Insel der Sehnsucht

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Seit Jahren arbeiten Evanna und Logan Seite an Seite in der kleinen Inselpraxis. Und genauso lange liebt die hübsche Krankenschwester den attraktiven Arzt. Doch alle Versuche, sein Herz zu erobern, scheinen vergebens. Traurig macht Evanna sich bereit, Glenmore zu verlassen ...


  • Erscheinungstag 10.12.2020
  • ISBN / Artikelnummer 9783751505048
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Ein Neuanfang.

Evanna Duncan lenkte ihren kleinen Flitzer von der Fähre, hörte das vertraute Geräusch der Räder, als sie über die Rampe auf den Pier fuhr, und winkte Jim, dem Kapitän, fröhlich zu. Nach kurzer Fahrt in südliche Richtung parkte sie das Auto am Hafen.

In der Stadt war es schwül gewesen, die Luft stand zwischen den hohen Gebäuden, und es regte sich kein Lüftchen, das etwas Erfrischung hätte bieten können. Der dichte Urlaubsverkehr hatte die Fahrt zur Fähre zusätzlich zur Tortur gemacht, und Evanna sehnte sich nach der friedlichen Geborgenheit ihres Cottages auf den Klippen. Doch zunächst wollte sie ihre Freundin treffen, die vermutlich bereits auf sie wartete.

Als Evanna ausstieg und eine leichte Brise spürte, atmete sie erleichtert auf: Endlich zu Hause.

Auf Glenmore. Sie liebte die Herausforderungen, die ihr Beruf als Krankenschwester auf einer abgelegenen schottischen Insel mit sich brachte, und konnte sich nicht vorstellen, woanders zu leben. Ihre einmonatige Abwesenheit kam ihr viel länger vor.

„Hatten Sie eine gute Reise, Schwester Duncan?“ Ein etwa zwölfjähriger Junge kam auf sie zu, in der Hand ein Eis, das jeden Moment zu tropfen drohte. Er trug eine tief in die Stirn gezogene Baseballmütze, Shorts, abgetragene Joggingschuhe und ein T-Shirt, das vom vielen Waschen ausgebleicht war. Zwei Freunde hielten sich im Hintergrund.

„Hallo, Fraser. Genießt du die Ferien?“ Evanna schlug die Fahrertür zu. „Was macht dein Kopf?“

Fraser riss sich die Mütze vom Kopf und schob das Haar zur Seite. „Was meinen Sie? Dr. MacNeil hat gesagt, dass eine coole Narbe zurückbleibt.“

Das war mal wieder typisch Logan MacNeil! Er konnte auch etwas Negativem noch etwas Positives abgewinnen. Bei Erwähnung seines Namens schlug ihr Herz sofort höher. „Er hat recht. Das sieht wirklich cool aus.“ Die Wunde hatte genäht werden müssen und war gut verheilt. „Hoffentlich machst du jetzt einen Bogen um die Burg.“

„Mehr oder weniger. Sie glauben ja nicht, was passiert ist.“ Der Junge sah sie aufgeregt an. „Das Verlies soll erforscht werden. Archoilo… Archolo…“ Er stolperte über das Wort und gab schließlich auf. „Ganz wichtige Leute kommen her, um sich das Verlies genau anzusehen. Sie meinen, da unten könnte wichtiges Zeug verborgen liegen von den Kelten oder den Wikingern oder so. Ein richtiger Schatz vielleicht. Das sehen wir uns auf jeden Fall an.“ Seine Augen glänzten voller Vorfreude.

„Klingt faszinierend, Fraser.“ Evanna ließ den Autoschlüssel in ihre Handtasche gleiten. „Aber sei bitte vorsichtig. Du weißt ja, wie gefährlich es auf der Burgruine ist. Wir haben dieses Jahr deinetwegen schon genug graue Haare bekommen. Oh, pass auf! Dein Eis fängt an zu tropfen. Du musst schnell lecken.“

Fraser grinste und fing den Tropfen geschickt mit der Zunge auf. „Ich pass schon auf.“

