringschätzung angesehen. Es stand außer Frage, dass er sie nun verachtete. Und die arme Emily! Kein Wunder, dass sie so abweisend gewesen war. In ihrer Selbstsucht hatte sie nicht bemerkt, dass das Mädchen in Sir Preston verliebt war. Ihr hätte längst auffallen müssen, dass Emily viel besser zu ihm passte.

Chloe unterdrückte ein Stöhnen. Plötzlich vernahm sie Schritte im Korridor und erstarrte. Es würde hoffentlich niemand hereinkommen?

Als die Tür aufging und sie Brandts Stimme ihren Namen sagen hörte, kauerte sie sich mit klopfendem Herzen tiefer in den Sessel. Wenn sie nicht antwortete, würde er vielleicht weggehen. Er kam um den Sessel herum und sah auf sie hinunter.

„Bitte gehen Sie.“ Zu ihrem Kummer zitterte ihre Stimme.

„Sind Sie in ihn verliebt?“

„Wie bitte?“

„Sir Preston. Sind Sie in ihn verliebt?“

Sie hätte ihm antworten sollen, dass ihn das nichts anging, stattdessen sagte sie: „Ich … ich wollte es sein. Er ist der netteste Mann, den ich kenne. Ich mag ihn sehr.“

„Wollten Sie deshalb, dass er Sie küsst? Weil Sie ihn mögen?“ Brandts Stimme klang rau.

Ihre Wangen röteten sich. „Ich weiß es nicht“, flüsterte sie.

„Sie wissen nicht, weshalb Sie wollten, dass er Sie küsst? Wie konnten Sie nur?“

Ihre Scham verwandelte sich in Wut. Sie sprang auf. „Ja, wie konnte ich nur! Doch was geht Sie das überhaupt an? Zweifellos halten Sie mich für töricht und schamlos, und sicher verachten Sie mich. Ich bitte Sie, nicht alles noch schlimmer zu machen, indem Sie mir diese abscheulichen Fragen stellen.“

„Ich verachte Sie nicht.“ Er packte ihren Arm und zog sie unsanft zu sich. Ihre Augen hatten sich an die Dunkelheit gewöhnt, und sie konnte seinen grimmigen Gesichtsausdruck erkennen. „Hat Ihnen sein Kuss gefallen?“

Sie starrte ihn völlig entgeistert an. Der überlegene Mann von Welt, den sie kannte, war verschwunden. „Es … es war nett.“

„Nett?“ Er lachte kurz auf. „Ist das alles? Dann gestatten Sie mir, Ihnen eine Vergleichsmöglichkeit zu geben.“

Ehe sie sich versah, hatte er sie an sich gerissen. Er hob ihr Kinn, dann senkte er seine Lippen auf ihre.

Sein Kuss war mit dem von Sir Preston nicht zu vergleichen. Oder mit dem nassen, abstoßenden Kuss Lord Denbighs. Oder der brutalen Misshandlung ihres Mundes vor so langer Zeit. Ihr Körper schien mit Brandts zu verschmelzen, und bei der Berührung seiner warmen, festen Lippen bekam sie wackelige Knie, sodass sie sich an ihn klammern musste.

Er ließ sie so plötzlich los, dass sie stolperte.

„Zur Hölle“, sagte er und fuhr sich mit der Hand durchs Haar. „Verdammt, Chloe, das wollte ich nicht.“ Er sah ebenso schockiert aus wie zuvor Sir Preston.

Sie wich vor ihm zurück. „Ich hoffe, Sie werden sich nicht verpflichtet fühlen, mir die Ehe anzubieten. Schließlich war es nur ein Kuss“, sagte sie.

Sein Gesicht verdunkelte sich. „Ja.“

Sie wich weiter zurück. „Ich … ich sollte in den Ballsaal zurückkehren.“ Der Gedanke, sich Sir Preston und Emily zu stellen, war weniger erschreckend als die Vorstellung, in diesem dunklen Raum zu bleiben, wo die Luft von einer eigenartigen Spannung war.

„Chloe, warten Sie.“ Brandt hob die Hand. „Gestatten Sie mir, Sie zu begleiten.“

„Nein. Sie haben schon genug getan.“ Sie drehte sich um und eilte hinaus.

5. KAPITEL
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Chloe erhob sich. Sie war viel zu aufgeregt, um stillzusitzen, daher ging sie zum Salonfenster und sah auf den winzigen Garten hinter dem Haus der Coltranes hinaus. Sie faltete die Hände und hoffte, dass Emily sie empfangen würde. Nach einer unruhigen Nacht hatte sie beschlossen, all ihren Mut zusammenzunehmen und die Sache mit Sir Preston und Emily in Ordnung zu bringen. Schließlich hatte Emily ihre Demütigung miterlebt und nach dem, was sie gestern Abend zu ihr gesagt hatte, war Chloe sicher, dass das Mädchen sie verabscheute.

Als sie Schritte hörte, krampfte sich ihr Magen zusammen. Sie drehte sich um. Emily trug ein grünes Musselinkleid, das ihr gut stand, obwohl es nicht der neuesten Mode entsprach. Ihr Haar war in einem einfachen Knoten hochgesteckt, und sie sah beinahe hübsch aus.

