Harte Schale, sinnlicher Kern - Raue Highlander und irische Krieger (2 Miniserien)

– oder –

 

Rückgabe möglich

Bis zu 14 Tage

Sicherheit

durch SSL-/TLS-Verschlüsselung

MARGARET MOORE - LIEBESERWACHEN IN SCHOTTLAND
Klopfenden Herzens sitzt Esme in der Kutsche, neben ihr Quintus MacLachlann - arrogant und ohne jeden Respekt vor Frauen. Doch wenn sie ihrem Bruder helfen will, muss sie die liebende Gattin des attraktiven Schotten spielen. Plötzlich merkt Esme, dass ihr das immer leichter fällt - hat sie sich etwa in den Lebemann verliebt?

MARGARET MOORE - DIE WILDE SCHÖNE AUS DEN HIGHLANDS
"Ich stehe tief in Ihrer Schuld, Mr. McHeath." Bevor Gordon weiß, wie ihm geschieht, verschließt die sinnliche Lady Moira McMurdaugh seine Lippen mit einem leidenschaftlichen Kuss. Er verfällt der wilden Schönen mit Haut und Haar - ohne zu ahnen, dass sie sich schon bald als erbitterte Feinde gegenübertreten werden …

MICHELLE WILLINGHAM - DIE PRINZESSIN UND DER BASTARDKRIEGER
Irland, 1172. Lady Taryn of Ossoria muss ihren Vater retten: Wegen angeblichen Hochverrats droht ihm der Tod! Verzweifelt bittet sie den mächtigen Krieger Killian MacDubh um Hilfe. Es heißt, der rechtlose Bastardsohn soll ein Herz aus Eis haben. Doch auf der gefahrvollen Reise zum Königshof entdeckt Taryn an dem irischen Krieger eine warme, sinnliche Seite voller Küsse und zärtlicher Leidenschaft. Bis die junge Lady entsetzt erfährt, was er von ihr für die Rettung ihres Vaters verlangt: die Ehe, damit er endlich in den Besitz von eigenem Land kommt! Hat der Bastard wirklich ein Herz aus Eis?

MICHELLE WILLINGHAM - EISKALT VERFÜHRT VOM VERRÄTER
Niemals wird sie sich dem Wunsch ihres Vaters unterwerfen und den König von Irland ehelichen! Bei Nacht und Nebel flieht Lady Carice Faoilin vor ihrer Familie und der Vermählung mit einem groben Gatten. Nach diesem Skandal wird kein Mann sie mehr begehren, davon ist Carice überzeugt. Bis sie in einer einsamen Abtei Raine de Garenne trifft! Das Lächeln des Soldaten schenkt ihr den Glauben an die Liebe wieder - so sehr, dass sie sogar daran denkt, sich ihm in einer Nacht der Leidenschaft hinzugeben. Doch dann muss sich Lady Carice der schlimmsten Erkenntnis stellen: Raine spielt nur mit ihrem Begehren - er will sie eiskalt an den König ausliefern …


  • Erscheinungstag 28.07.2022
  • ISBN / Artikelnummer 9783751515122
  • Seitenanzahl 520
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Cover

Margaret Moore, Michelle Willingham

Harte Schale, sinnlicher Kern - Raue Highlander und irische Krieger (2 Miniserien)

IMPRESSUM

Liebeserwachen in Schottland erscheint in der HarperCollins Germany GmbH

Cora-Logo Redaktion und Verlag:
Postfach 301161, 20304 Hamburg
Telefon: +49(0) 40/6 36 64 20-0
Fax: +49(0) 711/72 52-399
E-Mail: kundenservice@cora.de

© 2010 by Margaret Wilkins
Originaltitel: „Highland Rogue, London Miss“
erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London
Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

© Deutsche Erstausgabe in der Reihe HISTORICAL SAISON
Band 9 - 2012 by Harlequin Enterprises GmbH, Hamburg
Übersetzung: Eleni Nikolina

Umschlagsmotive: Swen_Stroop/GettyImages, kostins/GettyImages

Veröffentlicht im ePub Format in 04/2019 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 9783733746223

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.
CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:
BACCARA, BIANCA, JULIA, ROMANA, HISTORICAL, TIFFANY

 

Alles über Roman-Neuheiten, Spar-Aktionen, Lesetipps und Gutscheine erhalten Sie in unserem CORA-Shop www.cora.de

 

Werden Sie Fan vom CORA Verlag auf Facebook.

1. KAPITEL

London, März 1817

Esme McCallan ging ungeduldig im Anwaltsbüro in Staple Inn auf und ab. Hinter der geschlossenen Tür hörte sie die gedämpften Stimmen und Schritte der Klienten anderer Anwälte. Einige dieser Schritte klangen genauso schnell wie ihre eigenen, andere langsam und schlurfend und mutlos.

Ihr Bruder war nicht gekommen.

Esme hasste es, zu warten, was Jamie sehr wohl wusste. Und doch war es jetzt bereits fast halb vier an einem nassen, kühlen Nachmittag, und Jamie war nicht zu ihrem Treffen erschienen, obwohl er selbst diese Zeit festgelegt hatte. Es gab nur eins, was sie noch mehr aufbringen konnte, und …

Ausgerechnet das geschah jetzt auch.

Quintus MacLachlann kam in das Büro geschlendert, ohne auch nur höflichkeitshalber an die Tür zu klopfen. Natürlich hatte Esme ihn nicht gehört. Der Mann bewegte sich so lautlos wie eine Raubkatze.

Mit einer braunen Wolljacke, indigoblauer Weste, einem weißen Hemd, das er am Hals offen trug, und weiter heller Hose angetan, konnte man leicht denken, er sei ein Bauernsohn und verdiene sich seinen Lebensunterhalt mit dem Faustkampf. Nur seine Stimme und feudalherrschaftliche Selbstgefälligkeit ließen darauf schließen, er sei etwas anderes. In Wahrheit war er der in Ungnade gefallene, lasterhafte Sohn eines schottischen Edelmannes, der jedes Privileg vertan hatte, das ihm das Vermögen und die Stellung seiner Familie verschafften.

„Wo ist Jamie?“, fragte er mit jener Mischung aus Arroganz und Vertrautheit, die sie besonders ärgerlich fand.

„Ich weiß es nicht.“ Sie setzte sich auf den Rand des kleinen Stuhls mit der ovalen Rückenlehne, den ihr Bruder seinen Klienten zur Verfügung stellte. Esme glättete eine Falte ihrer dunkelbraunen Pelisse und schob ihren schlichten Hut um einen Hauch zur Seite, damit er genau in der Mitte ihres glatt gescheitelten braunen Haars lag.

„Das sieht ihm nicht ähnlich“, bemerkte MacLachlann unnötigerweise, während er sich an die Regale lehnte, die Jamies Gesetzbücher enthielten. „Hatte er einen Termin mit jemandem?“

„Ich weiß es nicht“, wiederholte sie und schalt sich insgeheim für ihre Unwissenheit. „Ich bin nicht über jeden Termin meines Bruders informiert.“

MacLachlanns sinnliche Lippen verzogen sich zu einem vermessenen Grinsen. Seine blauen Augen funkelten spöttisch. „Was denn, die Mutterhenne weiß nicht über jede einzelne Bewegung ihres Kükens Bescheid?“

„Ich bin nicht Jamies Mutter, und da Jamie ein erwachsener Mann ist und über einen klugen Verstand und Bildung verfügt, die er nicht verschwendet hat, führe ich nicht über jede seiner Bewegungen Buch.“

Ihre Worte hatten offensichtlich nicht die geringste Wirkung auf ihn, da er weiterhin lächelte. „Nein? Nun, jedenfalls ist er bei keiner Frau, es sei denn, sie wäre seine Klientin. Tagsüber gibt er sich niemals derlei Dingen hin.“

Esme presste die Lippen zusammen.

„Noch etwas also, das die Mutterhenne nicht weiß, was?“, zog er sie auf.

„Das Privatleben meines Bruders geht mich nichts an.“ Sie straffte die Schultern und bedachte MacLachlann mit einem verächtlichen Blick. „Wenn ich mich in all seine Angelegenheiten einmischen wollte, würde ich auch wissen, warum er es sich je hat einfallen lassen, einen Galgenstrick wie Sie einzustellen.“

In MacLachlanns blauen Augen erschien ein Leuchten ganz anderer Art. „Soll mich das verletzen, mein kleiner Honigkuchen?“ Er verstärkte seinen schottischen Akzent ein wenig und benutzte einen Kosenamen, den Esme von ganzem Herzen verabscheute. „Wenn ja, dann haben Sie Ihr Ziel völlig verfehlt. Ich bin schon auf eine Weise beleidigt worden, bei der Ihnen die Haare zu Berge stehen würden.“

Unbewusst ihr Haar berührend, wandte Esme sich von ihm ab und sah angestrengt aus dem Fenster, das auf den matschigen Hausgarten blickte, in dem noch wenig auf den Frühling hindeutete, ließ sich aber nicht dazu herab, MacLachlann zu antworten.

Sie musste unbedingt mit Jamie über MacLachlanns Unverschämtheit reden. Sollte er nicht bereit sein, sie mit dem gebührenden Respekt zu behandeln, so gab es gewiss noch andere Männer in London, die ebenso in der Lage waren, an Informationen zu kommen. Ihr Bruder brauchte nicht MacLachlann damit zu beauftragen, selbst wenn er auf dieselbe Schule gegangen war wie er.

Selbstzufrieden grinsend ging MacLachlann gelassenen Schrittes zum Schreibtisch und tippte mit dem Finger auf die Dokumente, die Esme dort hingelegt hatte. „Ich frage mich, was die Klienten Ihres Bruders sagen würden, wenn sie wüssten, dass seine Schwester im Grunde auch seine Partnerin in der Kanzlei ist? Dass es eine Frau ist, die die Verträge, Testamente und Überschreibungen aufsetzt und den größten Teil der Recherche für ihn erledigt?“

Esme sprang empört auf. „Ich helfe ihm lediglich dabei, den ersten Entwurf der Dokumente abzufassen und rechtliche Präzedenzfälle zu suchen. Jamie verfasst immer selbst die endgültigen Dokumente und überprüft alles, was ich tue. Wenn Sie es wagen sollten, etwas anderes zu sagen oder auch nur anzudeuten, werden wir Sie wegen übler Nachrede anzeigen. Nicht, dass Sie in der Lage sein würden, Schadensersatz zu zahlen.“

„Beruhigen Sie sich, Miss McCallan. Sie brauchen Ihr Gesetzbuch nicht zu bemühen“, erwiderte MacLachlann auf seine höchst herablassende Weise. „Ich werde niemandem von der Arbeit erzählen, die Sie für Ihren Bruder tun.“ Sein gewohnt spöttisches Lächeln verschwand für einen Moment. „Dafür schulde ich ihm zu viel.“

Aber was?, hätte sie ihn am liebsten gefragt. Jamie hatte ihr nie genau erklärt, wo er MacLachlann in London begegnet war. Er hatte damals einfach nur den offensichtlich betrunkenen Mann nach Hause gebracht, ihn im Gästezimmer untergebracht und ihm Arbeit als eine Art ermittelnden Partner gegeben. Selbstverständlich hatte Esme Fragen an ihn gehabt, von denen Jamie die meisten nicht hatte beantworten wollen. Er hatte nur zugegeben, dass MacLachlann schwere Zeiten durchgemacht und sich von seiner Familie entfremdet hatte. Erst später erfuhr sie aus zufällig belauschten Gesprächsfetzen zwischen den beiden Männern, dass MacLachlann seiner Familie durch seine nichtsnutzige Lebensweise Schande gemacht hatte.

Ebenso hatte sie herausgefunden, dieses Mal durch eigene Beobachtung, wie charmant er sein konnte, wenn er wollte, besonders zu Frauen, die sich daraufhin benahmen, als hätte er ihnen auf irgendeine Art den Verstand benebelt.

Auf sie selbst traf das natürlich nicht zu. Sie war viel zu wachsam und skeptisch, um sich von seinem seichten Charme einlullen zu lassen – wenn er je versucht hätte, das zu tun.

Sie blickte auf die vergoldete Uhr auf dem Kaminsims und sah, dass es nun bereits fast vier Uhr war.

„Wir sind recht ungeduldig, was?“, erkundigte er sich.

„Sie mögen ja nichts Besseres zu tun haben, als hier Ihre Zeit zu vertrödeln“, erwiderte sie und machte sich auf den Weg zur Tür, „ich hingegen sehr wohl. Guten Tag.“

„Was, Sie wollen mich hier ganz allein zurücklassen?“, fragte MacLachlann in gespielter Betroffenheit.

„Ja, und zwar mit Vergnügen“, fuhr sie ihn an, öffnete die Tür und stieß fast mit Jamie zusammen.

„Ah, hier seid ihr beide ja. Und noch nicht einander an die Kehle gegangen“, sagte ihr unpünktlicher Bruder lächelnd. Sein schottischer Akzent war heute etwas deutlicher, was Esme verriet, dass er trotz seiner offensichtlich guten Laune wegen etwas aufgebracht sein musste.

„Ich habe die Dokumente gebracht, die du wolltest“, sagte sie neugierig, aber nicht bereit, mit ihrem Bruder darüber zu sprechen, solange MacLachlann mit ihnen in einem Raum war. „Ich habe einen interessanten Präzedenzfall aus dem Jahr 1602 gefunden, in dem es um ein Schaf ging, dessen Besitzer …“

Jamie hängte seinen Hut an einen Haken neben der Tür. „Um Mrs Allens Klage kümmere ich mich morgen.“ Er fuhr sich mit der Hand durch das kurze braune Haar, während er um den zerkratzten uralten Schreibtisch herumging, den sie gebraucht gekauft hatten. „Ich danke dir natürlich, dass du mir die Papiere gebracht hast, aber es gibt da eine andere Angelegenheit, bei der ich sehr hoffe, dass ihr beide mir helfen werdet.“

Ein hastiger Blick in MacLachlanns Richtung zeigte ihr, dass er ebenso wenig darauf erpicht war, etwas mit ihr zu tun zu haben wie sie mit ihm.

„Setz dich, Esme, und lass mich erklären. Du auch, Quinn, wenn du so freundlich wärst.“

Hin und her gerissen zwischen Neugier und Furcht, tat Esme ihm den Gefallen. Wieder saß sie nur auf dem äußersten Rand des Stuhls, während MacLachlann auf einem nicht weniger kleinen ihr gegenüber Platz nahm und sich nach hinten lehnte, sodass das ganze Gewicht auf den beiden Hinterbeinen lag.

„Sie werden den Stuhl noch zerbrechen, wenn Sie sich weiter auf diese Weise nach hinten lehnen“, warf Esme ihm vor.

„Wollen wir wetten?“ Wieder dieses spöttische Lächeln, das sie so hasste.

Esme antwortete nicht.

„Ich habe euch hergebeten“, begann Jamie, als hätte keiner von beiden etwas gesagt, „weil ich eure Hilfe brauche in einer Sache, die juristischen Sachverstand und Diskretion verlangt … sowie die Notwendigkeit zur Täuschung.“

„Täuschung?“, wiederholte Esme beunruhigt.

„Sie werden doch wohl nicht so naiv sein und glauben, das Gesetz nähme nicht gelegentlich Zuflucht zu dem einen oder anderen Winkelzug“, warf MacLachlann ein. „Zumindest wenn es darum geht, Tatsachen herauszufinden, die einige Leute vorziehen würden, für sich zu behalten.“

„Ich verstehe sehr wohl, dass es Dinge geben kann, die aufgespürt werden müssen, aber Täuschung klingt illegal“, protestierte sie.

MacLachlann verdrehte die Augen und sah aus, als wollte er etwas hinzufügen, doch Jamie kam ihm zuvor. „Es ist nicht die Methode, die ich bevorzugen würde, Esme. Leider fürchte ich, dass in diesem Fall Täuschung der einzige Weg ist, das herauszufinden, was ich wissen muss. Gewiss ist es die schnellste Methode, und je schneller die Sache zu Ende gebracht ist, desto besser.“

Esme zwang sich, ihre Bedenken und ihre Abneigung gegen MacLachlann zu verdrängen und ihrem Bruder zuzuhören.

„Ich bekam heute Morgen einen Brief aus Edinburgh. Catriona McNare braucht meine Hilfe.“

Esme war fassungslos. „Lady Catriona McNare bittet dich um deine Hilfe? Nach allem, was sie dir angetan hat?“

Kaum merklich zuckte Jamie zusammen. Obwohl Esme ihre Entrüstung für mehr als gerechtfertigt hielt, tat es ihr doch leid, dass sie nicht behutsamer gewesen war.

„Sie braucht die Hilfe von jemandem, dem sie vertrauen kann, und das Urteil eines Anwalts“, erklärte er. „An wen hätte sie sich sonst wenden sollen?“

An jeden außer dich, dachte Esme trotzig und dachte an den Abend, als Catriona McNare ihre Verlobung mit Jamie gelöst hatte.

Der arme Jamie war leichenblass gewesen, am Boden zerstört. Esme hatte die ganze Nacht vor seiner Schlafzimmertür verbracht, aus Angst, er könnte sich etwas antun.

„Es gibt genügend Anwälte in Edinburgh“, sagte sie.

Die sonst so mild blickenden braunen Augen ihres Bruders nahmen einen ungewohnt entschlossenen Ausdruck an. „Catriona hat um meine Hilfe gebeten, und sie wird sie bekommen.“

„Hilfe wobei?“ MacLachlanns Frage erinnerte Esme wieder an seine Anwesenheit.

Ein nachdenklicher Ausdruck hatte sein spöttisches Lächeln ersetzt, und die Veränderung war bemerkenswert. Sie bedeutete nicht direkt eine Verbesserung, denn MacLachlann war in jedem Fall – ob nun spöttisch grinsend oder nicht – ein gut aussehender Mann. Allerdings wies sie darauf hin, dass doch ein gewisses Maß an Aufrichtigkeit in ihm steckte.

Wahrscheinlich etwa ein Teelöffel voll.

„Wie es aussieht, hat ihr Vater finanzielle Verluste erlitten“, erklärte Jamie. „Leider weigert sich der Earl, sich ihr anzuvertrauen oder zu enthüllen, was er mit seinem Geld getan hat oder was für Dokumente er unterschrieben hat. Sie fürchtet, die Situation könnte sich verschlimmern, wenn nicht etwas unternommen wird. Ich würde selbst nach Edinburgh reisen. Aber wenn ich dort erscheine und Nachforschungen betreibe, wird man sich fragen, warum ich es tue. Dich allerdings kennt niemand, Esme. Bisher war nie die Gelegenheit, dich jemandem vorzustellen, bevor …“ Er hielt kaum merklich inne. „Bevor wir nach London abreisten.“

Um ein neues Leben zu beginnen, dachte Esme bedrückt, weit entfernt von Lady Catriona McNare.

„Ich traue niemandem mehr zu, juristische Dokumente richtig einzuschätzen, als dir, Esme“, fuhr er fort. „Du wirst in der Lage sein zu erkennen, ob irgendetwas nicht stimmt mit den Papieren, die der Earl unterschrieben hat.“

„Und wie ich annehme, willst du, dass ich die Papiere an mich nehme?“, fragte MacLachlann.

„Ich will nicht, dass du sie stiehlst“, machte Jamie klar – sehr zu Esmes Erleichterung. „Du sollst nur Esme in das Haus des Earls einschleusen, damit sie sich die Papiere ansehen kann.“

Ihre Erleichterung war leider sehr kurzlebig gewesen.

„Was genau meinst du damit, ‚in das Haus des Earls einschleusen‘?“, verlangte sie zu wissen. „Einbruch ist gegen das Gesetz und wird bestraft mit …“

„Ich sagte nichts von Einbruch“, unterbrach Jamie sie. „Ich möchte lediglich, dass Quinn dir hilft, an die Dokumente zu kommen, sodass du sie lesen kannst.“

„Deswegen auch der Ausdruck Täuschung“, warf MacLachlann ein.

„Aber was für eine Art von Täuschung?“, beharrte Esme.

„Wir brauchen einen Vorwand, um dich in das Haus des Earls zu bekommen, ohne dass du Verdacht erweckst. Wenn ich dort nicht gern gesehen bin – und das bin ich gewiss nicht –, ist es meine Schwester auch nicht“, sagte Jamie. „Quinn, du hast mal erwähnt, dass dein älterer Bruder seit zehn Jahren auf den Westindischen Inseln lebt. Aber er besitzt noch ein Stadthaus in Edinburgh. Mir kam der Gedanke, wenn er jemals nach Edinburgh zurückkehren würde, würde er doch bestimmt als Earl of Dubhagen zu allen Festen und Abendveranstaltungen und so weiter eingeladen werden, die Catriona und ihr Vater geben. Wie ich hörte, sehen sich alle Söhne des Earl of Dubhagen ausnehmend ähnlich, also dachte ich …“

MacLachlann zuckte zusammen, als hätte Jamie ihn geschlagen. „Du willst, dass ich mich für Augustus ausgebe?“

„Kurz gesagt, ja. Und da dein Bruder verheiratet ist, brauchst du eine Frau.“

Was das bedeutete, entsetzte Esme zutiefst.

„Nein!“, rief sie und sprang auf die Füße. Die Vorstellung, sich als MacLachlanns Frau ausgeben zu müssen, war aberwitzig. „Das ist lächerlich! Und ungesetzlich! Es muss doch einen anderen Weg geben. Irgendeinen legalen Weg, um …“

„Vielleicht. Wenn wir wüssten, was genau sich abspielt, wer dahintersteckt und ob es überhaupt ungesetzlich ist“, erwiderte Jamie mit bemerkenswerter Gelassenheit. „Es könnte sein, dass Catriona sich irrt und die Verluste ihres Vaters einfach auf falsche Geschäftsentscheidungen zurückzuführen sind. Wenn er gesetzlich dazu berechtigt ist, diese Entscheidungen zu treffen, kann sie nichts dagegen unternehmen. Aber sie muss es wissen, so oder so. Und diese Hilfe gedenke ich ihr zu geben – oder vielmehr hoffe ich, sie von euch zu bekommen.“

„Aber warum müssen wir uns als jemand anders ausgeben?“, protestierte Esme. „MacLachlann gehört doch noch immer zum Adel, oder etwa nicht? Würden sie ihn denn nicht einladen? Können wir nicht sagen, ich sei eine Freundin der Familie auf Besuch? Warum müssen wir lügen?“

„Ich bin ein in Ungnade gefallener, von seiner Familie verstoßener Adliger“, sagte MacLachlann ohne einen Hauch von Scham oder Reue. „Ich kann mich nicht mehr in denselben gesellschaftlichen Kreisen bewegen wie früher. Augustus und seine Frau allerdings schon.“

Zu ihrem Entsetzen schien diese unglaubliche Intrige ihn nicht besonders zu verärgern.

