Mein Königreich für unsere Liebe

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„Heirate mich.“ Bei Khalils Worten erstarrt Sidonie. Fünf Jahre ist es her, dass sie dem Wüstenprinzen versprochen hat, ihn an ihrem dreißigsten Geburtstag zu heiraten. Dieser Tag ist heute – und Khalil, inzwischen König von Al Da’Ira, ist in ihr englisches Dorf gekommen, um das Versprechen einzulösen. Er braucht eine Königin, um sein Land in die Zukunft zu führen! Ein Schauer überläuft Sidonie. Denn was früher in seinem Blick liebevolle Wärme war, ist heute kalter Stahl. Doch sie hätte es wissen müssen: Der stolze Herrscher akzeptiert kein Nein …


  • Erscheinungstag 17.10.2023
  • Bandnummer 2619
  • ISBN / Artikelnummer 9783751518864
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Skeptisch beäugte Sidonie Sullivan das volle Bierglas, das vor ihr auf dem Tisch stand, und die kleine Tüte Chips daneben.

„Herzlichen Glückwunsch, Sid.“ Derek, der ihr in der Tischnische gegenübersaß und sowohl das Bier als auch die Chips spendiert hatte, lächelte sie an. „Ich weiß, es ist nicht viel, aber für heute Abend habe ich uns einen Tisch bei Giovanni reserviert, und das ist doch was!“

Sie verspürte einen Anflug von Ungeduld, erwiderte sein Lächeln jedoch. „Danke, Derek. Das ist wirklich … furchtbar nett von dir.“

Das war es ja wirklich. Derek war ein alter Schulfreund, und es war lieb von ihm, sie anlässlich ihres Geburtstages auszuführen, aber er war Teil eines Lebens, das sie vor fünf Jahren mit ihrem Umzug nach London hinter sich gelassen hatte. Ein Leben, das kaum Ähnlichkeit mit dem hatte, das sie heute führte, und zu dem sie auch nicht zurückkehren wollte.

Sie war nur deshalb in Blackchurch, einem Dorf in der Nähe von Oxford, weil sie ihre Tante besuchte. Am nächsten Tag schon würde sie nach London zurückfahren, und ehrlich gesagt konnte sie es kaum abwarten. Blackchurch war klein und engte sie ein. Sie hatte sich hier nie zu Hause gefühlt. Außerdem war Tante May schon immer ein unangenehmer Mensch gewesen, und das Alter hatte sie nicht milder werden lassen. Sidonies Besuch hier entsprang ausschließlich ihrem Pflichtgefühl, denn May ging es gesundheitlich nicht gut, und es gab niemanden sonst, der nach ihr sah.

Nicht dass Sidonie es sich zeitlich wirklich leisten konnte, der Hilfsorganisation fernzubleiben, die sie vor fünf Jahren gegründet hatte. Sie wurde mit jedem Tag größer und bot benachteiligten Kindern im ganzen Land Unterstützung. Sidonies Plan war es, auch auf dem Kontinent aktiv zu werden und später vielleicht weltweit. Zu tun gab es jedenfalls immer genug.

Sogar so viel, dass sie ihren eigenen Geburtstag völlig vergessen hatte, bis Derek, der zufällig erfahren hatte, dass sie in Blackchurch war, an Mays Tür geklopft und Sidonie eingeladen hatte – das Buschtelefon im Dorf schien gut zu funktionieren.

Sie hatte eigentlich nicht mitgehen wollen – sie musste E-Mails beantworten, einen Bericht schreiben und Telefonate erledigen –, aber Derek war hartnäckig geblieben. Und Tante May, die ohnehin nicht begeistert über Sidonies Besuch war, wollte allein sein, um ihre Sendungen im Fernsehen zu schauen, wie sie es ausgedrückt hatte. Also hatte Sidonie eingewilligt. Sie konnte sich nicht mehr erinnern, wann sie oder irgendjemand anderes ihren Geburtstag gefeiert hatte – ihre Tante hatte es ganz sicher nie getan –, und es war wirklich lieb von Derek, dass er daran gedacht hatte.

Das hätte er auch getan.

Der Gedanke kam wie aus dem Nichts. Wie merkwürdig, dass sie ausgerechnet an ihn denken musste, nach all dieser Zeit. Nicht, dass er noch irgendeine Rolle spielen würde. Er hatte England vor fünf Jahren verlassen, und danach hatte die einzige Kommunikation aus einer knappen E-Mail bestanden, in der er ihr mitgeteilt hatte, dass es das Beste sei, den Kontakt abzubrechen.

Das hatte sie getan. An jenem Tag hatte sie ihn sich endgültig aus dem Kopf geschlagen, weshalb auch nur der Himmel wusste, wieso sie ausgerechnet jetzt an ihn denken musste.

