Julia Collection Band 131

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Erfolgreich, professionell und attraktiv – Gail, Nichole und Willow haben beruflich alles erreicht, was sie sich wünschen könnten. Doch von der Liebe können sie bisher nur träumen. Kann die Teilnahme an der Casting-Sendung Sexy & Single daran wirklich etwas ändern?

AUF DER JACHT MIT DEM PLAYBOY
Gail kann es nicht fassen. Ausgerechnet der berüchtigte Playboy Russell Holloway wird ihr bei Sexy & Single als Kandidat präsentiert! Doch seine Komplimente und Küsse lassen sie bald glauben, dass der Milliardär es ernst mit ihr meint - da lüftet seine Exgeliebte ein Geheimnis …

INTERVIEW MIT EINEM TRAUMMANN
Für eine Reportage über die Partnervermittlung Matchmakers würde Nichole alles tun. Auch auf den Vorschlag des Besitzers eingehen, für einen Monat seine Geliebte zu werden. Atemlos verlangt Nichole von Conner einen Testkuss … und weiß sofort: Sie will diese Story - und noch viel mehr!

RACHE KANN SO SEXY SEIN
Endlich hat Willow die Gelegenheit zur langersehnten Rache! Diese Nacht mit Jack damals hat sie nie vergessen. Genauso wenig wie den Schmerz, als er sie am Morgen verließ. Jetzt wird sie den Spieß umdrehen. Doch gerade, als sie Jacks Küsse zurückweisen will, meldet sich ihr dummes Herz …


  • Erscheinungstag 29.03.2019
  • Bandnummer 131
  • ISBN / Artikelnummer 9783733713348
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Katherine Garbera

JULIA COLLECTION BAND 131

1. KAPITEL

Was hatte sie sich nur dabei gedacht?

Gail Little atmete tief durch und betrat die provisorisch eingerichtete Garderobe der Reality-Fernsehserie Sexy & Single. Noch nie in ihrem ganzen Leben hatte sie sich sexy gefühlt, aber als Single … na ja, das war ein Thema, das sie längst abgehakt hatte.

Sie war immer davon ausgegangen, etwas mit einem von den Jungs vom College anzufangen und eine Beziehung aufzubauen, während jeder von ihnen an seiner beruflichen Karriere arbeitete. Und wenn sie erst einmal drei Jahre zusammen gewesen waren, würden sie heiraten. Inzwischen jedoch rückte ihr dreißigster Geburtstag näher und näher, und sie war noch immer Single.

„Hallo, ich bin Kat Humphries, die Produktionsassistentin von Sexy & Single. Ich kümmere mich hier um die Kandidaten der Sendung.“

Gail reichte Kat die Hand, obwohl sie erwartet hatte, Willow Stead zu sehen, die Produzentin der Serie und zugleich eine ihrer besten Freundinnen. Willow war auf die Idee zu dieser Serie gekommen, als Gail sich bei der Kontaktbörse Matchmakers Inc. angemeldet hatte.

Zwar behauptete Gail ihren Freunden gegenüber, dass sie nur einen Ehemann wollte – einen Posten, für den sich auf der Arbeit kein geeigneter Kandidat fand. In Wahrheit jedoch wollte sie eine Familie gründen, da ihre biologische Uhr tickte. Also war sie auf die Idee gekommen, eine Partnervermittlung zu beauftragen, wobei sie niemals damit gerechnet hatte, in einer Fernsehserie zu landen.

Kat schien Mitte zwanzig zu sein. Sie trug eine eng anliegende Jeans und ein T-Shirt mit dem Logo einer mexikanischen Bar darauf. Ihre langen braunen Haare hatte sie zum Pferdeschwanz gebunden, an das Funkgerät am Gürtel war ein Kopfhörer angeschlossen.

„Kommen Sie“, sagte Kat.

Gail nickte und folgte ihr zu der Reihe beleuchteter Spiegel, die an einer Wand aufgestellt waren. Das war die Seite des Fernsehens, die die Zuschauer nur selten zu sehen bekamen – die gar nicht so glamouröse Seite hinter den Kulissen –, aber in ihrer Funktion als Chefin eines sehr erfolgreichen PR-Unternehmens war Gail mit dieser Welt bestens vertraut. Nur komisch, dass sie nie auf den Gedanken gekommen war, sie könnte selbst auch einmal vor die Kameras treten.

„Setzen Sie sich hier hin. Wir kümmern uns gleich um Ihre Frisur und Ihr Make-up. Sie sind ein paar Minuten zu früh.“

„Tut mir leid, aber ich wollte nicht zu spät kommen.“

Kat nickte, hob dann aber einen Finger, als sie aufmerksam auf das lauschte, was aus ihrem Kopfhörer drang. „Warten Sie bitte hier, bis ich Sie abhole“, sagte sie. „Wir wollen unbedingt eine Kamera dabeihaben, wenn Sie und Ihr ausgewählter Partner sich das erste Mal begegnen.“

Am liebsten hätte Gail laut aufgestöhnt. Andererseits wusste sie aber auch, dass, wenn sie diese Chance nicht wahrnahm, ihr Leben auch weiterhin nur aus Arbeit bestehen würde. Und ihren Traum von der eigenen Familie könnte sie dann endgültig abschreiben.

Sie betrachtete sich im Spiegel und wartete, dass jemand kam, um sich um ihre Frisur zu kümmern und sie zu schminken. Ihr volles, lockiges und kaum zu bändigendes Haar umrahmte ihr Gesicht. Sie griff hinein und zog es nach hinten, weil das die Frisur war, mit der sie normalerweise im Büro zur Arbeit erschien. Schließlich war dieses zottelige Etwas von Haaren ganz sicher nichts, was ein Mann sexy fand.

Plötzlich näherten sich ein Mann und eine Frau. „Hallo, Gail, ich bin Mona, das ist Pete. Wir nehmen uns Ihre Haare vor und kümmern uns um Ihr Make-up. Lehnen Sie sich einfach zurück, und entspannen Sie sich.“

Gail folgte der Anweisung, während sie sich einmal mehr fragte, auf was sie sich da nur eingelassen hatte. Sie wollte einen Mann haben, mit dem sie in Urlaub fahren konnte, anstatt allein daheim rumzusitzen. Kevin mochte es ja gefallen haben, allein zu Haus zu sein, aber sie als erwachsene Frau fühlte sich dabei … einsam. Sie wollte auch das perfekte Weihnachten haben, so sehr, dass sie sich bereits ausmalte, wie ein solches Weihnachtsfest aussehen würde. Sie arbeitete in einer Branche, die Bilder schuf, die eine ideale Welt zeigten. Warum also sollte sie nicht für sich selbst auch solche Bilder erschaffen?

Sie hatte einen PR-Plan ausgearbeitet, wie sie ihren geschäftlichen Erfolg ins Privatleben übertragen konnte. Immerhin war sie sehr gut darin, ihre Vorstellungen in die Tat umzusetzen, also gab es keinen Grund dafür, an der Machbarkeit dieses Plans zu zweifeln. Allerdings hatte sie nicht vorausgesehen, dass Willow daraus eine TV-Reality-Show machen würde.

„Okay, wir sind fertig“, sagte Mona auf einmal.

In ihrem Stuhl drehten sie sie zum Spiegel um. Gail stellte fest, dass ihr Haar so gestylt war, dass es ihr glatt bis auf die Schultern reichte. Ihre Augen wirkten durch das Make-up größer als je zuvor, die Lippen waren voll und makellos. Nie wäre ihr in den Sinn gekommen, dass man mit ein bisschen Lippenstift und Lidschatten so etwas erreichen konnte. Selbst beim zweiten Hinsehen hatte sie noch immer den Eindruck, eine Fremde vor sich zu haben.

„Was sagen Sie dazu?“, fragte Pete.

„Ich sehe mir überhaupt nicht ähnlich.“

„Aber sicher, Süße. Sie haben sich bloß noch nie so zu Gesicht bekommen“, meinte Mona.

Tatsächlich hatte Gail sich gewünscht, dass man sie nicht wiedererkennen konnte. „Und was jetzt?“

„Umziehen“, erwiderte Pete. „Ihre Umkleidekabine ist da drüben.“

Sie betrat den winzigen Raum in der anderen Ecke des Saals, dort saß eine Frau und las ein Taschenbuch – den gleichen Titel, den Gail erst kurz zuvor selbst gelesen hatte. Das war das Leben, wie sie es kannte, und Gail hatte den Eindruck, dass sie sich erst einmal ein paar Minuten hier hinsetzen und verschnaufen konnte. Die Frau legte das Buch weg und lächelte Gail an. „Sie sehen gut aus.“

„Danke.“

Dann schritt die Frau zur Tat, und gut zwanzig Minuten später stand Gail vor einem Spiegel und betrachtete sich in ihrem Designerkleid von Jil Sander. Das eng anliegende Oberteil mit seinem tiefen V-Ausschnitt enthüllte ihr Dekolleté, der Rock umspielte ihre Hüften und etwas zu kräftigen Oberschenkel. Sie sah sexy und elegant aus, und das, obwohl sie sich in ihrem ganzen Leben noch nie sexy oder elegant gefühlt hatte.

Kat kam zu ihr zurück und gab ihr ein Zeichen, dass es Zeit wurde. Gail bemerkte, dass ihre Hände nass geschwitzt waren, aber in letzter Sekunde hielt sie sich davon ab, sie am Rock abzuwischen. Immerhin kostete dieses eine Kleid mehr als der gesamte Inhalt ihres Kleiderschranks.

Nein, das konnte nicht gut gehen. Auch wenn die Stylisten sie äußerlich so verändert hatten, dass sie sich selbst nicht mehr wiedererkannte, war sie trotzdem immer noch die Frau, die ihre ganze Zeit mit Arbeit verbrachte. Sie kannte sich ja nicht mal mit Small Talk aus. Das hier war ein Riesenfehler gewesen.

„Zwei Minuten, dann geht’s in den ‚Beichtstuhl‘. Von da aus führt ein Gang in den Ballsaal, wo Sie Ihrem Date begegnen, Ms. Little“, ließ Kat sie wissen.

Gail war nervös, und das war völlig untypisch für sie. Wenn sie einen Entschluss gefasst hatte, dann ließ sie sich von nichts und niemandem davon abhalten, ihr Ziel zu erreichen.

Ein Techniker kam zu ihr und klemmte ein kleines Mikrofon an ihrem Ausschnitt fest. Gail nahm sich vor, diese Sache hier genauso in Angriff zu nehmen, als wäre sie ein Kunde ihrer PR-Firma, den die Öffentlichkeit stärker zur Kenntnis nehmen sollte. Sie würde lächeln und so tun, als sei sie tatsächlich diese glamouröse Frau, die ihr aus dem Spiegel entgegenblickte.

Entschlossen stand sie auf und näherte sich dem Eingang zu einer kleinen Kabine, die man aus mobilen Stellwänden, Metallrohren und Vorhängen zusammengebaut hatte. Privatsphäre gab es hier nicht, das hier war Reality-Fernsehen.