„Und wenn wir erwischt werden?“, wandte sie ein. „Ich gehe nicht für Catriona McNare ins Gefängnis!“

„Die Absicht habe ich auch nicht“, stimmte MacLachlann ihr mit gewohnter Ruhe bei. „Da ich mich allerdings nur für meinen Bruder ausgeben werde, gibt es nichts zu befürchten. Jamie wird bedacht haben, als er sich diesen Plan einfallen ließ, wie sehr mein Bruder Skandale verabscheut. Er würde nie seinen eigenen Bruder anzeigen und viel eher behaupten, dass ich mir bei dieser Sache einen meiner geschmacklosen Scherze erlaubt habe.“

Esme war nicht zufrieden. „Ihr Bruder mag Sie ja nicht ins Gefängnis werfen wollen, aber in meinem Fall hat er vielleicht keine solchen Skrupel.“

„Keine Sorge, mein kleiner Honigkuchen“, sagte MacLachlann. „Ich weiß einige Dinge aus der Vergangenheit meines lieben Bruders, die er gewiss nicht veröffentlicht sehen möchte. Das wird auch Sie vor jeder Strafverfolgung schützen.“

„Die Leute werden aber doch gewiss sehen, dass ich nicht die Frau des Earls bin.“

„Keiner in Edinburgh hat sie je zu Gesicht bekommen. Sie begegneten sich und heirateten auf den Westindischen Inseln.“

MacLachlann klang, als könnte es keine weiteren Einwände mehr geben. Doch gab es andere Dinge zu bedenken – und zwar sehr wichtige, wenn sie zusammenleben sollten wie Mann und Frau. Sie würden im selben Haus wohnen, dieselben Räume teilen. Die Menschen würden sogar annehmen, dass sie sehr viel mehr als das teilten. Wer konnte denn ahnen, ob ein anziehender Frauenheld wie MacLachlann das nicht ebenfalls annehmen würde? Dass er das Recht hätte … Dass sie womöglich sogar erpicht darauf wäre?

Der Gedanke war erschreckend. Ja, entsetzlich und fürchterlich, abgesehen davon, dass sie sich nie von ihm oder irgendeinem anderen Mann verführen lassen würde, wie attraktiv und charmant er auch sein mochte. „Ich habe nicht den Wunsch, mich als Ihre Frau auszugeben!“, erklärte sie entschieden.

MacLachlann hob kühl eine Augenbraue. „Nicht einmal, da Ihr Bruder Sie bittet?“

Gegen dieses Argument war sie machtlos, und das wusste er.

„Esme“, sagte Jamie leise. „Lass gut sein. Ich sehe, mein Plan würde nicht funktionieren.“

Er kam zu ihr und nahm ihre Hände. Nur ein einziges Mal vorher hatte sie diesen Ausdruck der Niedergeschlagenheit in Jamies Augen gesehen, doch dieses Mal war sie schuld daran. „Ich weiß, ich verlange zu viel, wenn du dich also weigerst, nehme ich es dir nicht übel. Quinn und ich werden uns etwas anderes einfallen lassen, um die Information zu bekommen, die wir suchen.“

Das stimmte vielleicht sogar. Aber es könnte dazu führen, dass Jamie wieder nach Edinburgh zurückkehren musste – und in die Nähe von Lady Catriona, die ihm erneut das Herz brechen oder die alte Wunde aufreißen würde.

Esme machte sich nichts vor: Jamies Plan war riskant, und sie wollte Lady Catriona nicht helfen. Doch wie konnte sie ihrem Bruder eine Bitte abschlagen, wenn er bisher noch nie etwas von ihr verlangt hatte? Er war ihr einziger Verwandter. Ihre Mutter war an einem Fieber nur zwei Tage nach Esmes Geburt gestorben und ihr Vater an einem Herzleiden, als Esme zwölf und Jamie achtzehn Jahre alt gewesen waren. Jamie hatte damals als Gehilfe in einem Anwaltsbüro gearbeitet. Seitdem war er ihr ein liebevoller Bruder gewesen, der ihr Freiheiten erlaubte, die nur wenige Männer gebilligt hätten. Was war dieses Risiko schon im Vergleich zu allem, was er für sie getan hatte, und die Art, wie er sie praktisch als Anwalt praktizieren ließ? „Na schön, Jamie, ich tu’s.“

MacLachlann zupfte einen unsichtbaren Fussel von seinem Ärmel. „Nachdem das geklärt ist, schreibe ich dem Anwalt meines Bruders und lasse ihn wissen, dass der Earl of Dubhagen beschlossen hat, nach Edinburgh zurückzukehren. Ich werde ihn anweisen, Personal einzustellen und das Haus für unsere Ankunft vorbereiten zu lassen.“

Er wandte sich an Jamie, als wäre Esme nicht anwesend: „Deine Schwester wird eine neue Garderobe brauchen. Ihre eigene ist kaum angemessen für die Frau eines Earls.“

So gern Esme ihm widersprochen hätte, sah sie ein, dass ihre bescheidene Kleidung weder modisch noch kostspielig genug war, um die Gesellschaft in Edinburgh zu täuschen.

„Esme wird neu eingekleidet werden“, versicherte Jamie MacLachlann, während er zu seinem Schreibtisch ging. „Du solltest dir ebenfalls eine neue Garderobe zulegen. Ich bezahle die Mietkutsche, die euch nach Edinburgh bringen soll. Und ihr werdet natürlich auch Haushaltsausgaben haben.“

Er schrieb den Scheck auf eine Summe aus, die Esme nach Luft schnappen ließ. Jamie hatte sich bisher allein um ihre Finanzen gekümmert, also wusste sie nur wenig über diesen Teil seiner Arbeit. Sie bekam ein mehr als großzügiges Nadelgeld und hatte immer genug für die Bedürfnisse des Haushalts zur Verfügung gehabt, aber sie versuchte trotz allem, so sparsam wie möglich zu wirtschaften. Und jetzt musste sie mit ansehen, wie er einem Mann wie MacLachlann so viel Geld überreichte!

Noch ärgerlicher fand sie, dass MacLachlann den Scheck an sich nahm, ohne auch nur mit der Wimper zu zucken.

„Danke, Sir“, meinte er nur salopp. „Wann sollen wir abreisen?“

„Meinst du, du könntest in einer Woche so weit sein?“

„Ich schon, die Frage ist, ob meine reizende Gattin es kann.“

Esme knirschte insgeheim mit den Zähnen, sagte sich aber, dass sie MacLachlanns Frechheit Jamie zuliebe erdulden musste. „Ich werde bereit sein.“

„Die Kutsche wird in einer Woche vor unserem Haus stehen“, teilte Jamie ihm mit. „Komm so früh wie möglich, damit ihr einen guten Teil des Wegs hinter euch legen könnt.“

„Dein Wunsch sei mir Befehl“, entgegnete MacLachlann, schon auf dem Weg zur Tür. Dort blieb er kurz stehen und verbeugte sich dramatisch vor ihnen. „Und somit, mein kleiner Honigkuchen und liebster Scheinschwager, sage ich bis zu unserer Abreise Adieu. Ich wünschte nur, ich könnte meine liebreizende Braut auf unseren Ahnensitz in den Highlands entführen. Im Frühling ist es dort sehr schön. Doch ich fürchte, die knappe Zeit wird es nicht erlauben.“

Der Schurke genoss das Ganze viel zu sehr!

„Vorsicht, mein Liebes.“ MacLachlann richtete sich wieder auf. „Wir wollen doch nicht, dass dir dieser höchst unschmeichelhafte Ausdruck auf deinem hübschen Gesicht noch zur Gewohnheit wird.“

Und damit verließ er unbekümmert den Raum.

Esme drehte sich sofort zu ihrem Bruder um, doch er kam ihr mit der für ihn so charakteristischen Aufrichtigkeit zuvor. „Ich weiß es wirklich zu schätzen, dass du dieses Risiko für mich eingehst, Esme. Und ich bin dankbarer, als ich es ausdrücken kann.“

Ihr Ärger ließ nach, aber sie musste ihre Befürchtungen aussprechen. „Das war eine große Summe, die du diesem Mann einfach so übergeben hast, Jamie.“

„Sie wird sorgsam ausgegeben werden. Und was übrig bleibt, wird er mir ordnungsgemäß zurückerstatten“, entgegnete ihr Bruder.

Er trat an seinen Schreibtisch, öffnete die oberste Schublade und holte einen Ordner heraus, den Esme noch nie gesehen hatte. „Quinn führt sorgfältig Buch über alle seine Ausgaben, wenn er einen Auftrag für mich ausführt. Ich weiß immer, wo jeder Penny geblieben ist. Hier, sieh selbst.“

Er öffnete das in Leder gebundene Buch und drehte es zu ihr herum. Auf den mit Lineal gezogenen Linien waren in einer sogar noch saubereren Handschrift als ihrer die Ausgaben aufgeführt.

Oberflächlich betrachtet sah die Liste ausgesprochen umfassend aus. Selbst ein Laib Brot und ein Glas Bier zum Abendessen waren aufgeschrieben worden. Und dennoch … „Wie kannst du sicher sein, dass er das Geld wirklich auf diese Weise verwendet hat?“, fragte Esme.

„Belege. Er gibt mir für alles Belege. Ich habe sie hier.“ Jamie öffnete eine weitere Schublade und wies auf einen noch größeren Ordner.

„Nun gut, er mag ja verantwortungsbewusst sein, was seine Ausgaben angeht“, räumte sie ein, „aber andere Elemente seines Charakters, seiner Vergangenheit sind bei Weitem nicht so mustergültig.“

„Ich kann nicht leugnen, dass er Fehler begangen hat. Auch er gibt es offen zu. Aber er hat kein Verbrechen begangen, und der einzige Mensch, dem er mit seinem Tun geschadet hat, ist er selbst.“

„Und doch hat seine eigene Familie ihn verstoßen, oder?“

„Für die es ein größerer Verlust ist als für ihn. Er hatte eine sehr unglückliche Kindheit, Esme.“

„Seine Familie ist reich und vornehm. Viele Menschen wachsen unter sehr viel schlimmeren Umständen auf, entscheiden sich aber nicht dafür, ihr Geld zu verspielen oder ihre Tage beim Nichtstun und Trinken zu vergeuden.“

„Ein Junge, der in Reichtum aufwächst, kann dennoch einsam und unglücklich sein“, wandte ihr Bruder ein. „Er benutzt seine Kindheit auch nie als Entschuldigung. Tatsächlich spricht er nur sehr selten davon. Ich habe darüber eher von Freunden in der Schule erfahren als von ihm.“

Jamie legte den Ordner zurück und heftete den Blick ernst auf Esme. „Er mag viel getrunken und gespielt haben, aber das war in der Vergangenheit. Jetzt halte ich ihn für absolut vertrauenswürdig. Was immer ich ihm aufgetragen habe, hat er zu meiner größten Zufriedenheit erledigt.“ Er setzte sich auf die Kante seines Schreibtischs. „Er empfindet sogar Reue, selbst wenn er es nur selten zeigt. Weißt du, wo ich ihn fand in jener Nacht, als ich ihn nach Hause brachte?“

Sie schüttelte den Kopf.

„Auf der Tower Bridge. Er hat mir nie erzählt, was er da tat, aber die Art, wie er dort stand und auf das Wasser hinabblickte …“ Jamie wandte den Kopf und sah nachdenklich aus dem Fenster. „Wenn ich nicht nach ihm gesucht und ihn gefunden hätte …“

Quintus MacLachlann war im Begriff gewesen, sich das Leben zu nehmen? Dass ein Mann von solcher Lebendigkeit dazu in der Lage sein könnte, konnte Esme sich nur schwer vorstellen.

„Dem Himmel sei Dank, dass ich ihn fand. Es vergeht kein Tag, da ich nicht unglaublich froh darüber wäre.“ Jamie erhob sich, den Blick wieder forschend auf Esme gerichtet. „Ist das aber alles, was dir Sorge macht? Oder glaubst du, er könnte sich Freiheiten bei dir herausnehmen? Wenn ja, dann kannst du dich beruhigen. Es hat viele Frauen in seinem Leben gegeben, ich weiß. Aber bei keiner hat er sich grausam oder rücksichtslos verhalten. Wäre das auch nur im Entferntesten möglich, würde ich dich nie mit ihm gehen lassen, ganz besonders in der Rolle seiner Gattin. Außerdem, sollte es eine Frau auf dieser Welt geben, die gegen jede Verführung immun sein dürfte, dann doch du.“

Ja, sie würde immun gegen jede versuchte Verführung sein, besonders von einem Mann, der sie ständig ärgerte und verspottete.

Jamie legte ihr die Hände auf die Schultern. „Du kannst ihm vertrauen, Esme. Bitte glaube mir, wenn ich sage, dass hinter Quinns nachlässiger Fassade ein guter, ehrlicher Mann steckt. Sonst würde ich dich nie mit ihm nach Edinburgh reisen lassen.“

Esme nickte. Sie wollte Jamie ja glauben. Sie wollte glauben, dass sie mit einem vertrauenswürdigen Mann und für einen guten Zweck nach Edinburgh gehen würde.

Aber insgeheim wünschte sie, Catriona McNare und Quintus MacLachlann wären niemals geboren worden.

2. KAPITEL

Eine Woche später ging Quinn, ehemals als der Honourable Quintus Aloysius Hamish MacLachlann bekannt, auf dem Weg zu Jamie McCallans Stadthaus lässig die Straße entlang. In seiner neuen Kleidung – Pantalons, einem strahlend weißen Leinenhemd, schwarzer Seidenkrawatte, einer schwarzgrau gestreiften Satinweste und schwarzem Gehrock – wirkte er wie der modische Gentleman par excellence. In der Hand trug er eine Reisetasche, die beim Gehen gegen seinen Oberschenkel stieß.

Jamies gepflegtes Zuhause befand sich am Rand von Mayfair, nicht zu weit entfernt, um beim ton als unmodisch zu gelten, und weit genug, dass ein Mann von Jamies offensichtlich guten Einkünften es sich leisten konnte.

Als Quinn die Stufen zur Haustür hinaufstieg und den glänzend polierten Klopfer anhob, bewegte sich der Vorhang im vorderen Erkerfenster – völlig unauffällig, doch Quinn bemerkte es. Offenbar hielt jemand Ausschau.

Esme, zweifellos. Die Frau war wie ein Gefängniswärter. Ganz abgesehen davon, dass sie voller Vorurteile steckte und immer bereit war, das Schlimmste von ihm zu denken, trotz all seiner Bemühungen und trotz der wichtigen Aufträge, die er für ihren geliebten Bruder erledigte.

Da sie ihn also so gering einschätzte, wen wunderte es, dass er versucht war, sie mit den ungeheuerlichsten Bemerkungen zu reizen?

Jamies Butler, ein hochgewachsener, schlanker Mann unbestimmten Alters, öffnete die Tür und nahm ihm Hut und Koffer ab. „Man erwartet Sie im Salon, Sir.“

„Danke.“ Flüchtig warf Quinn einen Blick in den Spiegel, an dem er auf dem Weg zum Salon vorbeikam. In diesem Aufzug sah er tatsächlich aus wie sein Bruder, zumindest war er ihm ähnlich genug, um die List gelingen zu lassen.

Der Salon war genauso sauber und ordentlich wie die Vorhalle und schlicht, aber geschmackvoll eingerichtet, kaum ein Porzellanfigürchen oder sonstiger Schnickschnack nahm hier Platz fort. Quinn fiel auf, dass er noch nie Staub oder gar Schmutz in Jamies Haus oder Büro bemerkt hatte. Wahrscheinlich waren sogar Staub und Schmutz zu eingeschüchtert von Jamies Schwester, um länger zu verweilen. Bücher gab es allerdings in Hülle und Fülle, und die wenigen Möbel waren von guter Qualität. Das Sofa und die Sessel wirkten bequem, und der Kaminsims …

Esme stand am Kamin, aber eine Esme, wie er sie noch nie gesehen oder sich auch nur vorgestellt hatte. Sie hatte den Blick gesenkt, sodass die langen Wimpern ihre rosigen Wangen berührten. Gekleidet war sie in ein eng anliegendes Reisekostüm aus weicher blassblauer Wolle, das ihre schlanke, wohlgeformte Figur besonders zur Geltung brachte. Das Mieder, eingefasst mit einem scharlachroten Band, betonte vollkommene Brüste. Unter einem reizenden, mit kleinen Rosen geschmückten Hütchen schauten schimmernde kastanienbraune Locken hervor, von denen einige ihre Wangen und ihren Nacken berührten.

Esme sah jung, hübsch, frisch und bescheiden aus – ein wahres Bild jugendlicher Weiblichkeit –, bis sie den Blick hob und ihn aus braunen Augen wütend betrachtete.

„Wenigstens haben Sie daran gedacht, sich zu rasieren, wie ich sehe, aber Sie kommen sehr spät“, fuhr sie ihn an.

Lässig kam er herein, entschlossen, sie nicht merken zu lassen, dass ihre Missbilligung ihn störte. „Ich war bei einem Barbier. Meine Wangen sind so weich wie Seide. Möchten Sie mal fühlen?“

„Gewiss nicht!“, rief Esme und wandte sich abrupt ab.

Aber sie errötete, und sie senkte wieder den Blick, als wäre sie versucht gewesen, ihn zu berühren und wagte es nur nicht.

Lieber Himmel, konnte es sein, dass Esme McCallan sich heimlich wünschte, ihn zu berühren? Eine sehr interessante Entwicklung. Er nahm sich vor, sie recht bald näher zu untersuchen. „Sie sehen bezaubernd aus, Esme.“

„Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie Ihre unerwünschten Bemerkungen für sich behalten könnten!“

„Dann wären Sie die erste Frau, die mir je begegnet ist, die sich nicht über ein Kompliment freut.“

„Wenn ich glaubte, Ihre Bemerkung wäre ehrlich gemeint, könnte ich mich vielleicht geschmeichelt fühlen.“

Trotz ihres verachtungsvollen Tons versuchte er es erneut. „Ich meine es ehrlich. Sie sehen wirklich sehr hübsch aus. Mir war nie bewusst, wie sehr eine neue Kleidung den Menschen verändern kann.“

Sie drehte sich wieder zu ihm um.

Und dann geschah ein Wunder. Sie lächelte. Und es war ein warmes, echtes Lächeln. Sein Herz machte einen Sprung vor Freude, wie er annahm, allerdings war es lange her, seit er so etwas wie Glück empfunden hatte, also konnte er sich auch irren.

„Jamie“, sagte sie und ging an Quinn vorbei. Sie hatte ihrem Bruder zugelächelt, der soeben eingetreten war.

Natürlich. Er musste einen Moment den Verstand verloren haben, sich vorzustellen, Esme könnte ihn auf diese Weise anlächeln. Und er durfte nicht enttäuscht sein. Schließlich gab es viele Frauen, die nach seiner Aufmerksamkeit verlangten.

„Tut mir leid, dass ich spät komme, Jamie“, sagte er, bevor Esme ihn verdammen konnte. „Der Schneider hat mich aufgehalten.“

„Das macht nichts. Es ist noch genügend Zeit für euch, London hinter euch zu lassen, bevor es dunkel wird“, erwiderte Jamie. „Die Ausgabe hat sich gelohnt, wie ich sehe.“

„Deine Ausgaben auch. Ich gebe zu, ich hatte so meine Zweifel, dass wir deine Schwester als eine vornehme junge Dame ausgeben könnten, aber in dieser Kleidung wird es uns gelingen.“

Esme achtete nicht auf ihn. „Dürfte ich jetzt vorschlagen, dass wir uns auf den Weg machen? Je eher wir Edinburgh erreichen, desto schneller können wir unseren Auftrag hinter uns bringen und zurückkehren.“

Da war Quinn ganz ihrer Meinung.

Während die Mietkutsche die Straße in Richtung Norden entlangratterte, machte Quinn sich nicht die Mühe, seine finstere Miene zu verbergen oder ein Gespräch in Gang zu bringen. Warum sollte er sich für eine Frau anstrengen, die so offensichtlich entschlossen war, ihn zu verabscheuen?

Aus den vom gestrigen heftigen Regen entstandenen Pfützen spritzte das Wasser bis fast zu den Fenstern der Kutsche, und der Himmel war düster und wolkenverhangen. Die frische Brise trug nicht besonders zur Gemütlichkeit in der Chaise bei. Nicht unbedingt das Wetter, das man im Frühling erwartete, aber auch nicht ungewöhnlich für die Jahreszeit.

„Wenn Sie noch einmal auf den Saum Ihres Mantels treten, werden Sie das gute Stück noch verderben“, bemerkte Esme missmutig. „Er muss meinen Bruder eine schöne Summe gekostet haben.“

„Ich bezweifle sehr, dass er mehr gekostet hat als Ihre Pelisse“, erwiderte er und stellte den Stiefel erneut auf den Saum, um sie zu ärgern. „Ich wette, meine ganze Garderobe kostete weniger als eins Ihrer Kleider. Und ich habe die Belege, um es zu beweisen.“

Sie hob hochmütig die Brauen. „Ich weiß, wie man einen guten Preis erzielt.“

„Ich kann mir gut vorstellen, wie eine arme Schneiderin bei Ihrem eisigen Blick so bis ins Mark erschrecken könnte, dass sie sogar bereit wäre, ein Verlustgeschäft mit Ihnen zu machen. Aber ich denke, gute Arbeit sollte anständig bezahlt werden.“

„Ich verlange nur, den Gegenwert für mein Geld zu bekommen.“

„Das Geld Ihres Bruders“, verbesserte er.

Esme errötete heftig. „Wenn Frauen einen Beruf ausüben dürften, wäre ich auch Anwalt und nur zu gern bereit, mein eigenes Einkommen zu verdienen.“

Sie würde wahrscheinlich wirklich einen guten Anwalt abgeben, musste Quinn insgeheim zugeben. Zwar mochte sie eine der unangenehmsten Frauen auf dieser Erde sein, aber juristischen Sachverstand konnte man ihr nicht absprechen.

„Ich glaube, Sie würden als Verteidiger vor Gericht sogar noch besser sein“, sagte er aufrichtig. „Ich kann mir leicht vorstellen, wie Sie einen Zeugen ins Kreuzverhör nehmen.“

Sie rümpfte die Nase, eindeutig nicht erfreut über seine Bemerkung. „Anwälte wie mein Bruder erledigen aber die wichtige Vorarbeit, die Vorbereitung und Recherche, während die Verteidiger vor Gericht ganz unfairerweise den ganzen Ruhm dafür einheimsen. In etwa so, wie adlige Grundbesitzer den Ertrag aus der Arbeit ihrer Pächter einstecken, selbst wenn besagte Grundbesitzer verschwenderische, trunksüchtige Spieler sind.“

Der Himmel schenke ihm Geduld! „Wenn Sie die Dienerschaft nicht Verdacht schöpfen lassen wollen, was unsere angebliche Ehe angeht, müssen Sie wenigstens so tun, als würden Sie mich mögen.“

„Ich sehe nicht ein, wieso. Es gibt unzählige unglückliche Ehen in unserem Land. Unsere wäre ganz einfach eine weitere.“

„Nicht, wenn wir zu Bällen und Tanzabenden eingeladen werden wollen.“

Esme schüttelte trotzig den Kopf. „Ganz im Gegenteil. Ein sich streitendes Paar erregt Neugier, und sollten die Leute glauben, wir könnten ihnen Stoff für ihren Klatsch liefern, werden wir gewiss eingeladen werden.“

„Wenn dem so sein sollte, ist es in der Tat günstig, dass Sie so großen Hass für mich empfinden. Wir werden das beliebteste Paar in ganz Edinburgh sein.“

„Ich hasse Sie nicht, MacLachlann“, widersprach sie ihm kühl. „Dazu müsste ich etwas für Sie empfinden.“

Es war wie ein Schlag ins Gesicht für ihn, aber er würde lieber sterben, bevor er sich anmerken ließ, dass sie oder irgendjemand sonst ihn verletzen konnte.

„Was Sie auch von mir halten mögen, Miss McCallan“, sagte er mit ebenso eisiger Stimme, „Ihr Bruder hat um meine Hilfe gebeten, und er wird sie bekommen. Es würde uns beiden lediglich die Aufgabe erleichtern, wenn Sie aufhören wollten mich anzugreifen, jedes Mal, sobald Sie den Mund aufmachen. Ich rechne zwar nicht damit, dass Sie mich respektieren, aber könnten Sie nicht wenigstens kooperieren? Denn wenn nicht, kehren wir besser sofort nach London zurück.“

„Ich kooperiere mit Ihnen, MacLachlann. Sonst wäre ich nicht hier.“ Sie atmete tief ein und strich ihren Rock glatt. „Allerdings stimme ich zu, dass ständige Feindseligkeit nur schaden könnte. Also lassen Sie uns von vorn beginnen.“

Er verbarg seine Erleichterung, fragte sich aber, was sie damit wohl meinte.

