Katerina – Sinnlich und verboten

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Eine Vernunftheirat? Warum nicht! Für seinen beruflichen Erfolg würde Colonel Fergus Kennedy alles tun. Doch dann trifft er Artistin Katerina - und ist hingerissen. Die Verbindung mit ihr würde ihn seine Laufbahn kosten. Aber er kann sie einfach nicht vergessen …


  • Erscheinungstag 13.01.2021
  • ISBN / Artikelnummer 9783751505291
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

Samstag, 14. Juni 1817

Brockmore Manor Hausparty

Programm

Willkommensfeier im großen Salon

Vorführung der weltberühmten russischen Artisten

„Die Fliegenden Vengarovs“

im großen Ballsaal

Der Salon von Brockmore Manor befand sich im westlichen Teil des Gebäudes und bot eine schöne Aussicht auf den ausgedehnten Barockgarten des Dukes und der Duchess of Brockmore. Durch die geöffneten Fenster wehte ein berauschender Duft von der Rosenlaube herein. Ein wahres Füllhorn englischer Rosen, sowohl drinnen als auch draußen, dachte Colonel Fergus Kennedy vom neunundneunzigsten Infanterieregiment ironisch. Er beobachtete die Grüppchen von aufgeregten Damen, deren helle Nachmittagskleider sich von den schimmernden kobaltblauen Seidenwandbehängen abhoben, die dem Raum das Aussehen einer Meeresgrotte verliehen. Auch die mit blauem Damast bezogenen Sofas an den Wänden nahmen das maritime Thema auf. Die vergoldeten Armlehnen und Beine hatten die Form von nackten Meerjungfrauen und grotesken Seeungeheuern. Ähnliche Kreaturen zierten den italienischen Kaminsims aus weißem Marmor, und auch die Gemälde an den Wänden zeigten Darstellungen des Meeres und der Seefahrt.

Fergus zupfte an seinem gestärkten Halstuch und näherte sich einem offenen Fenster. Schweißperlen rannen seinen Rücken hinab. Es war ungewöhnlich heiß für diese Jahreszeit. Sein Gastgeber, dem man nachsagte, ein äußerst geschickter Intrigant zu sein, schien sogar das Wetter kontrollieren zu können. Fergus beneidete die Damen um ihre leichten Baumwollkleider, die bei der Hitze sicher angenehmer zu tragen waren als seine Seidenweste und der schwere dunkelblaue Gehrock. Ein rascher Blick auf die übrigen Gäste bewies jedoch, dass er den inoffiziellen Dresscode dieser Willkommensfeier durchaus richtig interpretiert hatte, indem er sich nach der Londoner Mode gekleidet hatte.

Fergus war eigentlich nicht in der richtigen Gemütsverfassung für eine solche Hausparty. Das Ganze war ihm alles andere als angenehm, und er hätte die Einladung am liebsten abgelehnt. Wer weiß, welche Folgen sich daraus noch ergeben würden!

„Ich wette, Sie sind Colonel Kennedy. Darf ich mir selbst auf die Schultern klopfen und mir zu meinem Scharfsinn gratulieren?“

Vor ihm stand ein Mann unbestimmten Alters, angetan mit einer Art smaragdgrünem Morgenrock aus Seide, der üppig bestickt war mit roten und goldenen Drachen. In der rechten Hand hielt er einen dazu passend bemalten Fächer. Sein Gesicht war gepudert, aber er hatte ein energisches Kinn, und seine hellblauen Augen unter perfekt gezupften Augenbrauen musterten Fergus aufmerksam.

„Das dürfen Sie, wenn Sie es wünschen, obwohl ich es mir etwas schwierig vorstelle. Fergus Kennedy, zu Ihren Diensten. Ich fürchte, Sie sind mir einen Schritt voraus, Sir.“

Entzückt verzog der Gentleman seine dünnen Lippen zu einem Lächeln. „Ich wusste es! Nur ein Blick auf Ihre Schultern und den kerzengeraden Rücken, und ich war sicher, dass Sie ein Mann des Militärs sind. Wie schade, dass Sie Ihre Paradeuniform nicht tragen, Colonel. Die Ladies lieben Männer in roten Röcken. Ich bin selbst auch ein großer Freund davon. Aber wo sind meine Manieren! Erlauben Sie mir, mich vorzustellen. Sir Timothy Farthingale. Entzückt, Ihre Bekanntschaft zu machen.“

