Kalter Schnee, heiße Leidenschaft

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Schneesturm an Heiligabend: Als die unschuldige, junge Holly mit dem Auto liegen bleibt, rettet sie sich zu einem nahen Cottage. Aber ist sie bei dem so attraktiven wie geheimnisvollen Vito aus Florenz wirklich in Sicherheit? Nicht nur das Feuer im Kamin brennt bald immer heißer …


  • Erscheinungstag 01.02.2018
  • ISBN / Artikelnummer 9783733735470
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Die karge Hügellandschaft des Dartmoor war von eisigem Frost überzogen. Als der Geländewagen von der Landstraße in einen schmalen Schotterweg einbog, entdeckte Vito schon das malerische Cottage hinter ein paar winterlichen Baumgerippen. Während sich sein Fahrer um das Gepäck kümmerte, stieg Vito mit grimmigem Gesicht aus dem Wagen und ging auf das Haus zu. Als erneut eine SMS auf seinem Handy einging, war ihm die Anspannung der letzten Tage noch deutlicher anzusehen als zuvor. Er ignorierte die Nachricht und betrat das Haus.

Wärme empfing ihn. In dem offenen Kamin des Cottages brannte ein gemütliches Feuer. Müde fuhr sich Vito durch das dichte blauschwarze Haar. Er war kein Feigling. Er war auch nicht geflüchtet, wie ihm seine Exverlobte vorgeworfen hatte. Viel lieber wäre er in Florenz geblieben und hätte die Stellung gehalten! Doch die Paparazzi ließen ihm dort keine Ruhe, und eine sensationslüsterne Schlagzeile jagte die nächste.

Nun war Vito doch dem Rat seines besten Freundes Apollo gefolgt und hatte sich aus Italien abgesetzt – in der Hoffnung, dass sich der Presserummel so schneller legen würde. Er musste schließlich seine Mutter schützen! Gerade war Vitos Vater mit einem schweren Herzinfarkt ins Krankenhaus eingeliefert worden, da wollte Vito seiner Mutter jede zusätzliche Aufregung ersparen!

Zweifellos besaß sein Freund Apollo wesentlich mehr Erfahrung darin, mit Skandalen und schlechter Presse fertigzuwerden. Der griechische Playboy führte ein deutlich zwangloseres Leben als Vito, dem man bereits von Kindesbeinen an eingebläut hatte, dass er einmal der nächste Direktor der berühmten Zaffari-Bank werden würde. Sein Großvater hatte ihn in der Tradition einer Familie erzogen, die ihre Wurzeln bis ins Mittelalter zurückverfolgen konnte. Damals war der Name Zaffari gleichbedeutend gewesen mit Begriffen wie Ehre und Prinzipien. Jetzt nicht mehr, dachte Vito reumütig. Für immer und ewig würde er nun als der Banker in Erinnerung bleiben, der sich mit Drogen und Stripperinnen abgab …

Sein Fahrer hatte inzwischen das letzte Gepäckstück hereingeholt. Vito bedankte sich mit einem großzügigen Trinkgeld und verabschiedete den Mann. Nun war er völlig allein.

Gedankenverloren schüttelte Vito den Kopf. Drogen und Stripperinnen waren wirklich nicht sein Stil! Einer seiner engsten Schulfreunde war während einer Party an einer Überdosis gestorben. Illegale Substanzen hatten für Vito nie einen Reiz dargestellt. Und die Prostituierten? Mein Gott, er konnte sich ja nicht mal erinnern, wann er das letzte Mal Sex gehabt hatte. Zwar war er noch bis vor einer Woche verlobt gewesen, doch Marzia hatte sich in dieser Hinsicht als sehr zugeknöpft erwiesen.

„Sie ist durch und durch eine Lady“, hatte sein Großvater noch kurz vor seinem Tod voller Zufriedenheit geäußert. „Eine Ravello mit dem richtigen Hintergrund und der richtigen Erziehung. Sie wird eine hervorragende Gastgeberin abgeben und später eine gute Mutter für deine Kinder sein.“

Jetzt nicht mehr, dachte Vito und las die neueste SMS seiner Ex.

Was ist mit dem Abriano-Gemälde? hatte sie geschrieben.

