Ein Schatz für den Highlander?

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London 1753: Die Highlanderin Anne Fletcher hat eine Mission: Sie will den legendären Goldschatz von Loch Arkaig zurück in ihre schottische Heimat bringen. Dazu muss sie ihn aus den Händen der Engländer stehlen. Bei ihrem verwegenen Plan kann ihr nur ein Mann zur Seite stehen: ihr ehemaliger Geliebter Will MacDonald. Er soll ihr Zutritt zu dem Anwesen verschaffen, in dem das Gold versteckt liegt. Doch Anne hat nicht mit Wills Stolz gerechnet. Noch immer hat der breitschultrige Highlander ihr nicht verziehen, dass sie ihn einst verlassen hat. Wie kann Anne ihn nur überzeugen, sie zu unterstützen? Vielleicht mit den Waffen einer Frau?


  • Erscheinungstag 21.02.2023
  • Bandnummer 147
  • ISBN / Artikelnummer 9783751517690
  • Seitenanzahl 400
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

22. August 1753

Fackellicht fiel flackernd auf einen Unhold von Mann, der auf dem Boden saß. Seine kräftigen Arme waren mit Handschellen an die Wand des besonders gesicherten Außenkerkers des Marshalsea-Gefängnisses gefesselt. Das Nebengebäude war aufmüpfigen Verbrechern vorbehalten. Der Fußboden stank nach Urin. Fäkaliengeruch lag schwer in der Luft. Rebellion hatte ihren Preis, und gezahlt wurde er in diesem Kerker. Anne drückte sich ein mit Lavendelöl getränktes Taschentuch unter die Nase und trat zögerlich ein.

Der Wärter betrachtete ihr vermummtes Gesicht. Seine Augen wurden von Blutergüssen geziert. „Ich hätt’ auch weniger abstoßende Kerle für Sie, Miss.“

„Nein, ich will diesen.“

Ketten klirrten, und das kalte Geräusch jagte ihr einen Schauer über die Haut. Das schlafende Ungetüm regte sich. Der zerschlissene MacDonald-Kilt, der seine gewaltigen Oberschenkel bedeckte, rutschte hoch und gab den Blick auf einen behaarten Hoden frei.

„Sehen Sie, was ich meine?“ Der Wärter schniefte. „Der hat Ihre Herzensgüte nicht verdient.“

Den Blick unverwandt auf den Hünen gerichtet, ließ sie einen prall gefüllten Geldbeutel an den Fingern baumeln. „Es ist mein Herz, Mr. Ledwell. Ich wüsste es zu schätzen, wenn Sie Ihre Bedenken für sich behielten.“

Gierig schnappte er sich die Börse. „Sie zahlen ’ne Menge für ’nen wertlosen Highlander.“

Im Schatten funkelten Augen von der Farbe flüssigen Goldes hinter langem Haar, fesselnde Augen, die jede geringere Seele sogleich durchschaut hätten. Der Koloss war gefesselt, aber nicht besiegt. Er hatte den Kopf zurückgelehnt und ließ die Arme entspannt in den Schellen hängen, als hätte er es bequem. Die Engländer würden ihn niemals bezwingen. Er hatte wegen seiner Beteiligung am Jakobitenaufstand von 45 auf einem Gefängnisschiff vor der Befestigungsanlage Tilbury Fort geschmort und überlebt.

Diese Gefangenschaft jedoch hatte er sich selbst zuzuschreiben.

Warum?

Unwillkürlich zuckte sie hinter ihrem parfümierten Tuch zusammen, als unter seinem zerrissenen Hemd unbehandelte Wunden und garstige Prellungen aufblitzten. Dennoch war er eine Augenweide. Dunkelblonde Härchen schimmerten auf seinen wie gemeißelt wirkenden Oberschenkeln. Die breite Brust ging in eine schmale Taille über. Seine riesenhafte Statur ging mit einer großen Nase und einem breiten, ihr einst so vertrauten Mund einher. Leidenschaftlich und weich (das einzig Weiche an ihm), lud er zum Küssen ein.

Doch es waren seine Augen, die eine Frau zu bannen vermochten. Verwegen an seinen besten Tagen, schwermütig an seinen schlechten. Groll flammte in ihren Tiefen auf, als der Wärter mit einem seiner knochigen Finger im Geldbeutel wühlte.

Ledwell hielt eine glänzende Münze ins Licht. „Eine halbe Guinee aus Königin Annes Zeiten. Diese hübsche Dame sieht man nicht mehr oft.“ Er fuhr mit dem Daumen über das eingeprägte Profil. „Wirkt taufrisch.“

„Es sind dreißig Goldstücke, wie vereinbart“, erwiderte sie.

„Keine dreißig Silberlinge?“ Die spöttischen Worte stiegen aus dem Dunkeln auf.

Er spricht. Sie trat näher, wobei unter ihren Füßen feuchtes Stroh nachgab.

„Ledwell ist habgierig, aber kein Judas.“

Heiseres Lachen brandete vom Boden herauf. „Und ich bin kein Heiland.“

Der Wärter verzog verständnislos das Gesicht. Das Ungetüm indes musterte sie aufmerksam. Da sie sich die Kapuze tief in die Stirn gezogen hatte und das Taschentuch ihre Stimme dämpfte und ihr Gesicht verbarg, dürfte Will sie im Schein der einzigen Fackel des Kerkers nicht erkennen. Doch trotz ihrer Gewissheit lähmte seine Gegenwart sie, obwohl er derjenige in Fesseln war.

„Was lässt Sie glauben, Sie würden mit ihm fertig werden? Nicht mal drei Männer haben das geschafft.“ Anzüglich grinsend, ließ Ledwell die Börse in einer Innentasche seiner Jacke verschwinden. „Wollen wohl Ihre weiblichen Reize einsetzen, um ihn dazu zu bringen, diesen dreckigen Lumpen auszuziehen, hm?“

Die ungehörige Frage ärgerte sie. „Wo wurde er aufgegriffen?“

„Im ‚Ram’s Head‘ auf der London Bridge. Die Schankmagd meint, er ist in seinem Kilt einfach reinmarschiert und hat Bier bestellt. Sie hat ihm nachgeschenkt, bis er sturzbesoffen war, und dann die Nachtwache gerufen.“

„Lauthals, habe ich recht?“

„Und ob, und zwei Nachtwächter haben ihn auf einem Karren hergeschafft.“ Ledwell zog sich die zu weiten Breeches hoch und schniefte. „Aber ich war es, der ihn an die Wand gefesselt hat.“

Großmaul. Sich am Leid der Geknechteten zu ergötzen war schändlich. Schlimm genug, dass der „Dress Act“ von 1746 das Tragen des Kilts verbot.

„Wie sind Sie an Ihre Veilchen gelangt, wenn er doch gefesselt war?“

Ledwell ruckte das Kinn in Richtung der beiden riesigen Füße in weiten Lederstiefeln, deren Stulpen bis kurz unter die kräftigen, kantigen Knie reichten. „Hat wie ein Verrückter um sich getreten, als wir versucht haben, ihm den Kilt vom Leib zu schneiden.“

„Versuch’s noch mal, und ich breche dir die Nase“, grollte der Highlander.

„Ich war im Recht.“

Die beiden standen kurz davor, aufeinander loszugehen, und gefesselt oder nicht, sie wusste, wer gewinnen würde. Sie hatte erlebt, wie der einstige Gesetzeshüter der MacDonalds sich im Kämpfen geübt hatte, einen oder gar beide Arme auf den Rücken gebunden. Als die einfältigen Nachtwächter versuchten, ihm den Kilt zu zerschneiden, hatte er sie wahrscheinlich mit seinen Stiefeln eines Besseren belehrt. Ledwell hingegen schien seine Lektion nicht verinnerlicht zu haben. Er schritt im engen Kerker auf und ab und verteidigte großspurig seine Position.

„Dieser Mann kann nicht in ’nem zerrissenen Kilt umherstreunen. Damit beleidigt er die Krone.“

„Ich wage zu behaupten, dass der König es weit verstörender fände, einen nackten Mann durch Southwark spazieren zu sehen.“ Sie lächelte dünn hinter ihrem Taschentuch. „Nun denn, ich glaube, Sie schulden mir einen Schlüssel.“

„Das ist nicht recht“, empörte er sich.

Ihre Geduld schwand. „Es ist nicht Ihre Sorge, Sir, sondern meine.“

Ledwell baute sich breitbeinig auf. „Gestern ist ein Häftling verreckt. War ein großer Kerl.“ Mit zusammengekniffenen Augen maß er Will. „Seine Breeches könnten ihm so gerade passen …“

„Ich werde nicht die Kleider eines Toten tragen“, knurrte Will mit tiefer Stimme.

„Und ob du das wirst, wenn ich’s dir sage!“

Bedächtig verstaute sie ihr Taschentuch. Männer. Gewalt war ihre einzige Sprache. Ihr gesamtes Dasein drehte sich darum. Ihr selbst war diese Sprache nicht in die Wiege gelegt worden, doch sie lernte schnell und hatte sie sich angeeignet, um in London überleben zu können. Daher griff sie sich wie beiläufig in einen ihrer Spitzenärmel und zog blitzgeschwind ein Messer hervor.