„Drücken Sie einfach auf den Knopf, und dann fangen Sie an zu reden“, erklärte Kat. „Machen Sie sich keine Sorgen – wenn Sie sich verhaspeln, fangen Sie von vorn an. Wir schneiden das anschließend zusammen.“

„Und was soll ich sagen?“

„Erzählen Sie uns, was Ihnen durch den Kopf geht, bevor Sie gleich Ihren Partner kennenlernen.“

Ein wenig skeptisch betrat Gail den abgeteilten Raum und setzte sich vor die Kamera. Als sie die Aufnahmetaste drückte, fiel ihr ein kleiner Monitor ins Auge, auf dem sie sich selbst sehen konnte. Das steigerte ihr Unbehagen nur noch mehr, also schaute sie lieber genau in die Kamera.

„Mal sehen … also, ich bin Gail Little und führe ein PR-Unternehmen … und ich bin total nervös.“ Sie atmete einmal tief durch. „Okay, jetzt aber. Ich habe mich bei Matchmakers Inc. angemeldet, weil ich nicht noch ein Jahr damit verbringen möchte, auf einen interessanten Mann in meinem Leben zu warten. Ich arbeite den ganzen Tag über, und in meinem Job lerne ich nicht viele unverheiratete Männer kennen.“

Wieder machte sie eine Pause. Verdammt, vor lauter Nervosität redete sie totalen Unsinn! „Ich bin sehr ungeduldig, weil ich gern mehr über den Mann erfahren möchte, der für mich ausgewählt worden ist.“ Sie drückte die Stopp-Taste, stand auf und verließ den Raum.

Sie hatte ihr Bestes gegeben. Entschlossen trat sie Kat gegenüber.

„Fertig?“, erkundigte die sich bei ihr.

„Ja.“

„Dann geht’s jetzt hier entlang. Ihr Date wartet schon auf Sie.“

Sie betraten den Flur, ein Tontechniker überprüfte, ob ihr Mikrofon auch funktionierte. „Bob ist der Kameramann, der Sie filmen wird. Wenn wir den Ballsaal betreten, wird er mit seiner Kamera vor ihnen hergehen. Sehen Sie nicht Bob an, sondern schauen Sie zum Tisch, an dem Ihr Date auf sie wartet.“

„Okay“, erwiderte Gail, während Bob ihr vom anderen Ende des Korridors zuwinkte.

„Gemeinsam mit Bob betreten Sie den Ballsaal. Dort ist alles wie bei einem intimen Abendessen für zwei Personen hergerichtet worden. Sobald wir nicht mehr im Bild sind, bekommen Sie von mir ein Zeichen. Gehen Sie dann einfach los.“

Kat und der Tontechniker stellten sich zu Bob, danach schien es eine Ewigkeit zu dauern, bis Gail das Signal bekam. Sie ging los und kam sich irgendwie albern dabei vor, dass man sie beim Gehen filmte. Als sie den Ballsaal betrat, dachte sie aber schon gar nicht mehr darüber nach.

Ein paar Leute vom Produktionsteam standen vor einem Mann, der ihr den Rücken zuwandte. Sie wurde jedoch abgelenkt, da sich ihr in diesem Moment Jack Crown in den Weg stellte.

„Hallo, Gail“, begrüßte er sie.

Jack Crown zielte darauf ab, Ryan Seacrest den Rang abzulaufen und selbst der Mann zu werden, der die meisten Fernsehshows moderiert hatte. Eine Sportverletzung hatte seinen Traum von der großen Footballkarriere platzen lassen, stattdessen war er vom Discovery Channel als Moderator für Reality-Shows engagiert worden.

„Hallo, Jack“, erwiderte sie. „Was machen Sie denn hier?“

„Ich moderiere diese Show. Ich werde Sie nach Ihren Dates interviewen.“

„Aha. Und jetzt?“

„Jetzt wollen wir erst mal sehen, wie jeder von Ihnen auf den anderen reagiert“, antwortete er und entfernte sich wieder.

Der Mann, der auf sie wartete, hatte breite Schultern und eine schmale Taille, was sie dank seines sicherlich maßgeschneiderten Jacketts gut erkennen konnte.

„Schnitt!“, rief Willow plötzlich, ihre Stimme hallte laut durch den Hotelsaal. Es war eigenartig, denn Gail hatte noch nie mit Willow in deren Funktion als Produzentin zu tun gehabt. Sie so laut und energisch reden zu hören, machte auf Gail den Eindruck, einen ganz anderen Menschen vor sich zu haben. „Ihr beide seht euch gleich zum allerersten Mal. Ich will, dass ihr euch anseht, aber nicht in die Kameras guckt. Kat, bring sie auf ihre Position.“

Die Assistentin führte sie zu einer Stelle, die auf dem Boden mit Klebeband markiert war. Gail stand nun so dicht hinter dem unbekannten Mann, dass sie das würzige Aroma seines Rasierwassers riechen konnte. Außerdem fiel ihr auf, dass sein braunes Haar einen goldblonden Schimmer hatte.

„Wir sind jetzt so weit. Drehen Sie sich um, und schauen Sie sie an“, wies Willow den Mann an.

Als der Mann sich langsam umwandte, stockte Gail der Atem, gleich darauf erschrak sie. Das war Russell Holloway, ein Milliardär aus Neuseeland, der sein Vermögen als Hotelier und Nachtclubbesitzer gemacht hatte. Sie kannte sein Gesicht, weil er ständig in den Medien auftauchte. Er konnte nicht der Mann sein, den man für sie ausgesucht hatte. Das musste ein Witz sein. Er war ein Playboy, der den Ruf hatte, seine Frauen so häufig zu wechseln wie seine Oberhemden. Warum sollte er sich verkuppeln lassen?

Russells Blick traf sie mit voller Wucht. Seine grauen Augen hatten etwas Leuchtendes, Eindringliches. Dabei sah der Mann zu ihrem Erstaunen gar nicht so verdorben aus, wie es eigentlich der Fall hätte sein müssen. Vielmehr war er sonnengebräunt, und er wirkte durchtrainiert und rundum gesund … Er sah einfach viel zu gut aus für einen Mann, dem man so viel Übles nachsagte.

„Gail Little“, sagte sie und streckte die Hand aus. „Ich habe schon viel über Sie gehört.“

Oh nein, wie dämlich! War das denn wirklich der beste Spruch, der ihr in diesem Moment einfiel?

Lachend griff er nach ihrer Hand und küsste den Handrücken. „Oh-oh, das klingt nicht sehr vielversprechend. Ich weiß kaum etwas über Sie, aber ich freue mich schon darauf, das alles aus Ihrem Mund zu hören.“

Nervös fuhr sie sich mit der Zunge über die Lippen und starrte ihn an, dann ließ sie den Blick allmählich zu seiner scharf gezeichneten Nase und von da weiter zu den vollen, sinnlichen Lippen wandern. Lippen, die zum Küssen einluden …

Sofort rief sie sich im Geiste zur Ordnung. Nein, sie würde nicht die nächste Eroberung dieses allzu charmanten Playboys werden. Er würde nur ihre Pläne durcheinanderbringen, und das würde sie nicht zulassen.

Russell Holloway war sich bis zuletzt nicht sicher gewesen, welchen Typ Frau man für ihn aussuchen würde, aber er wusste, mit jemandem wie Gail Little hätte er nicht gerechnet. Sie war wunderschön … dieses volle schwarze Haar, das ihr bis auf die Schultern reichte, die großen braunen Augen, die ihn dazu zu verleiten schienen, sich in ihnen zu verlieren. Ihre Kurven waren großzügig bemessen, und wenn er sich selbst gegenüber ehrlich war, dann war sie rein äußerlich genau der Typ Frau, der ihn interessierte. Außerdem hatte sie Stil. Er konnte sich nicht daran erinnern, wann er das letzte Mal einer Frau wie ihr begegnet war.

„Ich bin Russell Holloway“, erklärte er, obwohl ihm klar war, dass sie ihn erkannt hatte. Ansonsten hätte sie schließlich nicht sagen können, dass sie viel über ihn gehört hatte.

„Ich weiß.“ Gleich darauf schüttelte sie den Kopf. „Auch wenn das jetzt nicht so aussieht, aber normalerweise fallen meine Bemerkungen etwas geistreicher aus.“

Er lachte leise. „So ein erstes Kennenlernen kann einen schon ganz schön aus der Fassung bringen.“

„Da haben Sie allerdings recht.“ Sie sah ihn an und bekam einen roten Kopf. „Ich weiß nicht, was ich sagen soll.“

„Dann sagen Sie einfach gar nichts, und lassen Sie mich Ihren Anblick genießen. Sie sind eine sehr schöne Frau.“

„Das kann ich selbst schlecht beurteilen. Sollen wir uns nicht an den Tisch setzen?“

„Noch nicht“, gab Russell zurück und nahm ihre Hand, um sie bei sich unterzuhaken. Dann verließ er mit ihr den Ballsaal und betrat den Korridor. Er hatte bereits dafür gesorgt, dass das Kamerateam ihnen folgte. Das musste genauso reibungslos ablaufen wie jedes andere Detail dieses Auftritts. Immerhin hatte Russell bei der Partnervermittlung unterschrieben, weil er seinen Ruf aufpolieren wollte.

Seit zwei Jahren stagnierten die Umsätze in seinen Kiwi Klubs, die nach dem gleichen Prinzip funktionierten wie der allgegenwärtige Club Med. An jedes Hotel angeschlossen war ein exklusiver Nachtclub für Leute mit Geld, denen es darum ging, gesehen zu werden. Russell strich damit ansehnliche Gewinne ein, doch er wollte mal wieder etwas Neues ausprobieren.

Richtig viel Geld ließ sich mit Ferienanlagen machen, die familienfreundlich ausgerichtet waren. Aber bei dem Ruf, der ihm vorauseilte, war es für ihn nicht so leicht, in dieser Branche Fuß zu fassen. Vor Kurzem hatte sich die Möglichkeit ergeben, das bekannte Unternehmen Family Vacation Destinations zu kaufen, doch der Eigentümer war nicht bereit gewesen, auf Russells Angebot einzugehen – nicht etwa, weil es finanziell nicht lukrativ gewesen wäre, sondern weil er um das Ansehen dessen bangte, was er aufgebaut hatte. Für Russell war damit klar, dass es höchste Zeit wurde, sein Image zu ändern.

Er hatte bereits mit Willow und mit Conner MacAfee, dem Eigentümer von Matchmakers Inc., verabredet, mit Gail die Gustav-Klimt-Ausstellung zu besuchen, die offiziell erst am nächsten Mittwoch im Big Apple Kiwi Klub eröffnet werden sollte. Als enger Freund hatte Conner Russell vorgeschlagen, in der Fernsehshow mitzumachen, um seinen Imagewandel möglichst öffentlich zu gestalten.

„Wohin gehen wir?“, fragte Gail. „Ich dachte, wir sollen im Ballsaal bleiben.“

„Haben Sie Angst, Sie könnten Ärger kriegen?“, gab er zurück.

„Nein, ich halte mich nur gern an die Spielregeln.“

„Ich nicht.“

„Jetzt bin ich aber schockiert“, konterte sie unüberhörbar ironisch.