Er schrieb Marzia knapp zurück, dass sie das Verlobungsgeschenk seines Großvaters zurückgeben musste. Es war Millionen wert – wie viel Entschädigung wollte sie denn noch verlangen? Er hatte ihr bereits das Haus angeboten, das sie ursprünglich gemeinsam hatten bewohnen wollen, doch das lehnte sie ab.

Trotz seiner Großzügigkeit fühlte Vito sich schuldig. Er hatte Marzias Leben auf den Kopf gestellt, hatte sie in Verlegenheit gebracht. Aber er konnte seiner ehemaligen Verlobten nicht die Wahrheit sagen. Weil er ihr nicht zutraute, dass sie das Ganze für sich behalten würde. Sollte die Wahrheit jedoch herauskommen, dann wäre sein Opfer umsonst gewesen, und die einzige Frau, die er je geliebt hatte, würde eine öffentliche Demütigung erfahren.

Vito hatte eine schwere Wahl getroffen. Doch er hatte genau gewusst, auf was er sich einließ und war bereit, den Preis dafür zu zahlen.

Trotzdem kam es ihn hart an, sich über Weihnachten hinweg mehrere Wochen zu verkriechen. Sein Instinkt sagte ihm nämlich, dass Angriff immer noch die beste Verteidigung war.

„Ritchie ist ein widerlicher, verlogener Mistkerl!“, wetterte Hollys Mitbewohnerin und beste Freundin Pixie am Telefon.

Holly zog eine Grimasse, während sie sich mit einer Hand durch die dichte Mähne schwarzer Locken strich. Mit rot geweinten Augen blickte sie auf die Uhr und stellte zu ihrer Erleichterung fest, dass ihre Mittagspause noch lange nicht vorbei war. „Da kann ich dir nur zustimmen“, erwiderte sie kläglich.

„Er ist mindestens ebenso schlimm wie der letzte Typ, der sich all das Geld von dir geliehen und nie zurückgegeben hat“, erinnerte Pixie sie mit ihrer üblichen Taktlosigkeit. „Oder der davor, der dich nur heiraten wollte, damit du seine bettlägerige Mutter pflegst!“

Holly zuckte zusammen und dachte, dass ihre Männergeschichten tatsächlich wenig Anlass zum Stolz gaben. „Lass uns nicht zurückschauen“, bat sie, denn sie wollte sich lieber positiveren Dingen zuwenden.

Pixie weigerte sich jedoch zu kooperieren. „Was in aller Welt willst du jetzt über die Feiertage tun, wo ich in London festsitze und Ritchie kein Thema mehr ist?“

Ein Lächeln stahl sich auf Hollys Gesicht, die plötzlich voller Enthusiasmus war. „Ich werde stattdessen Weihnachten mit Sylvia feiern!“

„Aber sie ist doch bei ihrer Tochter in Yorkshire … oder nicht?“

„Nein, Alice musste in letzter Minute absagen. Sie hatte einen Wasserrohrbruch im Haus. Sylvia war schrecklich enttäuscht. Als ich dann Ritchie heute mit seinem Büroflittchen erwischt habe, wurde mir klar, dass ich es in der Hand habe, aus unser beider Pech wenigstens etwas Gutes zu machen …“

„Ich hasse es, wenn du nach jeder Niederlage sofort wieder aufstehst und ganz optimistisch bist“, seufzte Pixie dramatisch ins Telefon. „Bitte sag mir, dass du Ritchie wenigstens eine ordentliche Ohrfeige verpasst hast …“

„Ich habe ihm gesagt, was ich von ihm halte. Ich hab es zumindest versucht …“, gab Holly mit der für sie typischen Ehrlichkeit zu. Es war ihr zu peinlich gewesen, sich länger in der Gegenwart ihres halbnackten Freunds und der Frau aufzuhalten, mit der er sie betrogen hatte. „Ist es in Ordnung, wenn ich mir dein Auto ausleihe?“

„Natürlich. Wie willst du denn sonst dorthin kommen? Aber pass auf: Sie haben Schnee angesagt …“

„An Weihnachten reden sie immer von Schnee“, versetzte Holly wegwerfend. „Weißt du was? Ich nehme unseren Tannenbaum und den Weihnachtsschmuck zu Sylvia mit! Und auch das ganze Essen, das ich schon vorbereitet habe! Ich werde das Santa-Outfit anziehen, das du letztes Jahr bei der Weihnachtsfeier im Salon getragen hast. Sylvia lacht doch gern. Sie wird es zu schätzen wissen.“

