Julia Royal Band 28

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ZURÜCK IN DEN ARMEN DES PRINZEN von OLIVIA GATES

„Holen Sie Leandro nach Castaldinien!“ Der Befehl des Königs lässt Phoebe erblassen, denn vor acht Jahren hat sie den Prinzen verlassen. Als sie ihm wieder gegenübersteht, verschlägt es ihr die Sprache: Leandro will nur zurückkommen, wenn Phoebe das Bett mit ihm teilt …

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  • Erscheinungstag 29.06.2024
  • Bandnummer 28
  • ISBN / Artikelnummer 9783751529051
  • Seitenanzahl 400
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Olivia Gates, Lucy Gordon, Robyn Donald

JULIA ROYAL BAND 28

PROLOG

Acht Jahre zuvor

„Komm näher, Phoebe, ich beiße nicht. Jedenfalls nicht doll.“

Seine dunkle, verführerische Stimme erregte sie, und sie hielt den Atem an, wie sie es immer tat, wenn sie diesen Mann sah. Vor Nervosität, vor Freude, vor Verlangen. Er stand am Panoramafenster seiner Penthousewohnung in Manhattan und schaute hinaus in die glitzernde New Yorker Nacht, seine Figur wie gemeißelt, sein Profil makellos, und Phoebe erinnerte sich nur zu gut daran, wie seidig sich sein dunkelbraunes, rötlich schimmerndes Haar anfühlte. Sie schaute ihn an, sehnte sich mit jeder Faser ihres Körpers nach ihm und zögerte doch, die kurze Distanz zwischen ihnen zu überbrücken.

Näher kommen, dachte sie. Ich bin bereits viertausend Meilen gereist, um dir nah sein zu dürfen.

Acht Stunden zuvor, während der Krankengymnastik ihrer Schwester Julia, hatte sie von Ernesto, Leandros rechter Hand, der auch als Liebesbote zwischen ihnen fungierte, eine Nachricht erhalten. Zuerst hatte Phoebe gedacht, er wollte sie zu einem der üblichen heimlichen Rendezvous mit Leandro einladen, und angenommen, dass sie diesmal noch vorsichtiger sein mussten. Leandros Situation in Castaldinien hatte sich abrupt verschlechtert, nachdem er seine Arbeit als Botschafter seines Landes in den USA niedergelegt hatte. Doch anstelle von Leandro hatte sein Privatjet auf sie gewartet, der sie in nur sieben Stunden nach New York brachte. Während des gesamten Fluges hatte ihr Geliebter kein Wort mit ihr gewechselt.

Wie in den vergangenen vier Monaten. Phoebe hatte befürchtet, sein Schweigen wäre seine Art, ihr den Laufpass zu geben. Doch offensichtlich war das nicht der Grund gewesen.

„Ich bin vor zwei Monaten dreißig geworden“, sagte er.

Seine Worte trafen sie bis ins Mark, und sie hätte sich ihm am liebsten in die Arme geworfen. Natürlich hatte sie von seinem Geburtstag am sechsundzwanzigsten Oktober gewusst. Das Bedürfnis, Leandro anzurufen, hatte sie an diesem Tag fast um den Verstand gebracht. Doch Phoebe hielt sich an die Regeln, die er von Anfang an aufgestellt hatte. Er war derjenige, der Kontakt aufnahm. Und eine Weile schien es, als würde er es nie wieder tun.

„Herzlichen Glückwunsch“, erwiderte sie lahm und schämte sich dafür.

„Genau“, bemerkte er sarkastisch und drehte sich zu ihr um. „Es war der schönste Geburtstag meines Lebens.“

Phoebe war nicht in der Lage, sich zu rühren.

„Hast du mir sonst nichts zu sagen, bella malaki?“ Das bedeutete ‚mein schöner Engel‘, und die Koseworte in jener ureigenen Mischung aus Italienisch und Maurisch, die nur Leandro verwendete, berührten sie sehr. Nun kam Leandro auf sie zu. Sein weißes, zur Hälfte aufgeknöpftes Hemd wirkte hell im dämmrigen Licht des Zimmers. Darunter konnte Phoebe seine muskulöse Brust erkennen. „Soll ich es dir einfacher machen? Dir den Weg ebnen?“ Er blieb kurz vor ihr stehen und warf ihr einen herausfordernden Blick zu. „Hast du mich vermisst?“

Und wie, dachte sie, wusste aber, dass das untertrieben war. Sie war fast gestorben vor Sehnsucht.

Da berührte er sie, legte die Hände auf ihre Arme, und ein Schauer durchlief ihren Körper. „Möchtest du, dass ich es herausfinde?“

Ja, rief ihre innere Stimme.

Doch er tat nichts, blieb nur vor ihr stehen. Sie begann zu zittern.

Im gleichen Moment, als er es bemerkte, weiteten sich seine Pupillen vor Verlangen, und nun war es um Phoebes Selbstbeherrschung geschehen.

Sie schlang die Arme um seinen Hals und küsste Leandro. Leidenschaft überwältigte sie, als sie ihn spürte, eine Leidenschaft, die sie mit keinem anderen Mann erlebt hatte. Sie fühlte sich eins mit ihm und spürte ein Begehren, das sie fast zerriss.

Er erwiderte ihren Kuss, übernahm bald die Führung, bis sie in seinen Armen regelrecht dahinschmolz und nur noch eines wollte: von ihm geliebt werden.

„Das nächste Mal, bella helwa, das nächste Mal werde ich mir Zeit lassen, um dich zu verwöhnen, aber diesmal …“

Sanft, aber bestimmt schob er sie zum Bett, und Phoebe stöhnte leise, als sie die seidigen Laken spürte. Sie wusste nicht, wie ihr geschah, doch Sekunden später waren sie beide nackt und fielen ausgehungert und verrückt vor Begehren übereinander her. Phoebe stieß einen Schrei aus, als er ohne Vorwarnung in sie eindrang; es war so, wie sie es sich in ihren Träumen ausgemalt hatte, heftig, wild. Und nur wenige Augenblicke später erlebte sie ihren ersten Höhepunkt. Leandro erstickte ihr lustvolles Stöhnen mit einem alles verzehrenden Kuss und beschleunigte sein Tempo, bis auch er kam. Keuchend lagen sie eng umschlungen da und spürten der Lust nach, die sie beide gerade gemeinsam erlebt hatten.

Leandro, dachte Phoebe zärtlich. Mein Löwe. Wieder zurück in meinem Leben. Und jetzt? Müssen wir es immer noch geheim halten?

Doch er bewegte sich bereits wieder in ihr, und sie hörte auf nachzudenken, konzentrierte sich ganz aufs Fühlen. Sie drängte sich ihm entgegen, um ihn noch tiefer in sich aufzunehmen. Er flüsterte ihr etwas ins Ohr und zeigte ihr gleich darauf, wie sehr er genoss, was sie tat, indem er zarte Liebesbisse auf ihrem Hals verteilte. Phoebe seufzte verlangend, doch dann sickerten die Worte, die er ihr gerade zugeflüstert hatte, langsam in ihr Bewusstsein: „Ich werde niemals nach Castaldinien zurückkehren.“

Still lag sie da. Ihr war klar, dass es in Castaldinien in letzter Zeit große Schwierigkeiten für ihn gegeben hatte, doch nie wieder zurückkehren? Nichts, was geschehen war, rechtfertigte einen solchen Schritt. Oder doch?

Sie spürte sein Gewicht auf sich. „Was meinst du damit – du wirst nicht zurückkehren? Du musst aber doch …“

Verblüfft sah er sie an, dann wurde er wütend und zog sich abrupt von ihr zurück. „Weißt du es denn nicht?“

„Was denn?“, fragte sie vorsichtig.

Dio, das ist nicht zu fassen“, stieß er unwirsch hervor. „Haben Sie das Dekret in Castaldinien wirklich unter Verschluss gehalten? Das ist noch schlimmer, als ich dachte. Das Land isoliert sich nicht nur kulturell und wirtschaftlich, sondern errichtet jetzt auch noch seine eigene Version des Eisernen Vorhangs.“

„Bitte, Leandro … Ich verstehe nicht …“

„Willst du wirklich wissen, was sich außerhalb von Castaldinien wie ein Lauffeuer durch die Medien verbreitet hat? Nun, nichts weiter als die triviale Nachricht, dass Prinz Leandro D’Agostino, von dem man allgemein annahm, dass er der nächste Kronprinz werden würde, des Landes verwiesen und aller Titel beraubt wurde. Und das nur, weil ich es gewagt habe, dem König und seinen Vertrauten zu widersprechen.“

„Oh nein …“

Er lachte freudlos. „Bloß kein Mitleid. Es gibt noch mehr Neuigkeiten. Sie haben mich ausgebürgert, mir die Staatszugehörigkeit entzogen.“

Sie war wie erstarrt. Ihr stockte der Atem. „Das kann nicht wahr sein.“

„Oh doch. Allerdings hat man mir hier die amerikanische Staatsbürgerschaft angetragen, und ich habe akzeptiert. Ich werde niemals wieder einen Fuß auf castaldinischen Boden setzen.“ So abrupt, wie er sich von ihr gelöst hatte, zog er sie nun wieder an sich, schob die Finger in ihre Locken und küsste Phoebe hart und besitzergreifend. Sein Verlangen löschte alle Gedanken in ihr aus und ließ sie in seinen Armen dahinschmelzen.

