In den Armen des berüchtigten Herzogs

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Er ist ein Herzog mit zweifelhaftem Ruf, sie eine treue Angestellte an königlichem Hofe. Die pflichtbewusste Jenna weiß, dass sie sich von dem gefährlich attraktiven Sebastian Redcliff besser fernhalten sollte. Bis sie dem berüchtigten Playboy bei einer royalen Galaveranstaltung gegenübersteht und von seinen Verführungskünsten völlig überwältigt wird. Nur ein einziges Mal will sie unvernünftig sein und sich als begehrenswerte Frau fühlen … Aber mehr als eine Nacht der Hingabe darf es niemals geben, oder?


  • Erscheinungstag 09.08.2022
  • Bandnummer 2557
  • ISBN / Artikelnummer 9783751509879
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

Zum ersten Mal in seinem Leben schenkte Sebastian Redcliff einem anderen Menschen einen zweiten Blick.

Und dann konnte er nicht mehr wegschauen.

Sie trug die dunkelblaue Uniform der königlichen Garde.

Mehrere Schichten robuster Stoffe, versehen mit einer Vielzahl an Taschen für nützliche Gegenstände, verbargen ihre weibliche Figur. Die schwarzen Haare trug sie in einem einfachen strengen Zopf, der bis über ihren Rücken reichte.

Braune Augen, den Blick in die Ferne gerichtet, Stupsnase. Ihre breiten Lippen schimmerten in einem dunklen Rosa.

Wären da nicht ihre unglaublich markanten Augenbrauen gewesen, die sie an die Spitze der international erfolgreichen Modelriege katapultiert hätten, wäre ihm an ihrem Aussehen nichts Außergewöhnliches aufgefallen.

Aber es war nicht ihre äußere Erscheinung, die ihn ganz untypisch innehalten ließ.

Als Chef des Geheimdienstes des Inselstaates Cyrano interessierten ihn Äußerlichkeiten nicht.

Er war gesegnet – oder verflucht – mit der überdurchschnittlichen Begabung, hinter die Oberfläche von Dingen zu blicken. Und als er nun sah, was hinter der Fassade dieser Frau lag, war er gefesselt.

Sebastian Redcliff schaute in ein blendendes Prisma aus Licht.

Noch nie war er einem Menschen – weder Mann noch Frau oder Kind – begegnet, der so viel Glück ausstrahlte wie sie.

Die unglaubliche Menge positiver Energie weckte in Sebastian den nahezu unwiderstehlichen Wunsch, in dieses Licht einzutauchen.

Am Himmel zeigte sich keine Wolke, die Schwerkraft hielt das Universum zusammen, und er musste die einzige Sache ignorieren, die ihn jemals von der Erfüllung seiner Pflichten abgelenkt hatte.

Seine Anwesenheit bei der Veranstaltung heute Abend hatte geschäftliche Gründe – eine Gelegenheit, sich quasi im Verborgenen mit dem König zu besprechen.

In einem Licht, wie es diese Frau umgab, konnte man sich jedoch nicht verstecken.

Wenn Sebastian in seinem bisherigen Leben eines gelernt hatte, dann, dass die meisten Dinge nur aus der Ferne gut aussahen.

Ein Blick hinter die Fassade reichte normalerweise aus, um das Leuchten zu schwächen.

Nur unverbesserliche Narren fixierten sich selbst dann noch unbelehrbar auf das Objekt ihrer Begierde, nachdem sie an der Oberfläche gekratzt hatten – und er mochte vieles sein, aber er war kein Narr.

Nichts, so seine Erkenntnis, ließ das Interesse an einer anderen Person wirksamer erlöschen, als mit ihr Sex zu haben.

Denn intimes Wissen ließ jede Illusion schnell verpuffen.

Und was auch immer er sonst noch über die Frau in der blauen Uniform wusste oder dachte – was überraschend viel war, weil die Überprüfung der königlichen Garde zu seinen zahlreichen Pflichten gehörte –, er war sich sicher, dass sie einfach nur ein mit Fehlern behafteter Mensch war – genau wie alle anderen auch.

