Geheime Leidenschaft am Mittelmeer

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Er ist gut aussehend, mächtig und unerreichbar! Seit Abby denken kann, schwärmt sie für Prinz Vincenzo – heimlich, denn mehr als ein Freund darf er nicht für sie sein. Als sie sich entscheidet, sein Baby auszutragen, hat das Folgen, von denen sie nie zu träumen wagte …


  • Erscheinungstag 28.07.2022
  • ISBN / Artikelnummer 9783751515160
  • Seitenanzahl 140
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Sämtliche Kameras waren auf den Mann gerichtet, der in diesem Moment auf den Balkon mit Blick auf den Schlosspark trat, um das traditionelle Zitronen- und Orangenfest am 15. April offiziell zu eröffnen.

Vincenzo Di Laurentis, Kronprinz des Fürstentums Arancia.

Es war der erste öffentliche Auftritt des Dreiunddreißigjährigen seit der Beerdigung seiner Frau, Prinzessin Michelina, vor sechs Wochen. Freundlich winkte er den Menschenmassen zu, die ihm zu Ehren erschienen waren.

Sein kleines Land lag idyllisch zwischen Frankreich und Italien an der Mittelmeerküste. Achtzigtausend Einwohner zählte die gleichnamige Hauptstadt, weitere dreißigtausend verteilten sich auf kleinere Ortschaften und Dörfer im Umland. Haupteinnahmequelle war neben dem Tourismus der Zitronen- und Orangenanbau. Und diese wichtigste Stütze seiner Wirtschaft würde das Fürstentum während der kommenden zwei Wochen mit Festumzügen und weiteren Veranstaltungen gebührend feiern.

Vincenzo war gerade erst von einer Reihe von Staatsbesuchen auf insgesamt drei Kontinenten zurückgekehrt und froh, wieder bei seinem Vater, Fürst Guilio, zu sein. Er hatte ganz vergessen, wie wundervoll Arancia im Frühling zur Zeit der Orangen und Zitronenblüte war. Eine freudige, erwartungsvolle Stimmung lag in der Luft, die vom Duft der Blüten erfüllt war, und auch die Schatten, die sich seit dem Tod seiner Frau auf sein Gemüt gelegt hatten, schienen sich zu lichten.

Ihre Heirat war keine Liebesheirat gewesen. Nach ihrer Verlobung mit sechzehn hatten er und Michelina bis zur Hochzeit vierzehn Jahre später kaum Zeit miteinander verbracht. Als er an diesem Nachmittag nach längerer Abwesenheit ihre gemeinsame Wohnung im Palast betreten hatte, war er wieder einmal von Schuldgefühlen bedrängt worden, weil er es nie geschafft hatte, sie so zu lieben, wie sie ihn geliebt hatte. Lediglich aufrichtigen Respekt und ehrliche Bewunderung hatte er ihr dafür gezollt, wie entschlossen sie dafür gekämpft hatte, ihre Ehe dennoch zu einer guten zu machen. Drei Fehlgeburten hatten sie durchlitten in der Hoffnung auf ein Kind.

Er hatte im Bett mit Michelina nie Leidenschaft empfunden, weil er sie nicht liebte, aber versucht, ihr zumindest ein zärtlicher Liebhaber zu sein. Vor seiner Ehe hatte er durchaus die eine oder andere leidenschaftliche Affäre gehabt, allerdings ohne mit dem Herzen beteiligt zu sein, weil er ja wusste, dass er einer anderen versprochen war. Er argwöhnte, dass Michelina bei ihren Eltern eine ähnlich lieblose Zweckehe erlebt hatte. Seine Eltern hatten sich jedenfalls oftmals schwergetan. Sicher kam eine glückliche Ehe bei einem königlichen Paar eher selten vor. Michelina hatte sich so sehr gewünscht, dass es bei ihnen anders wäre, und Vincenzo hatte sich ehrlich bemüht. Doch Liebe ließ sich nicht erzwingen.

