Julia Best of Band 230

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AFFÄRE MIT DEM FEIND
In seinen Armen vergisst Tempest alles - auch, dass der Mann, der sie voller Leidenschaft küsst, eigentlich ihr Feind ist! Gavin will aus Rache die Firma ihres Vaters zerstören. Wie nur kann sie den reichen Geschäftsmann davon überzeugen, dass heiße Liebe wichtiger ist als kalte Vergeltung?

IM BANN DES MILLIONÄRS
Drei Jahre hat Mary ihn nicht mehr gesehen, den Millionär und Lord Kane Brentwood. Muss der charmante Adelige ausgerechnet nun wieder in ihr Leben treten und die alte Leidenschaft in ihr entfachen? Gerade jetzt, wo sie anständig bleiben muss, weckt er jede Menge unanständige Gedanken in ihr …

ERST ZUR PARTY - DANN INS BETT?
Eigentlich wollte Corrine auf der Wohltätigkeitsveranstaltung einen Mann "ersteigern", der sie zu einer Party begleitet. Dass sie mit dem attraktiven Geschäftsmann Kent im Bett landet, war nicht geplant. Erst recht nicht, dass sie sich in ihn verliebt. Denn für sie zählt nur der Job …


  • Erscheinungstag 28.08.2020
  • Bandnummer 230
  • ISBN / Artikelnummer 9783733714727
  • Seitenanzahl 400
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Katherine Garbera

JULIA BEST OF BAND 230

1. KAPITEL

Tempest Lambert, von der Boulevardpresse gern und häufig als Partygirl bezeichnet, stand betont ruhig und konservativ gekleidet im Foyer ihres Wohnkomplexes und bemühte sich, ihre Nervosität im Zaum zu halten. Es war albern. Sie hatte schon Staatsoberhäuptern und anderen Berühmtheiten den Kopf verdreht. Ihr lag die Welt zu Füßen. Aber ein bestimmter Mann schaffte es noch immer, sie in ein Nervenbündel zu verwandeln.

Der von einem Chauffeur gesteuerte Wagen ihres Vaters hielt pünktlich um neunzehn Uhr fünfunddreißig vor ihrem Haus. Normalerweise wäre Tempest selbst zum Galadinner der Leukämie-Stiftung gefahren, aber ihr Vater hatte sie persönlich sprechen wollen. Und dies war der einzige Termin, den er für sie frei gehabt hatte.

Also bemühte Tempest sich, zu lächeln und so zu tun, als wäre das Ganze keine große Sache. Und als ihr Vater sich nicht die Mühe machte, aus dem Wagen zu steigen, um sie zu begrüßen, hatte sie das dumme Gefühl, dass es für ihn tatsächlich keine große Sache war.

„Guten Abend, Miss Lambert.“

„Guten Abend, Marcus.“

Der nicht mehr ganz junge Chauffeur war seit fast zwanzig Jahren bei ihrem Vater beschäftigt. Er schenkte ihr ein warmherziges Lächeln. „Sie sehen heute Abend wieder mal wunderhübsch aus.“

„Danke“, erwiderte sie. Sie freute sich über das Kompliment und spürte, wie sie allmählich ruhiger wurde. Dies war ihr Abend. Sie hatte gerade ein ziemlich unerfreuliches PR-Problem für Tempest’s Fashion aus der Welt geschafft. Ihr Vater hatte ihr sogar eine E-Mail geschickt, in der er ihr zu der guten Arbeit gratuliert hatte. Es war die erste E-Mail, die er ihr je geschickt hatte.

Marcus hielt ihr die Wagentür auf, und Tempest glitt auf den Rücksitz. Ihr Vater telefonierte und schaute nicht einmal auf, als Marcus die Tür hinter ihr schloss.

Tempest versuchte, sich in den komfortablen Ledersitzen des teuren Mercedes zu entspannen. Der Chauffeur saß vorn und war so gut wie unsichtbar für sie und ihren Vater. Sie war nicht nervös. Okay, vielleicht ein wenig. Es war schon lange her, dass sie auf die Zustimmung ihres Vaters gehofft hatte. Immerhin war sie mittlerweile achtundzwanzig und stand auf eigenen Füßen.

August Lambert, der Begründer und Geschäftsführer der Firma Tempest’s Fashion, war ein imposanter Mann. Er maß fast einen Meter neunzig und war Tempest stets riesig vorgekommen, als sie noch ein kleines Mädchen gewesen war. Mit seiner Kette von exklusiven Bekleidungsgeschäften, die er in den Siebzigerjahren eröffnet und nach seiner Tochter benannt hatte, hatte er Amerika in gewisser Weise revolutioniert: Das Modebewusstsein der Amerikaner veränderte sich drastisch.

Er beendete sein Telefonat und machte sich eine Notiz in seinem Terminkalender, bevor er Tempest anschaute. Das Schweigen zwischen ihnen dauerte an, während er ausgiebig ihr Gesicht musterte. Sie fragte sich, was er wohl sah, wenn er sie anschaute.

Einige Leute meinten, sie wäre ein Ebenbild ihrer Mutter, doch Tempest hatte das nie wirklich geglaubt. Ihre Mutter war eine der schönsten Frauen gewesen, die sie, Tempest, je gesehen hatte. Und wenn sie sich selbst im Spiegel sah, fand sie sich nicht schön.

„Danke, dass du dich mit mir getroffen hast“, sagte August.

„Kein Problem. Worüber wolltest du mit mir sprechen?“

„Ich habe Charles Miller befördert.“

Ihr Vater hielt nichts von Small Talk und redete auch nicht gern um den heißen Brei herum. Neuigkeiten wurden von ihm schonungslos und ohne Rücksicht auf Verluste verkündet. Neuigkeiten, die Tempest … na ja … nicht erwartet hatte.

„Charlie Miller? Das soll ein Scherz sein, oder?“ Verdammt, sie hatte doch ruhig und gelassen bleiben wollen.

„Er ist der richtige Mann für den Job.“

Sie warf ihrem Vater einen prüfenden Blick zu – so, wie sie es sich von ihm abgeschaut hatte. „Bitte sag mir nicht, dass du ihn befördert hast und nicht mich, nur weil ich eine Frau bin.“

„Tempest, ich bin kein Sexist.“

Das wusste sie. Sie griff nur nach Strohhalmen, um eine Erklärung für diese Ungeheuerlichkeit zu finden. „Ich bin mir nicht sicher, Vater. Du weißt genau, dass ich mehr Erfahrung als Charlie habe und besser qualifiziert bin.“

August seufzte und rieb sich den Nacken. Er starrte zum Fenster hinaus auf die Uferpromenade des Sees. Tempest liebte Chicago, doch manchmal wünschte sie, es wäre nicht so. Denn dann könnte sie ihren Vater und Tempest’s Fashion einfach hinter sich lassen.

Ihr Vater schien so unnahbar, so einsam, obwohl nur wenige Zentimeter Platz zwischen ihnen waren.

Und sie spürte, wie die Distanz zwischen ihnen größer wurde. Egal, was sie tat, niemals konnte sie seine Anerkennung bekommen. Ganz zu schweigen von seinem Respekt. Okay, in ihrer Teenagerzeit und mit Anfang zwanzig hatte sie die eine oder andere Verrücktheit begangen, aber musste ihr Vater ihr dieses Verhalten für den Rest ihres Lebens vorhalten?

„Ich habe in letzter Zeit nichts getan, um die Aufmerksamkeit der Presse auf mich zu lenken“, sagte sie bemüht ruhig. Der Job in der PR-Abteilung bei Tempest’s Fashion war zu ihrem Lebensinhalt geworden – sie war nicht länger ein Partygirl, sondern hatte sich zu einer erfolgreichen und ehrgeizigen Geschäftsfrau entwickelt. Ein Umstand, den selbst ihr Vater inzwischen hätte registrieren müssen.

„Vor nicht einmal einer Woche erschien ein Artikel über dich und Dean Stratford in der Hello!. Daneben waren ein paar Fotos von euch beiden in eurem Liebesnest abgedruckt.“

„Vater, ich bitte dich. Du weißt genau, dass zwischen mir und Dean nichts ist. Er versucht gerade, von seiner Alkoholabhängigkeit loszukommen, und braucht die Unterstützung seiner Freunde.“

August schaute sie an. „Es ist völlig unerheblich, was ich weiß. Die Leute denken, dass du flatterhaft bist und nichts als Partys im Kopf hast.“

Sie traute ihren Ohren nicht. „Der Vorstand weiß, dass das nicht stimmt.“

August rieb sich die Hände, bevor er sie in seinem Schoß faltete. „Mir ist wichtiger, was die Öffentlichkeit denkt.“

Dagegen konnte Tempest nichts einwenden. Fast bedauerte sie es, nicht widersprechen zu können, doch sie hatte sich schon vor langer Zeit geschworen, sich nicht für ihr Handeln zu entschuldigen. Obwohl sie von der Öffentlichkeit meist falsch eingeschätzt wurde, wusste sie, dass sie immer nur nach bestem Wissen und Gewissen gehandelt hatte.

„Ich denke, dass wir das Bild geraderücken können. Ich arbeite jetzt schon seit Längerem für die Kinderstiftung, und das hilft meinem Image.“

„Das genügt nicht, Tempest. Tempest’s Fashion stehen schwierige Zeiten bevor.“

„Was für schwierige Zeiten?“, hakte sie nach. Da sie in der PR-Abteilung arbeitete, richtete sich ihr Augenmerk eher auf das Image als auf die blanken Zahlen. Aber sie hatte keinerlei Anzeichen von Problemen wahrgenommen.

„Nichts worüber du dir Sorgen machen müsstest.“

„Ich bin bei Tempest’s Fashion angestellt, Vater. Natürlich mache ich mir Sorgen um die Firma. Sag mir, was los ist.“ Noch mehr Sorgen machte sie sich allerdings um ihren Vater. Ihn zu verlieren war immer ihre größte Angst gewesen. Und wenn es Tempest’s Fashion eines Tages nicht mehr geben sollte, dann bliebe ihm nichts mehr, wofür es sich zu leben lohnte.

„Es geht um Renard Investments.“

Schon wieder? Gavin Renard hatte es auf Tempest’s Fashion abgesehen, seit er vor zehn Jahren in der Investment-Szene aufgetaucht war. Ständig versuchte er eine Übernahme zu erwirken.

„Und Charlie ist der bessere Vizepräsident, um dir im Kampf gegen Renard Investments zu helfen?“, fragte sie vorsichtig.

„Ja. Ich brauche einen PR-Chef, der uns eine gute Presse verschafft.“

„Die Artikel über mich sorgen auch für Presse“, murmelte sie.

„Aber nicht die Art von Presse, die mir vorschwebt.“

„Vater, bitte.“

Sie hatte ihr Leben lang versucht, dafür zu sorgen, dass niemand sie bemitleidete. Armes, kleines reiches Mädchen, hatte es anfangs geheißen. Stattdessen hatte sie ihr Leben für eine Weile zu einer großen Party gemacht, und jetzt musste sie dafür bezahlen, wie es schien. Dabei war sie auf Vassar gewesen und hatte ihren Abschluss gemacht. Natürlich waren auch ihr die Gerüchte zu Ohren gekommen, die damals kursierten. Demnach hatte ihr eine Affäre mit dem Dekan zu einem guten Abschluss verholfen. Aber sie wusste, sie hatte ihre Arbeit gut gemacht, und Stan, der Dekan, hatte keinerlei Einfluss auf ihre Noten gehabt.

