Heiße Herzen - kalte Rache?

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Noch oft denkt Sienna an die leidenschaftlichen Nächte mit ihrem Ex. Und an das Entsetzen, als Constantine ihr unterstellte, dass sie nur wegen seines Geldes mit ihm zusammen sei! Sie hat ihn verlassen - aber nie vergessen. Und jetzt taucht er wieder in ihrem Leben auf und fordert, was ihm seiner Meinung nach zusteht: Geld, das ihr verstorbener Vater ihm schuldete. Nur wenn sie ihn heiratet, wird er darauf verzichten. Sienna sagt Ja - voller Angst vor einer Ehe ohne Gefühl. Aber auch voller Hoffnung, dass der Tycoon sie doch nicht nur aus Berechnung zum Altar führt


  • Erscheinungstag 04.06.2013
  • Bandnummer 1771
  • ISBN / Artikelnummer 9783954465569
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

Aufmerksam ließ Constantine Atraeus den Blick über die Trauergemeinde schweifen, die sich zu Roberto Ambrosis Beerdigung eingefunden hatte. Dann fand er endlich, wonach er gesucht hatte. Sie.

Mit ihrem langen blonden Haar und dem sinnlichen, weiblichen Körper stach Robertos glutäugige Tochter Sienna unter den anderen Gästen hervor wie ein wunderschöner Paradiesvogel unter Krähen.

Als er ihre Tränen bemerkte, wurde Constantine unwillkürlich von Mitgefühl übermannt, das er jedoch rasch wieder abschüttelte. Genauso wie die Erinnerungen. Auch wenn Sienna unschuldig wie ein Engel aussah, so durfte er doch nie vergessen: Seine ehemalige Verlobte war die neue Chefin ihres Familienunternehmens, das mit dem Perlenhandel reich geworden war, jetzt allerdings vor dem finanziellen Untergang stand. Vor allen Dingen aber war sie eine Ambrosi. Die Mitglieder dieser einst so wohlhabenden Familie zeichneten sich durch zwei Dinge aus: Sie sahen allesamt unverschämt gut aus – und waren völlig auf Profit fixiert.

Sienna war das beste Beispiel dafür: Damals, vor zwei Jahren, hatte sie es einzig und allein auf sein Geld abgesehen.

„Sag bloß nicht, dass du wieder hinter ihr her bist“, bemerkte Constantines Bruder Lucas. Er wirkte müde, wie er da etwas steif aus dem Audi kletterte. Kein Wunder, Constantine hatte ihn nach seinem Langstreckenflug von Rom nach Sydney gerade erst am Flughafen abgeholt.

Da Lucas in Sydney ein zweitägiges Meeting erwartete, trug er Businesskleidung, im Wagen hatte er allerdings sein Jackett und die Krawatte abgelegt. Zane, in schwarzen Jeans und einem gleichfarbigen Hemd, war bereits ausgestiegen und musterte die Beerdigungsgesellschaft durch seine dunkle Sonnenbrille.

Lucas verfügte über eine äußerst maskuline Ausstrahlung, weswegen ihn die Medien gerne als knallharten Geschäftsmann abstempelten. Zane, der sozusagen ihr Halbbruder war, ließ ebenfalls keinen Zweifel daran aufkommen, dass mit ihm nicht zu spaßen war. Als Teenager hatte er sich auf den Straßen von Los Angeles durchgeschlagen, bis ihr Vater ihn dort gefunden hatte. Constantine war davon überzeugt, dass seine Brüder keine Gnade kannten, wenn es darum ging, die Interessen der Familie zu schützen.

Während Constantine sein Jackett überzog, das er auf dem Rücksitz des Wagens abgelegt hatte, beobachtete er, wie Sienna die Beileidsbekundungen der Trauergäste entgegennahm.

Konnte es sein, dass er sich tatsächlich noch zu ihr hingezogen fühlte? Schließlich hätte auch sein Anwalt die Formalitäten mit Sienna regeln können.