„Sylvia wird begeistert sein, wenn du plötzlich vor der Tür stehst“, erwiderte ihre Freundin voller Wärme. „Erst der Tod ihres Mannes, und dann musste sie auch noch das Farmhaus verlassen, weil sie es allein nicht mehr halten konnte. Sie hatte wirklich ein schreckliches Jahr.“

Der Gedanke, wie sehr sich ihre Pflegemutter über ihren Überraschungsbesuch freuen würde, verlieh Holly genug Kraft, um ihre Nachmittagsschicht im Café trotz allem noch gut über die Runden zu bringen. Außerdem war Heiligabend, und Holly liebte Weihnachten. Das lag wahrscheinlich daran, dass sie hauptsächlich in Pflegefamilien aufgewachsen war und sich immer danach gesehnt hatte, diese besondere Zeit des Jahres mit einer eigenen Familie zu verbringen. Wäre es nicht traumhaft, Weihnachten irgendwann mit einem Ehemann und eigenen Kindern zu feiern?

Sowohl sie als auch Pixie waren mit zwölf Jahren zu Sylvia Ware gekommen. Die Wärme und Zuneigung, mit der sie die beiden Mädchen aufgenommen hatte, machten die Herzlosigkeit wett, die die beiden als kleinere Kinder in anderen Pflegefamilien erlebt hatten. Heute bereute Holly es, dass sie nicht früher auf Sylvia gehört und sich in der Schule mehr Mühe gegeben hatte. Im Laufe der Jahre hatte Holly so viele verschiedene Schulen besucht, dass sie irgendwann ihre Lücken einfach akzeptierte. Jetzt war sie vierundzwanzig und versuchte, diesen Fehler wiedergutzumachen. Es war anstrengend, sich neben der Arbeit als Kellnerin noch weiterzubilden. Aber der Onlinekurs für Innendesign, zu dem Holly sich vor einiger Zeit angemeldet hatte, schien ihr die Mühe wert zu sein.

„Und was soll dir der Kurs bringen?“, hatte Pixie, die als Friseurin arbeitete, unumwunden gefragt.

„Ich interessiere mich wirklich dafür. Es macht mir wahnsinnigen Spaß, einen Raum zu betrachten und zu überlegen, wie ich ihn verbessern könnte.“

„Aber Leute wie wir werden nicht als Designer engagiert“, hatte Pixie eingewandt. „Ich meine, wir sind ganz gewöhnliche Arbeiterinnen, die versuchen, ihre Rechnungen zu zahlen, keine glamourösen Karrierefrauen.“

Als Holly jetzt das Santa-Outfit anzog, musste sie zugeben, dass an ihr tatsächlich nichts Glamouröses war. Gott sei Dank war das kurze Kleid für ihre deutlich schlankere Freundin viel zu groß gewesen. Es mochte ja sein, dass Pixie sie um ihre üppigen Kurven beneidete, doch dafür konnte Pixie alles essen, ohne auch nur ein Gramm zuzunehmen, während Holly ständig darum kämpfte, dass ihre Kurven nicht zu voluminös wurden. Ihr goldener Hautton musste von dem unbekannten Vater stammen. Er war vielleicht jemand, den ihre sprunghafte Mutter im Ausland kennengelernt hatte. Holly würde es wohl nie erfahren. Ihr einziger Elternteil hatte ihr so viele Lügen aufgetischt, dass sie die Hoffnung aufgegeben hatte, ihren leiblichen Vater je kennenzulernen.

Mit einem Meter sechzig war Holly nicht besonders groß. Zu dem Corsagekleid aus leuchtend rotem Samt trug sie schwarze Thermostrumpfhosen, und statt High Heels anzuziehen, schlüpfte Holly in ein Paar Cowboystiefel. Als sie ihr Spiegelbild sah, musste sie lachen. Dennoch setzte sie auch noch die rote Santa-Mütze auf. Also schön, sie sah komisch aus, aber Sylvia würde ihr Aufzug sicher ein Lächeln entlocken und ihr darüber hinweghelfen, dass ihre Töchter an Weihnachten nicht bei ihr sein konnten. Das war alles, was zählte.

