Heiße Fahrt nach Florida

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Boone Toliver ist fest entschlossen, die Hochzeit seiner Schwester in Florida zu stoppen! Auch wenn er dafür tage- und nächtelang mit seiner Nachbarin Tara quer durchs Land fahren muss. Mit einer Frau, die nichts als Ärger verspricht, weil sie so gefährlich sexy ist …


  • Erscheinungstag 02.06.2022
  • ISBN / Artikelnummer 9783751514774
  • Seitenanzahl 160
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Boone Toliver, ehemaliger Captain der US Army, saß auf der Veranda vor dem Haus und starrte bedrückt auf die Häuser in der Nachbarschaft. Sein rechtes Knie, das auf einem Kissen ruhte, war kürzlich zum dritten Mal operiert worden. Eine Bandage stabilisierte es.

Auf dem kleinen Tisch neben ihm lag sein Handy. Außerdem stand eine Dose Bier und ein Glas mit Schmerztabletten darauf. Er wollte zuerst testen, ob das Bier seinen größten Kummer linderte, bevor er kapitulierte und eine der Pillen nähme. Obwohl er sehr gut wusste, dass er beides nicht vermengen sollte. Denn mit Schmerzen – nicht nur mit körperlichen – kannte er sich bestens aus.

„Alle guten Dinge sind drei“, hatte der Chirurg gesagt.

Das stimmte besser, verdammt. Sonst könnte er nie wieder so mobil sein wie vor der Bombenexplosion in Afghanistan. Derzeit musste Boone für alles, was erledigt werden musste, jemanden anheuern: Zum Einkaufen, zum Saubermachen des Hauses und für die Fahrten zu den Arztterminen. Geld war dabei nicht das Thema. Neben dem Haus hatte sein Vater ihm mehr als eine Million Dollar hinterlassen.

Er hatte das Vermögen klug investiert. Selbst wenn er nie wieder arbeitete, könnte er seinen Lebensunterhalt bestreiten. Dennoch wiegte kein Geld der Welt den Verlust seines Vaters auf, den er sehr vermisste.

Erschwerend kam hinzu, dass er mit den Nerven am Ende war und es hasste, zur Untätigkeit verdammt zu sein. Er hatte Bücher gelesen, bis ihm die Augen getränt hatten, und sich die Zeit mit Unmengen von Videospielen und Filmen vertrieben. All seine Freunde waren beim Militär. Seitdem er wegen seiner Verletzung aus dem Dienst entlassen worden war, besuchten sie ihn immer seltener.

Boone war gelangweilt, geknickt und verbittert. Das war keine attraktive Kombination. Dennoch schien er sich nicht aus der deprimierten Stimmung herausreißen zu können. Diese Operation war seine letzte Chance. Er war entschlossen, diesmal die Anweisungen des Arztes genau zu befolgen. Deshalb musste er hier herumsitzen und Däumchen drehen. Einem Mann, der den Großteil seines Erwachsenenlebens im Einsatz gewesen war, fiel das ungeheuer schwer.

Ein paar Häuser weiter spielten ein paar Jugendliche in der Einfahrt Basketball. Er war früher einmal ein fantastischer Basketballspieler gewesen. Aber diese Zeit war lange vorbei. Der Duft von Abendessen hing in der Luft, während die Sommersonne weiter nach Westen wanderte. Träge dachte er daran, aufzustehen und sich ein Tiefkühlgericht in der Mikrowelle zu erhitzen. Aber selbst dazu schien er sich nicht aufraffen zu können. Er trank einen Schluck Bier und versuchte, den pochenden Schmerz in seinem Knie zu ignorieren.

Ein Honda Accord bog in die Einfahrt zu dem Bungalow auf der Straße gegenüber ein. Seine alberne Nachbarin Tara Duvall stieg aus. Schnell nahm Boone sein Handy und tat so, als wäre er in ein Gespräch vertieft. Aber durch das Täuschungsmanöver ließ Tara sich nicht bremsen. Sie winkte ihm zu und lächelte ihn wie immer strahlend an. Zur Hölle mit ihrer widerlichen Fröhlichkeit.