Immerhin eines hatte er für ihr gemeinsames Eheglück doch tun können, und allein das hatte ihn die dunkle Zeit nach Michelinas tödlichem Reitunfall überstehen lassen. Nur wenige Tage vor ihrem Tod hatten sie die freudige Nachricht erhalten, dass sie wieder ein Kind erwarteten, und dieses Mal hatten sie die erforderlichen Maßnahmen ergriffen, um eine weitere Fehlgeburt zu vermeiden.

Froh, seine letzte Pflicht für diesen Tag erfüllt zu haben, verließ Vincenzo den Balkon, um die Frau aufzusuchen, die eingewilligt hatte, als Leihmutter ein Kind von Michelina und ihm auszutragen: Abby Loretto, die gebürtige Amerikanerin, die seit ihrem zwölften Lebensjahr mit ihrem italienischen Vater, dem Chef der Palastwache, auf dem fürstlichen Anwesen wohnte und Vincenzo eine echte Freundin geworden war. Bei ihrer Ankunft in Arancia war er achtzehn gewesen und hatte Abby rasch wie eine kleine Schwester in seinen Freundeskreis aufgenommen. In mancher Hinsicht fühlte er sich ihr näher als seiner sechs Jahre älteren Schwester Gianna. Abby war klug und immer gut gelaunt. Bei ihr konnte er all seine Sorgen und Probleme abschütteln und ganz er selbst sein wie bei fast niemandem sonst. Und da sie seit Jahren in unmittelbarer Nähe zum Palast lebte, kannte sie die Regeln des höfischen Lebens und wusste, was es bedeutete, Mitglied der Fürstenfamilie zu sein. Man musste ihr nichts erklären.

Als seine Mutter starb, hatte Abby ihm auf langen Spaziergängen Trost geboten. Einzig ihre Gegenwart hatte er ertragen können, denn auch sie hatte ihre Mutter früh verloren und kannte seine Traurigkeit aus eigenem Erleben. Ohne irgendetwas von ihm zu erwarten, war sie einfach da gewesen und hatte ihm mitfühlend zugehört. Ihre tagtägliche Vertrautheit hatte fast unausweichlich zu einem Gefühl tiefer Verbundenheit und uneingeschränkten Vertrauens geführt.

War es da ein Wunder, dass es ihm auf dieser Basis völlig natürlich und selbstverständlich vorgekommen war, als Abby sich Jahre später als Leihmutter für ihn und Michelina angeboten hatte? Auch Michelina hatte Abby sehr gemocht, und sie alle drei hatten sich mehrere Monate lang einer psychologischen Beratung unterzogen, ehe sie sich gemeinschaftlich zu diesem Schritt entschlossen. Bis zu Michelinas unerwartetem Tod arbeiteten sie wie ein perfektes Team zusammen.

Ihre regelmäßigen Treffen mit dem Arzt und dem Psychologen waren Vincenzo zu einer lieben Gewohnheit geworden. Nach den Wochen im Ausland hatte er jetzt das Gefühl, Abby eine Ewigkeit nicht gesprochen zu haben. Nun, da sie mit seinem Sohn oder seiner Tochter schwanger war, stellte sie seine Rettungsleine dar, die ihn fest im Leben verankert hielt. Er musste sie unbedingt sehen.

Nur ein Wunsch beseelte ihn: sich zu vergewissern, dass es ihr und dem Baby gut ging. Verbunden damit stellten sich allerdings auch sofort Schuldgefühle ein. Keine zwei Monate nach Michelinas Tod, während er noch um eine Ehe trauerte, die alles andere als perfekt gewesen war, drehten sich seine Gedanken intensiv um eine andere Frau, die das Kind trug, das dank ärztlicher Kunst von ihm und Michelina gezeugt worden war.

Es war nur natürlich, dass er sich um Abby sorgte, die ganz wesentlich zu diesem Wunder beigetragen hatte. Schließlich würde er dank ihr in wenigen Monaten Vater sein! Und doch schien es nicht richtig, jetzt, da Michelina nicht mehr lebte.

Aber es konnte auch nicht falsch sein.

Auf seinen Reisen war ihm kaum Zeit geblieben, darüber nachzudenken. Nun aber kehrten seine Zweifel und Schuldgefühle mit aller Macht zurück, und Vincenzo wusste nicht, wie er mit diesem neuerlichen Konflikt fertigwerden sollte.