Chloe holte tief Luft. „Ich möchte mich bei Ihnen entschuldigen.“

Emily schaute sie überrascht an. „Weshalb? Ich hätte angenommen, dass Sie eine Entschuldigung von mir erwarten, weil ich Sie eine hinterhältige Person genannt habe.“

Chloe zuckte zusammen, wandte den Blick jedoch nicht ab. „Nein. Sie hatten ja recht. Mein Versuch, Sir Preston … zu einer Ehe mit mir zu zwingen, war gemein. Doch das ist mir erst gestern Abend bewusst geworden.“

„Sind Sie in ihn verliebt?“

Brandt hatte ihr die gleiche Frage gestellt, doch Emily hatte das Recht auf eine Antwort. „Nein. Ich dachte, ich könnte es sein, doch das war nur Wunschdenken. Er ist nett und anständig, und ich verstehe gut, weshalb eine Frau sich wünscht, ihn zu heiraten, allerdings passen Sie viel besser zu ihm.“

Emily errötete. „Er nimmt nicht die geringste Notiz von mir, also spielt das wohl kaum eine Rolle.“ Sie knetete ihre Finger. Chloe war überrascht, eine Geste bei ihr zu sehen, die so viel innere Unruhe verriet. „Ich habe gestern Nacht ebenfalls über vieles nachgedacht. Ich will, dass er glücklich ist. Wenn Sie ihn glücklich machen, dann soll er Sie haben.“

„Ich glaube nicht, dass ich ihn glücklich machen würde. Auf jeden Fall empfindet er nicht diese Art von Zuneigung zu mir. Auch das habe ich gestern Abend begriffen.“

„Aber Sie waren die ganze Zeit mit ihm zusammen. Und Sie haben ziemlich nah beieinandergesessen. Jedenfalls, bis Lord Salcombe auftauchte.“

Gott sei Dank hatte Emily den Kuss nicht gesehen. Chloe lachte kurz auf. „Lord Salcombe reagierte höchst ärgerlich, als er uns alleine antraf. Er tadelte mich deswegen, und Sir Preston fühlte sich verpflichtet, mich zu verteidigen. Ich schritt ein, um einen Streit zu verhindern, und am Ende waren beide Gentlemen böse auf mich.“

„Ich verstehe.“ Emily sah nicht überzeugt aus, doch zumindest schien sie nicht geneigt zu sein, sich mit ihr zu streiten.

„Werden Sie mir gestatten, Ihnen zu helfen?“

„Wobei?“

„Dafür zu sorgen, dass Sir Preston Notiz von Ihnen nimmt.“

Emily machte eine abwehrende Handbewegung. „Ich … ich glaube nicht, dass das möglich ist. Außerdem …“, sie hob das Kinn, „… habe ich nicht die Absicht, mich wegen eines Mannes, dem ich gleichgültig bin, zum Narren zu machen.“

Chloe seufzte. „Es kann nicht schlimmer werden als das, was ich getan habe. Außerdem äußert Sir Preston höchst schmeichelhafte Dinge über Sie. Ich weiß, dass er Ihre Reitkünste und Ihre Kenntnisse über Landwirtschaft bewundert.“

Emily errötete. „Aber das sind Vorzüge, die Tom ebenfalls hat. Er nimmt mich nicht als … Frau wahr. Ich weiß, dass ich weder hübsch noch anmutig bin. Und ich hasse die meisten meiner Kleider. Ich finde mich in Spitzen und Rüschen lächerlich.“

„Spitze und Rüschen stehen nicht jeder Frau. Ich glaube, ein einfacherer Stil würde viel besser zu Ihnen passen. Das Kleid, das Sie heute tragen, ist ausgesprochen vorteilhaft für Sie.“

„Dieses hier?“ Emily verzog das Gesicht. „Es ist uralt.“

„Aber der Schnitt steht Ihnen. Und die Farbe ebenfalls. Und es gefällt mir, wie Sie Ihre Haare heute frisiert haben.“

Emily errötete erneut, was überhaupt nicht zu ihrer üblichen forschen Art passte. „Wirklich?“ Sie sah Chloe an. „Oh, ich wünschte, ich wäre so hübsch wie Sie! Sie wissen ja nicht, wie eifersüchtig ich auf Sie war!“

„Auf mich? Ich habe rotes Haar und Sommersprossen. Ich wollte immer einen Teint wie Sie haben. Und Ihre Größe. Ich hasse es, wenn ich zu Leuten aufblicken muss.“ Chloe seufzte.

„Wollen Sie mir wirklich helfen?“, fragte Emily nach einem kurzen Moment des Schweigens.