Nein, das war es nicht. Bereits vor zwei Jahren hatte Constantine gelernt, Sex und Geschäft strikt voneinander zu trennen. Er war fest entschlossen, dass dieses Mal nach seinen Regeln gespielt werden würde, sollte Sienna Ambrosi nochmals in seinem Bett landen.

„Ich bin bestimmt nicht hier, um Blumen auf Robertos Grab zu legen.“ Constantine warf Lucas einen düsteren Blick zu.

„Oder sie in Ruhe trauern zu lassen“, erwiderte sein Bruder ironisch. „Schon mal was von dem Wort morgen gehört?“ Nachdem Lucas sein Jackett übergezogen hatte, schlug er lautstark die Tür der teuren Limousine zu.

Constantine zuckte zusammen. Lucas war nicht alt genug, um sich an jene Zeiten zu erinnern, als die Atraeus-Familie so arm gewesen war, dass sie sich noch nicht einmal ein Auto leisten konnten. Constantine hingegen erinnerte sich sehr wohl. Zwar hatte sein Vater kurz darauf eine ergiebige Goldmine auf der Mittelmeerinsel Medinos entdeckt, doch Constantine würde nie vergessen, wie es sich anfühlte, nichts zu besitzen. „Für die Ambrosis wird es morgen schon zu spät sein.“ Resigniert betrachtete Constantine die Presseleute, die sich eingefunden hatten und wie die Geier auf ihren großen Moment warteten. „Außerdem habe ich den Eindruck, dass die Neuigkeiten schon nach außen gedrungen sind. Mir ist gleichgültig, ob das Timing schlecht ist. Ich will Antworten.“ Und das Geld zurück, das Roberto Ambrosi ihrem sterbenden Vater aus der Tasche gezogen hatte.

Beerdigung hin oder her – Constantine war fest entschlossen, den Betrug aufzudecken, dem er vor gerade einmal einer Woche auf die Schliche gekommen war. Nachdem er tagelang vergebens versucht hatte, telefonisch mit den Ambrosis Kontakt aufzunehmen, und sogar stundenlang das offenbar verlassene Familienanwesen beobachtet hatte, war seine Geduld erschöpft. Seine anfängliche Absicht, die Sache diskret abzuwickeln, hatte er aufgegeben.

Lucas beeilte sich, mit Constantine Schritt zu halten, der geradewegs auf die im Auflösen begriffene Trauergemeinde zusteuerte. Missmutig bemerkte Constantine, dass Lucas bewundernd zu Carla hinübersah, der jüngeren Schwester von Sienna.

„Meinst du wirklich, dass Sienna etwas mit der Sache zu tun hat?“, fragte sein Bruder.

Das bezweifelte Constantine nicht. Was sonst war von einer Frau zu erwarten, die sich vor zwei Jahren bereit erklärt hatte, ihn zu heiraten, obwohl sie wusste, dass ihr Vater und seiner damit unter der Hand ein Geschäft verknüpft hatten. Ein Geschäft wohlgemerkt, dessen Inhalt sie alle drei Constantine verschwiegen hatten. „Sie weiß bestimmt etwas.“

„Du weißt doch aber auch, wie Roberto gewesen ist …“

„Ja, mehr als willig, einen sterbenden Mann über den Tisch zu ziehen.“

Constantine sah kurz zu den beiden Leibwächtern hin, die ihnen in einem zweiten Wagen gefolgt waren. Wäre es nach ihm gegangen, hätte er gut auf sie verzichten können, aber als Chef eines milliardenschweren Unternehmens kam es eben vor, dass er sich Feinde machte.

Als sie sich der Grabstätte näherten, fiel Constantine auf, dass keine männlichen Familienmitglieder zu sehen waren. Die ehemals reichen und einflussreichen Ambrosis, für die sein Großvater einst als Gärtner gearbeitet hatte, bestanden heute nur noch aus Robertos Witwe Margaret, den beiden Töchtern Sienna und Carla sowie diversen älteren Tanten und entfernten Cousinen.

