Engel tragen rosa Kleidchen

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Monate voller Tränen liegen hinter Dani. Sie will nur eins: vergessen. Doch als sie sich in den attraktiven Single-Dad Tyler Jackson verliebt, wird ihr klar, dass sie sich der Vergangenheit stellen muss. Nur dann kann ihr Herz frei werden für Tyler und seine süßen Zwillingsmädchen …


  • Erscheinungstag 22.07.2019
  • Bandnummer 6
  • ISBN / Artikelnummer 9783733747466
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Warum sind die attraktiven Männer immer Idioten? fragte sich Anwältin Dani Post, als Tyler Jackson durch den Gerichtssaal zum Zeugenstand ging. Er sah umwerfend aus mit den eisblauen Augen, kurzen blonden Haaren und seiner athletischen Figur.

Aber offensichtlich mangelte es ihm an menschlichem Anstand – und Dani hatte mehr als genug Erfahrungen mit solchen Männern gemacht. Seinetwegen zitterte der kleine Junge vor Angst, der neben ihr stand und ihre Hand umklammerte.

Kevin McCarthy war dabei erwischt worden, wie er in Tylers Spielzeuggeschäft Tropical Toys einen Baseballschläger gestohlen hatte. Natürlich hätte der frühreife Neunjährige das nicht tun sollen. Doch es lagen mildernde Umstände vor: Kevin war ein Pflegekind, das in seinem kurzen Leben mehr Traumata erlitten hatte, als sich die meisten Erwachsenen vorstellen konnten.

Der Junge hatte nur bei den Baseballspielen mitmachen wollen, zu denen sich die Gleichaltrigen im Park trafen. Er hatte dazugehören wollen. Aber er hatte gewusst, dass seine Pflegeeltern es sich nicht leisten konnten, ihm einen neuen Baseballschläger zu kaufen. Also hatte er aus Verzweiflung einen in dem Laden mitgehen lassen.

Dani billigte seine Tat nicht. Aber der kaltherzige Ladenbesitzer hätte die Angelegenheit regeln können, ohne die Polizei einzuschalten! Er hätte sich den Baseballschläger einfach von dem Jungen zurückgeben lassen oder mit dessen Pflegeeltern sprechen können. Vielleicht hätte er ihm ein paar Arbeiten im Spielzeugladen auferlegen können. Stattdessen hatte er Strafanzeige gegen ein Kind gestellt.

Jetzt war Kevins Fall Danis erster als freiwillige Jugendgerichtshelferin. Ihre Aufgabe war es, ihm verständlich zu machen, was vor sich ging, und ihn als Rechtsbeistand zu beraten.

Ein juristischer Hintergrund war dafür nicht nötig, aber hilfreich. Der Ausbilder hatte ihr versichert, dass sie mehr als qualifiziert war. Obwohl sie erst ein paar Jahre als Anwältin gearbeitet hatte. Aber niemand hatte sie während der Ausbildung zur Jugendgerichtshelferin darauf vorbereitet, wie emotional und hart dieser Job sein würde.

Sie wusste, wie es sich anfühlte, verwundbar und machtlos zu sein. Deswegen hatte sie die Ausbildung gemacht – und genau das war auch der Grund dafür, warum dieser Job so herzzerreißend war.

Kevin war für sie kein juristischer Fall oder Freiwilligenprojekt, sondern ein angsterfülltes Kind, das zutiefst bereute, einen Fehler begangen zu haben. Er war nur ein kleiner Junge, der jemanden brauchte, der ihm zur Seite stand und an ihn glaubte. Aber leider lag der Ausgang des Verfahrens nicht in Danis Hand.

Wenn es sich um eine Sorgerechtsanhörung handeln würde, könnte sie der Richterin ihre professionelle Meinung darlegen und für Kevin eintreten. Aber in einem Strafprozessverfahren konnte sie nicht viel mehr tun, als ihn moralisch zu unterstützen. Also hielt sie Kevins Hand und durchbohrte Tyler Jackson mit Blicken.