„Wenn ich Ihre Frau sein soll, muss ich mehr über Ihre Familie erfahren. Bisher weiß ich nur, dass Ihr Vater ein Earl und Ihr älterer Bruder der Erbe war. Haben Sie andere Geschwister?“

Von allen möglichen Themen war seine Familie das Letzte, was er diskutieren wollte. Leider hatte Esme recht. Sie musste mehr über seine Familiengeschichte erfahren. „Ich hatte drei Brüder. Marcus war der Zweitälteste, dann kamen Claudius und Julius. Marcus starb im Krieg mit Frankreich, Claudius starb an einem Fieber, während er in Kanada war, und Julius fiel als Junge vom Pferd und brach sich das Genick. Ich hatte auch eine Schwester, aber sie starb als kleines Kind, noch bevor ich geboren wurde.“

Wenn es nicht Esme wäre, die ihm gegenübersaß, hätte er fast annehmen können, dass ihre Miene Mitleid ausdrückte. Da es aber Esme war, bedeutete ihr ernster Blick wohl nur, dass sie versuchte, sich alle Einzelheiten einzuprägen.

„Und Ihr ältester Bruder heißt Augustus?“

„Mein Vater besaß eine bedauerliche Vorliebe für die lateinische Sprache und römische Geschichte.“

„Also nannte er seinen fünften Sohn Quintus.“

„Ja.“

„Ein Name, den Sie von ganzem Herzen verabscheuen.“

„Nicht nur den Namen. Auch für meinen Vater hatte ich nicht viel übrig – ebenso wenig wie er für mich.“

„Das tut mir leid.“

Sie klang tatsächlich aufrichtig.

„Das braucht es nicht“, sagte er abrupt. Wenn es etwas gab, das er nicht ertragen konnte, dann Mitleid – am wenigsten von Esme McCallan. Seine Familie fehlte ihm nicht. Er war immer ganz anders gewesen – zu temperamentvoll, zu lebendig, um in ihrer bedächtigen Welt, in der sie sich die Zeit mit Geschichten vom größten Fisch, dem fettesten Fasan und dem edelsten Hirsch vertrieben, wohlzufühlen. Ihn hatte es nach etwas anderem verlangt – nach dem Leben in der Stadt, nach einem lebendigen, bunten, aufregenden Leben. Teuer. Sinnlich. Verführerisch. „Ich fand reichliche Entschädigung, als ich älter wurde.“

„Bei Frauen, vermute ich.“

Er bezweifelte, dass Esme jemals verstehen würde, warum ein Mann in den Armen einer Frau Trost suchte, selbst wenn es nur einen flüchtigen Moment des Vergnügens und Vergessens bot.

Er konnte sich Esme nicht einmal nackt in den Armen eines Mannes vorstellen, wie sie ihn küsste, ihn streichelte und ihn liebte – seufzend und Koseworte flüsternd, sich unter ihm vor Lust windend, bis sie im Augenblick der Ekstase seinen Namen rief.

Aber das stimmte nicht. Er konnte es sich leider sehr lebhaft vorstellen. Eine bestürzende Entdeckung.

„Wie alt ist Augustus?“, fragte sie und riss ihn damit aus seinen Gedanken.

„Vierzig.“

„Sie sind also …“

„Dreißig.“

Sie nickte nachdenklich, und er stellte fest, dass sie es nicht für unmöglich zu halten schien, wenn er versuchte, sich für einen zehn Jahre älteren Mann auszugeben.

„Seine Frau ist siebenundzwanzig. Zum Glück könnte man Sie leicht für so alt halten.“

Sie schien sich nicht über seine Worte zu ärgern. Allerdings sollte ihn das wohl auch nicht überraschen. Noch nie war ihm eine Frau begegnet, die weniger eitel war als Esme. „Sie war siebzehn, als sie heirateten“, fügte er hinzu. „Augustus hatten schon immer besonders junge Frauen gefallen.“

Auch das erstaunte Esme offenbar nicht. „Sie haben keine Kinder?“

„Noch nicht, aber wie ich Augustus kenne, nicht, weil er sich keine Mühe gegeben hätte.“

Sie ging nicht weiter auf seine herausfordernde Bemerkung ein. „Was stand im Ehevertrag?“, fragte sie eifrig. „Es gab doch einen, oder?“

Wie nicht anders zu erwarten, interessierte sie eher die rechtliche Seite der Beziehung als die intime. Trotzdem faszinierte es ihn zu sehen, wie ihre intelligenten braunen Augen zu leuchten begannen, wenn sie über das Gesetz sprach.

Doch was den Ehevertrag anging … „Ich weiß es nicht. Es kümmert mich auch nicht.“

Sie runzelte die Stirn. „Das sollte es aber. Wenn er vor Ihnen stirbt und es keine Kinder gibt, geht das Erbe …“

„Ich bekomme keinen Penny, und der Titel geht wahrscheinlich an meinen Cousin Freddy. Ich wurde enterbt, wie Sie sich vielleicht erinnern.“ Und als drängte ihn etwas, sie zu reizen, fuhr er fort: „Ich sollte vielleicht erwähnen, dass mein Bruder es vorzieht, wenn eine Frau anschmiegsam und unwissend ist. Also ist seine Frau sehr wahrscheinlich so dumm und ungebildet, wie man es sich nur vorstellen kann.“

„Ach?“ Esme war sofort wieder interessiert. „Sind alle Männer in Ihrer Familie so gewesen?“

MacLachlann beugte sich vor, sodass ihre Knie sich fast berührten. „Ich ziehe kluge Frauen vor, die wissen, was sie wollen, und keine Angst haben, darum zu bitten. Tatsächlich finde ich Frauen, die sich für das Gesetz interessieren, faszinierend.“

Besonders dann, wenn sie schöne braune Augen, ein herzförmiges Gesicht, sinnliche Lippen und zart gerötete Wangen hatten – und zu allem Überfluss noch einen schlanken, sehr femininen Körper, dessen Nähe sich als größere Versuchung erwies, als Quinn sich je hätte träumen lassen.

„Das glaube ich Ihnen nicht.“

Er setzte sich zurück und lachte, als hätte sie ihn durchschaut.

Woraufhin sie einen langmütigen Seufzer ausstieß. „Wenn wir zusammenarbeiten wollen, müssen Sie mit diesem sinnlosen, koketten Wortgeplänkel und dem Versuch, mich aus der Reserve zu locken, aufhören. Geben Sie mir einfach die Information, die ich brauche, wenn wir die Leute glauben machen wollen, dass Sie Augustus sind und ich Ihre Frau.“

Trotz seiner Entschlossenheit, genauso wenig auf sie zu achten wie sie auf ihn, konnte er die in ihm aufsteigende Erregung nicht verhindern.

„Zum Beispiel“, fuhr sie schnell fort, ohne sich zu seiner Erleichterung offenbar bewusst zu sein, in welchen Zustand sie ihn versetzt hatte, „wie nannte Ihre Familie Sie? Quinn? Quintus?“

„Mehrere Namen, an die ich mich nur sehr ungern erinnere. Da wir also Mann und Frau sein werden, fangen Sie am besten damit an, mich zu duzen und mit irgendeiner Form von Dubhagen anzusprechen.“

Vorgeben werden, Mann und Frau zu sein“, verbesserte sie ihn sofort.

Wie typisch für sie, so penibel zu sein.

Ein ganz anderer Ausdruck zeigte sich plötzlich auf ihrem Gesicht – fast schelmisch.

„Ducky wäre doch ganz nett“, sagte sie genüsslich.

„Sie können mich mit Dubhagen ansprechen. Wenn Sie mich irgendetwas anderes nennen, ignoriere ich Sie einfach – oder nenne Sie meine kleine Hexe.“

Wie erwartet, gefiel ihr das nicht. „Na schön, Dubhagen“, gab sie widerwillig nach. „Wie ist der Vorname Ihrer Schwägerin?“

Das würde sich noch als interessant herausstellen. „Hortense.“

Esme wich fast erschrocken zurück, dann kniff sie misstrauisch die Augen zusammen. „Stimmt das, oder wollen Sie mich nur damit ärgern?“

„Es stimmt. Trotzdem denke ich, es wäre besser, wir gewöhnen uns gar nicht erst an, uns mit Vornamen anzusprechen, auch nicht, wenn wir allein sind. Auf diese Weise sollte unsere List doch vorzeitig entdeckt werden, kann uns niemand nachsagen, wir hätten ihre Namen missbraucht.“ Dann schlug er vor, als würde er es ernstlich in Betracht ziehen: „Ich könnte Sie Hornisse nennen. Oder meinen kleinen Honigkuchen.“

So hatte er sie am vergangenen Weihnachtsfest genannt, um sie zu ärgern, aber so reizend, wie sie ihm heute vorkam – dass einem direkt das Wasser im Mund zusammenlief –, fand er den Kosenamen eigentlich recht passend.

Gütiger Himmel, hatte er gerade ausgerechnet Esme McCallan – wenn auch nur in Gedanken – reizend genannt?

Sie bedachte ihn mit einem Blick, als könnte sie ihn auf der Stelle umbringen. „Sollten Sie das wagen, werde ich Sie doch ‚mein liebster Ducky‘ nennen.“

Das tat er mit einem Achselzucken ab. „Dann nenne ich Sie meine süße Last.“

„Mein geliebter Kerker.“

Er runzelte die Stirn und setzte sich gerader auf. „Meine hübsche Fessel.“

„Mein schöner Mühlstein.“ Sie rutschte weiter nach vorn, als könnte sie so ihre Vorstellungskraft steigern.

Quinn ermahnte sich, nicht darauf zu achten, wie hübsch sie aussah, nicht auf ihre Lippen zu schauen oder daran zu denken, wie es sein würde, wenn sie ihn einmal voller Bewunderung statt Verdruss ansähe.

Vor allem musste er ignorieren, wie erregt er auf ihre Schönheit und Nähe reagierte. „Meine bezaubernde Strafe.“

„Meine wundervolle Pestilenz.“

„Mein liebstes …“

„Das habe ich schon benutzt!“, rief sie triumphierend.

Es schien nur einen Weg zu geben, um doch noch den Sieg davonzutragen – und dieser Weg war einfach zu verführerisch, als dass Quinn hätte widerstehen können.

Entschlossen nahm er ihr Gesicht zwischen beide Hände und küsste sie mitten auf den Mund.

Nie war Quintus MacLachlann von einer so plötzlichen und heftigen Leidenschaft gepackt worden wie in diesem Moment, da seine Lippen Esmes berührten. Es schien ihm, als hätte ihn eine Welle mitgerissen, die heiß und überwältigend war und ihm die Luft zum Atmen nahm.

Wie hätte er ahnen sollen, dass Esme McCallans Mund so süß, so aufregend sein würde? Er hatte nicht gewusst, wie sehr er sich wünschen würde, den Kuss einfach nicht enden zu lassen – oder dass er der einzige Mann wäre, der sie jemals küssen durfte.

3. KAPITEL

Esme war in ihrem ganzen Leben noch nicht so verwirrt und bestürzt gewesen.

Quintus MacLachlann küsste sie, und es war ganz und gar nicht unangenehm. Sein Mund lag auf ihrem, seine Lippen spielten sanft mit ihren, und sie fand das Gefühl überhaupt nicht abstoßend. Sie fand es vielmehr völlig berauschend, als hätte sie den gesamten Inhalt von Jamies Cognacflasche mit einem Schluck geleert.

Sie war noch nie geküsst worden, kein einziges Mal. Kein Mann hatte es jemals gewollt oder gewagt. Nur MacLachlann, der Schurke, der wahrscheinlich schon Tausende von Frauen geküsst hatte, und das wohl mit weniger aufrichtiger Zuneigung, als er einem nützlichen Pferd oder Hund entgegenbringen würde.

Scham und Abscheu vor ihrer eigenen Schwäche ließen Esme abrupt zurückweichen.

„Wie können Sie es wagen!“, fuhr sie MacLachlann an, während sie sich in die entfernteste Ecke der Kutsche zurückzog. „Sie … Sie gemeiner Kerl! Tun Sie das nie wieder! Sonst schreibe ich meinem Bruder, und Sie werden nie wieder für ihn arbeiten dürfen!“

Statt erschrocken zu sein, verschränkte Quinn nur die Arme vor der Brust und betrachtete Esme mit leicht belustigter Miene. „Wie kann ein harmloser Kuss Sie nur so in Aufruhr versetzen?“

Seine reuelose, ungenierte Haltung traf sie zutiefst. Aber natürlich war auch das nur wieder ein Beweis für seinen abscheulichen Charakter. „Es war ein Kuss, den ich nicht wünschte, nicht herausgefordert und nicht genossen habe. Es war außerdem ein Affront gegen meine Würde und ein Zeichen von unglaublicher Respektlosigkeit.“

Der Mann grinste nur!

„Du meine Güte, all das? War es auch Landesverrat?“

„Wie würde es Ihnen denn gefallen, wenn ich mich plötzlich auf Sie stürzen würde und anfinge, Sie zu begrapschen?“

„Warum probieren Sie es nicht aus? Dann werden wir ja sehen, was ich tue.“

Esme war entsetzt, erschüttert, empört – und versucht, seiner Herausforderung zu folgen, was gewiss falsch und sündhaft wäre.

„Oder fürchten Sie um Ihre Tugend? Wenn ja, seien Sie versichert, dass Sie die letzte Frau in ganz England wären, die ich je zu verführen wünschte.“

„Als ob Sie auch nur die geringste Aussicht auf Erfolg hätten!“

„Vorsicht, Miss McCallan“, erwiderte er mit einem Lächeln, das sie ihm am liebsten mit einer Ohrfeige aus dem Gesicht gewischt hätte. „Ich liebe Herausforderungen.“

„Sie abscheulicher, eitler Fatzke! Schon der Gedanke, Sie könnten mich berühren, lässt mich schaudern! Sie sind unmöglich! Eigentlich sollte ich befehlen, dass die Kutsche sofort umkehrt.“

MacLachlann wurde ernst. „Jamie zählt auf uns. Haben Sie das vergessen? Wollen Sie ihm so vergelten, was er alles für Sie getan hat? Ich kann mir keinen anderen Mann in ganz England vorstellen, der seiner Schwester erlauben würde, eine so wichtige Rolle in seinem Leben zu spielen, geschweige denn in seiner Kanzlei.“

Er hatte recht, aber sie nicht weniger. „Dann muss ich darauf bestehen, dass Sie mich in Zukunft mit Respekt behandeln und nicht wie eine Ihrer Kokotten.“

„Ich gebe zwar zu, dass es ein Fehler war, so ohne Vorwarnung zu handeln, aber ich pflege keinen Umgang mit Prostituierten“, sagte er ohne einen Hauch von Reue. „Und wenn wir als Augustus und seine Frau durchgehen wollen, gewöhnen Sie sich besser an den gelegentlichen spontanen Kuss. Die Männer in meiner Familie sind für ihre Leidenschaft und öffentliche Zurschaustellung ihrer Gefühle bekannt. Wenn ich Sie niemals liebkose, wird man anfangen, sich deswegen Gedanken zu machen.“

Für wie naiv hielt er sie eigentlich? Er suchte gewiss nur nach einem Vorwand für jeden nur möglichen lüsternen Impuls, der ihn packen mochte. „Ich glaube kein Wort.“

„Warum sollte ich Sie denn sonst küssen wollen?“, konterte er.

Da es sich um Quintus MacLachlann handelte, dem es ausgesprochene Freude zu machen schien, sie zu ärgern und zu quälen, konnte es nicht sein, weil er sie anziehend fand. Es musste also einen anderen Grund geben – und schon hatte Esme ihn gefunden. „Um mich auf die einzige Weise zum Schweigen zu bringen, die einem Mann Ihres Schlages einfällt. Weil Sie nicht in einem Streitgespräch von mir übertroffen werden wollten.“

Seine Miene verriet ihr, dass sie richtig geraten hatte, was sie ausgesprochen enttäuschend fand. Aber das durfte sie nicht zulassen. Nichts daran war enttäuschend, wenn der Mann, der sie geküsst hatte, Quintus MacLachlann war.

Ein zögerndes Lächeln erschien um seine Mundwinkel. „Das beweist ja nur, wie recht ich hatte. Mein Bruder ist ein Mann meines Schlages, Miss McCallan, also würde er die gleiche Methode benutzen, um seine Frau in einer ähnlichen Situation zum Schweigen zu bringen.“

„Wenn es wahr ist“, warf sie skeptisch ein, „sollten wir eine Art Signal vereinbaren, damit ich mich gegen Ihre Übergriffe stählen kann. Sonst wäre es sehr wahrscheinlich, dass ich erschrocken vor Ihnen zurückweiche.“

Er runzelte die Stirn. „Der Kuss hat Ihnen gefallen, sonst hätten Sie mich zurückgestoßen, kaum dass ich Sie berührt hätte. Versuchen Sie nicht, es zu leugnen. Wir wissen es beide.“

Esme gab ihm insgeheim recht, aber es ihm gegenüber offen zuzugeben, hieße, ihn die Oberhand gewinnen lassen, und das würde sie nie tun. Er war immerhin ein Mann, und Männer waren der Überzeugung, dass sie jedes Recht hatten, über eine Frau zu herrschen. Außerdem war er ein sehr maskuliner, kräftiger, selbstsicherer Mann, der sie mit seinem Kuss vollkommen überwältigt hatte. Sie musste unbedingt achtgeben, dass so etwas nicht wieder geschah, sonst würde MacLachlann versuchen, die Kontrolle über ihr geheimes Vorhaben an sich zu reißen. Und über sie selbst. „Ich kann wirklich nicht leugnen, dass Sie ein gewisses Geschick in dieser Hinsicht besitzen, MacLachlann. Einen Moment lang fand ich es ganz interessant. Aber ich bin nicht wie die Frauen, mit denen Sie sich gewöhnlich abgeben. Am besten denken Sie daran und warnen mich, bevor Sie wieder etwas Ähnliches versuchen – natürlich im Namen der Glaubwürdigkeit.“

MacLachlann verschränkte die Arme vor der Brust. „Wie wäre es mit einem Augenzwinkern?“

„Überhaupt nicht auffällig“, meinte sie spöttisch, „dabei scheint mein Bruder Sie für einen Meister der Diskretion zu halten.“

„Das bin ich ja auch. Sonst wüssten Sie doch alles über mein Privatleben, und Sie wissen nichts.“

„Ich habe auch nicht den Wunsch, etwas über Ihr Privatleben zu erfahren.“

Trotzdem musste sie zugeben, dass sie sich manchmal Gedanken darüber machte, wo er lebte und mit wem er seine freie Zeit verbrachte. Ganz besonders, nachdem er einen Abend mit Jamie zusammen gewesen war und beide in der Bibliothek gelacht hatten. MacLachlann hatte ein attraktives Lachen, wohlklingend, tief und fröhlich.

„Dann sehe ich Sie so an“, sagte er leise.

Konnte ein einziger Blick eine solche Hitze in einem Menschen erwecken? Wie ließ sich sonst die seltsame Erregung erklären, die Esme überkam, als er sie mit diesem leidenschaftlichen Ausdruck ansah?

So etwas durfte sie auf keinen Fall ermutigen! „Wenn das alles ist, was Ihnen einfällt, schlage ich etwas anderes vor.“

„Wie soll ich also Ihrer Meinung nach meine Leidenschaft für meine Frau ausdrücken?“, fragte er herablassend.

„Indem Sie sie mit Höflichkeit und Respekt behandeln. So zeigt ein Gentleman seine Zuneigung zu seiner Frau.“

„Oder zu seiner Mutter und seinem König“, entgegnete er. „Seiner Frau gegenüber sollte er doch wohl ein wenig leidenschaftlicher sein, meinen Sie nicht? Aber vielleicht tun Sie es ja nicht, und in dem Fall muss ich Ihren Gatten bemitleiden, sollten Sie je einen bekommen.“

Seine Worte trafen sie wie eine Ohrfeige, denn insgeheim wünschte Esme sich schon, einmal zu heiraten und Kinder zu bekommen. „Wenn Sie unbedingt Ihre Gattenliebe öffentlich demonstrieren müssen, reicht auch ein schlichter Kuss auf die Wange.“

„Nun gut“, gab er zu ihrer Erleichterung nach. „Ein kleines Küsschen auf die Wange also.“

Damit wandte er den Kopf ab, um aus dem Fenster zu blicken, und sagte kein Wort mehr.

Quinn war froh, dass Esme bis zu ihrem ersten Reiseziel stumm blieb. Er wollte nicht wieder mit ihr streiten und sich mit spöttischen Bemerkungen bombardieren lassen. Es reichte ihm schon, wie ungestüm sie ihm klargemacht hatte, dass es ihr sehr unangenehm war, seine Frau darstellen zu müssen. Was den Kuss betraf … Obwohl sie sich angestellt hatte, als hätte er ihr hier in der Kutsche Gewalt antun wollen, hatte sie seinen Kuss mit überraschender Leidenschaft erwidert. Zumindest am Anfang.

Jedenfalls durfte er sich nicht vorstellen, wie er Esme McCallan hier und jetzt in Besitz nahm, ihren verführerischen Leib an sich drückte und sich in ihr verlor, bis sie beide den Gipfel aller Wonnen erreichten.

Liebe Güte, was war nur los mit ihm? War es die Müdigkeit? War er krank, dass er sich in solchen Fantasien erging?

Oder war er tatsächlich einsam?

Zum Glück blieben nur noch wenige Meilen bis zu ihrem Ziel, und bald schon erreichten sie den Gasthof in Stamford. Es war ein Ort voller Menschen – Gäste, Diener, Lakaien, Stallknechte und Stubenmädchen –, die geschäftig hin und her liefen. Weinreben rankten sich an der Mauer hoch, die den Gasthof umgab. Große Steintröge standen mit Wasser gefüllt bereit für die durstigen Pferde, Rauch drang aus den Schornsteinen der Gaststube und Küche. Obwohl es noch nicht ganz Abend war, verhieß das Schimmern in den Fenstern Licht und Wärme für die Gäste.

Zufrieden stellte Quinn fest, dass es nicht mehr regnete, und half Esme pflichtbewusst und wie es ihre Rollen verlangten, aus der Kutsche heraus. In der Zwischenzeit lief der Gastwirt, ein dünner, blasser Mann in einfacher Jacke, weißem Hemd und dunkler Hose, eilig auf sie zu. Ein kräftigerer Diener kam aus dem Stall heraus und begann, ihr Gepäck herunterzuhieven.

„Guten Tag!“, rief der Gastwirt, wobei er den Blick prüfend über ihre Kleidung und die Kutsche gleiten ließ. Quinn war sicher, dass der Mann ihren Wert bis auf den Penny genau abschätzen konnte. „Bleiben Sie über Nacht, Sir?“

„Ja.“ Quinn und schenkte ihm sein liebenswürdigstes Lächeln. „Meine Gattin und ich benötigen zwei Räume.“

Der Gastwirt runzelte leicht die Stirn und rieb sich den fast kahlen Kopf. „Zwei, was? Es tut mir nur leid, sagen zu müssen, Sir, dass wir fast ganz ausgebucht sind. Ich habe nur ein Zimmer übrig, das für Sie und Ihre Gemahlin gut genug wäre.“

Das war ein Problem.

„Ich bin sicher, eins wird reichen“, warf Esme mit süßer Stimme ein und hakte sich bei Quinn ein.