„Ja. Leider soll ich bereits in zwei Tagen mit Lord Ralston abreisen, aber wir können ein paar Kleider aussuchen, die Ihnen stehen, und Ihr Haar frisieren. Ich dachte, wenn Sie heute etwas Zeit haben, könnten wir anfangen. Dann sind Sie für die Gesellschaft nächste Woche vorbereitet.“

„Ich weiß nicht, weshalb Sie das tun. Ich bin alles andere als nett zu Ihnen gewesen.“

„Ich war ebenfalls nicht nett zu Ihnen. Oder zu Sir Preston.“ Chloe lächelte ein wenig. „Wenigstens kann ich versuchen, Ihnen beiden zu helfen, Ihr Glück zu finden.“

Chloe nahm die Abkürzung durch das Wäldchen in der Nähe von Falconcliff. Schließlich traf sie auf den Weg, der oben an den Klippen entlang verlief. Emily und sie hatten mehrere Stunden damit zugebracht, Kleider durchzusehen, und sich schließlich für eine Robe aus pfirsichfarbenem Moiré entschieden, die gut zu Emilys Teint passte. Mrs. Coltrane war einverstanden gewesen, alle Verzierungen bis auf zwei Reihen flacher Bänder zu entfernen. Danach hatten sie Emilys Haar auf verschiedene Arten zurechtgemacht und schließlich einen Stil gefunden, der ihre Gesichtszüge weicher wirken ließ. Emily hatte ihr Spiegelbild angestarrt. „Ich sehe beinahe … hübsch aus.“

Wenigstens das war erfreulich. Chloe unterdrückte ein Seufzen. Bald würde sie von Falconcliff fortmüssen. Sie hatte in der vergangenen Nacht beschlossen, Lord Denbigh zu heiraten. Was blieb ihr sonst für eine Wahl? Sie konnte Belle und Justin um Hilfe bitten, doch die beiden hatten bereits so viel für sie getan. Wenn Arthur seine Drohung schließlich wahrmachte, wären sie gezwungen, nicht nur sie, sondern auch ihre Mutter zu unterstützen. Sie würden den beiden zur Last fallen, bis Chloe einen Mann gefunden hätte, den sie heiraten konnte.

Sie war so in Gedanken versunken, dass sie das Hufgetrappel so lange nicht vernahm, bis das Pferd sie beinahe eingeholt hatte. Erschrocken wirbelte sie herum. Das Herz klopfte ihr bis zum Hals, als sie den Reiter erkannte. Sie versuchte sich zu beruhigen, während Brandt den Braunen neben ihr zum Stehen brachte. Sein Gesichtsausdruck war schwer zu deuten, als er auf sie hinabblickte. „Ich würde gerne einen Moment mit Ihnen sprechen.“

„Oh.“ Chloe versuchte, nicht daran zu denken, wie er sie geküsst hatte, aber das erwies sich als unmöglich, wenn er sie auf diese Weise ansah.

Mit einer geschmeidigen Bewegung saß er ab und ergriff die Zügel. „Ich werde Sie zum Haus begleiten.“

Sie nickte und setzte sich in Bewegung. Brandt ging neben ihr her. „Ich möchte mich für mein Verhalten gestern Abend entschuldigen, es war nicht das eines Gentleman. Ich habe Sie beleidigt und Ihnen meine Aufmerksamkeiten aufgezwungen.“ Er mied ihren Blick.

„Ich … ich habe mich auch nicht wie eine Dame benommen. Ich nehme an, Sie wollten mir eine Lektion erteilen.“

Seine Wangen röteten sich. „Das stand mir nicht zu. Mein Gebaren war verabscheuenswürdig.“

„Ich kann es Ihnen nicht verübeln, wenn Sie dachten, ich wäre nicht besser als eine … eine gefühllose Kokotte. Ich sollte Ihnen danken, dass Sie Sir Preston vor einer unglücklichen Ehe bewahrt haben.“

„Sie sollten mir danken?“ Er lachte kurz auf. „Ich versuche, Sie um Verzeihung für meine verwerflichen Taten zu bitten und nicht, Sie zu beschuldigen.“

Sie schüttelte den Kopf. „Ich weiß, wie gemein ich war.“

„Gemein? Sie?“ Er blieb stehen und sah sie an. „Ich kenne niemanden, der weniger gemein ist als Sie. Wenn Sie glauben, dass ich so von Ihnen denke, muss ich Sie erst recht um Verzeihung bitten.“

Es lag keinerlei Galanterie in seinem Verhalten. Es war ihm wirklich ernst. Chloe hielt den Atem an, als sie seinen eindringlichen Gesichtsausdruck bemerkte, und wandte den Blick ab. „Dann werde ich Ihre Entschuldigung akzeptieren.“

Den Rest des Weges legten sie in unbehaglichem Schweigen zurück. Beinahe wäre es Chloe lieber gewesen, er hätte sie geneckt, denn alles erschien ihr besser als dieses Gefühl, dass unausgesprochene Worte zwischen ihnen hingen. Sie war erleichtert, als er zu den Ställen abbiegen musste. „Danke, dass Sie mich nach Hause begleitet haben.“ Sie zwang sich, ihn anzusehen.

Er zögerte ein wenig. „Ich hoffe, wir können Freunde sein.“

„Freunde? Oh ja. Das wäre nett.“ Was für eine alberne Antwort. Rasch fuhr sie fort. „Ich hoffe, Sie werden gerne in Devon leben. Ich muss zugeben, dass ich ziemlich eifersüchtig war, als Belle mir erzählte, dass Sie Waverly gekauft haben. Ich habe es immer als mein Haus angesehen. Wie lächerlich.“ Was war nur in sie gefahren, so etwas Dummes zu sagen?