In dem Moment, in dem er am Grab ankam, schob sich eine dunkle Wolke vor die Mittagssonne – und Siennas und Constantines Blicke trafen sich. Ganz kurz glaubte Constantine, in ihrem Blick so etwas wie Freude zu erkennen. Es schien beinahe so, als hätte sie vergessen, dass sie sich vor zwei Jahren für das Geld und gegen ihn entschieden hatte.

Die Zeit schien stillzustehen, und Constantine hatte das beunruhigende Gefühl, alles schon einmal erlebt zu haben. Er spürte eine überwältigend starke Verbindung zwischen ihnen, von der er gedacht hatte, sie nie wieder in seinem Leben empfinden zu können.

Etwas Unsichtbares schien seiner Brust einen Schlag zu versetzen, und statt seinen Blick abzuwenden, ließ Constantine sich vom Zauber des Augenblicks gefangen nehmen …

Nur einen Moment später wirbelte eine heftige Windböe ein paar welke Blätter durch die Luft, Sienna steckte sich eine Strähne ihres honigblonden Haares hinters Ohr – und die Magie, die Constantine vor zwei Jahren schon einmal zum Narren gehalten hatte, löste sich in Nichts auf. Ungläubig erkannte er, dass er Sienna beinahe wieder verfallen wäre.

Er unterbrach den Blickkontakt, richtete seine Aufmerksamkeit auf den frischen Grabhügel, der von Blumengestecken bedeckt war, und besann sich auf den Grund seines Kommens.

Roberto Ambrosi war ein Lügner, Dieb und Bauernfänger gewesen, doch eines musste man ihm lassen: Er hatte gewusst, wann es Zeit war zu gehen.

Sienna hingegen blieb keine Möglichkeit zur Flucht.

Siennas Herz schlug schneller, als sie Constantine näher kommen sah. Sie war erschöpft, innerlich hin und her gerissen von der Trauer um ihren Vater und der Erleichterung darüber, sich nie wieder mit seiner Spielsucht auseinandersetzen zu müssen. Aber für eine Sekunde hatte sie die traurigen Umstände fast vergessen.

Sie war eine eifrige Verfechterin des positiven Denkens, doch selbst für ihre Verhältnisse war der Tagtraum, der sie beim Anblick Constantines überfallen hatte, außerordentlich fantasievoll gewesen. Sie musste an eine Vergangenheit denken, als für sie die Liebe an erster Stelle gestanden hatte – und nicht Aktien und Vermögenswerte. Als sie Constantine nun in die Augen sah, kam es ihr ganz kurz so vor, als wären ihre Träume wahr geworden.

Seine ebenmäßigen Gesichtszüge, das kohlrabenschwarze Haar und die breiten Schultern vermochten immer noch, ihren Herzschlag zu beschleunigen.

Doch dann bemerkte sie seinen düsteren Blick, der Zauber war gebrochen, und sie fand sich jäh in der Wirklichkeit wieder.

„Was machst du denn hier?“, fragte sie ihn kurz angebunden. Seit dem beschämenden Zwischenfall vor zwei Jahren war das Verhältnis der Familien Atraeus und Ambrosi äußerst unterkühlt. Sie hätte nie damit gerechnet, Constantine auf der Beerdigung ihres Vaters zu sehen – und war ehrlich gesagt auch nicht gerade erfreut darüber.

Constantine ergriff ihre Hand. Als sie die Wärme seiner Haut spürte, kam es einem Schock gleich. Sie holte tief Luft und atmete seinen ihr immer noch vertrauten, männlichen Duft ein.

Zweifellos war Constantine ein äußerst attraktiver Mann. Einst hatte sie sich so sehr von ihm in den Bann schlagen lassen, dass sie ihre wichtigste Regel verletzt hatte. Sie hatte Gefühlen den Vorzug vor dem Verstand gegeben. Ein böser Fehler.

Constantine hatte ganz einfach in einer völlig anderen Liga gespielt als sie. Er war viel zu wohlhabend und – wie sie leider herausfinden musste – zu versessen darauf, seinen Reichtum um jeden Preis zu vergrößern.