„Hallo, Boone.“

Sie trug ein schulterfreies, knappes Flattertop und Jeansshorts. Er versuchte zu ignorieren, wie sonnengebräunt, lang und schlank ihre Beine waren. Oder dass der Stoff des Tops nach oben rutschte, als sie sich bewegte. Gerade so weit, dass er einen Blick auf das Piercing – ein Goldring – in ihrem Bauchnabel erhaschen konnte. Ihr Bauch war flach und fest, ihre Haut makellos. In seiner Hose bebte es. Die Frau hatte einen sagenhaften Körper – so lästig sie auch sein mochte.

Ich muss mich zusammenreißen. Sicherlich ist sie sexy, aber den Ärger ist sie nicht wert. Sie überquerte die Straße. Die Sandalen mit den Keilabsätzen waren viel zu hoch für ihre zierliche Statur. Doch irgendwie schaffte sie es, sich graziös darin zu bewegen. Verdammt, sie kam zu ihm herüber. Er runzelte missbilligend die Stirn, hob das Handy hoch und winkte sie weg. Dann hielt er das Handy wieder ans Ohr und täuschte eine Unterhaltung vor. „Hm, hm.“

Tara war eine dieser unbeschwerten Frauen, die unentwegt redeten. Eine der heiteren Geschichten aus dem Friseursalon zu hören, in dem sie arbeitete, war das Letzte, was er wollte. Sie war lustig, impulsiv, lebhaft und erinnerte ihn viel zu sehr an seine Exfrau. Dennoch schlug sein Puls schneller, als sie näher kam. Das ärgerte ihn fürchterlich.

Als sie den Zeigefinger auf die Lippen legte und auf Zehenspitzen die Veranda betrat, gab Boone weiterhin vor zu telefonieren. „Was du nicht sagst.“ Er beobachtete, wie sie sich auf das Geländer der Veranda setzte und die Beine baumeln ließ. Ihre blauen Augen sprühten vor Übermut. Geh weg. Er war nicht in Stimmung für übertriebenen Optimismus. „Ja, ja.“ Er nickte, als ob jemand am anderen Ende der Leitung gerade etwas gesagt hätte, dem er wirklich zustimmen konnte.

Er bemerkte, dass sie sein verletztes Knie mitfühlend musterte. Dann entdeckte sie das Bier sowie die Schmerztabletten. Ihr Mitleid legte sich zum Glück. Sie machte ein besorgtes Gesicht und rieb mit einem Zeigefinger quer über den anderen. Damit wollte sie ihm wohl mitteilen, dass er sich schämen sollte. Hau ab, Nachbarin.

„Bleib eine Minute dran“, sagte Boone zu seinem angeblichen Gesprächspartner. Er legte die Hand auf das Handy und sah Tara an. „Diese Unterhaltung wird noch eine Weile dauern.“

„Mir macht es nichts aus zu warten.“

Was, zur Hölle, wollte sie? „Mir macht es aber etwas aus.“

„Eine private Unterhaltung?“

„Ja“, meinte er. Ihre Lippen glänzten. Sie hatte rosaroten Gloss aufgelegt und sich dicke Blocksträhnen in vier oder fünf verschiedenen Blondtönen färben lassen, wie es derzeit Mode war. Auf ihrer linken Schulter war ein Delphin tätowiert. Außerdem trug sie mehrere Ohrringe in jedem Ohr. Ihre Fußnägel hatte sie in einem alarmierenden aquamarinblauen Ton lackiert, und am zweiten Zeh ihres rechten Fußes steckte ein Goldring in Form des Wortes LOVE.

„Ich versorge deine Sträucher mit Wasser, während du dich unterhältst“, meinte Tara. „Sie sehen durstig aus.“

„Nein, nein.“ Boone wollte nicht, dass sie ihm irgendwie gefällig wäre. „Lass es, wie es ist.“

„Okay.“ Sie hob die Hände. „Ich wollte deinen Stolz nicht verletzen.“

Er sah sie finster an und hielt das Handy wieder ans Ohr. „Ich bin wieder da.“ Er kam sich dumm vor, weil er mit dem vorgetäuschten Telefongespräch fortfahren musste. Nun, er könnte versuchen, mit ihr zu reden. Aber das funktionierte nie. Wenn er eine Unterhaltung mit ihr anfinge, machte sie es sich stundenlang neben ihm auf der Veranda bequem, als wenn sie Freunde wären. In diesem Moment klingelte sein Handy.

