Liebe oder Lüge?

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Spätestens bei ihrem heißen Kuss am Hotelpool könnte die Innenarchitektin Jenna schwören, dass Tyler genauso Feuer gefangen hat wie sie. Da macht der Mann ihrer Träume sich - so abrupt wie schon am Abend zuvor - von ihr los, und ist verschwunden. Während Jenna sich fragt, welches Spiel dieser Tyler mit ihr spielt, steckt der ziemlich in der Klemme. Denn seine Gefühle für Jenna sind echt. Doch als Privatdetektiv, der für ihren Ex-Verlobten arbeitet, darf er die gar nicht haben ...


  • Erscheinungstag 16.02.2019
  • ISBN / Artikelnummer 9783733745820
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

„Ist er noch da?“ Jenna warf ihrer Freundin einen fragenden Blick zu, während sie am Wasserfall in der neuen Eingangshalle des Krankenhauses vorbeigingen. Candice Hammond und Jenna McBride waren Partnerinnen bei „Canna Interiors“ und für die Einrichtung dieser Halle verantwortlich.

„Ein kleiner Kerl?“ Candices hohe Absätze klackten auf dem neu gefliesten Fußboden. „Mit beginnender Glatze? Einer der letzten Männer, die noch nicht begriffen haben, dass Polyesteranzüge vollkommen out sind?“ Sie musste etwas lauter sprechen, damit Jenna sie trotz des Wassergeplätschers hören konnte.

„Genau den meine ich.“ Jenna klemmte den Kugelschreiber an ihren Notizblock. Die Eingangshalle war wegen der Umbauarbeiten geschlossen, und da bereits Feierabend war, hatten die meisten Arbeiter das Gebäude inzwischen verlassen. „Wo in aller Welt hat Brandon den bloß aufgetrieben?“

Als Candice spöttisch lächelte, zeigte sich ein Grübchen in ihrer linken Wange. „Vielleicht soll sein lächerlicher Aufzug eine Art Tarnung sein.“

Kopfschüttelnd strich Jenna sich das schulterlange dunkelbraune Haar aus dem Gesicht. Ihr war heiß von dem anstrengenden Arbeitstag. „Ich kann einfach nicht glauben, dass er immer noch nicht aufgibt.“ Vor vier Monaten hatte sie ihre Verlobung mit Brandon gelöst und war von Boston nach Seattle gezogen, um endlich Abstand zu gewinnen.

Candice setzte sich auf die Bank, von der sie einen guten Blick auf den Wasserfall hatte, und schlug ihre Beine übereinander. „Ja, man sollte es kaum für möglich halten, aber der alte Brandon ist wie das Häschen aus diesem Werbespott für Batterien: Er läuft und läuft und läuft.“

„Nicht im Bett.“ Jenna schnaubte und war selbst überrascht von ihrer Offenheit.

Candice lachte leise und nickte anerkennend. Interessiert sah sie ihre Freundin an. „Du hast dich sehr verändert in letzter Zeit.“

„Nur weil Brandon Rice für mich nicht mehr der Mittelpunkt des Universums ist?“ Jenna setzte sich ebenfalls auf die Bank und legte den Schreibblock zu ihrer Handtasche.

Es war ihr peinlich, dass sie Brandons unakzeptables Verhalten so lange hingenommen hatte. Naiv und leichtgläubig bin ich, dachte sie. Ich habe eine Menge aus Büchern gelernt, aber vom Leben habe ich keine Ahnung.

„Nein, weil du endlich zugibst, dass er im Bett ein Versager ist.“ Candice starrte in das Wasser, das über Natursteine in das Becken rieselte. Ihr gepflegtes Haar fiel in Locken auf den Kragen ihres Blazers.

„Das konnte ich lange nicht objektiv beurteilen, weil mir die Distanz fehlte.“ Jenna streifte sich die Schuhe ab und wackelte mit den Zehen.

Die großen Ventilatoren unter der Decke hielten die Luft in Bewegung, aber es war Mitte Juni, und die Sonne hatte die Eingangshalle aufgeheizt.