„Auch du wirst nicht zurückkehren“, flüsterte er heiser zwischen zwei Küssen.

Es klang wie eine Drohung, und sie wandte den Kopf zur Seite, um hervorzustoßen: „Aber ich muss doch!“

Aus zusammengekniffenen Augen sah er sie durchdringend an. „Nein, das musst du nicht. Amerika ist jetzt deine Heimat, so wie es meine ist. Du bleibst bei mir.“

Nur mühsam brachte sie die nächsten Worte hervor. „Aber Julia braucht mich. Ich muss zurück.“

Er hörte auf, ihre Brüste zu streicheln, und sofort empfand Phoebe ein Verlustgefühl. „Oh, deine arme, bedürftige Schwester. Die Prinzessin, der ein ganzes Königreich zur Verfügung steht – mit allen Annehmlichkeiten, die es mit sich bringt.“

„Du weißt genau, weshalb sie mich braucht.“

„Aber ich brauche dich auch.“

Sein Geständnis traf sie wie ein Schlag, gleichzeitig wuchs ihre Hoffnung, nur um kurz darauf wieder dem Misstrauen zu weichen.

Leandro brauchte sie? Warum jetzt? Zuvor hatte sie nie das Gefühl gehabt, er bräuchte sie für mehr als das Offensichtliche. Er wusste doch gar nicht, was es bedeutete, einen Menschen zu brauchen. Alles, um was es ihm ging, war, der nächste König von Castaldinien zu werden. Nichts sonst zählte, schon gar nicht sie. Das hatte er ihr nur allzu deutlich gemacht, indem er ihre Beziehung geheim hielt und, um die Medien abzulenken, mit anderen Frauen ausging, vor allem mit seiner Cousine zweiten Grades, mit Stella. Bei offiziellen Einladungen war er oft mit Stella am Arm an Phoebe vorbeigegangen und hatte ihr nur ein Kopfnicken gegönnt, ganz so, als wäre sie nichts weiter als die Schwägerin seines Cousins Paolo.

Leandro hatte ihr versichert, er tue das nur, um Klatsch und Tratsch von ihr abzuwenden, um ihren Ruf nicht zu schädigen, ebenso wenig wie seine Chancen auf den Thron zunichtezumachen. „Ich mache das, um uns beide in diesen schwierigen Zeiten zu schützen“, hatte er gesagt, und sie hatte geglaubt, dass das ein Versprechen auf die Zukunft war. Auf eine gemeinsame Zukunft. Die Sitten waren streng in Castaldinien, und eine Frau musste auf ihren Ruf achten, besonders wenn sie vorhatte, den künftigen König zu heiraten.

Doch während der gesamten Zeit, in der ihre heimliche Beziehung währte, hatte Leandro nichts mehr getan, um sie in ihrer Hoffnung zu bestärken. Und irgendwann hatte Stella, diese falsche Schlange, ihr mitgeteilt, was alle außer Phoebe offensichtlich bereits wussten und als Tatsache betrachteten: Wenn Leandro König wurde, musste er eine Frau wählen, die der Hof akzeptierte. Phoebe hatte da natürlich wesentlich weniger Chancen als Stella, in deren Adern königliches Blut floss. Und selbst Stella war nur zweite Wahl, denn sie würde Leandro nur bekommen, wenn die ideale Partnerin ihn abwies. Und mit dieser Frau war Phoebe befreundet. Es handelte sich um Clarissa D’Agostino, die Tochter des Königs.

Nun endlich gestand sie sich die Wahrheit ein. Leandro hatte gar nicht ihren Ruf schützen wollen, sondern seinen. Um seine Wahl zum tadellosen Kronprinzen nicht zu gefährden. Clarissa oder Stella, beide waren förderlich für sein Anliegen, sie dagegen nicht.

Phoebe wurde klar, dass er sie nie heiraten würde, und sie begriff auch, dass es keinen Sinn hatte, ihm ihre Ängste und Wünsche mitzuteilen, denn dann hätte er die Affäre vermutlich sofort beendet. Phoebe jedoch liebte ihn so sehr, dass sie sich zwang, die Augen vor den Tatsachen zu verschließen, um ihn nicht zu verlieren.

Doch dieser Selbstbetrug konnte ihre Zweifel und Ängste nicht völlig überwinden. Je näher Leandro der Krone kam, desto mehr fürchtete Phoebe den Tag der Trennung. Hatte sie sich nicht sogar heimlich gewünscht, er würde nicht als Kronprinz erwählt, sodass er frei war und sie heiraten konnte? Und hatte sie nicht panische Angst davor gehabt, dass sie ihm nicht widerstehen konnte, wenn er nach seiner Heirat mit Stella oder Clarissa beschloss, die Affäre mit ihr fortzuführen? Mittlerweile konnte sie gut verstehen, wie Frauen in die Situation „der anderen“ hineinschlitterten.

Jetzt lag sie hier in seinem Bett, und plötzlich brach die gemeinsame Zukunft über sie herein. Leandro war nicht mehr im Rennen für die Krone. Und er wollte Phoebe haben, hatte die Worte ausgesprochen, die sie nie erwartet hätte zu hören: Ich brauche dich.

Nachdem er die Beziehung zu ihr über ein Jahr wie ein schmutziges kleines Geheimnis behandelt und sich die vergangenen vier Monate überhaupt nicht gemeldet hatte.

In diesem Moment brachen all ihre Angst, ihre Enttäuschung und ihre Wut sich Bahn. „Wozu solltest du mich brauchen, Leandro? Als deine Geliebte auf Abruf, so wie bisher? Oder vielleicht hast du ja vor, eine Art von normaler Beziehung mit mir einzugehen, weil nichts Besseres mehr auf dich wartet? Was könnte ich dir denn bedeuten? Wäre ich nicht nur eine ständige Erinnerung an das, was dir entgangen ist? Eine Frau, die da ist, wenn du Sex haben willst? Wärst du mir überhaupt treu? Warst du mir jemals treu?“

Er sah sie an, als hätte sie sich in ein bösartiges Monster verwandelt, und sie sah den Zorn in seinen Augen aufblitzen. Es tat ihr weh, diese Gefühle in ihm ausgelöst zu haben, und am liebsten hätte sie alles sofort zurückgenommen. Doch sie tat es nicht, weil sie wusste, dass sie sonst ihren letzten Rest an Selbstachtung verlieren würde.

Er ließ sie los, stand auf und sah verächtlich auf sie hinunter. „Du machst mir Vorwürfe? Nach allem, was ich für dich getan habe, nach allem, was mich das gekostet hat? Sei doch ehrlich, und gib zu, dass es stimmt, was ich dachte, nachdem du in den letzten vier Monaten nicht einmal bei mir angerufen hast. Ich war doch nur interessant für dich, solange ich noch Aussichten hatte, der nächste König von Castaldinien zu werden. Sobald klar war, dass man mich aus dem Land geworfen hat wie einen Verbrecher, war ich für dich gestorben.“

Seine Wut und seine falschen Anschuldigungen trafen sie tief, aber Phoebe gewann daraus auch die Kraft, sich ihm zu widersetzen. Sie stand ebenfalls auf. „Denk doch, was du willst.“

Plötzlich riss er sie in seine Arme. „Du wirst mich nicht verlassen, nicht auch noch du.“

Sie wollte sich wehren, doch dann gewann seine unwiderstehliche Ausstrahlung wieder Macht über sie. Der Schmerz, den sie in seinen Augen las, berührte sie unendlich. Er war heimatlos, alles war ihm genommen worden. Sie sehnte sich danach, ihn zu trösten, mit ihm zusammen zu sein. Für immer.

Aber es konnte nicht sein. Er brauchte sie nicht, hatte sie nie gebraucht. Alles, worum es ihm ging, war, seinen Willen durchzusetzen und sein angekratztes Ego aufzupolieren.