Tempest schlug die Beine übereinander und genoss das Gefühl, das die weiche Seide ihres Valentino-Kleides auf der Haut hinterließ. Aus dem Augenwinkel heraus betrachtete sie ihren Vater.

Er seufzte, und damit hatte sie ihre Antwort. Warum sie überrascht war, konnte sie nicht verstehen. Sie ärgerte sich, dass sie noch immer etwas von ihm wollte, das er ihr niemals geben konnte.

„Es tut mir leid, Tempest. Ich habe mich entschieden.“

„Ändere deine Entscheidung“, forderte sie ihn auf und begann langsam wütend zu werden, obwohl sie sich mit aller Kraft dagegen wehrte. Verzweifelt bemühte sie sich, genauso gelassen und ruhig zu bleiben wie ihr Vater.

„Ich denke, wir haben die Sache geklärt.“

„Noch nicht. Ich möchte, dass du mir genau sagst, warum ich nicht befördert wurde.“

Er schaute sie direkt an. „Du bist nicht verantwortungsbewusst genug. Ich traue dir diesen Job nicht zu.“

Die Worte schmerzten mehr, als sie erwartet hatte. Und sie spürte, dass ihr Tränen in die Augen traten, doch sie würde in Gegenwart ihres Vaters nicht weinen. Das hatte sie noch nie getan. Sie wusste, dass er das als eine typisch weibliche List ansah, mit der man Männer manipulieren konnte.

„Ich denke, dann kann ich nicht weiter für dich arbeiten.“

„Das ist deine Entscheidung, Tempest.“

„Nein, Vater, deine.“

Gavin Renard ließ seinen Blick durch den überfüllten Ballsaal schweifen, bis er plötzlich Tempest Lambert erkannte. Das Partygirl war von einer Gruppe Menschen umringt und sah nicht so aus, wie Gavin es erwartet hatte. Er war Tempest noch nie persönlich begegnet, obwohl sie vermutlich schon häufiger die gleichen Veranstaltungen besucht hatten. Um ehrlich zu sein, bisher hatte er ihr noch nie viel Beachtung geschenkt … bis heute. Vielleicht lag es daran, dass sie sich sofort von ihrem Vater getrennt hatte, als beide in den Saal gekommen waren.

Auf den Fotos, die Gavin von ihr gesehen hatte, war sie ihm zu dünn erschienen, ihr Mund wirkte schmal, ihre Augen ausdruckslos. Als er sich jetzt durch die Menge drängte, um einen besseren Blick erhaschen zu können, bemerkte er, dass ihre großen blauen Augen heute nicht ausdruckslos waren. In ihnen loderte etwas wie Leidenschaft oder Wut.

Sie war auch nicht so erschreckend dünn, wie sie auf den Fotos gewirkt hatte. Schon als er sie auf der Titelseite von People gesehen hatte, hatte er sie für eine attraktive Frau gehalten, aber in Wirklichkeit strahlte sie eine Schönheit aus, die ihn sprachlos machte.

Tempest Lambert war die Tochter seines Feindes. Also kannte er die Einzelheiten ihres Lebens. Er wusste, dass ihre Mutter an Brustkrebs gestorben war, als Tempest gerade erst sechs Jahre alt gewesen war. Danach war Tempest in ein Internat in die Schweiz geschickt worden und eine ausgezeichnete Schülerin gewesen. Doch mit achtzehn hatte sie das Vermögen ihrer Großeltern geerbt und die Schule verlassen.

Sie hatte sich in das europäische Partyleben gestürzt und keinen Blick zurückgeworfen. Sechs Jahre lang hatte sie ein wildes Leben geführt, ohne Rücksicht auf irgendetwas oder irgendjemanden zu nehmen. Es hatte Gerüchte über Affären mit verheirateten Männern gegeben, skandalöse Fotos in sämtlichen Zeitungen auf dem europäischen Kontinent und hin und wieder auch in den Vereinigten Staaten.

Dann hatte sie dem Partyzirkus den Rücken gekehrt, war in die Staaten zurückgegangen und hatte das College besucht. Der Bericht, den er über ihre Zeugnisse gelesen hatte, deutete darauf hin, dass sie eine ausgezeichnete Studentin gewesen war. Aber wenige Wochen vor dem Abschluss war sie wieder einmal in einen Skandal verwickelt gewesen, als Fotos von ihr und dem Dekan in einer Lokalzeitung erschienen.

Tempest schaute auf und ertappte ihn dabei, wie er sie anstarrte. Er hob eine Augenbraue, wandte den Blick aber nicht ab.

„Was tust du da?“

Ohne den Blick von Tempest zu lösen, antwortete Gavin auf die Frage seines Bruders Michael: „Mit einer hübschen Frau flirten.“

„Sie ist tabu, Gavin. Es sei denn, du hast deine Meinung geändert …“

„Habe ich nicht.“ Er würde seine Meinung niemals ändern, wenn es darum ging, August Lamberts Firma zu übernehmen. August war der Grund dafür, dass Gavin so erfolgreich war. Der Grund, warum er sich und seine Angestellten immer weiter angetrieben hatte, bis seine Firma zu den besten und erfolgreichsten im Land zählte. Der Grund, warum er heute Abend hier war.

Seit er alt genug war, um zu verstehen, wie die Geschäftswelt funktionierte, hatte Gavin gewusst, wer August Lambert war. Anfangs hatte er den Mann noch für das bewundert, was er zustande gebracht hatte, aber nachdem er Augusts Methoden am eigenen Leib zu spüren bekommen hatte, war seine Bewunderung in Ablehnung umgeschlagen.

Er würde niemals die Aufregung vergessen, die er verspürt hatte, als er erfuhr, dass August Lambert einen seiner innovativen Tempest’s-Fashion-Läden in seiner, Gavins, Heimatstadt eröffnen würde. Damals hatte er die Wut seines Vaters auf diesen Mann nicht verstehen können, und mit der für einen Zwölfjährigen typischen Verachtung hatte er auf seinen Vater und dessen Kleinstadtmentalität herabgeblickt.

Aber schon nach kurzer Zeit, als das Leben, das sein Vater für die Familie aufgebaut hatte, zerstört wurde, begann Gavin zu verstehen, warum sein Vater Lambert hasste. Schon bald verspürte auch Gavin Hass auf den Mann und sann auf Rache für das, was dieser seiner Familie angetan hatte. Die Eröffnung des Tempest’s-Fashion-Ladens hatte nach und nach all die kleineren Geschäfte aus der Hauptstraße verdrängt. Gavin hatte zusehen müssen, wie sein Vater um das Überleben der kleineren Läden kämpfte und sogar August Lambert um Hilfe bat. Doch Lambert hatte ihm jede Hilfe verwehrt.

„Natürlich hast du deine Meinung nicht geändert“, erklärte Michael in einem Ton, der Gavin aufhorchen ließ.

„Was meinst du damit?“

„Ich meine nur, dass du dich nicht mit Tempest Lambert einlassen solltest, schließlich arbeitet sie für die Firma, die wir übernehmen wollen.“

Gavin schaute Michael an. „Seit wann brauche ich deine Ratschläge?“

Michael versetzte ihm einen Stoß zwischen die Rippen. „Brüderchen, du brauchst immer Rat, wenn es um dein Privatleben geht.“

„Sicher. Ich glaube, Melinda versucht, deine Aufmerksamkeit zu erregen.“

Michael stöhnte leise, drehte sich aber zu der Frau um, mit der er seit vier Jahren mal mehr, mal weniger eng liiert war.

„Wann wirst du sie heiraten?“

„Wenn du anfängst, auf meine Ratschläge zu hören.“

„Niemals?“

„Ich weiß es nicht“, erwiderte Michael wahrheitsgemäß. „Okay, wir sehen uns noch, Gavin. Denk dran, was ich gesagt habe.“

„Bis später, Michael.“

Während sein Bruder davonschlenderte, sah Gavin, dass Tempest nicht mehr bei den anderen Gästen stand. Die Türen zum Bankettsaal, in dem das Essen serviert wurde, öffneten sich gerade, doch statt mit den anderen hineinzueilen, blieb Gavin stehen, in der Hoffnung, noch einen Blick auf Tempest werfen zu können.

Auf einmal spürte er eine Hand auf seiner Schulter. Lange, manikürte Finger lagen auf dem schwarzen Stoff seiner Smokingjacke. Ein süßlicher, erotischer Duft hing in der Luft, und als er über die Schulter blickte, sah er Tempest.

„Oh, hallo“, sagte er.

„Ich sah, wie Sie mich beobachtet haben.“

„Tatsächlich …“

„In manchen Kulturen wird solch ein offensichtliches Anstarren als grobe Unhöflichkeit angesehen.“

„Und?“

Sie ging um ihn herum und blieb vor ihm stehen. „Und ich glaube, wir wurden einander noch nicht vorgestellt.“

„Gavin Renard.“

„Ah.“

„Also haben Sie schon von mir gehört.“

„Kann sein“, erwiderte sie, und ihre Augen funkelten. Sie nippte an ihrem Drink. „Ich bin Tempest Lambert.“

„Ich weiß, wer Sie sind.“

„Wegen Ihres Geschäftsinteresses an Tempest’s Fashion?“

Ihre Offenheit überraschte ihn. Allerdings wusste er nicht, warum. „Unter anderem.“

Noch einmal nippte sie an ihrem Drink und neigte dann den Kopf zur Seite. „Sie sollten nicht alles glauben, was man über mich schreibt, Mr. Renard.“

Die Sinnlichkeit, die sie ausstrahlte, war unglaublich anziehend. „Das tue ich auch nicht.“

Sie hob die Hand und berührte sein Kinn. Ihre Fingerspitzen glitten sanft über seine Haut. „Gut. Ich möchte Ihnen ein Angebot machen.“

„Das kling äußerst verlockend.“

„Nicht diese Art von Angebot.“

„Ein Mann kann doch hoffen, oder?“

Sie wandte sich ab, ihre Augen funkelten leidenschaftlich.

Interessant.

„Worin besteht Ihr Angebot?“, fragte er.

„Ich bin zurzeit arbeitslos, Gavin. Hätten Sie nicht einen Job für mich?“

Allein der Klang seines Namens aus ihrem Mund ließ sein Herz höher schlagen und das Blut in seinen Adern rauschen. Was würde er erst dafür geben, sie seinen Namen sagen zu hören, wenn sie in seinem Bett lag, erschöpft vom leidenschaftlichen Sex mit ihm … „Nein.“

Sie seufzte. „Ich bin eine gute PR-Managerin, und ich glaube, dass ich für Ihre Firma ein Gewinn wäre.“

„Ich kann Sie nicht einstellen.“ Er überlegte, ob August seine Tochter dazu gedrängt hatte, sich bei Renard Investments um einen Job zu bewerben, vielleicht mit der Absicht, sie als Spionin einzusetzen.