Rasch packte Holly ihren Rucksack und stellte Essen und Weihnachtsschmuck in einen Karton, der so schwer war, dass sie auf dem Weg zum Auto beinahe strauchelte. Zumindest das Essen wird nicht verkommen, dachte sie voller Zweckoptimismus, doch genau in diesem Moment sah sie das Bild von Ritchie und der Sekretärin in seinem Versicherungsbüro wieder vor sich.

Ihr Magen verkrampfte sich und ihr Herz zog sich schmerzhaft zusammen. Sie haben es sogar am helllichten Tag getrieben, dachte sie schaudernd. Holly konnte es sich ja nicht mal vorstellen, überhaupt Sex zu haben, geschweige denn auf einem Schreibtisch im grellen Tageslicht. Wahrscheinlich war sie keine besonders abenteuerlustige Person. Genau genommen, waren sie und Pixie ziemlich puritanisch. Sie hatten gesehen, wohin die zahlreichen gescheiterten Beziehungen ihrer Mütter geführt hatten, und sich mit zwölf Jahren geschworen, von Männern die Finger zu lassen. Als sie in die Pubertät kamen, geriet diese Entscheidung ins Wanken. Also sagten sie sich mit vierzehn, dass Sex die eigentliche Gefahr war und deshalb außerhalb einer ernsthaften Beziehung auf jeden Fall vermieden werden musste. Holly verdrehte die Augen, wenn sie daran dachte, wie unschuldig und naiv sie doch gewesen waren.

Noch immer hatte keine von ihnen beiden es geschafft, eine ernsthafte Beziehung mit einem Mann zu führen. Aber es war nicht gerade so, dass ihre sexuelle Enthaltsamkeit Holly irgendwelche Vorteile verschafft hätte.

„Hast du gedacht, dass ich ewig auf dich warte?“, hatte Ritchie ihr nachgeschrien. „Glaubst du, du bist etwas Besonderes?“

Bei der Erinnerung an diese hässliche Bemerkung verzog Holly das Gesicht. Es war ihr schon immer bewusst gewesen, dass sie keinesfalls etwas Besonderes war …

Als sie in dem heruntergekommenen alten Kleinwagen losfuhr, den Pixie irgendwann Clementine getauft hatte, begann es plötzlich zu schneien. Holly stöhnte. An sich liebte sie Schnee, aber sie fand es alles andere als angenehm, in dichtem Schneegestöber zu fahren, und sie fror auch nicht gern. Gott sei Dank sitze ich ja im Auto, dachte sie, während sie das kleine Städtchen in Devon verließ, in dem sie lebte und arbeitete.

Als sie endlich an Sylvias Haus ankam, das verdächtig dunkel dalag, hatte der Schneefall sogar noch zugenommen. Vielleicht war ihre Pflegemutter ja in die Kirche gegangen, oder sie besuchte Nachbarn. Entschlossen drückte Holly die Weihnachtsmütze auf ihre widerspenstigen Locken, klopfte an die Tür und wartete, wobei sie von einem Fuß auf den anderen trat, um warm zu bleiben. Nach ein paar Minuten klopfte sie noch einmal, dann folgte sie dem Gehweg zu dem kleinen Nachbarhaus, das hell erleuchtet war, und klopfte dort.

„Es tut mir leid, dass ich Sie störe, aber vielleicht können Sie mir ja sagen, wo Mrs. Ware ist und ob sie bald nach Hause kommt?“, fragte Holly mit freundlichem Lächeln.

„Sylvia ist heute Nachmittag abgereist. Ich habe ihr beim Packen geholfen – sie war ganz aus dem Häuschen. Soweit ich weiß, hat sie niemanden erwartet“, entgegnete die kleine ältere Dame an der Tür.

Hollys Herz sank. „Dann ist sie also doch zu ihrer Tochter gefahren?“

„Oh nein, das war nicht die Tochter, die kam, sondern der Sohn. Er nimmt sie mit nach Brügge, glaube ich“, versetzte die Nachbarin.

„Brüssel. Dort lebt Stephen. Wissen Sie, wie lange sie fort sein wird?“

„Ich glaube, mehrere Wochen …“

Völlig niedergeschlagen kehrte Holly zu ihrem Wagen zurück.