Das durfte er nicht vergessen. Es war seine Aufgabe, selbst undurchschaubar und unergründlich und allen anderen immer einen Schritt voraus zu sein.

Im Augenblick jedoch war er das genaue Gegenteil von undurchschaubar.

Während er sie beobachtete, überkam ihn das seltsame Gefühl, dass er sich wie ein Vampir im Sonnenlicht auflösen würde, wenn sie ihn direkt anschaute.

Sobald sie ihre Aufmerksamkeit auf ihn richtete, gab es für ihnen keinen Ort mehr, an dem er sich verstecken konnte.

Ihr Name lautete Jenna Noelle Moustafa – sie entstammte einer der besten Familien Cyranos und war ein engagiertes Mitglied einer kleinen, sehr religiösen Gemeinschaft.

Bislang kannte Sebastian nur ihre Akte, persönlich getroffen hatten sie einander nie.

Das, beschloss er nun, würde sich innerhalb der nächsten Stunde ändern. Jenna, wie er sie in Gedanken ab jetzt nannte, bewachte die Königin von Cyrano allein, da ihre übliche Partnerin Helene d’Tierrza als Gastgeberin dieser Gala fungierte.

Während Helene außer Dienst war, unterstützte das gesamte Sicherheitsteam des Königs Jenna bei ihrer Aufgabe. Aber selbst von der anderen Seite des Balkons aus, auf dem Sebastian stand, konnte er sehen, dass Jenna ihren Auftrag hervorragend im Griff hatte.

Ihre gesamte Aufmerksamkeit galt der Monarchin, die sie mit einer Mischung aus Bewunderung und Verantwortung im Auge behielt – Gefühle, die weit über das hinausgingen, was für ihre Position üblich war … fast schien es, als würde sie eine Schwester bewachen.

Das zeigte sich nicht nur in ihrem Blick, sondern auch an ihrer Körperhaltung: immer zur Verteidigung oder zum Angriff bereit oder sogar dazu, sich zu opfern, was auch immer die Situation erforderte.

Sie bewachte nicht ihre Königin. Sie beschützte ihre Freundin.

Fast meinte er, ihre Hingabe und ihr Engagement von der anderen Seite des überfüllten Balkons mit den Händen greifen zu können.

Zu beobachten reichte ihm nicht.

Er wollte alles.

Er wollte jedes Quäntchen Aufmerksamkeit, das sie der Königin schenkte. Sie sollte sich ganz auf ihn konzentrieren.

Gerade nahm Königin Mina eine kleine Vorspeise von einem Bediensteten entgegen, als Jenna leise etwas zu ihr sagte. Die Königin antwortete, indem sie ihren wunderbaren Lockenkopf schüttelte und in dieses laute und offene Lachen ausbrach, für das sie berühmt war.

König Zayn hätte sich selbst keine bessere Gemahlin aussuchen können – was er tatsächlich nicht getan hatte. Zu seiner Überraschung hatte er im Alter von sechsunddreißig Jahren erfahren müssen, dass sein Vater, der verstorbene König Alden, ihn mit einer Bürgerlichen verlobt hatte – der Tochter des Mannes, der Zayn und seiner Mutter, noch vor dessen Geburt, das Leben gerettet hatte.

Königin Mina eignete sich perfekt für die Rolle – schön und unglaublich intelligent. Für Sebastians Zwecke jedoch war es im Moment wichtiger, dass sie vor allem eine zuverlässige Ablenkung für den König darstellte.

Er wandte sich König Zayn zu und sagte: „Königin Mina sieht heute Nachmittag ganz reizend aus.“

Und das stimmte.

Mit ihrer Aura aus Frische und Intelligenz stach sie aus dem Meer von verbrauchtem Reichtum heraus. Der Blick des Königs aus violetten Augen wanderte in ihre Richtung, bevor er hungrig auf ihr verweilte.