„Sagen Sie nicht sofort Nein. Noch nicht. Lassen Sie mich morgen in Ihr Büro kommen und mit Ihnen sprechen. Wenn Sie meine Referenzen gesehen haben, überlegen Sie es sich vielleicht anders.“

Er berührte ihren Arm. Himmel, ihre Haut war so glatt und weich. Er zog sie fort von der Menschenmenge in einen ruhigeren Teil des Saales. Widerstandslos folgte sie ihm.

Als sie mehr oder weniger allein waren, blieb er stehen, und sie lehnte sich mit dem Rücken gegen die Wand. Sie sah ihn auf eine Weise an, die ein eindeutiges Interesse zu signalisieren schien.

„Spielen Sie nicht mit mir, Tempest.“

„Tue ich nicht“, erwiderte sie leise.

Aber er wusste, dass sie genau das tat. Gavin missfiel der Gedanke, dass er den Reizen der Tochter seines ärgsten Feindes erliegen könnte. Er fürchtete, dass August womöglich den wunden Punkt in seiner ansonsten undurchdringlichen Fassade gefunden hatte. Aber welcher Mann würde seine Tochter auf diese Weise benutzen?

Gavin war zwischen Misstrauen und Verlangen hin- und hergerissen. Schließlich gab er seinem Verlangen nach. Er beugte sich zu Tempest hinunter. Dabei kam er ihr so nahe, dass er sehen konnte, dass sich das Blau ihrer Augen aus vielen unterschiedlichen Schattierungen zusammensetzte und von den dichten langen Wimpern noch betont wurde.

Und erst ihr Mund! Ihre Lippen waren voll und einladend, und als sie sie mit der Zunge befeuchtete, erinnerte er sich auf einmal daran, wie lange er schon keine Frau mehr in den Armen gehalten hatte.

Aber er konnte Tempest nicht trauen. Das Beste wäre vermutlich, wenn er sie abschreckte, indem er ihr ganz direkt Avancen machte. Nach dem, was er über sie gelesen hatte, umgab sie sich normalerweise mit verwöhnten und verhätschelten jungen Männern, die es sich auf Kosten ihrer Familien gut gehen ließen.

„Gavin?“

„Ich brauche Sie nicht in meiner PR-Abteilung … aber …“, begann er.

„Sagen Sie es nicht“, warnte sie ihn.

Er brauchte seine Bitte nicht auszusprechen. Stattdessen zog er sie einfach ein wenig näher und senkte den Kopf. Sie erschauerte leicht, als sein Atem über ihre Haut strich, und auch er wurde von einer Welle der Erregung erfasst.

„Es ist offensichtlich, dass wir uns zueinander hingezogen fühlen“, flüsterte er.

Sie zog sich von ihm zurück. „Ich finde Sie tatsächlich attraktiv, was überhaupt keinen Sinn ergibt.“

Himmel, als wenn er das nicht selbst wüsste. Aber er wollte Tempest. Mehr als gut für ihn war. Es war eine völlig unlogische und irrationale Empfindung, doch sie fühlte sich so überaus gut an.

Zu gut. Anscheinend wachte er langsam aus dem tiefen Winterschlaf auf, in dem er und auch seine Hormone sich befunden hatten, während er sich auf seinen Rachefeldzug konzentriert hatte. Auf Tempests Miene zeichnete sich ein Anflug von Traurigkeit ab und die Art von Entschlossenheit, die ihn fast um den Verstand brachte.

Er sah, dass sie bei seinen Worten errötet war. Sie straffte die Schultern, und ihre Brüste hoben sich ihm einladend entgegen.

Er streichelte ihr die Wange. Ihre Haut war weicher als ein Pfirsich. Langsam senkte sie die Lider, während er ihr Gesicht erkundete. Sanft strich er über ihre Lippen, die sich unter seiner Berührung öffneten.

Sie lehnte den Kopf zurück und schwankte ein ganz klein wenig in seine Richtung. Diese Frau strahlte eine Art von Überheblichkeit aus, die ihn faszinierte. Er wollte sie in die Arme nehmen und sehen, was von ihrem Stolz blieb, nachdem er stürmisch ihren Mund erobert hatte.

Sie zuckte mit den Schultern. „Ich bin nicht an einer Affäre, sondern an einem Job interessiert, Gavin.“

Einstellen konnte er sie unter keinen Umständen, aber er wollte auch nicht, dass Tempest einfach wieder verschwand. Und genau das würde sie tun, wenn er sie jetzt abwies. „Ich kann Ihnen morgen um elf Uhr einen Termin geben.“

„Wunderbar. Machen Sie sich auf eine Überraschung gefasst“, sagte sie, warf den Kopf in den Nacken und ging davon.

2. KAPITEL

Tempest hatte sich für das Vorstellungsgespräch bei Gavin Renard besonders sorgfältig gekleidet. Ihr schwarzes Chanel-Kostüm war ein Klassiker. Sie trug es gern, denn es vermittelte ihr ein Gefühl von Sicherheit. Dazu hatte sie ultradünne französische Nylonstrümpfe und elegante Ferragamo-Schuhe angezogen.

Trotzdem war sie nervös. Ihre Hände zitterten, als sie an dem Kaffee nippte, den Gavins Sekretärin Marilyn ihr eingeschenkt hatte. Es missfiel ihr, dass ihre Nervosität so offensichtlich war, und sie versuchte, im Geist noch einmal durchzugehen, was sie zu Gavin sagen wollte.

Allerdings dachte sie dabei nicht nur an den Job, den Gavin ihr geben könnte, sondern auch an Gavin Renard als Mann, und das machte sie noch nervöser. Es war eine Sache, ihn als den Mann zu sehen, der ihr dabei helfen sollte, ihrem Vater begreiflich zu machen, dass er eine gute Angestellte verloren hatte. Aber es war eine ganz andere Sache, wenn dieser Mann ihre Pläne durcheinanderbrachte. Um ehrlich zu sein, einen richtigen Plan hatte sie nicht gehabt, als sie gestern Abend zu Gavin hinübergegangen war. Sie hatte einfach nur den Mann treffen wollen, der ihrem Vater so viele Probleme bereitete. Und sie hatte sehen wollen, ob er ihr nützlich sein könnte, damit ihr Vater sie vielleicht doch noch für die Beförderung in Betracht zog. All diese Gedanken hatten sich jedoch in Luft aufgelöst, als sie gemerkt hatte, wie sehr sie sich zu Gavin hingezogen fühlte.

„Miss Lambert?“

„Ja?“

„Mr. Renard kann Sie jetzt empfangen.“

Lächelnd dankte sie der Sekretärin und stellte die Kaffeetasse auf den Tisch. Nachdem sie noch einmal tief Luft geholt hatte, stand sie auf. Ihre Mutter hatte ihr immer geraten, sich Zeit zu lassen. Es wäre besser, zu spät, aber gut vorbereitet zu kommen als pünktlich und unvorbereitet.

Zur Aufmunterung dachte sie an das Lied „Welcome to the Jungle“ von Guns N’ Roses, bevor sie ihre Aktentasche nahm und in Gavins Büro ging.

Gavin, der am Schreibtisch gesessen hatte, erhob sich, als sie eintrat. Die Farbe seines Hemdes, ein dunkles Blau, ließ seine grauen Augen im Bürolicht noch leuchtender erscheinen. Er war größer, als sie ihn erinnerte, doch dann fiel ihr ein, dass sie am Abend vorher Schuhe mit sehr hohen Absätzen getragen hatte. Sie lächelte ihn an, während die Melodie in ihrem Kopf von dem Rocksong zu Sades „Smooth Operator“ wechselte.

Oh verflixt, dachte Tempest. Ich bin schon nervös genug, muss der Mann zu allem Überfluss auch noch so gut riechen? Der würzige, männliche Duft umfing sie, als Gavin die Hand ausstreckte. Das und die langsame, sinnliche Musik in ihrem Kopf führten dazu, dass sie beinah ihre Umgebung vergaß.

„Guten Morgen, Tempest.“

Sie schüttelte den Kopf, um wieder klar denken zu können. Gavin gab ihr die Hand, und sie hielt sie ein wenig länger, als gut für sie war. Nein, dachte sie. Ich bin nicht nervös. Ich bin ruhig, cool, völlig beherrscht und gefasst.

„Guten Morgen, Gavin. Haben Sie die Benefizveranstaltung gestern genossen?“

„Ja. Bitte setzen Sie sich.“

So viel zum Thema Small Talk. Es war klar, dass Gavin nichts auf die Höflichkeitsfloskeln gab, die einen Großteil ihres Lebens bestimmten. Sie nahm sich vor, sich das zu merken, setzte sich und zog ihren Lebenslauf aus der Tasche.

„Danke, dass Sie mir so kurzfristig einen Termin gegeben haben und mir Ihre Zeit schenken.“

„Ich weiß immer noch nicht genau, warum ich es tue“, erwiderte er.

Einen Moment lang fürchtete Tempest, einen großen Fehler begangen zu haben, doch dann begegneten sich ihre Blicke, und ihr wurde klar, dass Gavin aus demselben Grund zugestimmt hatte, aus dem sie gefragt hatte: gegenseitige Anziehungskraft. Sie wusste, es war eine unmögliche Situation. Er würde niemals vergessen, dass sie die Tochter ihres Vaters war.

Aber sie gehörte nicht zu den Menschen, die einen Rückzieher machten. Ihr Motto war, immer vorwärtszustreben und niemals zurückzublicken. Ihr war es sehr wichtig, dass Gavin sie in erster Linie als mögliche Angestellte und erst dann als Frau sah. Und er sollte vergessen, dass sie eine Lambert war. Heute schien ihr das besonders wichtig. Sie war einfach eine von vielen Arbeit suchenden Frauen.

„Weil Sie ein gewiefter Geschäftsmann sind, der weiß, wann er etwas Gutes sieht“, sagte sie. Bleib cool, ermahnte sie sich.

„Das, was ich gestern gesehen habe, hat mir ausgesprochen gut gefallen.“

Sie lächelte ihn an. Vielleicht würde es ja doch einfacher werden, als sie erwartet hatte. Sie könnte den Umstand nutzen, dass sie sich zueinander hingezogen fühlten.

„Mir auch.“

Er verzog seine Mundwinkel zu einem kleinen Lächeln. Es war der arrogante Ausdruck eines Mannes, der sich seiner Wirkung auf das andere Geschlecht durchaus bewusst ist. Aber auch ihr fehlte es nicht an Selbstvertrauen. Sie schlug die Beine übereinander, sodass ihr Rock ein winziges Stück nach oben rutschte, was Gavin nicht verborgen blieb.

„Was genau tun Sie, Tempest?“

„Ich habe in der PR-Abteilung gearbeitet. Dort war ich für das meiste, das Sie in den letzten drei Jahren über Tempest’s Fashion in der Presse gelesen haben, verantwortlich.“

„Wie kommen Sie auf die Idee, dass ich mich für Artikel über Ihre Firma interessieren könnte?“

„Ich bitte Sie, Gavin. Wir wissen doch beide, dass Sie über jeden Schritt, den Tempest’s Fashion macht, Bescheid wissen.“

Er zuckte mit der Schulter und lehnte sich in seinem Stuhl zurück. „Stimmt.“

Er sagte nichts weiter, und das Schweigen zwischen ihnen begann unangenehm zu werden. Tempest konnte es nicht ertragen, weil sie wusste, dass Gavin die Zeit nutzte, um sich Argumente zu überlegen, warum er sie nicht einstellen konnte. Weil er die Worte finden würde, um ihr zu sagen, sie solle ihre Tasche nehmen und verschwinden.