Er musste lachen, als er das hörte. Diese Frau machte auf ihn den Eindruck, sehr selbstbewusst und von sich überzeugt zu sein – beides Eigenschaften, auf die er gehofft hatte. „Keine Sorge, Gail, unser kleiner Ausflug ist mit der Produzentin abgestimmt.“

„Dann ist es ja gut.“

„So, da wären wir“, sagte er und hielt ihr die Tür zum Atrium des modernen und sehr großzügig angelegten Hotels auf. „Die Ausstellung öffnet am Mittwoch, also sind wir die Ersten, die sie zu sehen bekommen.“

Als er seinerzeit das architektonische Design abgesegnet hatte, da war es ihm wichtig gewesen, das Atrium so zu gestalten, dass man es für Kunstausstellungen nutzen konnte. Als Vorbild hatte ihm das Metropolitan Museum of Art gedient. Wenn er Familien und Paare als Gäste für seine Hotels gewinnen wollte, musste er ihnen schon etwas Besonderes bieten, das sie nicht überall bekamen.

„Ich liebe Klimts Arbeiten. Den Kuss habe ich als Druck in meinem Schlafzimmer hängen“, sagte sie.

Russell fand es interessant, dass Gail ausgerechnet dieses Motiv für ihr Schlafzimmer ausgesucht hatte. Klimts Stil strahlte etwas sehr Sinnliches aus.

„Hat Sie ein Mann schon mal so geküsst?“, fragte er.

Sie hob den Kopf und sah ihn an. Ihr Blick hatte etwas leicht Schockiertes. „Nicht dass ich wüsste. Aber ich bin mir sicher, Sie haben eine Frau schon so geküsst.“

Verdutzt zog er eine Braue hoch. Gail schien ihn nicht sonderlich zu mögen. „Ein Gentleman genießt und schweigt.“

„Nur sind Sie nie ein Gentleman gewesen“, erwiderte sie und klang beinahe wütend.

„Stimmt“, räumte er ein. „Ich bin nicht gerade der Typ Mann, der in seinen Beziehungen besonnen ist. Aber genau deswegen bin ich hier.“

„Wirklich?“

„Wirklich. Ich mache bei dieser Sendung nicht mit, um irgendwelche Spielchen mit Ihnen zu spielen, Gail. Genauso wie Sie suche ich etwas Dauerhaftes.“ Er wusste, wenn er es schaffen wollte, sein Image zu ändern, dann musste er zunächst Gail davon überzeugen. Wenn er ihr nicht glaubhaft machen konnte, dass er nicht länger der böse Bube war, würden ihm die Menschen vor den Fernsehern das auch nicht abnehmen.

„Tut mir leid, wenn ich vorschnell über Sie geurteilt habe“, sagte sie.

„Das sollte Ihnen auch leidtun“, gab er mit einem Augenzwinkern zurück.

Die Produktionsassistentin gab ihnen ein Zeichen, damit sie weitergingen, und Russell führte Gail zum nächsten Gemälde, einem Porträt einer Dame aus der besseren Gesellschaft. Eine Weile standen sie davor und betrachteten es schweigend.

„Diese Frau erinnert mich an Sie“, sagte er. Die Frau auf dem Bild war noch vollständig bekleidet, lediglich ihr Mieder war geöffnet, so als wollte sie im nächsten Moment für ihren Betrachter alle Hüllen fallen lassen.

„Hatte ich schon erwähnt, dass Standardsprüche bei mir nicht funktionieren?“, hielt Gail dagegen.

„Wie kommen Sie darauf, dass das ein Standardspruch war?“, wollte er wissen.

Statt darauf zu antworten, bemerkte sie: „Sie ist sehr sexy.“

„Das sind Sie auch.“

Ein wenig gelangweilt verdrehte Gail die Augen, und Russell wurde zum ersten Mal klar, dass es hier nicht nur um seine, sondern auch um Gails Zukunft ging. Auch wenn er sich aus rein geschäftlichen Gründen für diese Show entschieden hatte, war er dennoch entschlossen, sich Gail von seiner besten Seite zu präsentieren.

Er hob eine Hand, um ihre Wange zu berühren, aber sie wich vor ihm zurück. Seinen alten Ruf abzuschütteln würde ganz offensichtlich viel schwieriger werden als gedacht. Es war einfach zu lange her, dass er sich außerhalb jener Kreise bewegt hatte, in denen seine dekadenten Freunde verkehrten.

„Sie ist genauso rätselhaft wie Sie. Sie sind eine sehr vielschichtige Frau“, sagte er.

„Und Sie sind das genaue Gegenteil davon, ja?“, konterte sie.

„Oh, das will ich nicht hoffen. Sonst wäre ich wohl ein ziemlich langweiliger Mensch.“

„Also, ich glaube, da müssen Sie sich keine Sorgen machen. Als langweilig hat Sie bestimmt noch niemand bezeichnet“, gestand sie ihm zu.

Russell drehte sich mit ihr um in Richtung des Korridors, durch den sie gekommen waren. Er hatte inzwischen tatsächlich vergessen, dass dort die Kameras standen, die jede Bewegung mitfilmten. Es kam äußerst selten vor, dass ihn etwas vom Geschehen ringsum ablenkte. Umso überraschter war er, dass Gail genau das geschafft hatte.

„Okay, Schnitt. Gut gemacht, ihr zwei. Jack, du bist dran“, rief Willow.

Jack stellte sich zu ihnen, was Russell daran erinnerte, dass dies hier eindeutig eine Fernsehshow war. Der Moderator schüttelte ihm und Gail die Hand. „Sie beide machen das richtig gut.“

„Danke“, erwiderte Russell.

„Okay, wir sind so weit, mit dem Dreh anzufangen“, ließ Willow alle Anwesenden wissen.

„Nachdem Ihr erstes Date nun vorbei ist, wie ist da Ihre Meinung über Matchmakers Inc.?“, fragte Jack.

„Die Leute bei Matchmakers Inc. haben erkannt, was ich will, obwohl Gail eigentlich nicht dem Typ Frau entspricht, mit dem ich mich normalerweise treffe“, antwortete Russell. „Ich finde, das ist eine sehr intuitive und gute Arbeit.“

„Und Sie, Gail?“

„Also, Russell ist ganz eindeutig der Letzte, den ich heute hier erwartet hätte. So gesehen hat man mich einem Mann vorgestellt, dem ich unter normalen Umständen nie begegnet wäre.“

Jack begann zu lachen, dann rief Willow: „Schnitt. Jack, wir brauchen dich noch für den Rest vom Intro. Russell, Gail, ihr könnt in den Ballsaal gehen, da wird euch die Crew filmen, wie ihr esst und euch unterhaltet.“ Das Drehteam machte kehrt, um Willows Anweisungen zu befolgen.

„Das wird bestimmt aufregend“, meinte Gail, drehte sich auf dem Absatz um und durchquerte das Atrium.

„Wieso so eilig?“

„Weil ich mit Willow reden will, bevor weiter gefilmt wird.“

„Aber warum?“, fragte Russell.

„Ich muss mit ihr ein paar Dinge klären.“

„Wollen Sie einen Rückzieher machen?“, fragte er.

„Nehmen Sie’s nicht persönlich“, entgegnete sie mit einem Achselzucken. „Aber ich bin mir nicht sicher, dass Sie der Richtige für mich sind. Für die Zuschauer wird das sicher sehr interessant. Sie wissen schon, von wegen der Gegensätze, die sich anziehen und so. Aber es gibt einen Unterschied zwischen dem, was die Zuschauer wollen, und dem, was ich will.“

„Ich mache das nicht wegen der Quoten“, rief er ihr nach, da ihm schon wieder vor Augen geführt wurde, wie mühselig es sein würde, seinen bisherigen Ruf loszuwerden.

Sie blieb stehen und sah ihn über die Schulter an. „Und weswegen dann?“

„Wir müssen alle mal erwachsen werden, und ich würde sagen, dass ich jetzt damit an der Reihe bin.“

Ihm entging nicht, dass sich der Ausdruck in ihren Augen irgendwie veränderte, und damit war ihm klar, dass sie angebissen hatte. Sie wollte herausfinden, ob er in Wahrheit nicht doch bloß ein Playboy war oder ob mehr dahintersteckte.

„Also gut. Ich werde dieses Date abwarten, ehe ich mit Willow rede. Aber ich verspreche Ihnen, ich werde es Ihnen nicht leicht machen. Ich habe mir für dieses Jahr vorgenommen, einen Ehemann zu finden, und ich werde meine Zeit nicht mit einem Typen vergeuden, der nicht zum Heiraten taugt.“

Nein, das würde ganz bestimmt nicht mal annähernd so leicht werden, wie Russell es sich erhofft hatte.

2. KAPITEL

Seit dem Tag, an dem Willow beschlossen hatte, aus Gails Privatleben eine Reality-Show zu machen, wurde Gail von Zweifeln geplagt, ob das wirklich so eine gute Idee gewesen war. Aber sie hatte der Partnervermittlung eine Menge Geld gezahlt, damit die ihr einen Mann fürs Leben präsentierte.

Willow hielt die Show für faszinierend, weil viele erfolgreiche Männer und Frauen Schwierigkeiten hatten, einen Partner zu finden. Schließlich ließ ihnen ihr Arbeitspensum keine Zeit, um sich auf gut Glück mit irgendwem zu verabreden – sofern sie überhaupt jemanden kennenlernten, der sie wirklich interessierte.

Allerdings war Russell Holloway definitiv der falsche Mann für Gail. Zugegeben, er war sexy, aber das reichte ihr nicht. Dann schon eher jemanden wie aus einer Werbung von Ralph Lauren, einen mit perfekt gestyltem Haar und Poloshirt, der vor einem Herrenhaus in den Hamptons posierte. Sie wollte jemanden, der die richtige Besetzung für diese Rolle war und der ihr die Illusion jenes perfekten Lebens gab, nach dem sie sich immer gesehnt hatte.

Gern hätte sie die Zweisamkeit mit Russell genossen, aber ihr lief die Zeit davon, zumal sie den Eindruck hatte, dass ihre biologische Uhr schneller tickte als bei ihren Altersgenossinnen. Also musste sie möglichst schnell herausfinden, ob Russell für sie der Richtige sein konnte oder nicht.

Während sie am Tisch saß, wartete sie darauf, dass er sich zu ihr gesellte, aber er musste vor Drehbeginn noch ein dringendes Telefonat erledigen. Gail hatte ihr iPhone aus der Tasche gezogen, obwohl sie ihre Assistentin J. J. angewiesen hatte, sich um alle Notfälle zu kümmern. Sie wusste, wenn sie sich durch ihre Arbeit ablenken ließ, würde ihre Suche nach einem Mann niemals erfolgreich verlaufen.

Auf einmal begannen ihre Gedanken abzuschweifen. War Russell tatsächlich tiefgründiger, als es den Anschein hatte? Vermutlich ja. Allerdings wusste sie aus jahrelanger Erfahrung in der PR-Branche, dass sich unter einem strahlenden Äußeren für gewöhnlich etwas verbarg, das alles andere als ansprechend war.

Russell kam zurück und setzte sich zu ihr, während die Crew letzte Vorbereitungen für den Dreh traf. „Wenn meine Kumpel mich mit diesem Make-up im Gesicht sehen, werden sie mich damit bis zum Jüngsten Tag aufziehen.“

„Das muss man eben über sich ergehen lassen, wenn man Promi ist“, erwiderte sie lächelnd.

„Ich habe mich nie für einen Promi gehalten“, gab er zurück.