„Hoffentlich!“ Evanna erinnerte sich nur zu lebhaft an die Rettungsaktion vor wenigen Wochen, die erforderlich gewesen war, um Fraser aus seiner misslichen Lage im Verlies zu bergen. Spielerisch rückte sie seine Mütze zurecht. „Ich bin mit Schwester Walker verabredet. Hast du sie irgendwo gesehen?“

„Sie sitzt im Café und isst ein riesiges Eis mit einer Extraportion Schokoladenstreuseln. Das darf ich aber niemandem verraten. Sie meint, die Leute würden sich wundern, wenn sie ihnen empfiehlt, gesund zu essen, sich selbst aber mit diesem Zeug vollstopft.“ Er runzelte die Stirn. „Vollstopfen hat sie nicht direkt gesagt, aber jedenfalls hat sie das gemeint.“

„So etwas gehört sich aber auch wirklich nicht für eine Krankenschwester.“ Evanna konnte sich kaum das Lachen verbeißen. „Ich glaube, ich muss sie mir mal vorknöpfen.“

„Ich habe nichts gesagt. Außerdem kann man bei dieser Hitze sowieso nur Eis essen. Tschüs, Schwester Duncan. Bis demnächst.“

„Tschüs, Jungs. Macht keine Dummheiten!“

Noch immer lächelnd öffnete sie die Tür des Cafés und setzte sich zu ihrer Freundin ans Fenster. Von hier aus konnte man den gesamten Hafen überblicken. „Wenn du schon dieses Arterien verstopfende Zeug essen musst, dann versteck dich wenigstens in der hintersten Ecke hinter einer Zeitung. Du sitzt hier wie auf dem Präsentierteller. Fraser hat mir gerade brühwarm erzählt, was du dir hier schmecken lässt.“

„Du bist spät dran.“ Kyla legte den Löffel aus der Hand, stand auf und umarmte Evanna. „Fraser ist ein vorlautes Äffchen. Ich bin gespannt, aus welchem Loch wir ihn als Nächstes ziehen müssen. Die Sommerferien haben gerade erst angefangen, und er ist ständig auf Abenteuer aus. Schön, dass du wieder da bist. Ich habe dich richtig vermisst.“

„Das soll ich einer frisch Verheirateten glauben?“ Lachend stellte Evanna ihre Tasche ab und setzte sich an den Tisch. „Ich kann es immer noch kaum glauben, in was für einem atemberaubenden Tempo du dich in unseren neuen Doktor verliebt hast.“

Kyla widmete sich wieder ihrem Eis. „Wir sind wie füreinander geschaffen. Ethan ist einfach perfekt.“ Sie wedelte mit dem Eislöffel. „Außerdem bleibt er jetzt auf der Insel. Logan ist sehr froh, einen so kompetenten Kollegen in der Praxis zu haben.“

„Ja, das glaube ich.“ Evanna bemühte sich, die nächste Frage eher beiläufig klingen zu lassen. „Wie geht es ihm denn so? In den Sommerferien hat Logan normalerweise keine ruhige Minute.“

Kyla überlegte. „Ich glaube, es geht ihm ganz gut. Bewundernswert, wie er mit der Situation fertig wird, wenn man bedenkt, dass er seine Frau vor einem Jahr verloren hat. Aber er sollte mehr darüber reden.“

Evanna dachte an die langen Gespräche, die sie mit Logan bis spät in die Nacht geführt hatte. Mit ihr hatte er nämlich darüber geredet. „Jeder Mensch geht unterschiedlich mit so einer Situation um.“

„Ja, Logan war schon immer hart im Nehmen, und die Arbeit lenkt ihn ab. Und natürlich seine dreizehn Monate alte Tochter.“ Kyla lehnte sich zurück und rief quer durchs Café: „Könntest du uns bitte noch einen Löffel bringen, Tante Meg? Evanna hat nur Augen für mein Eis.“

„Gar nicht wahr! Ich könnte es mir gar nicht leisten, so viel Fett zu essen. Allein vom Anschauen nehme ich gleich ein Kilo zu.“

„Unsinn! Ich würde liebend gern jeden Tag Eis essen, wenn ich dadurch so eine fantastische Figur bekommen würde wie du. Das rote Top steht dir übrigens hervorragend. Darin siehst du aus wie eine Flamencotänzerin – sexy und heißblütig. Dieses dunkle Haar und diese dunklen Augen. Um das Bild perfekt zu machen, solltest du dein Haar offen tragen.“

