Heiße Nächte in Yucatan

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Ein Bodyguard im Urlaub ist das Letzte, was TV-Köchin Ana Perez möchte! Selbst wenn er so verführerisch ist wie Chance Berringer. Aber weil ein Stalker sie verfolgt, besteht der Sender darauf. Und so werden ihre Nächte in Yucatan in jeder Hinsicht ausgesprochen gefährlich …


  • Erscheinungstag 07.09.2023
  • ISBN / Artikelnummer 9783751527972
  • Seitenanzahl 160
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

PROLOG

Jonas, Garrett und Ely Berringer – sowie ihr Cousin und neuestes Mitglied des Teams, Luke – schauten gebannt auf den großen Plasma-Fernsehbildschirm und waren sehr erstaunt über das, was sie sahen.

Ana Perez, die zierliche mexikanische Köchin, kommandierte ihr Küchenpersonal mit der Autorität eines Generals herum. Garrett spürte, wie er sich unwillkürlich aufrichtete, während er ihr zuhörte.

Die Schimpftirade, die folgte, wenn einem Teilnehmer der Kochshow etwas misslang, war beeindruckend. Die Leute in der Küche – einige von ihnen gestandene Männer – wurden blass. Perez bemühte sich nicht, sich einer gehobenen Wortwahl zu bedienen – vieles war sowieso auf Spanisch – wenn eine Sauce geronnen oder das Gemüse zerkocht war.

„Mann, ich wette, der Spargel ist nicht das Einzige, was in dieser Küche schlapp macht“, bemerkte Luke und erntete ein Lachen.

If you can’t take the Heat … Anas mexikanische Kochshow war ein Hit und ihr Temperament war einer der Gründe des Erfolges. Ihre Impulsivität und Direktheit war wahrscheinlich auch der Grund, warum sie jemand bedrohte. Das nahm man zumindest an.

„Du lieber Himmel …“, flüsterte Garrett, unfähig den Blick vom Fernseher zu nehmen. „Ich hätte nicht geglaubt, dass man im Fernsehen so etwas sagen darf.“

„Es sind die Privaten, aber wenn man das so sieht, ist es nicht schwer, zu glauben, dass ihr jemand etwas antun möchte“, fügte Jonas hinzu, der wegen des finsteren Blickes seines Bruders ein Lächeln unterdrücken musste.

Garrett, der älteste der Brüder, stellte den Fernseher ab, schaltete das Licht in dem kleineren Konferenzzimmer an und wandte sich den anderen zu.

„Das ist eine großartige Gelegenheit für uns. Es ist schwierig, einen Fuß in die Tür bei Berühmtheiten hereinzubekommen, aber das Studio ist nach den letzten Geschehnissen verzweifelt. Wir können gutes Geld machen, wenn wir jetzt echten Einsatz zeigen“, erklärte er.

„Es war also gar nicht sie, die uns angeheuert hat?“, fragte Ely.

„Nein. Sie ist von der Idee, ständig einen Bodyguard um sich herum zu haben, nicht gerade begeistert. Aber die Produktionsfirma hat das Sagen. Ana Perez ist ihre Investition, und sie möchten sie für die neue Staffel in Sicherheit wissen. Zwei Wochen Mexiko. Das ist doch gar nicht so übel.“

„Richtig und deswegen wirst du auch diesen Auftrag übernehmen“, meinte Ely und erwiderte bestimmt den Blick seines Bruders. „Ich bin raus. Lydia und ich kehren Ende der Woche wieder nach Montana zurück, und meine Vorlesungen beginnen in zwei Wochen.“

Ely und Lydia würden in Montana leben, eine Tatsache, die zuerst einmal für jeden ein Schock gewesen war, aber Garrett freute sich für seinen Bruder. Alle freuten sich. Ely würde an besonderen Aufträgen mitarbeiten, wenn sie ihn brauchten, aber ansonsten würde er seinen Traum verwirklichen und Architekt werden, während Lydia einen neuen Tattoo-Shop eröffnete.