Tara formte mit den Lippen humorvoll ein Oh. Ihre Augen glitzerten. „Mann, du bist so was von aufgeflogen. Schäm dich. Du wolltest vermeiden, mit mir zu reden.“

„Ja, und jetzt bekomme ich wirklich einen Anruf.“ Er meldete sich, ohne auf das Display zu sehen. „Hallo?“

„Boone?“

„Jackie? Warte einen Moment.“ Erneut legte er die Hand auf das Handy. „Es ist meine Schwester. Können wir diese Unterhaltung später führen?“

„Du hast eine Schwester?“

„Halbschwester.“

„Das wusste ich nicht“, meinte Tara.

„Es gibt viele Dinge, die du über mich nicht weißt. Zum Glück.“

„Du hast nie über sie geredet.“

„Ich habe mit dir nie über sie geredet.“

„Eins zu null für dich“, murmelte sie leicht verletzt.

Boone zwang sich zu einem Lächeln. „Jetzt möchte ich mit ihr reden, wenn du nichts dagegen hast.“

„Sicher.“ Tara zuckte mit den Schultern. „Ich bin nur vorbeigekommen, um dir zu sagen, dass ich wegziehe.“

Ja! Keine Nachbarin mehr, die ihre Nase in seine Angelegenheiten steckte, spätabends laute Partys feierte und ihm Aufläufe brachte. Aber sogar als Boone das dachte, empfand er auch eine seltsame Traurigkeit. Dieselbe Melancholie hatte ihn als Kind an jedem Sonntagnachmittag erfasst. Denn dann hatte er gewusst, dass er am nächsten Tag wieder zur Schule gehen musste. Fast hätte er ihr gesagt, dass sie warten sollte. Aber er schaffte es, den Impuls zu unterdrücken. „Wir sehen uns.“

„Wir sehen uns“, wiederholte sie und schwang sich vom Verandageländer.

Er sah ihr gebannt nach, als sie über den Rasen ging. Jeder Hüftschwung setzte ihren Po in den Jeansshorts in Szene. Er konnte den Blick nicht von ihr abwenden.

„Boone? Bist du noch dran?“

„Ja, ja.“ Er holte tief Luft und wandte seiner Schwester seine ganze Aufmerksamkeit zu. „Hallo, Jackie. Lange nichts von dir gehört.“

„Ich war wirklich beschäftigt.“

Sie klang seltsam euphorisch. Normalerweise war seine Schwester ernsthaft und tiefgründig. Ihr Vater war der berühmte Meeresforscher Jack Birchard. Sie war als Meeresbiologin in seine Fußstapfen getreten und arbeitete an ihrer Doktorarbeit.

Boone hatte das letzte Mal vor vier Monaten mit ihr telefoniert und ihr die dritte Knieoperation verschwiegen. Er wollte nicht, dass sie sich Sorgen machte. Sie waren nicht zusammen aufgewachsen. Ihre flatterhafte Mutter hatte sie beide bei den jeweiligen Vätern zurückgelassen. Daher hatte sie erst als Teenager Kontakt aufgenommen. Jackie war wie er nicht unterzukriegen. Sie hatten sich trotz der Umstände prächtig entwickelt. Das hieß, er hatte sich bis zu dieser Bombenexplosion prächtig entwickelt. „Was ist los?“

„Ich heirate!“

„Du heiratest?“ Er war sprachlos. „Wen?“

„Du kennst ihn nicht. Er heißt Scott Everly und ist Lieutenant bei der Küstenwache.“

„Im Ernst, Jackie? Ein Küstenwächtler?“

„Was gibt es daran auszusetzen?“

Boone erläuterte ihr nicht, dass er die Küstenwache nicht wirklich dem Militär zurechnete. „Ich kann mir dich nicht als Ehefrau eines Lieutenants vorstellen. Tatsächlich kann ich mir dich überhaupt nicht als Ehefrau vorstellen.“

„Was heißt das?“

Jetzt klang Jackie völlig ernüchtert. Er sollte sich bei ihr entschuldigen. „Deine Karriere bedeutet dir so viel.“

„Ja. Was hat das damit zu tun? Willst du damit sagen, dass ich keine Karriere machen und gleichzeitig verheiratet sein kann?“

„Wie willst du deinen Forschungsprojekten nachgehen, wenn du ihm von Stützpunkt zu Stützpunkt folgst?“, frage Boone.