Aber dies hier war ihre einzige Möglichkeit, ihre einzige Chance, um in irgendeiner Form sicherzustellen, dass ihr Vater erkannte, was er sich entgehen ließ … und zwar für immer.

„Schauen Sie sich einfach meinen Lebenslauf an. Ich denke, Sie werden sehen, dass ich mehr zu bieten habe, als Sie erwartet haben.“

„Das habe ich schon entdeckt.“

Diese Aussage überraschte sie ein wenig. Sie reichte ihm ihren Lebenslauf und lehnte sich zurück.

Tempests Lebenslauf war tatsächlich beeindruckender, als Gavin erwartet hatte. Er wusste nicht, wieso er überrascht war. Er hatte am Morgen einige Telefonate geführt und mehr über die Tochter seines Feindes herausgefunden, als ihr vermutlich lieb war.

Jeder, mit dem er gesprochen hatte, erwähnte ihre herausragende Intelligenz und ihre Gabe, anderen Menschen ein gutes Gefühl zu vermitteln. Es gelang ihr stets, selbst in der schlimmsten Situation noch etwas Gutes zu sehen und es dann so zu präsentieren, dass die Medien sich darauf konzentrierten.

Kurz gesagt, sie wäre die perfekte Ergänzung für sein Team, wenn sie nicht August Lamberts Tochter wäre. Aber das war sie nun einmal. Und daran würde sich auch nichts ändern.

Gavins geheimer Informant bei Tempest’s Fashion hatte ihm nichts darüber sagen können, warum Tempest auf der Suche nach einem neuen Job war. Aber das würde er heute herausfinden. Um zu sehen, ob er ihren Weggang bei Tempest’s Fashion zu seinem Vorteil nutzen konnte.

Erneut bewegte sie ihre Beine, und er sah gebannt zu. Sie hatte fantastische Beine. Seine Gedanken schweiften ab, und er konnte nur noch daran denken, wie weich sich die Haut ihrer Schenkel wohl anfühlen würde. Selbst das wenige, was er davon bisher hatte sehen können, genügte, um ihn zu erregen. Zu gern hätte er sie berührt.

Er runzelte die Stirn und zwang sich, sich auf Tempests Lebenslauf zu konzentrieren. Er würde sich nicht mit ihr einlassen, würde sich nicht in eine Affäre mit der Tochter seines Feindes stürzen. Das hatte nichts mit dem Ratschlag seines Bruders zu tun, sondern mit seinem Ziel. Jetzt, wo er so kurz davor war, seinen Lebenstraum zu verwirklichen, konnte er sich keinerlei Ablenkung leisten. Zehn Jahre lang hatte er auf diese Rache hingearbeitet, und so kurz vor der Ziellinie würde er sich nicht mehr davon abbringen lassen.

„Warum haben Sie Tempest’s Fashion verlassen?“, wollte er von Tempest wissen. Auf diese Frage hatte niemand eine Antwort gewusst.

„Ich hatte Meinungsverschiedenheiten mit meinem Chef.“

„Sie meinen Ihren Vater, oder?“

Sie richtete sich auf, stellte beide Beine auf den Boden und schaute Gavin direkt in die Augen. „Ich habe den Job damals nicht bekommen, weil bei uns Vetternwirtschaft herrscht. Ich musste hart arbeiten, anfangs in unserer wohltätigen Stiftung, wo ich gezeigt habe, was ich kann. Anschließend bin ich in die PR-Abteilung von Tempest’s Fashion gewechselt.“

„Das will ich Ihnen gern glauben.“ Ihm war bewusst, dass sie ihren Job aus den gleichen Gründen bekommen hatte wie alle anderen Angestellten. Weil sie für die Arbeit qualifiziert gewesen war und über ausgezeichnete Fähigkeiten verfügte. Vermutlich hatte sie sogar noch härter arbeiten müssen als alle anderen.

Aufgrund seiner umfangreichen Recherchen war ihm natürlich zu Ohren gekommen, dass die Beziehung zwischen Tempest und ihrem Vater sehr angespannt war. Und daher wollte Gavin nicht, dass sie sein Büro verließ, ehe er einen Weg gefunden hatte, wie er das für seine Zwecke nutzen konnte. Irgendetwas war ihm bisher entgangen.

„Darüber werde ich kein weiteres Wort verlieren. Wenn Sie den Vorteil nicht sehen, den es Ihrem Unternehmen bringen würde, wenn ich bei Ihnen arbeitete, dann sind Sie nicht der Mann, für den ich Sie gehalten habe.“

Er schaute sie an und merkte widerstrebend, dass er Respekt empfand. Sie kämpfte mit harten Bandagen – sie wollte gewinnen. Und das war etwas, das er immer respektierte. Problematisch wurde es nur, wenn August Lambert gewann.

Aber vielleicht könnte dessen Tochter irgendwie der Schlüssel sein, um Lambert zu Fall zu bringen. Und fallen würde er, dafür würde Gavin sorgen.

Im Moment jedoch musste er Tempest noch ein paar Antworten entlocken. Er sollte die Sache hier wie ein richtiges Bewerbungsgespräch betrachten, den Blick von ihren Beinen losreißen und sich darauf konzentrieren, weshalb sie hier war. „Warum haben Sie sich für den PR-Bereich entschieden, Tempest?“

Sie entspannte sich und schlug erneut ihre langen Beine übereinander. „Es schien die richtige Wahl für mich. Ich kenne viele Medienleute.“

„War es nur wegen Ihrer Kontakte?“, hakte er nach. Es musste noch weitere Gründe gegeben haben. Tempest war jahrelang von der Presse verfolgt worden, bevor sie selbst in der PR-Abteilung zu arbeiten begann. Er fand, es war ein cleverer Schachzug von ihr gewesen, den Spieß umzudrehen. Es zu ihrer Karriere zu machen, sich mit der Presse abzugeben.

Sie schluckte. „Ich wollte dafür sorgen, dass endlich einmal etwas Wahres von mir veröffentlicht wird. Damit sich die Presse nicht länger auf mich, sondern auf etwas anderes konzentriert. Deshalb habe ich mit der Stiftungsarbeit angefangen. Ich wusste, dass mich niemand ernst nehmen würde, solange ich mein Image nicht ändere.“

Gavin hatte großen Respekt vor dem, was sie getan hatte. In gewisser Weise hatte er eine ähnliche Entscheidung getroffen, als er sich für seinen Beruf im Bereich Investment entschieden hatte. Seine Familie hatte mit nichts begonnen, und er hatte alles erreicht, indem er das, was seinen Vater ruiniert hatte, aufgegriffen und zu seiner persönlichen Stärke gemacht hatte.

„Gute Entscheidung.“

„Danke“, sagte Tempest und schenkte ihm ein Lächeln, das ihm fast den Atem raubte. Sie hatte ein wunderbares Lächeln.

„Okay, so beeindruckend Ihre Qualifikationen auch sind, ich kann Sie trotzdem nicht einstellen.“

Ihr Lächeln erstarb, und sie blinzelte einige Male. „Liegt es daran, dass ich eine Lambert bin?“

Ja, dachte er. Sie musste doch einsehen, dass er ihr keinen Job geben konnte. Aber er wollte auch nicht, dass sie jetzt einfach ging. Er wollte sie wiedersehen. „Nur zum Teil. In meiner PR-Abteilung gibt es zurzeit keine freie Stelle.“

„Aber meine Herkunft spielt auch eine Rolle. Warum vergessen Sie nicht einfach, wer mein Vater ist?“

„Es ist ein großer Teil dessen, wer und was Sie sind, Tempest. Selbst wenn ich eine freie Stelle hätte, würde ich Sie nicht einstellen.“

„Ihnen entgeht eine überdurchschnittlich gute PR-Mitarbeiterin, Gavin“, erwiderte sie, während sie aufstand und nach ihrer Aktentasche griff.

Gavin erhob sich ebenfalls und ging zur Tür, um Tempest am Gehen zu hindern.

„Ich denke, wenn ich Sie einstelle, würde mir eine überdurchschnittlich interessante Frau entgehen, Tempest.“

Erstaunt sah sie ihn an. Vermutlich überlegte sie, was sie als Nächstes tun sollte. Einen Moment lang fragte Gavin sich, ob er vielleicht nicht der Einzige war, der hier auf der Suche nach Informationen war und der mit Emotionen zu kämpfen hatte, die er nicht genau einordnen konnte.

Das wollte er herausfinden. In seinem Büro würde er ihr niemals ganz über den Weg trauen, aber in seinem Schlafzimmer … das wäre eine ganz andere Sache.

„Wollen Sie damit sagen, dass Sie mit mir … ausgehen wollen?“

Darüber musste er einen Augenblick lang nachdenken. Mit ihr auszugehen war nicht viel anders, als sie einzustellen. Sie würde immer die Tochter seines Gegners bleiben … andererseits hatte er sich schon zu lange nur auf seine Rache konzentriert.

Nur wenige Zentimeter trennten ihre Körper voneinander. Vorhin, als sie Gavin zur Begrüßung die Hand geschüttelt hatte, war Tempest schon aufgefallen, wie gut er roch. Doch jetzt, wo er so nahe bei ihr stand, war der Duft seines würzigen Aftershaves noch intensiver. Als Gavin näher kam, zwang Tempest sich, nicht zurückzuweichen. Sekunden später war das Bedürfnis nach Abstand doch zu groß, und sie trat ein wenig zur Seite.

Gavin war durch und durch ein Mann. Völlig von sich und seinem Eindruck auf sie überzeugt. Sie wünschte, sie könnte ihn eines Besseren belehren. Wünschte, sie könnte von ihm wegtreten und ihn mit einem herablassenden Kommentar in die Schranken weisen. Ihn daran erinnern, dass sie August Lamberts Tochter war.

„Sie kommen mir zu nahe“, sagte sie vorsichtig. Dieser Mann brachte sie völlig aus der Ruhe. Um zu wissen, wie sie am besten mit ihm umging, kannte sie ihn noch nicht gut genug. Sie wusste nur eins: Sie würde sein Büro nicht ohne ein Angebot von ihm verlassen. Ihr Stolz stand auf dem Spiel, und um ehrlich zu sein, war Stolz das Einzige, das sie je wirklich ihr Eigen hatte nennen können.

„Gut.“

„Warum gut?“

„Ich mag es, wenn Sie so kratzbürstig sind.“

„Ich bin nicht kratzbürstig, sondern gut erzogen.“ Niemand hatte je so mit ihr geredet. Gavin behandelte sie, als wäre er in keiner Weise von ihrer Herkunft beeindruckt, was er wohl auch nicht war. Er mochte ihren Vater nicht. Hatte er diese Gefühle auch auf sie übertragen?

„Ich bin kein gut erzogener Mann“, konterte er.