Abigail Loretto, von ihren Freunden nur Abby genannt, saß auf dem Sofa in ihrem Apartment im Palast und trocknete sich das Haar, den Blick wie gebannt auf den Fernseher gerichtet. Sie verfolgte die Live-Übertragung von der Eröffnung des Zitronen- und Orangenfests durch Kronprinz Vincenzo.

Sie hatte gar nicht gewusst, dass er schon zurück war. Carlo Loretto, ihr italienischer Vater, war als Chef der Palastwache wahrscheinlich zu beschäftigt gewesen, um sie von Vincenzos Rückkehr zu informieren. Kennengelernt hatte sie den Kronprinzen vor gut fünfzehn Jahren, als ihr Vater den Posten als Sicherheitschef im Fürstenpalast übernommen hatte. Der Fürst hatte ihn aus der Washingtoner Botschaft von Arancia abgeworben und ihm, seiner amerikanischen Frau und seiner damals zwölfjährigen Tochter eine Wohnung auf dem fürstlichen Anwesen zur Verfügung gestellt.

Vincenzo war damals achtzehn gewesen, und Abby hatte ihn angehimmelt. Anstelle irgendeines Film- oder Popstars hatte sie den attraktiven Kronprinzen zu ihrem Idol erkoren und sogar ein Sammelalbum über die wichtigsten Ereignisse in seinem Leben angelegt, das sie allerdings vor ihren Eltern versteckte. Natürlich war das alles jetzt lange her.

Auf dem Bildschirm hatte Vincenzo nach seiner Reise erholt und nicht mehr so bedrückt gewirkt. Er konnte furchtbar ernst und unnahbar sein, aber Abby kannte ihn auch von seiner überaus charmanten, humorvollen Seite. Wohl keine Frau war gegen seinen Charme und sein Charisma immun. Abby jedenfalls hatte Michelina immer für die glücklichste aller Frauen gehalten.

Ständig fand sich sein Foto auf den Titelblättern der Magazine und Zeitungen, denn die Kameras liebten die markanten Züge des dunkelhaarigen Kronprinzen von Arancia. Und als Lieblingskind der Presse tauchte er praktisch jeden Tag irgendwo auf der Welt in den Nachrichten auf.

Das Wissen, dass er nun von seinen Reisen zurück und wieder zu Hause war, erfüllte Abby mit einem warmen Glücksgefühl. Die vergangenen sechs Wochen, in denen sie ihn weder gesehen noch mit ihm über das Baby gesprochen hatte, waren ihr wie eine Ewigkeit vorgekommen. Aber wahrscheinlich würde er jetzt hier so viel zu tun haben, dass sie sich noch eine weitere Woche gedulden musste, ehe sie etwas von ihm hörte.

Nachdem er den Balkon verlassen hatte, zeigte der Sender noch einmal Ausschnitte von der Beerdigung, die vor sechs Wochen in ganz Europa live übertragen worden war.

Nie würde Abby den Anruf ihres Vaters vergessen, mit dem er sie über Michelinas tragischen Reitunfall informierte: „Ich habe sehr traurige Nachrichten, mein Kind. Vor ihrer geplanten Rückkehr nach Arancia sind Vincenzo und Michelina heute früh noch ausgeritten. Das Pferd der Prinzessin stolperte und warf sie ab. Sie stürzte so unglücklich, dass sie auf der Stelle tot war.“

Michelina tot? Abby kam es wie ein schreckliches Déjà-vu vor, das die Zeit unmittelbar nach dem Tod ihrer Mutter heraufbeschwor. Der arme Vincenzo! Er hatte alles mit angesehen. Sie konnte die Vorstellung kaum ertragen „Oh Dad, er hat seine Frau verloren! Ihr Baby wird seine Mutter nie kennenlernen!“

Sobald ihr Vater freimachen konnte, fuhr er sie ins Krankenhaus, wo Dr. DeLuca sie in Empfang nahm. „Das muss ein schlimmer Schock für Sie sein, meine Liebe. Ich werde Sie zur Beobachtung mindestens für eine Nacht hierbehalten, vielleicht auch länger. Es wird dem Kronprinzen in seinem Schmerz ein Trost sein, zu wissen, dass Sie gut versorgt sind.“