„Er ist in Washington D. C. stationiert. Jede Beförderung wird ihn dort einen Schritt weiter nach oben bringen. Außerdem unterstützt Scott meine Karriere vollauf und versteht, dass es Zeiten geben kann, in denen wir uns trennen müssen.“

„Wie lange kennst du ihn?“ Er wollte seine kleine Schwester beschützen. Sie sollte nicht denselben Fehler machen wie er. Eine Scheidung tat sehr weh. Um sie vor diesem Kummer zu bewahren, täte er, was immer notwendig wäre. Als Jackie ihm nicht antwortete, wiederholte er die Frage. „Wie lange kennst du ihn?“

„Du bist ein Schuft.“

„Du beantwortest meine Frage nicht.“

„Seit über einem Monat“, gab Jackie schließlich zu.

„Was?“

„Reg dich nicht auf. Ich weiß, was ich tue. Scott ist das Beste, was mir je passiert ist. Er ist gescheit, freundlich, liebt den Ozean genauso wie ich und …“

„Hast du den Verstand verloren? Hast du nichts aus meiner Erfahrung mit Shaina gelernt?“

„Ich bin nicht du, Boone“, fuhr Jackie ihn an. „Und Scott ist nicht Shaina. Bei uns ist es wahre Liebe. Bei dir dagegen war es eine Blitzhochzeit abends in Vegas. Du warst betrunken und geil, nachdem du dich morgens zur Army gemeldet hast.“

„Wahre Liebe? Du verabredest dich erst seit einem Monat mit dem Mann. Was weißt du schon über ihn?“ Er ballte die Hand, unterdrückte den Drang aufzustehen und auf und ab zu gehen.

„Sechs Wochen. Ich kenne ihn seit sechs Wochen.“

„Oh, mein Fehler. Zwei Wochen machen den Unterschied. Warum hast du das nicht gleich gesagt, Jackie?“

„Ich dachte, dass du dich für mich freust, Boone. Ich habe endlich jemanden gefunden, der mir genauso viel bedeutet wie der Ozean.“

„Du weißt genau, dass du dich verhältst wie …“

„Sag es nicht“, fuhr sie ihn böse an.

„Miranda.“

„Ich bin absolut nicht wie unsere Mutter.“

Boone wusste, dass er bei seiner Schwester einen Nerv getroffen hatte. Dennoch fuhr er fort: „Miranda hat meinen Dad geheiratet, nachdem sie ihn zwei Monate lang gekannt hat. Wie lange hat sie sich mit Jack verabredet, bevor sie sich in diese Beziehung gestürzt hat? Sechs Wochen lang, oder nicht?“

„Ich kann nicht glauben, dass du so reagierst.“

Er konnte es auch nicht glauben. Was war nur los mit ihm? Sein Knie tat fürchterlich weh. Doch das war keine Entschuldigung. Er hörte, dass Jackie den Tränen nah war, was ihn alarmierte. Normalerweise weinte sie nicht leicht. „Es tut mir leid“, ruderte er zurück. „Du hast mich total überrascht. Sag mir einfach, dass du eine lange Verlobungszeit einlegst, um sicherzugehen, dass er wirklich der richtige Mann für dich ist.“

„Wir heiraten in Key West am Samstag, dem vierten Juli.“

„Diesen Samstag? Bist du übergeschnappt?“

„Wenn du mein Glück mit mir teilen kannst, Boone, lade ich dich herzlich zur Hochzeit ein. Sie findet um sechzehn Uhr auf dem Forschungsschiff meines Vaters, der ‚Sea Anemone‘, am Kai 16 statt. Wenn du dich nicht für mich freuen kannst, dann bleib in Montana und bade in deinem Selbstmitleid.“

„Jackie, ich …“

Sie legte auf.

Boone fluchte leise und rief sie zurück. Aber sie meldete sich nicht und ließ den Anruf auf die Mailbox gehen. Er versuchte es noch drei weitere Mal, vergeblich. Wütend warf er das Handy auf den Rasen. Klug. Wirklich klug. Jetzt muss ich aufstehen und es holen. Er erhob sich mühsam unter Schmerzen. Als er auf die Stufen starrte, schluckte er. Es dauerte eine Ewigkeit, bis er dort hinuntergegangen wäre.