„Seien Sie bloß vorsichtig, wenn Sie nach Hause fahren“, rief die ältere Dame ihr nach. „Es soll noch die ganze Nacht durch schneien.“

„Danke, das werde ich“, versprach Holly, die sich zu einem Lächeln zwang. „Frohe Weihnachten!“

Und was für frohe Weihnachten das werden, so ganz allein, dachte sie traurig, während sie gegen die Tränen kämpfte. Dann schalt sie sich für ihren Egoismus. Immerhin konnte Sylvia Weihnachten mit ihrem Sohn und den Enkelkindern verbringen, die sie so selten sah. Holly war wirklich froh, dass Stephen gekommen war, um das Fest zu retten.

Vielleicht vermisse ich einfach Pixie, dachte sie und lenkte den Wagen zurück auf die steile, eisige Straße, die das Moor hinaufkroch. Der kleine Bruder ihrer besten Freundin hatte sich mal wieder in Schwierigkeiten gebracht, weshalb Pixie sich freigenommen hatte und nach London gereist war, um das Problem zu lösen. Vermutlich handelte es sich um finanzielle Schwierigkeiten, doch Holly würde keine unangenehmen Fragen stellen oder unaufgefordert Rat erteilen. Sie wollte ihre Freundin nicht verletzen, die ihrem schrecklich egoistischen Bruder sehr zugetan war …

Die einsame Straße durchs Moor schien kein Ende zu nehmen. Als der Wagen auf der eisigen Fläche plötzlich ins Rutschen geriet, verspannte Holly sich und verlangsamte ihr Tempo noch mehr. Sie selbst hatte viel weniger Probleme als die meisten Menschen und von daher keinen Grund, sich selbst zu bemitleiden.

Mit zusammengekniffenen Augen spähte sie durch die Windschutzscheibe – die Sicht wurde immer schlechter, und die Scheibenwischer kamen kaum noch gegen die Schneemassen an. Holly schrie, als der Wagen ohne Vorwarnung plötzlich wie in Zeitlupe von der Straße schlitterte und in einem Graben landete. Das Geräusch von berstendem Metall war ohrenbetäubend. Nachdem sie den Motor abgeschaltet hatte, holte sie mehrmals tief Luft, um sich selbst zu beruhigen. Sie lebte, kein anderes Auto war an dem Unfall beteiligt, niemand verletzt worden. Dafür musste sie dankbar sein.

Mühsam kletterte sie aus dem halb auf der Seite liegenden Wagen, um den Schaden zu begutachten. Die rechte Seite von Pixies altem Gefährt war mit einem großen Felsbrocken zusammengeprallt, der vermutlich dort platziert worden war, um den Eingang zu einer Auffahrt zu markieren. Mein Gott, was wird die Reparatur kosten? war das Erste, was Holly in den Kopf schoss. Schließlich war der Unfall ihre Schuld, nicht Pixies.

Nachdem sie kurz ihre Umgebung inspiziert hatte, bekam sie Angst. Die Straße lag dunkel und verlassen unter einer dichten Schneedecke. Es war eine schlimme Nacht, noch dazu Heiligabend. Vermutlich würde sich heute kein einziger Autofahrer hierher verirren.

Rasch griff sie nach ihrem Handy, nur um konsterniert festzustellen, dass sie kein Netz hatte. Erst in diesem Moment schaute sie sich den Eingang der Auffahrt genauer an und entdeckte in einiger Ferne wie ein Zeichen der Hoffnung helle Lichter. Es musste sich um ein Haus handeln. Holly wurde von Erleichterung überflutet. Hoffentlich war es bewohnt, und hoffentlich verfügte der Besitzer über ein Festnetztelefon, das sie benutzen konnte, um einen Abschleppdienst zu rufen.

Vito genoss gerade ein Glas eines preisgekrönten Weins und fragte sich, was er mit dem Abend anstellen sollte, als es an der Tür klopfte. Überrascht blickte er auf, denn er hatte weder ein Auto gehört, noch sah er draußen Lichter. Vorsichtig spähte er durch das Guckloch an der Tür und sah nichts als eine rote Weihnachtsmütze. Da irrte sich definitiv jemand im Haus, denn Vito hasste Weihnachten. Als er die Tür aufriss, schaute er in ein Paar großer veilchenblauer Augen. Zuerst hielt er seinen Besucher für ein Kind, doch dann ließ er den Blick tiefer gleiten, und er entdeckte den verführerischen Brustansatz, der zwischen dem Mantelaufschlag hervorlugte. Auch wenn sie zweifellos klein war, so handelte es sich doch ganz eindeutig um eine Frau.