Ein seltsamer Ausdruck huschte über sein Gesicht. „Das ist gar nicht lächerlich.“ Wieder zögerte er. „Sie sind herzlich willkommen, mich zu besuchen.“

„Vielleicht.“ Sie wurde traurig. Es war unwahrscheinlich, dass es je dazu kam. Sie hatte keine Ahnung, wie ihr Leben aussehen würde, wenn sie mit Lord Denbigh verheiratet war. Lächelnd streckte sie die Hand aus. „Auf Wiedersehen, Brandt.“

Er ergriff ihre Hand. „Das ist kein Abschied, nicht wahr? Wir werden uns vor Ihrer Abreise noch einmal sehen. Morgen ist das Picknick. Marguerite hat mich überredet, es bei der alten Kapelle von Waverly zu veranstalten. Ich würde mich wirklich sehr freuen, wenn ich Ihnen bei dieser Gelegenheit das Haus zeigen dürfte.“

Sein jungenhaft eifriger Gesichtsausdruck brachte sie beinahe zum Weinen. Wenn sie sich unter anderen Umständen begegnet wären, hätten sie vielleicht Freunde sein können. Einen Augenblick der vollkommenen Harmonie wie diesen würde es nicht noch einmal geben. Dennoch lächelte sie. „Das würde mir gefallen.“

Sie drehte sich um und stieg die breite Eingangstreppe hinauf, als die Tür geöffnet wurde und Lady Kentworth mit hocherhobenem Kopf und zornig zusammengepressten Lippen herausmarschierte. Ihr wütender Blick fiel auf Chloe. „Sie!“, rief sie aus und kam die Stufen herunter. „Sie mögen ja glauben, dass Sie zu hochwohlgeboren sind für unsereins, weil Sie die Tochter eines Earl sind! Aber ich werde dafür sorgen, dass es Ihnen noch sehr, sehr leidtut, dass Sie so unverschämt mit meinem Sohn getändelt haben!“ Sie segelte an Chloe vorbei, die sich erschrocken an eine Säule presste.

Nachdem sie sich einigermaßen beruhigt hatte, betrat Chloe die kühle Eingangshalle, wo Arthur in der Tür zu Justins Arbeitszimmer stand.

„Ich möchte sofort mit dir sprechen“, sagte er kalt.

„Ich muss mich umziehen.“

„Ich sagte, sofort.“

Arthurs Gesichtsausdruck verhieß nichts Gutes, und ihr war klar, dass er von dem Debakel des vergangenen Abends wusste. Dass Justin hinter ihm auftauchte, machte ihre Demütigung komplett. Zu ihrer Erleichterung kam in diesem Augenblick Belle die Treppe heruntergeeilt.

„Chloe, Gott sei Dank, da bist du ja. Wir haben uns Sorgen gemacht.“ Belles Blick flog kurz zwischen Arthur und ihr hin und her. „Aber jetzt musst du erst einmal nach oben gehen und dich umziehen.“

Arthur kniff die Lippen zusammen. „Ich habe die Absicht, herauszufinden, weshalb diese Kreatur zu denken scheint, dass Sir Preston Chloe kompromittiert hat. Und zwar bevor sie anfängt, ihre Lügen in der ganzen Gegend zu verbreiten.“

„Arthur! Nicht jetzt. Du setzt Chloe zu sehr zu“, sagte Belle.

„In der Tat. Denn es wird ihr noch viel mehr zusetzen, wenn ihr Ruf ruiniert ist.“ Der Earl maß Chloe mit einem kalten Blick. „Also, meine Liebe, würdest du unter diesen Umständen geruhen, mir nun endlich zu sagen, ob Sir Preston dich gestern Abend kompromittiert hat oder nicht?“

Chloe wäre am liebsten im Boden versunken. „Nein … das heißt … ich …“

„Chloe wurde nicht kompromittiert“, unterbrach auf einmal Brandts Stimme ihr Gestammel. Plötzlich stand er neben ihr.

Chloe fuhr zusammen, und Arthur heftete seinen Blick auf Brandt. „Was wissen Sie über die Angelegenheit?“, fragte er.

Brandt erwiderte seinen Blick. „Ich war dort.“

Justin, der schweigend zugehört hatte, mischte sich endlich ein. „Ich schlage vor, wir besprechen die Sache in meinem Arbeitszimmer. Belle, ich möchte, dass du dabei bist.“ Er sah Chloe an. „Und Belle hat recht, du musst dich umziehen und ein wenig ausruhen.“

„Ich denke, ich sollte …“, begann Chloe, doch ein Blick in Justins Gesicht ließ sie verstummen. Seine Miene war nicht unfreundlich, gleichwohl ließ sie erkennen, dass er nicht nachgeben würde. „Sehr wohl, Euer Gnaden.“ Sie wandte sich rasch ab, ehe sie sich noch mehr blamierte, indem sie in törichte Tränen ausbrach.

Brandt sah ihr nach, dann folgte er den anderen in Justins dämmriges Arbeitszimmer. Belle nahm in dem großen Ohrensessel Platz, die anderen blieben stehen. Brandt lehnte sich gegen den Schreibtisch. „Was ist passiert?“

Arthur verschränkte die Arme vor der Brust und starrte ihn an. „Ich war kaum hier eingetroffen, um mit meinem Mündel zu sprechen – das übrigens nirgends aufzufinden war –, als diese Frau erschien. Sie verlangte eine Unterredung – nicht nur mit mir, sondern auch mit dem Duke. Falls ich einer Ehe zwischen ihrem Sohn und Chloe nicht zustimme, so ihre Drohung, wird sie herumerzählen, dass die beiden in einer kompromittierenden Situation erwischt wurden.“

„Oje“, seufzte Belle.