Es war offensichtlich, wie gerne er in ihrer Nähe sein wollte.

Sebastian lächelte. Das war alles zu einfach.

Die Menschen begingen oft den Fehler zu glauben, dass sein Geschäft im Verbreiten von Lügen bestand. In Wirklichkeit betrieb man Spionage mit den Waffen der Wahrheit: Es ging allein darum, wer sie besaß, wer sie geheim halten wollte und was er bereit war zu tun, damit es so blieb.

Lügen flogen immer auf und fielen beim kleinsten Druck in sich zusammen.

Die Wahrheit brachte erwachsene Männer zum Weinen und ließ sie nach ihren Müttern schreien.

Die Wahrheit war es, die den König jetzt dazu brachte, seine Aufmerksamkeit auf seine geliebte Frau zu richten.

„In der Tat, sie sieht bezaubernd aus … und als bräuchte sie eine Pause. Sie ist heute Nachmittag sehr gefragt.“

Wieder lächelte Sebastian. Für die Augen der Öffentlichkeit sah es aus, als hätten er und der König einen kleinen Scherz geteilt. Aber wie so oft irrte die Öffentlichkeit.

Als König Zayn sich auf den Weg zu seiner Königin machte, lächelte Sebastian unbeirrt weiter, während die Wachen des Königs ihrem Herrscher mit diskretem Abstand folgten – genau wie Sebastian es gewollt hatte. Die Dinge liefen nach Plan.

Er liebte es, wenn die Dinge nach Plan liefen.

Jetzt brauchte er nur noch Jenna zu verführen, dann wäre alles wieder so normal wie vorher. Einmal würde genügen. Dann konnte er sie vergessen.

Sie hingegen würde die Erinnerung an ihn für immer in Ehren halten, schließlich besaß er gewisse Ansprüche.

Danach würde er sich nicht mehr so fühlen, als wäre er der ganzen Welt ausgeliefert und als reiche ihre bloße Existenz, um all seine Schutzschilde wegzureißen.

Er würde wieder Cyranos berüchtigter Playboy sein, der Ehen zerstörte und Herzen ins Unglück stürzte.

Jeder Spion brauchte eine Tarnung – bei ihm war es seine Familiengeschichte. Die Untreue und Wildheit seiner Mutter waren allgemein bekannt, weshalb seine Legende als herzloser Casanova ihm einfach perfekt auf den Leib geschneidert schien. Von seiner überragenden Intelligenz wussten die wenigsten.

Tarnungen funktionierten am besten, wenn sie die Erwartungen der Menschen erfüllten … und in dieser Hinsicht hatten sich die Redcliffs einen entsprechenden Ruf erworben.

In den Augen der Gesellschaft war er all das, was Jenna nicht war: ihr genaues Gegenteil.

Sie gehörte der königlichen Garde an, erfüllte ihre Pflicht mit ganzem Herzen und trug ihre Uniform mit Stolz. Als Angehörige der Prieuré war sie ihrer Religion treu ergeben, was sich vor allem darin zeigte, dass sie in ihrem Arbeitsvertrag hatte festschreiben lassen, am wöchentlichen Ruhetag ihrer Gemeinschaft sowie an deren wichtigen Feiertagen frei zu haben. Die Prieuré war eine familienorientierte, recht konservative religiöse Minderheit in Cyrano. Sie war dafür bekannt, die Jugend zur Keuschheit vor der Ehe zu ermutigen und auf viele moderne Vergnügungen zu verzichten, die Männer wie Sebastian in vollen Zügen genossen und auslebten.

Bislang hatte ihm keine Frau widerstehen können. Die ernste königliche Wache würde da keine Ausnahme sein.

Falls sie die Wonnen, die er ihr anbot, doch ablehnte, wusste er, wie er sich erhobenen Hauptes zurückziehen würde. Allerdings war er zuversichtlich, dass sie nichts dergleichen tun würde.