Verbittert dachte sie daran, dass die Regenbogenpresse mit ihrer Einschätzung dieses Mannes recht behalten hatte: Er war skrupellos im Geschäftsleben – und im Bett. Der Chef der Atraeus-Group war ein guter Fang. Allerdings durfte man nicht mit einer Hochzeit rechnen.

Er beugte sich so dicht an sie heran, dass sein glatt rasiertes Kinn beinahe ihre Wange berührt hätte. Einen faszinierenden Augenblick lang gab sie sich der Vorstellung hin, er würde sie küssen. Als sie jedoch seinen Gesichtsausdruck sah, verflüchtigte sich diese Hoffnung wieder.

„Wir müssen reden“, sagte er mit seiner tiefen Stimme. Sein kaum merklicher Akzent verriet, dass seine Wurzeln im Mittelmeerraum lagen, er jedoch in den USA aufgewachsen war. „Fünf Minuten. Auf dem Parkplatz.“

Sienna entzog ihm ihre Hand und trat einen Schritt zurück, sodass die Absätze ihrer hochhackigen Schuhe im feuchten Erdreich einsanken. Erwartete er tatsächlich, dass sie sich jetzt mit ihm traf? Mit dem Mann, der ihr in der einen Woche einen Antrag gemacht und sie in der nächsten fallen gelassen hatte wie eine heiße Kartoffel, weil er geglaubt hatte, dass sie nur auf sein Geld aus gewesen war?

Niemals. Da musste schon die Hölle einfrieren.

„Es gibt nichts, worüber wir sprechen müssten.“

„Fünf Minuten. Sei da.“

Beklommen sah sie ihm hinterher, wie er an den Grabsteinen entlang zurück zu seinem Wagen ging. Nur am Rande bekam sie mit, dass Constantine von seinen Brüdern Lucas und Zane begleitet wurde. Zwei Leibwächter hielten Reporter und Schaulustige auf Abstand, die sich für die Familie Atraeus interessierten.

Die Anwesenheit der beiden Brüder und der Bodyguards machte ihr abermals bewusst, wie groß die Kluft zwischen ihrem und Constantines Leben war.

Ihre Schwester Carla berührte sie sacht am Arm. Nur mühsam gelang es Sienna, die beunruhigenden Gefühle zu verdrängen, die Constantines Gegenwart in ihr wachgerufen hatten. In den vergangenen Tagen war sie völlig vereinnahmt gewesen von dem plötzlichen Tod ihres Vaters und den katastrophalen finanziellen Folgen, die damit verbunden waren. Trotzdem hatte ein Blick in Constantines Augen genügt, um sie vergessen zu lassen, wo sie sich befand.

„Du bist kreideweiß“, bemerkte Carla stirnrunzelnd. „Ist alles in Ordnung mit dir?“

„Es geht mir gut.“ Um Fassung bemüht, suchte Sienna in ihrer Handtasche nach der Puderdose, um ihr Make-up zu überprüfen. Die Tränen, die sie in der Kirche vergossen hatte, und die Hitze hatten dazu beigetragen, dass man nichts mehr von dem leichten Make-up sah, das sie heute Morgen aufgetragen hatte. Außerdem wirkte ihr Haar zerzaust, und ihre Augen hatten rote Ränder. Im Augenblick war sie das exakte Gegenteil der gelassenen und intellektuellen Frau, die sie normalerweise zu sein vorgab.

Carla, der man ihre Herkunft von der Insel Medinos weitaus deutlicher ansah als Sienna, warf ihr glänzendes schwarzes Haar zurück und kniff die faszinierenden, auffallend hellblauen Augen zusammen, als sie nachdenklich den Atraeus-Brüdern hinterherschaute. „Was wollen die hier? Jetzt erzähl mir bitte nicht, dass du dich wieder mit Constantine triffst.“

Mit erzwungener Ruhe steckte Sienna ihre Puderdose wieder in die Handtasche. „Keine Bange. So verrückt bin ich nicht.“

Lediglich verwirrt.