Candice unterdrückte ein Lächeln.

„Wann sollte ich denn groß Vergleiche anstellen? Ich war gerade mal zweiundzwanzig, als ich ihn kennenlernte.“

Jetzt war sie sechsundzwanzig, und dank Candice hatte sie eine zweite Chance bekommen. In diesem neuen Leben brauchte sie nicht die brave Ehefrau von Brandon Rice zu spielen, die im goldenen Käfig saß und sich von ihm wie eine Jagdtrophäe behandeln lassen musste. Oder war sie eher das artige Schoßhündchen gewesen? Jenna hatte keine Lust, darüber nachzudenken.

„Man braucht keine große Erfahrung, um zu wissen, dass drei Minuten erbärmlich sind.“ Candice schüttelte den Kopf, und ihre silbernen Ohrringe klimperten. Nachdenklich musterte sie das Arrangement um den Wasserfall. „Findest du den Wal nicht etwas übertrieben?“

„Der Wal ist perfekt.“ Jenna betrachtete zufrieden die in hellen Farben bemalte Steinskulptur inmitten der tropischen Pflanzen.

Sie beschloss, nicht länger an den zugeknöpften Brandon und seine jämmerliche Drei-Minuten-Nummer zu denken. Die Kinder würden von dem Wal begeistert sein. Der Vorstand des Krankenhauses hatte bei der Auftragsvergabe an „Canna Interiors“ etwas Kindgerechtes verlangt, weil die Halle zur Kinderklinik gehörte. Abgesehen davon hatten Candice und Jenna bei der Gestaltung freie Hand gehabt.

Das Ergebnis erfüllte sie mit Stolz.

In einer Ecke der Halle standen zahlreiche Tierskulpturen aus strapazierfähigem Kunststoff. Die Löwen, Elefanten und Nilpferde eigneten sich ideal zum Klettern. Der hohe Raum mit dem gläsernen Dache war mit bequemen Sitzgruppen und großen Pflanzen ausgestattet, und auf dem Teppichboden zog sich ein Labyrinth aus bunten Pfaden durch ein Muster aus niedlichen braunen Äffchen.

In spätestens zwei Wochen sollte alles fertig für die Eröffnung sein. „Canna Interiors“ lag gut in der Zeit und hatte das Budget nicht überschritten. Dieses Projekt war so erfolgreich, dass sie gebeten worden waren, einen Entwurf für die neue Einrichtung der öffentlichen Bibliothek einzureichen.

Das war noch keine Garantie für den nächsten Auftrag, aber Jenna sah allmählich optimistisch in die Zukunft. Candice hatte ihr vor Augen geführt, wie herrisch Brandon war. Nachdem es ihr wie Schuppen von den Augen gefallen war, waren sie beide quer durchs ganze Land hierher gezogen und hatten ihre Ersparnisse in ihre eigene Firma gesteckt.

Jenna hatte viel weniger dazu beitragen können als ihre Freundin, dennoch hatte Candice darauf bestanden, dass sie gleichberechtigte Partnerinnen wurden. Und Jenna war fest entschlossen, ihr Bestes zu geben, um ihrer Freundin zu beweisen, dass ihr Vertrauen gerechtfertigt war.

„Wieso rufst du ihn nicht einfach an?“, wollte Candice nun wissen.

„Brandon anrufen?“ Jenna schob sich eine Haarsträhne hinters Ohr und betastete ihren kleinen goldenen Ohrstecker. Sie hatte nicht mehr mit ihrem Exverlobten gesprochen, seit sie sich von ihm getrennt hatte. Im Grunde war es Candice gewesen, die ihr geraten hatte, alle Bande rigoros zu kappen. Gemeinsam hatten sie seine Briefe verbrannt und sich eine geheime Telefonnummer besorgt. Seine Anrufe in der Agentur nahmen sie einfach nicht an.

„Du willst, dass ich Brandon anrufe?“ Jenna konnte nicht verstehen, wieso ihre Freundin auf einmal ihre Meinung geändert hatte.