„Dazu ist es viel zu heiß.“

„In der Stadt muss es ja unerträglich gewesen sein.“

„Allerdings. Mir ist schleierhaft, wie ein Mensch es dort aushält. Mir ist es in der Stadt zu eng. Die Luft steht, du bist von hohen Gebäuden umgeben, und die Leute hetzen an dir vorbei.“ Sie schüttelte sich. „Hier auf Glenmore kann man frei atmen, und man hat einen weiten Blick in jede Richtung.“

Kyla lachte. „Dann hat es dir also nicht gefallen, oder?“

„Die Arbeit hat Spaß gemacht. Es war super, wieder im Kreißsaal zu sein. Du weißt ja, wie sehr ich meinen Job als Hebamme liebe. Auf Glenmore habe ich ja nur selten Gelegenheit, ihn auszuüben.“

„Willst du mich auf den Arm nehmen? Hier herrscht zurzeit der reinste Babyboom. Sonia Davies und Marie Tanner sind schwanger. Lucy Finch hat ihr Baby vor vier Tagen zur Welt gebracht. Du hast also mehr als genug zu tun.“

Evanna lächelte versonnen. „Ich war bei der Geburt im Kreißsaal. Prima, dass Sonia und Marie auch ein Baby erwarten. Aber ausgelastet werde ich dadurch sicher nicht sein.“

„Sandra King hatte vor einigen Tagen so einen verträumten Blick. Paul und sie versuchen ja schon seit einer ganzen Weile, ein Baby zu bekommen. Vielleicht hat es geklappt. Dann sehen wir sie bald in der Praxis. Weißt du, Evanna, hier sind nicht nur deine Fähigkeiten als Hebamme gefragt, sondern auch als Krankenschwester. Ich hoffe, du willst jetzt nicht nur noch Babys auf die Welt helfen. Allein schaffe ich die ganze Arbeit nicht.“

„Mach dir keine Sorgen, Kyla. So schnell wirst du mich nicht los. Ich liebe das Inselleben und die abwechslungsreiche Arbeit.“ Bei einem Blick aus dem Fenster entdeckte sie Janet, die Kollegin vom Empfang in der Praxis, die mit Einkaufstüten beladen war. Evanna winkte ihr fröhlich zu.

„Sag mal, Evanna, wie sieht es eigentlich mit deinem Kinderwunsch aus? Hat die Arbeit im Kreißsaal dich auf den Geschmack gebracht?“

„Natürlich nicht“, behauptete sie – nicht ganz wahrheitsgemäß. „Wie soll das denn gehen? Ich habe nicht einmal einen Freund. Und ich lege schon Wert darauf, dass bei mir alles in der richtigen Reihenfolge geschieht.“

Kyla lächelte. „In der Beziehung warst du ja schon immer altmodisch.“ In diesem Moment kam ihre Tante an den Tisch. „Evanna hat Hunger, Tante Meg.“

Meg war rundlich und gemütlich, lachte gern und viel und hatte einen blonden Lockenkopf. „Schön, dass du wieder da bist, Evanna.“ Sie zückte Block und Stift. „Was hättest du gern? Das Gleiche wie Kyla?“

„Nein, danke, nur einen Kaffee, schwarz, ohne Koffein, bitte.“

„Wie wär’s mit einem Stück Schokoladentorte dazu? Bei der wird jede Frau schwach.“

„Danke, ich möchte wirklich nur Kaffee.“

„Wie willst du denn damit einen langen, anstrengenden Tag durchstehen? Du brauchst etwas Speck auf den Rippen, Kindchen.“

„Davon habe ich genug. Wie soll ich den Patienten vermitteln, dass sie abnehmen sollen, wenn ich selbst Übergewicht habe? Noch passen meine Klamotten, und so soll es auch bleiben.“

„Du bist eine richtige Spielverderberin. Jetzt habe ich ein schlechtes Gewissen, weil ich ein Eis gegessen habe.“ Betont genüsslich leckte sie den Löffel ab und reichte Meg den leeren Eisbecher, bevor sie sich wieder Evanna zuwandte. „Hast du in der Stadt jemanden kennengelernt?“

„Vielleicht“, antwortete die ausweichend.