Entschlossen lächelte sie Derek an. Zwar fühlte sie sich in keiner Weise von ihm als Mann angezogen, aber er war nett und wollte ihren Geburtstag mit ihr feiern, und das wusste Sidonie zu würdigen.

„Also, Sid“, setzte er an.

Doch was er hatte sagen wollen, würde sie nie erfahren, denn in diesem Moment wurde die Tür des Pubs aufgestoßen. Sechs athletisch aussehende Männer in schwarzen Anzügen und mit Sonnenbrillen und Headsets ausgestattet betraten den Gastraum. Einer von ihnen ging an den Tresen und sprach kurz mit dem Wirt, während die anderen die übrigen Gäste ansprachen und nach draußen schickten.

Sidonie runzelte die Stirn.

„Was geht hier vor sich?“ Irritiert verfolgte Derek die Szene. „Drehen die hier einen Film oder so?“

Gute Frage. Auf Sidonie wirkten die Männer wie Bodyguards, doch hatte sie keine Ahnung, was sie in einem entlegenen englischen Dorfpub wollten.

Plötzlich nahmen alle sechs Haltung an, und einer der Männer verkündete etwas in einer lyrisch klingenden Sprache, die Sidonie nicht kannte. Wie ein Mantra wiederholten die anderen fünf die Worte, bis ein weiterer Mann das Pub betrat.

In diesem Moment hörte die Welt auf, sich zu drehen.

Er war sehr, sehr groß und verfügte über die Art Oberkörper und breite Schultern, auf die ein griechischer Gott stolz gewesen wäre. Seine Bewegungen waren geschmeidig wie die eines Raubtieres, sein Gesicht war markant wie das eines Jagdvogels, und seinen dunklen Augen schien nichts zu entgehen.

Der dunkle maßgeschneiderte Anzug saß wie angegossen, und das weiße Hemd schien nur dazu gemacht, seinen bronzefarbenen Hautton zu betonen. Er strahlte eine einzigartige Aura von Macht und Selbstbewusstsein aus.

An ihm gab es nichts, das nicht bemerkenswert war.

In einer Hand hielt er einen kleinen, aber perfekten Schokoladen-Cupcake, in dessen Mitte eine kleine Kerze steckte, und in der anderen einen roten Luftballon.

Sidonie blieb fast das Herz stehen.

Er war es. Khalil ibn Amir al Nazari. Der Mann, der einmal ihr bester Freund gewesen war. Der Mann, in den sie sich verliebt hatte und der sie vor fünf Jahren auf einer verschneiten Straße in London einfach hatte stehen lassen und gegangen war.

Seitdem hatte sie ihn nicht mehr gesehen.

Sie hatte ihn kennengelernt, als sie beide in Oxford studierten. Er war einer der sogenannten wilden Prinzen gewesen, einer Gruppe von drei jungen Thronanwärtern, die in der ganzen Universitätsstadt berühmt-berüchtigt gewesen waren. Galen Kouros, Prinz von Kalithera. Augustine Solari, Prinz von Isavere. Und er. Khalil, Erbe des Throns von Al Da’Ira, einem kleinen, aber sehr reichen Land am Roten Meer.

Sidonie hatte sich nicht besonders für die wilden Prinzen interessiert – sie war eher zurückgezogen und fleißig gewesen. Als Stipendiatin in Oxford hatte sie gar keine Zeit für die Partys oder wüsten Gelage gehabt, die die Prinzen und ihre Freunde so häufig feierten.

Dann eines Tages, als sie in der Collegebibliothek, in der sie stundenweise arbeitete, Bücher in die Regale sortierte, hatte hinter ihr eine tiefe Männerstimme gebieterisch ihre Hilfe eingefordert. Als sie sich umgedreht hatte, stand er dort. Khalil, arrogant und so absolut umwerfend, dass es ihr die Sprache verschlagen hatte. Er wiederholte sein Anliegen, und zwar noch arroganter und fordernder als beim ersten Mal. Sie war so schockiert und überrascht gewesen, dass sie einfach nur gelacht hatte. Natürlich hatte sie sich sofort geschämt und für ihr Verhalten entschuldigt, doch er hatte sie nur angesehen, als sei sie das faszinierendste Wesen, das ihm je untergekommen war. Dann sagte er, ihre Entschuldigung sei unnötig, da er derjenige gewesen war, der sich unmöglich verhalten habe, und dass er es sei, der um Verzeihung bitten müsste.