„Als Sie ihm den Kilt nehmen wollten, haben Sie da vielleicht so etwas benutzt?“ Sie bohrte Ledwell die Messerspitze ins schmutzige Halstuch.

Heißer Atem ließ die Klinge beschlagen. Acht Zoll scharfen Metalls drängten Ledwell gegen die Wand. Er hatte die Hände gehoben und hielt den Blick seiner blutunterlaufenen Augen starr auf die Waffe unter seinem Kinn gerichtet.

„Hören Sie, Miss. Ich will nur für Sitte und Anstand sorgen. Dass Männer sich bedecken und so.“

„Für Sitte und Anstand?“ Das amüsierte sie. „Welch ausgeprägtes Feingefühl Sie besitzen.“ Sie ließ das Messer an seiner Weste hinabgleiten, wobei das Metall klackernd über Holzknöpfe strich. „Seien Sie versichert, dass jede Frau, die zu dieser Stunde durch die Straßen streicht, schon das eine oder andere Gemächt gesehen hat.“

Ledwell traten fast die Augen aus dem Kopf, als sie die Klinge auf seinem Gemächt verharren ließ.

„Sie, Sir, haben ein anderes Problem – meine Klinge an Ihren Kronjuwelen.“

Kehliges Lachen rollte durch die Finsternis. „Jetzt hat sie dich.“

Ledwell schluckte mühsam. „Hab verstanden, Miss.“

„Ich fürchte nicht. Sie haben meine Zeit damit vergeudet, sich über Breeches und Kilts auszulassen. Nun, ich fühle mich missachtet, und Männer, die mich missachten, tun dies auf eigene Gefahr“, erklärte sie in einem Tonfall, als spräche sie zu einem ungezogenen Kind. „Lassen Sie mich Ihnen unser Arrangement ins Gedächtnis rufen. Sie erhalten einen Beutel Gold, und ich bekomme den Schlüssel für den Gefangenen.“

„J…ja … der ist … der ist hier.“ Mit bebenden Händen zog Ledwell einen abgewetzten Schlüssel aus seiner Weste.

Sie griff ihn sich. „Gehen Sie.“

Der Wärter verließ den Kerker, wobei er etwas über aufsässige Hochlandschotten und zuchtlose Weiber murmelte. Sie schob das Messer zurück in die Scheide, überzeugt davon, dass Ledwell nicht mit Verstärkung zurückkehren würde. Täte er es, müsste dieser prahlerische Mann erklären, dass er sich von einer Frau hatte übertölpeln lassen.

Vor dem Kerker hallten kurze, rasche Schritte durch die Nacht. Den Kopf zur Seite geneigt, lauschte sie, bis eine Tür zugeschlagen wurde.

Endlich. Sie war allein mit dem einstigen Gesetzeshüter des Clans MacDonald of Clanranald.

Ihr war, als durchziehe Stahl ihr Rückgrat. Sie würde es brauchen, um dem Mann, dessen Blick ihr förmlich den Rücken versengte, die Stirn zu bieten. Nebelschwaden waberten zur Tür herein, und sie war froh über die feuchtkalte Luft. Die Kälte würde ihr helfen, wachsam zu bleiben. Sie hatte ihr Ziel klar vor Augen: seine Befreiung, ihr Vorschlag und eine verheißungsvolle Zukunft für die Menschen, die auf sie angewiesen waren. All ihre Pläne waren wohldurchdacht, und dennoch gerieten sie ins Wanken wie die Bauklötze eines Kindes, als sie zu dem feixenden Highlander herumfuhr.

„Noch irgendwelche Waffen, von denen ich wissen sollte?“, fragte er.

„Nur das Messer.“

Die Waffe schmiegte sich an ihre Haut, ein Stück Sicherheit in einer unsicheren Welt. Die Klinge brachte jedem eine klaffende Wunde bei, der das Wort Nein nicht verstand. Heute Nacht musste sie dem einstigen Hüter ein Ja entlocken, eine schier übermenschliche Aufgabe angesichts der Tatsache, dass sie diejenige war, die die Bitte vorbringen würde.

„Du hast eine Menge auf dich genommen, um mich zu Gesicht zu bekommen, Mädchen. Wieso trittst du nicht näher?“ Den Kopf lässig gegen die Wand gelehnt, winkelte er ein Knie an, sodass der Wollstoff ein großzügiges Stück behaarten Oberschenkels preisgab.

Ein Funke glomm in ihr auf. Dieser Flegel wollte sie abschrecken.

„Wie ungehobelt, Will MacDonald. Selbst für Ihre Verhältnisse.“

Ihm blitzte der Schalk aus den Augen. „Sind wir uns schon einmal begegnet?“

Fest umklammerte sie den Schlüssel, dessen Metallzähne ihr durch den Handschuh in die Hand bissen.

„Ja. Vor langer Zeit.“

Er zuckte mit den Schultern, beachtete sie nicht weiter und starrte die Wand an. Verschwunden war der jüngere, heißblütigere Highlander von einst; der ältere, der ihn ersetzt hatte, war rauer und aufgrund seiner draufgängerischen Art gefährlicher.

Ein unberechenbarer Mann. Eine Herausforderung, so viel stand fest.

Sie raffte ihre Röcke und hockte sich hin, zwischen seine Beine. Diese Unverfrorenheit quittierte Will mit einem Knurren. Eindringlich starrte er sie unter ihrer Kapuze an, und in seinen attraktiven Zügen spiegelte sich eine Mischung aus Verblüffung und Gereiztheit. Dichtes goldblondes Haar fiel ihm offen über die Hünenschultern. Den Schlüssel in der Hand, strich sie ihm die sich ringelnden Locken zurück, wobei sie seine muskulöse, von der Vertiefung des Brustbeins durchzogene Brust bewunderte.

„Mein Name ist Mrs. Neville.“

Seine hart dreinblickenden Augen wurden schmal, als sie mit einem Streifen seines Hemds spielte. Der Übergriff war ihm sichtlich zuwider, seinem Körper indes nicht. Seine braunen Brustwarzen zogen sich zusammen, und sie sah ihn lustvoll erschauern, auch wenn ihm dies offenbar unangenehm war. Will war schmutzig, was ihn umso anziehender machte. Ein schroffer Mann, der sich nicht vor Dreck scheute und in sauberem Zustand doppelt verlockend war.

„Verzeihen Sie, Teuerste, aber unsere gemeinsame Nacht hat sich mir offenbar nicht eingeprägt.“ Er ließ die Ketten klirren, und in seinem Lächeln lag wenig Wärme. „Und wie Sie sehen, werde ich auch diese Nacht zu keiner denkwürdigen machen können.“

Seiner Stimme waren die Äußeren Hebriden, die Inselkette vor der Westküste Schottlands, deutlich anzuhören. Er sprach die Vokale weich, und in jedem gelassen vorgebrachten Satz schwang ein Anklang des Gälischen mit. Er hätte eine Steuerliste verlesen und eine Frau schlicht damit glücklich machen können, seinem breiten Akzent zu lauschen, der geschmeidig war wie Whisky.

„Wie gut, dass Sie nicht anmaßend sind.“

Ungeniert ließ er den Blick über jede Naht und jede Falte ihres Kleides gleiten. „Verzeihen Sie mir meine schlechten Manieren. In dieser Baracke bekommt man nicht allzu häufig Besuch.“

Sie ließ den Hemdstreifen fallen. „Hatten Sie Damenbesuch? Hier?

„Nicht vor Ihnen.“

Er hob das Kinn, übermütig wie am Tag ihrer ersten Begegnung vor acht Jahren in Edinburgh. Will, damals ein bärenstarker junger Bursche von zwanzig Jahren, war auf der Schwelle ihres Vaters aufgetaucht, hatte nur einen Blick auf ihre rußige Schürze und die in die Hüfte gestemmte Faust mit dem Lappen geworfen und hemmungslos mit ihr geschäkert, weil er sie für eine Putzfrau hielt. Sie hatte ihn gewähren lassen, bis er verkündete, er sei Anne Fletchers Eskorte für die Reise nach Skye – zu ihrem Verlobten Angus MacDonald.

Damals war ein verbotener Funke in ihr aufgeglommen, und verflucht, er schwelte noch immer.

Das reifere Alter stand Will gut zu Gesicht. Es hatte die Arroganz der Jugend weggemeißelt und eherne Männlichkeit freigelegt. Etwas jedoch stimmte nicht. Obwohl er an die Wand gefesselt war, trug er eine Zuversicht zur Schau, die an … Wahnsinn grenzte. Aus der Nähe betrachtet, loderten seine Augen auf dieselbe Weise wie die der verlorenen Seelen, die ins St. Luke’s Hospital für Geisteskranke gesperrt wurden. Zudem schien ihn nicht zu interessieren, weshalb er mitten in der Nacht von einer Frau freigekauft worden war.