„Wie geht es Ihnen?“ Farthingales exotische Erscheinung passte nicht ganz zu seinem festen Händedruck, stellte Fergus im Stillen fest. „Darf ich fragen, ob Sie mit unseren Gastgebern bekannt sind? Ich habe mich ihnen noch nicht vorgestellt.“

„Keine Sorge, sie werden gleich in Erscheinung treten“, antwortete Sir Timothy und wedelte mit der Hand. „Marcus und Alicia choreografieren ihre Auftritte stets sorgfältig. Vermutlich fehlen noch einige Gäste. Sie sind seit Waterloo in London stationiert, nehme ich an?“

„Das ist richtig, ich arbeite im Kriegsministerium, bei der Leibgarde.“ Fergus dachte sehr ungern daran. Wie er die verflixte Schreibtischarbeit in dem engen Büro hasste! Langweilig war kein Ausdruck dafür, er verabscheute seine administrativen Pflichten. Jemand musste sich natürlich um die Versorgung und Ausrüstung der Truppen kümmern, aber warum ausgerechnet er? Die lange Erholungszeit nach den Verletzungen, die er sich in Waterloo zugezogen hatte, war schon schlimm genug gewesen, doch inzwischen er war bereits seit mindestens achtzehn Monaten wieder kampftauglich.

„Es wundert mich, dass sich unsere Wege bisher noch nicht gekreuzt haben, Colonel“, meinte Sir Timothy. „Ich kenne sonst jeden von Rang und Namen. An einem Mangel an Einladungen dürfte es sicher nicht liegen, denn ich habe gehört, dass Sie von Wellington besonders protegiert werden.“

Das hatte Fergus auch gedacht. Allerdings war seine Zuversicht mit jeder Ablehnung seiner Versetzungsanträge in den aktiven Dienst geschwunden. Wellingtons unbestimmte Versprechungen waren unerfüllt geblieben. Bis heute. „Für einen Mann, dem ich noch nie begegnet bin, scheinen Sie außerordentlich viel über mich zu wissen“, sagte Fergus.

Sir Timothy lächelte vielsagend. „Oh, ich mache es mir zur Aufgabe, immer wohl informiert zu sein, Colonel. Man weiß nie, wann sich etwas als nützlich erweisen könnte. Sehen Sie den Herrn dort drüben? Den, der wie ein Pfarrer gekleidet ist und eine Leichenbittermiene zur Schau stellt? Es ist Desmond Falkner, ein sehr reicher Kerl, kommt aus der Stadt. Ich könnte ihm möglicherweise – oder auch nicht – ein kleines Geschäft anbieten. Die drei jungen Burschen neben ihm sind Douglas Brigstock, der Earl of Jessop, Jessamy Addington und Jeremy Giltner. Sie sind perfekte Schachfiguren für den Duke – von angenehmer Erscheinung, beliebt, nicht allzu helle, nicht allzu blöde, mit guten Beziehungen und, wie ich leider sagen muss, austauschbar.“ Sir Timothy lächelte schelmisch. „Ohne Zweifel hat Brockmore geplant, jeden von ihnen mit einem der jungen Gänschen dort drüben am Kamin zu verkuppeln. Sie geben ein hübsches Bild ab, nicht wahr? Und das wissen sie genau.“

Fergus dachte daran, dass auch von ihm erwartet wurde, sich für eine ihm noch unbekannte junge Lady zu interessieren. Daher beobachtete er die Schar der Mädchen mit einer Mischung aus Furcht und gespannter Erwartung. Er behielt jedoch seinen neutralen Gesichtsausdruck bei, damit dem verschrobenen, aber offensichtlich blitzgescheiten Sir Timothy nichts auffiel. „Anscheinend wissen Sie ja alles über die Gäste des Dukes“, bemerkte er in der Hoffnung, dass Farthingale diesen Köder schlucken und ihn mit noch mehr Informationen versorgen würde.