Ihre Trauer, die sie im vergangenen Jahr so erfolgreich unterdrückt hatte, bahnte sich unaufhaltsam einen Weg an die Oberfläche und verwandelte sich in Wut. Phoebe löste sich aus Leandros Griff und zog sich hastig an. „Ich hoffe, du wirst glücklich in deinem neuen Land. Hier wird man es zu schätzen wissen, dass du keine Menschenkenntnis hast und ein totaler Egoist bist. Du wirst hier viele Freunde finden.“

Leandro kam drohend auf sie zu, und Phoebe stockte der Atem. „Zuerst machst du mir einen völlig absurden Vorwurf, und wenn ich mich verteidige, gehst du nicht auf meine Argumente ein, sondern nutzt sie als Vorwand, um zu tun, was du ohnehin von Anfang an vorhattest: mich zu verlassen. Du willst unbedingt, dass ich der Sünder bin und du die verführte Unschuld.“

„Mein Vorwurf war nicht absurd, und Argumente habe ich von dir nicht gehört“, erwiderte sie tonlos. „Ich habe seit über einem Jahr nur getan, was du von mir verlangt hast. Und jetzt bin ich fertig damit.“

„Wie bitte? Ich hätte von dir verlangt, mir zu sagen, dass du dich unendlich lebendig fühlst, wenn ich dich berühre, wenn ich mit dir schlafe?“, fuhr er sie an. „Fällt es dir so leicht zu gehen? Mich zu verlassen?“

Seine Attacken trugen nur dazu bei, dass ihre Wut noch weiter stieg. Zu sehr hatte Phoebe unter der Heimlichtuerei und ihrer Angst, ihn zu verlieren, gelitten. „Dich verlassen?“, erwiderte sie scharf. „Wann wäre ich je wirklich mit dir zusammen gewesen? Ich war doch bloß die verliebte Idiotin, die dich grenzenlos bewundert hat und jederzeit verfügbar war, wenn du Lust auf Sex hattest. Klar mochtest du es, dass ich dir schmeichelhafte Dinge gesagt habe. Jetzt ist dein Stolz verletzt, weil du süchtig danach bist, angehimmelt zu werden.“ Sie hielt inne. Ihr Atem ging schwer. Bitter fuhr sie fort: „Du brauchst mich nicht, Leandro, du willst nur, dass ich dich brauche. Aber da liegst du falsch. Ich habe ein Leben außerhalb dieser Affäre, auch wenn ich dich vielleicht in dem Glauben gelassen hatte, ich lebe nur für dich. Ich trage Verantwortung und habe auch beruflich noch viel vor. Ich bin kein Spielzeug, das du benutzen und wegwerfen kannst, wie es dir passt.“

„Und wer hat um mehr gebettelt, wenn ‚es mir passte‘, wie du es nennst?“ Er zog sie erneut an sich und presste die Lippen auf ihren Hals, während er die Hände verlangend unter ihr Top schob und ihre Brüste umfasste. Sofort reagierte sie auf seine Liebkosungen, ihre Brustspitzen wurden hart, heiße Schauer durchliefen sie. „Dein Körper gehört mir. Vorhin haben wir die höchste Lust geteilt, und auch jetzt bist du bereit, dich mir hinzugeben.“

Die Grausamkeit, mit der er ihre Gefühle ausnutzte, bewies Phoebe, dass sie mit ihrer Einschätzung recht gehabt hatte. Sie bedeutete ihm nichts, war nur eine Sexgespielin für ihn gewesen. Nun, da sie sich weigerte, ihm diesen „Dienst“ zu erweisen, zeigte er sein wahres Gesicht.

Sie wand sich aus seinem Griff und rannte zur Tür, riss sie auf, verließ das Penthouse und blieb nicht stehen, bis sie Tausende von Kilometern zwischen sich und Leandro gebracht hatte. Einmal in Sicherheit, hoffte Phoebe nur inständig, dass sie nie wieder von ihm hören würde.

1. KAPITEL

In der Gegenwart

„Die Zukunft von Castaldinien ruht auf deinen Schultern.“

Diese wenigen Worte, die leise aus dem Mund des alten Mannes kamen, trafen Phoebe wie ein Schlag.

Sie hatte die große Flügeltür zum Thronsaal passiert und sah König Benedetto entgeistert an, der langsam und hinkend auf sie zukam und sich auf seinen Stock stützte, so als schien jede Bewegung ihn Mühe zu kosten.

Phoebe hatte Herzklopfen und hoffte inständig, dass sie sich verhört hatte, doch da wiederholte er, was er gesagt hatte.

„Es hängt alles von dir ab, figlia mia.“

Es berührte sie jedes Mal tief, wenn er sie „Tochter“ nannte. Sie liebte ihn tatsächlich wie den Vater, den sie nie gehabt hatte. Ihr eigener hatte die Familie verlassen, als sie zwei Jahre alt und ihre Mutter mit Julia schwanger gewesen war. Doch sie wusste auch, dass sie im Herz von König Benedetto erst weit hinter seinen Enkeln und deren Mutter – ihrer Schwester – rangierte. Trotzdem bemühte Phoebe sich unablässig, sich des Vertrauens und der Zuneigung des alten Mannes würdig zu erweisen.

Doch was meinte er damit, dass Castaldiniens Zukunft auf ihren Schultern ruhte? Nur ein König konnte das drohende Unheil von dem Land abwenden. Phoebe suchte in seinen stahlblauen Augen nach einer Antwort. Sein Blick wirkte entschlossen, und ihr wurde klar, dass er sich entschieden hatte. Wofür, wusste sie nicht, aber dass seine Entscheidungen immer richtig waren.

König Benedetto war nicht umsonst der am längsten regierende und beliebteste Herrscher seit König Antonio. Phoebe hielt ihn für den klügsten und fähigsten Monarchen des zwanzigsten Jahrhunderts. Allerdings war er auch einer der umstrittensten, denn in den vierzig Jahren seiner Amtszeit hatte er Castaldinien aus allen Konflikten in der Welt herausgehalten und das Land politisch isoliert. Andererseits hatte das dazu geführt, dass Castaldinien international als Refugium galt – mit einer romantischen Atmosphäre, die den Tourismus förderte.

Im neuen Jahrtausend jedoch hatten sich die Dinge geändert. Benedetto stand den Problemen, die die neue Zeit mit sich brachte, geradezu hilflos gegenüber, und das Land drohte daran zu zerbrechen. Um die Probleme noch zu verschärfen, hatte er sich bisher geweigert, einen Kronprinzen und damit seinen Nachfolger zu bestimmen.

Nun hatte er aber vier Monate zuvor einen Schlaganfall erlitten, und jetzt drängte die Zeit. Falls er starb und es keinen neuen König gab, drohte eine Katastrophe.

König Benedetto blieb ein paar Meter von ihr entfernt stehen und stützte sich schwer auf seinen Stock. Seine halbseitige Lähmung war durch gute Rehabilitationsmaßnahmen zurückgegangen, aber immer noch deutlich sicht- und hörbar, wenn er sprach. „Ich werde die Regierungsgeschäfte nie wieder vollständig übernehmen können“, sagte er.

Phoebe blickte in sein Gesicht, sah seine einst majestätische Gestalt, um die nun die prunkvolle Uniform schlotterte. „Ihr macht aber Fortschritte, Eure Majestät.“

„Nein, figlia mia“, widersprach er. „Ich kann kaum gehen, meine linke Seite ist taub, und die kleinste Erkältung wirft mich um.“

„Als Monarch müsst Ihr doch nicht vollkommen fit sein, um regieren zu können“, wandte sie ein.

„Oh doch“, erwiderte er. „Das Gesetz in Castaldinien verlangt es. Außerdem hat mein Kopf gelitten …“

„Das stimmt nicht“, rief sie erschrocken aus und meinte es ernst. „Ihr seid geistig genauso fit wie immer.“

Er seufzte. „Das ist nicht wahr. Ich vergesse Dinge. Ich drifte ab, wenn ich mich konzentrieren müsste. Doch selbst wenn ein Wunder geschieht und ich wieder ganz gesund werde, braucht Castaldinien eine neue Perspektive. Ich habe viel zu lange damit gewartet, dem Land einen Aufbruch in die Zukunft zu ermöglichen.“

Es tat ihr weh, zu sehen, wie schuldig er sich fühlte. „Aber Ihr konntet doch gar keinen Nachfolger auswählen“, warf sie ein. „Es gab doch keinen geeigneten Kandidaten.“

Er schüttelte den Kopf und hinkte hinüber zu einem vergoldeten Sessel, auf dem er sich mühsam niederließ. „Das stimmt nicht ganz“, sagte er dann. „Vor zehn Jahren hat es drei Kandidaten gegeben, die alle Kriterien erfüllten. Jeder von ihnen hätte Castaldinien regieren können. Nun verhält es sich aber so, dass diese drei Männer die Einzigen sind, die sich nicht um den Job bewerben werden.“

Also gab es drei Mitglieder der Familie D’Agostino, die alle Bedingungen erfüllten, um König von Castaldinien zu werden? Das war Phoebe neu, und ihre Gedanken überschlugen sich, als sie an Leandro dachte. Der König konnte ihn nicht meinen, denn Leandro hatte sich damals beworben.