Es kostete ihn enorme Anstrengung, sie nicht anzustarren. Nie hätte er es für möglich gehalten, dass Esme McCallan so fügsam und gutmütig klingen könnte. Was das Gefühl ihres Arms an seinem anging und die Aussicht darauf, ein Schlafzimmer mit ihr zu teilen …

Himmel noch mal, wie lange war es eigentlich her, dass er eine Frau gehabt hatte? Offensichtlich zu lange. Was sonst könnte die heiße Erregung erklären, die ihn sofort packte, kaum dass diese höhnische, prüde Frau, die ihn sonst kaum eines Blickes würdigte, außer um ihm ihre Missbilligung zu zeigen, ganz harmlos berührte? Sie konnte ihn kaum ertragen, und er hatte sich von einem einzigen Kuss und jetzt dieser Berührung mehr hinreißen lassen als von den verführerischsten Bemühungen der geschicktesten Kurtisane.

Entschlossen, sich seine Erregung nicht anmerken zu lassen, tätschelte er ihr die behandschuhte Hand. „Ja, eins wird völlig genügen. Bitte zeigen Sie uns das Zimmer und lassen Sie das Gepäck hinaufbringen. Und wir möchten natürlich zu Abend essen. Auf unserem Zimmer.“

Esme drückte leicht seine Hand, aber er achtete nicht darauf, sondern folgte dem Gastwirt über den Hof und in den überfüllten Schankraum. Wie nicht anders zu erwarten, sahen sich mehrere von den Gästen nach den Neuankömmlingen um und nicht wenige Männer betrachteten Esme mit unverhohlener Bewunderung.

Quinn konnte sich denken, was ihnen durch den Kopf ging. Sie fanden Esme schön und begehrenswert. Und sie würden sie liebend gern in ihr Bett locken, wenn ihnen sich die Gelegenheit bieten würde.

Plötzlich wurde er von Eifersucht gepackt, heftig und ungewohnt, und er funkelte die Männer finster an, als wären sie Diebe, die ihm seinen kostbarsten Besitz stehlen wollten.

Nicht, dass Esme seiner Hilfe bedurfte. Sie konnte einen Mann mit einem Blick und einigen gewählten scharfen Worten in seine Schranken weisen, wenn sie das Gefühl hatte, man wollte sie beleidigen.

„Hier entlang, Madam, Sir“, sagte der Gastwirt, nachdem sie den ersten Stock erreicht hatten. Er öffnete die Tür zu einem kleinen, aber gemütlich ausgestatteten Zimmer. Zwar gab es eine Kommode und einen Waschtisch, doch den meisten Raum nahm ein großes, mit Vorhängen versehenes Himmelbett ein, das aussah, als wäre es mindestens zweihundert Jahre alt. „Wann möchten Sie zu Abend essen?“

„Um acht Uhr“, erwiderte Quinn, während Esme zum kleinen Fenster hinüberging und auf den Hof hinuntersah. „Frühstücken werden wir um sechs.“

„Wie Sie wünschen, Mylord. Die Stiefel stellen Sie bitte vor die Tür zum Putzen, wenn Sie so freundlich sein möchten.“

„Danke.“

Mit einem Nicken verließ der Gastwirt das Zimmer und schloss die Tür hinter sich.

Quintus MacLachlann befand sich in einem Raum mit einem großen, wahrscheinlich sehr gemütlichen Bett.

Und einer schönen Frau, die ihn verabscheute.

Aus dem Augenwinkel beobachtete Esme, wie MacLachlann auf das Himmelbett zuging und die Hand auf die braune Wolltagesdecke legte, als wolle er prüfen, ob es weich war oder stabil genug.

Lieber Himmel, er dachte doch wohl nicht … „Sie werden selbstverständlich auf dem Boden schlafen heute Nacht“, sagte sie, während sie sich zu ihm umwandte.

MacLachlann ließ sich ungerührt auf die Matratze fallen, die Arme hinter dem Kopf verschränkt, die Beine an den Knöcheln gekreuzt. Dabei hatte er noch immer seine Stiefel an.

„Haben Sie vergessen, dass wir angeblich miteinander verheiratet sind?“, fragte er, als hielte er sie für schwer von Begriff.

Erbost blickte sie wieder aus dem Fenster. „Angeblich“, betonte sie. „Sie sind der letzte Mann auf Erden, den ich je …“

Ein Bild erschien ungebeten vor ihrem inneren Auge: Quintus MacLachlann in derselben Haltung auf dem Bett, nur nackt und lächelnd mit einem einladenden Blick …

„Den Sie je was?“, ermutigte er sie. Seine Stimme klang tief und ein wenig heiser, und seltsamerweise sehr dicht hinter ihr.

Esme fuhr zusammen. War er aufgestanden?

Wo er auch sein mochte, er sollte nicht wissen, dass sie sich dafür interessierte, wo er gerade war. Also wandte sie nicht einmal den Kopf, um in den kleinen Spiegel über dem Waschtisch zu schauen.

„Den ich je heiraten würde“, fuhr sie fort. „Wenn Sie das Beste sind, was ich mir erhoffen könnte, bleibe ich liebend gern unverheiratet. Sie sind mir zu anmaßend, unhöflich, grob und ungesittet. Wie ja auch Ihr Benehmen in der Kutsche bewiesen hat.“

„Ich nehme an, Sie beziehen sich auf den Kuss.“

Natürlich bezog sie sich darauf. Wie konnte er nur denken, sie hätte eine so freche Vertraulichkeit genossen?

Nur, dass sie genau das getan hatte, und zwar viel zu sehr. Selbst jetzt musste sie ständig daran denken und fragte sich, ob sie dasselbe Verlangen, dieselbe Erregung empfinden würde, wenn er sie wieder küsste. „Ich beziehe mich auch auf Ihre unverschämte Art, mich anzureden. Und auf Ihre respektlos lässige Haltung.“

„Du meine Güte!“, rief er spöttisch wie immer. „Ich hatte ja keine Ahnung, dass sogar meine Körperhaltung mich in Ihren kritischen Augen zum Unhold verdammt.“

Entschlossen, sich nicht von ihm einschüchtern zu lassen, drehte Esme sich um und stellte leicht erschrocken fest, dass er nicht weit von ihr entfernt stand und aussah wie der Inbegriff des attraktiven Gentleman. Aber natürlich war er kein Gentleman.

Und sie war kein lockeres Mädchen, sondern Jamie McCallans Schwester und eine tugendhafte Frau, die erwartete, dass man sie mit Respekt behandelte. „Ihre Redeweise ist äußerst unpassend, genau wie jener Kuss.“

„Unpassend, aber angenehm.“

„Für Sie vielleicht, nicht für mich.“

Sein Lächeln vertiefte sich. „Lügnerin.“

„Sie sind unerträglich!“ Wieder wandte sie sich von ihm ab und schlang die Arme um sich.

„Es hat Ihnen gefallen.“

„Lassen Sie mich zufrieden.“

„Mir hat es auch gefallen.“

Sie durfte ihm nicht zuhören. Den Worten eines Mannes wie MacLachlann konnte man keinen Glauben schenken. Trotz seiner neuen, respektablen Erscheinung, war er nichts weiter als eine Schande für seine Familie und ein Wüstling, der wahrscheinlich unzählige Frauen verführt hatte. Daran musste sie sich immer erinnern, wenn sie wieder das Verlangen spürte, von ihm geküsst zu werden. „Gehen Sie!“

Es klopfte an der Tür.

Zutiefst dankbar für die Unterbrechung, eilte Esme an ihm vorbei und öffnete. Der kräftige Diener stand da, ihren Koffer mit der neuen Garderobe auf der Schulter.

„Bitte stellen Sie das ans Ende des Bettes“, wie sie ihn an.

Ein weiterer Mann, älter und beleibter als der Erste, folgte mit MacLachlanns viel kleinerem Koffer. „Stellen Sie ihn neben das Gepäck meiner Frau“, sagte er und holte einige Münzen aus der Tasche.

Die Männer nahmen das Trinkgeld und zogen sich respektvoll zurück.

Ohne auf MacLachlann zu achten, nahm Esme den Hut ab, legte ihn auf die Frisierkommode und begann, die Nadeln aus ihrem Haar zu ziehen. Sie würde sich mit offenem Haar besser fühlen.

Dann fiel ihr auf, dass er sie beobachtete. „Müssen Sie mich so anglotzen?“

Wie nicht anders zu erwarten, lächelte er nur gelassen. „Ich mache Sie nervös, was? Wenn Sie mich aber dafür tadeln wollen, wie ich Sie ansehe“, sagte er, „dürfen Sie mich auch nicht so anstarren, wie Sie es heute Morgen getan haben.“

„Ich weiß nicht, wovon Sie sprechen.“

„Sie starrten mich an, als würden Sie sich vorstellen, wie ich nackt aussehe.“

„Das ist nicht wahr!“, rief sie empört. Und das stimmte auch. Zunächst hatte sie nur gedacht, dass er in seiner neuen Kleidung und frisch rasiert sogar noch besser aussah als gewöhnlich. „Ich machte mir Sorgen wegen dieser Reise und unserer Aufgabe.“

„Sie finden also nicht, dass ich attraktiv aussehe?“

Was für eine eingebildete Frage! So etwas verdiente keine ehrliche Antwort. „Nein.“

Statt sich angemessen reumütig zu zeigen, kam er triumphierend lächelnd auf sie zu. „Eine meiner ganz besonderen Fähigkeiten besteht darin, erkennen zu können, wenn jemand nicht völlig ehrlich zu mir ist. Und Sie, Miss McCallan, sind es nicht.“

Sie wich vor ihm zurück. „Ich habe Sie mir heute Morgen nicht völlig nackt vorgestellt.“

Später schon, aber am Morgen nicht.

„Nicht völlig nackt?“

„Ja. Nein! Ich meine …“ Sie stieß gegen das Fenstersims, unfähig weiterzugehen. „Bleiben Sie mir vom Leib! Wagen Sie es ja nicht, mich zu küssen!“

Mit einem Ausdruck in den Augen, der halb erstaunte Unschuld, halb teuflische Genugtuung ausdrückte, breitete er die Arme aus. „Miss McCallan, glauben Sie mir, ich habe nicht die geringste Absicht, Sie zu küssen – es sei denn natürlich, Sie wünschen es. Dann bin ich gern bereit, mich zu opfern.“

„Sie … Sie … Sie!“ Sie deutete streng mit dem Finger auf ihn, als könnte ihn das aufhalten. „Bleiben Sie stehen, sonst rufe ich um Hilfe!“

Er rührte sich nicht, aber sein Lächeln vertiefte sich. „Sie können ja gern um Hilfe rufen, aber wir sind für die Leute hier Mann und Frau, schon vergessen? Das gibt mir das Recht, mit Ihnen zu tun, was mir beliebt.“

„Nein“, konterte sie. „Die Habeas-Corpus-Akte von 1679 hält unter anderem fest, dass es illegal ist, wenn ein Mann seine Frau gefangen hält, um ihr seine ehelichen Aufmerksamkeiten aufzuzwingen.“

Das ließ ihn innehalten, und er runzelte die Stirn. „Keine andere Frau auf Erden würde so etwas wissen. Nun, zu unser beider Glück hatte ich gar nicht die Absicht, Sie zu küssen.“

„Selbst wenn, könnte ich mir kaum etwas darauf einbilden“, warf sie ihm vor. „Sie würden wahrscheinlich fast jede Frau über fünfzehn und unter siebzig küssen.“

„Während Sie möglicherweise nie wieder geküsst werden!“, entgegnete er hitzig, drehte sich auf dem Absatz um und schlug beim Hinausgehen die Tür laut hinter sich zu.

Das sah dem arroganten, verwöhnten Kerl ähnlich.

Auch wenn er küsste wie ein zärtlicher, leidenschaftlicher Liebhaber.

4. KAPITEL

Ich habe Ihnen das Abendbrot gebracht, Madam“, erklang eine Weile später eine männliche Stimme vor Esmes Zimmertür.

MacLachlann war nicht zurückgekommen, und Esme würde es nicht wundern, wenn er vorhätte, die ganze Nacht unten zu bleiben.

„Herein“, antwortete sie und legte das juristische Lehrbuch auf den Tisch neben ihrem Sessel. Nach MacLachlanns kindischem Abgang hatte sie beschlossen, sich die Unterschiede zwischen schottischem und englischem Recht wieder in Erinnerung zu rufen, um auf alles vorbereitet zu sein. Sie würde gewiss ihre Zeit nicht damit verschwenden, über MacLachlanns geistigen Zustand nachzudenken oder über gewisse Fähigkeiten – erotischer oder anderer Natur –, über die er verfügen mochte.

Doch dann trat MacLachlann selbst ein, ein großes Tablett mit mehreren Gerichten in einer Hand balancierend, als wäre er ein Diener.

Das ziemte sich kaum für einen Adligen, und eine mögliche Erklärung kam Esme sofort in den Sinn – allerdings machte er nicht den Eindruck, betrunken zu sein. Tatsächlich war sein Gang bemerkenswert sicher, als würden das Tablett und die Teller darauf so gut wie nichts wiegen.

Nicht sicher, was sie tun sollte, nahm Esme ihr Buch und ging aus dem Weg, damit er das Tablett auf den Tisch stellen konnte.

„Sie werden sich noch die Augen verderben, wenn Sie im Dunkeln lesen“, sagte er ruhig, als hätten sie sich nicht gerade vorhin gestritten.

Da er ignorieren wollte, was geschehen war, würde sie das auch. „Es war noch hell genug zum Lesen. Und wenn ich das hinzufügen darf: Ein Earl würde wohl kaum ein Tablett tragen.“

„Wenn er hungrig ist, schon. Ich habe außerdem unten angemerkt, dass ich einen albernen Streit mit meiner lieben Frau wieder gutmachen wollte.“ Er machte ihr ein Zeichen, sich zu setzen. „Das Dinner ist serviert, Mylady.“

Zwar hielt sie ihren Streit nicht für albern, aber sie mussten miteinander auskommen, um Jamie helfen zu können, also würde sie sich benehmen, als gäbe es ein Friedensabkommen zwischen ihnen. Sie legte ihr Buch beiseite, setzte sich an den Tisch und nahm eine Serviette von einem kleinen Korb, der mit frisch gebackenem Brot gefüllt war. Es duftete himmlisch.

MacLachlann ließ sich auf seine gewohnte männlich geschmeidige Art in einen Sessel sinken. „Ich nehme an, das ist kein Roman“, sagte er mit einem Blick auf ihr Buch, während er sein Brot mit Butter bestrich.

„Es ist ein Buch über Hypotheken und Schuldverschreibungen.“ Esme hob den Deckel über der Schüssel genau vor ihr und enthüllte einen dunklen Rindfleischeintopf mit Karotten und Kartoffeln in sämiger Soße. Er duftete fast so gut wie das Brot.

„Lieber Himmel! Und Sie sind nicht darüber eingenickt?“

„Mir gefällt das Studium des Rechts.“

„Wahrscheinlich gibt es auch Menschen, denen es gefällt, sich einen Zahn ziehen zu lassen“, bemerkte er trocken dazu und füllte sich von dem Eintopf auf den Teller.

Es war zwar wichtig, sich mit ihm zu verstehen, aber sein Ton ärgerte Esme. „So wie es wohl auch Menschen gibt, denen es gefällt, sich bis zur Bewusstlosigkeit zu betrinken.“

„Zu denen habe ich nie gehört.“

„Ach?“, meinte sie zweifelnd, während sie voller Genuss weiteraß.

„Ich leugne nicht, mich oft betrunken zu haben, ich leugne nur, dass es mir gefallen hätte.“

„Warum haben Sie es dann gemacht?“

Er sah auf, zögerte nur kurz und antwortete dann auf eine Art, die seine Ehrlichkeit zeigte: „Um zu vergessen.“

Was zu vergessen, dachte Esme unwillkürlich. Was wollte er vergessen? Seine Familie? Irgendeine Missetat? Eine Frau?

Er senkte wieder den Blick auf seinen Teller. „Ich war ein Dummkopf, der in Selbstmitleid schwelgte und anderen die Schuld an meinem Unglück gab – den Spielern, die mir mein Geld abnahmen, meinen angeblichen Freunden, die mich im Stich ließen, als ich nichts mehr besaß. Meinem Vater, der mich nie gemocht hatte. Dem Rest meiner Familie, mit dem ich nichts gemein hatte. Ich glaube, ich hielt auch meine Mutter verantwortlich für mein Pech, weil sie starb, als ich noch ein Kind war. Ich wollte nicht zugeben, dass ich entsetzliche Fehler begangen hatte. Und dann fand ich mich eines Abends allein auf der Tower Bridge wieder, betrunken, mittellos und überzeugt, der Welt einen Gefallen zu tun, wenn ich einfach sprang und nie wieder zum Vorschein kam.“

Daraufhin sah er Esme wieder an. „In dem Moment fand Ihr Bruder mich. Er hatte von einem meiner falschen Freunde, die er als Anwalt vertrat, erfahren, dass ich in London war, und suchte nach mir. Ich weiß nicht mehr, wie es genau geschah, aber er brachte mich zu einem Gasthaus, kaufte mir etwas zu essen und sagte, er bräuchte meine Hilfe und würde mich dafür bezahlen. Seitdem habe ich mich nie wieder betrunken.“

Während MacLachlann ihr diese unerwartete Beichte machte, stellte Esme plötzlich fest, dass sie ihm nicht in die Augen sehen konnte. Bisher hatte sie immer geglaubt, er würde keine Scham über seine vergeudete Jugend empfinden. Wie sehr sie sich doch getäuscht hatte. Noch nie hatte sie so aufrichtige Reue vernommen.

Doch die einzige Antwort, die sie auf sein Eingeständnis zu machen wagte, war ein gedämpftes „Oh“.

Wenn sie mehr sagen würde, würde sie vielleicht zu viel beichten. Dass sie noch nie so ausgezeichnete Rechnungsbücher gesehen hatte? Dass sie ihn für außergewöhnlich attraktiv hielt? Dass sie jedes Mal, wenn er lachte, auch lachen wollte? Dass sie bei seinem Kuss in der Kutsche von Verlangen überwältigt worden war?

„Fertig?“, fragte er genauso gelassen, als hätten sie über den Teepreis diskutiert.

Esme versuchte, den gleichen ruhigen Ton anzuschlagen, obwohl ihr Herz so schnell pochte wie noch nie. „Ja“, sagte sie und schob den Teller von sich.

MacLachlann erhob sich und ging zum Klingelzug am kleinen Kamin. Dann kehrte er langsam zurück. „Ich erwarte nicht, dass Sie verstehen, warum ich damals trank“, sagte er leise und betrachtete sie mit leicht gerunzelter Stirn. „Wahrscheinlich haben Sie in Ihrem ganzen Leben nichts Falsches getan.“

Wieder wich sie seinem Blick aus, aber sie konnte ihn nicht anlügen. „Einmal habe ich Jamie einen Shilling gestohlen. Ich schämte mich so sehr, dass ich ihn nie ausgegeben habe. Er liegt immer noch in einer Schachtel in meinem Zimmer zu Hause.“

Selbst jetzt noch quälte sie das schlechte Gewissen wegen der kleinen Sünde. Doch als sie vorsichtig aufblickte, sah sie MacLachlann lächeln vor Freude. „Du meine Güte, ich habe es hier mit einer Kriminellen zu tun!“

Esme bedauerte es umgehend, ihm ihr Geheimnis enthüllt zu haben, und sofort hörte MacLachlann auf zu lächeln. „Guter Gott, ich glaube, Sie fühlen sich schlimmer wegen Ihrer kleinen Missetat als ich wegen …“, er zuckte mit den breiten Schultern, „…einiger Dinge, die sehr viel schwerwiegender waren. Ich weiß Ihr Vertrauen sehr zu schätzen, mein kleiner Honigkuchen. Und seien Sie ruhig. Ihr Geheimnis ist bei mir sicher.“

Er sprach so ernst, dass sie ihm, ohne einen Moment zu zweifeln, glaubte. Natürlich war sie erleichtert, allerdings fragte sie sich, warum er plötzlich so freundlich war, so aufrichtig, ernst und ritterlich. Und warum fiel es ihr so leicht, ihm zu glauben?

Als sie ihm in die Augen sah und versuchte, sich darüber klar zu werden, ob sie ihm wirklich vertrauen konnte, zeigte ein weiteres unwillkommenes Klopfen an der Tür die Ankunft eines Dieners an, der das Tablett abholen wollte.

MacLachlann wartete wortlos, und Esme griff wieder nach ihrem Buch und gab vor, in die Lektüre vertieft zu sein. Sie bemühte sich, so zu tun, als wäre nichts Außergewöhnliches geschehen und als würde sie jede Nacht mit einem Mann – einem attraktiven, fesselnden, verführerischen Mann – verbringen.

Nachdem der Diener gegangen war, hielt sie den Atem an in der Erwartung, dass auch MacLachlann sich für die Nacht verabschieden würde.

Aber er tat es nicht. Er saß in seinem Sessel ihr gegenüber und sagte kein Wort. Sein Schweigen war beunruhigend, ja zermürbend, weil er einfach blieb und sie beobachtete.

Schließlich, nachdem sie denselben Absatz fünfmal hintereinander gelesen hatte, hielt sie es nicht mehr aus. „Ich möchte mich gern zurückziehen.“

„Bitte, wie Sie wollen“, erwiderte er und streckte die langen Beine aus.

„Ich möchte schlafen gehen“, fügte sie hinzu.

„Ich auch.“

„Sie sollten nach unten gehen, bis ich im Bett liege. Dann können Sie zurückkommen und sich auf dem Boden ausstrecken. Sie dürfen die Decke haben.“

„Wie überaus großzügig. Aber ich habe für heute genug vom Schankraum und seinen Gästen, besonders da Sie von mir erwarten, auf dem Boden zu schlafen.“

„Wo sonst könnten Sie denn …“

Er blickte vielsagend zum Bett hinüber.

„Auf keinen Fall!“, rief Esme und sprang empört auf. „Weder hier noch in Edinburgh!“

„Beruhigen Sie sich, Miss McCallan.“ Er erhob sich sehr viel gemächlicher. „Ich habe nicht das geringste Verlangen danach, heute Nacht oder sonst irgendwann mit Ihnen im selben Bett zu verbringen.“

Das glaubte sie ihm unbesehen und war ganz unerwartet völlig lächerlicherweise enttäuscht darüber. Und obwohl seiner Miene nichts anzumerken war, fürchtete Esme plötzlich, er könnte ihr diese Enttäuschung ansehen.

Abrupt straffte sie die Schultern. „Wenn Sie mich berühren würden, würde ich Sie wegen versuchter Vergewaltigung vor den Richter zerren.“

„Das bezweifle ich“, meinte er, schon auf dem Weg zur Tür. „Denn das würde bedeuten, Sie müssten der Welt verraten, dass wir nicht wirklich verheiratet sind.“

Mit der Hand auf der Klinke hielt er inne und sah Esme mit einem geheimnisvollen Ausdruck in den Augen an. „Gute Nacht, mein kleiner Honigkuchen.“

Sobald er fort war, setzte Esme sich auf das Bett und rieb sich die schmerzenden Schläfen. Selbst Jamie zuliebe wusste sie nicht, wie sie die Gesellschaft eines so anmaßenden, aufreizenden Mannes ertragen sollte.

Der sie in so große Versuchung führte, dass sie sich selbst nicht mehr trauen konnte.