Während der Arzt sich um die nötigen Arrangements kümmerte, wandte Abby sich an ihren Vater. „Vincenzo muss am Boden zerstört sein.“

Ihr Vater küsste sie auf die Stirn. „Natürlich, aber ich mache mir im Augenblick Sorgen um dich. Ich werde bei dir bleiben und deinem Chef sagen, dass du krank bist und ein paar Tage nicht in die Kanzlei kommst.“

„Du kannst nicht bleiben, Dad! Der Fürst braucht dich im Palast.“

„Für heute Nacht übernimmt mein Vertreter. Fürst Guilio ist ganz für seinen Sohn da, und meine Tochter braucht mich. Ende der Diskussion.“

Abby hatte nicht mehr widersprochen und war insgeheim froh gewesen, dass ihr Vater bei ihr geblieben war.

Als sie jetzt im Fernsehen die Ausschnitte von der Beerdigung sah, durchlebte sie alles noch einmal. Vincenzos markantes Gesicht wie versteinert in seiner Trauer – es zerriss ihr erneut das Herz, ihn so verloren und voller Schmerz zu sehen, während er allein hinter dem Sarg zur Kathedrale ging. Er führte Michelinas Lieblingspferd am Zügel, eine braune Stute, die mit einem Überwurf aus rosa Rosen, Michelinas Lieblingsblumen, bedeckt war. Bei dem Anblick kamen Abby wieder die Tränen.

In einer schwarz-goldenen Kutsche folgten Fürst Guilio und Michelinas Mutter, Königin Bianca von Gemelli, zusammen mit Vincenzos Schwester und den Brüdern der verstorbenen Prinzessin. Die Kameras folgten dem Trauerzug in die Kathedrale, und Abby lauschte erneut der Traueransprache des Erzbischofs. Zum Abschluss der bewegenden Übertragung erklang festliches Glockengeläut. Aufgewühlt hörte Abby den Originalkommentar des Fernsehsprechers.

„Für diejenigen Zuschauer, die gerade erst eingeschaltet haben: Sie sehen die Übertragung der Beerdigung Ihrer Königlichen Hoheit Prinzessin Michelina Cavelli, Ehefrau von Kronprinz Vincenzo Di Laurentis von Arancia. Sie starb zu Beginn der Woche infolge eines tragischen Reitunfalls auf den Ländereien des königlichen Palasts des Inselkönigreiches Gemelli. In der Kutsche sehen Sie Seine Majestät Guilio Di Laurentis, Fürst von Arancia, den Schwiegervater der Verstorbenen. Seine Gemahlin, Fürstin Annamaria, starb vor zwei Jahren. An seiner Seite sitzen Prinzessin Gianna Di Laurentis Roselli, seine Tochter, und ihr Gemahl, Graf Roselli von Cinq Terres von Italien. Ihnen gegenüber sitzt Ihre Majestät Königin Bianca Cavelli, die Mutter von Prinzessin Michelina. Ihr Gemahl, König Gregorio Cavelli von Gemelli, ist erst kürzlich verstorben. Ebenfalls in der königlichen Kutsche sitzen Kronprinz Valentino Cavelli von Gemelli und Prinz Vito Cavelli, die Brüder der verstorbenen Prinzessin. An diesem so traurigen Tag für die beiden royalen Familien muss es auch erlaubt sein, über die Zukunft des Fürstentums Arancia zu spekulieren. Nach drei Fehlgeburten hatte die Welt auf die freudige Nachricht gehofft, dass Ihre Königliche Hoheit wieder schwanger wäre. Doch nun hat die Liebesehe zwischen Prinzessin Michelina und Kronprinz Vincenzo allzu früh ein tragisches Ende genommen. Sollten Prinzessin Gianna und ihr Gemahl Graf Enzo Roselli Nachwuchs haben, würde dieses Kind an zweiter Stelle in der Thronfolge …“

Abby schaltete den Fernseher mit der Fernbedienung ab. Sie hätte sich die Ausschnitte von der Beerdigung nicht noch einmal ansehen sollen. Vincenzo schien die Reise gutgetan zu haben. Wahrscheinlich war es an der Zeit, die traurige Vergangenheit ruhen zu lassen und in die Zukunft zu blicken.