Ihr wurde klar, dass sie so gut wie gar nichts über Gavin wusste. Seine Worte verrieten, was er zum Ausdruck bringen wollte, nämlich dass er nicht die gleiche privilegierte Ausbildung wie sie genossen hatte. „Nun, nur damit Sie Bescheid wissen, ich neige dazu, herablassend zu wirken.“

„Ich werde es mir merken.“

Es war unglaublich, was aus ihrer Besprechung geworden war. Sie flirtete mit einem Mann, der mehr oder weniger gesagt hatte, dass er nicht das tun würde, was sie von ihm wollte. Und aus irgendeinem Grund tat es nicht so weh, wie sie befürchtet hatte. Allerdings war sie ja auch eine Meisterin, wenn es darum ging, Schmerzen zu verheimlichen, die ihr die Männer, die ihr etwas bedeuteten, antaten. Dabei bedeutete Gavin ihr noch gar nichts.

Okay, Gavin war also nicht willens, ihr einen Job zu geben. Aber so schnell warf sie nicht das Handtuch.

„Ich schlage Ihnen einen Deal vor“, sagte sie.

„Ich bin an Deals nicht interessiert.“

„Das soll wohl ein Scherz sein. Ihre gesamte Karriere basiert darauf, dass Sie Deals abschließen.“

Er beugte sich näher zu ihr und stützte die Hände rechts und links von ihrem Kopf an der Wand ab. Und schon war sie gefangen. Langsam ließ er den Handballen auf ihre Schulter sinken und vergrub die Finger in ihrem Haar.

„Ist das ein geschäftliches Angebot?“, wollte er wissen, während er ihren Kopf ein wenig zur Seite bog und mit dem Daumen ihr Kinn streichelte.

Er berührte sie so vorsichtig. Als wäre sie etwas Zartes, Zerbrechliches. So ganz anders, als sie sonst behandelt wurde. Jedermann wusste, dass sie unheimlich zäh war. Mutig, unverfroren und hochnäsig. Und keine Schwächen zeigte.

„Tempest?“

Wovon, zum Kuckuck, redete er? Dann fiel es ihr wieder ein. Sie hatte einen Deal mit ihm abschließen wollen. Sie wollte ihn dazu überreden, dass er sie einstellte. Und sie würde alles tun, um seine Aufmerksamkeit zu erregen. Wenn das bedeutete, dass sie die Anziehungskraft, die ganz offensichtlich zwischen ihnen herrschte, ausspielen musste, dann war es eben so.

„In gewisser Weise.“

„In gewisser Weise?“

Sie dachte fieberhaft nach und versuchte, seine körperliche Nähe zu ignorieren. Sie senkte die Lider, damit sie nicht in diese strahlenden Augen blicken musste. Doch dadurch wurde sie sich seiner Körperwärme und seines wohlriechenden Aftershaves noch bewusster. Nervös räusperte sie sich. „Lassen Sie mich ein Medienereignis für Sie bearbeiten, und wenn ich einen guten Job mache, dann stellen Sie mich ein.“

Er schaute ihr direkt in die Augen, und sie erriet seine Antwort, bevor er etwas sagte. Schnell legte sie ihm einen Finger auf die Lippen.

„Tempest …“

„Sagen Sie nicht Nein.“

Er beugte sich herab, sodass sein warmer Atem ihr Ohr streifte, als er sprach. Ein kleiner Schauer durchrieselte sie, und sie hatte das Gefühl, dass Gavin ganz genau wusste, wie man eine Frau verführte. Und es war so lange her, dass sie mit einem Mann zusammen gewesen war. Drei Jahre, um genau zu sein. Drei lange Jahre, in denen sie sich auf ihre Karriere konzentriert hatte. Und was hatte es ihr gebracht?

„Tempest …“

„Was ist?“, fragte sie und neigte den Kopf, sodass ihr Mund nur noch einen Hauch von seinem entfernt war. Sie befeuchtete ihre Lippen und sah, wie sein Blick der Bewegung ihrer Zunge folgte.

„Ich kann die Tochter meines Konkurrenten nicht einstellen.“

Das hatte sie befürchtet. Natürlich war ihr bewusst gewesen, dass es ziemlich aussichtslos war, aber sie hatte ihr Leben lang gegen einen Mann gekämpft, der entschlossen war, nichts für sie zu empfinden. So leicht gab sie nicht auf, und das hatte sie auch jetzt nicht vor.

„Ich bin nicht Ihre Konkurrentin“, antwortete sie. „Das könnte sich zu Ihrem Vorteil entwickeln.“

Er schüttelte den Kopf.

„Gavin, das ist meine letzte Chance, um ihm zu beweisen, dass er einen Fehler begangen hat. Ich werde Ihr Büro erst verlassen, wenn Sie Ihre Meinung geändert haben.“

„Ein Ultimatum?“

„Ein Versprechen. Ich bin nicht die leichtfertige Erbin, von der Sie in der Zeitung gelesen haben. Ich bin eine gut ausgebildete Kraft, die für Sie arbeiten könnte.“

Er seufzte und trat von ihr fort. „Ich verspreche Ihnen nichts, aber ich werde an Sie denken, wenn ich eine freie Stelle habe.“

„Mehr verlange ich ja gar nicht.“

„Bis dahin …“

„Ja?“

„Abendessen?“

„Was ist damit?“, fragte sie. So einfach würde sie eine Einladung nicht annehmen. Schließlich war sie Tempest Lambert.

„Würden Sie heute Abend mit mir essen gehen?“

„Ich bin beschäftigt.“

„Lügnerin.“

„Ich habe Pläne. Sie können mitkommen, wenn Sie möchten. Ich hole Sie um neunzehn Uhr ab.“

3. KAPITEL

Gavin war überrascht gewesen, als er die E-Mail von Tempest erhalten hatte, in der sie ihn bat, sich mit ihr in der Gillock-Galerie an der nördlichen Ravenswood Avenue zu treffen. Er hatte länger als geplant gearbeitet und hatte sich dann auf den Weg durch die Stadt zur Galerie gemacht, in der die Ausstellung von Pablo Montovan eröffnet werden sollte – einem Künstler, von dem Gavin noch nie gehört hatte.

An der Eingangstür erwähnte er Tempests Namen und wurde sofort hereingelassen. Nachdem er von einem Kellner mit einem Glas Wein versorgt worden war, ging er durch den Raum und schaute sich die Bilder an. Bisher hatte er sich nicht sonderlich für Kunst begeistert. Michael sammelte Skulpturen, und seine Mutter hatte eine Vorliebe für Fotografien. Aber Gavin war an nichts anderem interessiert, als August Lambert zu ruinieren.

Zum ersten Mal erkannte er, wie eindimensional sein Leben war. Wie sehr er sich auf seine Arbeit konzentrierte. Er nippte an dem kalifornischen Chardonnay und betrachtete eingehend eins der Bilder. Es zeigte eine Menschenmenge, und je länger er das Bild anschaute, desto deutlicher wurde ihm, wie einsam jede dieser Personen war. Isoliert inmitten einer großen Gruppe.

Er spürte eine Hand auf seiner Schulter, und als er sich umdrehte, stand er Tempest gegenüber.

„Gefällt es Ihnen?“

„Ich bin nicht sicher.“

„Warum nicht?“, fragte sie. Sie trug ein schlichtes schwarz-weißes Cocktailkleid, das ihre schlanke Figur vorteilhaft zur Geltung brachte.

Er zuckte mit den Schultern, nicht gewillt, darauf zu antworten.

„Dieses Kunstwerk, das den Titel ‚Warten‘ trägt, macht mich irgendwie traurig. Die Menschen scheinen bedrückt zu sein, fast so, als würden sie alle schicksalsergeben auf das nächste Unglück warten.“

Er trank noch einen Schluck Wein.

„Kommen Sie, Gavin, sagen Sie mir, was Sie sehen.“

„Ich bin kein großer Kunstkenner“, wich er aus, weil er fürchtete, dass jeglicher Kommentar zu viel von seinem inneren Aufruhr verraten könnte.

Er bemerkte die Enttäuschung in ihren Augen und redete sich ein, dass es unerheblich war. Er war nur aus Neugier heute Abend hierher gekommen. Allerdings bezog sich seine Neugier weniger auf die Kunst als vielmehr auf die Frau, die ihm so viele Rätsel aufgab.

„Ziemlich großer Andrang hier.“

Tempest seufzte und lächelte ihn an. Aber es war nicht ihr übliches Strahlen.

„Ja, das stimmt. Ich hatte schon Angst, dass Pablo hier nicht so ankommen würde wie in Europa.“

„Sind Sie mit dem Künstler befreundet?“, wollte er wissen. Es gab anscheinend wenige Kreise, in denen Tempest nicht irgendjemanden kannte. Das war für jeden PR-Direktor ein großer Vorteil. Eine Minute lang fragte er sich, ob sie in seinem Büro ehrlich gewesen war. Suchte sie tatsächlich nur einen Job? Oder lag er womöglich doch richtig mit seiner Vermutung, dass ihr Vater sie als Köder benutzte?

„Ja. Ich möchte, dass Sie ihn kennenlernen. Als ich durch die Eingangshalle Ihres Büros ging, habe ich festgestellt, dass die Wände ein wenig kahl wirken. Pablos Bilder würden sich unglaublich gut dort machen.“

Gavin ließ die Bemerkung unkommentiert und folgte Tempest durch die Menge, blieb stehen, wenn sie es tat, und unterhielt sich mit Menschen, mit denen er nichts gemeinsam hatte. Doch nach und nach bemerkte er, dass es ihm nichts ausmachte. Es gefiel ihm, Tempest zuzuhören, und ihre Art, mit anderen zu reden, mochte er auch.

Mühelos gelang es ihr, anderen ein gutes Gefühl zu vermitteln. Sie fand allerlei Verbindungen zwischen den verschiedenen Gruppen und begann, angeregte Unterhaltungen zu führen. Ihn stellte sie einfach als den Leiter einer Investmentfirma vor, und wenn einige Leute die Augenbrauen hochzogen, weil sie von der Konkurrenz zwischen ihm und August gehört hatten, dann ging sie einfach darüber hinweg.

Was beabsichtigte sie? Wollte sie in der Öffentlichkeit Misstrauen säen, sodass seine Investoren nervös wurden und sich zurückzogen?

Erneut keimten Zweifel in Gavin auf. Kurz entschlossen nahm er Tempests Hand und ging mit ihr durch den überfüllten Raum. Um dem Lärm der Unterhaltungen und der Musik zu entgehen, flüchtete er mit ihr in einen ruhigen Flur, der etwas abseits lag.

„Was ist?“, fragte Tempest.

„Warum haben Sie mich heute Abend hierher eingeladen?“

Sie zuckte mit den Schultern und schaute auf die Menschenmenge. Zum ersten Mal, seit er Tempest getroffen hatte, wirkte sie nervös. Ihre übliche Unverfrorenheit schien auf diesem ruhigen Gang und angesichts seiner Frage zu schwinden.

„Ich wollte Sie besser kennenlernen“, meinte sie schließlich. „Ich werde Sie nicht anlügen. Ich hoffe immer noch, dass ich Sie davon überzeugen kann, mir einen Job zu geben.“

„Warum wollen Sie mich besser kennenlernen?“, hakte er nach und ignorierte die Sache mit dem Job. Er hatte bereits beschlossen, sie nicht einzustellen, und daran würde sich auch nichts ändern. „Hat Ihr Vater Sie etwa damit beauftragt, mich auszuspionieren?“

Sie schlang die Arme um ihre Taille und machte zwei Schritte von ihm fort. In ihren Augen lag so viel Schmerz, dass er sich am liebsten entschuldigt hätte, doch er tat es nicht. Er hatte ihr lediglich eine durchaus nachvollziehbare Frage gestellt.