Jonas schüttelte den Kopf, noch bevor Garrett etwas sagen konnte. „Tut mir leid, ich stehe auch nicht zur Verfügung. Du hast mich bereits woanders verplant, erinnerst du dich?“

Garrett verzog das Gesicht. Das hatte er vergessen.

Es gab viele Veränderungen bei den Berringer-Brüdern, und zwar zum Besseren. Eine Handvoll erfolgreicher Fälle hatten ihnen mehr Aufträge eingebracht, als sie annehmen konnten. Er würde neue Bodyguards einstellen müsse und zwar schnell. Jeder der drei Brüder hatte die Frau seines Lebens getroffen, war bereits verheiratet oder plante eine Hochzeit. Das war auf der einen Seite zwar definitiv ein Gewinn, machte aber für die Firma alles ein bisschen komplizierter.

„Ich liebe Mexiko und hübsche Frauen“, bot Luke sich an, aber die drei Brüder schüttelten den Kopf. Ihr Cousin Luke war erst kürzlich zu ihrer Truppe gestoßen und noch nicht so weit, solch eine anspruchsvolle und gefährliche Aufgabe zu übernehmen. Zudem war er eher darauf spezialisiert, mit seinen fabelhaften IT-Kenntnissen Probleme zu lösen.

Garrett stieß die Luft aus und akzeptierte sein Schicksal.

„Nun, Tiffany beginnt morgen mit dem Forensik-Kurs beim FBI, den ich ihr zu Weihnachten geschenkt habe, sie wird also auch nicht zur Verfügung stehen. Sieht so aus, als ob ich diesen Fall übernehmen muss“, fügte Garrett sich grimmig und warf einen kurzen Blick zum Fernseher hinüber. „Vielleicht ist sie ja nur in der Show so“, fügte er hoffnungsvoll hinzu.

Noch bevor jemand etwas sagen konnte, öffnete sich die Tür und zur Überraschung aller trat Chance ein.

„Hey, was machst du hier zu Hause, kleiner Bruder?“, fragte Jonas.

„Ich dachte, du wolltest bis ins neue Jahr Ski fahren“, fiel Garrett ein, der froh war, seinen Bruder zu sehen, und ihn mit einem Handschlag begrüßte.

„Logan hat sich bei einem Skiunfall einiges gebrochen und musste mit dem Helikopter ins Krankenhaus gebracht werden. Es waren leider ziemlich komplizierte Brüche, die operiert werden mussten. Als er nach Hause gebracht wurde, habe ich meine Sachen auch gepackt. So, was ist los? Was gibt es Neues?“

Die drei Brüder schauten erst sich und dann ihren jüngsten Bruder mit einem breiten Grinsen an.

Chance zuckte die Schultern. „Was?“

„Du kommst gerade zur rechten Zeit. Wir haben eben daran gedacht, einen Auftrag abzulehnen, weil niemand von uns Zeit hat“, schwindelte Garrett, die Finger hinter dem Rücken gekreuzt.

„Das kommt gar nicht infrage. Was ist das für ein Job?“

Spontan zuzusagen und dann erst zu fragen, worum es bei dem Fall ging, war typisch für Chance. Genau damit hatte Garrett gerechnet. Garrett nahm ein Foto von Ana aus der Akte, schob es über den Tisch und sah, wie die Kinnlade seines Bruders herunterfiel. „Ihre Kochshow wird in New York aufgenommen, aber sie wird übermorgen für eine kurze Winterpause nach Mexiko fliegen. Es wäre gut, wenn du noch heute Abend anfangen könntest. Alles, was du brauchst, steht in dieser Akte.“

Garrett beobachtete die Reaktion seines Bruders und wusste, dass er bereits am Haken hing. Chance konnte zu scharfen Frauen nicht Nein sagen, und Ana mochte zwar verrückt sein, aber sie war definitiv scharf.