Sie klappte ihren Laptop auf, um noch ein wenig zu arbeiten, bevor das Abendessen gebracht wurde. Bis auf ein gelegentliches Essen mit ihrer besten Freundin Carolena aß Abby fast immer in ihrem Apartment im Palast, während sie gleichzeitig an einem ihrer juristischen Fälle arbeitete. Aber an diesem Abend hatte sie keinen großen Appetit.

Wie schwer musste es für Vincenzo sein, in den Palast zurückzukehren, mit der Gewissheit, dass seine Frau nicht mehr da war, um ihn willkommen zu heißen! Es schmerzte sie, sich vorzustellen, wie einsam er sich fühlte.

Nachdem er von Fürst Guilio noch eine dringende Nachricht erhalten hatte, die zu keinem unpassenderen Zeitpunkt hätte kommen können, hatte Vincenzo tatsächlich einen weiteren Grund, Abby aufzusuchen. Als er sich ihrer Tür näherte, kam gerade Angelina mit dem Essenstablett aus ihrem Apartment.

Angelina war zu Abbys persönlichem Schutz abgestellt und kümmerte sich auch sonst um ihr Wohl. Außerdem erstattete sie Vincenzo täglich Bericht, wenn er Abby nicht persönlich sehen konnte. Jetzt hob er im Vorbeigehen die silberne Abdeckung auf dem Tablett und bemerkte besorgt, dass Abby ihr Essen kaum angerührt hatte. Er dankte Angelina und klopfte an die Tür.

„Ja? Gibt es noch etwas, Angelina?“

Er folgte Abbys Stimme ins Wohnzimmer und fand sie an ihrem Schreibtisch, wo sie, lässig bekleidet mit T-Shirt und Jogginghose, an ihrem Laptop arbeitete. Ihr silberblondes Haar schimmerte im Licht der Schreibtischlampe und umschmeichelte in seidigen Kaskaden ihr zartes Gesicht. Ihr Anblick erinnerte Vincenzo ganz und gar nicht an die inzwischen erfolgreiche Anwältin, sondern vielmehr an den bezaubernden Teenager, der im Schloss und im Schlosspark ein und aus gegangen war.

„Abby?“

Sie drehte sich zu ihm um, und er las in ihren ausdrucksvollen blauen Augen die gleiche Traurigkeit, wie er sie nach dem Tod ihrer Mutter gesehen hatte. Ihre Lider waren gerötet, als hätte sie geweint. „Eure Hoheit“, verfiel sie überrascht in die förmliche Anrede, „wie schön, Sie zu sehen!“

Vincenzo winkte sofort ab. „Nenn mich Vincenzo, wenn wir unter uns sind. Schließlich haben wir schon als Halbwüchsige zusammen die Schlossanlagen unsicher gemacht, ohne auf Förmlichkeiten zu achten.“

„Kinder haben in vielerlei Hinsicht Narrenfreiheit.“

„Was mich betrifft, gilt das auch für Leihmütter. Ich kann dir gar nicht sagen, wie ich mich darauf gefreut habe, dich endlich wiederzusehen“, gestand er ehrlich.

„Du siehst aus, als ginge es dir besser.“

Was er von ihr leider nicht behaupten konnte. „Das ist auch so. Aber was ist mit dir? Du hast dein Essen kaum angerührt. Und hast du geweint? Geht es dir nicht gut?“

„Nein, nein, keine Sorge.“ Sie stand auf und reckte sich, was seinen Blick unwillkürlich auf ihre hinreißend weibliche Figur lenkte. „Das hat überhaupt nichts mit meiner Schwangerschaft zu tun. Aber nach der Live-Übertragung von der Eröffnung des Zitronen- und Orangenfests durch dich hat der Sender noch einmal Ausschnitte von der Beerdigung gezeigt. Ich hätte mir das nicht noch einmal ansehen sollen.“ Sie blickte ihn mitfühlend an. „Kaum vorstellbar, wie schlimm es für dich gewesen sein muss.“