„So bin ich nicht, Gavin.“

Erwartungsvoll sah sie ihn an, und er spürte, dass sie hoffte, er würde einlenken. Doch er wusste nicht, was er sagen sollte.

Als sie sich von ihm abwandte, legte er ihr eine Hand auf den Ellenbogen, um sie aufzuhalten. „Seien Sie nicht beleidigt. Es war eine logische und rationale Schlussfolgerung.“

„Und Sie handeln immer rational, oder?“

„Ja. Ich verstehe Sie übrigens nicht.“ Sein Vater hatte ihn gelehrt, dass wichtige Entscheidungen nicht aus dem Bauch heraus getroffen werden sollten. Er hatte ihm beigebracht, seinen Verstand zu benutzen.

„Was gibt es da zu verstehen? Ich hätte gern die Möglichkeit, bei Ihnen zu arbeiten, und ich fühle mich zu Ihnen hingezogen. Ich dachte, wir hätten uns darauf geeinigt, dass wir zumindest diese gegenseitige Anziehungskraft näher erforschen wollten.“

Hatten sie das? Er war sich jetzt nicht mehr sicher, was sie abgemacht hatten. Abgelenkt von ihrer unglaublich weichen Haut, ließ er den Finger über die Innenseite ihres Armes gleiten. Natürlich wusste er, dass er aufhören sollte. Dass diese Berührung viel zu intim für solch einen öffentlichen Raum war, aber Tempest fühlte sich einfach zu gut an. Keine Frau sollte so weiche Haut haben.

Tempest bekam eine leichte Gänsehaut und drehte sich wieder herum, um ihn anzuschauen. „Sie können die Anziehungskraft nicht leugnen.“

„Das will ich auch gar nicht“, gab er zu. Auch wenn es nicht logisch war, machte es keinen Sinn, Gefühle zuzugeben, die, wie er wusste, völlig unvernünftig waren.

„Aber Sie möchten sie auch nicht weiter ergründen“, stellte sie fest.

„Stimmt.“

Erneut wandte sie sich von ihm ab, und dieses Mal ließ er sie los. Ihre Miene verriet, wie verletzt sie war. Wie war es wohl gewesen, mit August als Vater aufzuwachsen?

Tempest war die Erste, die zugeben würde, dass sie nicht immer die beste Figur machte, wenn es um Männer ging, die sie beeindrucken wollte. Aber normalerweise gelang es ihr, sich so weit im Griff zu haben, dass deren Kommentare sie wenigstens nicht verletzen konnten.

Gavin war anders. Sie wollte wirklich einen guten Eindruck bei ihm hinterlassen. Doch alles, was sie tat, sah er als ein Manöver im andauernden Konkurrenzkampf mit ihrem Vater an.

„Ich würde Ihnen gern noch Pablo vorstellen, und dann können wir einander Lebewohl sagen“, meinte sie. Sie hatte erkannt, dass Gavin seine Meinung nicht ändern würde. Egal, was sie auch tat, um ihm zu beweisen, dass sie qualifiziert genug war, um für ihn zu arbeiten, er würde sie nicht einstellen.

„Ich möchte Pablo nicht kennenlernen.“

„Ich verspreche, dass Sie es nicht bereuen werden.“

Gavin legte eine Hand in ihren Nacken und zog sie wieder an sich. Als er den Kopf senkte und tief einatmete, hielt Tempest ganz still. Sie traute sich nicht, sich zu bewegen.

„Ich bereue alles, was heute Abend geschehen ist.“

In seinen Worten schwang eine Endgültigkeit mit, die sie lieber überhört hätte. Aber es war eindeutig, er sagte wirklich Lebewohl. Sie schluckte, und schweren Herzens löste sie sich von ihm.

Eine Vielzahl von Gedanken schossen ihr durch den Kopf. Bedauern, dass sie diesen Mann, zu dem sie sich so hingezogen fühlte, nun niemals näher kennenlernen würde. Wut auf ihren Vater, denn wenn er nicht wäre … Na ja, wenn er nicht wäre, hätte sie sich gar nicht an Gavin gewandt, also wusste sie, dass ihre Wut nicht gerechtfertigt war. Es war nur … oh, verflixt, sie begehrte Gavin. Ihn, nicht irgendeinen anderen Mann, und es war lange her, dass sie so etwas gefühlt hatte.

Aber wie hatte das passieren können? Sie war doch sonst immer so vorsichtig und ließ niemanden nahe an sich heran.

„Tempest?“

Sie schüttelte den Kopf und merkte, dass sie einfach nur dastand und Gavin anstarrte. „Sie brauchen wirklich etwas, um Ihre Lobby ein wenig einladender zu gestalten. Kunst beruhigt die Menschen.“ Sie musste unbedingt weiter über das Geschäftliche reden. Musste das Thema präsent halten, denn wenn sie damit aufhörte und begann, darüber nachzudenken, dass sie wieder einmal abgewiesen worden war, könnte es passieren, dass sie zusammenbrach.

„In Ordnung, stellen Sie mir Pablo vor“, antwortete er ruhig.

Sie führte ihn aus dem Gang zurück in den großen Galeriesaal. Ein Büfett stand unter den Fenstern, die zur Straßenseite zeigten. Auf der anderen Seite des Saals spielte eine kleine Jazz-Combo, und davor befand sich eine kleine Tanzfläche.

Tempest fand Pablo und stellte die beiden Männer einander vor, bevor sie weiterging. Bekannte lächelten ihr zu, küssten sie flüchtig auf die Wangen, machten ihr Komplimente über ihr Haute-Couture-Outfit und sprachen über Veranstaltungen, die sie in der Vergangenheit gemeinsam besucht hatten. Tempest plauderte und lächelte, während sie gleichzeitig die Stimme in ihrem Kopf hörte, die ihr so verhasst war; die Stimme, die sie stets ermahnte, sich nicht vor der Wahrheit zu verstecken, und die ihr Tränen der Enttäuschung in die Augen trieb.

Die Wahrheit war, dass ihr Leben – genau wie das ihres Vaters – ziemlich oberflächlich verlief. Sie hatte viele flüchtige Bekannte, aber nur wenige gute Freunde.

Einen Moment lang hatte sie geglaubt, jemanden gefunden zu haben, der diese Leere zu füllen vermochte. Doch das hatte sich als Illusion entpuppt.

Sie trank ihr Champagnerglas aus und stellte es auf das Tablett eines vorübereilenden Kellners. Himmel, langsam wurde sie wirklich depressiv. Vielleicht war es gut, Chicago für eine Weile zu verlassen.

Chicago war der Ort, mit dem sie schlimme Schicksalsschläge verband. Es war die Stadt, in der sie gelebt hatte, als ihre Mutter gestorben war. Und jetzt war sie wieder hier und musste eine herbe Enttäuschung nach der anderen verkraften.

„Haben Sie eine Minute Zeit, Tempest?“

„Sicher“, sagte sie, ziemlich überrascht, Charlie Miller bei dieser Veranstaltung zu treffen. Obwohl er ein ausgezeichneter PR-Mann war, bewegte er sich normalerweise nicht in den gleichen Kreisen wie sie.

„Äh … als Erstes möchte ich Ihnen sagen, dass es mir leidtut, dass Sie nicht befördert wurden.“

Sie mochte Charlie, und in einigen Jahren, wenn er Erfahrung gesammelt hatte, würde er genau das sein, was ihr Vater brauchte. Er war klug und ausgebufft, allerdings noch ein wenig jung und unerfahren.

„Wie mein Vater sagte, der beste Mann hat den Job bekommen“, erwiderte sie.

Charlie errötete. „Ich hoffe, dass ich den Erwartungen gerecht werden kann.“

„Natürlich werden Sie das. Also, womit kann ich Ihnen helfen?“

„Ich hatte gehofft, dass Sie ein wenig Zeit für mich erübrigen könnten, damit wir uns hinsetzen und über einige der Projekte reden können, die noch in der Schwebe waren, als Sie die Firma verlassen haben. Damit Sie mich auf den neuesten Stand bringen können.“

Sie hatte sich benommen wie ein verwöhntes Kind, hatte die Firma Hals über Kopf verlassen, als ihr bewusst geworden war, dass ihr Vater sie wieder einmal enttäuscht hatte. Das war äußerst unprofessionell, wie sie sich nun eingestand. „Natürlich kann ich das. Ich möchte allerdings nicht ins Büro kommen. Wie wäre es, wenn wir uns morgen bei Starbucks an der Michigan Avenue treffen?“

„Sehr schön. Zehn Uhr würde mir gut passen.“

„In Ordnung.“

Sie unterhielten sich noch einige Minuten, bis Kali zu ihnen trat. Dankbar, dass sie gerettet wurde, lächelte Tempest ihre Freundin an. Kali Trevaine war eine ihrer ältesten Freundinnen. Kalis Mutter, Talie, war ein Supermodel gewesen, eins der ersten, das für Tempest’s Fashion gearbeitet hatte. Damals war Tempests Mutter noch sehr aktiv am Firmengeschehen beteiligt gewesen und hatte ihre kleine Tochter zu allen Fotoshootings mitgenommen.

Zur gleichen Zeit hatten Tempest und Kali sich kennengelernt. Sie hatten inmitten all der Kleider gespielt und dummes Zeug gemacht. Als Tempest ein Teenager gewesen war und ihr Vater nicht gewollt hatte, dass sie während der Sommerferien nach Hause kam, hatten Talie und Kali sie zu sich eingeladen. Kali stand ihr fast so nahe wie eine Schwester.

„Worum ging es denn hier eben?“

„Er ist der Typ, den mein Vater für qualifizierter hielt als mich und deswegen befördert hat.“

„Ah, die Konkurrenz. Ich denke, wenn ihr die Sache bei einem Ringkampf ausgetragen hättet, wärst du locker als Siegerin hervorgegangen.“

Tempest lachte, weil sie genau wusste, dass Kali das beabsichtigt hatte. Es stimmte, dass Charlie ein kleiner Mann war, nur knapp einen Meter siebzig groß und obendrein noch hager. Vermutlich würde sie einen Kampf gegen ihn tatsächlich gewinnen, wenn ihr der Sinn danach stünde.

„Ist das dein neuestes Konzept für eine Realityshow im Fernsehen? Geschäftsleute, die ihre Kämpfe im Ring austragen?“

„Nein, nein, im Moment habe ich nur an dich gedacht. Obwohl diese Idee vielleicht gar nicht so schlecht wäre.“

„Bitte, Kali, ich habe nur Spaß gemacht. So etwas möchte ich wirklich nicht im Fernsehen sehen.“

„Aber alle anderen Amerikaner vielleicht.“

„Entschuldigen Sie bitte, meine Damen.“

Tempest war überrascht, dass Gavin noch einmal zu ihr kam. Aber vielleicht wollte er Kali gern kennenlernen. Sie war groß, sie war schlank, und sie war unglaublich gut aussehend. Ihre schokoladenbraune Haut und die exotisch geformten Augen zogen Männer an wie Lichter die Motten. Aber Tempest war enttäuscht, dass sie sich so stark zu einem Mann hingezogen fühlte, der eben noch sie, jetzt aber schon ihre Freundin begehrte.