Brandt verkniff sich einen Fluch. „Das ist ja lächerlich.“

„Gleichwohl behauptet sie, mehrere Zeugen hätten beobachtet, dass Chloe und Sir Preston zusammen den Ballsaal verließen und fast eine halbe Stunde lang fort waren“, äußerte Justin.

„Sie waren nicht alleine“, erklärte Brandt ruhig. „Ich bin ihnen gefolgt.“

Arthur wurde rot vor Zorn. „Was sagen Sie da? Wollen Sie mir erzählen, dass Chloe tatsächlich mit Kentworth hinausgegangen ist?“

Brandt sah ihn an. „Ja, aber ich war bei ihnen.“

„Weshalb haben Sie nicht darauf bestanden, dass sie in den Ballsaal zurückkehren?“, fragte Arthur.

„Das habe ich.“ Er hielt es für unklug, den Kuss zu erwähnen.

„Offensichtlich nicht früh genug.“ Arthur maß ihn mit einem kalten Blick. „Ich will auf keinen Fall, dass diese Geschichte verbreitet wird. Und ich bezweifle, dass irgendjemand in England Sie für eine geeignete Anstandsperson hält. Ihr Ruf ist nicht gerade erstklassig.“

„Arthur!“, protestierte Belle.

Justin sah Brandt mit gerunzelter Stirn an. „Falls es nötig sein sollte, wärst du bereit, zu schwören, dass du bei ihnen warst?“

„Natürlich.“

Justin wandte sich an Arthur. „Es dürfte Lady Kentworth schwerfallen, jemanden davon zu überzeugen, dass Chloe kompromittiert wurde, wenn Brandt beeidet, dass er die ganze Zeit bei ihnen war.“

Arthur schien alles andere als beruhigt. „Ich werde dafür sorgen, dass diese Kreatur keine Bedrohung mehr für Chloe darstellt.“ Er verschränkte die Hände hinter dem Rücken. „Lord Denbigh hat mich um Chloes Hand gebeten. Wir hatten die Absicht, mit der Ankündigung der Hochzeit zu warten, bis wir einige Tage in Denbigh Hall verbracht haben, aber unter diesen Umständen halte ich es für klug, die Verlobung unverzüglich bekannt zu geben.“

„Lord Denbigh?“ Die sonst so ruhige Belle hob die Stimme. Mit aschfahlem Gesicht sprang sie auf. „Nein! Sie darf ihn nicht heiraten! Er ist ein … ein lüsterner alter Mann, der sie unglücklich machen würde!“

„Ich habe ihr bereits erklärt, was ihre Pflichten sind. Für ein junges Mädchen ist es ganz natürlich, wenn sie eine gewisse Scheu vor ihrem zukünftigen Gatten hat. Und was Ihren anderen Einwand angeht, so halte ich dreiundvierzig nicht für alt. Chloe braucht einen Gatten, und ich habe nicht die Absicht, länger zu warten. Ich möchte sie so bald wie möglich verlobt sehen.“

„Ist heute Abend bald genug?“, fragte Brandt.

Alle sahen ihn an, Arthur mit einem geradezu eisigen Blick. „Sie belieben zu scherzen, Salcombe. Ich würde Kentworth niemals akzeptieren. Er ist nicht nur höchst unpassend, ich würde auch nie riskieren, dass diese Hyäne einen Penny von Chloes Mitgift bekommt.“

„Nicht Kentworth.“ Brandt richtete sich zu seiner vollen Größe auf. „Ich selbst.“

Arthur fiel das Kinn herab. Belle keuchte leise auf. Lediglich Justin blieb gelassen.

Arthur sprach als Erster. „Ich werde Ihrem Antrag nicht stattgeben. Schließlich kann ich nicht zulassen, dass ihr Vermögen einem mittellosen Viscount in die Hände fällt.“

„Ich wäre bereit, zu wetten, dass Denbigh Chloes Geld nötiger hat als ich“, erwiderte Brandt kalt. „Sie können eine Klausel in den Ehevertrag aufnehmen, die festlegt, dass jeder Besitz, den Chloe mit in die Ehe bringt, ihr gehört und sie nach ihrem Belieben darüber verfügen kann.“

„Das ist schwerlich zufriedenstellend. Sie ist die Tochter eines Earl und darf einen viel höheren Rang erwarten als den einer Viscountess. Ich kann Ihren Antrag unmöglich in Betracht ziehen.“

Brandt verschränkte die Arme vor der Brust. „Ich schlage vor, dass Sie es dennoch tun. Ich bestehe sogar darauf, es sei denn, Sie wollen, dass Lady Chloe sich in den zweifelhaftesten Kreisen Englands bewegt. Natürlich würde ich Sie fordern, bevor ich das zuließe.“

Ralston kniff vor Wut die Lippen zusammen. „Sie drohen mir, Salcombe?“

„Ja.“

„Ich bin ihr Vormund.“

Belle wandte sich zu Arthur und sah ihm fest in die Augen. „Chloe wird dieses Haus nicht verlassen, wenn Sie auf einer Verbindung mit Denbigh beharren. Ich lasse nicht zu, dass Sie sie zu einer Ehe mit einem solchen Mann zwingen, egal, wie hoch sein Rang ist.“