Tatsächlich beflügelte ihn die Leichtigkeit, mit der er sein Ziel zu erreichen glaubte, nur noch mehr, seinen Verführungsplan schnellstmöglich in Angriff zu nehmen.

Wie eine Motte vom Licht fühlte er sich von dem Glanz, den sie ausstrahlte, angezogen. Es war, als würde sie ihn aus den Schatten herauslocken und die Dunkelheit zerstören, in der er sich bewegte.

Unterdessen war der König bei den beiden Frauen angekommen. Ein wenig widerwillig machte Jenna ihm Platz. Ihr Stirnrunzeln und die geschürzten Lippen verrieten ihm, dass sie es nicht mochte, von ihrem Schützling getrennt zu werden – nicht einmal vom König selbst.

Bemerkenswert.

Alles entwickelte sich so, wie Sebastian es geplant hatte.

Nach einem Vorfall mit dem Sohn der Kanzlerin von Farden war es zu einem gängigen Witz geworden, dass die Königin keine Leibgarde brauchte, wenn ihr Mann in der Nähe war.

Wie alle Witze war auch dieser lustig, weil er wahr war.

Genau darauf verließ Sebastian sich jetzt.

Denn trotz aller Freizügigkeiten, die er nach außen hin an den Tag legte, war Sebastian äußerst gewissenhaft, wenn es um seine Arbeit ging.

Er hatte geschworen, die Nation und ihren Monarchen zu beschützen. Persönliche Ablenkungen durften diesen Schwur nicht gefährden, schon gar nicht etwas so Oberflächliches wie körperliche Anziehung – selbst wenn er sie noch nie so stark empfunden hatte.

Sebastian wartete, bis sich der König zur Königin herabbeugte, um ihr etwas ins Ohr zu flüstern, woraufhin eine reizende Röte auf ihren Wangen erschien und sie knapp nickte. Dann wartete er noch ein bisschen, bis der König seine Gemahlin durch die Gästeschar vom Balkon führte.

Erst jetzt machte er sich auf den Weg in Richtung Jenna und hoffte, dass das triumphierende Funkeln in seinen Augen nicht allzu offensichtlich war. Er positionierte sich so, dass er ihr den Weg ins Innere des Schlosses versperrte, als sie Königin Mina mit diskretem Abstand folgen wollte. Er richtete es so ein, dass sie im Gehen mit ihm zusammenstoßen musste.

„Verzeihung, Euer Gnaden.“ Steif und formell kamen ihr die Worte automatisch über ihre Lippen, während sie eine leichte Verbeugung andeutete, den Blick auf den Boden gerichtet. Sie hatte ihm nicht in die Augen geschaut. Und obwohl er damit gerechnet hatte, irritierte es ihn nun.

Er wollte ihre Augen sehen.

„Ja, nun, wenn Sie darauf geachtet hätten, wohin Sie gehen …“ Er nutzte jenen aristokratischen Tonfall, der ihm in die Wiege gelegt worden war, und setzte das gewinnende Lächeln auf, mit dem er seit seiner Kindheit seinen Willen bekommen hatte.

Sie sah auf.

Bis zu diesem Moment war alles exakt nach Sebastians Plan verlaufen.

Plötzlich nicht mehr.

Hatte ihre Aura aus gleißender Helligkeit ihn zuvor geblendet, zersplitterte seine Seele beim Anblick ihrer Augen in tausend Scherben.

Es war verlockend, die Klarheit und Aufrichtigkeit, die darin schimmerte, ihrem Beruf zuzuschreiben, aber das wäre ein Trugschluss.

Jennas Herzensgüte kam aus ihrem Inneren.

Offen und unverstellt verlangte ihr Blick nichts als die ganze Wahrheit. Ihre dunkelbraunen Augen besaßen eine so unglaubliche Tiefe, dass er sich unwillkürlich vorstellen musste, wie sie Dinge sah, die anderen verborgen blieben. Nur noch wenige Sekunden würde es dauern, bis sie seine vielschichtigen Masken einfach durchdrang und seinen wahren Kern erkannt hatte.