„Ja, Gavin?“

„Tanzen Sie mit mir“, sagte er.

Er nickte Kali zu, griff nach Tempests Hand, und ohne ihre Zustimmung abzuwarten, zog er sie zur Tanzfläche.

„Ich dachte, wir hätten uns voneinander verabschiedet“, meinte sie überrascht, als er sie in die Arme zog.

„Noch nicht.“

Die Band begann gerade, ein langsames Stück zu spielen, und Tempest legte den Kopf auf Gavins Schulter. Sie wusste, das alles hier war nicht real und würde nicht andauern, aber in diesem Augenblick genoss sie einfach das Gefühl der Geborgenheit in Gavins Armen.

Niemals in diesem Leben würde diese Frau zu ihm gehören.

Niemals könnte sie etwas anderes sein als Mittel zum Zweck. Aber es fühlte sich nicht so an, und für einen kurzen Moment ignorierte Gavin diese negativen Gedanken und hielt Tempest fest an sich gedrückt.

Vage nahm er die Musik wahr, die anderen Paare, die sich mit ihnen auf der Tanzfläche drehten, doch in dem Augenblick, als Tempest den Kopf auf seine Schulter legte, vergaß Gavin alles um sich herum.

So etwas hatte er noch nie erlebt, und das beunruhigte ihn. Daher zwang er sich, daran zu denken, dass er sie nach diesem Tanz niemals mehr wiedersehen würde.

Allerdings verstärkte das sein Verlangen noch zusätzlich. Er begehrte Tempest. Seine Haut kribbelte vor Erregung, sein Puls hatte sich beschleunigt. Er war eifersüchtig gewesen, als er gesehen hatte, wie sie eben mit dem dünnen Mann geredet hatte. Und das gefiel ihm nicht.

Er war eigentlich kein eifersüchtiger Typ – schon deshalb nicht, weil er sich niemals so sehr auf eine Frau einließ, dass solche Gefühle in ihm entstehen konnten. Es war ohnehin so, dass er Gefühle, welcher Art auch immer, für seine Mutter und seinen Bruder reservierte.

Aber verflixt, bei Tempest war alles anders. Das gefiel ihm überhaupt nicht. Er war kein besitzergreifender Mann, doch jedes Mal, wenn Tempest bei einer Gruppe von Leuten stehen geblieben war, um zu reden, hatte er sich geärgert, dass er nicht zu dieser Gruppe gehörte.

„Haben Sie mit Pablo gesprochen?“

„Ja“, erwiderte er, ohne jedoch das geringste Interesse zu verspüren, mit ihr über einen anderen Mann zu reden. Diese Eifersucht war nicht gerechtfertigt. Sie gehörte nicht ihm. Er sollte nicht so besitzergreifend denken, aber er tat es trotzdem.

„Haben Sie ihn gefragt, ob er ein Wandgemälde anfertigen …“

„Vergessen Sie es, Tempest. Ich möchte heute Abend nicht über Kunst reden.“

„Warum sind Sie dann überhaupt in die Galerie gekommen?“, wollte sie wissen. Der besondere Tonfall ihrer Stimme hielt ihn davon ab, ihr eine ungeduldige Antwort zu geben. Es war diese leise Andeutung von Verletzlichkeit, die er schon vorhin bemerkt hatte. Sie weckte seinen Beschützerinstinkt. Er wollte nicht, dass irgendjemand dieser Frau wehtat.

„Weil Sie mich gebeten haben zu kommen“, entgegnete er.

Mit der Wange berührte sie seine Schulter, und er wünschte, sie wären beide nackt, damit er ihre weiche Haut an seiner eigenen spüren konnte.

„Ich denke, da steckt noch mehr dahinter“, meinte sie.

Natürlich steckte mehr dahinter. Nichts, was mit Tempest zusammenhing, war einfach. Die ganze Sache wurde noch komplizierter aufgrund von Dingen, die jetzt schon zu lange Teil seines Lebens waren. Fast wünschte er, dass sie ihre erste Verabredung auf ein Datum nach der Aktionärsversammlung von Tempest’s Fashion im November verschoben hätten. Nachdem er das Imperium ihres Vaters zum Einsturz gebracht und endlich die Rache genommen hatte, auf die er seit Jahren hinarbeitete.

Gavin war überzeugt davon, dass Tempest niemals mehr etwas mit ihm zu tun haben wollte, wenn er die Firma ihres Vaters übernommen hatte. Auch wenn ihre Beziehung zu ihrem Vater nicht zum Besten stand, war August das einzige Familienmitglied, das Tempest noch geblieben war. Obwohl Gavin noch ein Junge gewesen war, konnte er sich gut an die Geschichten über Tempest Lambert erinnern … Nach dem Tod ihrer Mutter hatte man sie als armes kleines, reiches Mädchen bezeichnet. Die Lamberts waren eine dieser Familien, deren Schicksal unter einem schlechten Stern stand. Etwas, das von den Medien mit Vorliebe ausgeschlachtet wurde. Aber eins hatte Gavin aus all den Artikeln, die er über Tempest gelesen hatte, gelernt. Sie war eine unglaublich loyale Frau.

Ihre Loyalität gegenüber ihrem Vater war für Gavin offensichtlich, auch wenn sie sich bei Renard Investments um einen Job beworben hatte. Sie war und blieb eine Lambert, und ihr Herz hing an Tempest’s Fashion.

Er fragte sich, wie sich das wohl anfühlte und ob August Lambert wohl eine Vorstellung davon hatte, wie glücklich er sich schätzen konnte, jemanden zu haben, der so loyal war. Eine Tochter, die zu ihm hielt, egal, wie grausam er sie behandelte. Und je länger Gavin darüber nachdachte, desto mehr verspürte er das Bedürfnis, Tempest zu schütteln, weil sie ihrem Vater immer wieder gestattete, ihr wehzutun.

„Darüber haben wir doch schon gesprochen.“

„Ja, das haben wir, und ich dachte, wir hätten einen Schlussstrich gezogen, aber irgendwie bin ich schon wieder in Ihren Armen gelandet.“

Ihre Worte raubten ihm den Atem. Es stimmte, er hielt sie in den Armen. Aber ihre Worte ließen ein ganz anderes Bild vor seinen Augen entstehen. Er wollte mit ihr allein sein, wollte neben ihr in seinem Bett liegen und sie nackt in seinen Armen spüren. Nackt … und bereit, sich ihm hinzugeben. Erst dann würde er einen Schlussstrich ziehen und das heftige Verlangen unterdrücken können, das ihn bei ihrem Anblick jedes Mal überkam.

Instinktiv presste er seine Hand fester gegen Tempests Rücken und ließ sie dann langsam zu ihren Hüften wandern. Als er sie noch enger an sich zog, hörte er, wie Tempest scharf einatmete.

Sie legte den Kopf in den Nacken und schaute ihn mit ihren großen blauen Augen an. In ihrem Blick nahm er das gleiche Verlangen wahr, das auch ihn beherrschte. Ganz offensichtlich begehrte sie ihn genauso sehr wie er sie. Gavin erkannte, dass es für keinen von ihnen beiden einfach sein würde, dieses Verlangen zu ignorieren und zu gehen.

Dieses Funkeln in Tempests Augen war genau das, was er brauchte, um zu rechtfertigen, was er jetzt tat. Er senkte seinen Mund auf ihren, ohne darauf zu achten, dass sie sich mitten auf einer überfüllten Tanzfläche befanden. Er vergaß, dass er sich sonst nie dazu hinreißen ließ, seine Gefühle zur Schau zu stellen. Das war tabu, denn er fürchtete, seine Aktionäre könnten ihm sonst womöglich die Fähigkeit absprechen, seine Geschäfte vernünftig zu führen. Er vergaß sogar, dass Tempest die Tochter seines Rivalen war. Er vergaß alles, mit Ausnahme der Tatsache, dass er ihre Lippen noch nicht berührt hatte, sich aber nichts sehnlicher wünschte.

Er musste es einfach tun. Keine Sekunde würde er es länger aushalten, wenn er nicht ausprobierte, ob der Kuss genauso köstlich war, wie er es erwartete.

Er löste eine Hand von ihrer Hüfte, vergrub die Finger in ihrem weichen Haar und zog ihren Kopf ein wenig zurück.

Sie keuchte leise auf, als er ihren Mund stürmisch eroberte und dabei keinen Zweifel an seinen Absichten aufkommen ließ. Tief drang er mit der Zunge in ihren Mund vor und ließ ihr keine Möglichkeit zu reagieren.

Sie schmeckte nach dem Champagner, den sie vorhin getrunken hatte, und nach Erdbeer-Lipgloss. Tempest zögerte nur kurz, dann schlang sie beide Arme um seine Schultern, schmiegte sich an ihn und erwiderte seinen leidenschaftlichen Kuss.

Das Blut rauschte in Gavins Ohren, als er Tempests Rücken streichelte. Dabei spürte er, wie zerbrechlich sie wirkte, spürte, wie grazil ihr schlanker Körper war. Er hob den Kopf und verteilte kleine Küsse auf ihrer Wange und ihrem Hals, während er ihren unnachahmlichen Duft einatmete. Es war ein so köstlicher Duft, dass ihm ganz schwindelig wurde.

Sie stöhnte auf, als er erneut ihren Mund eroberte und mit der Zungenspitze die Konturen ihrer Lippen nachzeichnete, bis sie sich für ihn öffneten. Ohne zu zögern, erwiderte Tempest seine Zärtlichkeiten.

Langsam ließ er seine Hände abwärtsgleiten, bis er ihre Hüften umschloss und sie noch enger an sich zog. Eigentlich hatte er es bei einer lockeren Umarmung belassen wollen, weil sie sich mitten auf der Tanzfläche befanden. Doch gegen dieses übermächtige Verlangen war er einfach machtlos.

Um ihr zu zeigen, wie sehr sie ihn erregte, zog er sie noch enger an sich und entlockte ihr damit einen leisen, kehligen Laut. Sie vergrub die Fingernägel in seinen Schultern, sodass er es sogar durch sein Jackett hindurch spüren konnte.

Er hob den Kopf. Tempest hatte die Augen geschlossen, und ihr Gesicht war vor Verlangen gerötet. Er wusste, es würde ihn kaum Überredungskunst kosten, um sie davon zu überzeugen, mit ihm die Nacht zu verbringen. Und er war sehr versucht, genau das zu tun, sich das zu nehmen, was er brauchte.

Sein Herz schlug viel zu schnell, doch die Lust, die von seinem gesamten Körper Besitz ergriffen hatte, verebbte langsam, als ein anderes Gefühl sich in ihm breitmachte: Angst. Angst, weil er Tempest mehr begehrte, als er sollte.

Er musste diesem Irrsinn ein Ende bereiten und verschwinden. Sanft strich er mit der Fingerspitze über ihre feuchten Lippen und trat einen Schritt zurück.

„Leb wohl“, sagte er, wohl wissend, dass es ihm unendlich schwerfallen würde, sie zu vergessen.

Sie streckte die Hand nach ihm aus, und die Versuchung, bei ihr zu bleiben, war groß. Die Versuchung, auf die äußeren Umstände zu pfeifen und sich etwas zu nehmen, was er wollte, auch wenn es nicht in seine Pläne passte.