„Und ich auch nicht“, sagte Justin. Er musterte Arthur kühl. „Akzeptieren Sie den Antrag meines Cousins, Ralston. Chloe wird nicht mit Ihnen fahren, es sei denn, Sie entschließen sich, sie zu entführen. Indes gibt es niemanden, der Ihr Ansinnen, Ihr unschuldiges Mündel gegen seinen Willen mit einem verdorbenen Mann zu verheiraten, gutheißen würde, und ich wäre natürlich gezwungen, öffentlich bekannt zu geben, dass Ihnen meine Tür nicht länger offen steht.“

Arthur räusperte sich. „Ich versichere Ihnen, dass es nicht notwendig sein wird, derartige Maßnahmen zu ergreifen. Lord Denbigh dürfte allerdings wenig erfreut sein.“ Er sah einen nach dem anderen an und nickte. „Also schön, Salcombe, ich akzeptiere Ihren Antrag. Ich setze Chloe darüber in Kenntnis, dass sie Sie heiraten wird.“

„Ich möchte zuerst mit ihr sprechen.“ Das Letzte, was Brandt wollte, war, dass Ralston Druck auf Chloe ausübte. Außerdem musste er ihr unbedingt einige Dinge klarmachen.

Justin musterte Brandt mit unergründlicher Miene. „Ich bin der Meinung, das solltest du unverzüglich tun. Ich werde nach ihr rufen lassen. Du kannst hier mit ihr sprechen.“ Er ging zur Tür. „Ralston.“

Der Earl folgte ihm, seine Haltung drückte sein Missfallen deutlich aus.

Belle wartete, bis die beiden gegangen waren. „Weshalb möchtest du Chloe heiraten?“

Brandt zuckte die Achseln. „Ich dachte, ich wäre Denbigh wohl vorzuziehen.“ Seine Stimme klang gleichgültig, doch er fühlte sich, als sei er in einen Traum geraten.

„Ist das der einzige Grund?“

„Nein. Ich brauche eine Gattin.“ Die Begründung hörte sich kein bisschen besser an.

Belle betrachtete ihn nun forschend. „Ich verstehe“, sagte sie weich. „Dann vertraue ich darauf, dass du sie glücklich machst.“

„Ich werde mich bemühen.“

Sie lächelte ihn kurz an und ging hinaus. Er sah ihr nach und trat ans Fenster. Was zur Hölle war in ihn gefahren, um Chloes Hand anzuhalten?

Ihn hatte wohl vorübergehend der Verstand im Stich gelassen. Vielleicht konnte er Marguerite die Schuld geben, weil sie versuchte, ihn und Chloe zu verkuppeln. Oder Marguerite und Giles und Justin und Belle, weil sie so verdammt glücklich in ihren Ehen waren. Oder Chloe selbst.

Als Ralston erklärt hatte, dass sie Denbigh heiraten sollte, hatte er nicht mehr vernünftig denken können. Das Bild von Chloe in Denbighs Armen war ihm so zuwider gewesen, dass er alles getan hätte, um diese Ehe zu verhindern.

Einschließlich sie selbst zu heiraten.

Chloe blieb vor der Tür des Arbeitszimmers stehen und holte tief Luft. Sie fragte sich, worüber Brandt mit ihr sprechen wollte. Belle hatte ihr nichts von der Unterredung mit Arthur erzählt, sondern lediglich gesagt, dass sie zuerst Brandt aufsuchen solle.

Sie klopfte, und nach Brandts tiefem „Herein“ trat sie ein. Die späte Nachmittagssonne fiel schräg in den Raum. Brandt wandte sich vom Fenster ab und ging zum Schreibtisch. Er sah sie nachdenklich an, bevor er sie bat, Platz zu nehmen.

Chloe hockte sich auf die Stuhlkante und verschränkte die Hände im Schoß. „Belle sagte, Sie wollten mich sprechen.“

„Ja.“ Er lehnte sich gegen die Schreibtischkante, stieß sich indes fast sofort wieder davon ab. Er wirkte aufgeregt, was Chloe angesichts der Gelassenheit, die er üblicherweise zu Schau trug, sonderbar vorkam.

„Hat sie Ihnen erklärt, weshalb ich mit Ihnen reden möchte?“

„Nein. Sie hat mir eigentlich gar nichts gesagt.“ Chloe reckte das Kinn. „Ich nehme an, Arthur wollte wissen, ob es stimmt, dass ich den Ballsaal zusammen mit Sir Preston verlassen habe. Wenn ich kompromittiert worden wäre, würde das Arthur natürlich nicht gefallen, weil er mich mit Lor… jemand anderem vermählen will.“

„Denbigh?“

Sie starrte ihn sprachlos an. „Ich vermute, das wissen Sie von Arthur. Ja, ich soll Lord Denbigh heiraten. Sofern mir nicht etwas einfällt, um diese Verbindung zu vereiteln“, fügte sie bitter hinzu.