„Genau.“ Candice richtete sich auf. „Vielleicht habe ich mich geirrt.“

„Du?“

Candice hob eine Hand. „Ich weiß, das passiert mir selten. Aber möglicherweise hat er es noch nicht begriffen, und du solltest ihm ein für alle Mal klarmachen, dass es zwischen euch beiden aus ist.“

„Das habe ich ihm gesagt, als ich ihn verlassen habe.“ Jenna spielte nervös mit ihrem Stift. Sie hatte keine Lust, noch einmal mit Brandon zu reden.

„Damals warst du verletzt und aufgeregt. Wahrscheinlich denkt er, du wirst wieder zur Besinnung kommen, wenn du dich beruhigt hast.“

„Ich bin zur Besinnung gekommen. Genau deswegen habe ich ihn ja verlassen.“

„Anscheinend muss man Brandon davon erst noch überzeugen.“

Jenna umklammerte den Stift mit der Faust und stand auf. „Ich weiß genau, dass er sofort wieder versuchen wird, mich zu überreden, zu ihm zurückzukommen.“

Candice faltete die Hände über dem Knie und sah zu ihrer Freundin auf. „Könnte er damit denn Erfolg haben?“ Ihre Stimme klang ganz ruhig.

„Nein! Auf keinen Fall.“ Niemals, dachte Jenna. Den Rest ihres Lebens im goldenen Käfig, während Brandon bestimmte, welche Kleidung und welchen Schmuck sie trug und in welcher Farbe sie ihr Haar tönte, das würde sie nicht ertragen. Nicht jetzt, wo sie wusste, wie die Freiheit schmeckte.

„Also, wenn du dich weiterhin vor ihm versteckst, dann …“

„Ich verstecke mich nicht. Du warst es doch, die …“

„Für ihn sieht es nach einer Flucht aus, und deswegen glaubt er immer noch, dass du etwas für ihn empfindest“, beendete Candice den Satz.

„Da sind keine Gefühle mehr. Basta.“ Erst in diesem Augenblick wurde Jenna bewusst, wie sehr das stimmte. Sie empfand gar nichts mehr für Brandon. Weder Angst noch Hass oder Wut.

Vielleicht hatte sie ihn früher zu sehr bewundert und sich von ihm einschüchtern lassen. Brandon war selbstbewusst und sehr willensstark. Er hatte als Gastdozent an der Boston University gearbeitet, und seine Vorlesungen waren mitreißend gewesen. Jenna, die gerade mit dem Studium angefangen hatte, war damals noch sehr leicht zu beeindrucken. Außer der elterlichen Farm in Minnesota hatte sie kaum etwas von der Welt gesehen. Es war ihm leicht gefallen, sie davon zu überzeugen, dass er alles besser wusste.

Doch das war jetzt Vergangenheit. Jenna holte tief Luft und atmete den zarten Duft der Pflanzen ein. Sie fühlte sich frei.

Warum sollte sie Brandon nicht anrufen? Es gab keinen Grund mehr, wieso sie es nicht tun sollte.

„Denk darüber nach, Jenna“, unterbrach Candice ihre Überlegungen. „Indem du ihn anrufst, kannst du zeigen, dass es die fügsame kleine Frau nicht mehr gibt. Dann wird er aufgeben und seine Truppen zurückrufen.“

„Du hast recht.“ Jenna nickte entschlossen. Von Candice bekam sie noch immer die besten Ratschläge.

„Wirklich?“ Es überraschte Candice, dass Jenna ihr so schnell zustimmte.

„Auf jeden Fall. Er muss wissen, dass es vorbei ist, damit er mich in Ruhe lässt. Ich will nicht, dass irgend so ein Privatschnüffler hier im Krankenhaus herumschleicht. Die Kinder würden sich vor ihm fürchten.“

Candice lächelte und stand auf. Sie ging zum Wasserfall und legte einen verborgenen Schalter um. „Mach es jetzt gleich.“ Die Motoren der Pumpen verstummten, und nur noch ein Rinnsal lief über die Felsen aus Lavagestein. Es wurde vollkommen still in der großen Halle.