So leicht ließ Kyla sich jedoch nicht abwimmeln. „Klingt interessant. Erzähl mal!“

„Es gibt nichts zu erzählen. Er ist Oberarzt in der Gynäkologie und wirklich nett.“

„Nett? Was ist das denn für eine Beschreibung? Sieht er gut aus? Ist er sexy? Intelligent?“

„Ja, ist er. Wir haben uns einige Male verabredet.“

„Und?“

„Nichts ‚und‘.“

„Hast du mit ihm geschlafen?“

„Kyla!“ Evanna sah verlegen um sich, doch anscheinend hatte ihnen niemand zugehört. „Nein.“

„Schade. Etwas Leidenschaft würde dir richtig guttun.“

„Herzlichen Dank!“ Evanna lehnte sich zurück und dankte Meg, die ihr den Kaffee servierte. „Jedenfalls haben mich die Abende mit ihm nachdenklich gemacht, und ich habe eine Entscheidung getroffen.“

„Lass hören!“ Kyla lächelte erwartungsvoll.

Evanna wartete, bis Meg wieder weg war. „Ich habe beschlossen aufzuhören, einem Mann nachzutrauern, der nicht einmal Notiz von mir nimmt.“

Schlagartig verging Kyla das Lächeln. „Du meinst meinen Bruder.“

„Wen sonst? Hat es jemals einen anderen Mann für mich gegeben?“ Sie lachte, um ihren Kummer zu verbergen. „Seitdem wir zusammen im Kindergarten waren, bin ich Logan verfallen. Wenn er mit mir in einem Raum ist, habe ich nur Augen für ihn. Ich denke Tag und Nacht an ihn, sehe sein Lächeln vor mir, das freche Blitzen in seinen blauen Augen, wie er geht und sich bewegt, als läge ihm die Welt zu Füßen. Und er nimmt mich nicht einmal wahr.“

„Natürlich nimmt er dich wahr, Evanna.“

„Aber nicht als Frau. Nur wenn es darum geht, sich um seine Patienten zu kümmern, ihm etwas Leckeres zu kochen oder auf seine Tochter aufzupassen. Ansonsten bin ich für ihn Luft.“

„Er hat seine Frau verloren, Evanna. Du musst Geduld mit ihm haben.“

„Habe ich ja. Ich befürchte nur, dass er eine andere Frau findet, die das Leben mit ihm teilt, wenn er über Catherines Tod hinweg ist. Leider werde ich wohl nicht diese Frau sein. Das habe ich inzwischen eingesehen, und deshalb habe ich mir Logan aus dem Kopf geschlagen.“ Das klang so beschwörend, als wollte sie sich selbst davon überzeugen. „Ich werde mich jetzt nach einem anderen Mann umsehen.“

„Trotzdem wirst du weiterhin mit Logan zusammenarbeiten müssen. Er ist der Arzt, du bist seine Krankenschwester. Wir arbeiten alle im Team.“

„Ich weiß. Und ich werde ihm auch weiterhin mit Kirsty helfen. Er hat einiges durchgemacht und kann sich auf meine Unterstützung verlassen. Aber ich werde auch mein eigenes Leben führen.“ Sie lächelte selbstbewusst. Plötzlich hatte sie das Gefühl, sie könnte es schaffen. Schließlich hatte sie einen ganzen Monat ohne Logan überlebt. Und von Zeit zu Zeit hatte sie sich sogar richtig gut amüsiert und nicht an ihn gedacht – auch wenn es nur für Sekunden gewesen war. Irgendwann würden aus den Sekunden Minuten werden. „Ich werde ausgehen und mich amüsieren.“

„Und mit wem?“ Fragend zog Kyla nun eine Augenbraue hoch.