Ein paar Minuten später verließ Tyler nach seiner Befragung wieder den Zeugenstand. Als er den Gerichtssaal durchquerte, ging er nur einige Zentimeter entfernt an dem Tisch vorbei, an dem Dani saß. Sie ließ ihn dabei nicht aus den Augen. Er schien ihren Blick zu spüren und sah sie kurz an.

Als sie einen Moment später hörte, dass die Türen des Gerichtssaals geschlossen wurden, murmelte sie erleichtert: „Ein Glück, dass ich den los bin!“ Er hatte etwas an sich, das sie nervös, fast ruhelos machte. Sie würde die Schuld daran gern ihrem Ärger darüber geben, dass er Strafanzeige gestellt hatte.

Aber sie hatte seine Wirkung auf sie bereits in dem Moment gespürt, als sie ihn das erste Mal in dem Gerichtssaal erblickt hatte – noch bevor ihr klar gewesen war, wer er war. Es lag also nicht an der Situation, dass sie sich seiner Anwesenheit derart bewusst und förmlich elektrisiert war.

Wahrscheinlich sah er nur zu gut aus und machte einen zu selbstsicheren und souveränen Eindruck. Diese Eigenschaften brachten sie aus der Ruhe, denn sie hatten Dani in der Vergangenheit in die Irre geführt. Was immer auch der Grund dafür war – jetzt, da Tyler verschwunden war, konnte sie ihre ganze Aufmerksamkeit wieder Kevin und der Verhandlung zuwenden.

Die Richterin, eine mütterlich wirkende Frau etwa Mitte fünfzig, war inzwischen zu ihrem Urteil gekommen. Kevin wurde angewiesen aufzustehen. Danis Puls raste. Sie zwang sich zu lächeln und versuchte, Optimismus auszustrahlen.

Zum Glück verkündete die Richterin das Urteil ohne weiteren Aufschub: Aussetzung der Strafe auf Bewährung und die Teilnahme am Betreuungsprogramm des Landkreises Palmetto County, Florida, für gefährdete Jugendliche.

Dani atmete erleichtert auf und drehte sich Kevin zu, der einen erschütterten Eindruck machte. „Verstehst du, was sie gesagt hat?“

Er nickte, schüttelte dann aber verwirrt den Kopf. „Ich muss nicht ins Gefängnis?“

„Nein. Die Strafe ist auf Bewährung ausgesetzt. Das heißt einfach, dass du dich tadellos verhalten musst und keine Gesetze mehr brechen darfst. Das ist kein Problem für dich, richtig?“ Wieder nickte er. Diesmal zuversichtlicher. Sie lächelte. „Und du bekommst einen Mentor. Weißt du, was ein Mentor ist?“

„Nicht wirklich.“

„Jemand, der älter und vielleicht ein bisschen klüger ist als du. Eine Person, die dein Freund sein wird und dir mit Rat zur Seite steht. Jemand, mit dem du Zeit verbringen und über Dinge reden kannst, die dich nerven.“

„Das hört sich okay an. Aber kann ich auch weiterhin mit dir Zeit verbringen?“

Dani legte den Arm um seine Schultern und führte ihn zur Hintertür, wo seine Pflegeeltern auf ihn warteten. Er versuchte, tough zu erscheinen. Aber hinter der Fassade war er einfach ein verstörter Junge. „Natürlich. Du glaubst doch nicht, dass du mich so leicht loswerden kannst, oder?“

„Dann kommst du also mit, wenn ich diesen Mentor treffe?“

Sie zögerte. Dafür war sie nicht zuständig, und der Mentor wollte vielleicht mit dem Jungen allein sein, um eine Beziehung zu ihm aufzubauen.