Offenbar bedauerte MacLachlann seine Enthüllungen, denn er zeigte genauso wenig ein Verlangen danach, sich mit ihr zu unterhalten, wie sie, während sie ihre Reise nach Schottland fortsetzten. Leider gelang es Esme nicht, ihn völlig zu übersehen. Tagsüber, während MacLachlann es sich in einer Ecke der Kutsche bequem machte und entweder schlief oder grübelnd aus dem Fenster starrte, konnte sie sich mit Überlegungen über die möglichen Ursachen für die finanzielle Lage von Catriona McNares Vater beschäftigen. Aber nachts, wenn sie in einem Gasthof weilten und ihre Rolle als Mann und Frau spielen mussten, erwies es sich als sehr viel schwieriger für sie, sich einfach vorzumachen, MacLachlann sei nicht da.

Zumindest beschwerte er sich nicht wieder über die Schlafregelung. Jeden Abend ging er in den Schankraum hinunter, während Esme sich zum Schlafengehen vorbereitete. Und er kehrte erst zurück, wenn sie schon im Bett lag und vorgab zu schlafen.

Allerdings täuschte sie es nur vor, um eine weitere Auseinandersetzung mit ihm zu vermeiden. Mehr als einmal wurde sie mit dem Anblick von MacLachlanns nacktem Rücken belohnt – oder vielmehr gequält –, der so muskulös und kräftig aussah. Nur einige wenige Narben zeichneten sich auf der sonst glatten Haut ab. Die Schultern und Arme waren so muskulös, als hätte er jahrelang die Ruder eines Bootes bedient. Oder geboxt und gefochten.

Alles an ihm war männlich stark und wohlgeformt.

Deswegen machte sie sich jetzt auch tagsüber viel zu oft bewusst, was sich unter seiner feinen neuen Kleidung verbarg, selbst wenn sie sich streng daran erinnerte, dass er immer noch Quintus MacLachlann war und sie beide eine Aufgabe zu erledigen hatten, die ihre ganze Aufmerksamkeit verlangte.

Doch endlich erschien Edinburgh Castle in der Ferne, und bald darauf auch die Stadt zu Füßen der Burg. Hier im Norden hielt der Frühling nur zaghaft Einzug. Erst an einigen wenigen Bäumen waren die ersten grünen Blattknospen zu sehen.

Esme war nicht überrascht, als die Kutsche die Richtung zur New Town einschlug. Dort wohnten der Landadel und höhere Adel seit dem Ende des vorigen Jahrhunderts. Damals hatten sie die ältere Innenstadt verlassen, um in schönere, neuere Häuser umzuziehen.

MacLachlann sah immer noch mit finsterer, missvergnügter Miene aus dem Fenster. Entweder war er böse auf sie oder er machte sich ebenso Sorgen um den Erfolg ihrer Mission wie sie. Vielleicht weckte Edinburgh aber auch keine besonders erfreulichen Erinnerungen in ihm.

Die Kutsche hielt vor einem großen, eindrucksvollen Stadtpalais mit einem riesigen Oberlicht über dem Portal. Esme hatte damit gerechnet, dass das Domizil eines Earls groß und schön sein würde, aber einen Palast hatte sie nicht erwartet. Zweifellos gab es auf der hinteren Seite einen Garten und Stallungen für die Pferde.

„Trautes Heim“, meinte MacLachlann in Gedanken versunken, ohne dass irgendetwas an seiner Miene auch nur im Entferntesten an Freude erinnerte.

Die Tür wurde geöffnet, und ein Butler – angemessen streng und ernst – erschien auf der Schwelle.

MacLachlann stieß einen leisen Fluch aus, und bevor Esme fragen konnte, erklärte er: „McSweeney. Ist schon seit Menschengedenken bei unserer Familie.“

„Glauben Sie, er wird Sie erkennen?“, fragte sie entsetzt.

„Wenn ja, werden wir einfach leugnen müssen. Wenn nicht, wird er mir wahrscheinlich tunlichst aus dem Weg gehen. Er hatte noch nie etwas für Augustus übrig. Und denken Sie daran, dumm und langweilig zu wirken“, fügte er hinzu. „Ich stelle mir vor, die Dienerschaft wird viel neugieriger auf Sie sein als auf mich.“

Was Esme nicht gerade beruhigte. Ein Lakai drückte sich am Butler vorbei und kam die Treppe herunter, um den Kutschenschlag zu öffnen.

MacLachlann stieg aus und hielt Esme die Hand hin, um ihr herauszuhelfen.

„McSweeney, du alter Hund!“, rief er, während sie die Treppe hinaufgingen. „Ich dachte, du seiest schon längst tot.“

„Wie Sie sehen können, Mylord, ist dem nicht so“, entgegnete der Butler im Ton eines Leichenbestatters im Haus eines Leidtragenden.

„Und auch bei keiner anderen Familie im Dienst?“

„Doch, Mylord, bis Ihr Anwalt sich erkundigte, ob ich wieder nach Dubhagen House zurückkehren würde.“

„Er bot Ihnen auch keine schlechte Summe an, wie ich vermute. So einen Anwalt lob ich mir. Immer bereit, das Geld seines Klienten mit vollen Händen auszugeben.“

Esme drückte unwillkürlich seine Hand, erschrocken über den beleidigenden Ton, aber MacLachlann achtete nicht auf sie, sondern ging ungerührt weiter.

Im Haus sah er über die Schulter, während der Butler den Kutscher anwies, hinter das Haus zu fahren, und flüsterte Esme eindeutig erleichtert zu: „McSweeney hat nicht mit der Wimper gezuckt. Wenn wir ihn täuschen können, dann auch alle anderen.“

Sie war erleichtert, aber nicht so sehr wie MacLachlann. Er war den Luxus eines reichen Haushalts gewöhnt, sie hingegen nicht, und sie fühlte sich ein wenig unbehaglich.

Ein runder Mahagonitisch, auf dem eine riesige, mit Rosen gefüllte orientalische Vase stand, bildete den Blickfang des marmorgetäfelten Foyers. Der starke Geruch von Bienenwachs und Zitronen überdeckte fast den Duft der Blumen. Spiegel hingen an den meergrünen, mit kunstvoller weißer Stuckarbeit verzierten Wänden.

Zwei nicht mehr ganz so junge Stubenmädchen, Besen und Kehrbleche in den Händen, standen im Korridor, der zum hinteren Teil des Hauses führte. Ein Junge mit einem leeren Kohleneimer lungerte neben einer Tür, die wahrscheinlich in die Dienstbotengefilde führte. Ein weiterer Lakai in scharlachroter Livree wartete neben einer Tür, die, wie Esme annahm, zum Salon führte. Drei weitere Stubenmädchen lugten von dem Treppenabsatz über ihnen neugierig herunter. Unglaublich, wie viele Dienstboten hier beschäftigt wurden!

„Sorgen Sie dafür, dass unser Gepäck sofort ausgepackt wird“, wies MacLachlann den Butler an. „Ich werde Ihre Ladyschaft selbst zu ihrem Schlafgemach begleiten. Gewiss kann ich davon ausgehen, dass es bereits fertig ist?“

„Selbstverständlich, Mylord“, erwiderte McSweeney. „Ihr Anwalt hat eine ausgezeichnete Haushälterin eingestellt, also ist alles vorbereitet. Obwohl nur wenig Zeit war.“

MacLachlann griff den Butler so plötzlich an, dass selbst Esme erschrak. „Erdreisten Sie sich etwa, mich zu kritisieren, McSweeney?“

Der arme Mann wich einen Schritt zurück. „Nein, Mylord. Natürlich nicht, Mylord.“

„Gut.“ MacLachlann wandte sich an Esme, als wäre nichts geschehen. „Komm, meine Liebe.“

Er warf ihr wieder diesen ganz besonderen Blick zu – den Blick, der ihr durch und durch ging. Unwillkürlich zuckte sie zusammen. Er würde sie küssen. Er zog sie an sich – und kniff sie in den Po.

Es kostete sie alle Selbstbeherrschung, die sie aufbringen konnte, um ihn nicht zu ohrfeigen, besonders da sie seinen belustigten Ausdruck bemerkte. Und dann, ohne jede Vorwarnung, hob er sie auf die Arme und schritt auf die Treppe zu.

Entsetzt und voller Angst, er könnte sie fallen lassen, schlang Esme ihm die Arme um den Nacken. Sie wollte ihn gerade anfahren, er solle sie gefälligst wieder absetzen, da sah sie das bestürzte Gesicht des Butlers.

Sie musste ihre Rolle spielen, also flüsterte sie stattdessen laut genug, dass der Butler und die anderen Bediensteten sie hören konnten: „Lass mich runter, liebster Ducky! Was wird die Dienerschaft denken?“

Er antwortete nicht, sondern ging unbeirrt die Treppe hinauf.

Da sie nicht wusste, was sie tun sollte, plapperte sie weiter wie ein Hohlkopf. „Oh, du bist so romantisch, mein Liebster! Bin ich froh, dass du so stark bist. Du hast mir nicht gesagt, wie großartig dein Haus ist, Ducky, sonst hätte ich dich gebeten, mich früher herzubringen. Während der ganzen Zeit, die du um mich geworben hast, hast du kein Wort gesagt. Und deine Diener – wirklich ausgesprochen korrekt.“

Sie kamen an den Stubenmädchen vorbei, die pflichtbewusst vor ihnen knicksten, und noch immer blieb MacLachlann stumm. Vielleicht war Augustus kein sehr redseliger Mann.

MacLachlann trug sie einen Korridor entlang, an dessen blau gestrichenen Wänden Porträts und Landschaftsgemälde hingen, bis sie ein Zimmer fast am Ende dieses Korridors erreichten. Während er über die Schwelle schritt, sagte MacLachlann endlich etwas. „Dies ist Ihr Zimmer, Mylady.“

Esme gefiel der wunderschöne Raum. Die Tapeten wiesen ein zartes Muster aus blassem Grün und Blau auf, die Vorhänge waren aus Samt, und die Kirschholzmöbel schimmerten, so sehr waren sie poliert worden.

Andererseits war ihre Umgebung weniger wichtig als die Tatsache, dass MacLachlann sie immer noch in seinen Armen hielt. „Sie können mich jetzt absetzen.“

Und so tat er ihr den Gefallen. Er ließ sie herunter. Sehr langsam. Dicht an seinem Körper entlang. Sehr dicht.

Plötzlich wurde seine Miene finster. Verwirrt fragte Esme sich, was sie getan hatte.

„Wer zum Teufel sind Sie?“, verlangte er zu wissen, und sie erkannte, dass er nicht mit ihr sprach, sondern mit jemandem hinter ihr.

Schnell wandte sie sich um und sah eine Frau in einem schlichten grauen Wollkleid, ein weißes Häubchen auf dem Kopf, ein Kissen in der Hand, auf der anderen Seite des mit zartblauen Vorhängen versehenen Himmelbetts stehen.

Sie musste ein Stubenmädchen sein, noch dazu ein sehr hübsches, wenn auch nicht so jung, wie Esme zunächst vermutet hatte.

„Ich bin Mrs Llewellan-Jones, die Haushälterin, Mylord. Man hat mich nicht über Ihre Ankunft in Kenntnis gesetzt“, erwiderte die Frau mit einem leichten walisischen Akzent, knickste und begegnete MacLachlanns leutseligem Lächeln mit ernster Miene.

„Ah. Der Anwalt hat Sie eingestellt?“, fragte MacLachlann.

„Ja, Mylord. Vor Kurzem arbeitete ich noch für Lord Raggles.“

„Wie geht es dem alten Rags?“, erkundigte MacLachlann sich mit einem charmanten Lächeln.

„Seiner Lordschaft ging es recht gut, als ich ihn das letzte Mal sah, Sir.“

„Freut mich, zu hören. Wenn Sie uns nun entschuldigen möchten, Mrs Jones. Meine Gattin und ich würden uns gern vor dem Dinner ausruhen.“

„Llewellan-Jones, Mylord. Könnten Sie mir noch sagen, was mit Ihrem Gepäck geschehen soll?“

„Es kann in das Ankleidezimmer gebracht und ausgepackt werden. Aber niemand soll unaufgefordert unser Schlafgemach betreten. Wenn wir etwas benötigen, werden wir klingeln.“

Esme traute ihren Ohren nicht. Was sollte das bedeuten?

„Wie Sie wünschen, Mylord. Mylady.“ Die Haushälterin ließ sich keine Regung anmerken, sondern verließ das Zimmer und schloss die Tür leise hinter sich.

5. KAPITEL

Wachsam und auf alles vorbereitet, wartete Esme mit angehaltenem Atem auf MacLachlanns nächsten Schritt.

Zu ihrer Erleichterung kam er nicht näher. Prüfend sah er sich im Zimmer um. „Wie ich sehe, hat Augustus keine Renovierungen vornehmen lassen.“

Entschlossen, sich ihre innere Anspannung nicht anmerken zu lassen, begann Esme, ihre Handschuhe abzustreifen. „War es wirklich nötig, zu so primitiven Mitteln zu greifen?“

„Es schien mir angebracht“, erwiderte er nur geistesabwesend, während er auf den Standspiegel zuging, der in einer Ecke einen Sprung aufwies. „Gott, das Haus ist in üblerer Verfassung, als ich mir vorgestellt hatte. Augustus hätte es verkaufen sollen, wenn er es sowieso nur verfallen lassen wollte.“

„Vielleicht rechnet er ja damit, eines Tages wieder hier zu sein und es instand zu setzen.“

„Vielleicht, aber ich bezweifle es.“ MacLachlann ging auf die leere Frisierkommode zu und fuhr mit einem Finger auf der Oberfläche entlang, als wollte er seine Sauberkeit überprüfen. Trotz der offensichtlichen Verwahrlosung überall, war hier kürzlich erst gründlich geputzt und Staub gewischt worden.

„Ihr Anwalt scheint recht viele Dienstboten eingestellt zu haben.“

„Augustus hatte immer viele Diener.“

„Für die mein Bruder jetzt zahlt, nehme ich an.“ Esme fing an, die Nadeln aus dem Haar zu nehmen und sie sorgfältig auf der Kommode abzulegen.

„Natürlich. Ich hätte es mir jedenfalls nicht leisten können“, gab er zu. „Jamie wusste sehr gut, dass enorme Kosten auf ihn zukommen würden, so sehr ich auch versuche, sie einzudämmen.“

„Aber versuchen Sie es auch?“

„So gut wie möglich. Ich werde alle Ausgaben belegen.“

Sie verzog geringschätzig den Mund, da das Geld auch in dem Fall verloren sein würde, aber er schien nicht auf sie zu achten, sondern schlenderte zum Fenster, zog den Vorhang zurück und blickte auf den Garten hinter dem Haus hinunter. Er war ungepflegt. Nur ein paar Narzissen wagten es bereits zu blühen.

„Ich glaube nicht, dass ich ganz so erpicht darauf wäre, so viel auszugeben, nur um einer Frau zu helfen, die mir den Laufpass gegeben hat“, sagte er wie zu sich selbst.

Sie wäre auch nicht bereit, einem Mann zu helfen, der ihr das Herz gebrochen hätte. „Mein Bruder ist ein sehr freundlicher, großzügiger Mann“, sagte sie jedoch nur.

„Offensichtlich. Sonst hätte er mich auf der Tower Bridge stehen lassen.“

Er drehte sich wieder zu ihr herum, und zu ihrer Bestürzung hatte er erneut seine gewohnt spöttische Miene aufgesetzt. „Weswegen ich verdammt froh bin, dass ich nie verliebt war.“

Nicht?

„Was ist mit Ihnen, Miss McCallan? Hat je ein junger Gentleman Ihr Herz gerührt?“

Als ob sie es ihm verraten würde, wenn es so gewesen wäre. „Nein.“

„Dachte ich mir schon“, meinte er eindeutig zu selbstherrlich.

Und dann, ohne sie vorher zu warnen, warf er sich plötzlich auf das Bett und rollte wie ein vom Wahnsinn Gepackter darin herum.

„Was in aller Welt machen Sie da?“

„Ich lasse es so aussehen, als hätten wir uns unseren ehelichen Pflichten hingegeben.“

„Aber warum denn nur?“

„Ich habe es Ihnen doch erklärt. Die Männer in meiner Familie sind sehr leidenschaftlich.“

Leidenschaftlich würde sie das nicht nennen. „Wie bedauerlich für die Frauen in Ihrer Familie, dass ihnen ständig so etwas zugemutet wird.“

„Zugemutet? Wie deutlich doch wird, dass Sie noch unberührt sind.“

Esme wollte auf keinen Fall dulden, auf diese herablassende Art behandelt zu werden. „Ja, das bin ich und werde ich bleiben, bis zum Tag meiner Heirat.“

Er rollte geschmeidig vom Bett und erhob sich. „Bis zu dem Tag also sollte er je kommen – oder vielleicht sollte ich sagen, bis zum Tag nach diesem gesegneten Ereignis – würde ich mir an Ihrer Stelle auch kein Urteil darüber anmaßen, was andere Frauen während der leidenschaftlichen Aufmerksamkeiten ihrer Gatten empfinden.“

Esme errötete heftig und suchte verzweifelt nach einer niederschmetternden Antwort, doch er ging schon auf eine Tür zu. „Und wenn Sie mich jetzt entschuldigen wollen, mein kleiner Honigkuchen, gehe ich mich umziehen.“

„Ist das nicht mein Ankleidezimmer?“

„Unsere Schlafzimmer grenzen aneinander. Wie ich schon sagte: Wir MacLachlanns sind sehr leidenschaftliche Männer.“ Und mit dieser letzten spöttischen Bemerkung ließ er sie allein.

An diesem Abend setzten sie sich an einen edel gedeckten Tisch. Hauchdünnes Porzellan schimmerte auf einer mit zarter Spitze besetzten Tischdecke. Silberbesteck, Kristallgläser und silberne Kerzenhalter schafften im riesigen, holzvertäfelten Esszimmer des Earls eine fast märchenhafte Atmosphäre. Lakaien standen bereit, um MacLachlann und seiner angeblichen Gattin zu servieren. Der Butler verfolgte alles diskret aus dem Hintergrund.

Esme jedoch konnte die Eindrücke der ungewohnt prächtigen Umgebung nicht genießen, und auch das ausgezeichnete Mahl schmeckte ihr nicht. Sie erkannte zu ihrem Leidwesen, dass es nicht annähernd so leicht war, sich dumm und unwissend zu geben, wie sie angenommen hatte. Und sie war nicht nur ständig notgedrungen auf der Hut und passte auf, was sie sagte, auch dass sie so teure Kleider wie dieses wunderschöne, tief ausgeschnittene Kleid aus smaragdgrüner Seide tragen musste, war eine einzige Qual. Die Vorstellung, sie könnte Wein oder Suppe darauf kleckern und es ruinieren, wühlte sie völlig auf.

Da half es nicht besonders, dass MacLachlann auf der anderen Seite die Rolle als Hausherr in vollen Zügen genoss, während sie seine hohlköpfige Frau spielen musste.

Als wäre all das nicht schon genug, sah er in Abendkleidung sogar noch umwerfender aus als sowieso schon. Der Schnitt seines schwarzen Frackrocks betonte die breiten Schultern, und die eng sitzenden Kniehosen und Strümpfe zeigten deutlich seine muskulösen Beine.

„Ja, der schönste Wallach, den ich je gesehen habe“, sagte er gerade über das Reitpferd, das er in London mit Jamies Geld gekauft und nach Edinburgh hatte schicken lassen, als gäbe es keine guten Pferde in Schottland.

Esme schauderte es insgeheim bei dem Gedanken, was der Transport eines solchen Pferdes und natürlich das Tier selbst gekostet haben mochten.

„Sollte einen schönen Profit einbringen, wenn ich mich je entschließe, es zu verkaufen“, meinte er.

„Sie … du würdest es verkaufen?“

„Natürlich. Wenn ich den richtigen Preis dafür bekomme, schon morgen.“

Also hatte er nicht vor, es zu behalten. Gott sei Dank.

„Deine Stute wird wohl genauso gute Qualitäten haben.“

Esme ließ fast ihre silberne Gabel fallen. „Du hast zwei Pferde gekauft?“

Dann erinnerte sie sich, dass man sie für dumm halten musste, und fügte mit einem albernen Kichern hinzu: „Du willst doch nicht etwa sagen, dass du ein Pferd für mich besorgt hast? Ich kann nicht reiten … wie du sehr wohl weißt.“

MacLachlann lachte. „Nun, jetzt, da wir zu Hause sind, wirst du es eben lernen.“

Wenn es je einen passenden Augenblick gegeben hatte, die Dumme zu spielen, dann jetzt. Esme verschränkte die Hände und setzte die flehende Miene einer Reumütigen auf. „Aber Ducky, Pferde sind so groß und tänzeln immer so unberechenbar. Ich bin sicher, ich würde herunterfallen. Du würdest doch sicher nicht wollen, dass dein liebstes Frauchen sich wehtut, oder? Und du würdest mich zu nichts zwingen, was ich nicht möchte, nicht wahr?“

Er sah ein wenig verärgert aus. „Du musst keine Angst haben. Es ist nur ein Pferd.“

Unbeirrt hielt Esme sich die Serviette vor die Augen und schnüffelte, als würde sie weinen. „Will Ducky etwa grausam zu seiner liebsten, süßen Gattin sein?“

MacLachlann bedachte sie mit einem finsteren Blick und griff nach seinem Weinglas. „Wenn du wirklich nicht reiten willst, dann eben nicht.“

„Und du wirst die Stute verkaufen?“

Er überlegte einen Moment, und seine Miene hellte sich auf. „Hier müsste ich eigentlich sogar einen besseren Preis für sie bekommen, als ich bezahlt habe. Gut, ich verkaufe sie.“ Ein Lächeln erschien um seine Lippen. „Trockne deine Tränen, meine Liebe, und gib deinem Mann einen Kuss.“

Mit all den Zeugen um sie herum blieb ihr nichts anderes übrig. Also senkte sie scheinbar schüchtern die Lider, und nach einem verschämten Blick auf den nächsten Lakaien gab sie MacLachlann einen flüchtigen Kuss auf die Wange.

Bevor sie sich zurückziehen konnte, schlang er jedoch den Arm um sie und zog sie an sich. Leidenschaft loderte in seinen Augen auf, sodass Esme erschauerte, als er ihr über die Wange strich. Seine Berührung war kaum zu fühlen, so behutsam war sie, und doch erbebte Esme am ganzen Leib und musste seltsamerweise daran denken, wie MacLachlann sich auf dem Bett gerekelt hatte.

„Wie könnte ich dir etwas ausschlagen“, fragte er leise, als würde er es wirklich meinen.

Ihr Herz schlug schneller, die Knie wurden ihr weich. Wie sehr wünschte sie, er meinte es ernst …

Nein, Unsinn! Es war immer noch Quintus MacLachlann, um den es hier ging, und er spielte natürlich nur den verliebten Ehegatten. Das durfte sie auf keinen Fall vergessen!

„Nicht vor den Dienern, Ducky“, flüsterte sie und entzog sich ihm.

Er protestierte nicht, als sie wieder an ihren Platz eilte. Das Mahl war glücklicherweise bald zu Ende. Doch was würde danach geschehen?

Sie sollte es schon bald herausfinden. MacLachlann leerte sein Weinglas, schob den Stuhl zurück und erhob sich.

„Gute Nacht, meine Liebe. Ich sehe dich beim Frühstück wieder.“

Damit hatte sie nicht gerechnet. „Du ziehst dich bereits zurück?“

Er schüttelte den Kopf. „Ich gehe in meinen Klub und weiß nicht, wann ich zurück sein werde. Schlaf du schon, mein kleiner Honigkuchen.“

„Ich werde es versuchen.“ Sie versuchte, ihren Ärger zu verbergen. Warum hatte er ihr nichts über seine Pläne mitgeteilt? „Komm nicht zu spät, Ducky. Es war ein langer, ermüdender Tag.“

Er lächelte nur belustigt. „Für dich vielleicht“, meinte er und verließ den Raum mit eindeutig zu unternehmungslustigem Auftreten.