Plötzlich dämmerte es ihm. „Das also hatten Sie vor, als Sie mit Kentworth verschwanden! Sie wollten ihn dazu bringen, Sie zu kompromittieren, damit Sie einer Ehe mit Denbigh entkommen!“

Sie wurde flammend rot. Wie herzlos und selbstsüchtig das klang, als ob sie dabei keinen Gedanken an Sir Preston verschwendet hätte. „Das ist nicht die ganze Wahrheit. Ich glaubte, Sir Preston sei genau die Art Gatte, die ich mir wünschte. Er ist so nett und ehrenhaft, und ich wollte mich in ihn verlieben. Ich habe mir wohl selbst eingeredet, dass er meine Zuneigung erwidert. Als Arthur mir erklärte, dass ich Lord Denbigh heiraten müsse, beschloss ich, eine Situation herbeizuführen, die Sir Preston zu einem Antrag zwingen würde. Aber als er mir die Ehe anbot, erkannte ich, wie gemein es von mir war, ihn in die Falle zu locken.“ Sie holte tief Luft und zwang sich, Brandt anzusehen. „Ich bin Ihnen dankbar, dass Sie uns gefolgt sind. Ich nehme an, Sie haben Arthur und Belle und Justin darüber in Kenntnis gesetzt.“

„Nur, dass ich zur selben Zeit im Wintergarten war. Weiter nichts.“

„Vielen Dank.“ Sie wandte kurz den Blick ab. „Besteht Arthur darauf, dass ich meine Verlobung mit Lord Denbigh sofort bekannt gebe?“

„Nein.“ Brandt zögerte. „Sie werden sich stattdessen mit mir verloben.“

„Mit Ihnen?“ Chloe schwirrte der Kopf, und plötzlich klang ihre Stimme, als käme sie von weither. „Warum das?“

„Entweder mit mir oder mit Lord Denbigh. Da ich nicht die Absicht hatte, Sie Denbigh auszuliefern, war ich es.“

„Sie … Sie haben um meine Hand angehalten, damit ich nicht gezwungen bin, Lord Denbigh zu heiraten?“

„Ja.“ Er sah sie wachsam an, und sie wusste nicht, was er dachte.

„Ich verstehe nicht. Ist es wegen gestern Abend?“

„Nein, es ist nicht wegen gestern Abend“, antwortete er ruhig.

„Weshalb dann? Sie können mich unmöglich zur Frau wollen. Sie mögen mich ja nicht einmal. Und außerdem bin ich eine Erbin! Sie sagten, Sie möchten nicht wegen Geldes heiraten!“

Er lächelte leicht. „Ich habe nicht die Absicht, Ihre Mitgift anzurühren. Und was das andere betrifft, so irren Sie sich sehr“, fügte er leise hinzu.

Panik ergriff sie. Sie wusste nicht, warum, aber der Gedanke, dass er um sie angehalten hatte, weil es tatsächlich sein Wunsch war, machte ihr Angst. Einen Mann wie ihn hatte sie nie gewollt. Und sie wollte nicht, dass er sie … mochte. Nicht auf diese Weise.

„Ich kann Sie nicht heiraten.“

„Weshalb nicht?“

„Wir … wir passen nicht zusammen. Ich weiß nicht, wie Sie auf diese Idee kommen.“

„Wir waren uns einig, dass wir beide Kinder mögen. Sie haben festgestellt, dass Sie einen Gatten brauchen, um eine Familie gründen zu können.“

Sie wusste kaum, was sie äußerte. „Ich erklärte, dass mir der Gedanke an einen Gatten nicht zusagt.“

„Sie widersprechen sich selbst. Sie wollten Sir Preston heiraten.“

„Das war etwas anderes!“

„Inwiefern?“

„Er … er wäre ein bequemer Gatte für mich gewesen.“

„Ah. Also haben Sie Angst, dass ich Sie unterdrücke und Sie als bloße Annehmlichkeit betrachte?“

„Ja, wenn Sie es denn wissen müssen!“

Er lächelte leicht. „Ich bezweifle, dass ich Sie je als reine Annehmlichkeit ansehen würde. Kann ich Sie umstimmen, wenn ich Ihnen verspreche, dass ich kein herrischer Gatte sein werde? Und mein Haus wäre auch Ihres, wissen Sie.“

„Ihr Haus?“

„Waverly. Sie erzählten mir erst heute, dass Sie eifersüchtig waren, als ich es gekauft habe. Es würde Ihnen genauso gehören wie mir.“

„Es war sehr dumm von mir, das zu sagen.“ Chloe senkte den Blick. „Ich fühle mich geehrt, dass Sie mich um meine Hand bitten, aber ich kann Sie nicht heiraten, weil …“

Mit zwei Schritten war er bei ihr und packte die Armlehnen ihres Stuhls. Seine Augen blitzten vor Zorn. Sie starrte ihn an und schluckte.

„Was Sie nicht verstehen, meine liebe Lady Chloe, ist, dass Ihnen keine Wahl bleibt. Entweder nehmen Sie meinen Antrag an, oder Ihr Vormund vermählt Sie mit Denbigh. Oder Lady Kentworth verbreitet boshafte Gerüchte über Sie. Da ich beides nicht zulassen kann, werden wir unsere Verlobung verkünden. Außerdem mache ich Ihnen keinen Antrag, sondern ich sage Ihnen, was Sie zu tun haben.“

Sein Gesicht war nur wenige Zentimeter von ihrem entfernt. Sie konnte die Farbe seiner Augen erkennen, eine faszinierende Mischung von Grün und Braun. Ihr Herz klopfte heftig, sie rang nach Luft und wusste nicht, ob das Gefühl, das sich ihrer bemächtigt hatte, Furcht oder etwas völlig anderes war. Ihr Blick fiel auf seinen Mund, und ihr wurde schwindlig.