Besorgt, aber auch neugierig trat sie auf den König zu. „Wo liegt das Problem?“

Benedetto seufzte. „Bei jedem Kandidaten gibt es einen Punkt, der einer möglichen Regentschaft im Wege steht.“

„Dann ist es nicht Eure Schuld, wenn Ihr keinen von ihnen erwählt.“

„Oh, das habe ich mir auch lange genug eingeredet“, erwiderte der König. „Aber ich kann nicht mehr warten. Es geht um die Zukunft und die Sicherheit des Landes. Daher habe ich mich mit meinen Ministern beraten. Sie haben argumentiert, dass es ein Fehler wäre, die alten Gesetze zu ändern, weil Castaldinien dadurch einen Teil seiner Identität verlieren würde. Ich habe dagegengesetzt, dass die Zukunft Castaldiniens in Gefahr wäre, falls es uns nicht gelingt, einen fähigen König zu wählen. Und vorgestern bin ich während der Sitzung für zehn Minuten ohnmächtig geworden.“

Phoebe fuhr erschrocken auf, aber Benedetto griff nach ihrer Hand und drückte sie. „Mir konnte nichts Besseres passieren“, erklärte er und lächelte schief. „Mein Zustand bringt sie endlich dazu, zu begreifen, dass wir nicht länger warten können und einen dieser drei Männer wählen müssen.“

Sanft entzog Phoebe ihm die Hand, weil sie nicht wollte, dass er ihr Zittern bemerkte. „Das ist ein gewaltiger Schritt für den Kronrat“, sagte sie. „Wenn er zustimmt, das Nachfolgegesetz zu ändern, ist das Problem gelöst, nicht wahr?“

Er verzog das Gesicht. „Keineswegs. Jeder dieser drei Männer hat Grund genug, mich und Castaldinien im Stich zu lassen. Sie haben jedes Recht, uns unserem Schicksal zu überlassen, ohne sich dabei auch nur im Geringsten schuldig zu fühlen.“

„Aber Ihr seid der König. Ich weiß, dass es solch eine Situation noch nie gab, doch Ihr habt die Macht, sie zum Dienst am Vaterland zu zwingen.“

Er schaute zu ihr auf und lachte harsch, was sein Gesicht noch mehr verzerrte. „Du weißt ja gar nicht, wie wenig Macht ich über diese Männer habe. Ich kann sie weder zu irgendetwas zwingen, noch darf ich es wagen, sie noch mehr gegen mich aufzubringen, als ich es schon getan habe. Denn sonst haben wir keine Chance mehr, Castaldinien einen fähigen König zu geben und das Land zu retten.“

„Ein Mann, der so viel Macht besitzt und sie nicht dafür einsetzt, sein Land zu retten, ist es nicht wert, die Krone von Castaldinien zu tragen“, bemerkte Phoebe streng. „Was ist mit dem Paragrafen, dass der zukünftige König sich um sein Land verdient gemacht haben muss?“

„Oh, glaub mir, sie alle haben sich um Castaldinien verdient gemacht. Mehr als ich jedenfalls.“

„Ich weigere mich, das zu glauben.“

„Danke für dein Vertrauen, figlia mia, aber ich hatte immerhin vierzig Jahre Zeit, ordentliche Arbeit zu leisten, und glücklicherweise ist mir mehr gelungen, als mir misslungen ist. Aber ich habe viele Fehler gemacht. Mir diese drei Männer zu Feinden zu machen war mein größter Fehler. Doch ich werde alles tun, um die Sache wieder in Ordnung zu bringen. Der Kronrat hat beschlossen, dass wir zunächst jenen Kandidaten fragen, der das kleinste Übel darstellt.“

Obwohl es so außerhalb jeder Wahrscheinlichkeit lag, wusste Phoebe, welchen Namen er nun nennen würde.

Am liebsten hätte sie auf dem Absatz kehrtgemacht und wäre davongerannt.

„Du kennst ihn gut. Es handelt sich um den Sohn meines verstorbenen Cousins Osvaldo. Prinz oder vielmehr Ex-Prinz Leandro D’Agostino.“

Sie ballte die Hände zu Fäusten und grub ihre Fingernägel in ihr Fleisch. Nie hätte sie gedacht, dass dieser Name sie so aus der Fassung bringen konnte. Acht Jahre lang hatte sie gegen ihre Sehnsucht, gegen ihr Verlangen, gegen die Erinnerungen gekämpft und geglaubt, alles sei überwunden.

Leandro. Der Mann, den sie über alles geliebt hatte. Für den sie ihren Stolz und ihre Unschuld geopfert hatte. Der Mann, für den sie nichts als eine Affäre gewesen war, so wie vermutlich viele andere auch. Der Mann, der wie eine Dampfwalze durchs Leben ging und alles plattmachte, was ihm im Wege stand, damit er umso größer und strahlender dastand. Und dieser Mann war für Castaldinien das geringste Übel? Was waren dann die anderen beiden?

Das Einzige, was sie ein wenig versöhnlich stimmte, war, dass König Benedetto, der Leandro einst aus Castaldinien verbannt hatte, nun milder und sogar mit einer Spur Zuneigung von seinem Neffen sprach.

„Der Junge war erstaunlich, von Anfang an“, schwärmte der König. „Er konnte alles und hatte in allem Erfolg. Er hat ein Wirtschaftsimperium aufgebaut und war der beste Botschafter in den Vereinigten Staaten, den Castaldinien jemals hatte. Dabei war er damals erst achtundzwanzig!“

Phoebe nickte zustimmend. Das war fast zehn Jahre her, und damals, bei der Märchenhochzeit ihrer Schwester, hatte sie ihn kennengelernt.

„Doch dann haben wir uns entzweit“, fuhr Benedetto fort. „Wir hatten extrem unterschiedliche politische Ansichten, und irgendwann, wie du dich sicher erinnerst, warf er den Posten des Botschafters einfach hin. Der Kronrat war extrem aufgebracht, und es ist mir nicht mehr gelungen, Leandro zu verteidigen. Sein Handeln und der Widerstand meiner Minister führte dazu, dass ich ihn verbannen musste.“

Sie konnte sich nur zu gut daran erinnern und daran, was es für sie bedeutet hatte.

„Mittlerweile führt er ein internationales Unternehmen, ist schwerreich und tut mit seinem Geld viel Gutes“, erklärte Benedetto weiter. „Wir haben Kontakt mit ihm aufgenommen und ihn gebeten zurückzukommen. Ich habe ihm die komplette Rehabilitierung versprochen, dazu wäre er Kronprinz und Regent geworden. Er jedoch hat meine Gesandten aus dem Haus geworfen.“

„Da hat sicher der Zorn aus ihm gesprochen“, versuchte Phoebe ihn zu beruhigen, doch ihre Stimme brach. Sie räusperte sich. „Man muss ihm nur genügend Honig um den Bart schmieren und ihm noch ein paar Ehrungen oben draufpacken.“

„Das hat der Kronrat auch gedacht, aber die haben keine Ahnung, wie Leandro wirklich ist.“

„Wenn er sich weigert, könnt Ihr doch immer noch auf die anderen beiden zurückgreifen“, bemerkte sie.

Benedetto lachte sein schiefes, hartes Lachen. „Die beiden hassen mich noch mehr, und die Gründe, weshalb ich sie damals nicht haben wollte, wiegen schwerer als bei Leandro. Leandro ist mein Favorit, und deshalb habe ich dich rufen lassen.“

Phoebes Herz begann plötzlich, wild zu schlagen. Nein, dachte sie. Bitte, bitte nicht.

Doch er fuhr schon fort: „Ich werde dich zu ihm schicken, denn du bist die einzige Person, die überhaupt Einfluss auf ihn haben könnte. Du wirst ihn davon überzeugen, dass er zurückkommen und den angebotenen Posten übernehmen muss, wenigsten so lange, bis eine endgültige Lösung gefunden ist.“

Phoebe wurde blass. „Ich … ich kann nicht …“

„Du bist Castaldiniens beste Diplomatin und hast uns schon oft aus schwierigen Situationen herausgeboxt. Dies ist die dunkelste Stunde meiner Regierungszeit, und ich zähle auf dich. Du hast Verhandlungsgeschick, bist psychologisch geschult und wirst mit Charme und Taktik erreichen, dass Leandro zu mir zurückkehrt.“

Mit Charme? dachte sie verstört und hätte gern nachgehakt, doch ehe sie etwas sagen konnte, legte Benedetto nach.

„Du bist Castaldiniens letzter Trumpf.“

„Wir landen gleich, Signorina Alexander.“

Phoebe lächelte der Stewardess zu und zeigte auf ihren geschlossenen Sicherheitsgurt. Als die hübsche Brünette das unberührte Abendessen mitgenommen hatte, ließ Phoebe ihren Kopf gegen das Flugzeugfenster sinken. Die Präsidentenmaschine tauchte ein in die glitzernde New Yorker Nacht.

Phoebe schloss die Augen, weil Tränen in ihnen brannten. Sie hasste es, zu fliegen, weil es sie an alles erinnerte, was in ihrem Leben schiefgelaufen war.

Das Ganze hatte vor zehn Jahren begonnen, als ihre jüngere Schwester Julia den Antrag von Paolo angenommen hatte, noch ehe sie wusste, dass er der Sohn des Königs von Castaldinien war.

Da Phoebe ihre Schwester, die seit einigen Jahren an einer seltenen Form von Kinderlähmung litt, nicht allein lassen wollte, gab sie ihr Jurastudium auf und ging mit ihr in das fremde Land. Paolo, unbeirrt von der Krankheit Julias, hatte hartnäckig um sie geworben, was schließlich zu einer märchenhaften Hochzeit führte, die Julia allerdings nur mit Phoebes tatkräftiger Unterstützung durchstand. War Phoebe schon nach dem frühen Tod ihrer Eltern verantwortlich für die kleine Schwester gewesen, so verließ sich Julia jetzt, da sie als Ehefrau und frischgebackene Prinzessin in eine völlig neue Welt eintrat, noch mehr auf die ältere Schwester.