„Bitte …?“

Als Tränen in seine großen braunen Augen stiegen, wusste sie, dass sie nicht Nein sagen konnte. Der Mentor, wer auch immer es war, würde es sicherlich verstehen. „Natürlich komme ich mit. Das lasse ich mir um keinen Preis entgehen.“

Den Rest des Nachmittages verbrachte sie in ihrem Büro und versuchte, sich auf die Unterlagen einer Testamentseröffnung zu konzentrieren, die am nächsten Tag anstand. Aber sie war mit den Gedanken nicht wirklich bei der Sache. So wichtig eine Nachlassbetreuung war – mit dem Strafprozessrecht war diese Aufgabe nicht zu vergleichen.

An Tagen wie diesen vermisste sie ihren alten Job. Noch mehr vermisste sie die Zeit, bevor sie das Vertrauen in das Rechtssystem und sich selbst verloren hatte. Von Unruhe erfüllt sah sie aus dem Fenster.

Es war ein schöner Frühlingstag. Wie gewöhnlich aßen Kinder vor der Eisdiele auf der gegenüberliegenden Straßenseite Eis, während die Mütter unter einer Markise saßen. Sie dachte daran, dass Kevin auch Eiscreme essen und mit Freunden lachen sollte, statt den Tag im Gerichtssaal zu verbringen.

Doch sie konnte sich nicht vorstellen, dass die Cunninghams nach der Schule mit dem Jungen Eis essen gingen – sosehr das ältere Ehepaar ihm auch gerecht werden wollte. Vielleicht würde sein Mentor in dieser Hinsicht hilfreich sein. Aber damit wäre das Problem noch nicht gelöst.

Dani packte die Unterlagen für die Nachlassbetreuung in ihre Tasche, um zu Hause weiterzuarbeiten. Vielleicht würde sie bei einem flotten Spaziergang wieder zu klaren Gedanken und besserer Konzentration kommen.

Bevor sie ging, sah sie noch schnell im Büro nebenan vorbei, in dem ihr Vater an einem riesigen Schreibtisch saß. „Ich erledige die restliche Arbeit zu Hause.“

„Ist alles in Ordnung?“, fragte er überrascht.

„Sicher. Der Frühling macht mich nur ein bisschen unruhig.“ Sie bemerkte, dass er besorgt war. Sie hatten sich schon immer nahe gestanden. Aber seit ihrer Rückkehr nach Paradise vor einem Jahr war ihr Verhältnis zueinander ein wenig angespannt.

Das gemeinsame Arbeiten war nicht der Grund dafür. Ihr Vater behandelte sie als vollwertigen Partner in der kleinen, aber gut gehenden Kanzlei. Auch wenn auf dem Briefkopf der Name Philipp Post stand. Wahrscheinlich spürte er, dass sie ihm den eigentlichen Grund für ihre Heimkehr aus Jacksonville verschwieg.

Schließlich seufzte ihr Vater und nickte. „Melde dich, wenn du irgendetwas brauchst. Ich helfe dir gern.“

Spontan ging sie um den Schreibtisch herum und umarmte ihn. „Das weiß ich. Ich kann von Glück sagen, dass ich dich habe.“ Als sie die Kanzlei verließ, winkte sie ihrer Mom zu, die als Teilzeitkraft am Empfang arbeitete und gerade telefonierte.

Einige ihrer Freunde fanden es ein bisschen seltsam, dass es sie nicht störte, ihren Arbeitstag mit ihren Eltern zu verbringen. Aber sie hatte zum Glück schon immer eine gute Beziehung zu ihnen gehabt.

Insbesondere seitdem ihr als Jugendgerichtshelferin bewusst geworden war, wie viele Menschen nicht in einer liebevollen Familie aufwuchsen, war sie froh darüber, so enge Familienbande zu haben.

Kevin mochte zu ihr aufschauen. Aber sie war auch von dem Jungen begeistert, der die Hoffnung trotz der widrigen Umstände nicht aufgab. Vor einem Jahr war seine Mutter an einer Schmerzmittelüberdosis gestorben. Die Ärzte hatten ihr die starken Medikamente nach einer Rückenverletzung verschrieben.