„Chloe?“ Er richtete sich auf und trat einen Schritt zurück.

Sie blinzelte, um wieder klar denken zu können, erhob sich und starrte ihn an. „Es ist nicht nötig, dass Sie sich für mich opfern. Wenn ich mich nicht so töricht verhalten hätte, gäbe es gar keinen Grund dazu. Es wird das Beste sein, wenn ich Lord Denbigh heirate.“

„Bevor das geschieht, entführe ich Sie“, sagte er leise. Sie konnte sehen, dass er nun wirklich zornig war, und bekam Angst. Er stand dicht vor ihr. „Und Sie irren sich. Ich opfere mich nicht.“

Plötzlich empfand sie nur noch Niedergeschlagenheit. Ihr ganzes Leben war außer Kontrolle geraten.

Er sah sie unverwandt an, und für einen kurzen Moment hatte sie das Gefühl, er könne ihre Gedanken lesen. Dann trat er zurück. „Schauen Sie mich nicht so entsetzt an. Ich werde Sie nicht gegen Ihren Willen zum Altar schleppen. Ich meinte es ernst, als ich sagte, dass ich mir keine Gattin leisten kann und nicht die Absicht habe, eine Erbin zu heiraten. Besonders nicht Sie. Wir werden unsere Verlobung verkünden und deutlich machen, dass es in nächster Zukunft noch keine Hochzeit geben wird. Und wenn eine angemessene Zeitspanne vergangen ist, können Sie die Verlobung wieder lösen. Allerdings würde ich Ihnen empfehlen, wenigstens zwei Monate damit zu warten.“

Also wollte er sie nicht wirklich. Sie hätte erleichtert sein sollen, stattdessen musste sie befürchten, gleich in Tränen auszubrechen. Was überhaupt keinen Sinn ergab, weil sie ihn auch nicht wollte. „Also schön. Ich stimme Ihren Bedingungen zu.“

„Gut.“ Er hielt die Tür für sie auf und wartete, bis sie an ihm vorbeigegangen war. Wie betäubt betrat sie an seiner Seite den Salon. Alle waren dort. Sie hätte beinahe die Flucht ergriffen, doch Brandt nahm ihre Hand und zog sie mit sich. „Ihr dürft uns gratulieren. Chloe hat meinen Antrag angenommen.“

Keiner wirkte auch nur im Mindesten überrascht, und Chloe wurde klar, dass sie Bescheid gewusst hatten. Justin kam als Erster. Er ergriff Chloes andere Hand. „Ich freue mich außerordentlich über die Wahl meines Cousins. Willkommen in der Familie.“

Sie brachte ein Lächeln zustande. „Vielen Dank.“

Belle war die Nächste. Sie küsste Brandts Wange und umarmte Chloe herzlich. Dann war Arthur an der Reihe. Er schüttelte Brandt die Hand und ergriff dann Chloes. „Gratulation. Ich wünsche dir viel Glück“, sagte er steif, ließ ihre Hand los und sah Brandt an. „Sie werden die Verlobung sicher umgehend bekannt geben.“

„Ich gebe morgen eine Anzeige in den Londoner Zeitungen auf.“

„Und die Hochzeit? Ich nehme an, sie soll stattfinden, sobald das Aufgebot bestellt ist.“

Brandt warf Chloe einen Blick zu. „Wir wollen uns erst nach Abschluss der wichtigsten Renovierungsarbeiten in Waverly trauen lassen. Chloe soll wenigstens einen Salon und ein Schlafgemach zu ihrer Verfügung haben, wo es nicht hereinregnet.“

„Sie haben doch noch ein Haus.“

„Chloe möchte in Waverly leben. In der Nähe ihrer Familie.“

Arthur sah nicht überzeugt aus. „Na schön.“ Er betrachtete Chloe. „Wir müssen deine Mutter informieren. Sie wird enttäuscht sein, wenn sie erfährt, dass der Besuch auf Denbigh Hall nicht stattfindet.“

„Ich bin sicher, dass sie sich von ihrer Enttäuschung erholt, sobald sie erfährt, dass Chloe meinen Cousin heiratet und in der Nähe von Belle leben wird“, versetzte Justin. „Chloe kann bis zur Hochzeit bei uns bleiben.“

Arthur räusperte sich. „Ich nehme an, Lady Ralston würde ihre Tochter gerne bei sich haben.“

Autor

Elizabeth Beacon
<p>Das ganze Leben lang war Elizabeth Beacon auf der Suche nach einer Tätigkeit, in der sie ihre Leidenschaft für Geschichte und Romane vereinbaren konnte. Letztendlich wurde sie fündig. Doch zunächst entwickelte sie eine verbotenen Liebe zu Georgette Heyer`s wundervollen Regency Liebesromanen, welche sie während der naturwissenschaftlichen Schulstunden heimlich las. Dies...
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