„Wieso nicht? Sie verkehren doch in diesen Kreisen“, wandte sie ein. Erst am Morgen noch hatte sie auf einer der Klatschseiten im Internet, die sie für ihre Kunden im Auge haben musste, ein Foto entdeckt, das ihn mit zwei Mitgliedern des spanischen Königshauses auf einer Jacht zeigte.

„Das ist eigentlich nicht mein Ding“, machte er ihr klar. „Ich reise gern, ich fahre Ski, ich gehe zu Eröffnungspartys von Clubs und so weiter, aber zum großen Teil tue ich das aus geschäftlichen Gründen, weil so mein Name im Gespräch bleibt.“

„Die Zeitungen und das Internet berichten oft über Sie“, wandte sie ein.

„Ja, aber ich gehe bei denen nicht hausieren, damit sie über mich berichten“, stellte er klar.

Das Essen wurde gebracht, aber statt auf ihren Teller konzentrierte sich Gail ganz auf Russell. Sie hatte so viele Leute kennengelernt, deren Image auf Hochglanz poliert werden musste, dass sie in den Menschen oft nur das Schlechteste sah, was sie auch unumwunden zugab. Aber sie wollte Russell wenigstens eine Chance geben, und das nicht nur seinetwegen, sondern auch, weil sie so viel Geld investiert hatte, damit Verabredungen wie diese überhaupt erst zustande kommen konnten. Für sie war das hier so etwas wie die letzte Hoffnung.

„Sie starren mich an“, sagte er.

„Na, Sie sind ja auch ein sehr hübscher Mann“, konterte sie so schlagfertig, wie sie es immer dann war, wenn sie nicht ehrlich sein wollte.

„Hübsch? Sagt man nicht nur zu Mädchen, dass sie hübsch sind?“, fragte er verwundert.

„Nein, Jungs können auch sehr hübsch sein.“ Und genau das war er. Aber mit seinem markanten Kinn und dieser kleinen Narbe wirkte er zugleich ein wenig rau und ungeschliffen. Gail war sich noch nicht sicher, ob das für oder gegen ihn sprach. Seine Statur war die eines Athleten, und er bewegte sich mit der Selbstsicherheit eines Mannes, der in seinem Leben viele außergewöhnliche Erfahrungen gemacht hatte – einem sehr wohlhabenden Leben, sollte man wohl ergänzen, auch wenn sich für ihn nicht alles ums Geld zu drehen schien.

„Tja“, kommentierte er ironisch. „Dann vielen Dank für das Kompliment, sofern es tatsächlich eins war.“

Gail lächelte ihn an. Man konnte sich gut mit ihm unterhalten, und obwohl sie die ganze Zeit darauf wartete, ihn bei einer Lüge zu erwischen, war er ihr sympathisch. „Ich suche immer noch nach einem Anzeichen dafür, dass Sie mir gegenüber ehrlich sind.“

„Und? Schon was gefunden?“

„Ich bin mir nicht sicher, allerdings habe ich das Gefühl, dass ich dadurch alles, was Sie sagen oder tun, zu Tode analysiere.“ Aber so war sie eigentlich bei jedem, den sie kannte. Sie verbrachte stets viel Zeit damit, über die Gründe nachzudenken, warum jemand etwas Bestimmtes tat. Zwar gelang es ihr trotzdem nicht, diese Menschen richtig zu verstehen, aber wenigstens versuchte sie es.

„Dann mache ich wohl etwas verkehrt“, sagte er und beugte sich vor, sodass sie sein würziges Rasierwasser riechen konnte. „Langweile ich Sie?“

„Nein, überhaupt nicht. Erzählen Sie mir, warum Sie hier sind.“ Diese Frage hatte sie eigentlich stellen wollen, bevor sie wusste, dass sie Russell präsentiert bekam, und spontan war sie soeben auf die Idee gekommen, ihn genauso zu behandeln wie jeden anderen Mann auch, den die Partnervermittlung für sie hätte aussuchen können. Nur weil man ihr einen Milliardär und internationalen Playboy geschickt hatte, musste sie doch keine Ausnahme machen.

Er lehnte sich auf seinem Stuhl nach hinten und sah ihr in die Augen. „Es wird Zeit für mich, sesshaft zu werden. Meine bisherigen Ziele sind es gewesen, reich zu werden und mir einen Namen zu machen. Ich denke, das habe ich geschafft.“ Er musterte sie einen Moment lang, als versuche er, die wahre Frau unter dem Make-up zu finden. „Ich mag es immer noch, auf Partys zu gehen, aber den echten Reiz haben sie schon vor einer Weile verloren. Ich möchte eine Partnerin haben, mit der ich mein Leben, aber nicht nur ein paar Tage teilen kann.“

Sie wollte ihm glauben, aber war das ein Wunder? Jedes Mädchen träumte davon, von einem Lebemann wie ihm gesagt zu bekommen, er wolle sesshaft werden und das nur mit diesem einen, bestimmten Mädchen tun.

„Das verstehe ich ja. Aber wieso gleich heiraten?“

„Warum halten Sie mich nur für so verdorben?“, fragte er.

„Das tue ich gar nicht“, beteuerte sie und musste einsehen, dass sie bei ihm viel strengere Maßstäbe anlegte als bei jedem anderen Mann. Sie wusste auch, sie tat das, weil sie wütend war. Wütend, dass man ihr diesen Mann vor die Nase gesetzt hatte und dass sie nun aus dieser Situation irgendwie das Beste machen musste.

„Tut mir leid“, sagte sie schließlich. „Erzählen Sie mir von Ihrer Familie.“

„Ich bin ganz traditionell aufgewachsen. Meine Eltern leben zwar nicht mehr, aber ich weiß, sie wollten, dass ich eines Tages Frau und Kinder habe.“

Er machte eine nachdenkliche Miene und wandte einen Moment lang den Blick von ihr ab. Prompt war es ihr unangenehm, dass sie ihn so ausgefragt hatte. So wie sie selbst musste auch er einen bestimmten Grund haben, warum er sich an eine Partnervermittlung gewandt hatte, und das sollte sie respektieren.

Als sie sich räusperte, lenkte sie seine Aufmerksamkeit wieder auf sich. „Kinder haben Sie doch, oder?“

„Nein. Es gab Vaterschaftsklagen, aber bei denen habe ich mich außergerichtlich geeinigt. Und nein, ich habe keine Kinder.“

Außergerichtlich geeinigt, und trotzdem hatte er keine Kinder? Wie war denn das zu verstehen? Sie hätte gern nachgehakt, aber für ein erstes Date wären das zu persönliche Fragen gewesen. „Was hab…“

„Sie haben mich jetzt genug gefragt“, unterbrach er sie. „Ich bin an der Reihe. Warum haben Sie sich an Matchmakers Inc. gewandt?“

Als sie bemerkte, wie intensiv er sie mit seinen silbergrauen Augen anschaute, da hätte sie sich am liebsten sofort in die Anonymität zurückgezogen. Sie wollte die Kontrolle über die Situation haben und diese Kontrolle ganz sicher nicht mit ihm teilen.

Nervös rutschte Gail auf ihrem Stuhl hin und her. Sie wollte ihm nichts über sich erzählen, dennoch sagte sie: „Weil es für mich der nächste logische Schritt war. Ich leite ein erfolgreiches Unternehmen und führe ein gutes Leben.“

„Klingt idyllisch, aber da Sie jetzt mit mir hier am Tisch sitzen, muss Ihnen ja doch irgendetwas fehlen“, wandte er ein.

„Ja, richtig.“

„Das ergibt einen Sinn. Und ich kann Ihre Beweggründe nachvollziehen.“

„Tatsächlich?“, fragte sie, weil sie kaum glauben wollte, dass sie mit diesem Mann etwas Nennenswertes gemein haben könnte. Wie eigenartig, dass sie beide zur gleichen Zeit an diesem Punkt in ihrem Leben angekommen waren. So verkehrt sich das auch für sie anfühlte, beschloss sie dennoch, das Beste aus dieser Situation zu machen.

„Ja. Als ich jung war, wusste ich genau, was ich wollte, und habe meine Absichten mit einer fast besessenen Zielstrebigkeit verfolgt. Ich habe hart gearbeitet und viel riskiert, und dann, eines Tages …“

„… wurde Ihnen klar, dass Sie alles erreicht haben, richtig?“

Er nickte. „Ja, und trotzdem war ich unzufrieden.“

„Mir ging es ganz genauso“, erklärte sie. Vielleicht wollte sie gar nicht den Mann kennenlernen, der sich in Wahrheit hinter diesem Image versteckte, denn als sie nun hörte, dass er von den gleichen Zweifeln geplagt wurde wie sie, da begann sie ihn zu mögen. Nein. Mögen war viel zu harmlos formuliert. Sie fühlte sich zu ihm hingezogen.

„Sie starren mich schon wieder an“, sagte er. „Ich will mir ja nichts einreden, aber wenn Sie so weitermachen, bekomme ich noch das Gefühl, unwiderstehlich zu sein.“

„Daran werden Sie sich für den Fall gewöhnen müssen, dass Sie mit weiteren Überraschungen aufwarten wollen.“

„Dann werde ich mich eben daran gewöhnen. Ich habe nämlich vor, Sie weiter mit unerwarteten Enthüllungen über mich zu konfrontieren.“

„Wieso?“

„Weil ich nur so die wahre Gail kennenlernen werde.“

„Ist das für Sie wichtig?“, fragte sie, da sie sich nicht sicher war, ob sie überhaupt wollte, dass jemand ihr wahres Ich kennenlernte.

„Extrem wichtig, weil ich glaube, ich werde nur dann von Ihnen zu hören bekommen, dass Sie mir vertrauen.“

„So leicht vertraue ich niemandem“, gab sie zu. „Wohl ein weiterer Grund, warum ich mich an eine Partnervermittlung gewandt habe.“

„Haben Sie denn schon mal dem Falschen vertraut?“, wollte er wissen und beugte sich weiter vor.

„Ja.“ Sie ließ den Kopf sinken und dachte an ihre große Liebe Joe. Auch jetzt war sie noch fest davon überzeugt, dass er ihr nicht hatte wehtun wollen, aber er war so sehr auf das konzentriert gewesen, was er wollte, dass er ihre Träume einfach überrollt hatte, um seine eigenen zu verwirklichen.

Russell nickte verständnisvoll und griff nach ihrer Hand. „Ich weiß, es ist egal, was ich jetzt sage, Sie würden es mir im Moment ohnehin nicht glauben. Trotzdem will ich die Gewissheit haben, dass Ihnen klar ist, dass ich nicht so bin wie irgendein anderer Mann, den Sie je gekannt haben.“

„Das war mir von Anfang an klar“, erwiderte sie grinsend.

„Das hat Ihnen mein hübsches Gesicht verraten, wie?“ Sein Lächeln war so sexy, dass ihr ein Schauer über den Rücken lief.

„Okay, das Essen haben wir im Kasten. Jetzt geht’s für euch beide rauf aufs Dach“, sagte der Regisseur, und augenblicklich brach die Crew in geschäftiges Treiben aus.

Gail wurde in dem Augenblick klar, dass es ihr reichte. Sie musste sich erst noch an den Gedanken gewöhnen, dass eine Agentur für sie einen Mann ausgesucht hatte. Dass sie dabei auch noch ständig von Kameras verfolgt wurde, machte den Albtraum aus ihrer Sicht komplett.