Plötzlich tauchte Tara auf. Seine Erleichterung war groß. Doch sofort hasste er das Gefühl. Er brauchte keine Hilfe.

Sie hob das Handy auf und schaute ihn besorgt an. „Hast du mit deiner Schwester gestritten?“ Sie stieg die Stufen hinauf, um ihm das Handy zu geben.

„Danke“, meinte Boone schroff.

„Gern.“ Tara hielt inne. Als er nichts sagte, fügte sie hinzu: „Vermutlich willst du nicht darüber reden?“

„Nein.“

Sie nickte. „Okay. Aber wenn du reden willst, bin ich für dich da. Zumindest noch eine weitere Woche.“

„Also …“ Boone suchte nach etwas, das er sagen konnte. „Du ziehst also um.“

„Ja, ich gehe zurück nach Hause. Meine Mom ist krank.“

„Tut mir leid, das zu hören, Tara.“

„Sie hat Brustkrebs. Aber die Ärzte haben den Krebs früh entdeckt. Sie muss sich einer Chemotherapie und Bestrahlungen unterziehen. Aber sie wird in Ordnung kommen. Es ist nur so – nun, wenn so etwas passiert, beginnt man darüber nachzudenken, was im Leben wirklich wichtig ist. Und nichts ist wichtiger als die Familie. Also gehe ich zurück.“

Fast hätte Boone gesagt: „Ich werde dich vermissen.“ Aber er biss sich auf die Zunge. Er wusste nicht einmal, warum ihm das in den Sinn gekommen war. Hauptsächlich machte Tara ihn mit ihrer gutmütigen Neugier verrückt. „Danke, dass du mein Handy geholt hast. Das war nett.“

„Gern. Mir ist klar, dass du eine schwere Zeit durchmachst.“ Ihr Blick fiel auf sein bandagiertes Knie. „Du bist nicht annähernd so ruppig, wie du jeden glauben machen willst. Ich weiß, dass du derjenige warst, der letzten Winter den Schnee von Mrs Levinsons Einfahrt geräumt hat.“ Sie deutete mit dem Kopf auf das Haus der älteren Witwe nebenan. „Und, dass du es bei Morgendämmerung getan hast, damit sie dich nicht dabei erwischt und versucht, dich dafür zu bezahlen.“

„Wer? Ich?“ Boone zuckte mit den Schultern. „Mit dem kaputten Knie?“

„Das ist wahrscheinlich einer der Gründe, warum das Knie zum dritten Mal operiert werden musste. Du kannst nicht stillhalten.“

Er zuckte zusammen. Tara hatte recht. „Für meinen Geschmack bist du zu verdammt neugierig.“

Sie sahen einander in die Augen.

„Ich muss anfangen zu packen.“ Tara hob die Hand. „Ich komme vorbei, um mich zu verabschieden, bevor ich mich auf den Weg mache.“

„Okay“, sagte Boone, weil er nicht wusste, was er sonst sagen sollte.

„Bist du in Ordnung?“, fragte sie ihn besorgt.

„Mir ging es nie besser.“

„Du bist so ein Lügner.“

Boone musste lächeln. „Ich weiß.“

Tara musterte ihn. „Pass auf dich auf, Toliver.“

„Du auch, Duvall.“ Er wünschte, sie ginge. Denn er wollte nicht, dass sie sähe, wie er ins Haus humpelte. Also wartete er, bis sie verschwunden war, bevor er das Glas mit den Pillen nahm und sich ins Wohnzimmer schleppte. Ohne Flüssigkeit schluckte er eine der Pillen hinunter und verzog das Gesicht. Er war zu aufgeregt, um zu sitzen, und hatte zu viel Schmerzen, um zu stehen. Außerdem war er wegen Jackie zu beunruhigt, um irgendetwas anderes zu tun.

Als er erneut versuchte, seine Schwester zu erreichen, meldete sie sich nicht. Boone hinterließ eine Nachricht auf der Mailbox, entschuldigte sich bei ihr und bat um Rückruf. Er hatte wirklich idiotisch reagiert und kein Recht, ihr vorzuschreiben, wie sie ihr Leben gestalten sollte. Dennoch konnte er es nicht guten Gewissens zulassen, dass sie so schnell heiratete und denselben Fehler beginge wie er. Er musste von Angesicht zu Angesicht mit ihr reden – und mit diesem Lieutenant der Küstenwache, den sie anscheinend unbedingt heiraten wollte.