„Es wird gemunkelt, Ihnen habe es an Frauen nicht gemangelt.“

Er lächelte breit und eine Spur zu ausgelassen. „Gerüchte, Teuerste. Bloß Gerüchte.“

„Ich hörte, Sie seien ein viel beschäftigter Mann, der Londons reiche Witwen beschützt.“

In Wahrheit gab es nur eine. Die Countess of Denton. Der Name hinterließ einen üblen Geschmack in ihrem Mund, den sie zu vertreiben suchte.

Wills Lächeln wurde kalt. „Bringen Sie Ihr Anliegen vor, sonst rufe ich nach diesem Widerling Ledwell, damit er Sie hinausbefördert.“

Ein warnendes Gefühl durchzuckte sie. Beide trugen sie alte Wunden in sich. Was brachte es, daran zu rühren? Will hatte getan, was er tun musste, um zu überleben, so wie sie. Jeder, ob Rebell oder nicht, hatte einen Preis für den Aufstand gezahlt.

„Mein Anliegen?“ Sie schaute zur Tür, ein Impuls, dem Überlebenswillen geschuldet. „Ich wage nicht, Ihnen gleich hier alle Einzelheiten zu offenbaren. Aber Tatsache ist, dass Sie mich ebenso sehr brauchen wie ich Sie.“

Hol’s der Teufel, sagte das Funkeln in seinen Augen. Offenbar teilte er ihre Überzeugung nicht.

Sie hob den Schlüssel. „Sie gehören jetzt mir.“

Er schnaubte und musterte sie flüchtig von Kopf bis Fuß. „Sie sind ein schmächtiges Ding mit nichts als einer Nadel im Ärmel. Was lässt Sie glauben, ich würde Sie auch nur beachten?“

„Weil Sie ein intelligenter Mann sind, der weiß, dass es klug ist zuzuhören, ehe er ein Urteil fällt.“

Die feinen Linien links und rechts seiner Nase vertieften sich. Ein Moment verstrich, doch sie musste mit ihrem glattzüngigen Appell den richtigen Ton getroffen haben.

„Es ist Ihr Gold.“ Mit den Eisenschellen, die seine Handgelenke umschlossen, klopfte er gegen die Wand. „Ihr Publikum ist gefesselt. Reden Sie.“

Ein Schauer des Ekels kroch ihr über den Rücken, als eine knopfäugige Ratte aus einem Strohhaufen huschte. Bevor sie nach Marshalsea aufgebrochen war, hatte sie überlegt, was sie sagen und wie sie es formulieren sollte. Nun da sie Will vor sich hatte, kamen ihr die einstudierten Worte nicht über die Lippen. Nichts stimmte. Sie ließ den Blick über sein Haar streichen, das dringend einer Wäsche bedurfte, über seinen Kiefer, der rasiert werden musste, über seine Augen, die leicht fiebrig glänzten.

Alles, was sie hervorbrachte, war: „Ich möchte Sie anwerben.“

Sein düsterer Blick war einschüchternd. „Diese Tage sind vorbei. Ich arbeite nicht für eine Frau.“

Unausstehlicher Kerl. „Es geht nicht darum, dass Sie mir das Bett wärmen sollen. Ich brauche Ihr Talent … Dinge zu finden.“

„‚Dinge zu finden‘?“ Verächtlich verzog er den Mund. „Sie müssen mir schon etwas Besseres bieten.“

„Sie würden gut bezahlt werden. Zehnmal besser als für Ihre Arbeit im Hafen.“

Fackellicht zuckte über seine skeptische Miene.

„Ledwell hat mir Ihr Strafregister ausgehändigt.“ Sie kramte das zusammengerollte Dokument aus ihrer Tasche. „Ich kann es heute Nacht verbrennen, und damit wären Sie frei.“

„Frei ist heutzutage ein fragwürdiges Wort.“ Er schüttelte den Kopf. „Suchen Sie sich einen anderen.“

„Nein. Ich brauche Sie.“

Sein Blick wurde noch finsterer. „Warum mich?“

„Weil nur ein Highlander gut genug ist.“

Nervosität brodelte ihr durch die Adern. Der Blick seiner scharfen, eindringlichen Augen war auf ihre tief ins Gesicht gezogene Kapuze gerichtet, als ahnte er, wer sie war. Mit einem Ruck seines Oberschenkels richtete er den Tartanstoff so, dass er anständig bedeckt war. Der Unhold wurde geschäftlich.

„Und wieso sollte eine Engländerin ausgerechnet mich so höflich um Hilfe bitten?“ Sein Tonfall war trügerisch sanft. „Zeit, sich zu erkennen zu geben, Teuerste.“

Ihre aufgewühlte Seele befahl ihr, sich zu wappnen.

Sie schob die Kapuze zurück. „Weil es keine Engländerin ist, die Sie bittet.“

Er starrte sie an. Bestürzend intensiv. Glutvoll. So feurig, dass die Vehemenz sie hinaus in die Nacht zu fegen drohte. Die Luft im Innern des Kerkers war zum Schneiden, und doch weiteten sich Wills Nasenflügel, und seine Brust hob und senkte sich, als er stoßweise um Atem rang. Ansonsten gab er kein Lebenszeichen von sich. Er rührte sich nicht, sagte keinen Ton, blinzelte nicht einmal.

Sie wartete gespannt.

„Anne Fletcher MacDonald“, sagte er schließlich.

„Anne Fletcher MacDonald … Neville. Mrs. Neville für Sie.“

Seine Stirn umwölkte sich. „Sie haben einen Engländer geheiratet?“

Sie stählte sich. „Ja.“

Die Zähne gebleckt, versengte er ihr die Ohren mit einem Schwall gälischer Flüche. Sie fuhr zusammen, wich jedoch nicht zurück. Einen Gutteil ihrer Kindheit hatte sie in London bei ihrer englischen Großmutter verbracht, und diverse Hauslehrer hatten ihre Aussprache von jedem Akzent bereinigt. Ihr Wortschatz indes hatte dies unbeschadet überstanden. Dafür hatten ihre Brüder Sorge getragen.

Wills Gesicht war nur wenige Zoll von ihrem entfernt. „Bitten Sie Ihren englischen Gatten um Schutz.“

„Das kann ich nicht. Er ist tot.“

„So wie der erste?“ Wild glomm es in seinen Augen auf.

Der Hieb saß. In ihr tobte ein Aufruhr, doch ihrer kühlen Fassade war nichts anzumerken, eine angeborene Gabe, die sie perfektioniert hatte. Nach der Verbitterung zu urteilen, die sich in Wills rauen Zügen spiegelte, war heute nicht vernünftiger mit ihm zu reden als vor acht Jahren.

War ihr eigenes Herz zu Eis erstarrt, so loderte in seinem die Wut.

„Wir teilen zu viele Geheimnisse“, erwiderte sie.

„Geheimnisse, sagen Sie?“ Sein Lachen klang schneidend. „Keine Geheimnisse, Teuerste. Wir haben Fehler gemein. Zu viele.“

Der Schein der Fackel erleuchtete eine Hälfte seines Gesichts. Die andere war dunkel und feindselig, als gehörte sie einer ungezähmten Kreatur, die in Ruhe ihre Wunden lecken wollte. Doch dies war die Bestie, die sie brauchte, ein Mann, der für Gerechtigkeit sorgen würde. Nach und nach entspannten sich die Sehnen an seinem Hals, und er sank gegen die Backsteinmauer, einen harten Zug um den Mund, aber ruhiger. Zorn laugte jeden aus, selbst einen gestandenen Krieger. Gedemütigt steckte sie das Register wieder in die Tasche und betastete das schlichte Medaillon, das an ihrem Hals hing. In ihr brannte die Erinnerung an ferne, tränenüberströmte Gesichter.

Wie sie gelitten hatten …

Vergiss das nie.

Auch Will hatte gelitten. Ein wenig Mitgefühl wäre durchaus angebracht. Neben seiner Hüfte stand ein Eimer mit Wasser, das offenbar kaum angerührt worden war. Sie füllte den Schöpflöffel und führte ihn Will als Friedensangebot an die Lippen.

„Ich werde mein Kleid verbrennen müssen.“

Will trank gierig, wobei er sie mit dem Blick seiner wachen Augen regelrecht verschlang. Als er fertig war und sie ihm mehr anbot, schüttelte er den Kopf. „Zu viel zu schnell, und ich würge alles wieder hoch.“

„Wann haben Sie zum letzten Mal etwas gegessen?“

„In der Nacht, in der ich verhaftet wurde. Aber wenn ich mich recht entsinne, habe ich mir mehr Bier als Essen einverleibt.“ Sein breiter Akzent war herzerwärmend, und sein Anflug eines Grinsens wirkte großspurig.