Das war der Beginn ihrer Freundschaft gewesen, ein eigenartiges Zusammentreffen von Gegensätzen: der Prinz und das Mädchen mit dem Stipendium. Sie war von ihrer Tante, einer Frau aus der Arbeiterklasse, großgezogen worden, er als Prinz. Sie war still und strebsam, er hingegen wild und feierfreudig und nur selten im Hörsaal anzutreffen.

Und doch hatten sie einander angezogen und waren beste Freunde geworden und geblieben, selbst nachdem sie die Universität verlassen hatten.

Bis zu dem fatalen Abend in Soho vor fünf Jahren, als sie ausgesprochen hatte, was sie nie hätte sagen dürfen, und er einfach gegangen war. Einen Monat später hatte sie eine E-Mail von ihm erhalten, in der er ihr mitteilte, dass er nicht nach England zurückkehren würde und es besser sei, wenn sie ihn nicht mehr kontaktiere. Einen Grund dafür hatte er nicht genannt.

Das war auch nicht nötig gewesen. Sidonie wusste es auch so.

An jenem Abend hatte er ihr das Herz gebrochen, doch sie weigerte sich, sich davon unterkriegen zu lassen. Stattdessen hatte sie sich gewandelt, sich eine unsichtbare Rüstung zugelegt und auf sich aufgepasst. Sie war ein anderer Mensch geworden, eine Frau, die ihr Herz an niemanden vergab, der es nicht wollte.

Sie hätte nie geglaubt, ihn jemals wiederzusehen, und doch stand er hier, selbstbewusst in der Mitte des Pubs wie ein Gott, der sich seinen sterblichen Anhängern zu erkennen gab, und sah sich um, bis er seinen Blick aus dunklen Augen schließlich auf ihr ruhen ließ.

Alle Luft wich ihr aus der Lunge.

Derek wollte etwas sagen, doch da schritt Khalil bereits auf ihren Tisch zu. Dabei wippte der Luftballon auf und ab. Es hätte ein witziger Anblick sein können, wäre der Ausdruck in seinem markanten Gesicht nicht so unglaublich intensiv gewesen.

Sidonies Herz begann zu rasen. Sie fühlte sich wie ein Kaninchen im Scheinwerferlicht eines Wagens, außerstande, sich zu bewegen.

Fünf Jahre war es her, dass sie ihn gesehen hatte, und er war noch immer derselbe faszinierende, absolut unwiderstehliche Mann wie in ihrer Erinnerung an den letzten gemeinsamen Abend in London.

Damals war er auf Staatsbesuch in England gewesen, und sie hatten sich in einer viel zu lauten Bar in Soho verabredet. Er hatte ihr erzählt, dass sein Vater gestorben sei und er nach Al Da’Ira zurückkehren müsse, um den Thron zu besteigen. Er würde einige Zeit nicht nach England kommen können, vielleicht mehrere Jahre nicht. In seinem Land herrschten Unruhen, und er musste vor Ort sein, um seinem Volk in dieser Zeit des Übergangs zur Seite zu stehen.

Das verstand Sidonie. Sein Vater war ein tyrannischer Herrscher gewesen, und wenn er die Stabilität seines Landes sichern wollte, musste Khalil dort sein. Aber sie war auch erschüttert gewesen über die Aussicht, ihn so lange nicht wiederzusehen, und hatte einige Cosmopolitans mehr getrunken, als ihr guttat, und ihm die unmöglichsten Versprechen abgerungen.

Doch erst als es Zeit war, voneinander Abschied zu nehmen, und sie draußen gestanden hatten, während es auf sie herabschneite, hatte sie diesen schrecklichen und folgenreichen Fehler begangen.

Überwältigt von ihren Gefühlen hatte sie ihm gestanden, dass sie ihn liebte, doch sobald sie die Worte ausgesprochen hatte, wusste sie, dass sie genau das Falsche getan hatte. Denn in Khalils dunklen Augen hatte der Schock gestanden, und dann hatte sie ihm angesehen, wie er dichtmachte. Seine Miene war so kalt geworden wie der Schnee um sie herum.

Vorsichtig hatte er ihre Finger aus seinem Mantel gelöst, aber kein einziges Wort gesagt.

Er hatte sich einfach umgedreht und war gegangen. Hatte sie ganz allein zurückgelassen, während ihr Herz in tausend Teile zersprang.

Danach hatte sie die ganze Nacht in ihr Kopfkissen geweint und sich Selbstvorwürfe gemacht. Er hatte nie auch nur angedeutet, etwas anderes als eine Freundschaft mit ihr zu wollen, deshalb konnte sie selber nicht verstehen, warum sie ihm auf einmal ihre Liebe gestanden hatte. Vielleicht war es der Alkohol gewesen oder das alberne Versprechen, das sie auf eine Serviette gekritzelt und ihn hatte unterschreiben lassen. Oder vielleicht hatten auch einfach ihre Gefühle sie übermannt, als sie ihm in die Augen geschaut und zugesehen hatte, wie der weiße Schnee auf seine dunklen Haare fiel.