Er wurde mit einem nachsichtigen Lächeln belohnt. „Dabei habe ich noch nicht einmal an der Oberfläche gekratzt. Die beiden drallen Blondinen sind die Kilmun-Zwillinge, Cecily und Cynthia. Alles, was Sie über irgendjemanden erfahren wollen – wenn ich einmal nicht in Ihrer Nähe bin –, können Sie aus ihnen herausbekommen. Die besonders züchtig aussehende Lady in Weiß dort drüben am Fenster ist Florence Canby. Lassen Sie sich nicht täuschen von ihren unschuldigen Rehaugen, Colonel Kennedy. Sie lässt nichts anbrennen, wenn Sie verstehen?“

Fergus trat unbehaglich von einem Fuß auf den anderen. Sir Timothy kicherte. „Das tun Sie, wie ich sehe. Eine der hübschesten Ladies ist allerdings noch nicht eingetroffen. Miss Zara Titus, kennen Sie sie? Nein? Sie ist wirklich eine Schönheit, wenn auch bedauerlicherweise sehr wählerisch. Vor kaum einem Monat hat unsere Miss Titus einen ziemlich großen Skandal verursacht. Ich wette jede Summe, dass ihre Mutter noch vor Ende der Woche einen Gatten für sie an Land zieht. Es gibt einige Kandidaten. Vielleicht sollte sie aber nicht ausgerechnet den großen, etwas verwegen wirkenden Gentleman, der gerade zu den drei jungen Burschen getreten ist, wählen. Das ist Mr. Kael Gage. Ich weiß nicht genau, warum er hier ist – sicherlich nicht, um eine Gattin zu finden. Ich frage mich, Colonel, ob Sie vielleicht ein Kandidat für die Hand von Miss Titus sind?“

„Also haben Sie sich selbst von der Liste gestrichen?“, scherzte Fergus.

„Die meisten meiner Bekannten würden sagen, dass ich Pferde einer anderen Farbe bevorzuge.“

„Bestimmt ist es Ihre Absicht, diesen Eindruck zu erwecken, Sir Timothy, doch im Laufe der Jahre habe ich Männer der verschiedensten Couleurs und Glaubensrichtungen kommandiert. Ihr Geheimnis ist sicher bei mir.“

„Bravo“, erwiderte Sir Timothy und klatschte lautlos Beifall. „Ein noch scharfsinnigerer Mann als ich. Gratuliere, Colonel Kennedy. Meine kleine Scharade bringt die meisten Menschen dazu, mich zu unterschätzen, und das ist in geschäftlicher Hinsicht durchaus von Vorteil für mich. Vermutlich fragen Sie sich, wo Lady Verity ist. Wenn Sie Ihr Augenmerk auf den Eingang richten, werden Sie belohnt. Ein hübsches Ding, die Nichte des Dukes. Wie Sie sehen, weiß ich durchaus, warum Sie hier sind. Ihr kleines Geheimnis ist übrigens auch bei mir sicher aufgehoben. Sie werden mich jetzt entschuldigen. Ich glaube, ich muss mich ein bisschen unters Volk mischen, um herauszufinden, warum Mr. Gage ohne Einladung hier aufgetaucht ist.“

Als er wieder allein war, beobachtete Fergus weiter das Treiben im Salon. Sein Gastgeber, der Duke of Brockmore, war inzwischen mit seiner Gattin erschienen. Er war ein gut aussehender Mann mit hoher Denkerstirn unter einer wallenden Frisur aus dichtem hellgrauem Haar und wurde „Silberfuchs“ genannt, obwohl er eher an einen Löwen als einen Fuchs erinnerte. Seine Gemahlin trug ein Kleid aus Moiréseide, das die gleiche Farbe wie der Rock und die Weste ihres Gatten hatte, wie Fergus amüsiert feststellte. Sie besaß Eleganz und Anmut und war von zeitloser Schönheit.

Direkt neben ihr stand die Nichte des Dukes, Lady Verity Fairholme. Fergus fühlte sich leicht unwohl, als er ihr seine Aufmerksamkeit zuwandte. Glänzende goldene Locken, kobaltblaue Augen, weißer Schwanenhals, niedliche Stupsnase und ein Mund wie eine Rosenknospe. In ihrem Kleid aus blauer und cremefarbener Seide sah sie absolut perfekt aus. Wellington hatte nicht übertrieben. Seltsamerweise wünschte Fergus fast, er hätte es getan. Eigentlich sollte er jetzt erleichtert und dankbar sein und daran denken, warum er sich darauf eingelassen hatte, an der Hausparty teilzunehmen.