Holly starrte den Mann im Türrahmen überrascht an. Er sah wie die personifizierte männliche Sünde aus: schwarzes Haar, dunkle, mysteriöse Augen, markante Züge, ein attraktiver Dreitagebart und ein höllisch sinnlicher Mund. Leider wirkte er weder besonders zugänglich noch hilfsbereit. Dass er überdies noch einen eleganten Anzug mit weißem Hemd und makelloser Krawatte trug, machte ihn in Hollys Augen noch unnahbarer.

„Falls Sie auf der Suche nach einer Party sind, haben Sie das falsche Haus erwischt“, sagte Vito brüsk, der sich an die Warnungen seines Freundes erinnerte, wie aufdringlich die Paparazzi sein konnten. Hätte er gleich an dieses Risiko gedacht, dann hätte er die Tür gar nicht erst aufgemacht.

„Ich brauche dringend ein Telefon. Mit meinem Handy habe ich hier keinen Empfang, und ich bin mit meinem Wagen am Ende der Auffahrt im Graben gelandet“, erklärte Holly rasch. „Haben Sie hier ein Festnetztelefon?“

Vito stöhnte innerlich. Auf seinem Handy befanden sich viel zu viele heikle Informationen, als dass er es aus der Hand gegeben hätte. „Das ist nicht mein Haus. Ich muss nachschauen“, versetzte er genauso unfreundlich wie zuvor.

Als er sich umdrehte, ohne sie hineinzubitten, zog Holly eine Grimasse. Sie zitterte wie Espenlaub, weil sie nicht warm genug angezogen war. Über das Weihnachtskleid hatte sie lediglich ihren dünnen Regenmantel gestreift. Sie war auf eine Fahrt im geheizten Auto vorbereitet gewesen, nicht auf eine Autopanne im Schneetreiben. Da bin ich ja auf Mr. Nett und Zuvorkommend gestoßen, dachte sie ironisch. Er mochte zwar der attraktivste Mann sein, der ihr je über den Weg gelaufen war, aber er schien auch frostiger als Eis.

„Es gibt ein Telefon … Sie können reinkommen und es benutzen“, lud er sie widerwillig ein. Lediglich sein ausländischer Akzent klang nett.

Holly errötete vor Verlegenheit. Sie hatte schon bemerkt, dass sie keine willkommene Besucherin war. Rasch kramte sie ihr Handy aus der Manteltasche und suchte nach der Nummer von Pixies Automechaniker Bill, der in der Gegend einen Abschleppdienst betrieb. Während sie das tat, achtete sie nicht auf die Stufe, die ins Haus führte. Sie strauchelte und wäre wohl schlimm gestürzt, wenn nicht in diesem Moment zwei Arme nach ihr gegriffen und sie aufgefangen hätten.

„Passen Sie auf …“ Vito hob sie regelrecht ins Haus hinein. Als ihr Haar dabei kurz sein Gesicht streifte, atmete er den Duft von Orangen ein. Doch erst als er ihr Gesicht im hellen Licht sah, erkannte er, dass ihre Lippen bereits blau vor Kälte waren. „Maledizione, Sie erfrieren ja! Warum haben Sie mir nichts gesagt?“

„Es ist schon Zumutung genug, dass ich einfach so an Ihre Tür klopfe …“

„Ja, mir wäre es wirklich lieber, am Morgen über Ihre erfrorene Leiche auf meiner Türschwelle zu stolpern!“, versetzte er sarkastisch. „Sie hätten mir sagen sollen, dass …“

„Sie haben doch selbst Augen im Kopf! Und ihr Auftreten ist so abweisend … Ich störe nicht gern andere Leute“, unterbrach sie ihn, während sie hektisch ihre Hände rieb, um wieder ein Gefühl in die Finger zu bekommen, ehe sie sich erneut ihrem Handy widmete.