Jack kam zu ihnen und fragte sie, welchen Eindruck sie bislang von ihrem ersten Date hatten. Gail wusste nicht so recht, was sie darauf antworten sollte, also murmelte sie etwas vor sich hin. Glücklicherweise schwenkte die Kamera gleich darauf auf Russell, damit sich Jack mit ihm unterhalten konnte. Während sie dastand und Russell beobachtete, ging ihr der Gedanke durch den Kopf, dass sie sich hoffentlich keinen verheerenden Fehler geleistet hatte.

War sie tatsächlich der Meinung gewesen, auf diesem Weg den Richtigen zu finden? Mithilfe einer Partnerschaftsvermittlung, auf deren Anzeige sie im Internet gestoßen war? Andererseits … welche Alternativen standen schon zur Auswahl?

Sie war mit allen Männern ausgegangen, die sie privat kannte. Willow und Nichole hatten beide versucht, sie zu verkuppeln, aber nie war etwas Dauerhaftes dabei herausgekommen.

„Werden wir springen, wenn wir oben auf dem Dach sind?“, fragte Gail.

„Keine schlechte Idee. Ich nehme an, damit würden wir die Einschaltquoten in die Höhe treiben“, meinte Russell. „Ich kann mir die Meldungen bildlich vorstellen: Angesehene Geschäftsfrau stößt neuseeländischen Playboy vom Dach, weil sie auf einen besseren Kandidaten hofft.“

Unwillkürlich musste Gail lachen. „Ich werde Sie schon nicht vom Dach stoßen … noch nicht jedenfalls.“

„Klingt so, als sollte ich mich mehr um meine Charme-Offensive kümmern“, meinte er amüsiert.

Ehe sie darauf etwas erwidern konnte, tauchte Kat bei ihnen auf. „Unterhaltet euch, wenn die Kamera dabei ist, Leute. Wir brauchen euch jetzt auf dem Dach.“

Sie wurden zu einem Privataufzug gebracht, der sie aufs Dach brachte, wo auf einem Landeplatz bereits ein Hubschrauber auf sie wartete. „Ist der für uns?“

„Überraschung“, sagte Russell. „Ich habe mir überlegt, dass Ihnen ein abendlicher Rundflug über Manhattan gefallen könnte.“

„Jetzt bin ich tatsächlich überrascht. So was wollte ich schon immer mal machen.“

„Gut. Die Kameras können uns dabei nicht begleiten, also werden wir etwas mehr Zeit haben, uns unter vier Augen besser kennenzulernen.“

Gail entgegnete nichts darauf. Man entfernte die Mikrofone von ihrer Kleidung, dann wurden sie zum Hubschrauber begleitet. In einiger Entfernung blieb der Kameramann stehen, filmte aber zweifellos weiter, damit sie diese Szene in die Serie einbauen konnten. Gail war froh darüber, dass sie wenigstens für eine Weile ungestört sein würden.

Russell half ihr beim Einsteigen, dann setzte er sich zu ihr und reichte ihr einen Kopfhörer. Sie setzte ihn auf und korrigierte die Position des Mikrofons. „Ich möchte wetten, mit dem Ding auf dem Kopf sehe ich richtig hinreißend aus.“

„Sie sehen großartig aus“, versicherte er ihr.

Minuten später befanden sie sich in der Luft und flogen über Manhattan. Russells Stimme drang leise und eindringlich aus dem Kopfhörer, obwohl er dafür eigentlich viel zu laut reden musste, um den Lärm der Rotoren zu übertönen.

„Als ich zum ersten Mal in die USA kam, da wollte ich mir hier einen Namen machen. Wir haben in Vegas begonnen, weil das gut zum Ruf der Kiwi Klubs passte. Aber mein Ziel war ein eigenes Hotelgebäude in New York.“

„Wie haben Sie denn überhaupt angefangen?“, erkundigte sie sich.

„Mit einem kleinen, heruntergekommenen Hotel in Sydney. Ich hatte es bei einer Pokerpartie gewonnen.“

„Ich dachte, Sie kommen aus dem Süden von Neuseeland.“

„Das ist richtig, aber mit sechzehn bin ich von zu Hause weggegangen und habe es nie bereut“, erklärte er.

„Wenn ich Ihren Namen im Internet gelesen habe, ist davon nie die Rede gewesen“, sagte Gail. „Es ist mir etwas peinlich, aber ich weiß eigentlich nur das, was auf den Klatschseiten über Sie geschrieben wird.“

Er zuckte mit den Schultern. „Das ist das, was die meisten über mich wissen.“

„Und … stimmt das alles?“, fragte sie zögerlich. „Ich bin lange genug in der PR-Branche tätig, um zu wissen, dass schlechte Publicity manchmal auch von Vorteil sein kann.“

„Richtig. Ich bin dafür bekannt, dass ich reiche und berühmte Freunde habe und ein Spielertyp bin, und das ist genau das, was mein Kundenkreis will.“

„Und wieso dieser plötzliche Wandel? Steckt da mehr hinter als nur eine PR-Aktion?“

„Ja, natürlich. Ich werde nicht zu PR-Zwecken heiraten.“

„Sie wären aber nicht der Erste, der so was macht. Zweckehen hat es schon immer gegeben.“

„Mag sein“, stimmte Russell ihr zu. „Aber ich will nicht bloß eine Zweckehe eingehen. Ich will mehr haben als das. Ich bin schließlich nicht bloß ein Playboy.“

Es überraschte sie, etwas so … so Tiefgründiges von ihm zu hören. „Ich will auch mehr“, räumte sie ein. „Ich arbeite gern einen Plan aus, den ich anschließend in die Tat umsetze. Wenn ich das allein mache, ist es gut, aber wenn es von einem anderen abhängt, ob mein Plan gelingen kann, dann geht das unter Umständen auch schon mal schief.“

„So wie jetzt?“

Nach kurzem Zögern sagte sie sich, dass Russell nicht der Typ Mann war, für den sie sich normalerweise interessierte. Folglich hatte sie nichts zu verlieren, also konnte sie ihm gegenüber völlig ehrlich sein, so brutal das auch für ihn sein mochte. „Ja, wie diese Situation mit Ihnen. Sehen Sie, mein Plan war, mir von Matchmakers Inc. den perfekten Mann aussuchen zu lassen. Im Hinterkopf habe ich eine Checkliste mit allen Eigenschaften, die ich von ihm erwarte.“

„Und dieser Liste werde ich nicht gerecht?“, fragte er. „Das ist nicht fair, Gail. Sie wissen doch überhaupt nicht, ob ich diese Eigenschaften habe oder nicht.“

„Stimmt, aber ich habe ein wenig Angst davor, den wahren Russell Holloway kennenzulernen.“

„Das kann ich gut nachvollziehen. Mir geht es nicht anders, und wenn Sie sich nicht als die Frau entpuppen, für die ich Sie halte, dann bin ich angeschmiert.“

„Ich schätze, dann sind wir beide angeschmiert“, gab sie lachend zurück.

Er griff nach ihrer Hand und strich sanft mit den Lippen über ihre Fingerknöchel. „Das möchte ich aber nicht. Lassen Sie uns noch mal von vorn anfangen, dann werde ich versuchen, mehr dem Mann Ihrer Träume zu entsprechen. Und Sie können …“

„Ja?“

„… Sie können mir eine zweite Chance geben und nicht so vorschnell über mich urteilen.“

„Ich werde es versuchen. Das ist eine meiner schlimmsten Eigenschaften.“ Ihr gefiel die Art, wie er ihre Hand hielt.

„Was meinen Sie damit?“

„Ich meine damit, dass ich nicht in der Lage bin, Fehlschläge zu akzeptieren.“

„Bei anderen?“, fragte er, rieb mit dem Daumen über ihren Handrücken und ließ sie dann los.

Eine Gänsehaut lief ihr über den Arm, und sie wusste, sie wollte Russell am liebsten gleich wieder berühren. Dieser Wunsch war völlig unerwartet aufgetaucht, und sie konnte sich auch nicht erklären, was ihn ausgelöst hatte. Auf jeden Fall hatte dieser Mann etwas an sich, das sie ihre Listen und Pläne vergessen ließ.

„Und bei mir selbst“, sagte sie leise und mehr zu sich selbst. Aber er hatte sie bereits gehört, da er bedächtig nickte.

„Ich werde versuchen, Sie nicht zu enttäuschen.“

Diese Worte genügten, ihren Entschluss zu bekräftigen, ihm auf jeden Fall eine zweite Chance zu geben. Sie wollte ihre Gefühle im Zaum halten und ihr Herz warnen, damit es vorsichtig war, was ihn anging, denn ihr gesunder Menschenverstand sagte ihr, dass Russell nicht bloß sein Image aufpolieren wollte. Doch das änderte alles nichts daran, dass sie in den nächsten sechs Wochen die Art Frau sein wollte, die sich von einem Mann fesseln ließ. Und das, obwohl sie wusste, dass er in seinem tiefsten Inneren ein böser Junge war, der ihr wahrscheinlich das Herz brechen würde.

Russell war klar, dass er sich glücklicher schätzen konnte als viele andere Männer. Er hatte seine Geheimnisse, aber das Leben hatte es insgesamt gut mit ihm gemeint. Dies war einer von jenen Momenten, in denen er erkannte, dass das Glück auf seiner Seite war. Für seinen Imagewandel brauchte er eine Frau wie Gail, und prompt fiel sie ihm praktisch in den Schoß.

Ihre Haut fühlte sich glatt und zart an, und er mochte es, sie zu berühren und ihre Hand zu halten. Aber er wollte sie nicht bedrängen. Ein angenehmer blumiger Duft umgab sie, von dem er wusste, dass er sich noch lange daran erinnern würde, wenn sich an diesem Abend ihre Wege trennten.

„Danke, Russell“, sagte sie.

„Wofür?“

„Für den Rundflug. Der ist wirklich wunderbar, und außerdem musste ich dringend diesen Kameras entfliehen.“

„Das geht mir genauso. Ich bin nicht daran gewöhnt, vor Publikum mit einer Frau auszugehen“, stimmte er ihr zu. Zwar tauchten die Frauen, mit denen er sich sonst verabredete, ständig in den Schlagzeilen auf, aber er selbst mied das Blitzlichtgewitter lieber.

„Ich erst recht nicht“, meinte Gail. „Das ist mein erstes Date, das mir so … so hochkarätig vorkommt. So was habe ich nun wirklich nicht erwartet.“

„Steht das auf Ihrer Liste?“, wollte er wissen.

„Auf welcher Liste?“

„Na, auf der Checkliste für Ihren Traummann.“ Er mochte ihre direkte Art zu reden, und es gefiel ihm, wie sie ihm in die Augen sah, wenn sie sich mit ihm unterhielt. Es machte ihm deutlich, dass sie auf alles achtete, was er tat und was er sagte. In ihrer Gegenwart musste er ständig auf der Hut sein.

„Nun … eigentlich gibt’s diese Liste gar nicht. Es geht nur um bestimmte Gefühle und Eigenschaften, die ein Mann meiner Meinung nach haben sollte, damit er zu mir passt.“

Leicht neigte er den Kopf zur Seite. „Das ist aber eine Checkliste.“

Sie zuckte mit den Schultern, die durch ihr ärmelloses Kleid unbedeckt waren. Ihre Arme waren leicht gebräunt, und er konnte das Spiel ihrer Muskeln sehen, als sie sie bewegte. Vermutlich ging sie ins Fitnessstudio.