Oft fragte Phoebe sich seither, ob ihr Leben nicht anders verlaufen wäre, ob sie sich Leandro gegenüber nicht selbstbewusster und distanzierter verhalten hätte, wenn sie nicht auf einmal so wurzellos, so fremd, so überwältigt von all dem Neuen gewesen wäre, das mit Julias Hochzeit auf sie eingestürmt war. Hätte sie nicht von vornherein geahnt, dass ein Mann, der so ehrgeizig und leidenschaftlich war, ihr niemals guttun würde? Stattdessen war sie ihm, schon eine Stunde nachdem sie sich kennengelernt hatten, in die Arme gesunken und hatte sich küssen lassen. Das Verlangen, das dieser Kuss in ihr entfacht hatte, war so grenzenlos gewesen, dass sie eine Woche später Leandros Geliebte geworden war. Anstatt einen netten Mann zu treffen, der sie heiratete und mit dem sie zwei süße Kinder bekam, ließ sie sich auf eine Affäre ein, die ihr emotional schadete und sie für jede neue Beziehung verdarb.

Und jetzt dachte König Benedetto, sie wäre die Richtige, um Leandro zur Rückkehr nach Castaldinien zu bewegen. Das lag natürlich daran, dass die Affäre niemandem bekannt gewesen war. Leandro war so übervorsichtig gewesen, dass weder Angehörige noch Freunde, noch die Medien irgendetwas davon mitbekommen hatten. Daher hatte der König jedes Recht, sie, die als Diplomatin immer dann eingesetzt wurde, wenn eine delikate Angelegenheit aus dem Ruder zu laufen drohte, nach New York zu schicken. Wäre sie nicht persönlich betroffen gewesen, hätte sie auch kein Problem damit gehabt und diesen Job mit links erledigt.

Und was, wenn es ihr tatsächlich gelang, Leandro zu besänftigen und zu erreichen, dass er das Angebot des Königs annahm? Dann war ihre Zeit in Castaldinien zu Ende. Sobald Leandro wieder zu Hause war, musste sie gehen.

Ihr Erfolg bedeutete, dass ihr bisheriges Leben vorbei sein würde.

Leandro hörte ein knackendes Geräusch, und als er auf seine Hand blickte, sah er, dass er dabei war, das Handy zu zerquetschen. Er warf es zur Seite und fluchte. Wie viele Telefone hatte er in den letzten Jahren zerstört, nur damit er Phoebe nicht anrufen konnte? Da war es allerdings genau um das Gegenteil dessen gegangen, weswegen er sie jetzt anrufen wollte.

Dennoch überlegte er es sich anders. Er würde Phoebe Alexander nicht anrufen, um das Treffen abzusagen.

Man wagte es, ihn um die Rückkehr nach Castaldinien zu bitten. Welch ein Hohn nach allem, was sie ihm angetan hatten! Der Kronrat, dessen Mitglieder sich an ihre Posten klammerten, war von Anfang an gegen ihn gewesen, weil die Minister wussten, dass er sie austauschen würde, sobald er regierte. Und der König, den er bewundert und verehrt hatte, war ihnen auf den Leim gegangen und hatte das Dekret unterschrieben, das ihn, Leandro, verbannte und ihn seiner Bürgerrechte beraubte. Doch das Schlimmste von allem war Phoebes Verrat.

Und nun war sie auf dem Weg hierher, um mit ihm über seine Rückkehr zu verhandeln. Oder ging es ihr auch um persönliche Dinge?

Vielleicht nutzte sie ihren offiziellen Auftrag, um privat den Kontakt mit ihm zu suchen?

Als ob er jemals wieder auch nur einen Funken Interesse für sie hätte haben können.

Er war in angriffslustiger Stimmung und freute sich beinah auf die Auseinandersetzung mit ihr. Sollte sie doch kommen. Er würde schon mit ihr fertig werden.

Am Fenster stehend und hinaus auf die Skyline blickend, hörte er, wie die Tür geöffnet wurde. Leandro spürte Phoebes Anwesenheit, noch ehe er sie erblickt hatte, und der Laut, der ihren Lippen entwich, brachte ihn dazu, sich umzudrehen.

Ihre Blicke trafen sich, und Leandro hatte das Gefühl, zehn Jahre zurückkatapultiert worden zu sein. Wieder war da diese Magie, die ihn zu ihr hinzog, und das, obwohl sie sich durchaus verändert hatte.

Erstaunt schaute er auf ihr rabenschwarzes Haar, das früher blond gewesen war. Ihre Haut war hell und wirkte überaus zart, während sie früher immer leicht gebräunt gewesen war. Und ihre Figur war weiblicher geworden, noch atemberaubender, wie er fand. Die Frau, die fünf Meter von ihm entfernt stand, hatte wenig gemein mit jener, die in den vergangenen Jahren seine Träume beherrscht hatte.

Er betrachtete sie aufmerksam, kam nicht ganz klar mit dem, was er erblickte, und war gleichzeitig hingerissen von ihrer Schönheit. Die Anziehung zwischen ihnen war fast mit Händen greifbar, und Leandro erwartete jeden Moment, dass Phoebe auf ihn zulaufen und sich ihm in die Arme werfen würde.

Doch nichts dergleichen geschah.

Der Moment verging, und Leandro wurde von der Realität eingeholt. Phoebe war nicht hier, weil sie es so wollte, sondern als Gesandte des Königs von Castaldinien. Und dennoch … Er spürte, dass auch sie etwas Ähnliches empfand wie er. Aber darüber durfte er jetzt nicht nachdenken. Es war Zeit, die Führung zu übernehmen.

Also straffte er seine Schultern und ging auf sie zu.

„Ich möchte dir mitteilen, dass ich König Benedetto gesagt habe, was ich von einem Mann halte, der sich weigert, aus falschem Stolz seine Pflicht für sein Land zu erfüllen.“

Verblüfft blieb Leandro stehen.

„Aber es ist mein Job, als Gesandte des Königs die Verhandlungen mit dir zu führen, auch wenn ich dich für ungeeignet halte, ein Land zu regieren.“

Leandro glaubte, sich verhört zu haben.

Hatte sie das wirklich gesagt? Dass sie ihn für ungeeignet hielt, König von Castaldinien zu werden?

Er betrachtete die Frau, zu der sich Phoebe Alexander entwickelt hatte. Sie war hierhergekommen, selbstbewusst, zielstrebig und umwerfend schön, und gab ihm das Gefühl, zum ersten Mal in seinem Leben einem gleichwertigen Gegner gegenüberzustehen. Und dann war da noch dieses verflixte Verlangen, das ihn gefangen hielt. Er ließ den Blick über ihre Kurven schweifen, ihre schlanken, wohlgeformten Beine, die zarte cremefarbene Haut ihres Halses …

Basta! Genug, du Dummkopf, schalt er sich im Stillen. Konzentrier dich auf ihr Gesicht, und finde heraus, was für eine Taktik sie verfolgt.

Leandro schaute forschend in ihre Augen und wünschte sofort, er hätte es nicht getan. Denn konnte er in ihrem Blick auch keine Regung lesen, so wurde er sofort abgelenkt von ihrem wunderschönen Gesicht, der zarten Linie ihres Kinns, ihrer eleganten Nase, ihren vollen roten Lippen, an deren Geschmack er sich nur zu gut erinnerte …

Phoebe jedoch ignorierte ihn, ging zu dem niedrigen Sofatisch aus polierter Eiche vor der Sofagarnitur im Chesterfield-Stil und legte ihre graue Aktentasche darauf ab. Dabei fiel ihr dicker schwarzer Zopf über die Schulter nach vorn und lenkte den Blick auf den edlen Stoff ihrer silbergrauen Kostümjacke, die die Farbe ihrer Augen besaß. Leandro stellte sich vor, wie er ihren Zopf löste, das seidige Haar durch seine Finger gleiten ließ, bis es in einer Kaskade schwarzer Locken über ihre nackten Schultern fiel.

Doch da richtete Phoebe sich auf und sah ihm direkt in die Augen. Sie verschränkte gelassen die Hände – wie eine kluge Verkäuferin, die einen unentschlossenen Kunden vor sich hat. Alles, woran Leandro denken konnte, war, wie sich diese Hände auf seiner Haut anfühlten, welche Lust sie ihm bereitet hatten …

Leandro kannte sich selbst nicht mehr. Vielleicht lag es daran, dass er in den vergangenen Jahren enthaltsam gelebt hatte. Keine Frau hatte ihn interessiert, aber es wäre vermutlich besser gewesen, sich wenigstens ab und zu eine Gespielin zu gönnen, nur um seine sexuellen Gelüste zu befriedigen. Stattdessen hatte er sich um sein milliardenschweres Imperium gekümmert, Tag und Nacht. Jetzt indes schien es, als könne er nur noch an das eine denken.

Dabei hatte er bis vor wenigen Augenblicken noch gedacht, Phoebe bedeute ihm nichts mehr.

„Können wir mit den Verhandlungen beginnen?“

Ihre kühle Frage riss ihn aus seinen Gedanken. Wie konnte eine so samtig-weiche Stimme gleichzeitig so eiskalt klingen? Doch als er den Blick hob und das heiße Verlangen in ihren Augen sah, fasste er neuen Mut.