„Das ist drei Tage her. Und nun bitte ich Sie obendrein um Hilfe, auch wenn es mir schwerfällt. Im Gegenzug kann ich Ihnen helfen.“

„Nein.“ Er schüttelte seine Ketten. „Ich bin anderweitig beschäftigt.“

Seine Kieferpartie hinter dem mit Schlamm bespritzten Bart wirkte starr. In Wahrheit wollte er ihr lediglich nichts schulden. Das schloss sie aus seinem vorwitzig schräg gelegten Kopf. Sie war stark versucht, es ihm mit gleicher Münze heimzuzahlen, aber dafür war keine Zeit. Während sie den Schöpflöffel zurück in den Eimer stellte, wählte sie ihre Worte mit Bedacht.

„Ihnen muss klar sein, dass Sie vor den Richter geschleift und zu sechs Monaten Haft verurteilt werden, wenn Sie hierbleiben. Und wenn Sie den Kilt weiterhin tragen, werden Sie in die Kolonien deportiert – um sieben Jahre lang als Sklave auf einer königlichen Plantage zu schuften.“

„Keine schlechte Idee“, entgegnete er und studierte die Decke. „Ich habe ohnehin darüber nachgedacht, in die Kolonien zu gehen. Mein Vater ist dort.“ Will sah sie an, ein herausforderndes Funkeln in den Augen. „Es wäre mir ein Vergnügen, auf Kosten von König George zu segeln.“

„Wir werden Sie großzügig entlohnen.“

Wir, hm?“ Er zog die Brauen hoch. „Wartet ein weiterer Engländer auf Sie? Ehemann Nummer drei?“

Sie rieb sich die Stirn. „Nein.“

Die Wirkung des Lavendelöls, das sie sich unter die Nase gerieben hatte, ließ nach. Der Gestank von Marshalsea und Wills ungewaschenem Leib drang zu ihr durch. Sie war noch keine halbe Stunde in diesem Kerker und schon nah daran, ihr Essen von sich zu geben. Wie hatte er dies drei Tage lang aushalten können? Er würde nicht bleiben, nicht, sofern sie ein Wörtchen mitzureden hätte. Der „Dress Act“ war ein zu gnadenloser Erlass, um sich ihm zu fügen.

„Geben Sie sich ruhig stur“, murmelte sie. „Befreien werde ich Sie dennoch.“

Sie stieß den Schlüssel ins Schloss einer der Handschellen, wobei sie Will streifte.

Die feinen Härchen auf ihren Armen stellten sich auf, als sie erschauerte, leicht, kaum wahrnehmbar. Eine völlig unangebrachte Reaktion auf den Mann, dem sie so nahe war. Sie tat ihr Bestes, die aufwallende Empfindung zu ersticken.

„Wollen Sie wirklich in die Kolonien?“

Wills Wimpern senkten sich über seine Augen. „Es ist an der Zeit für mich zu gehen.“

Seine heisere Stimme brach ihr schier das Herz. Er wollte sie verlassen. Es ergab keinen Sinn, denn sie hatten einander acht Jahre lang nicht gesehen, und doch wusste sie mit absoluter Gewissheit, dass er ihretwegen gehen wollte. Sie umfasste den Schlüsselgriff fester und wandte mehr Gewalt an, doch der innere Mechanismus des Schlosses gab nicht nach. Wie sie selbst, war auch er ein wenig eingerostet, wenn es darum ging, sich zu öffnen.

„Sind Sie immer noch dabei, mich zu befreien?“ Wills Kopf befand sich gleich neben ihrer Schulter.

Die Zähne zusammengebissen, ruckte sie am Schlüssel. „Ich kann Sie nicht zurücklassen.“

„Das haben Sie schon einmal getan.“

Sie erstarrte. Das verletzte sie. Zutiefst.

Es würde nichts bringen, sich zu rechtfertigen. Will würde ihr nicht glauben; zu sehr klammerte er sich an seine Version von der Vergangenheit, während sie vollauf damit beschäftigt war, für eine bessere Zukunft zu kämpfen. So viele Menschen vertrauten auf sie. Sie kniete sich auf, sammelte sich und drehte den Schlüssel erneut. Eisen schabte über Eisen, und die Metallschelle sprang auf. Die plötzliche Freiheit ließ Will zischend Luft ausstoßen. Sein Blick bohrte sich förmlich in ihren, und in seinen Augen schimmerte Schmerz.

Nach drei Tagen in Ketten wäre wohl jedermann steif und wund gewesen. Sie räusperte sich und streckte die Hände nach seinen muskulösen Schultern aus. Unter den gegebenen Umständen war es vertretbar, sie zu massieren.

„Das wird helfen“, sagte sie leise. „Es wird Sie wärmen, den Schmerz lindern.“

Eingehend betrachtete Will ihr Profil. Je länger er sie ansah, desto stärker spürte sie sich erröten, ziemlich entwürdigend für eine Frau, die ein recht zwielichtiges Leben führte. Nach seinen gehobenen Brauen zu urteilen, war auch das Ungeheuer von Marshalsea peinlich überrascht.

„Ich kann nicht fassen, dass Sie hier sind.“

Der Highlander klang wehmütig, seine Stimme untermalt vom leisen Flüstern des Leders, das ihm über die Haut strich. Sein Körper war ihr eine vertraute Landschaft aus Erhebungen und Vertiefungen. Massiger als die meisten, war er eine fleischgewordene Naturgewalt. In seinem Metier wurden starke Arme benötigt, um Schiffe an Land zu ziehen, und kräftige Beine, um einen Tretradkran am Kai zu bedienen. In jene Welt gehörte er. Vom Ellbogen abwärts war die Haut dunkler, was ihn als Arbeiter auswies. Sie ließ ihren Blick über den sonnengebräunten Arm gleiten, darauf bedacht, Will nicht in die Augen zu schauen.

„Sie krempeln sich die Ärmel hoch. Wenn Sie im Hafen arbeiten.“

Wills Atem strich ihr dicht am Ohr übers Haar. „Dass von allen Frauen ausgerechnet du durch diese Tür gekommen bist …“

Pein und Sehnsucht lagen in seiner Stimme und verliehen ihr einen zärtlichen Klang.

„Wissen Sie, nicht nur ich brauche Sie. Auch andere wie Tante Maude und Tante Flora.“

„Die beiden sind in London?“

„Sie leben in meinem Haus.“ Sie raffte die Röcke.

Rittlings setzte sie sich auf Wills Beine, um an die andere Eisenschelle zu gelangen. Dabei streifte sie ihn mit den Innenseiten ihrer Oberschenkel. Die maskulinen Härchen auf seinen Beinen kitzelten. Sie versuchte, den Schlüssel ins Schloss zu stecken, und verfehlte es.

„Vorsicht, Teuerste. Nicht dass Sie meinetwegen straucheln.“ Selbst in Ketten war er noch zu Scherzen und Tändeleien aufgelegt.

Die empfindsame Haut oberhalb ihrer Strumpfbänder schien zu schwelen. Heimtückische kleine Härchen. Federleicht strich er mit einem seiner Beine über verborgene, von ihrem Unterrock bedeckte Stellen.

Sie atmete durch, um sich zu fassen, führte den Schlüssel ins Schloss und rückte von Wills Schenkel ab.

Er rückte nach. „Ich beschwere mich nicht. Ihre Wärme ist mir sehr willkommen.“

Will. Er würde mit dem Teufel schäkern, käme dieser als holde Frau daher.

Vor vielen Jahren hatte sie diesen Highlander leidenschaftlich geliebt. Jung und töricht, wie sie damals waren, glaubten sie, eine gemeinsame Zukunft zu haben. Doch die glühenden Versprechen der Jugend hatten sich nicht gegen die Gezeiten von Krieg und familiären Verpflichtungen behaupten können. Schlimmer noch, Will hatte sich auf die Seite der Rebellen geschlagen, sie und ihre Familie hingegen nicht.

Als sie den Schlüssel fester packte, legte Will eine seiner großen, verdreckten Hände auf ihre.

„Lassen Sie mich das machen.“

Wills Hand. Lange Finger, vernarbt, die Knöchel zerschrammt und geprellt. Seine Hände, wie geschaffen für Keulen und Pistolen und dennoch so sanft, dass sie eine eigenwillige Jungfrau dazu hatten verleiten können, sich ihm mit Herz, Leib und Seele hinzugeben.

Sie nickte stumm, stand auf und schluckte einen erbosten Aufschrei, als die Rückseite seines zerrissenen Hemds aufklaffte. Sein Rücken war überzogen von einem Netz aus violetten Striemen, die vermutlich von einem Knüppel stammten.

Die Prügel, die er auf sich genommen hat … und das nur, weil er einen Kilt trug.

Wie benommen sah sie zu, wie die zweite Kette klirrend gegen die Backsteine fiel. Will erhob sich zu seiner vollen Größe, den Blick nachdenklich auf sie gerichtet, während er sich den befreiten Arm hielt.

„Ich kann nicht glauben, dass Sie uns nicht helfen wollen“, bekannte sie.