Verdammt, konnten die Medien es nicht endlich gut sein lassen? „Ich war in einem schweren Schockzustand und habe lange gebraucht, um es überhaupt zu verstehen und zu akzeptieren.“

Fröstelnd umfasste Abby ihre schmale Taille. Noch war die Schwangerschaft nicht zu sehen. „Michelina hat dich so sehr geliebt, dass sie alles getan hätte, um dir ein Kind zu schenken. Ich denke, nicht jeder Ehemann wird so von seiner Frau geliebt. Und diese wunderbare Erfahrung bleibt dir auf immer.“

Wären nur nicht die Schuldgefühle gewesen, weil er ihre Liebe und Zuneigung nicht in gleicher Weise erwidert hatte. Dennoch wusste er Abbys tröstende Worte zu schätzen. Schließlich konnte sie ja nicht ahnen, dass das, was in der Öffentlichkeit als Liebesheirat zelebriert wurde, tatsächlich nur auf Michelinas Seite Liebe gewesen war, während er ihr ausschließlich freundschaftliche Gefühle entgegengebracht hatte. Unermüdlich hatte sie sich bemüht, so etwas wie Familienglück zu schaffen, sodass er aus Respekt davor letztlich eingewilligt hatte, den Versuch mit einer Leihmutter zu wagen, um Michelina den Kinderwunsch zu erfüllen und dem Fürstenhaus einen Thronfolger zu liefern.

„Warum setzen wir uns nicht?“ Vincenzo nahm in einem Sessel Platz, als Abby sich wieder an den Schreibtisch setzte. „Wie geht es dir denn ehrlich?“

„Gut.“

„Also, ich habe natürlich täglich einen Bericht erhalten, der immer lautete, dass alles in Ordnung sei.“

„Warum habe ich das Gefühl, dass du jetzt schon ein Vater bist, der alles unter Kontrolle haben muss?“, entgegnete sie spöttisch.

„Wenn du damit meinst, dass ich einfach alles wissen will, was mit dieser Schwangerschaft zusammenhängt, und bereit bin, dich mit meinen Fragen zum Wahnsinn zu treiben, dann muss ich mich leider schuldig bekennen. Und da wir uns kennen, seit du zwölf warst, ist es für mich leicht, ganz nahe dran zu sein. Laut Dr. DeLuca war dein Blutdruck nach Michelinas Tod etwas erhöht, hat sich aber inzwischen normalisiert, und er hat mir versichert, dass es dir bestens geht.“

Abbys Augen blitzten verschmitzt. „Es heißt, dass nur dein Arzt wirklich weiß, wie es dir geht – aber vergiss nicht, dass er ein Mann ist und deshalb keine Ahnung hat.“

Vincenzo lachte herzlich. Es war ein wunderbares, befreiendes Gefühl. Er hatte fast vergessen, wie gut es tat. „Ich werde es nicht vergessen.“

„Und was lässt der Leibarzt des Kronprinzen über den Gesundheitszustand des werdenden Vaters verlauten?“

„Beim letzten Check-up war ich geradezu unanständig gesund.“

„Eine gute Nachricht für dein Baby, weil es so auf ein langes und glückliches Leben mit seinem Daddy hoffen kann.“

„Daddy“, so hatte Abby ihren Vater, seit Vincenzo sie kannte, genannt. Die beiden hatten ein so enges, vertrautes Verhältnis, wie man es sich als Eltern nur wünschen konnte. Doch auch Vincenzo hatte in seinem Vater ein wunderbares Vorbild, dem er nacheifern wollte. „He, du schweifst ab. Eigentlich wollte ich die ungeschminkte Wahrheit hören, wie du dich fühlst.“

„Die ungeschminkte Wahrheit, ja? Also schön, ich bin in letzter Zeit sehr müde, fühle mich schon richtig aufgedunsen und wurde endlich von der mal di mare erwischt.“ Sie zwinkerte ihm zu.