Seinen Vater hatte der Junge nie gekannt. Als Kevin zum Pflegekind geworden war, hatte sich herausgestellt, dass sein Erzeuger eine zwanzigjährige Gefängnisstrafe verbüßte. Kevin war gezwungen gewesen, von einer vorübergehenden Pflegeunterbringung zur nächsten zu wechseln, bevor die Cunninghams die Pflegschaft übernommen hatten.

Das Ehepaar nahm schon seit fast zehn Jahren immer wieder Pflegekinder auf. Damals war ihr Sohn wegen eines Jobangebots nach Kalifornien gezogen. Die Cunninghams hatten es vermisst, Kinder um sich zu haben, an die sie ihre Liebe weitergeben konnten.

In vielerlei Hinsicht war ein trauernder Junge wie Kevin bestens bei ihnen aufgehoben. Aber sie waren in die Jahre gekommen. Dani vermutete, dass es den Senioren zunehmend schwerfiel, mit einem aktiven Neunjährigen wie Kevin Schritt zu halten.

Was der Junge wirklich brauchte, waren seine Eltern, die jedoch nicht da waren – und laut der zuständigen Sozialarbeiterin war die Chance gering, dass ein Junge in seinem Alter adoptiert wurde.

Dani entschied, nicht auf dem direkten Weg nach Hause, sondern durch den Park zu gehen. Der Sonnenschein und die frische Luft machten die dadurch verlorene Zeit mehr als wett. Im Pelican Park ging sie an den Baseballfeldern vorbei. Dort spielten Kinder, die etwa in Kevins Alter sein mussten.

Hatte er diese Kinder beeindrucken wollen? Hatten die Gleichaltrigen ihn damit aufgezogen, dass er sich keinen Baseballschläger leisten konnte? Kevin hatte keine Einzelheiten erzählen wollen, und sie hatte ihn nicht bedrängt. Letztendlich spielte es keine Rolle.

Schließlich kam der Kinderspielplatz am anderen Ende des Parks in Sicht. Auf den Bänken rundum saßen die Eltern der he­rumtollenden Kinder. Dani erinnerte sich lächelnd daran, dass ihre Mom auch oft auf einer dieser Bänke gesessen hatte, wenn ihre Schwester Mollie und sie dort gespielt hatten.

Als sie den Park fast durchquert hatte, hörte sie, dass ein Kind laut weinte. Sie drehte sich um und sah ein Mädchen mit blonden Zöpfen, das nicht älter als fünf Jahre alt sein konnte und am Fuße der Schaukel hysterisch schluchzte.

Ein Mann beugte sich über das Mädchen. Obwohl er Dani den Rücken zukehrte, kam er ihr irgendwie bekannt vor. Spontan ging sie näher. Die Schluchzer des kleinen Mädchens trieben sie an.

Gerade als sie ihre Hilfe anbieten wollte, bemerkte sie, dass es sich bei dem Mann um den Besitzer von Tropical Toys aus dem Gerichtsverfahren handelte. Was machte er hier? Schikanierte er wahllos Vorschulkinder? „Haben Sie heute nicht schon genug Kinder aus der Fassung gebracht?“

Als er sie ansah, lag wie schon im Gerichtssaal dieses Knistern in der Luft. Sie wandte sich dem kleinen Mädchen zu, das sich inzwischen beruhigt hatte. „Ist alles in Ordnung, Süße? Ärgert er dich?“

„Alles in Ordnung. Daddy hat gerade mein Aua geküsst.“ Sie zeigte auf das leicht aufgeschürfte Knie. „Meine Schwester Amy hat mich geärgert.“ Sie funkelte ein genauso hinreißendes Mädchen mit engelsgleichem Gesicht an, das ihr zum Verwechseln ähnlich sah und neben der Schaukel stand. „Sie hat meine Schaukel zu heftig angestoßen. Deshalb bin ich heruntergefallen.“

Dani drehte sich langsam dem Mann zu, der in der Mitte stand. „Dein Daddy?“ Tyler Jackson, der kaltherzige Mann, der Strafanzeige gegen einen neunjährigen Jungen gestellt hatte, war Vater?