„Sie werden mich nicht dazu bringen, Ihnen zu Willen zu sein, indem Sie mir wegen Tante Maude und Tante Flora ein schlechtes Gewissen einflößen.“ Will streckte den Hals und ließ die Knochen knacken. „Suchen Sie sich einen anderen Mann.“

„Ich brauche Sie.“

Seine Augen schienen sich zu trüben. „Ich hätte nie gedacht, dass ich das noch einmal von Ihnen hören würde.“

Sie reckte das Kinn. Sie würde nicht länger betteln. Er hatte ihr nie vergeben, was vor Jahren in den Ruinen der Burg Tioram passiert war. Genau genommen hatte sie sich selbst nie vergeben. Das machte es umso schmerzlicher, jäh Wills Hand an ihrem Kiefer zu spüren.

„Wer hat Ihnen das angetan?“

Seine Fingerkuppen fühlten sich warm und rau an. Angesichts des mörderischen Zorns in seinem Blick dauerte es einen Moment, bis sie begriff. Der Bluterguss an ihrer Schläfe. Den hatte sie völlig vergessen. Solange sie beide auf dem Boden gekauert hatten, war er vermutlich von den Schatten geschluckt worden.

„Es ist vor einigen Tagen passiert, als ich allein in meinem Lagerhaus war.“

„Ich habe nicht gefragt, wann es passiert ist. Ich habe gefragt, wer es war.“

Mit einem Ruck befreite sie ihr Kinn. „Ich weiß es nicht.“

Neben ihr flackerte die Fackel. Das Leben schien stillzustehen, keine Vergangenheit, keine Zukunft. Kein Richtig und kein Falsch. Sie waren nichts als Frau und Mann. Das musste auch Will spüren. Er musterte die Prellung an ihrem Haaransatz, ihre Augen, ihren Mund, bis sich ein unsichtbarer Schleier über ihn zu senken schien. Wieder hatte sie ihn verloren – sofern sie ihn denn je besessen hatte. Ein Sommer voller Schäferstündchen und Zärtlichkeiten war keine Liebe. Es war …

Eine prägende Erfahrung?

Eine Flucht in fleischliche Freuden?

Freiheiten, die sich eine junge Frau herausgenommen hatte, von der erwartet wurde, dass die Familie für sie an erster Stelle kam?

In ihrem Umhang raschelte Papier. Wills Strafregister. Sie zog es aus der Tasche und hielt es ans Feuer. Ascheteilchen schwebten zu Boden wie Herbstlaub. Will zermalmte die grauen Fetzen unter seinem Absatz.

„Sie sind mir ein Rätsel, Madame. Welches Ungemach verfolgt Sie, das Ihnen Kopfverletzungen einbringt und Sie dazu anhält, ein Messer im Ärmel zu tragen?“

Würdevoll straffte sie die Schultern. „Je weniger Sie wissen, desto besser.“

Will war stolz. Einsam. Stattlich wie eh und je, schien er in seinem zerrissenen Hemd und dem zerfetzten Kilt über den nackten Oberschenkeln den gesamten Raum einzunehmen. Ein unbedachter Schritt hätte seine Lenden entblößt. Die hintere Hälfte des Tartanstoffs war unbeschadet und fiel ihm lang und in ordentlichen Falten über den Rücken. Aber sollte er ihn einer Wäscherin geben, würde die ihn verbrennen. So oder so war er nicht zu retten. Möglicherweise war auch Will nicht zu retten.

Sie raffte ihre Röcke und stieg die kurze Treppe hinauf. Will folgte gleich hinter ihr. Seine Schultern streiften den Türrahmen. Er beobachtete, wie sie sich Dreck von einem Schuh streifte. Heftiger Hunger loderte in seinen Augen, doch er hatte deutlich gemacht, dass sie nicht die Frau war, die ihn stillen sollte.

„Schütteln Sie sich den Staub von den Füßen?“, fragte er eine Spur feindselig.

„Was ich tue, geht Sie nichts an.“ Sie zog sich die Kapuze über den Kopf, den Blick auf die mondbeschienene Straße jenseits des offenen Tors geheftet. „Die weit wichtigere Frage lautet: Was wollen Sie tun, nun, da Sie frei sind?“

2. KAPITEL

Zerschlissene Wolle schlotterte Will um die Beine, und Kälte legte sich auf seine Haut. Um ihn her ragten windschiefe Fachwerkhäuser auf, die schartigen Gesichter nur unzureichend mit altem Putz geschminkt. Southwark war eine vulgäre Hure, der die Zeit übel mitgespielt hatte. Unter der Herrschaft der Stuarts waren diese Straßen voller Menschen gewesen, auf der Suche nach brutalen Kämpfen, überbordenden Bordellen oder schillernden Theatern. Diese Tage waren vorbei. Heute lagen Southwarks feuchte Gassen verlassen da. Der Ruhm war verblasst.

Nun drängten sich hier Gefängnisse, Brauereien und Lagerhäuser dicht an dicht. Ein Ort, den man schnell vergaß. Und diesen Ort nannte Anne ihr Zuhause?

Will folgte ihr im respektvollen Abstand von einem Dutzend Schritten, um sicherzustellen, dass sie wohlbehalten ankam … wo auch immer. Mit langen Schritten durchschnitt sie die Nacht und glitt geschmeidiger als jeder Flusskahn durch die niedrig hängenden Nebelschwaden. Von der Swan Alley auf die Long Lane, von der sie geschwind in die Tanner Street einbog, eine friedvoll schlummernde Hauptstraße. Nur ein Hund bellte drei Trunkenbolde an, die aus einer schäbigen Spelunke stolperten.

Zwei Huren, die vor einer Schenke herumlungerten, kicherten, als Will vorüberschritt.

„Kümmere dich nicht um die, Herzchen“, gurrte eine Dirne mit hennarotem Haar. „Ich bin es, die du willst.“ Sie bedachte ihn mit einem gewinnenden Lächeln und gewährte ihm einen Blick auf ihr scharlachrotes Mieder.

Grinsend stapfte er weiter. „Nicht heute Nacht. Ich bin schon verabredet.“

„Dein Pech.“ Ruckartig schloss sie ihren Umhang und starrte Anne giftig nach. „Du findest mich hier, sollte Fräulein Rührmichnichtan dich abblitzen lassen.“

Fräulein Rührmichnichtan. Welch passende Beschreibung. Er hatte genug davon, ihr hinterherzutrotten, und holte auf. Der Geruch nach frisch geschnittenem Holz wurde stärker. Sie mussten in der Nähe des Kais sein. Ein Großteil des englischen Holz- und Steinhandels lief über diesen Teil Southwarks.

Einträchtig schritten sie dahin, ein forsches Tempo anschlagend. Der Boden unter ihren Füßen gab schmatzende Geräusche von sich. Sie hatten die Straße halb hinter sich gebracht, als Anne sich dazu herabließ zu sprechen.

„Sie hätten das Angebot der Roten Bess annehmen sollen. Manch einem Mann gegenüber zeigt sie sich großzügig. Gewährt ihm eine ganze Nacht in ihrem Bett.“ Nach zwei weiteren Schritten ließ sie den Blick zu seinen Beinen gleiten. „Vielleicht hätte sie gar eine Hose für Sie gehabt.“

Er pfiff leise, ohne sich zurückfallen zu lassen. „Erst drohen Sie, eines Mannes Kronjuwelen aufzuspießen, und wenn ich mich nicht täusche, sind Ihnen auch noch die Gepflogenheiten der hiesigen Dirnen geläufig. Wie die Dinge sich doch geändert haben, Mrs. Neville.“

„Das haben sie in der Tat, Mr. MacDonald.“

Seine mitternächtliche Retterin gab sich frostig. Als sie in die Mill Lane einbog, in der die „Iron Bell Tavern“ stand, schob sie sich die graue Kapuze umso tiefer ins Gesicht. Anne hatte lange Beine, war jedoch mehr als einen Kopf kleiner als er. Hätte er es nicht besser gewusst, hätte er glauben können, sie wollte ihn abhängen.

„Sie haben meine Fragen nicht beantwortet“, meinte er, bemüht, sich zuvorkommend zu geben. Ein zuvorkommender Mann erhielt Antworten.

„Wenn ich mich recht entsinne, habe ich nicht wenige davon beantwortet.“

„Nicht die wesentlichen.“

Vereinzelt brannten Laternen vor den Türen und beleuchteten Annes Profil. Das gegenüberliegende Flussufer war hell erleuchtet, im Gegensatz zur Southwark-Seite.

Anne beschleunigte ihre Schritte, die Nase geradeaus, unbeirrbar zielstrebig. „Ich habe Ihnen nichts weiter zu sagen. Es war eine schlechte Idee, mit Ihnen gemeinsame Sache machen zu wollen.“

„Sie befreien mich also einfach so …“, er schnippte mit den Fingern, „… aus dem Marshalsea und verschwinden.“

„Ja …“, sie sah ihn an und schnippte ihrerseits mit den Fingern, „… einfach so.“

Verärgerung stieg in ihm auf. Ihre Unverfrorenheit und Verschlossenheit brachten sein Blut in Wallung. Im Gespräch glich sie einem Bajonett, das mal zustach und mal mit einer Finte aufwartete. Seine Grobheit im Kerker hatte sie nicht beeindruckt, aber er würde nicht klein beigeben … um Tante Maudes und Tante Floras willen.