Aber natürlich entsprach das nicht der Wahrheit.

Sie wusste nicht mehr über seinen Charakter als jeder andere.

Andernfalls hätte sich weder sanfte Röte auf ihren Wangen ausgebreitet, noch hätte sie die sinnlichen Lippen leicht geöffnet.

Die atemberaubenden Augenbrauen wurden zusammengezogen, ihr Blick wirkte für einen Moment etwas verwirrt. Ihre Pupillen weiteten sich, während sie fast unhörbar, aber scharf einatmete.

Seine Verführungsstrategie funktionierte also bereits. Und wenn der Erfolg einen unerwarteten Nervenkitzel mit sich brachte, dann lag das nicht an dieser Frau, sondern an dem köstlichen Gefühl, immer zu bekommen, was er wollte.

„Ich bitte nochmals um Entschuldigung. Ich habe nicht darauf geachtet, wohin ich gehe“, sagte sie. Ihre Stimme klang süß und musikalisch und genauso aufrichtig wie ihr Blick.

Sebastian zog eine Augenbraue hoch. „Dieses Mal verzeihe ich Ihnen, dass Sie mich nicht beachtet haben. Aber kein zweites Mal.“

Seine Worte ließen sie zusammenzucken. Nun besaß er ihre Aufmerksamkeit. Anstatt ihn abzuwimmeln und sich wieder ihrer Aufgabe zu widmen, musterte sie ihn und erkannte ihn. Ihre Augen verengten sich, bevor sie sagte: „Es tut mir leid. Ich weiß nicht, was Sie meinen.“

„Dann ergeht es Ihnen wie mir.“

Völlig verwirrt runzelte sie die Stirn. „Verzeihung?“

„Ich wünschte, ich könnte Ihnen verzeihen. Aber das wäre, als würde ich der Sonne vergeben, dass sie aufgeht und dieses ganze Chaos zum Leben erweckt. Unmöglich.“

„Was?“ Sie hatte keine Ahnung, wovon er sprach, denn seine Worte waren komplett absurd.

Seltsamerweise konnte er nicht anders. „Ich fühle mich mit einer Intensität zu Ihnen hingezogen, die ich nicht begreifen kann, Jenna Moustafa.“

Ihre Miene verfinsterte sich. „Sehr witzig“, entgegnete sie knapp, dann wandte sie sich von ihm ab.

Einen Moment fühlte er sich völlig schwach und kraftlos, weil ihr Licht ihn verlassen hatte. In seinem Kopf herrschte absolute Leere, sein Verstand reagierte nicht mehr, es war, als schwebe er in einem weißen Raum ohne Fenster und Türen.

Plötzlich befand er sich wieder auf dem Balkon und starrte Jenna an. Um sie herum standen die reichsten Menschen von Cyrano. In ihm wirbelte ein seltsamer Cocktail an Emotionen. Seine Hand ruhte auf ihrem schlanken Handgelenk.

Ohne einen Blick zurück hatte Jenna sich unterdessen in Bewegung gesetzt.

Genau dieses Verhalten war von einer königlichen Wache zu erwarten.

Sie befand sich im Dienst.

Es war nicht ihre Aufgabe, sich mit zynischen Aristokraten auf ein kryptisches Wortgefecht einzulassen.

Aber als sie sich umgewandt hatte, war etwas Merkwürdiges mit ihm geschehen.

Panik war in ihm aufgestiegen. Unwillkürlich hatte er nach ihrer Hand gegriffen.

Überrascht erstarrte sie in seinem Griff.

Es war nur eine Kleinigkeit, eine leichte Berührung, die er überhaupt nicht beabsichtigt hatte. Das war – bewusst oder unbewusst – eine Abweichung von seinem Plan.