Er brauchte nicht lange zu überlegen. Als der Duke of Wellington ihn vor einer Woche zu sich gerufen hatte, war er sehr erleichtert gewesen. Endlich waren die Tage hinter dem Schreibtisch gezählt. „Ägypten“, hatte Wellington gesagt und ausnahmsweise einmal gelächelt. „Henry Salt ist unser Generalkonsul in Kairo. Ein guter Mann, obwohl er einen problematischen Hang zum Sammeln von Antiquitäten hat. Die Einheimischen sind nicht immer begeistert davor und die Italiener und Franzosen versuchen, ihn dabei zu übertrumpfen. Eine möglicherweise heikle Situation. Wir brauchen einen erfahrenen und verlässlichen Mann vor Ort, einen Mann wie Sie.“

Er war nicht nur erleichtert, sondern überaus erfreut. Bis er den Preis hörte, den Wellington verlangte. Für diesen diplomatischen Posten sollte er eine Gattin vorweisen können, die große Gesellschaften veranstalten und Gäste unterhalten würde. Und Wellingtons Freund, der Duke of Brockmore, brauchte einen Gemahl für seine Nichte. Ein äußerst „glücklicher Zufall“, wie der General es nannte. Unglücklicherweise gab es das eine nicht ohne das andere, wie Wellington unerbittlich klarstellte. „Hochrangige Posten wie dieser sind sehr rar, Colonel. Es kann sein, dass Sie zwei, drei, aber vielleicht auch vier oder fünf Jahre warten müssen, bis sich wieder so eine Chance ergibt. Gefällt es Ihnen wirklich besser, bis dahin Musketen zu zählen?“

Inzwischen war das Lächeln des Generals schmallippig geworden. Es war eine kaum verhüllte Drohung. Seit sechzehn Jahren diente Fergus nun schon in der Army und führte gehorsam jeden Befehl aus. Wenn er sich Wellingtons Willen widersetzte, marschierte er vielleicht nie wieder. Es war ihm äußerst zuwider, so erpresst zu werden, aber wenn er für den Rest seiner Dienstzeit hinter einem Schreibtisch sitzen müsste, würde er wahrscheinlich an Langeweile sterben. Eine Gattin, eine schöne elegante Dame aus gutem Haus, war eigentlich ein geringer Preis für solch einen aufregenden Posten. Es ging um Ägypten – das musste er bedenken. Ägypten und das Ende der ungeliebten Schreibtischarbeit. Nun allerdings, da er bereits im Salon von Brockmore Manor stand …

Jetzt war er hier und musste aufhören sich zu wünschen, er wäre es nicht. Er hatte zwar seine Zweifel bezüglich dieser arrangierten Ehe, aber er vertraute Wellingtons Urteil absolut. Wenn der sagte, dass die Nichte seines Freundes vortrefflich zu ihm passe, dann war es Fergus’ Aufgabe, dafür zu sorgen, dass dem so war. Nicht auszudenken, was passieren würde, wenn er versagte.

Der Duke und die Duchess of Brockmore kamen auf ihn zu. Fergus nahm Haltung an. Auf der anderen Seite des Salons sah er Sir Timothy, der in eine Unterhaltung mit einer Dame mit feuerrotem Haar vertieft war. Sie war um die dreißig Jahre alt und hatte die Figur einer barocken Statue. Ihr scharlachrotes Kleid schmiegte sich an ihren üppigen Körper, und Fergus bemerkte mit einem Schmunzeln, dass Sir Timothy Schwierigkeiten hatte, seine Blicke von ihrem prachtvollen Busen abzuwenden. Es war wohl doch nicht immer ganz einfach für ihn, den Schein zu wahren.

„Colonel Kennedy, wie ich annehme? Sehr erfreut, endlich Ihre Bekanntschaft zu machen. Von meinem Freund Wellington habe ich schon viel über Sie gehört. Darf ich Ihnen meine Gattin vorstellen, die Duchess of Brockmore, und meine Nichte, Lady Verity Fairholme?“

Fergus verbeugte sich zuerst vor dem Duke, dann vor der Duchess und schließlich vor der Nichte. Lady Verity hatte einen schlaffen Händedruck. Während sie die üblichen Belanglosigkeiten austauschten, schienen ihre Augen leicht glasig zu werden, und ihr Blick schweifte ab zu dem Gemälde hinter ihm an der Wand. Leicht irritiert nickte und lächelte er. Er antwortete mechanisch auf die Bemerkungen der Duchess über das Wetter und die Erkundigungen des Dukes nach Wellingtons Gesundheit. Lady Verity schaute weiter im Raum umher und wedelte mit ihrem Fächer in Richtung der Kilmun-Zwillinge. „Entschuldigen Sie mich“, sagte sie plötzlich zu niemand Bestimmtem, drehte sich um und schritt auf einen großen Sessel in der Mitte des Raumes zu, wo sie sich niederließ und sofort von den Zwillingen umringt wurde.