Sie erkannte, dass sie sich verraten hatte, und schaute sich hastig im Zimmer um, als suche sie etwas. Dabei sagte sie: „Ich nehme an, du möchtest die Sache so schnell wie möglich erledigen, um dich wieder deinen Geschäften zuwenden zu können.“

Beinah hätte er erwidert: Und ich will wissen, wo die Phoebe hin ist, die ich einst kannte.

Zehn Jahre zuvor war sie jung, fröhlich und unbeschwert gewesen, und damals schien ihr Name, der sich von der Mondgöttin herleitete, gar nicht so recht zu ihr zu passen. Nun schien der Name wie geschaffen für die Frau, die vor ihm stand. Ihr dunkles Haar, die helle Haut, ihre kühle Art …

Wie, glaubte sie, konnte sie sein Einverständnis für eine Rückkehr nach Castaldinien gewinnen, wenn sie ihm ein Du bist es nicht wert! an den Kopf warf?

Dabei war er ein Mann, der als Mitglied der königlichen Familie und einer der mächtigsten Wirtschaftsbosse der Welt Ehrlichkeit und Aufrichtigkeit mehr als alles andere schätzte. Er begriff, dass Phoebe eine gewiefte Taktikerin war, es vielleicht schon damals gewesen war, als er sie kennengelernt hatte.

Vielleicht hatte sie ihm ja nur etwas vorgespielt? Ihre Leidenschaft, ihre Hingabe, die Geduld, die sie aufbrachte, und ihre geradezu selbstlose Bescheidenheit.

Nach der Trennung jedenfalls hatte sie sich erneut auf die Suche nach einem Prinzen begeben, ihn gefunden und ihn wieder verloren. Bis heute wusste Leandro nicht, was zur Lösung ihrer Verlobung mit Prinz Armando D’Agostino, einem seiner entfernten Cousins, geführt hatte.

Danach hatte sie sich ganz darauf konzentriert, die beste Diplomatin zu werden, die das Land besaß, und sich dem König unentbehrlich zu machen. Und jetzt hatte man sie hierher gesandt, um Verhandlungen mit ihm zu führen. Es war klar, dass sie einen Plan hatte, und dieser Plan basierte offensichtlich darauf, ihn in ein Spiel zu verwickeln, in dem er versuchte, ihren nächsten Schachzug zu erraten und darauf einzugehen.

Warum nicht? dachte er, bereit, sich auf dieses Spiel einzulassen. Vielleicht konnte es ihn endlich von seiner Verblendung kurieren.

Also kam er noch einen Schritt näher. „Hallo, Phoebe“, sagte er betont herzlich.

Überrascht sah sie zu ihm auf und wich einen halben Schritt zurück. Leandro empfand es wie den Beginn eines Tanzes. Sie hatten oft zusammen getanzt, damals …

„Ich glaube nicht, dass ‚hallo‘ eine adäquate Begrüßung ist“, entgegnete sie hart.

Seltsamerweise erregte ihn ihre abweisende Haltung, törnte ihre Kampfeslust ihn an. Er machte einen Schritt auf sie zu. „Wieso nicht?“, entgegnete er. „Du sagst so viele interessante Dinge.“

„Ich nenne nur die Fakten. Können wir jetzt beginnen, Prinz D’Agostino?“

Den Titel, den er acht Jahre zuvor hatte aufgeben müssen, aus ihrem Mund zu hören traf ihn hart.

„Leandro“, korrigierte er ärgerlich. „Du erinnerst dich doch an meinen Namen, nicht wahr, Phoebe? Du konntest ihn einst stöhnen, schluchzen, vor Lust herausschreien. Sei also bitte so freundlich, ihn jetzt ebenfalls zu benutzen.“

„Der korrekte Titel lautet Prinz D’Agostino. Ich habe keinen Grund, eine andere Anrede zu verwenden. Ich bitte übrigens darum, die vergangene Affäre nicht mehr zu erwähnen.“

„Das musst du schon mir überlassen Phoebe. Du weißt, dass man mich nicht manipulieren kann. Also hör auf damit, es zu versuchen.“

Er hatte alles Mögliche erwartet, aber nicht, dass sie einfach nur schwieg und abwartend vor ihm stand. Hoffte sie, ihm auf diese Weise Dinge zu entlocken, die ihn noch mehr kompromittierten?

Fragend zog er eine Augenbraue hoch. „Was, keine weiteren Ermahnungen? Soll ich hier stehen und warten, bis du beschließt, mich als komplette Null abzutun?“

Als sie nicht antwortete, kam er noch näher. Die kraftvolle Ruhe, die sie ausstrahlte, machte ihn verrückt. Nur Phoebe hatte es jemals geschafft, ihn so aus dem Gleichgewicht zu bringen. „Hast du mir sonst nichts zu sagen?“, fragte er, und seine Stimme klang rau.

Schon einmal hatte er diese Worte ausgesprochen, und die Erinnerung daran schmerzte. Mit Genugtuung sah er daher, dass Phoebe zusammenzuckte. War sie am Ende gar nicht so kühl und gefasst, wie sie tat? Nun, er hatte vor, es herauszufinden. Leandro lud Phoebe mit einer Handbewegung ein, sich aufs Sofa zu setzen.

Da sie sich nicht vom Fleck rührte, ging er hinüber zum Couchtisch, nahm eine Fernbedienung, drückte einen Knopf und ließ sich dann auf den Zweisitzer sinken.

Kurz darauf erschien Ernesto in der Tür. Der Vertraute brauchte keine drei Sekunden, um die Situation zu erfassen, und warf Leandro einen missbilligenden Blick zu.

Der wiederum fühlte sich zu Unrecht kritisiert. Schließlich war es Phoebes Schuld, dass die Situation so unangenehm war. Leandro hätte sich von Ernesto mehr Solidarität gewünscht. Schließlich hatte der Ältere ihn praktisch großgezogen und wusste sehr gut, wie er gelitten hatte, nachdem Phoebe damals gegangen war.

„Frag Phoebe, was sie trinken möchte, Ernesto. Vielleicht redet sie ja mit dir. Mir gegenüber hüllt sie sich in Schweigen.“

Ernestos hageres Gesicht wurde noch verschlossener, doch als er sich Phoebe zuwandte, lächelte er. „Was möchtest du, cara mia?“

Leandro war wie erstarrt. Seit wann nannte Ernesto Phoebe „meine Liebe“? Was ging hier vor? Er spürte das herzliche Einvernehmen zwischen den beiden und fühlte sich wie ein ungeliebtes, verstoßenes Kind.

„Du weißt am besten, was ich mag, Ernesto“, sagte Phoebe lächelnd. „Danke für deine Mühe.“

Ernesto ging, und sobald sich die Tür hinter ihm geschlossen hatte, war Phoebes Gesicht wieder eine undurchdringliche Maske.

Grollend bemerkte Leandro: „Wie rührend. Die Zuneigung scheint auf Gegenseitigkeit zu beruhen. Könntest du mir bitte mitteilen, was sich hinter meinem Rücken offenbar die ganze Zeit abgespielt hat? Oder soll ich lieber Ernesto fragen?“

Phoebe antwortete nicht, warf ihm lediglich einen Blick zu, der ihn wie ein Messerstich traf.

„Komm her, Phoebe.“

Er wartete kurz, doch als sie sich nicht in Bewegung setzte, fuhr er gereizt fort: „Wenn du meine Geduld noch länger auf die Probe stellen willst, dann bleib da stehen. Und wenn du die lächerliche Pose als Diplomatin in der frisch gestärkten Bluse aufrechterhalten willst, dann nenne mich ruhig Ex-Prinz D’Agostino. Den Titel habe ich mir hart erarbeitet.“

„Und es scheint, als möchtest du es uns so schwer wie möglich machen, die Silbe ‚Ex‘ vor deinem Namen zu streichen.“

„Ah, du sprichst mit mir. Ich wusste doch, dass du mir viel zu sagen hast.“

Wenn er eine heftige Erwiderung erwartet hatte, so täuschte er sich. Alles, was sie murmelte, war: „Nicht wenn du nicht bald anfängst, dich wie ein zivilisierter Mensch zu benehmen.“

Wider Willen lächelte er. „Ich warne dich. Ich bin allergisch gegen Ultimaten und Bedingungen.“

Anstatt auf dem Absatz kehrtzumachen, tat Phoebe plötzlich das Gegenteil, kam langsam herüber zum Sofa und blieb davor stehen.

Mittlerweile war Leandro so angetörnt, dass es ihn äußerste Selbstbeherrschung kostete, sie nicht einfach zu packen, auf seinen Schoß zu ziehen und sie seine Erregung spüren zu lassen. Stattdessen sagte er nur: „Setz dich doch, Phoebe.“

Endlich folgte sie seiner Aufforderung und ließ sich mit einem eleganten Hüftschwung auf der äußersten Sofakante nieder. Dort saß sie, bereit, jeden Augenblick wieder aufzuspringen und zu flüchten.