Entschlossen nickte Jenna und kramte ihr winziges Handy aus den Tiefen ihrer großen Handtasche hervor. Es war eine richtige Tasche und keines dieser lächerlich winzigen Täschchen, die sie von Brandon für die eleganten abendlichen Anlässe bekommen hatte und in die nicht einmal ein Kamm passte.

Mit dem Stift tippte sie rasch Brandons Nummer ein. Hoffentlich vergesse ich diese Nummer eines Tages wieder, dachte sie. Ich sollte mir stattdessen lieber etwas Wichtiges merken. Als sie in Candices Richtung sah, nickte die ihr aufmunternd zu.

Schon beim ersten Klingeln nahm Brandon das Gespräch an.

Kein Wunder, schließlich kannten außer seiner Mutter und ein paar Wirtschaftsbossen nur noch zweifelhafte Politiker diese Nummer – und natürlich sie, Jenna.

„Rice am Apparat.“ Er gab seiner Stimme diesen unnatürlich tiefen Klang, weil er meinte, dadurch größer und beeindruckender zu wirken.

„Hier ist Jenna.“ Ihr Ton war knapp und sachlich.

„Jenna!“ Brandons Stimme stieg um eine Oktave. „Endlich meldest du dich! Wo bist du, Sweetheart?“ Er klang glücklich und selbstzufrieden.

„Du weißt sehr genau, wo ich bin. Dein Schnüffler steht gleich draußen auf der Straße.“

Candice hob anerkennend einen Daumen in die Höhe.

„Was für ein Schnüffler? Du redest Unsinn.“ Er sprach wieder in tiefer Stimmlage. Anscheinend war er gereizt. Gut so, dachte Jenna.

„Ruf ihn zurück, Brandon.“

„Jenna.“ Er seufzte. „Fang nicht zu streiten an.“

„Ich streite nicht, ich stelle lediglich Tatsachen fest.“

„Du solltest dich beruhigen und zuhören, Jenny, Kleines.“

„Nenn mich nicht so.“

„Ich weiß nicht, was Candice dir erzählt hat, aber …“

„Hier geht es nicht um das, was Candice gesagt hat oder nicht.“

„Ich wusste schon immer, dass sie einen schlechten Einfluss auf dich hat.“

„Stell mich nicht als dumm hin, Brandon.“ Jenna sprach lauter und ging dabei auf und ab. „Ich treffe meine eigenen Entscheidungen.“

„Geht es um die Operation?“

„Ja!“ Sie fuhr zu Candice herum. Es ging ihr wirklich auch um den Termin beim plastischen Chirurgen.

„Der Termin ist schon abgesagt.“

„Darauf kannst du wetten. Und zu deinem Friseur und auf diese Schönheitsfarm fahre ich auch nie wieder. Du willst vielleicht eine Frau mit perfekter Nase und durchtrainierten Muskeln, aber das bedeutet noch lange nicht, dass ich …“

Ungläubig starrte Candice ihre Freundin an und hob beschwichtigend die Hände.

Jenna schwieg einen Moment und fuhr sich durchs Haar. Es war braun. Kein sehr eindrucksvolles Braun, aber immerhin ihre natürliche Haarfarbe.

„Kleines, das hättest du doch nur zu sagen brauchen.“

Jenna schüttelte nur den Kopf. Als ob ihre Meinung jemals für Brandon gezählt hatte!

„Brandon“, setzte sie wieder an, „ich bin nicht die Richtige für dich. Und du bist auf keinen Fall der Richtige für mich. Können wir es dabei belassen?“

Bewundernd nickte Candice ihr zu.