„Ja, stimmt. Es ist eine Liste. Ich suche einen Mann, der einen guten Job hat.“

„Dann können Sie bei mir schon mal ein Häkchen machen.“

„Das sollten Sie bekommen“, meinte sie lächelnd.

„Was noch?“

„Er sollte … er sollte sich der Frau verbunden fühlen, mit der er ausgeht.“

„Aha. Sie davon zu überzeugen, dürfte wohl etwas schwieriger sein, nicht wahr?“

„Ja. Sie sind nicht gerade als Verfechter der Monogamie bekannt.“

„Aber ich bin heute Abend hier.“

„Ja, deshalb bekommt dieser Punkt auf der Liste nur ein ‚Vielleicht‘“, sagte sie.

„Und weiter?“

„Ähm …“ Sie zögerte, und er sah, wie sie vom Hals bis zu den Wangen errötete.

„Was ist der nächste Punkt?“, hakte er nach. „Wieso sind Sie auf einmal so verlegen?“

Sie schlang die Arme um sich und sah nach draußen auf das abendliche Manhattan, dann spielte sie gedankenverloren mit dem Anhänger an ihrer Halskette. „Ich muss mich zu Ihnen hingezogen fühlen. Ein erfülltes Sexleben steht auch auf meiner Liste.“

„Wenn die Zeit gekommen ist, Gail, werden Sie keinen Zweifel mehr daran haben, dass ich in diesem Punkt Ihre Anforderungen erfüllen kann.“

Als sie sich wieder zu ihm umdrehte, blieb sein Blick an ihren Lippen hängen, die er so unbedingt kosten wollte. Ja, er wollte sie küssen, weil sie sein Verlangen geweckt hatte. Er wusste, dass diese Reaktion an Gail lag, auch wenn er wollte, dass es die ganz normale Lust war, die er für jede attraktive Frau empfand. Doch es war mehr als das, und das fühlte er ganz deutlich. Er verspürte den Wunsch, jede Anforderung auf ihrer Liste erfüllen zu können, um ihr Traummann zu sein, doch warum ihm das so wichtig war, konnte er sich selbst nicht erklären.

Plötzlich beugte er sich vor, woraufhin sie ihn fragend ansah. Er schob das Mikrofon ihres Kopfhörers zur Seite, weil es sich genau vor ihrem Mund befand, dann berührte er ihr Gesicht, indem er mit dem Daumen ganz leicht über ihre Lippen strich. Schließlich lehnte er sich noch ein Stück weiter nach vorn und küsste sie auf den Mund. Zuerst war es nur eine sanfte Berührung ihrer Lippen, dann jedoch brachte er seine Zungenspitze ins Spiel, bis er sie kosten konnte.

Im selben Augenblick musste er sich endgültig von dem Gedanken verabschieden, dass Gail ihn genauso interessierte wie jede andere attraktive Frau. Das hier war mehr als bloße Lust. Aufstöhnend schob er die Finger in ihr volles dunkles Haar, um sie an sich zu ziehen, damit er den Kuss noch intensiver spüren konnte. Gail legte ihm die Hände auf die Schultern, zuerst nur ganz leicht, doch als sie näher an ihn heranrückte, wurde ihr Griff fester und fordernder.

Er löste sich von ihr und wich zurück, da er nach Luft schnappen musste. Gail sagte etwas, aber er musste erst ihr Mikrofon in die alte Position zurückbringen, damit er sie hören konnte.

„Damit hatte ich nicht gerechnet“, bemerkte sie.

„Ich auch nicht.“

Sie zog die Brauen zusammen. „Aber Sie … du hast den ersten Schritt gemacht.“

„Ja, ich wollte mir etwas beweisen.“

„Etwas beweisen?“

„Dass du so bist wie jede andere Frau, die ich in meinem Leben geküsst habe“, erklärte er. „Aber das bist du nicht, auch wenn ich nicht weiß, wieso.“

„Sollte das gerade ein Kompliment sein?“, fragte sie argwöhnisch.

Er schüttelte den Kopf. „Verdammt, nein. Ach, ich habe keine Ahnung, was das sein sollte. Ich habe ja nicht mal eine Ahnung, wie es jetzt weitergehen soll.“

„Wieso nicht?“

Wieder schüttelte er den Kopf. Er sollte sich nicht so zu ihr hingezogen fühlen, aber das Blut jagte durch seine Adern, und er hatte genug damit zu tun, seine Erregung vor Gail zu verbergen. Er wollte sie, am liebsten hier auf der Stelle. Aber dazu würde es weder jetzt noch später an diesem Abend kommen. Erst einmal musste er Gewissheit haben, dass sie beide wirklich zusammenpassten. Das würde er aber nie erfahren, denn wenn er in dieser Nacht mit ihr schlief, würde sie spätestens am folgenden Morgen die Flucht vor ihm ergreifen.

3. KAPITEL

Gail konnte sich nicht so recht erklären, was geschehen war, auf jeden Fall erschien ihr Russell Holloway nicht länger als der zwielichtige Typ, von dem sie sich fernhalten sollte. Stattdessen hatte sie den Mann sogar geküsst – ihr erster Kuss seit fast sieben Monaten.

Und wie sie ihn geküsst hatte! Das hier war eindeutig ihre gewagteste Tat, seit sie während der Highschoolzeit einmal nackt baden gegangen war. Ihre Lippen kribbelten noch immer, und mit einem Mal wollte sie mehr als nur ein paar Küsse von ihm. Sie wünschte, er würde sie fest in die Arme nehmen.

Ihr Gefühl sagte ihr, dass Russell sehr genau wusste, wie er seinen Körper einsetzen musste, um die maximale Wirkung zu erzielen. Sie war eindeutig bereit für mehr. Zwar wusste sie, dass das nicht klug von ihr war, zumal sie sich rühmte, immer die richtigen Entscheidungen zu treffen, doch in diesem Augenblick wollte sie das alles am liebsten vergessen und das tun, was sich richtig anfühlte.

Ihr Leben lang hatte sie sich von der Vernunft leiten lassen, und was war dabei herausgekommen? Sie war allein, ließ sich von Partnerschaftsvermittlungen einen Mann suchen, und sie spielte die Hauptrolle in einer Reality-Show.

Sie wollte etwas anderes, sie wollte Abwechslung – und genau die bot ihr Russell.

„Du starrst mich schon wieder an“, sagte er und lächelte flüchtig.

Sie wusste, dieses Lächeln war aufgesetzt, damit andere ihn als freundlich wahrnahmen. „Das ist alles deine Schuld“, entgegnete sie. „Würde ich nicht bei dieser Sendung mitmachen, könnte ich jetzt einfach in meine geschützte kleine Welt zurückkehren, wo sich alles an seinem angestammten Platz befindet.“

„Und wo es für mich keinen Platz gibt?“, fragte er vorsichtig.

„Richtig“, antwortete sie, weil ihr klar war, dass ein Playboy wie er nicht der Richtige für sie sein konnte.

„Was mache ich falsch?“, wollte Russell wissen.

„Du hast mich geküsst.“

„Und das hat dir nicht gefallen? Ich kann bestimmt an meiner Technik arbeiten.“

„Es hat mir viel zu gut gefallen“, machte sie ihm deutlich. „Sei mir nicht böse …“

Er beugte sich vor und sah sie auf eine Weise an, die ihr das Gefühl gab, dass sie ihn amüsierte. „Wenn du schon so anfängst, werde ich ziemlich sicher böse sein.“

„Kann schon sein“, gab sie lächelnd zurück. „Aber ich hatte einen einstudierten Kuss erwartet, etwas, das weniger umwerfend ist …“

„Schön, dass ich dich enttäuschen konnte.“

Gail rümpfte die Nase und knuffte ihn in den Oberarm. „Ich werde nicht in meiner Wachsamkeit nachlassen, auch wenn du noch so charmant bist. Ich bin mir nicht sicher, was ich von dir halten soll.“

„Das erwarte ich auch gar nicht. Aber du solltest eines wissen.“

„Und … das wäre?“

„Ich verliere nie“, sagte er und grinste überheblich.

Sie wollte nicht, dass er das Ganze als einen Wettkampf ansah, doch seine Worte verrieten, dass er das bislang getan haben musste. „Ich will auch gar nicht, dass du verlierst. Ich will, dass wir beide das bekommen, was wir wollen.“

Russell lehnte sich nach hinten und sah aus dem Fenster, während der Hubschrauber zur Landeplattform auf dem Hotel zurückkehrte. „Das kam wohl gerade verkehrt rüber, wie?“

„Nur wenn du mich als den Hauptgewinn ansiehst“, sagte sie. „Wir tasten uns beide langsam vor, und ich werde dich nicht vorverurteilen.“

„Ich glaube, das machst du sehr wohl“, widersprach er. „Das musst du sogar. Wie willst du dir sonst sicher sein, dass ich nicht doch der Spieler bin, als der ich überall bekannt bin?“

Seine Worte genügten ihr, um sich zu entspannen. Er wusste, das hier war nicht bloß der Beginn einer neuen Beziehung, die für beide Seiten ein paar Hürden mit sich brachte, die überwunden werden mussten. Auf ihnen beiden lastete zusätzlich der Druck, dass die Öffentlichkeit jeden Schritt miterleben konnte – ganz zu schweigen von der Tatsache, dass Russell überhaupt nicht ihren Vorstellungen von einem Traummann entsprach.

Da ihre Eltern sich hatten scheiden lassen, als Gail acht war, und ihre Mutter nie wieder geheiratet hatte, war sie weitestgehend gezwungen gewesen, sich ihren Traummann aus Filmen und Büchern zusammenzubasteln. Ein paar Ergänzungen hatte sie machen können, nachdem sie mit dem einen oder anderen Mann ausgegangen war und dabei festgestellt hatte, auf welche Eigenschaften sie gut verzichten konnte.

„Wenn überhaupt, dann möchte ich, dass wir beide gewinnen“, antwortete sie, weil ihr nichts Besseres einfiel.

„Ja, ich auch.“ Nach einer kurzen Pause fragte er: „Meinst du, wenn wir gelandet sind, werden wir wieder von den Kameras verfolgt?“

„Vielleicht. Aber das werden sie uns sagen, wenn wir unten sind. Wieso?“

„Falls nicht, sollen wir dann noch zusammen irgendwo was trinken gehen?“

Zwanzig Minuten zuvor hätte sie das noch abgelehnt, aber jetzt wollte sie einfach mehr Zeit mit ihm verbringen, um ihn besser zu verstehen. Dennoch zögerte sie einen Moment, da es für sie bedeutete, sich von ihrem Idealbild eines Traummanns verabschieden zu müssen, der so nur in Hollywood und in Liebesromanen zu finden war. Russell war die Realität, und sie musste entscheiden, ob sie tatsächlich bereit war, sich dieser Realität zu stellen. Ja, sie war bereit, überlegte sie. Sonst hätte sie sich niemals darauf eingelassen, eine Partnerschaftsvermittlung zu beauftragen.