„Eine schöne Frau, die bedroht wird. Ein Fall wie maßgeschneidert für dich“, bemerkte Ely.

Chance nahm das Foto und stieß einen kleinen Pfiff aus. „Wer will denn so einem wunderschönen Geschöpf etwas antun? Ganz klar, ich bin euer Mann“, sagte er, mehr zum Foto als zu seinen Brüdern gerichtet.

Garretts Lächeln wurde breiter. „Besser hätte ich es auch nicht ausdrücken können.“

1. KAPITEL

Es war ein Tag nach Weihnachten und Ana Perez hatte die Festtage über gearbeitet. Das war bereits seit zwei Jahren Standard, seit sie mit ihrer Kochshow If you can’t take the heat … begonnen hatte.

Sie hatte jetzt jeden Tag für die nächste Staffel gedreht, und obwohl die Teilnehmer diesmal die besten waren, die sie je hatte, gab es trotzdem Probleme. Derzeit stand eine zweiwöchige Winterpause an, bevor sie das Finale drehten. Jetzt war es spät am Abend und mittlerweile waren alle nach Hause gegangen. Sie war allein am Set und überflog noch einmal die Fortschritte, die die Teilnehmer um den Kampf zum besten Küchenchef bisher gemacht hatten.

Im Gegensatz zu den Shows, bei denen abgestimmt wurde, lag die Entscheidung, wer gewann, ganz allein bei Ana. Darauf hatte sie bestanden und es in ihrem Vertrag festlegen lassen. Sie stand mit ihrem Namen für Qualität und wollte nach ihren Richtlinien bestimmen. Der Gewinner sollte nicht durch Zufall oder wegen seiner Persönlichkeit ausgewählt werden. Doch leider änderten sich die Dinge langsam. Die Produktionsfirma griff mittlerweile zunehmend aggressiv in das Showformat ein und damit auch in ihr Leben. Die Produzenten forderten peinliche Dinge von ihr – wie letztlich eine inszenierte Essenschlacht in einer der Shows. Sie hatte sich gegen diese Einflussnahme gewehrt und einiges verhindern können, aber eben nicht alles. Je berühmter sie wurde, umso weniger Kontrolle schien sie über ihr Leben zu haben.

Jedes Treffen artete in einen Streit aus. Erst kürzlich hatten sie darüber diskutiert, dass sie ihr die alleinige Entscheidung über den Gewinner entziehen wollten.

Glücklicherweise war Ana eine Kämpferin. Auf keinen Fall würde sie in diesem Punkt nachgeben.

Sie war einem enormen Druck ausgesetzt. Nicht nur vom Studio, sondern auch von ihren Zuschauern und den Teilnehmern der Show. Nicht jeder stimmte mit ihren Entscheidungen überein und diese Zuschauer gaben ihr das auch vehement und oft am Rande des guten Geschmacks zu verstehen. Ihre E-Mails und ihr Blog waren voll von solchen Ausbrüchen.

Erst kürzlich hatte sie wieder den Preis für ihren Erfolg zahlen müssen. Ana wusste, dass sie es den Teilnehmern nicht einfach machte, aber sie war nie wirklich böse zu ihnen. Die harte Behandlung war zum einen Show für das Rating – Zuschauer liebten den Konflikt – und zum anderen war Ana eine Perfektionistin, die das Beste aus ihnen herausholen wollte.

Ana konnte nicht die beste Freundin von Menschen sein, die sie beurteilen musste – es war besser, sie hatten Angst vor ihr oder mochten sie nicht, als wenn sie sich verletzt und verraten fühlten, wenn sie nicht gewannen. Diesen Fehler hatte sie in ihrer ersten Staffel gemacht. Damals war derjenige davon ausgegangen, dass ihre Freundschaft gleichzeitig den Sieg für ihn bedeuten würde. Ana atmete tief durch und schüttelte die Erinnerung ab. Manchmal war es wirklich anstrengend, und das war noch nett ausgedrückt.