„Das ist alles?“ Brandons Stimme bekam einen stählernen Klang. „Du rufst einfach an, um mit mir Schluss zu machen?“

„Wir haben uns bereits vor vier Monaten getrennt.“

„Da hattest du einen Wutanfall.“

Jenna biss die Zähne zusammen. Nein, sagte sie sich, ich werde ganz ruhig bleiben. „Nenn es, wie du willst, wir sind jedenfalls miteinander fertig.“

„Soll ich meinen Kollegen etwa erzählen, dass meine Verlobte auf und davon ist? Soll ich den Ring versetzen?“

„Erzähl deinen Kollegen, was du willst.“ Jenna presste sich die Finger an die Schläfe. Wie hatte er ihre Abwesenheit denn in den letzten vier Monaten erklärt? Aber das würde sie ihn auf keinen Fall fragen.

Verächtlich schnaubte er ins Telefon. Es gefiel ihm nicht, wenn Jenna fluchte.

„Und pfeif den verdammten Schnüffler zurück“, fügte sie noch hinzu, damit er es auf jeden Fall begriff.

Es klackte in der Leitung, als Brandon auflegte, und Jenna riss das Handy vom Ohr.

Candice zuckte zusammen, und die beiden Frauen sahen sich einen Moment schweigend an.

„War das ein Ja?“, fragte Candice nach.

„Ich glaube schon.“ Leicht verlegen lächelte Jenna und gestand sich ein, dass ihr dieser Anruf sehr gut getan hatte.

„Sag, dass das nicht wahr ist.“ Tyler Reeves älterer Bruder Derek stand im Türrahmen des Büros. Er war groß und muskulös, und im Moment hob er kampflustig sein Kinn und verschränkte die Arme vor seiner breiten Brust.

Tyler unterdrückte einen Fluch. Derek hatte die Reisetasche und den Schlafsack entdeckt, den er achtlos auf das Sofa geworfen hatte. „Es ist nicht wahr.“ Er drehte sich wieder zum Monitor seines Computers um.

„Striker hat mir gesagt, dass es schlimm aussieht, aber das hier …“ Derek betrat das Büro und stieß die Tür mit dem Fuß hinter sich zu.

„Der soll sich um seinen eigenen Kram kümmern.“ Striker war Tylers anderer älterer Bruder, aber jünger als Derek. Tyler gab das Passwort ein, ging in das Programm für Online-Banking und hoffte, dass die roten Zahlen auf seinem Konto sich in schwarze verwandelt hatten.

„Komm doch wenigstens mit und zieh ins Gästehaus“, schlug Derek vor.

„Nein danke.“

„Das ist sogar für deine Verhältnisse ziemlich stur.“

„Ich habe mich da hineingeritten, also werde ich mich auch wieder daraus befreien.“ Das Konto war immer noch im Minus. Tyler schloss für eine Sekunde die Augen.

Er brauchte dringend Geld. Sein Sparkonto hatte er bereits geplündert.

Gestern hatte er einer Klientin einen Scheck für ihr Auto ausgestellt, das sein Geschäftspartner gestohlen hatte. Aber das war nötig gewesen, wenn er nicht offiziell eingestehen wollte, dass er so dumm gewesen war, einem Partner zu vertrauen, der sich das gesamte Kapital der Agentur angeeignet und auch noch ein paar ihrer Klienten um ihr Geld geprellt hatte. Seine Detektei war pleite.

Für ihn war diese Tatsache wesentlich schmerzvoller als der Schuss in die Schulter, den er vor einiger Zeit während eines Einsatzes bekommen hatte.

„Deswegen musst du dich doch nicht gleich von billigen Fertiggerichten ernähren, und wieso musst du überhaupt auf diesem viel zu kurzen Sofa schlafen?“ Derek kam durch das Zimmer und hob Tylers alten Schlafsack an einer Ecke an.

„Ich hab das Strandhaus verkauft.“ Tyler stand auf. Bei einer Auseinandersetzung war er lieber auf Augenhöhe mit Derek.

Derek war einsneunzig groß, aber Tyler hatte ihn an seinem achtzehnten Geburtstag eingeholt und war danach sogar noch ein paar Zentimeter gewachsen. Das spielte allerdings keine große Rolle, denn in Dereks Augen würde er immer der kleine Bruder bleiben.