„Keine Ahnung.“ Nachdenklich trank Evanna einen Schluck Kaffee. „Vielleicht mit Nick Hillier?“

„Stehst du auf ihn?“

„Nein.“ Nick war der Polizist auf der Insel, und sie war mit ihm zur Schule gegangen. „Aber wenigstens …“

„Wenigstens ist er nicht Logan. Das ist ja ein Superanfang für eine Beziehung.“

„Ich will aber nicht für den Rest meines Lebens allein bleiben.“ Evanna stellte die Tasse ab. „Um deine Frage von vorhin wahrheitsgemäß zu beantworten: Ja, ich wünsche mir Kinder, aber auch einen Mann, der mich liebt, und ein schönes Zuhause. Wie soll ich einen geeigneten Kandidaten kennenlernen, wenn ich nur Augen für deinen Bruder habe? Das muss aufhören. So viel ist mir in den vergangenen vier Wochen immerhin klar geworden. Ich bin mit Kollegen ausgegangen und habe mich amüsiert. Wenn es in der Stadt funktioniert, warum nicht auch hier? Es hat keinen Zweck, sich weiter Hoffnungen auf Logan zu machen. Damit ist jetzt Schluss! Ich bin wirklich über ihn hinweg, Kyla.“ Sie griff wieder nach der Kaffeetasse.

In diesem Moment öffnete sich die Tür, und ein Mann kam hereingeschlendert. Er war überdurchschnittlich groß, schlank und hatte ein energisches Kinn. Sein Haar war dunkel und im Nacken etwas zu lang, denn es berührte den Kragen des blauen Leinenhemds, das er zu einer hellen Hose trug. Der breitschultrige Mann hatte blaue, intelligente Augen, und alle Frauen folgten ihm mit Blicken, als er die Tür schloss und zum Tresen ging. „Grüß dich, Meg. Machst du mir bitte einen Toast?“ Seine Stimme klang tief und sexy.

Evanna rutschte die Tasse aus der Hand. Eine braune Kaffeepfütze bildete sich auf dem Tisch.

Geistesgegenwärtig griff Kyla nach den Papierservietten, die in einem Ständer auf dem Tisch standen, und begann, die Flüssigkeit aufzuwischen. „Du bist also über ihn hinweg?“, fragte sie leise und musterte ihre Freundin, deren Hände bebten. „Das kannst du deiner Großmutter erzählen, Evanna Duncan. Sag mal, hörst du mir überhaupt zu?“

Evanna war nur noch ein Nervenbündel. „Ich bin nicht … ich kann nicht …“

„Evanna!“ Kyla ließ die Kaffeepfütze Pfütze sein und beugte sich besorgt vor. „Du bist kreidebleich. Ist alles in Ordnung mit dir?“

Nichts war in Ordnung! Ihr Puls raste, und ihre Knie zitterten. Das darf nicht wahr sein, dachte sie. Dabei war sie doch so sicher gewesen, dass sie alles im Griff hatte. Sie dachte …

Sie konnte gar nichts mehr denken, als Logan an den Tisch geschlendert kam und frech lächelte.

„Hier verstecken sich also meine beiden Krankenschwestern. Da ich jetzt auch da bin, können wir uns auch gleich mal über die Praxis unterhalten.“

Evanna konnte ihn einfach nur anschauen. Seit der Kindergartenzeit hatte sie ihn kaum aus den Augen gelassen. Als sie fünf Jahre alt gewesen war, waren ihre Blicke magisch von diesem dunkelhaarigen Superboy mit den strahlend blauen Augen angezogen worden, der seine Schwester Kyla von der Grundschule abgeholt hatte. In den darauffolgenden Schuljahren hatte sie sich immer mehr zu ihm hingezogen gefühlt und ihn heimlich mit Blicken verschlungen. Und dann hatte er die Insel verlassen, um Medizin zu studieren. Nur die Semesterferien verbrachte er bei seiner Familie. Während seiner Abwesenheit musste Evanna sich mit einem Foto von ihm begnügen, das sie am Strand aufgenommen hatte, als Logan als Rettungsschwimmer gearbeitet hatte. Seine Brust war sonnengebräunt, und er lachte in die Kamera.

Dieses Foto hatte sie noch immer.