Doch jede Person in der Show gewann normalerweise bereits allein durch die Teilnahme. Die meisten bekamen hinterher einen guten Job, auch wenn sie nicht gewonnen hatten. Für diejenigen, die Potenzial hatten, knüpfte sie manchmal Kontakte, damit sie noch weiter ausgebildet wurden. Für Ana selbst bedeutete die Show gute Einkünfte, damit sie den Menschen in Mexiko helfen und Sicherheit für sie und ihre Familie gewährleisten konnte.

Das war wichtig genug, um das ganze Drumherum zu ertragen, erinnerte sie sich.

Sie kehrte mit ihrer Aufmerksamkeit wieder zu den Unterlagen in ihrem Schoß zurück und griff zu dem Glas Wein, das sie sich eingegossen hatte, bevor sie sich hier niederließ. Der Wein gehörte zu dem rauchigen molé, an der die Teilnehmer in den letzten Tagen gearbeitet hatten. Die Zuschauer sahen nur den letzten Teil in der Show, aber Ana arbeitete jeden Tag, die ganze Woche lang, mit den Teilnehmern in der Küche.

Molé zu machen, war eine der Künste, die in der kleinen Stadt auf der Halbinsel Yukatán gepflegt wurden, in der sie gelebt hatte bis sie zwanzig Jahre alt war und in die Vereinigten Staaten kam, um eine Kochschule zu besuchen. Das war vor acht Jahren gewesen. Das Kochen für die Öffentlichkeit hatte ihr erlaubt, Menschen ihr Heimatland und ihre Tradition näherzubringen.

Bailey Knowles war im Moment ihre Favoritin. Sie war eine junge Frau aus der Bronx, die niemals eine Kochausbildung genossen hatte, aber eine unvergleichbare Fähigkeit besaß, Neues zu kreieren und ungewöhnliche Geschmacksrichtungen zu verbinden. Sie besaß keinen klassischen kulinarischen Hintergrund und hatte auch kein Interesse daran, sich fortzubilden.

Trotzdem hatte Ana das Gefühl, dass ihre Arbeit wichtig für außergewöhnliche Talente war und hätte Bailey gerne als Gewinnerin dieser Staffel gesehen.

James Benois war der Nächste in der Reihe. Er war in den Vierzigern und strebte ein Comeback an, nachdem er vor zwei Jahren seinen Job verloren hatte. Er hatte eine Ausbildung zum Koch, war dann aber zu einer Technologie-Firma gegangen, weil er dort besser bezahlt wurde. Seine Story gefiel den Zuschauern und Ana ebenfalls. Er war gut und besaß solide Fähigkeiten, war aber nicht übermäßig kreativ. Das könnte sich aber noch ändern, da er anfing, lockerer zu werden. Er war zu bemüht, es allen recht zu machen, und besaß noch zu wenig Biss. Eine Küche zu führen, war anstrengend, und stressig und James musste noch beweisen, dass er den Druck aushalten konnte.

Es gab noch vier weitere, die alle ihre Vor- und Nachteile hatten.

Sie schaute auf das Foto von Lionel Jenkins. Von ihm hatte sie sich nicht viele Notizen gemacht. Sie kannte diesen Typ Mann und mochte ihn nicht besonders. Er kam aus einer reichen Familie aus Philadelphia und war ein exzellenter Küchenchef mit perfekter Ausbildung und guten Referenzen. Er kam in einer Küche gut zurecht – das musste sie ihm lassen – und er war ausgesprochen gutaussehend, was ihm ein dickes Plus bei den weiblichen Zuschauern einbrachte.

Aber leider war er auch sehr arrogant und von sich eingenommen. Ihm waren nur Geld und Ansehen wichtig, und obwohl er leicht die Position des Küchenchefs in einem guten Restaurant haben oder sogar mit dem Geld seiner Familie sein eigenes Restaurant eröffnen konnte, hatte er alles daran gesetzt, um in die Show zu kommen. Er benutzte sie als Werbung, als weiteren Baustein seiner Karriere. Er hatte ihr das sogar selbst gesagt, deswegen störte ihn ihre Kritik überhaupt nicht.