Wieder schaute sie ihm in die Augen. Und wie zuvor sah er das Licht, das in ihnen schimmerte. Doch diesmal gab es einen entscheidenden Unterschied. Dieses Mal war es für ihn bestimmt.

In diesem Moment gehörte sie ihm.

Er wusste es. Sie nicht.

„Geht es Ihnen gut?“, fragte sie und musterte ihn forschend.

Die Wahrheit war eine Waffe. Das wusste er besser als jeder andere auf dem Balkon. Und obwohl eine fremde Stimme in seinem Kopf ihn anflehte, sich zurückzuhalten, sein Vorhaben nicht in die Tat umzusetzen, ignorierte er sie.

„Nein“, entgegnete er – eine raue einzelne Silbe, die seinem Mund geradezu entrissen wurde. Er sagte nur die Wahrheit.

Wie immer fand die Waffe ihr Ziel. Verständnislosigkeit blitzte in ihren Augen auf.

So plötzlich, wie sein Plan aus dem Ruder gelaufen war und zu scheitern gedroht hatte, so befand er sich nun wieder auf Kurs.

Alles, was er jetzt noch tun musste, war, bei der Wahrheit zu bleiben und ihr zu offenbaren, wie verletzlich er sich in ihrer Gegenwart fühlte, wie sehr sie ihn fesselte und faszinierte … und wie hilflos sie ihn machte in seinem übermächtigen Wunsch, an ihrer Seite zu bleiben. Er brauchte ihr nur das Gefühl zu geben, dass sie die Kontrolle über alles besaß, was zwischen ihnen passierte.

Und dann konnte er es hinter sich bringen, ohne dass irgendjemand davon erfuhr.

„Wie kann ich Ihnen helfen?“

Natürlich würde sie diese Frage voller Güte stellen.

„Kommen Sie mit mir in die Bibliothek.“

2. KAPITEL

„Kommen Sie mit mir in die Bibliothek.“

Jennas Instinkt erwachte, eine innere Stimme schrie sie warnend an, die sie seltsamerweise an ihre Mutter erinnerte. Das Bewusstsein für mögliche Gefahren, das durch ihre Ausbildung geschärft worden war, erwachte zum Leben, als stünde sie auf einem Schlachtfeld und nicht neben einem der attraktivsten Männer des Landes auf einem Balkon voller verwöhnter reicher Leute.

Vielleicht lag es daran, dass dieselben Instinkte eine verborgene Stärke in dem Mann neben ihr wahrnahmen und sie ermahnten, diesen Aristokraten nicht als jemanden abzutun, der bloß Spielchen spielte, obwohl seine einzige Beschäftigung, von der sie wusste, in der Verführung von hübschen Frauen bestand.

Die Legenden, die sich um ihn rankten, waren berüchtigt, die meisten Geschichten so ungeheuerlich, dass man sie kaum glauben konnte.

Ihm nun zum ersten Mal in natura zu begegnen, in die kristallgrünen Augen zu blicken, die von dunklen Brauen überschattet wurden, das modisch geschnittene und gekonnt nachlässig gekämmte helle Haar sowie die markanten Wangenknochen zu sehen ließ sie auf einmal denken, dass sich vielleicht doch jede einzelne Geschichte genau so abgespielt hatte.

Vielleicht war das der Grund, weshalb ihre Instinkte sich überhaupt regten: die natürliche Reaktion einer Frau auf einen gut aussehenden Playboy.

Seine Attraktivität war von der Art, die zu sündigen Gedanken und unvernünftigem Verhalten anregte. Aber Jenna wusste, dass er aus drei Gründen keine Bedrohung für sie darstellte. Sie war nicht wohlhabend, sie war nicht hübsch, und sie gehörte der Prieuré an.