„Evanna.“ Er lächelte, und sie betrachtete sehnsüchtig diesen sinnlichen Mund, der wie gemacht zum Küssen schien. Ob das stimmte, konnte sie leider nicht aus eigener Erfahrung sagen. Unglücklich wandte sie den Blick ab. Dr. Logan MacNeil hatte sie noch nie geküsst und würde es wohl auch nie tun. Mit fast jedem Mädchen auf der Insel hatte er mal was gehabt, aber nicht mit ihr. Sie kam für ihn einfach nicht in Betracht. Er sah sie wohl als festen Bestandteil der Insel an, wie die Strände und die Berge. Jedenfalls nicht als potenzielle Partnerin.

„Darf ich mich zu euch setzen?“, fragte er mit dieser tiefen, sexy Stimme.

„Klar. Hallo, Logan.“ Sie legte schnell die Hände in den Schoß, damit er nicht sah, wie sie bebten.

Sie ärgerte sich über ihre Reaktion und darüber, das alte Foto mit den Eselsohren aufbewahrt zu haben.

Kyla stand auf, um die durchweichten Servietten in den Mülleimer zu werfen, und versuchte, Evanna mit Blicken zu ermuntern.

„Schön, dass du wieder da bist, Evanna.“ Logan setzte sich und lehnte sich zurück, als Meg ihm Toast und Kaffee servierte. „Ich habe dich schrecklich vermisst. Jede Minute, die du nicht da warst, ist mir wie eine Stunde vorgekommen.“

Evanna schöpfte neue Hoffnung. „Du hast mich vermisst, Logan?“

„Ja, und wie.“ Er bestrich den Toast mit Butter. „Es ist Sommer. Die Touristen haben Glenmore bevölkert, und das Wartezimmer ist ständig voll. Nicht gerade der ideale Zeitpunkt für eine meiner heiß geliebten Krankenschwestern, aufs Festland zu entschwinden – noch dazu einen ganzen Monat lang. Selbst wenn es sich um eine Fortbildung gehandelt hat.“ Er schenkte ihr dieses freche Lächeln, das jede Frau auf der Insel förmlich dahinschmelzen ließ. „Klar habe ich dich vermisst, Evanna.“

Fortbildung.

Sie hatte ihm nur in der Praxis gefehlt! Evanna biss die Zähne zusammen und wandte den Blick ab. Für Logan war sie nur die Krankenschwester, deren Arbeitskraft ihm in der Praxis gefehlt hatte.

Warum verletzte sie das so sehr? Sie war doch selbst zu dem Schluss gekommen, dass ihre Beziehung rein kollegial war und wohl auch bleiben würde. Mit dieser Tatsache musste sie sich abfinden. Es wurde Zeit, sich nach einem anderen Mann in ihrem Leben umzusehen.

Kyla kam zurück und setzte sich wieder. „Die Fortbildung hat Evanna viel Spaß gemacht“, sagte sie kühl und vielsagend. Logan sah auf.

„Prima.“ Logan biss vom Toast ab und winkte einem der Inselbewohner zu, der draußen am Fenster vorbeiging. „Heute ist besonders viel los. Zu den Touristen haben sich auch noch Tagesausflügler gesellt. Die Rettungsschwimmer werden ganz schön gefordert. Hoffentlich passiert nichts. Allerdings frischt der Wind auf. Es ist also durchaus möglich, dass das Rettungsboot heute zum Einsatz kommt.“

Kyla trommelte mit den Fingern auf den Tisch. „Sie hat viele Leute kennengelernt.“

Logan, der nachdenklich aus dem Fenster gesehen hatte, blickte nun seine Schwester an. Ihre Stimme hatte so einen bedeutsamen Unterton gehabt. „Von wem sprichst du?“

„Von Evanna. Sie hat viele Leute kennengelernt.“

Evanna errötete verlegen. „Kyla, bitte …“

Doch Kyla ließ sich nicht beirren. Beschwörend sah sie ihren Bruder an. „Sie war einen Monat fort. Hast du das vergessen?“

„Was bist du heute wieder störrisch! Natürlich habe ich das nicht vergessen.“ Logan bestrich die zweite Scheibe Toast mit Butter. „Wie könnte ich? Schließlich mussten wir alle ihre Arbeit mit übernehmen. Die Vertretung, die man uns geschickt hatte, war ja nicht zu gebrauchen. Wie ich schon sagte, es ist schön, dass du wieder da bist, Evanna.“