„Und was haben sie dann gewollt?“, fragte Carla wütend.

Im Gegensatz zu ihrer Schwester konnte Sienna sich nicht den Luxus leisten, sich von ihren Gefühlen mitreißen zu lassen. Um das Wohl ihrer Familie und des Unternehmens zu gewährleisten, musste sie sich stets gelassen und unerschütterlich geben – egal, wie besorgt sie in Wirklichkeit war. „Nichts.“

Ein weiterer Windstoß – der dieses Mal mit dicken Regentropfen einherging – ließ sie ihre Benommenheit abschütteln. Sie dachte an Constantines Aufforderung – wohl eher den Befehl –, ihn zu treffen. Und ihr kam plötzlich etwas in den Sinn, das ihr ganz und gar nicht behagte.

Oh, verdammt. Sie musste nachdenken. Und zwar schnell.

Die vergangenen drei Tage hatte sie damit zugebracht, den privaten Schriftverkehr und die Vermögenswerte ihres Vaters durchzuarbeiten. Dabei waren ihr einige geheimnisvolle hohe Beträge aufgefallen, die sie in keinen Zusammenhang mit den Firmengeschäften bringen konnte. Innerhalb von zwei Monaten war eine große Summe Geldes auf das private Konto ihres Vaters eingegangen, die dafür verwandt worden war, seine Spielschulden zu begleichen und die finanziellen Probleme von Ambrosi-Pearls zu beheben. Doch Sienna hatte keine Ahnung, woher das Geld stammte. Zuerst hatte sie geglaubt, dass es sich um Gewinne vom Spieltisch handelte, doch die Beträge waren relativ gleichbleibend gewesen, daher war das unwahrscheinlich. Zwar hatte Roberto Ambrosi in der Vergangenheit schon Geldbeträge gewonnen, doch die waren immer unterschiedlich hoch ausgefallen.

Und jetzt wollte Constantine sie sprechen.

Sienna versuchte, die böse Vermutung, die sich in ihrem Kopf formte, zu verdrängen. Sie musste Carla auf andere Gedanken bringen, die immer noch den Atraeus-Brüdern hinterhersah, als würde sie sie am liebsten in die Luft sprengen. Also schaute Sienna sich suchend nach ihrer Mutter um. „Mom braucht Hilfe.“

Im selben Moment hatte auch Carla Margaret Ambrosi entdeckt, die immer noch geschwächt war von den Beruhigungsmitteln, die ihr der Arzt verschrieben hatte. Ein Reporter redete pausenlos auf sie ein. „Oh, Mist. Ich kümmere mich darum. Wird sowieso Zeit, dass wir hier wegkommen. Wir hätten schon vor zehn Minuten bei Tante Via zum Lunch sein sollen“, sagte Carla.

Seitdem ihr Vater vor vier Tagen zusammengebrochen und an Herzversagen gestorben war, hatten sie alle keine ruhige Minute gehabt. Allerdings ließ sich die Wahrheit nicht länger beschönigen. Ihr Großvater hatte im Zweiten Weltkrieg das Familienunternehmen aus dem Mittelmeerraum von der Insel Medinos nach Sydney verlagert und zu einem florierenden Geschäft ausgebaut. Doch die glorreichen Tage von Ambrosi-Pearls waren längst vorüber und die Schulden ins Unermessliche gestiegen.

Ein Entschluss reifte in Sienna heran. „Sag Via, dass ich es nicht zum Lunch schaffe. Ich komme dann später zu euch nach Hause.“

Nachdem sie Constantine losgeworden war.

Nachdenklich betrachtete Constantine den Himmel durch die Windschutzscheibe des Audi. Er hatte beschlossen, dort auf Sienna zu warten.

Zane saß auf dem Rücksitz und verschränkte die Arme vor der Brust, während er gelassen den Presseleuten zusah, die sich vergebens abmühten, an Constantines Sicherheitsleuten vorbeizukommen. „Ich denke, sie mag dich noch.“

Constantine versuchte, sich seinen Ärger nicht anmerken zu lassen. Mit seinen vierundzwanzig Jahren war Zane zwar tatsächlich jünger als er, aber manchmal kam es ihm so vor, als trennten sie weit mehr als sechs Jahre. „Das ist rein geschäftlich.“ Und kein Vergnügen.