Früher war Derek Verteidiger beim Football gewesen, und auch heute noch könnte er Tyler besiegen, ohne auch nur ins Schwitzen zu geraten.

„Alles nur, weil du zu stolz bist, um die Familie um Hilfe zu bitten“, stellte Derek fest.

„Wenn man die dreißig erst mal überschritten hat, rennt man nicht mehr zu Daddy, nur weil die Geschäfte gerade nicht so gut laufen.“

„Dein Partner hat dich im Stich gelassen und auch noch das Geld der Klienten mitgenommen.“

Tyler presste die Lippen zusammen. „Damit komme ich schon klar.“

„Dass du nicht zu Dad gegangen bist, das kann ich ja verstehen. Aber wieso hast du dich nicht an Striker oder an mich gewandt?“

Genau wie sein Bruder verschränkte Tyler nun auch die Arme vor der Brust. „Ich brauchte viel Geld, Derek, und zwar schnell.“

Vor zwei Tagen schon hatte er erfahren, wie rücksichtslos Reggie ihn hintergangen hatte, dennoch schmerzte es Tyler noch immer, darüber zu sprechen. Am liebsten hätte er die Faust gegen die nächstbeste Wand gerammt.

„Wie viel hast du für das Haus bekommen?“

Tyler nannte die Summe, und Derek riss ungläubig die Augen auf.

„Mehr nicht? Dann hast du das Strandhaus ja praktisch verschenkt.“

„Sie boten mir Bargeld an.“

„Für so wenig hätte ich es selbst gekauft.“

„Und ich könnte dann dort weiter leben?“

„Genau.“

„Ich bin aber kein Fall für die Wohlfahrt.“

Jetzt wurde Derek lauter: „Meine Güte, Tyler, du wirst doch nicht vom Blitz erschlagen, wenn du dir Geld von der Familie borgst.“

„Du weißt so gut wie ich, dass Dad mich nie wieder loslässt, wenn er mich erst einmal in die Fänge bekommt.“

„Wie mich, ja?“

„Nein, bei dir ist das anders. Dir hat es immer gefallen, den ganzen Tag lang Bilanzen und Aktienkurse zu studieren, obwohl ich nicht weiß, wie man dabei geistig gesund bleiben kann.“

Derek war der angehende Erbe von „Reeves-DuCarter International“, eines Konzerns, der über drei Generationen hinweg aufgebaut worden war. Tyler dagegen spielte in seiner Familie die Rolle des schwarzen Schafes.

Derek schüttelte den Kopf. „Du hast lediglich nie verstanden, dass …“

„Ich verstehe sehr gut, schließlich bin ich alt genug. Ich bin nicht aus Langeweile Detektiv geworden, sondern weil das meine Berufung ist. Mein Traum.“

„Ein schöner Traum“, erwiderte Derek kopfschüttelnd.

Tyler verzog sein Gesicht. „Das hier ist nur ein kleiner Rückschlag.“

„Wie viel hat er mitgenommen?“

„Reggie?“

Entnervt verdrehte Derek die Augen. „Natürlich. Wer denn sonst?“

Tyler ließ sich in den Sessel sinken. „Was hat Striker dir alles erzählt?“

Derek zog sich einen Stuhl heran und setzte sich. „Dass Reggie mitsamt dem Wagen einer Klientin und dem gesamten Firmenvermögen verschwunden ist.“

Tyler nickte. Das stimmte genau. Reggie hatte auch die Rücklagen abgehoben, und die musste Tyler in den nächsten Wochen ersetzen.

„Wie viel?“, bohrte Derek weiter.

„Einschließlich des Wagens von Mrs. Cliff?“

„Sag schon.“

Tyler nannte die Summe, obwohl es ihn schmerzte. „Das meiste hat er vor seinem Verschwinden allerdings wohl schon in Drogen umgesetzt.“

Die Geschäftsbücher waren in katastrophalem Zustand, genau wie Tylers ganzes Leben.