Ein Blitzlicht leuchtete links von ihm auf, und Gavin erhaschte einen Blick auf einen Fotografen, der sich hastig durch die Menschenmenge schob. So würde eine Beziehung zu Tempest sich gestalten, dachte Gavin frustriert.

„Gavin?“

Er schüttelte den Kopf und ging, ohne sich noch einmal umzudrehen. Es war eine der schwersten Entscheidungen, die er je getroffen hatte.

4. KAPITEL

Tempest war müde und schlecht gelaunt, als sie ihre Wohnung am nächsten Morgen verließ, um sich mit Charlie zu treffen. Und sie war nicht gut vorbereitet. Sie war nicht mehr im Büro gewesen, nachdem sie sich entschlossen hatte, die Arbeit bei ihrem Vater zu kündigen, deshalb hatte sie keinerlei Unterlagen und musste sich auf das verlassen, was ihr Laptop und ihr Gedächtnis hergaben.

Erschwerend kam hinzu, dass sie nicht bei der Sache war, weil sie an nichts anderes als an Gavin denken konnte. Es schmerzte sie, dass sie sich darauf geeinigt hatten, getrennte Wege zu gehen. Auch wenn sie wusste, dass es das Vernünftigste war, machte sie der Gedanke, ihn nicht wiederzusehen, unsagbar traurig.

Der Kuss gestern Abend war unglaublich gewesen und hatte dazu geführt, dass sie seitdem nichts anderes getan hatte, als sich nach Gavin zu sehnen. Und das ärgerte sie. Der einzige Mann, dem es bisher gelungen war, sie verrückt zu machen, war ihr Vater gewesen. Das war allerdings eine ganz andere Sache.

Die Kunden bei Starbucks unterbrachen ihre Unterhaltungen, als Tempest die Filiale in der Michigan Avenue betrat. Sie versuchte so zu tun, als hätte sie es nicht bemerkt, aber es kam ihr so vor, als hätte man einen riesigen Scheinwerfer auf sie gerichtet. Sie sah sich um, in der Hoffnung, etwas zu finden, womit sie sich ablenken konnte, und entdeckte eine weggeworfene Zeitung. Sie griff danach, während sie darauf wartete, ihren Kaffee bestellen zu können.

Die Schlagzeilen auf der ersten Seite überflog sie nur und blätterte dann zur Gesellschaftsseite. Vielleicht hatte ihre Anwesenheit auf Pablos Vernissage ihm zusätzliche Presseberichte beschert. Ihr Blick fiel auf ein Bild von sich und Gavin. Sie war entsetzt, denn sie hatte gar nicht mitbekommen, fotografiert worden zu sein.

Der Paparazzo hatte sie abgelichtet, als sie völlig ineinander versunken in der Mitte der Tanzfläche standen. Gedankenverloren berührte sie ihre Lippen, als diese anfingen zu kribbeln. Es hatte so viel Leidenschaft in diesem Kuss gelegen. Noch immer konnte sie Gavins Körper an ihrem fühlen. Ein Blick in die Zeitung ließ sie jedoch erstarren.

Schläft sie mit dem Feind? Auch wenn Tempest Lambert immer gut für einen Skandal ist – sich mit Gavin Renard, dem Geschäftsführer von Tempest’s Fashions ärgstem Konkurrenten, einzulassen, ist selbst für ihre Verhältnisse ein wenig zu viel des Guten.

Hektisch kramte Tempest in ihrer Handtasche nach ihrer Sonnenbrille und setzte sie dann hastig auf. Natürlich war es schon zu spät, um sich noch zu verstecken, aber die Sonnenbrille bot einen Schutz, den sie, wie unzureichend er auch sein mochte, im Moment dringend brauchte.

Noch einmal wühlte sie in der Handtasche, bis sie schließlich ihr Handy gefunden hatte. Nervös gab sie Kalis Nummer ein. Sie wusste nicht, was sie tun sollte, und brauchte den Rat ihrer Freundin.

Im gleichen Augenblick wurde sie angerufen. Tempest kontrollierte beklommen die Nummer, weil sie fürchtete, es könnte ihr Vater sein. Er war es nicht. Es war eine Nummer, die sie nicht kannte. Sie ließ den Anruf auf der Mailbox auflaufen und schaltete auf Kalis Leitung zurück.

„Hallo?“, fragte sie, als sie nur ein Knistern in der Leitung hörte.

„Tempest?“

Dem Himmel sei Dank, dachte sie. Kali ist erreichbar. „Ja. Hast du schon Zeitung gelesen?“

„Nein. Was ist los?“

Der Mann, der vor Tempest stand, warf ihr nun einen neugierigen Blick über die Schulter zu, und Tempest wurde klar, dass dies keine Unterhaltung war, die sie in der Schlange bei Starbucks halten sollte. Sie verließ den Coffeeshop und marschierte den Bürgersteig entlang zu einer ruhigeren Ecke.

„Es ist ein Foto von Gavin und mir in der Zeitung.“

„Von gestern Abend?“

„Äh … ja.“

„Aufgenommen auf der Tanzfläche?“, hakte Kali nach, und der Tonfall ihrer Freundin ließ Tempest zusammenzucken.

Sie hatte die Presse ganz bewusst hofiert, nachdem sie die Schule verlassen hatte. Sie hatte sie dazu benutzt, um ihren Vater auf sich aufmerksam zu machen, obwohl er sich immer bemüht hatte, seine Tochter zu ignorieren. Das hatte sie während der letzten Jahre bereut, aber es war natürlich zu spät, um daran noch etwas zu ändern. Dieses Foto jedoch war äußerst ärgerlich und würde vermutlich zu Problemen führen.

„Ja“, antwortete sie Kali. „Was soll ich tun? Gavin wollte genau aus diesem Grund nicht mit mir ausgehen.“

„Nach dem, was ich gestern Abend gesehen habe, war er nicht gerade ein unwilliger Partner.“

„Kali!“

„Na ja, stimmt doch.“

„Ich weiß. Ich hatte nur gehofft …“ Sie hielt inne, bevor sie noch mehr sagen konnte. Sie hatte gehofft, dass Gavin seine Meinung ändern würde, aber jetzt bezweifelte sie, dass er es tat.

„Ach Schätzchen. Ich hatte auch gehofft, dass dieser Mann anders wäre.“

Manchmal wünschte sie, Kali würde sie nicht so gut kennen. Aber im Moment war es schön, zu wissen, dass sie nicht allein war. Dass ihr jemand beistand. „Die Boulevardblätter werden sich darauf stürzen.“

„Ganz sicher. Also, was hast du für einen Plan?“

„Bisher leider keinen. Ich muss erst einmal darüber nachdenken.“

„Das hört sich nicht gut an“, meinte Kali.

„Vielleicht gibt es einen Weg, davon zu profitieren.“

„Wer soll davon profitieren?“

„Ich und Gavin.“

„Sei vorsichtig.“

„Das werde ich.“ Sie schaltete das Handy aus und ging langsam zurück zu ihrem Wagen. Im Geiste ging sie hastig ihre Möglichkeiten durch. Irgendwie musste es doch einen Weg geben, damit sie die ganze Sache zu ihrem Vorteil nutzen konnte.

Wenn die Presse aufgrund dieses Kusses ohnehin davon ausging, dass sie mit Gavin eine Affäre hatte, dann konnte sie ihn vielleicht überzeugen, daraus wirklich eine echte Beziehung zu machen. Da ihr diese Angelegenheit unter den Nägeln brannte, rief sie kurz entschlossen Charlie an und sagte das Treffen mit ihm ab.

Gavins Telefonnummer hatte sie nicht, aber sie wusste ja, wo sein Büro war, also fuhr sie dorthin. Sie parkte und betrat das Gebäude, während sie gleichzeitig überlegte, was sie nun zu Gavin sagen sollte. Sie war schrecklich nervös, aber auch sehr aufgeregt, weil sie einen Weg gefunden hatte, wie sie vielleicht doch noch mehr Zeit mit ihm verbringen konnte.

Sie wollte immer noch einen Job in seiner Firma. Ein Job beim Rivalen würde ihren Vater verärgern, aber es steckte noch mehr dahinter. Sie wollte bei Gavin arbeiten, um zu beweisen, dass noch jemand anders sie für fähig hielt.

Vor den Fahrstühlen blieb sie einen Augenblick lang stehen, um sich zu sammeln und ihre Nerven zu beruhigen. Vielleicht hatte Gavin den gleichen Gedanken gehabt wie der Verfasser des Zeitungsartikels, nämlich dass es eine nette kleine Wendung wäre, mit der Tochter des Konkurrenten zu schlafen. Zum ersten Mal, seit sie sich auf den Weg zu Gavin gemacht hatte, kamen ihr Zweifel.

Andererseits hatte sie Gavin auch dazu benutzen wollen, ihren Vater wütend zu machen. Konnte sie es ihm dann übel nehmen, wenn er seinerseits versuchte, sie für seine Zwecke einzusetzen?

Tempest hörte, wie sich ihr jemand von hinten näherte. Ihr Instinkt riet ihr, sich kleiner zu machen, damit man sie nicht erkannte, doch stattdessen straffte sie die Schultern und richtete sich auf.

„Tempest?“

Gavin. Ihr Herz machte einen kleinen Satz.

„Hallo. Hast du schon die Zeitung gesehen?“

Er nickte. „Lass uns in meinem Büro darüber sprechen.“

Gavin musste seine ganze Willenskraft aufbieten, um sich auf seine Vorahnung zu konzentrieren. Er hatte sich gedacht, dass Tempest ihn aufsuchen würde, sobald sie das Foto in der Zeitung gesehen hätte. Hätte er sich nicht beherrscht, hätte er die Situation ausgenutzt, mit ihr allein im Fahrstuhl zu sein, auf den Nothalteknopf gedrückt und sie leidenschaftlich in seine Arme gezogen.

Lediglich der Umstand, dass Michael schon in seinem Büro auf ihn wartete, hielt ihn davon ab, sich Tempest zu nähern. Die Vorstellung, sie zu verführen, erschien ihm nach den jüngsten Ereignissen immer verlockender. Nach diesem Artikel würde ohnehin jeder glauben, dass er und Tempest etwas miteinander hatten. Aber das, was er für sie empfand, war viel zu intensiv. Würde es ihm gelingen, sich auf seine Geschäfte zu konzentrieren, wenn er sich auf eine Affäre mit ihr einließ?

Seiner Libido war das absolut egal. Aber noch war er immerhin so schlau, seine Entscheidungen mit Verstand und nicht aus dem Bauch heraus zu treffen.

„Warum starrst du mich so an?“, fragte Tempest.

Heute gab sie sich längst nicht so selbstsicher und herausfordernd wie bei ihrem ersten Besuch in seinem Büro. „Vermutlich weil du hier drinnen eine Sonnenbrille trägst.“

Autor

Katherine Garbera
<p>USA-Today-Bestsellerautorin Katherine Garbera hat schon mehr als neunzig Romane geschrieben. Von Büchern bekommt sie einfach nicht genug: ihre zweitliebste Tätigkeit nach dem Schreiben ist das Lesen. Katherine lebt mit ihrem Mann, ihren Kindern und ihrem verwöhnten Dackel in England.</p>
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