„Hast du eigentlich noch eine Gelegenheit gehabt, mit Roberto über den Kredit zu sprechen?“, fragte Lucas, der auf dem Beifahrersitz Platz genommen hatte.

Die Worte vor seinem Tod hingen unausgesprochen in der Luft.

Constantine zupfte an seiner Krawatte herum. „Was glaubt ihr, weswegen er einen Herzanfall hatte?“

Offenbar hatte es mit Robertos Herz nicht zum Besten gestanden.

Siennas Vater hatte Constantine um ein Gespräch gebeten, als Treffpunkt hatten sie sich auf Constantines Haus geeinigt. Doch Roberto war nicht erschienen, sondern hatte stattdessen eine Runde Blackjack gespielt, wie Constantine nach ein paar Telefonaten herausgefunden hatte. Roberto war offensichtlich sehr bestrebt gewesen, das dringend benötigte Geld am Spieltisch zu gewinnen.

Um unnötiges Aufsehen zu vermeiden, hatte Constantine seinen persönlichen Assistenten Tomas ins Kasino geschickt, um Roberto abzuholen. Tomas war eingetroffen, nachdem der ältere Mann nur kurz zuvor hohe Gewinne erzielt hatte – und sich dann plötzlich unwohl fühlte. Sofort hatte Tomas einen Krankenwagen gerufen, doch es war zu spät gewesen. Nur Minuten darauf hatte Roberto sich an die Brust gegriffen und war wie ein gefällter Baum zu Boden gegangen.

Als Constantine davon erfuhr, hätte er selbst beinahe einen Herzinfarkt erlitten. Auch wenn die Medien ihn als knallharten Geschäftsmann bezeichneten, so hätte er liebend gerne mit Roberto über Möglichkeiten der Rückzahlung gesprochen. Aber es ging nicht nur um ihn, sondern um die ganze Familie, denn Roberto hatte Constantines Vater betrogen.

„Weiß Sienna eigentlich, dass du dich mit ihrem Vater treffen wolltest?“, fragte Lucas.

„Bisher noch nicht.“

„Aber sie wird es erfahren?“

„Ja.“ Constantine entledigte sich seiner Krawatte und öffnete die obersten beiden Knöpfe seines Hemdes.

Er wollte Siennas Aufmerksamkeit erlangen. Deswegen hatte er ja auch beschlossen, sich persönlich um die Angelegenheit zu kümmern. Und nachdem er vielleicht indirekt für den Tod ihres Vaters verantwortlich war, konnte er wohl ziemlich sicher sein, dass er ihre Aufmerksamkeit bekam.

Donnergrollen erklang, und Sienna beeilte sich, zu ihrem Wagen zu gelangen, um den Regenschirm vom Rücksitz zu holen.

Als sie den Parkplatz überquerte, wurde die Tür eines parkenden Lieferwagens aufgeschoben, ein Reporter sprang heraus und baute sich vor ihr auf. Als er die Kamera hob, riss sie instinktiv den Arm hoch, um sich vor dem Blitzlicht zu schützen.

Ein zweiter Journalist gesellte sich dazu, und Sienna machte auf der Stelle kehrt. Mit einem Mal schien ihr der Regen gar nicht mehr so schlimm zu sein. Bei den Männern handelte es sich nicht um die zurückhaltenden und höflichen Presseleute, mit denen sie vor der Beerdigung zu tun gehabt hatte. Diese hier wirkten wie Aasgeier, die zweifellos von Constantines Anwesenheit angelockt worden waren und jetzt hofften, einen alten Skandal wieder zum Leben zu erwecken.

Wie hatte er es bloß wagen können, zur Beerdigung ihres Vaters zu kommen? Hatte er etwa vor, sie und ihre bedauernswerte Mutter der Presse zum Fraß vorzuwerfen?