„Es könnte sein, dass meine Nichte die Hitze nicht gut verträgt“, erklärte der Duke steif, denn das Ganze war zweifelsohne ein absichtlicher Affront. „Ich bin sicher, sie hatte nicht die Absicht, unhöflich zu sein.“

„Bestimmt nicht“, bemerkte Fergus knapp. „Ich bin sicher, wenn Lady Verity unhöflich sein wollte, hätte sie es besser anstellen können.“

Touché, Colonel Kennedy“, erwiderte die Duchess mit einem gezwungenen Lächeln. „Nun, wem möchten Sie gern noch vorgestellt werden?“

Die Person, die er hatte kennenlernen wollen, hatte er bereits getroffen. Es war allerdings kein besonders vielversprechender Anfang gewesen. Seine Nervosität ließ nach, und er fühlte sich innerlich leer, als hätte er den ganzen Tag auf die Konfrontation mit einem Gegner gewartet, der nie erschien. Nicht dass Lady Verity ein Feind war, obwohl sie sich genauso verhalten hatte – und nicht wie eine zukünftige Verlobte.

Es war eine der vielen Lektionen, die er von Wellington gelernt hatte – dass es bisweilen klüger war, einen strategischen Rückzug anzutreten, um sich wieder zu sammeln. „Vielen Dank“, antwortete Fergus mit einer Verbeugung. „Ich empfinde die unzeitgemäße Hitze selbst als ein wenig bedrückend. Wenn Sie mich entschuldigen, werde ich mich für eine Weile nach draußen begeben, um ein wenig frische Luft zu schnappen.“

Die Sonne strahlte gleißend vom wolkenlos blauen Himmel. Fergus warf einen Blick auf den praktischen kleinen Lageplan, den er in seinem Zimmer vorgefunden hatte und der ein weiterer Beweis dafür war, wie sorgfältig der Duke of Brockmore jede Kleinigkeit geplant hatte.

Er stand jetzt oben auf der Freitreppe, die zur südlichen Rasenfläche hinunterführte. Ja richtig, das Wasser des künstlichen Sees glitzerte in der Ferne. Dort würde es kühler sein als hier oben. Er konnte der Versuchung kaum widerstehen, direkt dorthin zu spazieren, aber aus den Fenstern des Salons konnte man ihn beobachten.

Daher ging er von der Terrasse hinunter zu der Rasenfläche, die so gepflegt aussah, als hätten die Gärtner des Dukes sie mit der Nagelschere bearbeitet. Das Gebäude hinter ihm glitzerte im Sonnenschein, als bestünde es aus Zuckerwatte. Der Landwohnsitz des Dukes war zweifellos von unaufdringlicher Schönheit und Symmetrie. Er erinnerte Fergus an einen italienischen Palazzo, in dem er einmal einquartiert gewesen war. Ihm fiel zwar nicht mehr der Name des Ortes ein, doch es war im Sommer gewesen, wie heute. Der marmorne Boden hatte sich angenehm kühl unter den Füßen angefühlt, die nach einem langen Marschtag schmerzten und voller Blasen waren. Dort hatte es auch einen See gegeben, in dem er geschwommen war.

Und eine Frau. Fergus lächelte. In jenen Tagen hatte es viele Frauen gegeben, und seine Truppe hatte ausgelassene Feste gefeiert, wenn sie nicht gerade erbitterte Kämpfe gegen die Franzosen ausfocht. Obwohl er die blutigen Kampfhandlungen nicht noch einmal erleben wollte und auf die endlosen Drill-Übungen gut verzichten konnte, gab es auch Dinge, die er heute vermisste – die Kameradschaft, die Gefahr, den Nervenkitzel. Und das Bedürfnis, jeden einzelnen Tag zu genießen, als könnte es der letzte sein. Sein Lächeln verschwand. Jene Tage waren lange vergangen. Er versuchte, das Hochgefühl wieder in sich wachzurufen, das er über den Posten in Ägypten empfunden hatte. Doch nachdem er nun die Dame kennengelernt hatte, mit der er seine Zukunft teilen sollte, kehrten die Zweifel wieder zurück. Dabei konnte er sich keine Zweifel leisten.