„Einverstanden“, sagte sie schließlich und fragte nach einer kurzen Pause: „Hattest du eigentlich auch Bedenken, ob das hier wirklich eine so gute Idee sein würde?“

„Mehr als genug, aber dann dachte ich mir, wenn eine Frau mutig genug ist, sich auf ein solches Wagnis einzulassen, sollte ich das wohl auch können. Genau genommen besteht kein großer Unterschied darin, ob jemand für einen eine Verabredung arrangiert oder ob man jemanden in einer Bar kennenlernt“, erklärte Russell.

„Ich habe noch nie einen Mann in einer Bar kennengelernt. Eher durch meine Arbeit – auf Seminaren oder Geschäftsreisen.“

„Eigentlich bist du auch keine von den Frauen, die sich in einer Bar von einem Mann ansprechen lassen.“

„Wieso denn das nicht?“

„Weil du da nicht genug Zeit hättest, deine vielen Fragen zu stellen. Männer sind in einer Bar darauf aus, schnell zum Ziel zu kommen“, sagte er.

Als sie seinen Blick bemerkte, fragte sie sich unwillkürlich, ob sie irgendetwas verraten hatte, was ihn nichts anging. Sie wusste, ihr rutschten manchmal Dinge heraus, die sie besser für sich behalten hätte, wenn sie mit Männern redete.

„Was denkst du gerade?“, fragte er auf einmal. Seine tiefe Stimme hatte etwas fast Intimes.

„Ich habe nur überlegt, wie unwirklich das Ganze ist. Und so was nennt sich dann Reality-Show.“

Ihre Bemerkung brachte ihn zum Lachen. „Stimmt. Aber vielleicht kommt ja für uns etwas sehr Reales dabei heraus.“

Gewettet hätte sie darauf ganz sicher nicht.

Als der Hubschrauber gelandet war und sie die Kopfhörer abgenommen hatten, fragte Gail: „Müssen wir ihnen verraten, dass wir uns geküsst haben?“

Zärtlich strich Russell über ihren Unterarm und legte die Finger um ihre Hand. „Das kann unser Geheimnis bleiben.“

Sie hatten ein Geheimnis. So wie ein richtiges Paar. Es war das erste Ehrliche an diesem Abend, bei dem es vor der Kamera nur um übertriebene Emotionen und gespielte Romantik gegangen war. „Gut“, sagte sie. „Das gefällt mir.“

„Und du gefällst mir.“

Er gefiel ihr auch. Zu gern hätte sie analysiert, warum sie sich so sehr zu ihm hingezogen fühlte, aber sie vermutete, dass die Gefühlsregungen, die Russell bei ihr auslöste, sich nicht logisch erklären ließen.

„Bereit für die Kameras?“

Gail nickte. Vor allem aber war sie mehr als bereit, diesen Mann besser kennenzulernen, wenn die Dreharbeiten für diesen Tag beendet waren und sie wieder mit ihm allein war.

Wenn sie nicht unter Beobachtung standen, konnte sie Russell wirklich gut leiden.

Russell stand ein Stück entfernt, während sich Gail mit der Produzentin unterhielt. Von Zeit zu Zeit hörte er sie lachen. Es war ein fröhliches Lachen, das ihm verriet, dass Gail im Gespräch mit dieser Willow viel entspannter war als bei ihm. Vor ihm lag wohl noch ein langer Weg, bis er endlich die wahre Gail Little kennenlernen würde.

„Und? Wie läuft es bislang?“, fragte auf einmal Conner MacAfee, der sich unbemerkt zu Russell gestellt hatte.

„Nicht schlecht.“

„Freut mich. Sie wissen ja, dass Matchmakers Inc. eine Erfolgsquote von hundert Prozent vorweisen kann, oder?“

„Ja“, sagte Russell. „Sind Sie eigentlich wegen dieser Sache mit der Reality-Show irgendwie anders vorgegangen?“

Conner schüttelte den Kopf. „So was würde uns nie einfallen, nicht mal fürs Fernsehen. Ich hoffe, das bringt uns neue Kunden, und ich will hier nicht etwas vortäuschen, was wir in Wahrheit gar nicht leisten können.“

„Ja, klingt logisch. Wissen Sie eigentlich irgendetwas über Gail?“, fragte Russell den anderen Mann.

„Nein, ich halte mich aus diesen Dingen komplett heraus. Ich leite den Laden nur.“ Er rückte seine Krawatte zurecht. „Für irgendwas muss mein Harvard-Abschluss ja gut sein.“

„Geben Sie nicht so an“, erwiderte Russell amüsiert.

„Was hat man denn sonst von einem Abschluss, wenn man ihn nicht anderen Leuten unter die Nase reiben kann?“, hielt Conner dagegen.

„Warum leiten Sie überhaupt eine solche Agentur?“ Russell kannte Conner schon eine ganze Weile, aber er hatte nie verstanden, warum ein so cleverer Geschäftsmann wie er ausgerechnet auf die Idee gekommen war, eine Partnerschaftsvermittlung zu betreiben.

„Die Firma habe ich von meiner Großmutter geerbt. Ich dachte nicht, dass so etwas Geld abwerfen würde, und wollte eigentlich die Verluste steuerlich geltend machen. Dabei hat sich herausgestellt, dass diese Vermittlung in Wahrheit viel Geld einbringt.“

„Tja, die Märkte können manchmal unerwartet reagieren“, meinte Russell. „Ich versuche auch, mich in den Segmenten auszubreiten, in denen wir inzwischen Fuß fassen konnten.“ Das war einer der Gründe gewesen, wieso er sich zu einem Auftritt in dieser Fernsehshow bereit erklärt hatte. Potenzielle Investoren sollten sehen, dass er längst ein anderer Mann war.

„Wir haben auch was Neues im Angebot: einen exklusiven Ehefrauen-Spürhund für einige unserer exzentrischeren Kunden“, ließ Conner ihn wissen.

„Und wie funktioniert das?“

„Wir wählen die Frau aus und schicken sie zum Kunden. Er ist mit ihr einverstanden und heiratet sie, ohne dass er sich zuvor erst noch einige Male mit ihr verabredet. Das ist ein ganz neuer Service, mit dem wir eine kleine Nische bedienen, aber es ist sehr profitabel.“

„Wirklich interessant.“

„Brauchen Sie sonst noch was von mir?“, fragte Conner.

„Nein, alles bestens. Es bleibt beim Poker am Donnerstagabend?“

„Auf jeden Fall. Ich muss doch die Gelegenheit nutzen, mir wenigstens einen Teil meines Gelds zurückzuholen.“

„Na, dann viel Glück. Die Karten haben mich schon immer geliebt“, meinte Russell. „Bislang haben sie mich noch nie im Stich gelassen.“

„Dann kann es nicht mehr lange dauern, bis Sie von diesem Thron gestürzt werden“, entgegnete Conner im Weggehen.

Russell sah ihm nach und atmete tief durch. Die Luft war an diesem Abend frisch, aber nicht unangenehm kalt. Aus einem unerfindlichen Grund verspürte er einen inneren Frieden, wie er ihn schon lange nicht mehr wahrgenommen hatte.

Die Produktionscrew verließ geschlossen das Dach. Russell ging zu den Aufzügen vor, Gail und Willow folgten ihm und unterhielten sich noch immer angeregt.

Während Conner sich auf einmal an Willow wandte, um wegen eines Interviews mit ihr zu reden, öffneten sich die Lifttüren und gaben den Blick frei auf einen besorgt dreinblickenden Dylan, Russells Assistenten.

„Hi, Boss, es gibt ein Problem“, sagte Dylan und verließ den Aufzug.

„Ich lasse euch dann mal in Ruhe“, warf Gail ein und entfernte sich von den beiden Männern.

„Warte, Gail. Wir trinken aber noch was zusammen, richtig?“, rief Russell ihr nach.

„Ja. Die Bar in der Lobby?“

„Klingt gut. In zwanzig Minuten?“

„Einverstanden“, sagte sie und entschwand in den Lift.

Als sich die Türen geschlossen hatten, wandte er sich an Dylan. „Was gibt es denn so Dringendes?“

„Penny Thomson ist in der Lobby und will Sie sehen. Ich wollte sie in mein Büro bringen, aber sie weigert sich.“

Na großartig. Das hatte ihm an diesem Abend gerade noch gefehlt. „Kümmer du dich um Gail, bis ich mit Penny fertig bin.“

„Wird gemacht, Boss“, erwiderte Dylan.

„Gut, dann sag Penny Bescheid, dass ich auf dem Weg zu ihr bin. Aber ich treffe mich mit ihr im Büro, nicht in der Lobby.“

Als er Minuten später selbst in der Lobby eintraf, sah er, dass Gail und Willow wieder in ein Gespräch vertieft waren. Er ging zu den beiden und sagte zu Gail: „Tut mir leid, aber ich glaube, das Problem, um das ich mich kümmern muss, wird etwas mehr Zeit in Anspruch nehmen. Können wir aus den zwanzig fünfundvierzig Minuten machen?“

Gail errötete und drehte sich zu Willow um. „Wir wollen noch zusammen was trinken. Ist das okay?“

„Damit hab ich kein Problem“, versicherte ihre Freundin ihr. „Wir wollen einzelne Phasen in eurer Beziehung festhalten, aber nicht jede Sekunde. Amüsiert euch gut.“

Lächelnd sah Gail wieder zu Russell. „Dann bis in fünfundvierzig Minuten.“

„Gut.“ Russell verließ die Lobby und ging zum Büro gleich hinter der Rezeption. Dylan wartete bereits vor der Tür auf ihn.

„Ich dachte immer, Penny wäre in natura netter“, meinte Dylan und zuckte zusammen. „Entschuldigen Sie, Sir, das hätte ich wohl besser für mich behalten.“

„Vermutlich ja, aber in dem Fall kann ich dir nur zustimmen, dass sie manchmal ein richtiges Miststück sein kann.“

Dylan nickte und machte ihm den Weg frei, dann betrat Russell das Büro und sah Penny, die sich auf die Schreibtischkante gesetzt hatte. In einer Hand hielt sie ihr iPhone, mit dem künstlichen Fingernagel am Zeigefinger der freien Hand tippte sie vorsichtig eine Nachricht ein.

„Wird auch Zeit, dass du hier aufkreuzt. Ich twittere gerade darüber, wie lästig es sein kann, auf einen ehemaligen Liebhaber zu warten.“

„Sehr schön. Freut mich, dich zu sehen, Penny.“

„Ja, bestimmt. Du hast mir doch selbst gesagt, dass du mich nicht mehr wiedersehen wolltest.“

Sie war ein sehr attraktives Hollywood-Sternchen, und er war ihr damals, als er sie das erste Mal gesehen hatte, derart verfallen, dass er an nichts anderes als an Sex hatte denken können. Aber nach zwei Tagen im Bett mit ihr war Russell bewusst geworden, dass er einen Fehler gemacht hatte, denn Penny war so maßlos von sich eingenommen, dass es ihr schlichtweg nicht möglich war, auch nur einen Gedanken an einen anderen Menschen zu verschwenden.