Mal di mare, der italienische Ausdruck für Seekrankheit. Wie typisch für Abby, eine spaßige Umschreibung für ihre Schwangerschaftsübelkeit zu finden! Vincenzo lachte mit ihr.

„Dr. DeLuca hat mir etwas dagegen verschrieben und mir ansonsten versichert, dass sich das alles bald von selbst legt. Einmal in der Woche habe ich vor der Arbeit einen Termin in der Klinik, und bisher entwickelt sich alles völlig normal. Kannst du dir vorstellen, dass dein Baby erst einen halben Zentimeter groß ist?“

„Schon so groß?“, entgegnete er neckend. Tatsächlich konnte er immer noch kaum glauben, dass sie überhaupt mit seinem Baby schwanger war. Er wünschte nur, er würde sich nicht so zunehmend zu ihr hingezogen fühlen. Michelinas Tod hatte alles verändert. Ganz sicher musste auch Abby erst damit fertigwerden, dass sie und er diese Schwangerschaft jetzt ohne seine Frau bewältigen mussten. Und ähnlich wie er würde auch sie deshalb von Schuldgefühlen geplagt werden.

Jetzt aber lachte sie. „Es handelt sich um das sogenannte Entwicklungsstadium. Dr. DeLuca hat mir zwei Informationsbroschüren mitgegeben. Diese hier ist für dich, sozusagen ein Grundkurs in weiblicher Anatomie für werdende Väter.“

Unverbesserliche Abby!

Sie nahm das Büchlein aus der Schreibtischschublade und reichte es ihm. „Die zehn Stufen der Schwangerschaft auf einen Blick“, las sie den Titel vor.

„Warum zehn und nicht neun?“

„Es wurde von einer Frau geschrieben, die weiß, wovon sie redet.“

Er wusste ihre leichte, spöttische Art mehr zu schätzen, als ihr vermutlich bewusst war. Nachdem er die Broschüre kurz durchgeblättert hatte, steckte er sie ein. Er würde sie vor dem Einschlafen lesen. „Danke, aber reden wir jetzt lieber über deine Arbeit“, sagte er ehrlich interessiert. „Welcher Fall beschäftigt dich im Moment?“

„Der Fall Giordano. Ich habe da so eine Ahnung, dass jemand aus politischen Gründen seine Initiative blockiert, die bürokratischen Hürden für den Import von Waren nach Arancia zu senken, wovon unser Land in vieler Hinsicht profitieren würde.“

„Gib mir einen Einblick.“

„Du würdest dich zu Tode langweilen.“

Mit Abby langweilte er sich niemals. „Probier es aus.“

Sie entnahm einem der Aktenordner auf ihrem Schreibtisch einen Ausdruck mit einem Abriss des Falls und reichte ihm das Papier. Vincenzo las aufmerksam. Wie schon so oft beeindruckten ihn ihr Wissen und ihr Verständnis von den ökonomischen Problemen seines Landes. „Giuseppe Marsala, der Vertreter der Importeure und Signor Giordanos wichtigster Gegner in dieser Sache, hat einigen Einfluss und gilt in der Handelskammer als erzkonservativ“, meinte er nachdenklich.

Abby zog die Stirn kraus. „Nun, zweifellos ist er ein Vertreter der alten Schule, wohingegen Signor Giordanos Ideen neu und innovativ sind. Marsalas Anwälte spielen erst einmal auf Zeit und lassen mich mit ihrer Stellungnahme warten.“

„Und was planst du als nächsten Schritt?“

„Ich ziehe gegen ihn vor Gericht, um einen Präzedenzfall zu schaffen. Aber die Gerichte sind hoffnungslos überarbeitet, sodass es eine Ewigkeit dauern kann, einen Verhandlungstermin zu bekommen.“

„Wer ist als Richter angesetzt?“

Autor

Rebecca Winters

Rebecca Winters und ihre Familie leben in Salt Lake City, Utah. Mit 17 kam Rebecca auf ein Schweizer Internat, wo sie französisch lernte und viele nette Mädchen traf. Ihre Liebe zu Sprachen behielt sie bei und studierte an der Universität in Utah Französisch, Spanisch und Geschichte und später sogar Arabisch.

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