Kyla versuchte einen erneuten Anlauf. „Sie ist viel ausgegangen. Mit einem wundervollen Oberarzt. Sehr nett, gut aussehend – die beiden haben sich prima verstanden.“

„Freut mich.“ Logan schob sich den letzten Bissen Toast in den Mund und stand auf. „Da ist Doug McDonald. Entschuldigt mich. Ich versuche schon seit einer Woche, ihn unauffällig anzusprechen. Nach seinem Herzinfarkt hat er Angst, sich anzustrengen. Er braucht aber mehr Bewegung. Vielleicht könnte er an deinem Reha-Kurs teilnehmen, Evanna. Der bekommt den Patienten immer sehr gut. Vielleicht liegt es daran, dass die Kursleiterin Krankenschwester ist. Da haben die Leute mehr Vertrauen. Wir sehen uns heute Nachmittag in der Praxis. Janet hat dich voll eingeplant.“ Er klopfte ihr freundschaftlich auf den Arm und ging zur Tür. Unterwegs unterhielt er sich mit einem Ehepaar, das eine Pension in der Nähe eines der besten Strände auf der Insel führte.

„Was habe ich dir gesagt?“ Evanna kämpfte mit den Tränen. „Für ihn gehöre ich zum medizinischen Inventar. Er bringt mir genauso viel Gefühl entgegen wie seinem EKG-Gerät.“

Frustriert schüttelte Kyla den Kopf. „Langsam glaube ich, mein Bruder ist begriffsstutzig.“

„Das ist er sicher nicht. Im Gegenteil. Er interessiert sich nur nicht für mich. Das ist schon okay.“

„Gar nichts ist okay. Wie kannst du so was sagen?“

„Was bleibt mir denn anderes übrig? Ich kann Logan doch nicht dazu zwingen, mich zu lieben.“ Evanna griff nach ihrer Tasche. Plötzlich wollte sie nur noch nach Hause – in die Geborgenheit ihres heimeligen Cottages. Sie brauchte etwas Zeit für sich, bevor sie sich dem Trubel der Nachmittagssprechstunde stellte. Es war wichtig, sich an den Vorsatz zu erinnern, den sie auf dem Festland gefasst hatte.

Sie legte gerade einige Münzen auf den Tisch, um für den Kaffee zu bezahlen, als Fraser ins Café stürmte. „Dr. MacNeil!“, rief er völlig außer Atem. „Bitte kommen Sie sofort.“ Logan wandte sich besorgt um.

„Was ist passiert, Fraser? Du bist ja völlig außer Atem. Beruhige dich erst mal wieder. Dann erzählst du mir, was los ist.“

Fraser zeigte Richtung Strand. „Da ertrinkt jemand.“ Er holte Luft. „Ein Kind in einem Schlauchboot. Ist ins Wasser gefallen.“

Mehr brauchte Logan nicht zu wissen. Aus dem Stand rannte er los – mit Fraser auf den Fersen.

Evanna und Kyla bahnten sich einen Weg zwischen den Trauben trödelnder Touristen hindurch und gelangten in Rekordzeit zum Strand.

„Er ist untergegangen.“ Eine junge Frau mit einem Säugling im Arm lief panisch am Ufer auf und ab. „Er war im Boot, und nun ist er weg.“

„Ich habe ihn gesehen.“ Fraser stellte sich zu Logan. Die hysterische Frau und das schreiende Baby waren ihm nicht geheuer. „Meine Freunde und ich waren oben auf den Klippen. Der Junge hat sich mit seinem Eimer aus dem Boot gelehnt. Eine Welle hat ihn erfasst und ins Wasser gerissen.“

Die junge Mutter wurde immer hysterischer.