Anne bog in das schmale Sträßchen Bermondsey Wall ein, das der Uferböschung des Flusses folgte. Eine rot getigerte Katze schlich die niedrige Mauer entlang, eine zappelnde Maus in den Fängen. Abgesehen von der Katze, deren Beute und einem Nebelschleier war die Straße leer, bis auf ihn und diese willensstarke Frau. Als sie vor einem Eisentor stehen blieb, das schief in den Angeln hing, wäre er beinahe über seine eigenen Füße gestolpert.

Mein Reaktionsvermögen ist eingerostet. Das war den drei Tagen in Ketten anzulasten. Zudem fror er bis auf die Knochen.

„Dies ist mein Haus.“ Annes honigsüßes Lächeln ging mit einer Spur Feindseligkeit einher. „Sollte Ihnen ein Highlander begegnen, der bereit ist, einer Frau in Not zu helfen, schicken Sie ihn zu mir.“

Er lachte leise. Frau in Not. Anne war auf niemanden angewiesen. Er stieß das quietschende Tor auf und schlenderte in den Vorgarten, die Hände in die Hüften gestemmt. Zwischen den Steinplatten des Weges wucherte Unkraut. Eine einsame Laterne brannte neben der schwarz lackierten Tür des aus Ziegeln und Feuerstein errichteten Hauses, dessen Fassade auf den Fluss hinausging. Die eine Seite des Grundstücks war unbebaut, auf der anderen stand ein abgebranntes Gebäude.

Er blickte am Haus hinauf und erspähte ein zugemauertes Fenster im ersten Stock. „Dies ist nicht das Haus einer wohlhabenden Frau.“

„Wann habe ich behauptet, wohlhabend zu sein?“ Ihre seidenweiche Stimme veranlasste bestimmte Teile seiner Anatomie, sich zu regen.

Im Licht des Mondes wirkte Anne wie eine verführerische Fee. Ihre Wangenknochen waren ausgeprägter als in seiner Erinnerung, während ihr hellrosa Mund noch wie früher war, ein Mund, der schamlose Dinge mit einem Mann anstellen konnte – zum Beispiel, ihn dazu zu bringen, durch mitternächtliche Straßen zu wandeln, bloß um dieser Frau Geheimnisse zu entlocken. Der Bluterguss. Das Messer. Das heruntergekommene Haus und der Beutel voller Gold. Nichts davon passte zu dem Mädchen aus Edinburgh, das er einst gekannt hatte.

Nun, nicht alles war anders. Sie war so vorlaut wie eh und je.

Doch diese Version von Anne hätte aus einer anderen Welt stammen können. Faszinierend, schön, jedoch mit Vorsicht zu genießen. Sie hatte ihn vor Jahren hintergangen, und er zweifelte nicht daran, dass sie es wieder tun würde.

Närrisch, wie er war, wollte er das Haus von innen sehen.

„Sie haben mich sicher heimgeleitet“, sagte sie. „Ihre ritterliche Pflicht ist getan.“

Ihr spöttischer Ton kränkte ihn. Es war, als machte sie sich über seine fürsorgliche Ader lustig.

„Ich bin Ihnen gefolgt, weil ich es wollte, und nicht, weil ich mich verpflichtet fühlte.“

Anne zog einen klimpernden Schlüsselbund aus der Tasche ihres Unterrocks. „Dann danke ich Ihnen für Ihre Güte.“

„Ich bin nicht gütig.“

In ihren blassgrünen Augen flackerte Gereiztheit auf. Sie war älter und erfahrener als das Mädchen, das ihn auf dem Weg quer durch Schottland schier um den Verstand gebracht hatte mit seinen Küssen. Sie hatten sich leidenschaftlich geküsst und noch leidenschaftlicher geliebt. Er erinnerte sich nicht mehr daran, wer damals wen verführt hatte. Die junge Anne war gnadenlos kühn und beharrlich gewesen.

Ungezähmte, vorlaute Frauen … seine Schwäche.

Auf dem Gefängnisschiff war er zu der Überzeugung gelangt, sie habe sich ihm eingebrannt. Eine junge Frau, die ihre sinnliche Neugier gestillt hatte, bevor sie eine lieblose Ehe eingegangen war. Ein Schauer des Unbehagens lief ihm über den Rücken und ließ ihn frösteln. Vielleicht war er längst erneut in ihren Bann geraten. In den Bann einer Frau, die heute etwas anderes von ihm wollte.

Ruhig wie ein Sommerlüftchen, nickte Anne in Richtung der London Bridge, die sich in der Ferne erhob. „Wenn Sie die Brücke überqueren, wird die Nachtwache Sie zurück ins Gefängnis schleifen.“ Die Brauen gehoben, beäugte sie seine halb nackten Oberschenkel. „Oder nach St. Luke’s.“

„Die Nachtwache kann mir gestohlen bleiben.“

Um ihre Mundwinkel zuckte es. „Dann verhelfe ich Ihnen zu einem Fährmann. Gehen Sie in die Marigold Lane und richten Sie Henry Baines aus, ich hätte Sie geschickt. Er wird Ihnen eine nächtliche Überfahrt nach Black Friars zugestehen. Von da aus sollten Sie sich durch die dunklen Gassen bis zu Ihrer Unterkunft durchschlagen können.“

Er starrte auf sie nieder und spürte, wie sich ein Lächeln Bahn brach, verrucht und wenig freundlich. Na, na, Mrs. Neville, Sie haben es ganz schön eilig, sich meiner zu entledigen, nachdem Sie mich im Kerker praktisch angefleht haben.

„Ich werde den Fluss nicht überqueren, und es ist mir gleich, ob mich irgendwer im Kilt sieht.“

„Haben Sie den Verstand verloren, Will MacDonald? Wenn es Ihnen um das Geld für den Fährmann geht, das werde ich Ihnen geben.“

Ein Drache hätte nicht unmutiger schnauben können, als er es tat. „Ich werde kein Geld von Ihnen annehmen. Sie schulden mir eine Erklärung. Ich habe lange genug gewartet.“

Ihr Lachen klang schneidend. „Tatsächlich?“

Sie marschierte weiter, wobei ihre Absätze auf den Steinplatten klapperten.

Anne vor der Tür abzufangen war leicht. Diese aalglatte Frau dazu zu bewegen, ihre Geheimnisse preiszugeben, war ein weit schwierigeres Unterfangen. Er war froh darüber, dass es so spät und die Straße menschenleer war. Ein Passant hätte ihn für einen Geisteskranken halten können, der die Witwe von der Bermondsey Wall belästigte. Mit seinem zerrissenen Hemd und dem wirren Haar musste er Furcht einflößend wirken. Er bedrängte eine Frau, die ihm unmissverständlich zu verstehen gegeben hatte, dass sie seine Dienste letztlich doch nicht in Anspruch nehmen wollte. Schon allein diese Kehrtwende war verstörend.

Das Leben bedeutete ihm heutzutage nicht mehr viel, aber dies hier war etwas anderes. Dass Anne im Marshalsea aufgetaucht war, hatte ihn erschüttert. Zutiefst. Sie schickte sich an, den Schlüssel ins Schloss zu stecken, doch er streckte einen Arm aus und hinderte sie daran.

„Acht Jahre lang habe ich Sie nicht gesehen. Acht. Sie werden mich nicht fortjagen wie einen Laufburschen.“

Ihre hitzige Entgegnung stach wie ein Pfeil. „Haben Sie etwa vergessen, dass Sie mich fortgejagt haben?“

Jeder zurechnungsfähige Mann hätte Fersengeld gegeben. Will zog es in Betracht, bis er ein verräterisches Zeichen bemerkte: Anne rieb sich mit dem Daumen kreisend über die Kuppe des Zeigefingers. Sie folgte seinem Blick und ließ die Hand rasch unter ihrem Umhang verschwinden.

„Meine Zurückweisung“, stellte er fest. „Sie hat Sie verletzt.“

„Keineswegs.“

Lügnerin. Sie war hochmütig, doch wenn er ehrlich war, musste er zugeben, dass auch er noch nicht bereit war, aus der Deckung zu kommen. Der leise dahinströmende Fluss und das Gelächter aus einer fernen Schenke beruhigten ihre Gemüter. Dies hätte eine schlichte, aufrichtige Unterhaltung sein sollen, auch wenn zu dieser Stunde gemeinhin kaum Gutes geschah. So spät in der Nacht gehörten die Straßen Huren und Einbrechern. Was sagte das über ihn und Anne aus?

Da er ein geduldiger Mann war, wartete er ab, die Stimme seines Vaters im Kopf. Nach Mitternacht ist noch nie eine kluge Entscheidung gefällt worden.