Nach ihrer Ausbildung an der Militärakademie in der Hauptstadt und nach fast drei Jahren im Dienst des Palastes war Jenna klar geworden, dass diese drei Tatsachen sie für jeden anderen Beruf disqualifizierten. Umgekehrt verhielt es sich mit ihrem Wunsch, die weite Welt zu sehen und etwas Besonderes zu erleben, der sich für eine gute und anständige Frau der Prieuré nicht gehörte. Sie saß zwischen allen Stühlen.

Dass sie erst die zweite Frau war, die jemals in die königliche Garde hatte eintreten dürfen, machte die Sache nicht besser.

Im Gegensatz zu ihrer Freundin und Kollegin Helene d’Tierrza, die so umwerfend schön und reich war, dass sie selbst in Uniform anerkennende Blicke erntete, verschwand Jennas Weiblichkeit vollkommen, sobald sie in ihre Berufskleidung schlüpfte.

Die Bewohner der Hauptstadt lebten für die neuesten Trends, die angesagteste Mode und einen energiegeladenen Lebensstil. Hier galt diejenige am attraktivsten, die all das beherrschte.

Und das war nicht Jenna.

Also schaltete sie ihre inneren Alarmsysteme aus und nickte dem gut aussehenden Aristokraten knapp zu.

Denn die Königin, so ihre berechtigte Annahme, würde in der nächsten Zeit anderweitig beschäftigt sein. Also war es kein Problem, dass Jenna dem Herzog ihre Dienste anbot – vorübergehend. Ihre erste Pflicht galt natürlich der Königin.

Aber die Unterstützung von Adeligen verbesserten auch den Ruf der königlichen Garde. Außerdem lenkte es sie, Jenna, von der Tatsache ab, dass Könige so viel Zeit damit verbrachten, nun ja … anderweitig beschäftigt zu sein …, und währenddessen keine Bewachung brauchten.

Diese Art von Beschäftigung hatte sie von gewöhnlichen Menschen erwartet, wie ihren Eltern, die sechs Kinder vorzuweisen hatten – nicht von Adeligen. Das Leben der Reichen und Berühmten, hatte sie sich vorgestellt, war weniger von Leidenschaften bestimmt als von dem Wunsch, ihre Macht, ihren Status und ihren Wohlstand zu vermehren.

Bei Königin Mina sah das selbstverständlich anders aus, denn wie Jenna war sie eine Bürgerliche.

Vielleicht war das der Grund für die offensichtliche Liebe, die sich in der Beziehung der Monarchen zeigte.

Jenna hob ihr Handgelenk, das der Herzog noch immer festhielt, und schenkte ihm ein Lächeln. „Gewiss. Allerdings müssen Sie mir den Weg zeigen, weil ich mit den Anwesen der d’Tierrzas nicht vertraut bin.“

Ihre eigenen Worte dröhnten schmerzhaft in ihren Ohren, so zutreffend sie auch waren. Das Anwesen war zwar das Zuhause ihrer besten Freundin Helene, doch war sie heute zum ersten Mal hier … und das auch nicht aus Freundschaft, sondern weil sie im Dienst war.

Es war nur eine weitere kleine Erinnerung daran, dass sie in dieser glitzernden Welt lebte und arbeitete, aber selbst zu denen, die ihr am nächsten standen, nicht wirklich dazugehörte.

Aber das war der Preis, den sie als Mädchen der Prieuré dafür zahlte, so weit weg von zu Hause zu sein.

In jener Welt kannten die Freunde die Häuser und Familien der anderen und trafen sich dort so oft wie möglich.

Wenn man jedoch mit einer Herzogin und einer Königin befreundet war, war das eine andere Geschichte. Jenna wünschte sich, sie könnte sich mit der Nähe, die sie verband, zufriedengeben und sich nicht nach mehr sehnen.

Sie hatte allen Grund der Welt, glücklich über ihre Freundschaften zu sein.

Den gesamten Tag verbrachte sie mit der Königin und aß jeden Abend mit Helene im Gemeinschaftsraum der Garde zu Abend, bevor sie sich in das Quartier schlafen legte, das sie mit ihr teilte. Die drei lebten praktisch zusammen. Deutete das nicht auf eine tiefere Beziehung hin als bloße Besuche in den Häusern der anderen?