„Hör auf zu twittern. Damit brockst du dir nur immer wieder Ärger ein.“

„Tja, Russell, diesmal bist du derjenige, der den Ärger bekommen wird.“

„Ach, und wieso? Ich dachte, wir hätten uns einvernehmlich getrennt.“

„Hatten wir auch. Aber wie sich herausgestellt hat, sind da noch ein paar Dinge offen.“

Während er mit Penny redete, wurde ihm klar, dass er schnellstens zu Gail zurückkehren wollte. Sie strahlte natürliche Sinnlichkeit aus, während Penny ihre Sexualität so unverhohlen zur Schau trug, als wollte sie sie wie eine Waffe einsetzen. „Zum Beispiel?“

„Ich bin schwanger.“

Russell schüttelte den Kopf. Mit vierundzwanzig hatte er sich zum ersten Mal gegen eine Vaterschaftsklage zur Wehr setzen müssen, seitdem geschah so etwas immer wieder, wenn eine ehemalige Geliebte bei ihm auftauchte. „Mag sein, aber ich bin nicht der Vater.“

„Da wäre ich mir nicht so sicher, Russell, und das werde ich allen twittern, die ich kenne, wenn du nicht das tust, was sich gehört.“

„Ich will einen Beweis sehen, dass du tatsächlich schwanger bist, und dann werden wir einen Vaterschaftstest durchführen“, erklärte er entschieden.

„Ich wüsste nicht, wofür das gut sein soll. Es ist dein Baby, und wenn du dich querstellst, werde ich dir das Leben zur Hölle machen.“

Er wusste, sie meinte das ernst, deshalb musste er diese heikle Sache diplomatisch regeln. Gail war seine Chance für die Art von Leben, die ihm vorschwebte, und Penny gehörte zu jener Vergangenheit, von der er sich mit aller Macht lossagen wollte.

Gail wartete in der Bar auf Russell und fühlte sich unbehaglich, ganz allein dazusitzen. Eigentlich hatte sie gedacht, dass ihr das nichts mehr ausmachte, doch das war ein Irrtum gewesen. Plötzlich fiel ihr auf, dass Russell das Büro hinter der Rezeption verließ – in Begleitung einer Frau, die ihr bekannt vorkam. Ja, das war Penny Thomson, ein aufstrebender Filmstar und Russells Exgeliebte. Gail beobachtete die beiden ein oder zwei Minuten lang, dann kam sie zu dem Schluss, dass Russell Holloway nicht der Typ Mann war, den sie näher kennenlernen wollte.

Natürlich hatte jeder Mann, mit dem sie sich verabredete, mindestens eine Ex, aber bei diesen Männern musste sie wenigstens nicht dem Vergleich mit einer Frau wie Penny standhalten. Das hier war ein Fehler gewesen. Ihr Verstand hatte ihr das von Anfang an gesagt, aber während dieses Rundflugs über Manhattan hatte ihre romantische Ader die Oberhand erlangt. Sie konnte sich keine Experimente leisten, weil sie sich einen engen Zeitplan gesteckt hatte, um einen Mann zu finden und eine Familie zu gründen.

Kopfschüttelnd trank sie einen Schluck Soda und versuchte, sich desinteressiert zu geben. Aber es gelang ihr nicht, weil Russell und Penny einfach wie füreinander geschaffen waren – ganz im Gegensatz zu Russell und ihr selbst, die gar nicht zusammenpassten.

Gail hatte die Nase voll. Sie würde nach Hause fahren und sich gleich am nächsten Morgen einen neuen Plan überlegen. Wieso hatte sie nur nicht auf ihren gesunden Menschenverstand gehört? Wieso hatte sie stattdessen geglaubt, ein Mann wie Russell könnte sich ernsthaft für jemanden interessieren, der so schlicht und langweilig war wie sie? Nein, sie würdigte sich nicht selbst herab, sie war nur realistisch. Sie würde niemals etwas so Gewagtes tragen wie Penny, und sie würde auch nicht so viele Stunden am Tag ihrer Frisur und ihrem Make-up widmen. Sie war eine ganz normale Frau, die einen Job und einen geregelten Tagesablauf hatte – kein Betthäschen, dessen einzige Aufgabe darin bestand, gemeinsam mit Russell gesehen zu werden.

„Warst du nicht mit Russell verabredet?“, fragte Willow, die aus der entgegengesetzten Richtung zu ihr an den Tisch kam.

„War ich“, antwortete sie. „Er ist da drüben.“ Aufmerksam betrachtete sie ihre Freundin mit ihrem wallenden Haar, das bis zu den Hüften reichte, wenn sie es nicht zum Pferdeschwanz gebunden trug, und den fein geschnittenen Gesichtszügen. Selbst Willow hätte eher an Russells Seite gepasst als sie selbst, fand Gail.

„Hat das was zu bedeuten?“, wollte Willow wissen und deutete auf das Paar.

„Keine Ahnung. Aber ich glaube … er ist nicht der Richtige für mich. Ich stehe keine fünf Verabredungen mit ihm durch. Ich weiß, das bringt deine ganze Planung durcheinander, aber … ich kann das einfach nicht.“

Willow nickte. „Ich verstehe schon. Ich werde mit Conner reden und ihn bitten, jemand anders für dich zu suchen.“

„Nein, ich glaube, das wird nicht funktionieren. Es gefällt mir nicht, dass ich über eine so wichtige Sache keine Kontrolle habe.“

„Warum hast du dann unterschrieben?“ Verwundert blickte Willow sie an. „Du hast das Ganze ins Rollen gebracht, und damit meine ich alles, auch die Serie. Was ist passiert?“

Gail atmete ein paarmal tief durch. „Ich habe bei meinem Plan eine Sache übersehen.“

„Und die wäre?“

„Meine Gefühle, Will. Ich könnte mich mühelos in Russell verlieben, aber ich weiß nicht, was er hier zu suchen hat. Vermutlich benutzt er mich nur für seine Zwecke, und ich weiß nicht, wie ich mich vor ihm schützen soll.“

Willow legte einen Arm um ihre Schultern. „Ich werde dir nichts vormachen. Ich möchte, dass du dich weiter mit ihm triffst, weil er so ganz anders ist als die Männer, mit denen du dich sonst verabredest. Ich glaube, du brauchst das. Aber natürlich will ich auch nicht, dass dir irgendjemand wehtut.“

Gail dachte einen Moment lang über ihre Gefühle nach, dann nickte sie. „Ich bin eifersüchtig“, räumte sie ein.

„Auf wen?“

„Auf Penny. Hast du die zwei gesehen? Die gehören zusammen. Ich sehe nicht so gut aus wie sie …“

„Du siehst besser aus als sie“, widersprach Willow.

„Du bist voreingenommen“, machte Gail ihr klar.

„Stimmt, aber ich werde dich nicht belügen. Auf ihre Art sieht sie gut aus, das ist richtig. Allerdings bist du noch nie in der Lage gewesen, zu erkennen, wie hübsch du bist. Ich glaube, Russell hat das längst bemerkt. Außerdem hat er dich doch hierher in die Bar eingeladen. Das hätte er nicht machen müssen.“

„Du hast recht.“ Gail musste an den Kuss im Hubschrauber denken. Sie beide fühlten sich zueinander hingezogen, aber war sie für ihn nur so interessant, weil sie anders war als seine anderen Frauen? Sie wusste es nicht, und sie wollte auch nicht zu lange warten, um es herauszufinden. „Nein … ich glaube, ich muss einen Rückzieher machen. Ich kann nicht das Risiko eingehen, dass Russell mich bloß für irgendein Spiel benutzt.“

„Also gut“, willigte ihre Freundin ein. „Ich werde mit Matchmakers Inc. reden. Wir finden schon ein anderes Paar, das für euch einspringen kann.“

„Nein“, meldete sich auf einmal Russell zu Wort, der von den beiden Frauen unbemerkt an den Tisch gekommen war.

„Nein?“, wiederholte Gail. „Ich glaube nicht, dass du für mich entscheiden kannst.“

„Da hat sie recht“, sagte Willow. „Wir wollen euch nur in der Sendung haben, wenn ihr beide weitermachen wollt.“

Russell zog einen Stuhl heran und setzte sich zu ihnen. „Das kann ich ja verstehen, aber ich lasse nicht zu, dass Gail einen Rückzieher macht, ohne wenigstens mit mir geredet zu haben“, beharrte er und sah Willow an. „Geben Sie uns bis morgen früh Zeit, bevor wir etwas Endgültiges beschlossen haben?“

„Ja“, antwortete sie. „Aber ich glaube kaum, dass Gail es sich noch einmal anders überlegen wird.“

„Wenn ich sie nicht überzeugen kann, mir wenigstens eine Chance zu geben, dann ziehen wir besser gleich einen Schlussstrich unter das Ganze“, erklärte Russell und wandte sich an Gail. „Komm, lass uns von hier verschwinden.“

4. KAPITEL

Das Wiedersehen mit Penny hatte Russell davon überzeugt, dass er Gail mehr denn je brauchte, wenn er sein Image und damit den Ruf seiner Kiwi Klubs aufpolieren wollte. Aber sein Gewissen ließ nicht zu, dass er Gail einfach benutzte. Er musste ihr gegenüber völlig ehrlich sein, aber genau das machte ihm Angst. Immerhin hatte er sich in der Öffentlichkeit ein bestimmtes Verhalten angeeignet, damit die Leute ihn für einen Playboy hielten.

„Ich bin mir nicht sicher, ob du mich dazu bringen kannst, dass ich meine Meinung ändere“, sagte Gail, als sie sein Apartment im obersten Stock des Big Apple Kiwi betraten.

Die Außenwand war komplett verglast, der Ausblick war atemberaubend. Gail kannte solche Apartments aus Illustrierten, doch wenn sie ehrlich sein sollte, kam ihr das Ganze irgendwie inszeniert vor. Sie fühlte sich hier genauso wenig wohl wie in Russells Gesellschaft.

„Wenn es mir nicht gelingt, dann habe ich dich auch nicht verdient“, erwiderte er. „Was kann ich dir zu trinken anbieten?“

„Ich bin schon ein bisschen müde, darum lieber keinen Alkohol. Sonst schlafe ich noch ein.“

„Ganz wie du möchtest. Das Wohnzimmer ist hier drüben.“ Er deutete auf die Ledersofas, die zu einer Sitzgruppe zusammengestellt worden waren. „Nimm ruhig Platz, ich hole mir nur einen Scotch.“

Während sie sich auf einem der Sofas niederließ, schenkte er sich ein Glas ein. Gail sah wunderschön, aber auch sehr einsam aus, wie sie auf dem ausladenden Sofa saß. Sein Wohnzimmer hatte unübersehbar einen männlichen Touch, an dem er etwas ändern musste, wenn sich eine Frau wie sie in seinem Leben willkommen fühlen sollte. Er trank einen Schluck, dann stellte er das Glas zur Seite und ging zu ihr. Dass er sich verändern wollte, das hatte er ihr bereits klarmachen können, aber es würde ungleich schwieriger sein, sie davon zu überzeugen, dass er sich auch tatsächlich ändern würde. Er war sich ja selbst nicht mal sicher, wie er das anstellen sollte und ob es ihm gelingen konnte.

„Nett hast du’s hier“, sagte sie, als er sich zu ihr setzte.

Autor

Katherine Garbera
<p>USA-Today-Bestsellerautorin Katherine Garbera hat schon mehr als neunzig Romane geschrieben. Von Büchern bekommt sie einfach nicht genug: ihre zweitliebste Tätigkeit nach dem Schreiben ist das Lesen. Katherine lebt mit ihrem Mann, ihren Kindern und ihrem verwöhnten Dackel in England.</p>
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