„Als ich gehört habe, dass Sie im Marshalsea sitzen …“ Ihr brach die Stimme, und sie mied seinen Blick. „Ich … ich konnte es nicht ertragen, Sie abermals eingesperrt zu wissen.“

Er starrte blicklos vor sich hin und ließ unter dem Gewicht seines angeschlagenen Stolzes die Schultern hängen. Kein Junge träumte davon, im Gefängnis zu landen, und doch war er dort gewesen. Zweimal.

Nach dem Krieg war er von den Engländern zusammen mit zweihundert weiteren gemeinen Rebellen etwa ein Jahr lang auf einem Gefängnisschiff eingesperrt worden und hatte das allmonatliche Ritual der Wachen über sich ergehen lassen. Jeden Monat waren sie hinab in den feuchtkalten Frachtraum gestiegen, mit einem Kastorhut, in dem sich neunzehn weiße und ein schwarzer Zettel befunden hatten. Jeden Monat hatten zwanzig Männer in den Hut gegriffen, und als junger, gesunder Mann war er oft freiwillig vorgetreten. Der Gefangene, der den schwarzen Zettel zog, war verurteilt und hingerichtet worden. Ganz einfach.

Zunächst hatte Will feige um einen weißen Zettel gebetet. Später hatte er feige auf den schwarzen gehofft.

Eines Tages hatten die Wachen sie alle aufs Deck ins gleißend helle Tageslicht gezerrt. Soldaten hatten ihm und den übrigen Rebellen das unerquickliche Ende ihrer Bajonette unter die Nase gehalten und ihnen beschieden, sich gefälligst anderswo eine Unterkunft zu suchen. Unterkunft! Als wäre es vergnüglich gewesen, unter Deck zu verrotten. Das Entschädigungsgesetz hatte ihnen zur Freiheit verholfen. Hatte sie wie Strandgut am Themseufer zurückgelassen.

Dieselben alten Wasser leckten nun an der Mauer vor Annes Haus, und ihm prickelte der Nacken.

Abermals eingesperrt, hatte sie gesagt.

Wusste Anne, was ihm nach Culloden widerfahren war? Im Kerker hatte sie seine Arbeit im Hafen erwähnt, während sie ihm den Arm massierte.

Er hatte kein Wort über den Hafen verloren.

„Was schadet es schon, mich auf einen kurzen Plausch ins Warme zu bitten?“ Er bemühte sich um ein höfliches Lächeln. „Mir friert allmählich das Gehänge ab.“

„Ach, Will …“ Sie stöhnte.

Sein Charme war bestenfalls derb, aber er wirkte. Anne zeigte den Anflug eines Lächelns.

„Ich lasse dich unter zwei Bedingungen ein. Erstens …“, prüfend suchte sie mit dem Blick die Straße ab, von der sie gekommen waren, „… hörst du dir an, was ich über unser Hochland-Bündnis zu sagen habe …“

„Ein Hochland-Bündnis? Bist du von Sinnen? Das ist …“

„Gefährlich.“

„Es ist Aufwiegelung!“, zischte er.

Unter dem Gewicht von Annes Todesverachtung geriet sein Seelenfrieden ins Wanken. Schottlands Niederlage hatte Will aus dem Gleichgewicht gebracht. Das war ihm bewusst. Er führte ein Dasein in Resignation und sah sich schon als vergessenen Mann sterben. Doch die Entschlossenheit in Annes Augen entsprang ungebrochenem Widerstand. Denselben Ausdruck hatte er vor dem Aufstand im Spiegel erblickt.

Vor Wut ballte er die rechte Hand zur Faust. Er würde ihn windelweich prügeln, den Kerl, der Anne, Tante Maude und Tante Flora mit einem solch aussichtslosen Ansinnen geködert hatte.

„Sofern es dich gewogener stimmt, werde ich dir zuhören. Aber das ändert nichts an der Tatsache, dass Rebellion schierer Wahnwitz ist.“

„Sagt ausgerechnet der Mann, der bereit war, wegen eines Kilts im Kerker zu vermodern.“

Er schloss den Mund und gab sich geschlagen. Vom Standpunkt der Logik aus hatte sie recht.

„Mein Niedergang ist meine Entscheidung. Aber andere mit ins Verderben zu reißen … Euer Anführer hat Haferbrei im Kopf, und das sage ich ihm gern ins Gesicht.“

Sie lächelte betörend. „Du wirst die Gelegenheit dazu bekommen. Der Bund wird sich morgen versammeln.“

„Gut.“ Er legte die Hände zusammen und blies hinein. „Und deine zweite Bedingung?“

„Nimm ein Bad.“ Hüstelnd legte sich Anne einen behandschuhten Finger unter die Nase. „Du riechst furchtbar.“

Leise lachend rieb er sich die kalten Hände, um sie zu wärmen. „Ich hätte nichts gegen eine ordentliche Wäsche.“

„Da haben wir endlich etwas gemein.“

Anne schloss die Tür auf, und er betrat ein bescheidenes Heim, das sowohl von Reichtum als auch von Armut zeugte. Während sie die Tür hinter ihm verschloss, schabte er sich an einem Scharreisen den Dreck von einem seiner schmutzigen Stiefel. Ein verblasstes Wandgemälde mit Schaluppen zierte die eine Seite des Eingangsbereichs, während auf der anderen die London Bridge und einige Flusskähne zu sehen waren.

„Komm.“ Anne verlor keine Zeit, sondern führte ihn durch ein kleines Esszimmer in die Küche.

Die Glut im Herd erhitzte vier schlichte Kessel, und in einer Ecke glänzte eine Kupferwanne. Will wartete, während Anne Handschuhe und Umhang auf den Eichentisch warf und das ersterbende Küchenfeuer schürte. Um ihren Hals hing ein schwarzes Band, an dem ein Goldmedaillon pendelte.

„Die Wanne“, sagte sie und steckte sich das Medaillon ins Mieder. „Bring sie her.“

Froh darüber, etwas tun zu können, schleifte er die Wanne durch die Küche und ließ sie mit einem dumpfen Geräusch zwischen Tisch und Herd fallen. „Das dürfte das ganze Haus geweckt haben.“

„Niemand wird uns stören. Tante Maude hat dir ein Zimmer hergerichtet und ist erschöpft, und …“, verschwörerisch lächelnd nahm sie einen Topf vom Haken, „… Tante Flora genehmigt sich vor dem Zubettgehen gern ein Schlückchen Branntwein.“

Einen Kessel nach dem anderen leerte sie in die Wanne. Er hätte ihr helfen sollen, aber seine Füße schienen aus Blei zu sein. Wärme drang ihm in die Knochen, ein Anklang nur, viel zu wenig. Sie hatte ihren Ursprung in dem schwachen Lichtschein, der über die Steinfliesen tanzte, im munteren Plätschern des Wassers und in den pflaumenblauen Röcken, die Annes Hinterteil umschmiegten.

Will stand vor dem Herd und rieb sich die schmerzende Schulter, entwaffnet von einer raffinierten Frau. Die Waffen ihrer Wahl waren saubere Kleider, ein heißes Bad und ein Stück Seife, das sie für ihn bereitlegte.

Die Annehmlichkeiten eines Zuhauses.

„Du hast gewusst, dass ich dir folgen würde. Dass ich erfahren wollen würde, wo du wohnst.“

Klang seine Stimme etwa belegt?

Anne war eine Magierin. Mit den Fingerspitzen rührte sie im Badewasser. „Du bist ein freier Mann. Das ist es, was zählt.“

Schatten und Licht flackerten über ihr Mieder, und er labte sich an dem Anblick wie ein Verhungernder. Wasserdampf netzte ihre Haut. Auf ihrem Busen sah er ein winziges Muttermal. Die Furche zwischen ihren drallen Brüsten war wie ein verführerischer Pfad. Er hätte die ganze Nacht damit zubringen können, jene geheimnisvolle Linie mit dem Finger nachzuzeichnen. Selbst die seidig schimmernde Erhebung ihres Schlüsselbeins lockte ihn, sie zu berühren.

Anne schien regelrecht zu strahlen. Die Unabhängigkeit des Witwentums tat ihr offenbar gut.

Sie richtete sich auf, und der Schein des Feuers erhellte eine Seite ihres Gesichts. „Dein Bad ist fertig.“

Er ließ von seiner Schulter ab. Der Moment der Wahrheit war gekommen. Nun galt es, die Kleider abzulegen, was ihn nicht gestört hätte, wären er und Anne nicht schon einmal miteinander intim geworden. Er hatte sie gekostet. Die Vergangenheit flüsterte in einer sinnlichen Sprache, die er gern vergessen hätte. Anne hingegen wirkte unberührt von derlei Regungen. Sie gab sich distanziert … als wäre es nichts Besonderes für sie, in ihrer Küche einen halb nackten Mann zu umsorgen.

Und vielleicht war es das nicht.

Soll sie ruhig ganz Southwark aufnehmen. Er fühlte sich elend, als er wütend an seinem Hemd zerrte, um sich davon zu befreien. Fast hatte er es geschafft, als er zusammenzuckte und ein Stöhnen unterdrückte. Jede Wunde, jede Strieme brandmarkte ihn.