Tyler half Adelaide beim Aufstehen. Die jüngere Zwillingsschwester hatte eine dramatische Ader. „Es ist nur ein Kratzer. Jetzt spiel weiter. Wir müssen bald zurückgehen.“ Er sah die Ältere der beiden an. „Amy, sei nett zu deiner Schwester. Ich habe dich im Auge.“

„Okay!“, entgegnete sie empört.

Er hatte zunehmend das Gefühl, dass er nie den Bogen herausbekam, allein zwei kleine Mädchen großzuziehen. Immer wenn er gerade glaubte, dass er aus ihnen klug wurde, veränderten sie sich und verwirrten ihn erneut. Wo waren die süßen kleinen Babys geblieben?

Damals hatte er noch die Sonnenseiten des Vaterseins genießen können. Denn in dieser Zeit hatte sich vor allem seine Frau Jennifer um die Mädchen gekümmert. Doch Jennifer war vor zwei Jahren an Eierstockkrebs gestorben.

Seitdem musste er Mutter und Vater für die Zwillinge sein – ganz egal, wie schwer das war. Oft schien ihn die Last der Verantwortung zu erdrücken. Aber die beiden Mädchen waren immer noch das Beste in seinem Leben –, und er wusste, dass er sich wegen ihnen glücklich schätzen konnte.

„Sie haben Kinder?“

Tyler drehte sich wieder der Frau zu, die ihm bekannt vorkam. Jetzt erinnerte er sich. Sie hatte heute im Gerichtssaal neben dem Jungen gesessen, den er beim Ladendiebstahl erwischt hatte.

Er streckte ihr automatisch die Hand hin. Schließlich hatte seine Großmutter ihm gute Manieren eingeimpft. „Ja. Ich heiße Tyler Jackson, und die kleinen Mädchen sind Amy und Adelaide. Entschuldigen Sie, wenn die beiden Sie gestört haben. Normalerweise kommen sie gut miteinander aus. Aber Sie wissen bestimmt, wie es unter Geschwistern zugehen kann.“

Sie ignorierte seine Hand und starrte ihn an. „Ich weiß genau, wer Sie sind, Mr. Jackson. Sie sind der Mann, der versucht, einen verwirrten Jungen, noch dazu ein Waisenkind, wegen eines läppischen Baseballschlägers hinter Gitter zu bringen!“

„Vermutlich kann man es auch so sehen“, sagte er ruhig. „Und Sie sind?“

„Dani Post. Ich bin Anwältin und Kevins Jugendgerichtshelferin.“

Sie sah wild und kämpferisch aus. Ihre dunkelbraunen Haare flatterten im Wind. Die dunklen Augen funkelten vor Wut. „Nun, Ms. Post, die familiäre Situation des Jungen tut mir leid. Aber das entschuldigt keinen Diebstahl.“

„Natürlich nicht. Aber er braucht Hilfe, keinen juristischen Ärger.“

Tyler verschränkte die Arme. „Ich finde, dass die Anzeige der beste Weg für ihn ist, Hilfe zu bekommen. Er nimmt am Betreuungsprogramm teil, richtig?“

Sie nickte. „Aber das konnten Sie vor dem Urteilsspruch nicht wissen.“

„Tatsächlich hat mir die Staatsanwaltschaft versichert, dass dieser Ausgang des Verfahrens am wahrscheinlichsten ist. Außerdem habe ich ein paar Erfahrungen mit Jugendgerichten gesammelt. Sie sperren Kinder nicht ins Gefängnis, wenn sie es nicht tun müssen.“

„Zum Glück. Aber Kevin hat eine schwere Zeit durchgemacht und verdient eine zweite Chance.“

„Die er bekommt.“

„Dafür können Sie sich aber nicht auf die Schulter klopfen.“

Er warf kurz einen Blick auf seine Töchter, die einträchtig miteinander spielten, bevor er sich wieder der zornigen Frau zuwandte. Sie trug eine schwarze Hose, eine karminrote Bluse sowie Schuhe mit hohen Absätzen. Sie passte eher in eine Vorstandssitzung als auf einen Spielplatz.