Jenna schüttelte die düsteren Gedanken ab und richtete ihre Aufmerksamkeit voll und ganz auf den Herzog. Das fiel ihr sehr leicht, weil die Hitze, die von ihm ausging, wie ein Feuerring um ihr Handgelenk brannte.

Doch anstatt sie loszulassen, verstärkte er kurz den Griff seiner Finger.

Ein halbes Lächeln erschien auf seinen Lippen, was ihren Blick auf seinen Mund und die Wangen lenkte, auf denen sich ein beginnender Bartschatten abzeichnete.

Eigentlich hätte sie erwartet, dass er sich perfekt und sauber rasiert präsentierte. Wie die unterschwellige Stärke, die von ihm ausging, stand auch dieses Detail im Widerspruch zu seinem Ruf.

Ihrer Erfahrung nach gab es nur zwei Arten von Männern, die Bartstoppeln zuließen: Entweder sie waren zu faul oder zu beschäftigt. Ein Mann, der seine sexuellen Neigungen zum Beruf machte, gehörte in ihrer Vorstellung zu keiner der Kategorien.

Nicht, dass er nicht gut aussah. Im Gegenteil.

Tatsächlich sah er extrem gut aus. Er besaß eine ganz besondere Ausstrahlung. Je länger Jenna in seiner Gegenwart weilte, desto sicherer spürte sie, dass er seine Attraktivität nicht nur seinem Aussehen, sondern noch einer ganz anderen Sache verdankte. Seine Aura war die eines großen bösen Wolfs.

Glücklicherweise besaßen böse Jungs keinerlei Reiz für Jenna.

„Natürlich“, antwortete er und ließ seinen Blick über den Balkon schweifen, bevor er sie ins Innere des Hauses führte.

Ohne ihr Handgelenk loszulassen.

Die anderen Gäste gingen ihnen aus dem Weg, bemerkten zwar seinen Griff, ignorierten ihn aber.

Ihre Uniform ließ sie geradezu unsichtbar werden. Um eine königliche Wache im Schlepptau eines Herzogs brauchte man sich keine Gedanken zu machen. Die Gesellschaft der oberen Zehntausend der Hauptstadt war zerrissen zwischen starren Rollen auf der einen und verdeckten Intrigen auf der anderen Seite. Man musste dazugehören, um diese Spielchen zu beherrschen. Im Vergleich dazu wirkten die strengen Anforderungen und Erwartungen der Prieuré geradezu leicht und oberflächlich.

Jenna wollte gerne glauben, ihr Leben in der Gemeinschaft habe sie auf das Leben in der Stadt vorbereitet. Doch während sie sich den Weg zu merken versuchte, den der Herzog einschlug, stellte sie fest, dass weder das eine noch das andere sie auf das Geheimnis vorbereitet hatte, welches nun vor ihr lag.

Was könnte der Herzog von Redcliff nur von ihr wollen?

Als er eine Tür aufstieß, die genauso aussah wie all die anderen Türen, an denen sie vorbeigekommen waren, schoss ihr durch den Kopf, dass sie es nun bald erfahren würde.

Jeder Raum in dieser Villa war riesig, aber die Bibliothek, in der sie auf einmal standen, stellte alle anderen in den Schatten.

Wie geschwungene Wellen schienen die Wände um sie herum zu wogen und waren vom Boden bis zur prächtig bemalten Decke mit Büchern in herrlichen alten Regalen bedeckt. Ein überdimensionales Fenster in der Decke ließ Sonnenlicht hinein. In jeder Ecke luden bequeme Möbel zum Verweilen ein – hier ein plüschiger Sessel, dort ein Ohrensessel neben einem kleinen Tisch, am anderen Ende des Raumes eine gepolsterte Bank unter einem Fenster mit bunten Butzenscheiben.

Autor

Marcella Bell
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