Vito blickte auf sie herab. Ihre Kritik überraschte ihn. Abweisend? Stimmte das? Sein Großvater hatte ihn gelehrt, Abstand zu halten zu anderen Menschen. Bei der Mitarbeiterführung kam ihm das oft zugute …

Doch Vito war es nicht gewohnt, sein eigenes Handeln in Frage zu stellen. Ungeduldig nahm er seinem Überraschungsbesuch das Telefon aus den zitternden Händen und sagte streng: „Gehen Sie erst rüber zum Feuer und wärmen Sie sich auf. Danach können Sie den Anruf tätigen.“

„Und das macht Ihnen auch wirklich nichts aus?“

„Ich werde es schon ertragen.“

Auf halbem Weg hin zu dem Kamin mit dem gemütlich lodernden Feuer drehte Holly sich lachend um. Ihre Augen funkelten. „Sie sind gern sarkastisch, nicht wahr?“

Im Schein des Kaminfeuers glichen ihre Augen schimmernden Saphiren, und ihr zauberhaftes Lächeln verlieh ihr eine solche Anziehungskraft, dass ihm der Atem stockte. Vito war kein Mann, der sich leicht von den Reizen einer Frau beeindrucken ließ. Und selbst wenn es einmal vorkam, unterdrückte er den Impuls sofort. Doch für den Bruchteil einer Sekunde hauten ihn ihr koketter Ton und das umwerfende Lächeln regelrecht aus den Socken.

Er starrte sie an. Als sie die Weihnachtsmütze abnahm, ergossen sich die dunklen Locken wie ein Wasserfall über ihren Rücken. Wie von selbst senkte sich sein Blick auf ihre vollen Brüste, die schmale Taille und die wohlgeformten Beine, die unter dem Rock ihres glänzenden Kleids hervorschauten. Die Schultern straffend, kämpfte er gegen die Erregung an, die sich in seinen Lenden ausbreitete.

„Könnte ich jetzt mein Handy wiederhaben?“, bat sie.

Er drückte ihr das Smartphone in die Hand, woraufhin sie durch die Kontakte scrollte. Dann reichte er ihr das Festnetztelefon des Hauses, in das sie Bills Nummer eingab.

Vito war immer noch damit beschäftigt, seine Libido in den Griff zu bekommen. Dass das überhaupt nötig war, schockierte ihn. Was war nur los mit ihm? Sie war doch gar nicht sein Typ … wenn er überhaupt einen Typ hatte. Die Frauen in seinem Leben waren alle große, elegante Blondinen gewesen und nicht klein, äußerst kurvig und sehr, sehr sexy. Gebannt beobachtete er, wie ihr üppiges Haar über ihre Schultern floss, während sie telefonierte und im Zimmer auf und ab ging. Sie entschuldigte sich am Telefon erst sehr ausgiebig dafür, an Heiligabend zu stören, ehe sie zum Punkt kam.

Wie groß waren die Chancen, dass sie zu den Paparazzi gehörte, die ihn verfolgten? Vito war mit einem Privatflugzeug nach Großbritannien geflogen und auf einem Privatflughafen gelandet. Er hatte sich extra in einem unauffälligen Geländewagen zum Cottage fahren lassen. Nur Apollo und seine Mutter Concetta wussten, dass er hier war. Aber Apollo hatte ihn gewarnt, dass die Paparazzi alles Mögliche anstellten, um an Fotos zu kommen. Er biss die Zähne zusammen. Zumindest sollte er prüfen, ob am Ende der Auffahrt tatsächlich ein Auto im Graben lag.

„Morgen?“, wisperte Holly voller Entsetzen.

„Und auch nur dann, wenn der Schneeräumdienst vor mir da war“, erwiderte Bill entschuldigend. „Ich arbeite heute schon auf Hochtouren. Wo genau liegt der Wagen?“

Autor

Lynne Graham
<p>Lynne Graham ist eine populäre Autorin aus Nord-Irland. Seit 1987 hat sie über 60 Romances geschrieben, die auf vielen Bestseller-Listen stehen. Bereits im Alter von 15 Jahren schrieb sie ihren ersten Liebesroman, leider wurde er abgelehnt. Nachdem sie wegen ihres Babys zu Hause blieb, begann sie erneut mit dem Schreiben....
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