Früh am folgenden Tag lief Esme unruhig im Boudoir der Countess auf und ab. Sie war zu aufgebracht, um der hübschen Tapete mit den Pfauen und Nachtigallen oder der auffallend schönen Stuckarbeit viel Aufmerksamkeit zu schenken. Auch die Stühle mit den verschnörkelten Beinen fielen ihr kaum auf, und sie war zu erschöpft, um von den kunstvoll verschlungenen Ebenholzintarsien des Schreibtisches besonders begeistert zu sein.

Sie hatte Stunden wach gelegen und auf MacLachlann gewartet. Schließlich war sie doch eingeschlafen, nur um im Traum Quintus MacLachlann als Satyr mit Hörnern, behaarten Beinen und einem Spitzbart zu erleben. Er hatte sie gejagt und gefangen und wie ein Besessener gelacht, als er sie mit sich auf die Erde zog.

Viel schlimmer war, dass der Traum, statt sie zu entsetzen, sie vielmehr mit nie gekannter Erregung erfüllt hatte. Esme presste die Hände an die Schläfen, als könnte sie so den Traum vergessen.

Es musste der Wein gewesen sein. Sie trank normalerweise nur ein Glas am Abend, und gestern waren es gleich drei gewesen. Und jetzt hatten sie das Frühstück schon längst hinter sich, und MacLachlann war noch immer verschwunden.

Hat er wirklich seinen Klub besucht, fragte sie sich wohl zum hundertsten Mal, oder war er ganz woanders? Hatte er seine vertrauten Lieblingsplätze von früher aufgesucht, und wenn ja, wie lange würde es dauern, bis jemand erkannte, dass er nicht der Earl, sondern dessen Bruder war?

„Guter Gott, was für eine Nacht!“

Sie wirbelte herum und sah sich MacLachlann gegenüber, der am Türrahmen lehnte – unrasiert und ungepflegt, die Krawatte gelöst, das Hemd halb offen, sodass Esme viel mehr von seiner Brust sehen konnte, als ihr lieb war. Er schien ausgesprochen erschöpft zu sein. Und dennoch war er immer noch so viel anziehender als jeder Mann, den sie kannte.

Sie beobachtete ihn finster, während er zum nächsten Sessel ging, sich schwerfällig hineinfallen ließ und die Augen schloss. „Noch nie habe ich mich so gelangweilt“, meinte er mit einem gereizten Seufzer. „Man sprach über nichts anderes als Hunde und Pferde, und nicht einmal Rennpferde. Nur Jagdpferde. Ich dachte, ich würde wahnsinnig werden.“

Zumindest klang es so, als wäre er wirklich in seinem Klub gewesen, was eine große Erleichterung für Esme war, obwohl sie es nicht gern zugab. „Wenn es so langweilig war, warum sind Sie dann so lange geblieben?“

Er öffnete mühsam die Lider. „Natürlich weil ich dachte, ich könnte etwas Nützliches in Erfahrung bringen. Und ich hatte recht. Wenn Lady Catrionas Vater in finanziellen Schwierigkeiten steckt, so geht es jedenfalls dem übrigen Adel nicht so. Sonst würden sie kaum so viel Geld für ihre Hunde und Pferde ausgeben.“ Er schloss wieder die Augen. „Wenigstens habe ich einen Käufer für die Stute gefunden, und den Wallach werde ich auch zu einem guten Preis an ihn loswerden, bevor wir nach London zurückkehren.“

Esme setzte sich auf den Rand eines zierlichen Stuhls neben dem Schreibtisch und öffnete geistesabwesend das Tintenfass. Es war so trocken wie die Sahara. „Niemand hat Ihre Identität bezweifelt, hoffe ich.“

„Ich habe selbst kaum jemanden von ihnen erkannt, also denke ich, dass auch niemand sich an mich erinnern wird, mein kleiner Honigkuchen.“

Sie verschränkte die Arme vor der Brust. „Bitte nennen Sie mich nicht so.“

Plötzlich erhob er sich und blieb vor Esmes Stuhl stehen, die Arme auf ähnliche Weise verschränkt. „Werden Sie mich weiterhin Ducky nennen?“

„Ich höre auf, Sie Ducky zu nennen, wenn Sie mich nicht länger Honigkuchen nennen.“

Er nickte. „Gut, abgemacht. Und jetzt gehe ich schlafen.“ Auf dem Weg zur Tür hielt er noch kurz inne und fragte lächelnd: „Was, keinen Gutenachtkuss?“

„Da wir allein sind und es früher Nachmittag ist, gibt es dazu keinen Grund“, sagte sie kühl.

„Zu schade. Für eine Anfängerin küssen Sie ganz gut“, meinte er noch, während er hinausging.

Vor nur wenigen Tagen wäre sie stark versucht gewesen, ihm das Tintenfass an den Kopf zu werfen. Und jetzt?

Jetzt wurde sie nicht mehr klug aus Quintus MacLachlann.

Zwei Stunden später saß Esme wieder am Schreibtisch. Doch wenn das zierliche Möbelstück vorher so leer wie das Tintenfass gewesen war, so befanden sich jetzt darauf mehrere leere Papierblätter, Federn und ein Messer zum Anspitzen. Das Tintenfass war gefüllt, und der Behälter mit dem Streusand lag bereit. Esme hatte dem Butler eine kleine Summe ihres Nadelgelds gegeben und ihn gebeten, die nötigen Schreibutensilien für sie besorgen zu lassen.

Diese Einzelheit teilte sie ihrem Bruder in ihrem Brief nicht mit, nur, dass ihre List offenbar erfolgreich war und MacLachlann bei einem Besuch in einem Klub seines Bruders bereits nützliche Informationen erhalten hatte.

Sie hatte gerade geschrieben, dass MacLachlann glaubte, der hiesige Adel sei offenbar sehr wohlhabend, da kam McSweeney herein, eine Karte auf einem silbernen Tablett. „Sind Sie daheim, Mylady?“

Esme nahm die Karte und runzelte die Stirn, als sie sah, wer darauf wartete, zu ihr gelassen zu werden. „Ja, McSweeney. Führen Sie sie bitte herein.“

Nachdem der Butler gegangen war, schloss Esme das Schreibpult, erhob sich und strich den Rock ihres hübschen, geblümten blassgrünen Kleids glatt. In diesem eleganten Aufzug fühlte sie sich eher gleichberechtigt mit Lady Catriona McNare – der Frau, die ihrem Bruder das Herz gebrochen und sein Glück zerstört hatte.

6. KAPITEL

Als Catriona den Raum betrat, bemühte Esme sich, keine Überraschung zu zeigen. Natürlich hatte sie gewusst, dass Catriona inzwischen älter geworden sein musste – wie schließlich jeder von ihnen. Catriona war wie immer sehr elegant gekleidet. Heute trug sie ein sehr hübsches, kurzes taubengraues Jäckchen mit schwarzen Knebelknöpfen zu einem silbergrauen Kleid, dazu einen passenden grauen Hut mit schwarzen Samtbändern. Es war also nicht ihre Kleidung oder ihre Haltung, die Esme verblüffte. Es war ihr Gesicht. Sie hatte sie nur ein einziges Mal gesehen, und zwar an jenem schicksalhaften Tag, an dem Catriona Jamie den Laufpass gegeben hatte, aber sie würde nie die aufsehenerregende Schönheit vergessen, die ihren Bruder so verletzt hatte.

Damals war Catrionas Gesicht weich und rund gewesen, ihre Wangen rosig. Jetzt war sie blass und ihr Gesicht fast hager. Ihre grünen Augen wiesen einen gejagten Ausdruck auf, eigentlich jenem Jamies ähnlich, wenn er glaubte, Esme merkte es nicht.

„Guten Tag, Miss McCallan“, sagte Catriona McNare, nachdem sie sich vergewissert hatte, dass sie allein waren. „Ich kann Ihnen nicht genug danken, dass Sie nach Edinburgh gekommen sind, um mir zu helfen, und auch Ihrem Bruder, der Sie geschickt hat.“

Wie sehr sie sich auch verändert hatte und wie dankbar sie auch sein mochte, sie war trotz allem immer noch die Frau, die Jamie abgewiesen hatte, weil er zu arm und unbedeutend für die Tochter eines Earls war. „Er ist ein sehr großzügiger, versöhnlicher Mann.“

„Aber Sie lassen sich nicht versöhnen, wie ich vermute“, sagte Catriona leise. „Ich verstehe das sehr gut. Immerhin habe ich Ihren Bruder sehr schlecht behandelt, und ich …“

„Na, wen haben wir denn da?“, fragte MacLachlann herzlich, während er zur Tür hereinkam.

Es waren zwar erst zwei Stunden vergangen, seit Esme ihn das letzte Mal gesehen hatte, aber er sah sehr viel besser aus, ausgeruht und gelassen. Außerdem hatte er sich rasiert und das Haar gekämmt und trug ein frisches weißes Hemd, Krawattentuch, schwarze Hose und dunkelgrüne Jacke und Weste – jeder Zoll der reiche, souveräne Gentleman.

„Das ist Lady Catriona McNare, die Tochter des Earl of Duncombe.“

„Ich bin entzückt, Sie kennenzulernen, Mylady.“ MacLachlann verbeugte sich und hob Catrionas behandschuhte Finger galant an die Lippen.

„Sie müssen Quintus MacLachlann sein“, sagte Catriona. „Jamie hat mir in seinem Brief alles über Sie geschrieben.“

„Du meine Güte, ich hoffe doch, nicht wirklich alles“, rief er in gespieltem Entsetzen, „sonst werden Sie nie wieder mit mir reden wollen.“

Catriona lächelte herzlich und erinnerte wieder ein wenig mehr an die Schönheit, die sie damals gewesen war. „Ich werde immer glücklich sein, mit Jamies Freunden zu reden.“

Es war nicht der Moment, fand Esme, ihre Zeit mit leerem Geschwätz und bedeutungslosen Komplimenten zu vertun. Sie kam sofort zum Punkt. „Ist es Ihnen möglich gewesen, irgendwelche wichtigen Dokumente zu finden?“

Catriona schüttelte den Kopf. „Leider nein. Mein Vater schließt meistens die Tür zu seiner Bibliothek ab.“

MacLachlann warf Esme einen rätselhaften Blick zu und wies dann auf einen Sessel. „Bitte setzen Sie sich.“

Wollte er ihr etwa andeuten, dass sie unhöflich gewesen war? Und wenn ja, war es ihr auch gleichgültig.

„Meistens? Sie ist also nicht immer verschlossen?“, fragte MacLachlann, sobald sie sich gesetzt hatten.

„Nein. Manchmal lässt er die Tür offen, wenn er nur für eine kleine Weile fort muss.“ Catriona räusperte sich leicht. „Wie ich höre, stellt eine verschlossene Tür allerdings kein Hindernis für Sie da, Mr MacLachlann. Als ich also erfuhr, wann Sie kommen würden, bereitete ich für heute Abend ein Fest Ihnen zu Ehren vor. Unsere Väter waren recht gut befreundet.“

„Ja, das stimmt.“

Esme war entsetzt. „Sie haben nie erwähnt, dass er Sie kennt.“

„Er weiß von mir, aber wir sind uns nie begegnet. Als Junge war ich nur selten in Edinburgh. Mein Vater fand mich zu wild, also musste ich in der Schule bleiben.“

Esme hatte das Damenkolleg gern besucht, aber die Ferien zu Hause hatte sie bei Weitem vorgezogen. Es hätte sie zutiefst traurig gemacht, gezwungen zu sein, das ganze Jahr über im Internat zu bleiben. Aber sie zwang sich, nicht über MacLachlanns einsame Jugend nachzudenken, sondern über das Problem, um das es ihr hier wirklich gehen sollte. „Kennt er denn Ihren Bruder?“

„Ich denke, ja.“

Er sprach so gelassen, dass Esme errötete – allerdings nicht vor Verlegenheit oder Verlangen. „Sie fanden aber nicht, das sei etwas, das ich wissen sollte?“

„Wir werden vielen Leuten begegnen, die Augustus kennengelernt haben. Da stellt der Earl keine Ausnahme dar.“

„Abgesehen davon, dass wir versuchen, seine Papiere einzusehen. Wenn der Earl einen Grund hat, Sie zu verdächtigen …“

„Es ist meine Aufgabe, dafür zu sorgen, dass uns niemand verdächtigt, und ich erledige meine Aufgaben meist tadellos. Wenn wir in der Bibliothek ertappt werden sollten, behaupten wir einfach, dass die Tür offen war und wir hineingeschlüpft sind, um ein wenig allein zu sein.“ Er sah sie vielsagend an.

„Unsere Abwesenheit könnte sofort bemerkt werden.“

„Nein, nicht so schnell“, warf Catriona ein. „Ich habe zwanzig Paare eingeladen.“

Das klingt eher nach einem Ball als einer Dinnergesellschaft, fand Esme.

„Vater liebt große Gesellschaften“, erklärte Catriona, „und ich dachte, je mehr Menschen da sind, desto besser für unsere Absicht.“

„Sie haben völlig recht“, versicherte MacLachlann ihr mit einem Lächeln. „Je mehr, je lustiger, sage ich immer.“

„Jetzt zu Beginn des Frühlings befindet sich glücklicherweise der größte Teil der Bekannten Ihres Bruders auf dem Land“, fuhr Lady Catriona fort. „Ich habe Freunde meines Vaters und unseren Anwalt Gordon McHeath eingeladen.“

Esme nickte. „Falls Ihr Vater betrogen oder mit irgendeinem Trick dazu gebracht worden ist, eine Unterschrift zu seinem Nachteil zu leisten, ist es nur allzu wahrscheinlich, dass Mr McHeath darin verwickelt ist“, sagte sie.

„Das wäre mir sehr unangenehm“, erwiderte Catriona bedrückt. „Seine Familie besitzt seit drei Generationen den besten Ruf, und Gordon McHeath ist ein ehrenhafter junger Mann. Mir ist noch nie etwas Schlechtes über ihn zu Ohren gekommen.“

Was ihn nicht sofort zu einem anständigen Menschen macht, dachte Esme. „Einige der Menschen, die Jamie vertrat, wurden von Männern betrogen, die angeblich die Rechtschaffenheit in Person waren“, bemerkte sie trocken.

„Es ist ein wenig früh, irgendjemanden zu verdächtigen. Zufällig lässt sich meine Familie vom selben Anwaltsbüro vertreten.“

Esme bedachte ihn mit einem gereizten Blick. Warum hatte sie auch davon nichts erfahren? Es würde ihrer Untersuchung so sehr helfen, wenn sie eine Verbindung zum Anwalt Lord Duncombes hatten. Was hatten MacLachlann und Jamie ihr sonst noch verschwiegen?

„Ich bin davon überzeugt, dass Mr McHeath vertrauenswürdig ist“, sagte Catriona mit einem schüchternen Lächeln, als maße sie sich eine Meinung an, die ihr nicht zustand. „Und vielleicht haben Sie recht, und ich habe mir wegen nichts zu viele Sorgen gemacht. Ich hoffe es so sehr! Gibt es denn noch etwas, das Sie wissen möchten?“

„Wann sollen wir kommen?“

„Um sieben Uhr.“ Catriona sah vom einen zum anderen, während sie mit der Quaste ihres schwarzen Samtretiküls spielte. „Ich kann kaum in Worte fassen, wie dankbar ich Ihnen bin“, sagte sie mit ihrer weichen, angenehmen Stimme. Ihre grünen Augen glitzerten verdächtig, als wäre sie kurz davor, in Tränen auszubrechen. „Ich fürchte, unsere finanzielle Lage ist sogar prekärer, als ich vermutet hatte.“

„So arg kann es ja nicht sein, wenn Sie eine Abendgesellschaft für vierzig Gäste geben“, warf Esme ein. Und auch Catrionas Kleidung war offensichtlich neu und sehr teuer.

Trotz ihrer logischen Bemerkung bedachte MacLachlann sie mit einem seiner tadelnden Blicke. Wie die meisten Männer war er mehr als bereit, alles zu glauben, wenn es aus dem Mund einer schönen jungen Frau kam.

„Vater gibt vor, alles sei in Ordnung und wir hätten keinen Grund, uns Sorgen zu machen.“ Catrionas Wangen überzogen sich mit zarter Röte. „Wenn ich zu sparen versuche, besteht er darauf, dass wir weiterhin Ausgaben machen wie immer. Aber ich fürchte, wir haben große Schulden, und unser Besitz ist so sehr mit Hypotheken belastet, dass wir sie niemals zurückzahlen können.“

„Machen Sie sich keine Sorgen, Mylady“, sagte McLachlann beruhigend. „Wir sind hier, um Ihnen zu helfen, und es kann ja auch sein, dass Sie sich ganz umsonst sorgen. Männer sagen manchmal Dinge, ohne zu überlegen, was jemand anders daraus schließen könnte. Ohne alle Einzelheiten ist es leicht für eine Frau, sich grundlos zu ängstigen.“

„Wenn der Vater eines Mannes Geld verspielen und ihm nicht erklären würde, wie die Dinge genau liegen, würde wohl auch dieser Mann sich ängstigen, meinen Sie nicht?“, sagte Esme verärgert.

MacLachlann achtete nicht auf sie. „Für heute Abend denke ich, dass es reicht, wenn wir diesen McHeath erst einmal kennenlernen und irgendwie in die Bibliothek Ihres Vaters kommen könnten, um alle Dokumente zu untersuchen, die wir finden. Sollten wir Beweise für verdächtige Geschäftstransaktionen entdecken, werden wir unsere nächsten Schritte besprechen.“

Er schenkte Catriona wieder ein ermutigendes Lächeln. „Aber wie ich schon sagte, es könnte durchaus sein, dass Ihr Vater Sie durch sein Verhalten unnötig in Sorgen gestürzt hat. Wollen wir es hoffen, Mylady.“

Fast wieder so jugendlich wie die Catriona, an die Esme sich erinnerte, erhob sie sich und gab MacLachlann die Hand. „Ich danke Ihnen so sehr – Ihnen beiden“, fügte sie nachträglich mit einem Blick auf Esme hinzu, als wäre sie, und damit auch Jamie, nicht so wichtig.

„Jamie ist derjenige, der Ihren Dank verdient.“ Esme erhob sich ebenfalls. „Ohne ihn – und sein Geld – wären wir gar nicht hier. Er zahlt alle Ausgaben.“

Catriona besaß den Anstand zu erröten. „Selbstverständlich werde ich dafür sorgen, dass er entschädigt wird.“

„Ich werde veranlassen, dass er Ihnen eine Rechnung schickt.“

Catriona nickte und, immer noch tiefe Röte auf den Wangen, schenkte ihnen ein weiteres bebendes Lächeln. „Bis heute Abend“, sagte sie noch, bevor sie das Zimmer verließ.

Kaum hatte sich die Tür hinter ihr geschlossen, drehte MacLachlann sich um und sah Esme erbost an. „Was zum Teufel hatte das alles zu bedeuten?“

Esme war nicht in der Stimmung, sich diesen Ton gefallen zu lassen. Sie hatte bereits zu viele Männer im Bann einer hübschen Frau erlebt, um erstaunt darüber zu sein, wenn es ein weiteres Mal geschah. Allerdings war es schon überraschend, dass ausgerechnet MacLachlann auf einen unschuldigen Augenaufschlag hereinfiel. Sie hatte angenommen, dass er zu erfahren im Umgang mit schönen Frauen war, um ihren Reizen zu erliegen. Doch offenbar hatte sie sich getäuscht.

„Da es eine lange Unterhaltung war, wären Sie vielleicht so freundlich, mir zu erklären, auf welchen Punkt genau Sie sich beziehen“, sagte sie ruhig, setzte sich an den Schreibtisch und das Pult.

„Warum mussten Sie Geld und Rechnungen erwähnen?“

Esme weigerte sich, sich für irgendetwas zu schämen, das sie zu Catriona McNare gesagt hatte. „Ich wollte sie nur daran erinnern, dass dieses ganze Unternehmen Jamie Geld kostet und es ihm zurückerstattet werden muss. Oder denken Sie, er sollte alles aus eigener Tasche bezahlen? Sie hat ihm den Laufpass gegeben, wissen Sie, nicht umgekehrt, und Sie sah nicht so aus, als würde es ihr an Nadelgeld fehlen.“

„Und das mussten Sie ausgerechnet heute, bei unserem ersten Zusammentreffen zur Sprache bringen?“

„Warum nicht? Besser, sie kennt ihre Verpflichtungen, dann kann sie später auch keine Unkenntnis heucheln. Wenn es nach mir gegangen wäre, hätte Jamie sie einen Vertrag unterzeichnen lassen, in dem genau steht, was wir tun und wie sie dafür zahlen wird.“

„Gütiger Himmel!“, rief MacLachlann außer sich. „Frauen und das Gesetz, was für eine Mischung! Es ist ein verdammtes Glück, dass Frauen keine Anwälte werden können, sonst würden wir Männer keine Gnade finden!“

„Warum auch, wenn Sie es nicht verdienen?“, entgegnete Esme gelassen. „Wenn Frauen den Anwaltsberuf ausüben könnten, sähe die Welt anders aus – besonders für uns Frauen. Es wäre außerdem besser, die Männer hätten nicht ständig Geheimnisse vor uns. Warum haben Sie mir nicht gesagt, dass Ihr Vater und Catrionas Vater miteinander befreundet waren und Ihre Familie dieselbe Anwaltsfirma konsultierte?“

„Ich habe nicht daran gedacht.“

„Wenn Sie so Ihre Arbeit erledigen, warne ich Jamie besser, dass er vielleicht doch nicht alle nötigen Fakten von Ihnen bekommt, wie er immer glaubt.“

„Er bekommt alle Informationen, die nötig sind. Genau wie Sie. Ich führe diese Untersuchung, Miss McCallan, nicht Sie. Sie sind lediglich hier, um mir bei der Auswertung der Dokumente zu helfen, mehr nicht.“

Esme hielt ihre Wut nur mühsam in Schach. „Sie sind vom ersten Tag unserer Bekanntschaft an unverschämt gewesen – und respektlos und unhöflich und ungehobelt mit Ihren ständigen Anzüglichkeiten.“

„Ich bin erstaunt, dass Sie meine Anzüglichkeiten überhaupt verstehen konnten bei Ihrer Unerfahrenheit.“

„Und doch verstehe ich sie und finde sie genauso abscheulich wie Sie.“

Mit einem leisen Fluch drehte er sich um und hielt auf die Tür zu.

„Wohin gehen Sie?“, verlangte Esme zu wissen.

„Zurück ins Bett.“ Er sah sie finster an und wies auf den Schreibtisch. „Falls Sie an Ihren Bruder schreiben, sagen Sie ihm, dass er mir das Doppelte zahlen sollte dafür, dass ich seine Schwester, den Leuteschinder, ertragen muss.“

Seine Beleidigung tat weh, aber Esme ließ sich nichts anmerken. „Versuchen Sie etwa, Ihren Vertrag ohne vorherige Abmachung zu ändern? Wenn ja, könnte Jamie Sie wegen Vertragsbruchs verklagen.“

MacLachlann riss die Tür auf. „Frauen und das Gesetz“, stieß er noch hervor und stürmte hinaus.

Esme ließ sich auf den Stuhl fallen und betrachtete bedrückt den unbeendeten Brief.

Was gab es noch, das sie über MacLachlann und den Earl of Duncombe, Jamie und Catriona nicht wusste? Und was über ihr eigenes verräterisches Herz, das, selbst wenn sie vor Wut kochte, sich noch immer zu Quintus MacLachlann hingezogen fühlte?