Zugegeben, diese Haltung wäre wahrscheinlich als Küchenchef von Vorteil – viele Männer ihrer Zunft hatten ein riesiges Ego –, aber Ana wünschte sich, dass es ihren Gewinnern um mehr als nur um Geld ging. Ehrgeiz war wichtig, aber sie mussten auch die Nahrungsmittel lieben, die Kunst der Zubereitung, Freude daran haben, Menschen zu verwöhnen … eben das ganze Paket.

Sie rieb sich die Augen, atmete tief durch und schloss die Akten. Zumindest waren jetzt die Shows im Kasten. Sie musste sie sich nur noch einmal anschauen, Einzelgespräche mit den Teilnehmern führen und dann ihre Entscheidung treffen. Aber nun flog sie erst einmal nach Hause.

Ihr Herz wurde bei diesem Gedanken von Freude erfüllt. Sie liebte New York und den Winter, den sie als Kind in Mexiko nicht gekannt hatte. Aber es war nicht ihr Zuhause.

Bald bin ich dort, beruhigte sie sich. Sie würde zwei Wochen wie im Paradies verbringen. Sie würde Wärme und die Anwesenheit ihrer Freunde und Familie genießen, ohne von Stalkern belästigt oder von den skeptisch prüfenden Blicken der Fernsehbosse verfolgt zu werden.

Sie vermisste ihre eigene kleine Koch-Show. Es hatte ihr Spaß gemacht, anderen die echte mexikanische Küche näherbringen zu können. Sie hatte im College damit begonnen und sie „Anas Küche“ genannt. Sie hatten damals nur einen Camcorder gehabt, die Show in der Küche des Studentenwohnheimes aufgenommen und sie dann ins Internet gestellt.

Sie war erstaunlich gut angekommen und wurde die Kochshow mit den meisten Klicks im Internet. Ein Kabelfernseh-Kanal hatte ihr dann eine Show angeboten und schließlich die Reality-Show If you can’t stand the heat … Und hier war sie nun. Die Show lief jetzt seit zwei Jahren, aber ihr kam es wie zehn vor.

Mit einem müden Seufzer schob sie die schmalen Dossiers zu einem Stapel zusammen und legte ihr Handy darauf, um in ihre Garderobe und dann nach Hause zu gehen. Ein kurzer Blick auf die Uhr zeigte ihr, dass es fast Mitternacht war.

Ihr war gar nicht aufgefallen, dass es bereits so spät war. Ana hatte am Morgen ein Meeting – man wollte ihr einen Bodyguard aufzwingen, weil sie so oft bedroht wurde –, und sie sollte ins Büro kommen, um den Mann zu treffen, der sie beschützen sollte.

Allerdings hatte sie nicht die Absicht, darauf einzugehen. Sie hatte vor, alles hinter sich zu lassen. Wer immer sie belästigte, würde wahrscheinlich während der vierzehntägigen Winterpause das Interesse an ihr verlieren. Drohungen und Stalker gab es eben von Zeit zu Zeit. Sie erhielt alle möglichen verrückten Nachrichten. Wenn sie alle ernst nehmen würde, hätte sie keine Zeit mehr zum Kochen.

Sie lief durch den schwach erleuchteten Gang des Studios und schob diesen Gedanken zur Seite. Dann betrat sie die Garderobe und schloss die Tür hinter sich. Als sie sich umdrehte, stand sie einem Mann gegenüber, der auf der Couch saß. Panik stieg in ihr auf und ihre Akten fielen zu Boden, als sie wieder zur Türklinke greifen wollte.

„Ana“, sagte der Mann.

Ihr Stalker.

Er war bestimmt nicht das, was sie erwartet hatte.

Er war sehr groß und breitschultrig. Ein Riese von einem Mann mit dunkelblondem Haar und unglaublich grünen Augen. Er betrachtete sie mit großem Interesse.