Aber wenn sie Anwältin war, machte das elegante Outfit Sinn. Genau wie ihr provozierender Gesprächsstil. Er war beeindruckt und fühlte sich sogar ein wenig zu ihr hingezogen. Aber sie schüchterte ihn nicht ein. „Tatsächlich beabsichtige ich, dabei eine große Rolle zu spielen. Ich bin sein Mentor.“

„Sie sind was? Haben Sie nicht schon genug Schaden angerichtet? Was wollen Sie noch?“

„Ihn davon abhalten, noch mehr Fehler zu machen. Hören Sie, mir ist klar, dass Sie wegen des Jungen besorgt sind – und das ist großartig und sicherlich hilfreich. Aber ein Junge in seinem ­Alter braucht jemand, der ihm zeigt, was es bedeutet, ein Mann zu sein.“

„Und was macht Sie zur richtigen Person für diesen Job?“

„Nichts. Außer, dass ich bereit dazu bin. Ich habe ihn angezeigt, weil es meiner Meinung nach der beste Weg ist, ihm eine Lektion zu erteilen. In diesem Alter habe ich auch ein paar Fehler gemacht. Damals hat mir jemand geholfen. Ich finde, jetzt bin ich an der Reihe.“

Sie blinzelte. „Nun, ich hoffe, dass es die Wahrheit ist. Aber Sie sollten wissen, dass Kevin mich gebeten hat, dabei zu sein, wenn er seinen Mentor trifft – und Sie können mich nicht davon abhalten.“ Sie drehte sich auf dem Absatz um und ging.

„Daran würde ich nicht einmal im Traum denken“, sagte er zu sich und sah ihr nach. Tatsächlich freute er sich auf ein weiteres Treffen mit der leidenschaftlichen Anwältin.

Seit dem Tod seiner Ehefrau hatten seine Freunde und seine Familie ihn mit Samthandschuhen angefasst. Niemand hatte den trauernden Witwer aufregen wollen. Er wusste die gute Absicht zu schätzen. Aber ein Mann wollte nicht wie ein Kind behandelt werden.

Dani dagegen hatte ihm unverblümt ins Gesicht gesagt, was sie dachte. Diese Offenheit war erfrischend und törnte ihn ein bisschen an, wie er schockiert registrierte. Es war lange her, seitdem er das letzte Mal körperlich auf eine Frau reagiert hatte.

An Chancen hatte es ihm nicht gemangelt. Viele Frauen hatten an die Stelle seiner verstorbenen Ehefrau treten wollen. Aber keine davon hatte so anziehend auf ihn gewirkt wie Dani Post.

Natürlich würde diese sexuelle Anziehung zu nichts führen. Mit der Arbeit in seinem Spielzeuggeschäft und der Erziehung seiner Töchter war er bereits überlastet. Ganz zu schweigen davon, dass er als Kevins Mentor noch zusätzliche Verantwortung übernahm.

Weitere Komplikationen in seinem Leben – romantischer oder anderer Natur – waren das Allerletzte, was er brauchte. Dennoch konnte es nicht schaden, noch einen Blick auf Ms. Post zu riskieren.

2. KAPITEL

Dani parkte ihr Cabrio auf dem Kiesplatz vor dem Wildlife Rehabilitation Center. Das Auto hatte sie sich gegönnt, nachdem die Kanzlei Whitehorn and Watts sie direkt nach dem Jurastudium angestellt hatte.