Es donnerte wieder, noch lauter als beim ersten Mal, und plötzlich begann es so heftig zu regnen, dass Sienna augenblicklich bis auf die Haut durchnässt war. Sie umklammerte ihre Tasche, während sie um eine Reihe Bäume herumeilte, die den Parkplatz unterteilten. Als sie über die Schulter zurückblickte, bemerkte sie erleichtert, dass der Regen die Presseleute wenigstens fürs Erste entmutigt hatte. Unmittelbar darauf prallte sie gegen eine muskulöse Männerbrust. Constantine.

Die Wärme seiner Haut schien sich durch den feuchten Seidenstoff ihres Kleides zu brennen, als Sienna Halt suchend nach seinen Schultern griff.

Er nickte in Richtung einer großen Eiche. „Dorthin. Auf der anderen Seite des Parkplatzes sind noch mehr Reporter.“

Dann spürte sie seine Hand an ihrem Rücken. Sie erschauerte wohlig, als sie den Druck seiner Handfläche fühlte. Ihr Pulsschlag beschleunigte sich bei der Vorstellung, dass Constantine ihr gefolgt war, um sie zu beschützen.

Sie wusste seine Bemühungen zu schätzen, aber das hieß noch lange nicht, dass sie seine Hilfe brauchte.

Er führte sie unter das schützende Laubdach einer alten, knorrigen Eiche. Zwar hielten die Blätter den größten Teil des Unwetters ab, doch einige Tropfen drangen trotzdem hindurch und durchnässten Siennas Haare.

Mit einem Taschentuch wischte sie sich die Regentropfen aus dem Gesicht. Wenigstens brauchte sie sich um ihr Make-up nicht zu sorgen, da vermutlich nichts mehr davon übrig war.

Nur wenige Momente später rissen die Wolken etwas auf, und warme Sonnenstrahlen spiegelten sich in den Pfützen auf dem Parkplatz. Ohne etwas dagegen tun zu können, brach Sienna in Tränen aus und suchte hastig nach einem Taschentuch.

„Hier, nimm das.“

Constantine drückte ihr ein großes weißes Stück Leinen in die Hand. Schluchzend griff sie danach und tupfte sich die Augen ab. Ehe sie sich versah, zog Constantine sie an sich, und sie presste ihr Gesicht an seine Brust. Die ganze Zeit über war sie sich seiner warmen Hand auf ihrem feuchten Nacken bewusst. Nachdem sie sich einen Moment lang versteift hatte, gab sie sich schließlich seiner tröstenden Umarmung hin.

Bisher hatte sie stets nur dann geweint, wenn sie allein war – für gewöhnlich nachts in ihrem Zimmer. Sie wollte ihre Mutter nicht aufregen, die immer noch an den Folgen eines Schocks litt. Die meiste Zeit über hatte Sienna sich irgendwie beschäftigt, um ihre Trauer zu verdrängen, aber jetzt wurde sie plötzlich von ihren Gefühlen überwältigt.

Schließlich lockerte Constantine seine Umarmung ein wenig, sodass sie ihre Nase putzen konnte. Doch es war sinnlos, ihre Tränen unterdrücken zu wollen – sie flossen unentwegt weiter. Zumindest musste sie nicht mehr so schrecklich schluchzen. So blieb sie etwas länger als nötig in Constantines Armen und ließ zu, dass er beruhigend ihre Schulter streichelte und sie mit seinem Körper wärmte. Erschöpft vor Trauer nahm Sienna es einfach hin und genoss es, sich an ihn zu lehnen und auf seine Stärke vertrauen zu können.

Endlich hörte es ganz auf zu regnen. Gleich würde sie sich aus der Umarmung befreien, aber sie fühlte sich noch zu müde, um sich überhaupt zu rühren.