Himmel, der Ort hat sich überhaupt nicht verändert, dachte Quinn, als er die Spielhölle betrat, die Augustus immer besucht hatte. Früher war es nicht ganz so schäbig gewesen wie heute – die Tapeten verfärbt, der Boden abgenutzt und die Luft stickig, als wäre hier seit Jahren nicht mehr gelüftet worden –, der Lärm allerdings war der gleiche wie immer. Betrunkenes Lallen, Jubel, wenn jemand gewann, mürrisches Gemurmel, wenn jemand verlor, gedämpfte Gespräche in anderen Teilen des Raums, Gelächter über einen sehr wahrscheinlich schlüpfrigen Scherz. Und so wie immer lagen auch heute hier und da Männer in einer Ecke herum, entweder zu betrunken, um aufrecht zu stehen, oder zu verzweifelt über ihren Verlust, um mehr tun zu können als fassungslos vor sich hinzustarren.

Esme nahm gewiss an, dass er Orte wie diesen hier häufig und gern aufsuchte. Und es stimmte, in seiner Jugend hatte er viel gespielt, aber er hasste Spielhöllen wie diese mit ihrem Lärm, dem Gestank und der kaum verhüllten Verzweiflung.

„Guter Gott, bist du es, Dubhagen?“, schrie ein Mann vom anderen Ende des Raums zu ihm herüber.

Inbrünstig hoffend, dass er den Mann wiedererkennen würde, versuchte Quinn, durch den Rauch zu spähen und die stämmige Gestalt zu identifizieren, die an den Spieltischen vorbei auf ihn zuwankte. Irgendwie kam er ihm auch vertraut vor. Fieberhaft suchte er nach einem Namen.

„Ramsley?“

„Ja, bei Jupiter, ich bin’s“, rief Ramsley begeistert, die Augen feucht, die Nase rot, offensichtlich schon mehr als halb hinüber, dabei war es kaum Mittag. „Ich hätte nie gedacht, dass ich dich mal wiedersehe! Wir alle dachten, du bleibst für immer in Jamaika. Was führt dich hierher?“

Quinn unterdrückte einen Seufzer der Erleichterung. Der Bursche hielt ihn tatsächlich für Augustus. Andererseits hatte er ja sogar McSweeney getäuscht, obwohl Quinn einen Moment lang geglaubt hatte, der Mann sei im Begriff gewesen zu lächeln. Der Butler hätte niemals gelächelt, wenn Augustus zurückgekommen wäre.

„Ich bin nach Edinburgh gekommen, um mich um einige Investitionen zu kümmern“, erklärte er, während Ramsley den Arm um die Schulter legte, als wären sie vor Augustus’ Abreise die besten Freunde gewesen. Quinn jedoch wusste genau, dass Augustus den Mann gehasst hatte.

„Investitionen, was?“, wiederholte Ramsley und hielt mit der freien Hand einen Diener an. „Zwei Gläser Brandy für meinen Freund und mich“, bestellte er und führte Quinn in eine Ecke des Raums. „Alles in Ordnung, hoffe ich? Habe gehört, du hast drüben ein reiches Mädchen geheiratet.“

Sie setzten sich auf ein Samtsofa, das schon bessere Tage gesehen hatte.

„Ja. Deswegen bin ich ja gekommen. Um die Mitgift gut anzulegen, du verstehst.“

„Beträchtlich, was?“

„Ganz ansehnlich.“

Ramsley leckte sich unwillkürlich über die Lippen. „Sie hat nicht etwa eine Schwester?“

„Nein.“ Ramsley war der letzte Mann auf Erden, den Quinn in seine Familie einheiraten lassen würde. „Gibt es denn keine passenden Mädchen hier in Edinburgh, die sich gern mit einer alten, angesehenen Familie wie deiner verbinden würden? Wie ist es mit der Tochter des Earl of Duncombe? Sie ist doch unverheiratet, wie man mir sagt.“

Ramsleys Miene wurde finster. „Das Mädchen und die Mitgift nähme ich mit Kusshand. Es ist der Vater, der mir auf den Magen schlägt.“

Als würde die Dame nur darauf warten, dass er um ihre Hand anhielt. Dennoch machte Quinn dazu ein angemessen betroffenes Gesicht. „Was ist denn mit ihm? Ich dachte immer, er sei ein liebenswürdiger Bursche.“

„Ist er auch, wenn man nicht zufällig seiner Tochter zu viel Aufmerksamkeit schenkt“, antwortete Ramsley und lehnte sich gelassen in die Kissen zurück. „Dann behandelt er einen wie einen Aussätzigen.“

„Man erzählte sich da was von einem jungen Mann, der sie heiraten wollte. Daraus ist wohl nichts geworden, was?“

„Das will ich meinen. Der Mann war Anwalt. Kaum zu fassen, was sich einige Leute anmaßen!“

Wie es aussah, waren Ramsley und Catrionas Vater sich in einigen Dingen einig. Auch jetzt musste Quinn darüber nachgrübeln, wie es sein konnte, dass Jamie bereit war, einer Frau zu helfen, deren Vater ihn so verachtete.

Wie mochte es sein, eine Frau so bedingungslos zu lieben?

Quinn selbst war nie verliebt gewesen. Selbstverständlich hatte er Lust empfunden und lebte auch gewiss nicht wie ein Mönch. Aber eine Frau so zu lieben, wie Jamie Lady Catriona geliebt haben musste, das würde er wohl nie erleben.

Obwohl Esme ihn also einen sentimentalen Dummkopf schimpfen würde, war es gerade das Wissen um Jamies Liebe, die ihn noch entschlossener machte, seinem Freund zu helfen.

Und wenn das bedeutete, dass er sich mit Esme abfinden musste, dann war es eben so. Er würde sie so gut wie möglich ignorieren, oder wenigstens nicht zulassen, dass sie ihn in Wut versetzte. Vor allem würde er sie nicht wieder küssen, sosehr er es auch wollte.

So berauschend der Kuss auch gewesen war.

„Der Earl hat sich außerdem in einen wahren Einsiedler verwandelt“, riss Ramsley ihn aus seinen Gedanken. „Geht kaum auf Bälle und behält auch seine Tochter bei sich.“

Quinn entschloss sich zu einer kleinen List. „Ich frage mich …“

„Was?“, fragte Ramsley auch prompt und nahm gleichzeitig die Gläser entgegen, die der Diener gerade brachte.

Quinn senkte die Stimme zu einem vertraulichen Flüstern, während Ramsley sein Glas in einem Zug leerte. „Mir sind Gerüchte zu Ohren gekommen, dass Duncombes finanzielle Lage angeblich nicht mehr so gut sei wie früher.“

Ramsley lachte höhnisch. „Wer immer dir das sagte, ist ein Idiot. Mein Vater holt sich seit Jahren Rat bei ihm, was seine Geldanlagen angeht, und hat es keinen Moment bereut.“

„Auch dieses Jahr nicht?“

„Nie.“

Ramsley klang völlig überzeugt.

Allerdings war er nicht wenig betrunken und galt noch nie als besonders helle. Es würde Quinn nicht überraschen zu erfahren, dass Ramsley genauso wenig über die finanzielle Lage seiner Familie Bescheid wusste wie Catriona über die ihres Vaters.

7. KAPITEL

Mehrere Stunden später, nachdem es Quinn gelungen war, sich von Ramsley zu trennen, ohne mehr als zwei Gläser Brandy zu trinken und nur eine kleine Summe Geldes zu verspielen, wartete er am Fuß der Treppe auf Esme.

McSweeney stand an der Haustür, und der französische Kammerdiener, den McHeath eingestellt hatte, hielt für Quinn Hut und Mantel bereit.

Quinn begann schon, ungeduldig zu werden, doch als er Esme schließlich erblickte, war jeder Unmut vergessen. Sie trug ein weiches, schimmerndes Gebilde aus blassrosa Seide mit einem tiefen, runden Ausschnitt, der den Ansatz ihrer schönen Brüste enthüllte. Das Band unter ihrem Mieder betonte, wie voll und wohlgeformt sie waren. Das Haar hatte sie zu einer kunstvollen Frisur aus Locken und Zöpfen hochgesteckt und ein Band darin verwoben, das den gleichen Farbton aufwies wie ihr Kleid. Sie war eine Venus. Nein, sie war Athena, die Göttin der Weisheit, die in menschlicher Form nach Schottland gekommen war, wunderschön und heiter, ruhig und gelassen, um mit jedem Problem fertig zu werden, ob nun menschlicher oder überirdischer Natur.

Sein Entschluss, Esme so weit wie möglich zu ignorieren, würde sich wohl doch nicht so leicht in die Tat umsetzen lassen. Ganz im Gegenteil. Plötzlich sehnte sich Quinn danach, sie wieder zu küssen – und sehr viel mehr als das. Er wollte sie liebkosen und erregen und ihr all die intimen Freuden zeigen, die ein Mann und eine Frau einander bereiten konnten. Er wollte sie auf sein Bett legen und lieben, bis sie beide, erschöpft und befriedigt, einschliefen.

„Stimmt etwas nicht mit meinem Kleid, Ducky?“, fragte Esme besorgt, als sie ihn am Fuß der Treppe erreichte.

Hastig rief er sich in Erinnerung, dass er Esme McCallan vor sich hatte, dieselbe Frau, die ihn gewöhnlich mit Hohn, Spott und Respektlosigkeit überschüttete.

„Ich dachte nur gerade, wie gut dir Rosa steht“, antwortete er. „Es lässt dich … jünger aussehen.“

Erleichtert sah er die Wut in ihren Augen. Umso besser. Irgendetwas musste er gegen sein wachsendes Verlangen tun, und Esme zu ärgern, war die beste Methode. Zumindest hoffte er das. „Niemand würde auf den Gedanken kommen, dass du schon siebenundzwanzig bist, meine Liebe. Du siehst keinen Tag älter aus als sechsundzwanzig.“

Natürlich wusste er genau, dass Esme erst kürzlich zweiundzwanzig geworden war.

Doch statt ihn anzufahren, kicherte sie plötzlich. Bis jetzt hatte er kichernde Frauen nie besonders anziehend gefunden, aber Esmes Kichern kam ihm unerwartet angenehm vor. Wie ein über Felsen plätschernder Bach.

Dann sagte sie: „Und du siehst keinen Tag älter als vierzig aus, mein Leben. Dass du auf der Reise siebzig Pfund verloren hast, hat dich so verändert!“

Siebzig Pfund? Er hätte ja so fett sein müssen wie ein Schwein, das man zum Schlachten mästet.

„Ich fürchtete schon, du würdest nie wieder ein vollständiges Mahl bei dir behalten können“, fuhr sie auf die leicht alberne Weise fort, die sie sich angewöhnt hatte, während ihre Zofe ihr den Umhang umlegte und Quinn sich vom Kammerdiener in seinen Mantel helfen ließ.

„Ich litt an Seekrankheit“, entgegnete er, um ihre Zuhörerschaft nicht zu enttäuschen. McSweeney öffnete ihnen die Tür. War das etwa ein Lächeln, das um die Lippen des Butlers erschien?

„Wir kommen noch zu spät.“ Damit führte Quinn seine angebliche Gattin ungeduldig hinaus.

Zu seiner Erleichterung sagte sie kein weiteres Wort, bis sie es sich in der Kalesche seines Bruders bequem gemacht hatten. Quinn setzte sich in eine Ecke, die Arme vor der Brust verschränkt, während Esme ihre Röcke zurechtzupfte. Dabei trug sie eine so selbstgefällige Miene zur Schau, wie er sie nie an ihr erlebt hatte.

„Ich wusste gar nicht, dass Sie so gut den Dummkopf spielen können.“

„Ich auch nicht. Aber es ist eigentlich sogar sehr einfach. Ich gebe nur vor, ungefähr fünf Jahre alt zu sein. Und wie schaffen Sie es?“

Er runzelte ernst die Stirn. „Das reicht jetzt, mein kleiner Honigkuchen“, meinte er mit beißender Ironie. „Ich schulde Jamie mein Leben, aber ich lasse mich nicht von Ihnen oder sonst jemandem lächerlich machen.“

Fassungslos starrte sie ihn an. „Das sagen Sie, und dabei machen Sie sich über alles lustig, was ich sage?“

„Das tue ich gar nicht!“

„Sie beachten mich nicht, halten wichtige Informationen vor mir zurück, beleidigen mich und besitzen die Frechheit, mich zu küssen – und da soll ich Sie mit dem gleichen Respekt behandeln wie andere Männer?“

Quinns Miene wurde noch finsterer. Wahrscheinlich würde sie ihn liebend gern erschießen – wenn es nicht gegen ihr so heiß geliebtes Gesetz wäre! „Da Sie lieber wie eine vestalische Jungfrau behandelt werden wollen, soll es mir recht sein. Das macht mir keine Mühe, das können Sie mir glauben!“

Die Kutsche hielt vor einem hell erleuchteten Palais aus dunkelgrauem Stein und mit wunderschönen Erkerfenstern. Es war sogar noch eindrucksvoller als Augustus’ Stadthaus.

„Wir sind da“, bemerkte er unnötigerweise. „Erinnern Sie sich, weswegen wir hier sind.“

„Sie auch. Und dass ich Jamie McCallans Schwester bin.“

Als ob er das je vergessen könnte.

Esme ging an MacLachlanns Arm die Treppe zum Haus hinauf und sah weder nach rechts noch nach links. Zu sehr kämpfte sie damit, sich ihren inneren Aufruhr nicht anmerken zu lassen.

Sobald sie die Gelegenheit hatte – Diener nahmen MacLachlann Hut und Mantel ab –, entfernte sie sich von ihm und blieb ihm immer einen Schritt voraus auf dem Weg zum Salon, der mit kostbaren, in königsblauen und silberfarbenen Damast bezogenen Sitzmöbeln ausgestattet war. Mehrere fein gekleidete Herren und Damen schlenderten bereits umher. Die Männer konnte man fast nicht auseinanderhalten mit ihren dunklen Frackröcken, den strahlend weißen Hemden, kunstvoll gebundenen Krawattentüchern, hellen Kniehosen und Strümpfen und polierten Schuhen.

Die Damen hingegen waren wie ein Blumenbouquet, das vom dunklen Violett und Schwarz bis zu leuchtenden Frühlingstönen wie helles Rosa oder Gelb alle Farben aufwies. Ein gelegentliches Grün hier und da wirkte wie das dazugehörige Laubwerk.

„Ah, da sind Sie ja!“, rief Catriona und eilte auf sie zu.

Sie trug ein grünes Samtkleid, das die Farbe ihrer Augen betonte. In ihrem Haar schimmerten einzelne Perlen, die zu ihrer Halskette passten. Die langen Abendhandschuhe waren makellos weiß wie die Spitzen ihrer Slipper, die unter dem Saum hervorlugten. Sie bewegte sich mit geschmeidiger Anmut, und ihr Lächeln war so einladend, wie es das jeder Gastgeberin sein sollte.

Wen wunderte es da, dass die jungen Männer sich um sie scharten und Jamie sich so unsterblich in sie verliebt hatte?

Unwillkürlich verglich Esme sich mit ihr. Welcher Mann würde sie anziehend finden, wenn er von ihrer Liebe für die Juristerei wüsste und von ihrem mangelnden Interesse an allem, was mit ihrer Kleidung oder ihrem Haar zu tun hatte? Oder wenn er die Tinte sehen würde, mit der sie so oft ihre Finger befleckt hatte.

Wie es schien, fand MacLachlann sie ja anziehend genug, um sie zu küssen, aber sie konnte nicht glauben, dass sein Kuss ein Zeichen für echte Zuneigung gewesen war. Verlangen vielleicht, und obwohl selbst das erstaunlich genug war, hatte es nicht das Geringste mit den echten Gefühlen zu tun, die sie im Herzen eines Mannes zu erwecken hoffte.

„Sie müssen meinen Vater kennenlernen.“ Catriona nahm MacLachlann beim Arm und ging auf einen älteren Gentleman mit weißem Haar zu. Er saß neben einem Kamin, dessen Sims von zwei halb nackten Marmornymphen gehalten wurde.

Während sie auf ihn zugingen, spürte Esme die Blicke der Gäste auf sich. Trotz ihrer Unruhe gab sie sich Mühe, sich so zu verhalten, als gehörte sie in den erlauchten Kreis dieser reichen, vornehmen Gesellschaft. Ein flüchtiger Blick auf MacLachlann, der Gelassenheit und Selbstvertrauen ausstrahlte, beruhigte sie ein wenig. Die Frauen zumindest sahen gewiss nur deswegen hinter ihm her, weil er ein besonders anziehender Mann war, nicht weil sie den Verdacht hatten, irgendetwas würde nicht stimmen. Und Catriona zog die Blicke jedes Mannes über achtzehn auf sich.

„Papa“, sagte Catriona, sobald sie den Earl erreicht hatten, „hier sind Lord Dubhagen und seine Gattin, die kürzlich aus Jamaika gekommen sind.“

„Wer?“ Der alte Herr runzelte die Stirn und legte die Hand hinter das rechte Ohr.

„Lord Dubhagen und seine Gattin“, wiederholte Catriona etwas lauter. „Sie sind aus Jamaika zurück.“

„Dubhagen, was?“, rief der Earl in plötzlicher Erkenntnis und lächelte. „Endlich wieder da? Alle dachten, Sie würden niemals wiederkehren. Und das ist also Ihre Frau. Hübsches kleines Ding, muss schon sagen.“

Er beugte sich zu Esme hinüber. „Er sieht kräftig genug aus“, flüsterte er laut genug, dass ihn alle hören konnten, „aber die jungen Männer heutzutage wissen nicht, wie man eine Frau glücklich macht.“

Esme konnte ihre Verlegenheit kaum verbergen, und das Kichern kam wie von selbst. „Er gefällt mir gut genug, Mylord.“

„Sie sind ein Glückspilz, Dubhagen, wie ja alle Männer in Ihrer Familie. Bis auf diesen jungen Tunichtgut. Wie hieß er noch? Der Fünfte, der mit den Zigeunern davonlief.“

„Quintus, Mylord“, antwortete MacLachlann nüchtern. „Aber nicht mit den Zigeunern. Er nahm das beste Pferd meines Vaters und ritt nach London.“

„Was ist bloß aus ihm geworden? Hat wahrscheinlich ein böses Ende genommen. Würde mich nicht wundern.“

„Ich weiß es nicht, Mylord. Seit zehn Jahren habe ich nichts von ihm gehört.“

Esme hatte gewusst, dass MacLachlann sich irgendwann von seiner Familie entfremdet hatte, aber nicht, dass er so lange allein gewesen war. Und der Gedanke weckte gegen ihren Willen Mitleid für ihn.

„Noch vor dem Tod Ihres Vaters, was? Das war noch ein Mann, Ihr Vater. Nicht wie die jungen Schwächlinge heutzutage. Der Mann konnte kämpfen!“

„Ja, er war sehr stark“, erwiderte MacLachlann kühl.

Ein Mann mit hellbraunem Haar und breiten Schultern näherte sich ihnen und verbeugte sich. Lord Duncombe nickte, also musste er den Mann kennen. Und Catriona begrüßte ihn mit einem Lächeln, wie man es einem Freund schenkt, dachte Esme, nicht einem Geliebten.

Als er sprach, wandte er sich weder an den Earl noch an Catriona, sondern an MacLachlann.

„Bitte vergeben Sie meine Unhöflichkeit, Mylord. Ich hätte Sie gleich nach Ihrer Ankunft aus London aufsuchen sollen, arbeitete jedoch an einem komplizierten Vertragsabschluss in Inverness. Ich bin Ihr Anwalt hier in Edinburgh, Sir Gordon McHeath.“

Ein Anwalt! Jetzt konnte sie endlich ein intelligentes Gespräch mit jemandem führen.

„Ich habe mich so darauf gefreut …“, begann sie voller Aufrichtigkeit, bevor ihr einfiel, dass sie oberflächlich und dumm erscheinen musste. Außerdem, so sehr sie die Vorstellung auch hasste, ein Anwalt könnte Komplize in einem Verbrechen sein, war es dennoch möglich. Also durfte sie keinen Verdacht erwecken. „ … den Anwalt meines Mannes kennenzulernen“, fügte sie mit einem albernen Kichern hinzu.

McHeath lächelte. „Wirklich? Nun, das bekommt ein Anwalt nur selten zu hören.“

Das wusste Esme natürlich. Die Anwaltszunft wurde oft verachtet, weil man sie für geldgierig und hinterhältig hielt – bis man ihre Hilfe benötigte.

„Nicht, dass ich das Geringste von dem verstehe, was Sie tun“, fuhr sie lachend fort. „Ich wollte Ihnen nur danken, dass Sie das Personal für uns eingestellt haben und das Haus vorbereiten ließen. Es muss Sie neben Ihren anderen Pflichten eine Menge Mühe gekostet haben.“

„Nicht die Geringste, versichere ich Ihnen, Mylady.“

Sein Akzent war breiter als der MacLachlanns, er hatte jedoch ausgezeichnete Zähne und sah auch ansonsten sehr angenehm aus, sodass es ihm, zumindest an weiblichen Klienten, nicht mangeln durfte.

„Ihre Arbeit muss so faszinierend sein. Ducky hier … oh, ich meine, mein Gatte … tut gar nichts, wissen Sie.“

„Das würde ich nicht so ausdrücken, Mylady“, entgegnete der Anwalt ernst. „Er muss im Lauf eines Jahres zahlreiche Entscheidungen treffen. Allein das verlangt viel Einsatz.“

Esme winkte ab, nahm seinen Arm und zog McHeath von den anderen fort. „Aber Verträge und Testamente und was sonst noch … das ist alles so kompliziert. Setzen Sie all diese Dokumente selbst auf, oder haben Sie Hilfe?“

Trotz des exzellenten Mahls, das aus einigen Gängen und mehreren Sorten erlesenen Weins bestand, fiel es Quinn wieder ein, warum er es vorzog, in Gasthäusern oder allein in seinen Räumen zu speisen. Er hatte sich in der Atmosphäre vornehmer Förmlichkeit noch nie wohlgefühlt und bereits als Kind das Gefühl gehabt, darin zu ersticken.

An diesem Abend kam noch erschwerend dazu, dass er so tun musste, als wäre er sein verflixter Bruder. Es half auch nicht besonders, dass er zur Rechten seiner Gastgeberin saß, während Esme ganz am anderen Ende des Tisches war – ausgerechnet neben diesem verdammten, gut aussehenden Anwalt. Der Kerl war ein wahrer Adonis mit seinem welligen braunen Haar und dem attraktiven Gesicht. In seinem Kilt und mit der tiefen, samtigen Stimme würde McHeath die Hälfte der Frauen in Ohnmacht fallen lassen.

Bei Esme hätte er allerdings gedacht, dass sie für rein äußerliche Qualitäten eines Mannes unempfänglich wäre. Auf ihn selbst hatte sie jedenfalls immer recht gelassen reagiert, dabei wusste er, dass die meisten Frauen ihn ansehnlich fanden. Gordon McHeath jedoch brauchte nur zu erscheinen, und schon lächelte sie ihn an, als wäre der Märchenprinz in Person gekommen, sie aus ihrer misslichen Lage zu erretten.

Dann sagte er sich, dass sie einfach froh darüber war, den Mann kennenzulernen, weil er Anwalt war. Quinn hoffte nur, sie würde sich McHeath gegenüber nicht verraten, indem sie zu viel von ihrem Wissen durchscheinen ließ. Glücklicherweise schien sie sich damit zufriedenzugeben, ihm einfach zu lauschen, mit den Wimpern zu klimpern und dazu zu lächeln wie ein Hohlkopf.

Es könnte schlimmer sein, dachte er. Catriona war vielleicht nicht so geistreich wie Esme, aber wenigstens sehr hübsch anzusehen. Tatsächlich konnte er sich sehr gut vorstellen, warum Jamie sich in sie verliebt hatte, besonders wenn man überlegte, wie sie vor fünf Jahren ausgesehen haben musste – jung und frisch wie der Frühling, unschuldig und blühend und süß.