Logan zog Fraser zur Seite. „Wo genau war das?“ Er zog sich bereits das Hemd aus. „Wie lange ist das her?“

Fraser zuckte die Schultern. „Vielleicht zwei Minuten. Wir sind sofort losgerannt. Wir haben ablandigen Wind. Ich glaube, es war ungefähr da. Soll ich nach ihm suchen?“

„Nein, du bleibst, wo du bist.“ Logan drückte ihm seine Kleidung und das Handy in die Hand. „Alarmier die Küstenwache. Dann holst du meine Tasche aus dem Wagen. Hier ist der Schlüssel. Dann bleibst du bei Evanna und tust genau, was sie dir sagt.“

„In Ordnung.“ Fraser wählte schon die Nummer der Küstenwache. „Passen Sie auf sich auf, Dr. MacNeil.“

Logan nickte Evanna kurz zu. „Du kümmerst dich um die Leute hier.“

Sie wusste genau, was er von ihr wollte: den Rettungseinsatz koordinieren, die Touristen zurückhalten, damit sie die Rettungsaktion nicht behinderten, und sich um die junge Mutter kümmern.

Logan griff nach der Rettungsweste, die in einem Kasten am Strand hing, und sprintete ins Wasser. Unter anderen Umständen hätte Evanna ihm hingerissen nachgesehen, aber jetzt hatte sie andere Dinge zu tun. Mutter und Baby schrien inzwischen um die Wette. Außerdem hatte sich eine Menschenmenge gebildet.

Kyla bat die Leute zurückzugehen. „Seien Sie bitte vernünftig. Es gibt hier nichts zu sehen. Gehen Sie ans andere Ende des Strandes. Wir brauchen hier Platz für den Hubschrauber, der gleich landen wird.“

Fraser telefonierte noch mit der Küstenwache, und Evanna legte beruhigend einen Arm um die junge Mutter. „Sie Ärmste. Sie sind ja ganz aufgelöst. Bitte versuchen Sie, sich wieder zu beruhigen. Ich möchte Ihnen einige Fragen stellen. Wie alt ist Ihr Sohn?“

„Sechs Jahre.“ Die Mutter schluchzte und versuchte, ihr Baby zu beruhigen. „Mein kleiner Jason ist erst sechs.“

„Und er saß in einem Boot?“

„Ich hatte mich nur kurz umgedreht, um das Baby zu wickeln. Wirklich nur eine Minute.“

Am Wasser war das genau eine Minute zu lang. Suchend ließ Evanna den Blick übers Meer gleiten. „Was für ein Boot war das?“ Sie konnte kein Boot sehen. Nur ein kleines aufblasbares Boot, mit dem Kinder im Swimmingpool spielten.

„Da ist es.“ Die Mutter zeigte auf das Spielzeug. „Wir haben es ihm in dem Laden am Strand gekauft.“

„Er saß in dem Spielzeugboot?“ Evanna war fassungslos. Wie konnte man nur so verantwortungslos sein, ein Kind in so einem leichtgewichtigen Spielzeug auf den Atlantik zu lassen?

Evannas schockierter Blick war der Frau nicht entgangen, und sie versuchte, sich zu rechtfertigen. „Er hat direkt am Ufer gespielt. Ich dachte, da wäre er sicher, und ich habe nur eine Minute lang weggeschaut.“ Die junge Mutter fing wieder an zu weinen und suchte bei Evanna Trost, die Fraser fragend ansah.

Der Junge steckte Logans Handy ein und hielt einen Daumen hoch.

Sie lächelte erleichtert und beobachtete, wie er zurücklief, so schnell er konnte, um Logans Arzttasche zu holen. „Das Rettungsboot ist unterwegs“, erklärte sie der Frau.

Das Baby war bereits rot im Gesicht vom vielen Schreien. Evanna machte Kyla ein Zeichen. Die nickte und kam auf sie zu.

„Ich nehme Ihnen das Baby ab“, sagte Kyla. „Dann haben Sie eine Sorge weniger.“

„Ich möchte meine Tochter lieber bei mir behalten.“

„Kyla arbeitet als Krankenschwester in der Inselarztpraxis“, erklärte Evanna. „Wir sind Kolleginnen.“

Autor

Sarah Morgan
<p>Sarah Morgan ist eine gefeierte Bestsellerautorin mit mehr als 21 Millionen verkauften Büchern weltweit. Ihre humorvollen, warmherzigen Liebes- und Frauenromane haben Fans auf der ganzen Welt. Sie lebt mit ihrer Familie in der Nähe von London, wo der Regen sie regelmäßig davon abhält, ihren Schreibplatz zu verlassen.</p>
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Sarah Morgan
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