„Lehn dich zurück, Phoebe. Entspann dich. Jeder, der dich sieht, würde denken, du befürchtest, dass ich dich anspringe. Dabei hast du dir früher nichts sehnlicher gewünscht …“

„Hör zu“, sagte sie aufgebracht, „wir hatten vor unendlich langer Zeit eine Affäre. Sie wurde beendet, und wir haben beide unser Leben unabhängig voneinander gelebt. Jetzt sind acht Jahre vergangen, und wir haben uns verändert. Es geht nicht mehr um Phoebe und Leandro, sondern um Miss Alexander, Diplomatin im Dienst des Königreichs Castaldinien, und Prinz D’Agostino, den künftigen Kronprinzen des Landes.“

Fasziniert sah Leandro sie an. Sein Eindruck hatte ihn nicht getäuscht. Phoebe war nicht mehr die süße, nachgiebige Schönheit, sondern eine selbstbewusste, hochintelligente Frau, die wusste, was sie wollte. Und gerade das war es, was ihn stärker anzog als je zuvor. Ihre Direktheit, die Spur Aggressivität in ihrer Stimme, verbunden mit ihrer sinnlichen Ausstrahlung, bewirkten, dass er sie so heftig begehrte, wie er es nie für möglich gehalten hätte.

Und so, wie es aussah, war sie noch nicht fertig mit ihm. Er beobachtete zufrieden, wie sie tief Luft holte, ehe sie zu ihrem nächsten Schlag ansetzte.

Leandro konnte es kaum erwarten.

Phoebes Herz klopfte so heftig, dass sie fürchtete, er könne es hören. Das hier erwies sich als noch viel schlimmer, als sie erwartet hatte. Nicht nur, dass es sich um dasselbe Zimmer wie damals vor acht Jahren handelte, in dem Leandro sie empfing, auch an ihren Gefühlen schien sich nicht das Geringste geändert zu haben. Die Erinnerung an jenen magischen Augenblick damals war noch so präsent, als wäre es eben erst passiert. Der Moment, in dem er sich umgedreht hatte, seine Worte und jener Augenblick, in dem sie es nicht mehr aushielt und sich in seine Arme warf.

Während der vergangenen Jahre hatte sie oft Fotos von Leandro in Zeitschriften gesehen. Hochglanzbilder, die ein so perfektes, so anziehendes Gesicht zeigten, dass sie annahm, sie müssten retuschiert worden sein. Doch jetzt, da sie ihm gegenüberstand, sah sie, dass die Fotos seine fein modellierten Züge und seine Ausstrahlung noch nicht einmal annähernd wiedergegeben hatten.

Als sie jedoch anfing zu reden, gab sie nichts von ihren Gefühlen preis. „Um anzuknüpfen an das, was ich sagte, als ich vorhin diesen Raum betreten habe“, fuhr sie fort, bemerkte aber, dass ihre Stimme klang, als habe sie gerade den besten Sex ihres Lebens gehabt. Daher räusperte sie sich. „Nun, selbst wenn du glaubst, den auf ewig Gekränkten spielen zu müssen, so halte ich es für unverantwortlich, dass du versuchst, Katz und Maus mit mir zu spielen, wo es sich doch um die Zukunft jenes Königreichs dreht, dessen Repräsentant du bist …“

„Warst“, korrigierte er lässig.

Seine beiläufige Bemerkung brachte sie kurz aus dem Konzept. „Wie bitte?“

Er lehnte sich zu ihr hinüber. „Ich bin mittlerweile Amerikaner.“

„Oh, bitte, erspar mir das“, erwiderte sie gereizt.

Leandro lächelte. „Möchtest du meinen Pass sehen?“

Sie winkte ab. „Du wirst immer ein Castaldiner sein.“

Erstaunt zog er die Augenbrauen hoch. „Tatsächlich? Das ganze Königreich war acht Jahre lang anderer Meinung. Mich bindet nichts mehr an dieses Land.“

„Oh doch“, widersprach sie.

„Und mich fragt keiner?“, wollte er wissen und verzog den Mund.

Sie schüttelte den Kopf. „Niemand.“

„Und wie kommt das?“

„Ganz einfach. Es liegt in den Genen.“

„Ich hingegen glaube, dass wir unsere genetische Programmierung überwinden können, indem wir unseren freien Willen nutzen.“

„Und du glaubst, du hast deine castaldinischen Wurzeln ausgerissen?“, erkundigte sich Phoebe gespielt freundlich.

„Ich wurde entwurzelt“, entgegnete er, „und jetzt lebe ich glücklich und zufrieden auf der anderen Seite des Atlantiks. Aber danke für dein Mitgefühl.“

„Oh, bitte, Leandro!“

Er lehnte sich zurück, streckte die Beine aus und gönnte Phoebe einen guten Blick auf seine körperlichen Vorzüge. Dass er erregt war, störte ihn nicht. „So, wie du ‚bitte, Leandro‘ sagst, könnte man meinen, dass du gern mit mir Katz und Maus spielen möchtest.“

Ernüchtert straffte sie die Schultern. „Also los, Leandro. Wenn du schon nicht bereit bist, sachlich mit mir zu verhandeln, und darauf bestehst, die Vergangenheit noch mal durchzuhecheln, dann will ich dich nicht daran hindern. Kotz dich aus.“

Sein Blick ließ sie innehalten, und sie fühlte sich mit einem Mal nackt.

„Ich glaube nicht, dass du das wirklich möchtest“, erwiderte er. „Zu deiner Beruhigung möchte ich dir mitteilen, dass ich mit der Vergangenheit abgeschlossen habe. Falls die alte Wut mal hochkommt, dann gibt es ja Extremsportarten und Punchingbälle.“

„Heißt das, du lässt dein Königreich im Stich?“

Er lachte, und es klang teils verblüfft, teils amüsiert. „Was für eine seltsame Frage. Wer hat denn wen im Stich gelassen?“

„Es gibt Zeiten des Zorns und Zeiten des Verzeihens. Castaldinien braucht dich.“

Wieder lachte er, diesmal hart. „Und das aus deinem Mund? Du befindest mich doch gar nicht für wert, König zu werden.“

„Das war nur meine persönliche Meinung“, entgegnete sie und ärgerte sich darüber, dass Leandro die Oberhand in ihrer Diskussion gewonnen hatte.

Jetzt rieb er kurz eine Stelle an seiner Brust und lenkte ihren Blick auf seinen durchtrainierten Körper, dann auf seine schöne Hand mit den langen, kräftigen Fingern. „Und das sagst du mir ganz im Vertrauen, nicht wahr?“, neckte er sie.

„Hör doch auf“, bemerkte Phoebe knapp. „Du musst dich doch extrem gebauchpinselt fühlen, weil ganz Castaldinien vor dir im Staub kriecht. Meine Meinung zählt da nicht im Geringsten.“

Leandros Lachen erfüllte den Raum. „Ach Phoebe, du bist herrlich!“ Er wurde wieder ernst, doch dann lächelte er gewinnend. „Sag mir doch einfach, weshalb du so einen widerlichen Egomanen wie mich überreden willst, König zu werden.“

Sie schluckte. „Ich bin Gesandte meines Landes, wie du richtig bemerkt hast. Ich vertrete die Sache meines Arbeitgebers, und dieser ist König von Castaldinien.“

„Obwohl du der Ansicht bist, dass er senil ist und das Königreich einem Mann überlassen will, der es zugrunde richten wird?“

„König Benedetto ist absolut nicht senil und wird es auch nie sein.“

„Und wie erklärst du dir dann seinen Sinneswandel?“

„Ich bin sicher, dass er seine Gründe hat.“

„Die er dir aber nicht mitgeteilt hat? Sodass du jetzt nur der brave kleine Untertan bist, der Befehle ausführt, aber nicht weiß, weshalb?“

„Ich weiß nur eins, Leandro: Er hat dich nie aus seinem Herz verbannt. Als du Castaldinien verlassen musstest, ist etwas von ihm mit dir gegangen.“

Lauthals lachend warf Leandro den Kopf zurück. „Sentimentaler Quatsch! Wieso glaubst du plötzlich, den ängstlichen kleinen Jungen in mir bedienen zu müssen, der sich nach der Anerkennung seines Helden sehnt?“

Phoebe gab einen abschätzigen Laut von sich. „An dem Tag, an dem ich glaube, dass in dir ein ängstlicher kleiner Junge steckt, gackere ich so lange, bis mir Flügel wachsen.“

Diesmal lachte er noch lauter. „Phoebe, Phoebe, du kennst mich zu gut. Was ist dann mit dem rachsüchtigen kleinen Jungen, der seinen Helden im Staub sehen will? Der will, dass der König reumütig um Verzeihung bittet für alles Unrecht, das er ihm angetan hat?“

Sie wurde plötzlich ganz still und sah ihm forschend in die Augen. Dann seufzte sie und sagte: „Es gibt auch keinen rachsüchtigen kleinen Jungen. Ich bin sicher, dass ich jetzt weiß, was du fühlst.“

„Wut? Enttäuschung?“, bot er ihr in gespielter Hilfsbereitschaft an.