Ihr Handy. Es musste ihr aus der Hand gefallen sein. Sie ließ sich auf die Knie fallen, um zwischen den Papieren nach ihrem Handy zu suchen und seufzte erleichtert, als sie es fand und, mit dem Blick fest auf den Eindringling geheftet, die Nummer der Security anrief.

Es schien den Fremden nicht zu beeindrucken. Ein Klingeln ertönte. Wahrscheinlich aus einer seiner Taschen, doch darauf reagierte er nicht.

„Ich bin es, Ana. Ich bin in der Garderobe. Hier ist ein Eindringling. Bitte kommen Sie sofort“, erklärte sie, während sie den Mann nicht aus den Augen ließ. Doch dann bemerkte sie, dass sich nur die Mailbox eingeschaltet hatte.

Ihr Magen zog sich zusammen. Wo war der Sicherheitsmann?

Der grünäugige Riese erhob sich und lächelte sie an.

„Sie sind Ana Perez“, erwiderte er gelassen.

Sie sah sich verzweifelt nach einem Gegenstand um, mit dem sie sich verteidigen konnte, und entdeckte den kleinen roten Kasten an der Wand.

Entschlossen sprang sie darauf zu.

„Ana, nein“, rief er, doch es war bereits zu spät.

Sie hatte einen Feueralarm ausgelöst.

„Ja, ich bin Ana Perez, und Sie wird man gleich verhaften“, erklärte sie. „Ich werde Sie nicht entkommen lassen, was auch immer Sie mit mir anstellen.“

Er seufzte und schüttelte den Kopf.

„Ana, ich will nichts mit Ihnen anstellen und Sie schon gar nicht verletzen. Ganz im Gegenteil. Aber die Security wird nicht kommen. Die Feuerwehr schon, aber nicht ihr Beschützer.“

„Und warum?“, fragte sie und fürchtete, er hätte Ben, dem Mann von der Nachtschicht etwas angetan. Ben hatte erst vor einem Jahr seine Frau verloren, würde bald in Rente gehen und freute sich auf sein erstes Enkelkind. Ana redete fast jeden Abend mit ihm, bevor sie nach Hause ging. Er war ein liebenswerter älterer Herr.

„Was haben Sie Ben angetan? Falls Sie diesem Mann auch nur ein Haar gekrümmt haben, werde ich Sie …“, drohte sie, während sie auf den Fremden zuging und dann erschrocken über ihren eigenen Mut stehen blieb.

Der Mann griff in seine Tasche und zog ein schwarzes Handy hervor. „Der Wachmann hat sein Handy auf dem Empfangstisch gelassen, als er zur Toilette ging“, bemerkte der Eindringling lakonisch. „Das Studio sollte ihn schnellstens vor die Tür setzen. Es war unglaublich einfach, bis zu Ihnen vorzudringen. Ich hätte auch jemand anderes sein können. Jemand, der Ihnen etwas antun möchte.“

Sie blinzelte. „Was meinen Sie damit?“

Er ging auf sie zu und streckte ihr die Hand entgegen. Muskulös und sehnig wie er war, hatte er den geschmeidigen Gang eines Panthers. Er wirkte selbstbewusst, ganz gewahr seiner Kraft und schien sich überhaupt keine Sorgen darüber zu machen, bald festgenommen zu werden. Und ganz sicher hatte er keine Angst vor ihr.

Zu ihrem Leidwesen hörte sie, wie ein panischer hoher Schrei aus ihrer Kehle emporstieg und sich von ihren Lippen löste.

Er lächelte. „Ana, mein Name ist Chance Berringer. Ich bin Ihr Bodyguard“, erklärte er in dem Moment, als draußen auf dem Gang schwere Schritte zu hören waren.