Jackie hatte es nicht leicht gehabt. Er erinnerte sich zum Glück nicht einmal mehr an ihre gemeinsame Mutter. Seine Schwester dagegen war zehn Jahre alt gewesen, als Miranda die Familie verlassen hatte. Von diesem Zeitpunkt an war sie von ihrem Vater großgezogen worden, der hohe Ansprüche an sie stellte. Sie hatte ihr Leben damit verbracht, sich mit Jack Birchard zu messen und ihm gerecht zu werden.

Sie hatte Boone bei mehr als einer Gelegenheit gesagt, dass sie sich nur wirklich entspannte, wenn sie die Sommer gemeinsam im Haus ihrer Tante Caroline verbrachten. Beide hatten immer gehofft, dass Miranda eines Tages im Haus am See ihrer Schwester in Montana auftauchte. Aber das hatte sie nie getan.

Sein Dad hatte Miranda direkt nach der Highschool geheiratet. Er hatte ihm gesagt, dass er die Heirat nicht als Fehler ansehen konnte. Denn sonst hätte er nie so einen wundervollen Sohn bekommen. Wade Toliver hatte alles getan, damit sich Boone geliebt gefühlt hatte.

Er war ein hart arbeitender Bauunternehmer gewesen, der sparsam gelebt hatte, um das Geld in den Kauf und Weiterverkauf von Immobilien zu investieren. Dann war er klug genug gewesen, aus der Branche auszusteigen, bevor die Immobilienblase geplatzt war. Mit einem Vater wie Wade hatte Boone es kaum vermisst, keine Mutter zu haben. Sein Dad hatte ihn überall mitgenommen, ihm alles über die Instandhaltung von Häusern beigebracht und ihn gelehrt, das Richtige vom Falschen zu unterscheiden.

Ja, doch nach dem Telefongespräch mit Jackie schämte Dad sich für mich. In Ordnung. Er hatte es vermasselt. Aber ob seine Schwester sich dessen bewusst war oder nicht: Sie brauchte es, seine Sicht auf die Dinge zu hören. Also musste er noch vor der Hochzeit nach Key West fahren und ihr Vernunft beibringen. Er sah auf die Uhr. Es war Montag, achtzehn Uhr dreißig. Ihm blieben nicht einmal fünf Tage Zeit.

Boone sank auf die Couch. Wie sollte er nach Key West kommen? Während seiner letzten Knieoperation hatte er Probleme mit Blutgerinnseln gehabt. Der Arzt hatte ihm nahegelegt, unter keinen Umständen zu fliegen. Zudem hatte er ihm eindringlich von langen Autofahrten abgeraten. Aber er konnte ohnehin nicht selbst nach Key West fahren. Zur Hölle, er konnte noch nicht einmal zum nächsten Lebensmittelgeschäft fahren.

Er nahm sein Handy aus der Hosentasche und googelte die Entfernung zwischen Bozeman und Key West: Gut viertausend Kilometer. Die Autofahrt dauerte also ungefähr achtunddreißig Stunden – ohne Zwischenstopps. Verdammt. Er fuhr sich durch die Haare. Seitdem er die Army verlassen hatte, waren sie zottelig geworden. Wie kam er nach Key West? Ein privater Fahrdienst kostete ein Vermögen. Der überwiegende Teil seines geerbten Vermögens war in Investitionen fest angelegt. Zudem drehte er immer noch jeden Dollar zweimal um, weil er in eher bescheidenen Verhältnissen groß geworden war.

Aber Jackie davon abzuhalten, sich ihr Leben zu ruinieren, war zweifellos wichtiger als Geld. Boone rief den einzigen privaten Fahrdienst in Bozeman an. Dort sagten sie ihm rundheraus, dass sie ihn nicht nach Key West fahren würden. Und jetzt? Sollte er jemand anheuern, der ihn chauffierte? Aber wen? Vielleicht gäbe es eine Fahrgemeinschaft, die sich auf den Weg nach Key West machte. Dann könnte er die Benzinkosten übernehmen. Tolle Idee!