Mit ihren warmen Händen zog sie seine Ellbogen herunter. „Lass mich dir helfen.“

Er ließ es zu, seine Arme schwer.

Weiches Licht umschmeichelte Annes schlanken Hals und verwandelte ihre Wimpern in Fächer, dunkel wie Ebenholz. Behutsam zupfte sie an einer aufgerissenen Naht. Bedachtsam. Quälend. Zu gern hätte er ihr gezürnt dafür, dass sie nach so vielen Jahren wieder in sein Leben getreten war, aber sie war die Güte selbst mit ihrer schimmernden mitternachtsschwarzen Mähne.

Schwarzhaarige Frauen … seine Schwäche.

Ihre Berührungen waren arglos; seine Gedanken waren es nicht.

Die Wärme des Küchenfeuers strich ihm um die Beine. Ihm brach der Schweiß aus. Er wähnte sich gefangen zwischen Limbus und Lust, den ersten beiden Höllenkreisen.

„Nicht mehr zu retten“, murmelte sie und riss das Hemd entzwei.

Kurz taumelte er, und in seiner Brust brach sich ein stummer Schrei Bahn. Leinen glitt ihm von den Schultern, gerade noch da und jäh fort. Barbarisch, diese Frau, die ihm die Kleider vom Leib riss. Primitiv. Es trieb seinen Puls in die Höhe, ließ ihn unstet und laut in seinen Ohren dröhnen.

Annes Blick aus dunkel umrandeten Augen begegnete seinem. „Es war die beste Lösung.“

Erzähl das meinen trunkenen Sinnen, Mädchen.

Sie warf das ruinierte Hemd ins Feuer. Die Zähne zusammengebissen, spürte er, wie sich seine Brustwarzen vor Erregung zusammenzogen, und er wusste, nach wessen Berührung sie sich sehnten. Oder nach wessen Kuss. Er war nicht wählerisch. Doch stattdessen wischte ihm seine praktisch veranlagte dunkelhaarige Sirene Fäden von der Schulter, wobei sie mit den Fingerspitzen, zart wie Pusteblumenschirmchen, versehentlich seine Rippen streifte.

Kurzum, ihn zu berühren ließ diese Frau gänzlich kalt.

Er richtete den Blick auf die Zimmerdecke, während ihm köstliche Schauer bis in die Zehen fuhren. Wie viel würde er ertragen können?

„Jetzt der Kilt“, sagte sie.

Wie eine Ladung kaltes Wasser brachte ihn dies zur Besinnung.

„Oh, nein.“ Mit beiden Händen umklammerte er seinen Gürtel. „Meinen Kilt bekommst du nicht.“

„Hast du vor, darin zu baden?“

„Ich werde nicht zulassen, dass du ihn ins Feuer wirfst. Es wäre Blasphemie.“

„Das kannst du unmöglich ernst meinen. Er ist nicht zu flicken.“

Will setzte die finsterste Miene auf, die er trotz Schlafentzug und Lüsternheit zustande brachte. „Ich habe deinen Bedingungen zugestimmt. Nun akzeptiere die meinen.“

Anne hob die schmale Nase, und in ihren Augen funkelte es. Offensichtlich gefiel ihr, dass er ihn behalten wollte.

„Ich werde sehen, was ich tun kann, um ihn zu retten.“ So forsch wie vor acht Jahren hakte sie zwei Finger in den Gürtel um den Tartanstoff und zog Will näher. Vertrau mir, blitzte in ihren Augen auf.

Er knurrte, benommen von ihrem Lavendelduft und ihren nestelnden Fingern. Ihr zu vertrauen, genau darin lag das Problem. Mit betörten Sinnen ließ sich nicht klar denken. War schon das Entfernen seines Hemds eine berauschend süße Pein gewesen, so kam es gnadenloser Folter gleich, als sie ihm den Kilt auszog.

Er konnte nicht anders, als zuzusehen, das Kinn auf die Brust gelegt.

Mit ihren milchweißen, ringlosen Fingern wischte sie ihm Schmutz vom Gürtel. Erdklumpen rieselten ihm auf die Stiefel. Ihr Haar strich ihm über den Unterarm, schwarzen Seilen gleich, die ihn fesselten. Er hätte nichts gegen eine Nacht in Fesseln gehabt. Mit einem weiblichen Leib, der sich an ihn drängte. Haut, die nachgiebig über Haut rieb. Die Hände voll seidenem Haar. Atemloses Stöhnen an seinem …

„Der Bund wäre bereit, dir eine Überfahrt in die Kolonien zu bezahlen und dir obendrein einen gut gefüllten Beutel Gold mitzugeben. Wenn du uns hilfst.“

Dumpf schlug seine Lust auf dem Küchenboden auf. Nichts tötete eine solche Regung wirksamer ab als ein Gespräch über Aufwiegelei.

„In ganz England gibt es nicht genügend Gold, um dafür zu sorgen, dass wir beide es lange in demselben Raum aushalten, und das weißt du so gut wie ich.“

Der Blick ihrer grünen Augen bohrte sich in seinen. „Es ist acht Jahre her, Will. Ich brauche gewisse Fertigkeiten, über die du verfügst. Ich verlange keine höfliche Konversation von dir.“

„Ich sagte doch, ich würde mich mit deinem Bund treffen“, grollte er.

Ein Klimpern ertönte. Der Ledergürtel um seine Taille lockerte sich und fiel zu Boden. Sein Kilt hing lose herab, behielt aber dank des getrockneten Schlamms und Schweißes weitestgehend seine Form.

Anne schob den Gürtel mit dem Fuß beiseite. „Hast du von Bonnie Prince Charlies Schatz gehört?“

Unterhalb seines Nabels zogen sich die Muskeln zusammen, als sie mit den Händen zwischen Kilt und Haut hinabfuhr und auf tiefer gelegenes Territorium vordrang. Er konzentrierte sich auf die Wand ihm gegenüber. Die Schwere in seinen Hoden sagte ihm, dass seine Lust nicht gänzlich erloschen war.

„Das verschollene Jakobitengold? Ein Mythos. Ungefähr so echt wie Drachen und Feen.“

„Was, wenn ich dir von sieben Fässern randvoll mit Gold erzählte? Über eine Million französische Livre.“

Anne versuchte, seinen Blick einzufangen, doch solange sie sich an seinem Kilt zu schaffen machte, erschien die Wand ihm sicherer. „Ich würde erwidern, dass diese Geschichte lediglich dazu dient, die Hoffnung der Rebellen am Leben zu halten.“

„Sie ist am Leben.“

Er riskierte einen Blick in ihre Augen. Was er dort leuchten sah, war hell, zuversichtlich und hart wie ein Juwel.

„Anne“, begann er, so geduldig er konnte. „Das einzige Gold, das Schottland je erreicht hat, waren dreizehntausend goldene Livre. Gold, das an die Engländer gefallen ist.“

Gold, das sie dringend gebraucht hätten und das mit zweihundert Soldaten hätte einhergehen sollen. Gold, welches das Blatt zugunsten ihrer armseligen Rebellion hätte wenden können.

„Eine Kriegsbeute, im März eingebüßt, bevor der Aufstand endete. Aber ich spreche von einem größeren Schatz.“ Sie hielt inne in ihrer Bemühung, ihn von seinem Kilt zu befreien. „Ein Schatz, der im Mai an der Westküste gelandet ist … nach Kriegsende.“

Er wusste von den französischen Schiffen La Bellona und Le Mars, beladen mit der versprochenen Hilfe. Jeder Rebell wusste davon. Der Aufstand war so gut wie niedergeschlagen gewesen, als jene Schiffe einen Spießrutenlauf durch die englische Kriegsmarine in Kauf genommen hatten, um Nachschub zu liefern. An die zugesicherten Mittel in Form von Gewehren, Munition und Branntwein vermochte er zu glauben – die Franzmänner waren stets für ein Saufgelage zu haben. Doch dass der französische König so viel Gold geopfert haben sollte, nachdem schon die erste Fracht den Engländern in die Hände gefallen war? Für einen Haufen zerlumpter Hochlandbewohner, die es nicht schafften, sich zu vereinen? Das widersprach jeder Logik. Sein eigenes Clanoberhaupt hatte aufseiten der Regierung gestanden, während dessen Sohn und Erbe für den Prinzen kämpfte.

Sie waren von Anfang an zum Scheitern verurteilt gewesen.

„Ich weiß von den Schiffen.“ Seine Stimme klang barsch und müde. „Aber das Gold? Eine übertriebene Geschichte, die man am besten vergisst.“

„Es ist keine übertriebene Geschichte.“

Autor

Gina Conkle
Gina Conkle schreibt sinnliche, in der georgianischen Ära angesiedelte Liebesromane. Ihre erfrischende Art, das Genre des historischen Liebesromans mit originellen Dialogen und erotischem Prickeln zu würzen, macht ihre Bücher so beliebt. Ihre Schriftstellerkarriere begann in Südkalifornien, und trotz des vielen Sonnenscheins begeistert sie sich mehr für Bücher als für den...
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