Derek pfiff leise durch die Zähne. „Und wie lautet Plan B?“

Tyler lachte auf, denn Plan A bestand darin, Reggie ausfindig zu machen und ihn grün und blau zu prügeln. „Ich werde Mrs. Cliff den Wagen bezahlen. Sie denkt, wir hätten einen Totalschaden damit gehabt. Dann werde ich alle Verträge, die Reggie abgeschlossen hat, kündigen, auch wenn mich das Strafgebühren kostet. Ich schlafe eine Weile hier im Büro und suche mir Aufträge, die mir schnell viel Geld einbringen.“

Stirnrunzelnd sah Derek sich um.

„Hier kann ich Kaffee kochen, ich habe ein Bad, und im Erdgeschoss gib es einen Schnellimbiss“, erklärte Tyler. „Was braucht ein Mann mehr?“

„Ach, komm schon, zieh vorübergehend bei mir ein“, schlug Derek vor.

Aber Tyler schüttelte nur den Kopf. „Dad soll nicht erfahren, was hier vorgeht.“

Derek blickte ihm durchdringend in die Augen, aber Tyler schaffte es, nicht zu blinzeln. Er wusste genau, dass Derek ebenso wie ihr Vater diese ganze Angelegenheit am liebsten selbst in Ordnung bringen würde. Es brachte ihn innerlich wahrscheinlich fast um, mit ansehen zu müssen, wenn sein kleiner Bruder in Schwierigkeiten steckte.

Doch Tyler hatte schon vor Jahren gelernt, dass er sich alles selbst erkämpfen musste, wenn er nicht eines Tages in einem gut ausgestatteten Büro bei „Reeves-DuCarter“ enden wollte. Dort würde er vom Zentrum Seattles aus endlose Telefonate mit ausländischen Investoren führen und immer auf die Aktienkurse starren.

„Wir sind hier nicht auf der High School, Derek. Lass mich das allein durchstehen.“

Derek schob seinen Stuhl zurück. „Ich hab dir nur ein einziges Mal aus der Klemme geholfen und deinetwegen einen Typen verprügelt.“

„Und dank dir haben mich Blackburn und seine Kumpel drei Jahre lang gequält.“ Erst im letzten Schuljahr war Tyler kräftig genug gewesen, um selbst mit Blackburn fertig zu werden.

„Die haben weitergemacht?“ Derek ballte die Fäuste. „Wieso hast du mir nichts davon gesagt?“

Tyler hob die Hände. „Damit du wieder meinen Retter spielst? Derek, ich wollte meine Schwierigkeiten allein lösen.“

„Blackburn war aber doppelt so groß wie du.“

Jetzt musste Tyler lächeln. „Am Ende nicht mehr.“

Plötzlich wurde Dereks Blick bewundernd. „Warst du derjenige, der ihm die Nase gebrochen hat?“

„Das war ich, und genau wie damals werde ich auch jetzt mein Problem allein anpacken. Auch wenn es dann etwas länger dauert.“

„Nimm dir doch wenigstens eine Suite im ‚Quayside‘.“

„Das Geld spare ich lieber.“

„Dir gehört doch ein Teil des Hotels! Sie würden dir Sonderkonditionen einräumen.“

„Wenn ich hier bleibe, kostet mich das gar nichts.“

In diesem Moment klingelte das Telefon.

„Wo ist denn Shirley?“, wollte Derek wissen.

„Sie arbeitet nur noch halbtags. Sie wollte ohnehin während des Sommers Sommer mehr Zeit mit ihren Kindern verbringen.“ Tyler hob ab. „Ja bitte?“

„Ich möchte mit Reggie Sandhill sprechen“, sagte eine Männerstimme.

Derek stieß die Luft aus und sah zur Decke.

„Reggie ist für ein paar Wochen außer Landes“, erklärte Tyler am Telefon. „Kann ich Ihnen helfen? Ich bin sein Partner Tyler Reeves.“

Derek grinste.