Esme andererseits war vom ersten Tag an kratzbürstig und gebieterisch gewesen. Sie trug immer nur düstere Kleider, die ihre Figur kaschierten, und das Haar zu einem strengen Knoten frisiert, was ihrem Gesicht nicht besonders schmeichelte – außer dass es vielleicht ihre bemerkenswert schönen, klugen Augen betonte.

Für ihre Maskerade hier war es allerdings von großem Vorteil, dass ihre Manieren tadellos waren und sie sich unter diesen Leuten wohler zu fühlen schien, als er es erwartet hatte. Jetzt gerade lauschte sie McHeaths Gewäsch mit gespannter Aufmerksamkeit. Aber vielleicht liegt es auch an dessen ununterbrochener Aufmerksamkeit, dass sie so gelassen ist, wie ich sie niemals erlebt habe, überlegte Quinn.

Was mochte der Anwalt von Esme halten? Ganz offensichtlich fand er sie sehr anziehend, aber kein Mann auf Erden würde sie heute Abend nicht liebreizend finden mit ihrem modisch frisierten Haar, dem bescheiden gesenkten Blick, den vor Aufregung geröteten Wangen und diesem Kleid, das viel zu viel Haut entblößte.

Quinn hätte gern gewusst, was sie in diesem Moment dachte. Doch noch lieber hätte er ihren Ausschnitt vor den gierigen Blicken der Männer im Raum verborgen – vielleicht ganz besonders sogar vor seinem eigenen Blick, weil es ihm nicht gelingen wollte, das Verlangen zu bändigen, das ihn überkam, wann immer er sie ansah.

Der Earl räusperte sich, sobald seine Gäste das Dessert gegessen hatten.

„Sagen Sie, Dubhagen, was halten Sie eigentlich von diesen Gegnern der Sklaverei? Sie würden Ihre Zuckerplantage doch sicher nicht ohne Sklaven halten können.“

Quinn wusste, wie sein Bruder zur Sklaverei stand. Und sehr wahrscheinlich würde auch der Earl und andere Anwesende heute Abend Augustus’ Meinung dazu kennen, also würde er sie sich zu eigen machen müssen.

„Ganz recht“, antwortete er widerwillig. „Wer die Haltung von Sklaven verdammt, muss ein Schwachkopf sein, der nicht ahnt, was nötig ist, damit er Zucker in seinen Tee tun kann.“

Esme runzelte die Stirn, wie auch McHeath, der meinte: „Aber wir leben in einer aufgeklärten Zeit, Mylord, da gibt es doch gewiss Alternativen zur Sklaverei. Besonders, da der Zuckerhandel so lukrativ ist. Warum sollte man da nicht für die nötige Arbeit bezahlen?“

„Wir zahlen doch“, entgegnete Quinn. Er wusste genau, was sein Bruder sagen würde. „Wir geben ihnen Nahrung und Kleidung, behandeln sie bei Krankheit und Verletzungen, geben ihnen ein Dach über dem Kopf und machen sie sogar zu Christen. Es geht ihnen sehr viel besser unter unserer Fürsorge, als wenn wir sie weiterhin als Heiden in Afrika ihr Dasein hätten fristen lassen.“

„Aber es sind Menschen, Mylord“, protestierte McHeath, „keine Tiere, die man einfach entführen und auf ein Schiff laden kann.“

„Was halten Sie als Anwalt dann von dem Recht des Earls, seine Pächter von seinen Ländereien in den Highlands zu entfernen, um darauf seine Schafe grasen zu lassen?“, fragte Quinn. „Soll man den Pächtern erlauben, das Gesetz zu übertreten?“

„Etwas mag dem Gesetz nach richtig sein und doch moralisch ungerecht“, antwortete McHeath, „und das Gesetz muss sich ändern, um das widerzuspiegeln. Ich bin davon überzeugt, dass die Sklaverei eines Tages als die Abscheulichkeit erkannt werden wird, die sie ist. Pächter werden vom Gesetz besser beschützt werden, Frauen werden dieselben Rechte und Privilegien erhalten wie ein Mann.“

Esme sah ihn voller Bewunderung an, als wollte sie ihn küssen. Oder sogar noch mehr.

„Niemals“, brachte Quinn hervor. „Wie können Wilde Rechte haben? Oder Pächter? Oder Frauen? Sie wüssten gar nichts damit anzufangen, selbst wenn man ihnen welche gäbe. Das Land würde untergehen. Man braucht sich nur anzusehen, was in Frankreich geschehen ist.“

„Sie schlagen doch sicher nicht vor, dass Frauen wählen sollten, oder?“, wollte ein anderer Gentleman von McHeath wissen und lachte, als hätte er noch nie einen besseren Witz gehört. „Dann würden ja nur noch gut aussehende Politiker gewählt werden!“

Statt wohlhabender oder einflussreicher, hätte Quinn fast gekontert. Stattdessen sagte er: „Vielleicht würde Mr McHeath sich dann ja zur Wahl stellen.“

„Vielleicht ja“, meinte der Anwalt ruhig, „da ich den Frauen zutraue, die wirklich wichtigen Qualitäten genauso gut einschätzen zu können wie ein Mann. Männer lassen sich gewöhnlich auch zu sehr von der Popularität eines Politikers beeinflussen.“

„Oder Reichtum und Abstammung“, warf Esme ein.

„Nun, das schadet doch nichts“, meldete sich ein weiterer Gentleman zu Wort. „Meine Frau würde in jedem Fall so wählen, wie ich es Ihr befehlen würde.“

Esme sah ihn mit Unschuldsmiene an. „Aber wenn die Wahlen geheim wären“, fragte sie arglos, „wie würden Sie wissen, ob sie Ihnen gehorcht hat?“

Bevor er antworten konnte, erhob Catriona sich schnell und gab damit das Zeichen für die Damen, sich in den Salon zurückzuziehen.

Esme stand eher widerwillig auf und folgte ihr, doch Quinn atmete erleichtert auf. Wer konnte ahnen, was sie sonst zur Verteidigung der Frauenrechte noch geäußert hätte. Zwar war er völlig ihrer Meinung, und sie tat ihr Bestes, dabei albern und naiv zu klingen, aber er wusste nicht, wie bald sie schon ihre Geduld und damit auch ihre Fassade verloren hätte.

Nachdem die Damen gegangen waren, schob McHeath seinen Stuhl zurück und verbeugte sich vor seinem Gastgeber. „Wenn Sie mich entschuldigen wollen, Lord Duncombe. Mich erwartet zu Hause viel Arbeit. Bitte richten Sie Ihrer Tochter mein Bedauern über meinen übereilten Aufbruch aus.“

„Ich muss schon sagen“, meinte Quinn, kaum dass der Anwalt den Raum verlassen hatte, „ein ziemlicher Hitzkopf, was?“

„Mit recht radikalen Vorstellungen“, stimmte der Earl zu. „Aber er ist der beste Anwalt in ganz Edinburgh, also lohnt es sich, seine Überspanntheit zu übersehen. Ich werde aus keinem Vertrag schlau ohne seine Erklärungen.“

„Ach, wirklich?“, erwiderte Quinn. „So gut ist er also, was?“

Oder so verschlagen, fügte er in Gedanken hinzu.

8. KAPITEL

Da ihr keine andere Wahl blieb, folgte Esme ihrer Gastgeberin in den Salon, obwohl sie den Brauch der höheren Gesellschaft hasste, der verlangte, dass sich die Damen nach dem Essen von den Gentlemen trennten. Als könnten die Frauen an keinem Gespräch über ernstere Themen wie Politik teilnehmen. Sie wünschte, sie wäre wieder in London und säße über ihren Gesetzbüchern.

Mehrere junge Damen umringten sie, nachdem sie auf dem mit blauer Seide bezogenen Sofa Platz genommen hatte.

„Ein so schönes Kleid! Aus Paris?“, fragte eine von ihnen.

Esme erinnerte sich, dass die junge Frau die Tochter eines Justizbeamten war. In London hätte ihr Rang ihr niemals zu der Einladung bei einem Earl verholfen, aber in Schottland wurde Mitgliedern des juristischen Berufs größerer Respekt entgegengebracht, wie sie es auch verdienten.

„Nein, aus London“, antwortete Esme.

„Wer war die Schneiderin?“, fragte eine weitere junge Dame eifrig. Lady Eliza Deluce trug ein wunderschönes Kleid aus weicher, fließender hellroter Seide. Den Saum schmückten gestickte Frühlingsblumen.

Leider konnten weder das hinreißende Kleid noch das goldblonde Haar die Muttermale auf ihrem Kinn und ihrer Stirn verbergen.

Esme erfand schnell den Namen einer Schneiderin und gab sich Mühe, Interesse zu zeigen, als das Gespräch sich um Schneiderinnen, Stoff und die neueste Mode zu drehen begann und sie sich nur in Schweigen hüllen konnte. Während die jungen Mädchen weiterplauderten, schweifte Esmes Blick zu einigen älteren Damen am anderen Ende des Raums, die immer wieder verstohlen zu ihr herübersahen. Sehr wahrscheinlich waren sie und ihr angeblicher Ehemann das Thema dieser Unterhaltung.

Glaubte MacLachlann tatsächlich, was er über die Sklaverei gesagt hatte, oder behauptete er all die Dinge nur, um seine Rolle gut zu spielen? Und was sollte sie von dem gut aussehenden Anwalt des Earls halten? Konnte ein Mann, der mit so viel Gefühl über die Übel der Sklaverei sprach, ein Dieb oder Veruntreuer sein, der den Earl um sein Geld betrog?

Selbstverständlich. Esme hatte aus den Fällen ihres Bruders gelernt, dass ein entschlossener Heuchler ein sehr guter Schauspieler sein konnte.

Eine rundliche Frau mittleren Alters, angetan mit einem lila Turban und einem Kleid von einer ähnlich unfassbaren Schattierung, zwängte sich zwischen Esme und die Armstütze des Sofas. „Darf ich mich zu Ihnen gesellen, meine Liebe?“

Es war Lady Stantonby, eine sehr reiche Witwe. Leider fiel Esme kein Grund ein, weswegen sie ablehnen sollte. „Aber natürlich.“

„Fühlen Sie sich wohl? Sie sehen ein wenig blass aus“, sagte Lady Stantonby in einem düsteren Ton, der mehr zu einer Beerdigung gepasst hätte als in einen Salon.

Ich würde mich besser fühlen, wenn ich mehr Raum zum Atmen hätte, dachte Esme verstimmt. Doch sie lächelte schwach und antwortete wahrheitsgemäß: „Ich bin so große Abendgesellschaften nicht gewohnt.“

Lady Stantonby schenkte ihr ein verständnisvolles Lächeln, bedachte sie aber mit einem so listigen Blick, dass Esme sofort auf der Hut war. „Ich nehme an, mit Dubhagen verheiratet zu sein, ist auch sehr anstrengend.“

„Ich bin nicht sicher, was Sie meinen“, erwiderte Esme unschuldig, obwohl sie sich denken konnte, worauf die Frau anspielte.

Lady Elvira Cameron, eine Frau von mindestens fünfundsechzig, die mit ihrem blassrosa Seidenkleid und dem übertriebenen Rouge auf den Wangen wohl versuchte, wie zwanzig auszusehen, setzte sich auf einen Stuhl gegenüber von ihnen und beugte sich vor, als hätte sie schon den ganzen Abend verzweifelt darauf gewartet, mit Esme zu sprechen. „Gewiss hat er sich seit seiner Heirat verändert. Sie sind so reizend, dass er sicher keinen Grund sah, herumzustreunen. Jedenfalls hoffe ich das sehr. In seiner Jugend war er jedenfalls recht rastlos.“

„Lady Dubhagen möchte sicher nicht über jede Missetat Ihres Mannes informiert werden“, tadelte Lady Stantonby sanft.

„Nun, sie soll froh sein, dass sie den Ältesten und nicht den Jüngsten geheiratet hat – Quinine oder Quentin oder wie er auch immer hieß“, meinte Lady Elvira. „Er wurde von der Schule verwiesen, weil er seine Zeit in Spielhöllen und bei wüsten Trinkgelagen verbrachte.“ Sie tippte Esme leicht mit ihrem zarten, filigran gearbeiteten Elfenbeinfächer auf den Arm. „Ein wahrer Satansbraten, sag ich Ihnen. Kein Wunder, dass sein Vater ihn enterbte. Aber ich bin sicher, das wissen Sie alles schon.“

„Nein, gar nicht. Ich weiß nicht sehr viel über den jüngsten Sohn des verstorbenen Lord Dubhagen.“

Lady Elvira riss ungläubig die Augen auf. „Nein? Der arme Mann muss sich zu sehr geschämt haben, um von ihm zu sprechen.“

„Oder zu reumütig“, meinte eine alte Dame und setzte sich auf Esmes andere Seite.

Im Gegensatz zu Lady Cameron war Lady Marchmont geschmackvoll gekleidet mit ihrem narzissengelben Seidenkleid, Topasen am Hals und einer Straußenfeder in ihrem rabenschwarzen Haar. Nur einige wenige kleine Falten in den Augenwinkeln deuteten darauf hin, dass sie älter als fünfundzwanzig war. „Der Cousin meines Mannes kennt Quintus MacLachlann noch aus seiner Schulzeit. Er glaubt, es ist schändlich, wie ungerecht der arme Mensch behandelt wird.“

„Wenn man meinen Sohn wegen Trunkenheit von der Schule verwiesen hätte, hätte ich ihn auch enterbt“, meinte Lady Stantonby mit einem verächtlichen Schnauben.

„Mein Mann sagt, Quintus hätte sich betrunken, weil er gerade erfahren hatte, dass seine Mutter gestorben war, und man ihm nicht erlaubte, zu ihrer Beerdigung nach Hause zu fahren. Er glaubt, Quintus hat es getan, damit man ihn nach Edinburgh schicken musste.“

Esme spürte, wie eine Welle des Mitgefühls sie überlief. „Er liebte seine Mutter also?“

„Oh ja, sehr.“

„Sie waren sich sehr ähnlich“, bemerkte Lady Elvira Cameron schnippisch. „Sie war sehr hübsch und ziemlich nutzlos, bis auf das Kinderkriegen natürlich. Wenigstens gab es nie den Verdacht, die Kinder wären nicht seine. Jeder Sohn sah genauso aus wie er. Ansonsten, na ja … Sie ging ständig zu Gesellschaften und Bällen.“

„Eine Gelegenheit, außer Haus zu sein“, stimmte Lady Stantonby zu. „Der Earl war ein hitzköpfiger Mann und konnte sehr unangenehm werden, obwohl es ja ihre Mitgift war, die ihm erlaubt hatte, sein Gut zu behalten.“

Wenn die Ehe unglücklich war, konnte man MacLachlanns Mutter nicht übel nehmen, dass sie jede nur mögliche Gelegenheit nutzte, um ihrem Mann zu entkommen. Esme hätte der armen Frau sogar empfohlen, eine Scheidung anzustrengen, wenn auch die Angst davor, ihre Kinder nie wiedersehen zu können, sie wahrscheinlich davon abgehalten hätte. Das war das Risiko, das eine Frau immer einging, weil der Mann bei einer Scheidung meist die Oberhand gewann.

„Ah, hier kommen ja die Gentlemen“, sagte Lady Stantonby, als Catrionas Vater den Salon betrat, gefolgt von den übrigen Herren, einschließlich MacLachlann.

„Ihr Gatte ist bei Weitem der hübscheste Gentleman heute Abend“, sagte Lady Elvira mit einem Zwinkern, „also selbst wenn er das hitzige Naturell seines Vaters geerbt hat, gibt es wahrscheinlich gewisse Entschädigungen für Sie.“

„Wahrscheinlich“, erwiderte Esme mit einem albernen Kichern und versuchte, sich nicht vorzustellen, was für Entschädigungen das sein mochten, oder wie es sich anfühlen mochte, sie zu empfangen.

Catriona ging sofort auf ihren Vater zu und führte ihn zum besten Sitzplatz gleich neben dem Kamin. Die anderen Herren verteilten sich im Raum – mit einer Ausnahme.

MacLachlann schlenderte direkt auf Esme zu, und sie erhob sich, um ihm entgegenzukommen. Er machte fast einen ungeduldigen Eindruck, als er sie mit sich zu einer schattigen Wandnische zog. Die jungen Damen beobachteten jeden ihrer Schritte und flüsterten bereits aufgeregt miteinander. Nicht wenige von ihnen warfen ihr unverhohlen neidische Blicke zu.

Aber was tat er denn und warum? Warum betrachtete er sie mit diesem seltsamen Ausdruck in den Augen? Und wo war der Anwalt?

„Wo ist denn Mr McHeath?“, fragte sie leise.

„Er hatte Dinge zu erledigen, die nicht länger warten konnten“, antwortete er ebenso leise.

„Das ist sehr schade. Ich werde eben ein anderes Mal ein Treffen mit ihm vereinbaren müssen.“

„Warum?“, fragte Quinn gereizt.

Das war doch wohl nur allzu offensichtlich. „Als Anwalt von Lord Duncombe besitzt er großen Einfluss auf dessen Entscheidungen – oder könnte ihn besitzen, wenn er wollte“, erklärte sie. „Ich hoffe, er ist nicht in irgendwelche betrügerischen Geschäfte verwickelt, aber ich bin nicht so naiv zu denken, das wäre unmöglich, nur weil er Anwalt ist. Sollte er wirklich ein Schwindler sein, will ich ihm die Gelegenheit geben, uns ebenfalls hereinzulegen.“

„Welchen Grund würden Sie ihm denn für ein Treffen nennen?“

„Ich werde ihm beichten, dass ich mir Sorgen über die Art mache, wie Sie über meine Mitgift verfügen.“

„Dazu hätten Sie nichts zu sagen.“

„Mir ist bewusst, dass eine Frau vor dem Gesetz nur wenige Rechte hat“, antwortete Esme. „So dumm wie ich mich allerdings stelle, wird Mr McHeath nicht überrascht sein, wenn ich völliges Unwissen heuchle.“

„Und wenn er versucht, Sie zu verführen?“

Als wäre sie eine leichtgläubige Unschuld frisch aus der Klosterschule!

„Wie Sie eigentlich inzwischen gelernt haben sollten, lasse ich mich nicht so leicht durch gutes Aussehen oder ein charmantes Wesen beeinflussen. Ich will ihm einfach nur die Möglichkeit geben, alle verbrecherischen Machenschaften freizulegen, in die er verwickelt sein mag.“

„Er könnte nur allzu bereit sein, ganz gewisse Dinge freizulegen“, meinte Quinn verstimmt.

„Seien Sie nicht so vulgär.“

„Ich wollte Sie nur warnen“, sagte er leise und fuhr ihr mit dem Finger sanft über die Wange.

Esme zuckte zusammen, nicht weil seine Berührung ihr unangenehm gewesen wäre, sondern weil sie so unerwartet kam – und sich angenehmer anfühlte, als ihr lieb war. Sie senkte den Blick und errötete. Der Duft seines Rasierwassers umgab sie, und seine Nähe war gleichzeitig verwirrend und aufregend. „Was tun Sie denn?“, verlangte sie verärgert zu wissen.

„Ich stürze mich lediglich in die Rolle Ihres Gatten und gebe den alten Klatschweibern etwas zum Tratschen.“ Er kam noch näher. „Was ist denn, Esme? Haben Sie Angst, ich könnte Sie wieder küssen? Oder hoffen Sie es?“

Seine letzten Worte kamen der Wahrheit viel zu nahe. „Lassen Sie das“, fuhr sie ihn an.

„Keine Angst, kleiner Honigkuchen. Selbst ich würde Sie nicht küssen, während uns eine ganze Horde von Klatschbasen dabei zusieht.“

Esme atmete auf, und als sie es wagte, ihn anzusehen, bemerkte sie einen seltsam wehmütigen Ausdruck auf seinem Gesicht.

„McHeath wird wahrscheinlich freudig die Gelegenheit beim Schopf packen, sich mit Ihnen zu treffen, selbst wenn er nach unserer kleinen Diskussion im Speisesalon versucht sein sollte, seine Dienste einzustellen.“

Sie musste es einfach wissen. „Waren das Ihre Ansichten, die Sie da äußerten?“

„Guter Himmel, nein. Die meines Bruders, und jeder kennt seine Ansichten, also blieb mir keine Wahl, als sie zu wiederholen. Ich rechnete allerdings nicht damit, dass McHeath so wütend werden würde. Ich dachte immer, alle Anwälte könnten einen kühlen Kopf bewahren.“

Esme konnte es meistens auch, es sei denn, MacLachlann war in ihrer Nähe.

„Es wäre gut möglich, dass gar nichts Illegales vor sich geht mit den Geschäften des Earls“, fuhr Quinn fort, immer noch nah genug, um Esme küssen zu können, wenn er wollte. „Haben Sie bemerkt, wie viel Wein er bei Tisch getrunken hat? Sollte er wirklich größere finanzielle Schwierigkeiten haben, dann vielleicht, weil sein Urteilsvermögen durch den Wein getrübt wird.“

Sehr zu ihrer Schande hatte sie es nicht bemerkt. Sie hätte sich nicht so sehr ablenken lassen sollen von dem Wunsch, mit McHeath den Unterschied zwischen schottischem und englischem Recht zu diskutieren oder darüber nachzudenken, wie attraktiv MacLachlann heute aussah oder wie oft er sich Catriona zuneigte, um ihren Worten zu lauschen.

Er wies mit einer Kopfbewegung auf das andere Ende des Salons, wo Lady Marchmont sich bereit machte, das Pianoforte zu spielen, und einige Diener die Stühle umstellten, um Platz zum Tanzen zu schaffen. „Sobald das Tanzen beginnt, müssen wir uns in die Bibliothek begeben. Sie verlassen den Raum zuerst, ich folge Ihnen gleich danach. Catriona sagt, die Bibliothek befindet sich im hinteren Teil des Hauses. Die Tür liegt zur Linken eines Gemäldes von Edinburgh Castle.

Bis dahin schlage ich vor, dass Sie mit diesen alten Schachteln sprechen, die sich im Augenblick wohl darüber auslassen, dass Jamaika meiner Gesundheit nicht gutgetan hat, Sie zu dünn sind und unsere Ehe eine Katastrophe ist. Nach einer kleinen Weile entschuldigen Sie sich und machen sich auf zur Bibliothek. Ich komme bald nach und treffe Sie da.“

„Gut.“ Esme hatte keinen besseren Plan und fand es außerdem recht schwierig nachzudenken, wenn er ihr so nahe war.

Er legte die Hand an ihre Wange. „Machen Sie sich keine Sorgen. Fragen Sie sie einfach nach ihrer Familie, dann werden Sie selbst nicht mehr viel zu sagen brauchen.“

Autor

Margaret Moore
<p>Margaret Moore ist ein echtes Multitalent. Sie versuchte sich u.a. als Synchronschwimmerin, als Bogenschützin und lernte fechten und tanzen, bevor sie schließlich zum Schreiben kam. Seitdem hat sie zahlreiche Auszeichnungen für ihre gefühlvollen historischen Romane erhalten, die überwiegend im Mittelalter spielen und in viele Sprachen übersetzt wurden. Sie lebt mit...
Mehr erfahren
Michelle Willingham
<p>Michelle schrieb ihren ersten historischen Liebesroman im Alter von zwölf Jahren und war stolz, acht Seiten füllen zu können. Und je mehr sie schrieb, desto mehr wuchs ihre Überzeugung, dass eines Tages ihr Traum von einer Autorenkarriere in Erfüllung gehen würde. Sie besuchte die Universität von Notre Dame im Bundesstaat...
Mehr erfahren