„Wir sollten fahren“, sagte Constantine leise an ihrem Ohr. „Hier können wir nicht sprechen.“

Als sie sich bewegte und ihn dabei streifte, bemerkte sie, dass er erregt war – und im gleichen Moment erinnerte sie sich an damals: Es waren sinnliche Erinnerungen, aber es hatte auch entsetzlich erniedrigende Momente gegeben.

Oh nein. Auf gar keinen Fall würde sie wieder etwas für ihn empfinden.

Entschlossen befreite sie sich aus seiner Umarmung und verlor dabei ihre Handtasche. Während sie sich das nasse Haar aus dem Gesicht strich, bückte sie sich, um die Utensilien einzusammeln, die ihr aus der Tasche gefallen waren – Lipgloss, Puderdose, Autoschlüssel.

Ihre Schlüssel! Jetzt wäre ein guter Zeitpunkt, zu fahren. Wenn Constantine ein Gespräch mit ihr wünschte, würde er wohl einen Termin mit ihr vereinbaren müssen. Auf gar keinen Fall würde sie bleiben und darauf warten, von den Medien wieder dermaßen vorgeführt zu werden, wie es vor zwei Jahren der Fall gewesen war.

„Verdammt. Sienna …“

Klang seine Stimme etwa zärtlich? Und war das Mitgefühl in seinem Blick?

Nein, das konnte gar nicht sein.

Als Constantine in die Hocke ging, um ihr beim Einsammeln ihrer Habseligkeiten zu helfen, beeilte sie sich nur noch mehr, die Sachen in ihre Tasche zu stopfen. Es regnete schon wieder, aber das war ihr egal. Sie war ohnehin bis auf die Haut durchnässt. Sie spürte die feuchten Haarsträhnen im Gesicht, ihr Kleid schien an ihrem Körper zu kleben, und ihre Schuhe waren völlig durchgeweicht.

Constantine ging es nicht besser. Seine graue Anzugjacke spannte feucht über seinen Schultern, und sein weißes Hemd war so durchscheinend vor Nässe, dass Sienna die bronzefarbene Haut darunter durchschimmern sah.

Mühsam wandte sie sich von diesem faszinierenden Anblick ab und richtete sich hastig auf, denn ihr war plötzlich eingefallen, dass ihr schwarzes Seidenkleid im durchnässten Zustand zwar keine Haut enthüllte, aber dennoch überaus dünn war. Zu dünn. „Unser Gespräch wird noch warten müssen“, brachte sie heraus. „Wie du sehen kannst, bin ich nass.“

Sie machte kehrt, ohne auf seine Antwort zu warten, und hielt nach einem Weg zu ihrem Wagen Ausschau, der nicht von Reportern belagert war.

Doch Constantine umfasste ihre Taille und zog sie zurück an seinen warmen Körper. „Vier Tage lang hast du meine Anrufe nicht beantwortet“, flüsterte er leise an ihrem Ohr. Ein Schauer durchzuckte sie beim Klang seiner Stimme. „Wenn du denkst, dass ich mich auch nur noch eine weitere Sekunde von dir hinhalten lasse, dann hast du dich geschnitten.“

2. KAPITEL

Sienna kochte vor Zorn, weil Constantine sie einfach festhielt, in einer intimen Geste, als hätte er jedes Recht dazu. Noch wütender war sie allerdings auf sich selbst – auf die verwirrenden Empfindungen, die auf sie einstürzten, als sie seine Hände auf sich spürte. Verärgert sah sie auf seine Finger. „Lass. Mich. Los.“

„Nein“, entgegnete er bestimmt.

Aus den Augenwinkeln nahm Sienna eine Bewegung wahr, und sie hörte, wie eine Autotür zugeschlagen wurde.

Autor

Fiona Brand
<p>Fiona Brand ist eine Autorin aus Neuseeland. Derzeit lebt Sie an der wunderschönen „Bay of Islands“, einem subtropischen Paradies zum Angeln und Tauchen. Dort genießt Sie die traumhafte Natur zusammen mit ihren beiden Söhnen, zwei Wellensittichen und einem Goldfisch. Sie liebt Bücher seit sie alt genug ist Seiten umzublättern Mit...
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