„Nein.“ Sie schüttelte den Kopf. „Du bist verblüfft.“

Jedes Amüsement verschwand aus seinem Blick, und er fixierte Phoebe so intensiv, dass sie das Gefühl hatte, etwas versenge ihr die Haut.

Eine seltsame Schwäche überkam sie, und sie sank gegen die Rückenlehne des Sofas. Leandro beugte sich zu ihr hinüber, doch er berührte sie nicht. Ihr Herz schlug wild, und heiße Schauer durchliefen sie. Sein Mund war nur Zentimeter von ihren Lippen entfernt, als er murmelte: „Bist du dir eigentlich im Klaren darüber, dass du bisher noch gar keine Verhandlungen mit mir geführt hast?“

Seine Nähe brachte sie fast um den Verstand. „Eines habe ich als Diplomatin gelernt“, hauchte sie. „Ich merke sehr schnell, wenn mein Gegner nicht die geringste Lust hat, zu verhandeln, und unter keinen Umständen dazu gebracht werden kann.“

Er kam noch näher. „Dann bin ich also dein Gegner?“

„Schlimmer. Einem Gegner fühle ich mich gewachsen. Du aber bist …“

„Was bin ich?“, flüsterte er dicht an ihrem Mund.

Sie hob die Hand, um ihn abzuwehren, doch sobald sie ihn berührte, war es um sie geschehen.

„Phoebe …“

Ihren Namen aus seinem Mund zu hören – wie oft hatte sie sich danach gesehnt. Fast spürte sie schon seine Lippen auf ihren. Bitte, flehte sie im Stillen.

Doch dann kam sie zur Besinnung und sprang gegen ihren Willen auf. Es war nur ein Moment, doch er kam ihr vor wie Zeitlupe. Panisch schaute sie sich um. Wo ist die verdammte Tür? dachte sie.

„Signorina?“

Sie wirbelte herum und erblickte zu ihrer Erleichterung Ernesto. Ihr Retter. Wie immer. Er stand in der Tür und hielt ein Silbertablett in den Händen.

Phoebe machte einen Schritt, dann noch einen auf ihn zu, als hielte sie eine unsichtbare Macht fest. Ernesto warf einen Blick zu Leandro und nickte dann unwillig, ehe er Phoebe aufmunternd zulächelte. Gleich darauf zog er sich diskret zurück.

Lass mich nicht allein! wollte sie rufen, doch in diesem Moment spürte sie, wie Leandro hinter sie trat und dicht an ihrem Ohr murmelte: „Du hast einen Auftrag zu erfüllen, Phoebe. Hast du das vergessen?“

Sie straffte ihre Schultern, und ohne sich umzuwenden, sagte sie scharf: „Du hast mich hierherkommen lassen, obwohl du genau wusstest, dass du der Sache keine Chance geben willst. Alles, was du willst, ist Rache. Du würdest Castaldinien nicht retten. Im Gegenteil. Du wärst das Schlimmste, was dem Land passieren könnte!“

Plötzlich hatte sie das Gefühl, dass er sie freigab. Sofort stürmte sie los, und wie beim letzten Mal schien sich die Tür von ihr zu entfernen.

„Phoebe …“

Der Klang seiner Stimme ließ sie innehalten.

„Morgen Abend. Du hast alles in der Hand.“

Sie fühlte sich wie eine Ertrinkende. „Was … was soll das jetzt wieder?“

Er schwieg, und irgendwann begann sie zu zittern. Doch dann flüsterte er: „Du hast mich immer noch nicht überzeugt, Phoebe. Weshalb sollte ich irgendjemandem eine zweite Chance geben?“

2. KAPITEL

Phoebe ließ den Luxus der Hotelsuite auf sich wirken. Rechts von ihr fiel die Abendsonne durch ein drei Meter breites und fast genau so hohes Buntglasfenster, und die Farben spiegelten sich auf dem weißen Marmorfußboden davor. Weitere große Fenster gaben den Blick frei auf den in warmes Abendlicht getauchten Central Park. Elegante französische Rokokomöbel und ein handbemaltes Klavier mit einer Genreszene, die fröhliches Landleben zeigte, vervollständigten die exklusive Atmosphäre des Salons. Es gab, wie Phoebe mittlerweile wusste, darüber hinaus fünf Schlafzimmer, fünfeinhalb Badezimmer, zwei weitere Salons, ein Speisezimmer, einen Ankleideraum und eine Sauna. Die Exklusivität unterstrichen außerdem drei marmorne offene Kamine, eine Terrasse und ein Weinkeller mit zweitausend erlesenen Flaschen. Die Präsidentensuite, die fast das gesamte achtzehnte Stockwerk des Hotels einnahm, schloss die Dienste eines Sekretärs beziehungsweise Butlers sowie die des Chefkochs ein.

Wer diese Suite buchte, blätterte, so nahm Phoebe an, mindestens fünfzehntausend Dollar hin. Pro Nacht.

Und Leandro hatte darauf bestanden, dass sie hier wohnte statt in der Suite, die Castaldinien für sie gebucht hatte. Offensichtlich hatte er permanenten Zugriff auf die Präsidentensuite.

Vergeblich hatte sie versucht, ihn davon abzubringen, weil sie fand, sie sei eine Normalsterbliche und brauche für ihre Zufriedenheit nur ein Bett und ein Bad. Doch das war nicht ihr einziges Problem. Ihr war klar, dass sie, die Gesandte des Königreichs Castaldinien, Diplomatin von bestem Ruf, sich bei ihrem Gespräch mit Leandro verhalten hatte wie der sprichwörtliche Elefant im Porzellanladen.

Alles war schiefgelaufen. Als sie ging, bildete sie sich noch ein, sich wacker geschlagen zu haben, doch je länger sie Zeit gehabt hatte, darüber nachzudenken, desto mehr kam ihr zu Bewusstsein, dass sie die Maus und Leandro die Katze gewesen war.

Wie immer hatte ihr Verstand mehr oder weniger ausgesetzt, sobald sie in seiner Nähe gewesen war. Ihre hart erarbeitete Selbstbeherrschung, ihr Verhandlungsgeschick, ihre klugen Argumente – alles futsch, sobald sie ihm in die Augen sah. Er brachte sie mit einem Fingerschnippen dazu, vor Wut zu schäumen, ihm ganz direkt die Meinung zu sagen und sich eine Blöße nach der anderen zu geben.

Und was noch schlimmer war – Leandro hatte sich nicht nur äußerlich zu seinem Vorteil verändert. Er hatte es genossen, sich mit ihr zu streiten. Aus dem jungen, ehrgeizigen Mann, der verbissen um Erfolg kämpfte, war ein souveräner Milliardär geworden, der plötzlich Sinn für Humor hatte. Und es war dieser Humor, der Phoebe förmlich umgehauen hatte.

Doch das war keine Entschuldigung für ihr Versagen. Wie hatte sie sich nur so unprofessionell verhalten können? Nicht nur, dass sie ihre Mission nicht erfüllt hatte – es sah fast so aus, als hätte sie sie ganz bewusst sabotiert! Selbst Leandros Bemerkung, sie habe ja noch gar nicht damit begonnen, zu verhandeln, hatte sie nicht zur Besinnung gebracht.

Und dann, als alles verloren schien, sagte er einfach: „Du hast mich immer noch nicht überzeugt, Phoebe. Weshalb sollte ich irgendjemandem eine zweite Chance geben?“

Zwei Sätze, die all ihre Hoffnungen zunichtegemacht hatten. Eine neue Chance? Oder doch eher eine Revanche? Was auch immer dahintersteckte – Phoebe spürte, dass es ihr vielleicht doch noch gelingen konnte, sein Wohlwollen zu erringen. Zu seinen Bedingungen selbstverständlich.

Die erste der unausgesprochenen Bedingungen war, dass er den Zeitpunkt und den Ort des nächsten Treffens bestimmte. Es war wie früher, als sie noch seine Geliebte gewesen war. Doch statt seiner heimlichen Freundin war sie jetzt eine Bittstellerin mit offiziellem Auftrag.

Er hatte sie für diesen Abend zum Essen eingeladen, und Phoebe blieb nichts anderes übrig, als zuzusagen. Am Morgen war Ernesto ins Hotel gekommen, um ihr gute Ratschläge zu geben und einen ganzen Kleiderständer mit Designerklamotten bei ihr abzuliefern.

Seine Ratschläge hatte sie gern entgegengenommen. Er bestärkte sie darin, genau das zu tun, was sie bisher getan hatte. Aber dazu gab es sowieso keine Alternative. Sobald sie Leandro sah, verlor sie jede Fähigkeit zur Diplomatie und schoss auf ihr Ziel los wie ein Rennwagen ohne Bremsen.

Womit sie allerdings ein Problem hat...

Autor

Olivia Gates
<p>Olivia Gates war Sängerin, Malerin, Modedesignerin, Ehefrau, Mutter – oh und auch Ärztin. Sie ist immer noch all das, auch wenn das Singen, Designen und Malen etwas in den Hintergrund getreten ist, während ihre Fähigkeiten als Ehefrau, Mutter und Ärztin in den Vordergrund gerückt sind. Sie fragen sich jetzt bestimmt...
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