Kevin, der auf dem Rücksitz saß, bombardierte sie mit Fragen. Er war gespannt, die Wildtiere sehen, die im Rehab Center versorgt wurden. Wahrscheinlich war er auch ein wenig beunruhigt, weil er Tyler Jackson treffen würde. Sie hatte Kevin versichert, dass der Ladenbesitzer ihn nicht bestrafen, sondern ihm helfen wollte.

„Was ist mit Tigern? Gibt es hier Tiger?“

Sie warf einen Blick in den Rückspiegel. Kevin schaute aufgeregt nach links und rechts, um eines der im Rehab Center untergebrachten Tiere zu entdecken, von denen sie ihm erzählt hatte.

„Nein, keine Tiger. Ich habe dir gesagt, dass hier nur Tiere versorgt werden, die in Florida zu Hause sind. Aber es gibt einen Panther, der so etwas Ähnliches wie der Cousin eines Tigers ist. Er heißt Simba.“

„Das ist cool. Kann ich ihn streicheln?“

„Definitiv nicht.“ Sie stieg aus, öffnete die Autotür für ihn und sah ihm in die Augen. „Du fasst kein Tier an. Es sei denn, ein Erwachsener sagt dir, dass es in Ordnung ist. Verstanden?“

Er nickte ernst. Aber seine Augen glitzerten. Ihr schlug das Herz höher, weil er so glücklich und aufgeregt war. Sie wuschelte ihm durch die Haare und führte ihn zum Hauptgebäude, in dem Tyler sie treffen sollte.

Der niedrige Holzbau fügte sich perfekt in das Naturschutzgebiet Paradise Wildlife Refuge ein, auf dem es errichtet worden war. Im Rehab Center wurden verwaiste und verletzte Tiere medizinisch versorgt und gepflegt, bis sie wieder bereit für die freie Wildbahn waren.

Tiere, die nicht wieder entlassen werden konnten, wurden dabehalten und den Rest ihres Lebens vom Personal und von freiwilligen Helfern – inklusive Dani und ihrer Schwester – betreut. Dylan Turner, der Leiter des Rehab Center, war inzwischen ein enger Freund Danis geworden.

Sie öffnete die Tür und sah, dass Dylan an seinem Schreibtisch saß. „Hallo! Fleißig bei der Arbeit?“

Er lächelte. „Wie immer. Du weißt, wie viel im Frühling los ist … In dieser Jahreszeit werden viele Babys hergebracht.“

„Können wir uns heute irgendwelche davon ansehen?“

„Sicher. Ich kann euch ein Opossum zeigen, wenn dein Freund es gern sehen würde.“

„Da bin ich sicher“, meinte sie. „Kevin, das ist Mr. Turner. Er leitet das Rehab Center. Dylan, das ist Kevin. Wir treffen hier einen neuen Freund. Dann würden wir sehr gern einen Rundgang machen, richtig, Kevin?“

„Ja!“

Perfekt. Tyler hatte die Eisdiele als Treffpunkt vorgeschlagen, als sie mit ihm telefoniert hatte. Aber sie hatte ihn davon überzeugt, dass das Rehab Center spannender und die weitaus bessere Wahl wäre.

Die Tür ging auf, und Tyler kam herein. Er trug ein weißes ­T-Shirt, Cargoshorts und eine Sonnenbrille. Kevin, der neben ihr stand, rückte näher an sie heran. Sie hatte das Gefühl, dass nur sein Stolz ihn davon abhielt, sich hinter ihr zu verstecken.

Autor

Katie Meyer

Katie Meyer kommt aus Florida und glaubt felsenfest an Happy Ends. Sie hat Englisch und Religion studiert und einen Abschluss in Veterinärmedizin gemacht. Ihre Karriere als Veterinärtechnikerin und Hundetrainerin hat sie zugunsten ihrer Kinder und des Homeschoolings aufgegeben. Sie genießt ihre Tage gerne mit der Familie, ihren vielen Haustieren,...

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