Die geometrisch angelegten Gärten lagen an der rechten Seite des Hauses. Es gab dort auch einen Irrgarten, in dem er vielleicht ein wenig allein sein konnte, aber in seinen Gedankengängen gab es bereits zu viele Sackgassen und Irrwege, mit denen er sich auseinandersetzen musste. Darum wandte er sich nach links und schlug einen Weg ein, der laut Lageplan zu dem Küchengarten führte.

Als Zugeständnis an die enorme Hitze zog er seinen dunkelblauen Rock aus und fühlte sich gleich etwas besser. Warum waren modische Kleider eigentlich immer so unbequem? Sehnsüchtig zupfte er an seinem gestärkten Halstuch. Wenn er es jetzt abnahm, musste er das verdammte Ding wieder mühsam umbinden, bevor er in den Salon zurückkehrte. Also begnügte er sich damit, die Hemdsärmel hochzukrempeln.

Er warf einen neugierigen Blick in das berühmte Orchideenhaus der Duchess of Brockmore, jedoch war es darin so heiß wie in einem Backofen. Hastig schloss er die Tür wieder. Er entschied sich auch dagegen, das Ananashaus und das große Gewächshaus zu besuchen, wo angeblich der größte Weinstock von England wuchs.

Ein gepflasterter Weg führte ihn zu dem ummauerten Küchengarten. Und richtig, ordentlich aufgereihte Töpfe mit Grünpflanzen nahmen dort den größten Raum ein. Exakt gestutzte Pfirsich- und Aprikosenbäume standen entlang der Mauern, und gerade ausgerichtete Reihen von Himbeer- und Stachelbeerbüschen wuchsen in einer sonnigen Ecke des Gartens. In der Mitte waren auf einer rechteckigen Rasenfläche zwei hohe Stangen aufgerichtet worden, zwischen denen ein dickes Seil gespannt war. Und auf dem Seil, so unwahrscheinlich es ihm auch vorkam, balancierte eine Frau, die nichts trug als eine kurze Tunika.

Fergus zog sich zurück, damit sie ihn nicht sah und womöglich erschrak. Sie war schlank und von zarter Statur. Durch den dünnen Stoff des kurzen Hemdchens konnte er einen geschmeidigen und äußerst gelenkigen Körper erkennen. Sie hatte schöne Beine und schlanke, elegant geformte Füße, mit denen sie sicher auf dem Seil stand. Ihre Haare waren goldbraun, die Haut wirkte dagegen sehr hell. Sie bewegte sich gekonnt und mit fließenden Bewegungen, wobei sie die Arme weit ausbreitete, als wolle sie fliegen.

Fasziniert sah er ihr beim Balancieren zu. Sie setzte geschickt einen Fuß vor den anderen und spazierte auf diese Weise über die gesamte Länge des Seils. Zu seinem Erstaunen machte sie plötzlich einen Luftsprung, vollführte einen graziösen Salto und landete geschmeidig wie eine Katze im Gras. Kaum hatten ihre Füße den Boden berührt, schlug sie ein paarmal das Rad so schnell, dass ihr Körper nur noch wie in einem Wirbel zu erkennen war. Schließlich hielt sie inne und verneigte sich tief und theatralisch. Fergus konnte nicht an sich halten und applaudierte.

Offensichtlich erschrocken warf sie ihm einen missbilligenden Blick zu. Ihre Augen waren smaragdgrün, ihr herzförmiges Gesicht war gerötet. „Dies ist ein privater Bereich des Gartens“, rief sie mit starkem Akzent. „Der Duke of Brockmore versprach, dass wir hier nicht gestört werden. Mr. Keaton, der oberste Gärtner, hat seine Männer angewiesen, anderswo zu arbeiten. Aber Sie“, erklärte sie mit erhobenen Augenbrauen und schwachem Lächeln, „Sie sehen nicht wie ein Gärtner aus.“

Er machte eine kunstvolle Verbeugung. „Colonel Fergus Kennedy, zu Ihren Diensten. Und Sie können niemand anders sein als Madame Vengarov. Es tut mir leid, dass ich Sie erschreckt habe, doch ich konnte einfach nicht wegschauen. Es sah aus, als klebten Ihre Füße an dem Seil.“