Er machte sich im Internet auf die Suche nach jemandem in seiner Gegend, der so bald wie möglich in Richtung Key West führe. Einen Versuch war es jedenfalls wert. Wenn er bis morgen früh keine Antwort bekäme, müsste er jemanden auftreiben, der ihn chauffierte. Er erhob sich mühselig und humpelte in das Zimmer, in dem er sich ein Büro eingerichtet hatte. Vorsichtig ließ er sich auf dem Stuhl nieder und fuhr den Computer hoch.

Er stellte ein Inserat auf einer Reihe von Websites ein. Dann aß er zu Abend, packte ein paar Sachen ein und verbrachte den Rest des Abends damit, sich wegen Jackie Sorgen zu machen. Mehrmals versuchte er, sie telefonisch zu erreichen. Doch sie hatte ihre Mailbox ausgeschaltet. Also schäumte sie wirklich vor Wut. Nachdem Boone vergeblich nachgesehen hatte, ob jemand auf sein Inserat geantwortet hatte, ging er ins Bett.

Wie gewöhnlich wachte er am nächsten Morgen um fünf Uhr auf. Obwohl er seit fast neun Monaten kein Soldat mehr war, konnte er sich das frühe Aufstehen nicht abgewöhnen. Heute kam ihm die Routine wie gerufen. Er musste die Zeit nutzen, wenn er bis zum Samstagnachmittag in Key West sein wollte. Vielleicht war Scott Everly der richtige Mann für Jackie, vielleicht auch nicht. Boone wollte sich selbst einen Eindruck zu verschaffen. Als seine Schwester und er aufgewachsen waren, hatte er sich nicht um sie kümmern können. Doch jetzt würde er das definitiv wettmachen.

Er frühstückte, trainierte seinen Oberkörper mit Hanteln und duschte. Dann setzte er sich mit wenig Hoffnung auf eine Antwort an den Computer und öffnete sein Postfach. Bingo! Eine E-Mail mit der Antwort auf sein Inserat war eingetroffen. Gespannt las er die Nachricht:

Ich fahre nächste Woche nach Miami und kann Sie mitnehmen, wenn die Reise bis Montag warten kann.

Seine Enttäuschung war groß. Er schrieb zurück:

Das ist zu spät. Gibt es irgendeine Möglichkeit, dass Sie heute statt nächster Woche losfahren können?

Boone erwartete keine schnelle Antwort und war schon im Begriff aufzustehen. Doch die betreffende Person musste an seinem oder ihrem Computer gesessen haben. Denn die Antwort kam postwendend.

Nein, tut mir leid. Ich muss noch packen und meine Sachen in einen Umzugsanhänger laden. Ich könnte frühestens am Donnerstagnachmittag losfahren.

Er rechnete schnell aus, dass sie bei diesem Abfahrtstermin am frühen Samstagmorgen in Key West sein könnten. Aber für Zwischenstopps musste er mindestens einen weiteren Tag einkalkulieren. Mittwochnachmittag war für ihn der letztmögliche Termin. Er schrieb zurück:

Und wenn ich Möbelpacker bezahle, die noch heute Ihre Sachen packen und in den Umzugsanhänger laden? Könnten Sie dann heute Abend losfahren?

Nervös schickte Boone die E-Mail ab und wartete.

Anscheinend handelt es sich bei Ihnen um einen Notfall. Aber Merkur ist rückläufig. Dann soll man besser nicht reisen. Ich versuche immer, mich daran zu halten.

Meinte diese Person das im Ernst? Er schrieb:

Und wenn ich noch fünfhundert Dollar obendrauf lege? Überwinden Sie dann Ihre Angst vor Merkur?

Das ging gegen seine sparsame Ader. Aber es könnte seine einzige Gelegenheit sein, rechtzeitig nach Key West zu kommen. Ein paar Minuten ließ die Antwort auf sich warten.

In Ordnung. Sie haben einen Deal.

Boone seufzte vor Erleichterung und erwiderte:

Abgemacht. Wo wohnen Sie?

Autor

Lori Wilde
<p>Lori Wilde hat mehr als neununddreißig erfolgreiche Bücher geschrieben, von denen etliche auf der Bestsellerliste der New York Times landeten. Sie arbeitete 20 Jahre als Krankenschwester, doch ihre große Liebe ist die Schriftstellerei. Lori Wilde liebt das Abenteuer. Unter anderem läuft sie Marathon, nimmt Flugstunden, tritt mit einer professionellen Jazzband...
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