Chance stand am Ende des Ganges in der Nähe von Anas Garderobe und sah zu, wie Ana umringt von Feuerwehrleuten Autogramme gab. „Das ist das Mindeste, was ich tun kann, hatte sie gesagt, nachdem ich einen falschen Alarm ausgelöst habe.“ Einer der Männer schlug vor, ihre Show doch einmal in der Küche des Feuerwehrhauses stattfinden zu lassen. Ana schien diesen Vorschlag ernsthaft in Erwägung zu ziehen.

Die Männer waren von ihr begeistert, und Chance konnte sie gut verstehen. Sie war in natura sogar noch aufregender als auf dem Foto.

Sie war klein – kaum größer als ein Meter sechzig – aber sie besaß eine aufregend kurvenreiche Figur und ein bildschönes Gesicht, dessen Ausdruck so lebendig war, dass man einfach nicht genug von Ana bekommen konnte.

Zu schade, dass sie eine Kundin ist, dachte er mit einem Seufzer. Hände weg. Chance liebte Frauen – viele Frauen, alle Frauen, in allen Formen, Größen und Farben – und er hatte niemals über einen Mangel an weiblicher Gesellschaft klagen können. Aber Klientinnen waren tabu, wenn die Berringers arbeiteten.

Einmal abgesehen davon, dass meine drei Brüder ihre Frauen, durch einen Auftrag gefunden hatten, dachte er mit einem Grinsen. Alle drei Frauen hatten Schutz gebraucht, als ihre Brüder sie kennenlernten.

Doch Chance suchte keine Frau fürs Leben. Frauen waren wundervoll und er liebte sie, aber er hatte nicht vor, eine von ihnen einer Situation auszusetzen, die sein Freund und seine Frau gerade erlebt hatten.

Chance hatte noch nie solch eine ernsthafte Verletzung aus der Nähe gesehen. Logan wäre fast gestorben. Sie waren mit Skiern im hochalpinen Bereich unterwegs gewesen, und sein Freund war den steilen, vereisten Hang hinabgestürzt und schließlich von Büschen abgefangen worden. Es war eines der wenigen Dinge gewesen, die Chance wirklich Angst eingejagt hatten. Wäre sein Freund gegen die in der Nähe stehenden Kiefern geprallt, wäre er wahrscheinlich auf der Stelle tot gewesen.

Chance war während des Rettungsfluges bei ihm gewesen und hatte Logan zugehört, der ihm schmerzverzerrt erklärte, was er seiner Frau Jillian sagen sollte, wenn er es nicht schaffen würde. Chance hatte die Aufgabe, Jill zu informieren, vom Flughafen abzuholen und sie ins Krankenhaus zu fahren.

Jill war eine außergewöhnliche Frau. Sie selbst war früher Olympia-Athletin gewesen und wusste, was sportlicher Ehrgeiz und Lust auf Abenteuer war. Sie hatte Logan nicht nur verstanden, sondern ihn auch in seinen Ambitionen unterstützt, ob es nun das Extremskifahren oder eine andere gefährliche Herausforderung war.

Manchmal hatte sie ihn sogar begleitet.

Aber Chance erinnerte sich jetzt noch daran, wie die Beine unter ihr nachzugeben drohten, als sie Logan nach der Operation das erste Mal sehen durften. Chance hatte ihr geholfen, für Logan stark zu bleiben, aber auch für ihn war es nicht einfach gewesen.

Der Unfall hatte ihn bis ins Mark erschüttert. Diese Art von Erfahrung konnte einen Menschen traumatisieren. Sie konnte dazu führen, dass man in wichtigen Momenten zögerte, und genau das konnte in gefährlichen Situationen einem das Leben kosten.

Autor

Samantha Hunter
<p>Bevor Samantha Hunter sich voll und ganz dem Schreiben widmete, arbeitete sie zehn Jahre als Lehrerin für kreatives Schreiben an der Universität. Ihr erster Liebesroman, Virtually Perfect, den sie 2004 fertigstellte, wurde direkt veröffentlicht. Sieben weitere Liebesromane folgten bis heute. Samantha Hunter ist mit Leib und Seele Autorin. Und wenn...
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