„Reggie wurde mir sehr empfohlen.“ Die Stimme des Anrufers hatte etwas Hochnäsiges, und wieder einmal ärgerte Tyler sich darüber, dass Reggie sich überall mit Erfolgen gebrüstet hatte, die eigentlich Tylers Verdienst waren.

„Es geht um einen Überwachungsjob“, erklärte der Mann am Telefon, als sei das etwas sehr Anspruchsvolles.

„Kein Problem, das ist eine unserer Spezialitäten.“

„Verstehe.“ Der Mann war sich anscheinend nicht sicher, ob er Tyler vertrauen sollte oder nicht. „Ihr Name ist Jenna McBride.“

„Und Sie heißen …?“ Tyler nahm sich einen Bleistift.

Der Mann zögerte kurz. „Brandon Rice. Sie ist meine Verlobte.“

„Glauben Sie, dass sie Sie betrügt, Mr. Rice?“ Das war der häufigste Grund, aus dem ein Mann seine Partnerin beschatten ließ.

Derek stand auf und ging unwillig auf und ab. Ganz offensichtlich war er nicht begeistert davon, dass sein kleiner Bruder irgendwelche untreuen Frauen beschattete. Aber Tyler konnte es sich im Moment nicht leisten, wählerisch zu sein. Genau so einen Job brauchte er jetzt. Schnell, unkompliziert und einträglich.

„Ja“, antwortete Brandon Rice. „Ich vermute, dass sie mich betrügt. Ich lebe in Boston, und sie ist in Seattle. Ich verlange einen lückenlosen Bericht über ihren Tagesablauf. Wohin sie geht und mit wem sie sich trifft. Sie hat eine Agentur für Innenausstattung mit Namen ‚Canna Interiors‘.“

Tyler schrieb sich alles auf. „Haben Sie einen speziellen Verdacht, mit wem sie sich trifft?“

Derek konnte seinen Unmut kaum noch beherrschen, aber schließlich konnte ein Privatdetektiv nicht ständig Morde aufklären oder Juwelendiebe fangen. Manchmal ging es einfach nur darum, das Geld für die fälligen Rechnungen zusammenzubekommen.

„Ich will alles wissen“, erklärte Brandon. „Geld spielt keine Rolle. Ich will die Namen aller Leute, mit denen sie Kontakt hat.“

Reicher Mann mit schöner Frau, wahrscheinlich war sie erheblich jünger als er. Tyler klopfte mit dem Stift auf den Tisch. Solche Fälle hatte bisher Reggie übernommen.

„Ich zahle Ihnen zehntausend plus Spesen“, sagte Brandon. „Für eine Woche Beobachtung, und ich will einen vollständigen Bericht haben.“

Tyler ließ sich seinen Ärger über diesen arroganten Anrufer nicht anmerken. Er lieferte seinen Kunden immer vollständige Berichte.

Wenn diese Verlobte auch nur ein bisschen Verstand hatte, dann blieb sie in Seattle und hielt sich von diesem Kerl fern. Andererseits hatte sie vor, den Mann zu heiraten. Offenbar akzeptierte sie seinen seltsamen Charakter des Geldes wegen. Für ein ansehnliches Bankkonto waren manche Frauen zu großen Opfern bereit.

„Wann soll ich anfangen?“, fragte Tyler nur.

„Gleich heute“, fuhr Brandon ihn an. „Ich will, dass Sie gleich heute anfangen.“

„Verstanden. Und wohin schicke ich den Bericht?“

Nachdem er Brandons Adresse notiert hatte, legte Tyler auf.

„Du beschattest eine untreue Ehefrau?“, fragte Derek nach.

„Seine Verlobte.“ Das Ganze war Tyler etwas peinlich.

Autor

Barbara Dunlop
<p>Barbara Dunlop hat sich mit ihren humorvollen Romances einen großen Namen gemacht. Schon als kleines Mädchen dachte sie sich liebend gern Geschichten aus, doch wegen mangelnder Nachfrage blieb es stets bei einer Auflage von einem Exemplar. Das änderte sich, als sie ihr erstes Manuskript verkaufte: Mittlerweile haben die Romane von...
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