Spasibo. Danke. Im Vergleich zu Alexandr bin ich jedoch nur eine Anfängerin.“

„Ihr Gatte ist vermutlich die andere Hälfte der ‚Fliegenden Vengarovs‘?“

„Ja, trotzdem vermuten Sie falsch. Ich bin nicht verheiratet. Alexandr ist mein Bruder.“

„Dann bin ich noch mehr entzückt, Ihre Bekanntschaft zu machen, Miss Vengarov.“

Sie lächelte. Ihre Zähne waren sehr weiß, ihre Lippen rosig. Sommersprossen waren auf ihrer kleinen Nase verstreut, und in ihren Mandelaugen erschien ein schelmisches Glitzern. „Ich wüsste nicht, warum es Sie entzücken sollte, dass ich keinen Gemahl habe.“

„Da haben Sie vollkommen recht“, gab Fergus zu und fühlte sich irgendwie beschämt. „Das sollte es nicht, besonders unter meinen speziellen Umständen.“

„Die da wären …?“

„Ich bin hier auf Wunsch eines Dukes, um die Nichte eines anderen Dukes als Gattin zu gewinnen.“ Bei diesen unbedacht gesprochenen Worten erlosch das entzückende Lächeln auf Miss Vengarovs Gesicht. Es war durchaus verständlich. Wenn man die Tatsachen als Außenstehender betrachtete, konnte man ihn für einen Emporkömmling halten. Noch schlimmer, für eine willige Schachfigur im Spiel anderer gewichtiger Männer. Fergus fühlte, dass er errötete. Jetzt wäre es am besten, sich schnell zurückzuziehen. Dennoch konnte er sich nicht dazu durchringen. Denn obwohl er sich sagte, dass die Meinung der exotischen Miss Vengarov für ihn nicht von Bedeutung war, fühlte er sich zu einer Erklärung verpflichtet. „Es ist nicht ganz so, wie es sich anhört“, erklärte er. „Der erste Duke ist Wellington, mein Oberbefehlshaber. Der zweite ist mein Gastgeber, der Duke of Brockmore.“

„Wellington hat Ihnen befohlen, Brockmores Nichte zu heiraten?“

Ihre Stimme klang sehr erstaunt – kein Wunder. „Nicht direkt befohlen. Er hat mir einen Diplomatenposten in Ägypten in Aussicht gestellt. Offenbar ist es jedoch üblich, eine solche Stelle nur zu bekleiden, wenn man verheiratet ist“, sagte Fergus leichtfertiger, als er beabsichtigt hatte.

Katerina Vengarov schaute den Soldaten überrascht an. Er schien sich ziemlich unwohl in seiner Haut zu fühlen und bereute sicher schon, dass er einer völlig Fremden seine Privatangelegenheiten anvertraut hatte. Sie musste ihm erlauben, das unangenehme Thema fallen zu lassen. Aber sie war neugierig. Er wünschte sich diesen Posten sicherlich sehr, wenn er bereit war, dafür eine Frau zu ehelichen, die jemand anders für ihn ausgesucht hatte. „Was ist so reizvoll an Ägypten?“, fragte sie.

„Erst einmal ist es nicht das War Office in Whitehall“, antwortete er sarkastisch lächelnd. „Ich werde nicht mehr hinter einem Schreibtisch sitzen und endlose Listen erstellen, die nie jemand lesen wird. Ich muss mich nicht mehr zur Arbeit schleppen und vorher schon wissen, dass der heutige Tag genauso ablaufen wird wie der gestrige und der Tag davor. In Ägypten wird jeder Tag eine neue Herausforderung bringen.“ Er lächelte etwas freundlicher. „Ich bin Soldat. Der Frieden ist für mich ein zweischneidiges Schwert. Mit Untätigkeit komme ich nicht zurecht.“

„Das verstehe ich. Wenn ich keine Aufführung habe, lebe ich nicht. Ich kann Untätigkeit auch nicht ertragen“, gestand Katerina lächelnd. „Das haben wir gemeinsam, Colonel.“

„Ich heiße Fergus. Nennen Sie mich Fergus.“

Autor

Marguerite Kaye
<p>Marguerite Kaye ist in Schottland geboren und zur Schule gegangen. Ursprünglich hat sie einen Abschluss in Recht aber sie entschied sich für eine Karriere in der Informationstechnologie. In ihrer Freizeit machte sie nebenbei einen Master – Abschluss in Geschichte. Sie hat schon davon geträumt Autorin zu sein, als sie mit...
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