Sie hätte es besser wissen müssen, als die Worte laut auszusprechen. Ihre Tante hatte immer gesagt, sie sei emotional viel zu bedürftig und fordernd, und aus Khalils Reaktion ließ sich schließen, dass er genauso dachte. Was auch seine E-Mail bestätigte, mit der er sie aufforderte, keinen Kontakt mit ihm aufzunehmen.

Und daran hielt Sidonie sich. Zum damaligen Zeitpunkt hatte die Hilfsorganisation, die sie nach dem Studium in London gegründet hatte, gerade Fahrt aufgenommen, und es war leicht gewesen, sich in Arbeit zu vergraben. Leicht, die Überreste ihres gebrochenen Herzens in Sicherheit zu bringen und sich in jemand anderes zu verwandeln. Jemanden mit einem Ziel und voller Entschlossenheit. In eine starke Frau. Eine Frau, der es nicht in den Sinn kam, nachts heiße Tränen wegen eines Mannes zu vergießen. Eine Frau, die nichts und niemanden brauchte.

„Khalil“, hob sie an, erfreut darüber, wie ruhig sie klang. „Was tust …“

„Raus hier“, unterbrach Khalil sie. Zweifel daran, an wen die Worte gerichtet waren, gab es nicht, denn Derek sprang auf und eilte nach draußen, bevor Sidonie etwas sagen konnte.

Kalte Wut brachte ihre Haut zum Prickeln.

Hier war er, vermutlich wegen ihr, denn einen anderen Grund, warum er nach fünf Jahren des Schweigens plötzlich in Blackchurch auftauchte, gab es ja wohl nicht. Und das Erste, was er sagte, war nicht Es tut mir leid, dass ich einfach gegangen bin, sondern Raus hier, und das zu einem Mann, der so nett gewesen war, sie zu ihrem Geburtstag auszuführen.

Sie wollte Khalil sagen, wie unhöflich er war, ihn fragen, wie er es wagen konnte, hier einfach aufzutauchen und das erste Date, das sie seit Jahren hatte, platzen zu lassen. Aber das würde klingen, als sei sie wütend auf ihn, als empfinde sie noch etwas, und das tat sie nicht.

Sie war über ihn hinweg. Schon lange.

Also schwieg sie, während Khalil sich auf Dereks Platz sinken ließ, als wäre der Mann nie da gewesen. Er stellte den Cupcake auf den Tisch und hielt ihr den Luftballon hin. „Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag, Sidonie“, sagte er mit seiner tiefen dunklen Stimme, als wäre er nur wenige Tage fort gewesen.

Einen Augenblick lang wusste sie nicht, wie sie reagieren sollte. Ihr Gehirn war noch immer damit beschäftigt, die Tatsache zu verarbeiten, dass Khalil hier war, in England, in diesem Pub, und ihr zum Geburtstag gratulierte, als wären sie noch immer befreundet.

Sie bedachte ihn mit einem kühlen Blick. „Khalil, was für eine Überraschung. Ich hatte natürlich nicht damit gerechnet, dich zu sehen, und war mitten in einem Date.“

Er verzog die Stirn. „Ein Date? Mit wem?“

Manches schien sich wirklich nie zu ändern. An den Colleges in Oxford gab es viele arrogante Menschen, aber Khalils Arroganz stellte wirklich alles in den Schatten. Selbst seine beiden Freunde, Galen und Augustine, Prinzen wie er, denen sie das eine oder andere Mal begegnet war, waren nicht so überheblich wie er.

Später hatte sie herausgefunden, dass Al Da’Ira eine absolutistische Monarchie war, in der Herrscher als Halbgötter betrachtet wurden, deren Wort Gesetz war. Vor diesem Hintergrund ergab Khalils Arroganz Sinn, aber Sidonie war nicht bereit gewesen, sie hinzunehmen. Das hatte Khalil an ihr gemocht, hatte er wenigstens behauptet. Ihm gefiel es, dass sie ihn wie einen normalen Menschen behandelte und nicht wie einen Prinzen.

Nur dass der Mann, der ihr jetzt gegenübersaß, nicht aussah wie ein normaler Mensch. Er sah auch nicht aus wie der Freund von einst, der intensive, grüblerische junge Mann, der er früher gewesen war. Damals hatte sie oft gedacht, dass er wie die stürmische dunkle See war. Voller komplexer, gefährlicher Strömungen, doch wenn die Sonnenstrahlen ins Wasser drangen voller Licht und Schönheit. Sein seltenes Lächeln. Seine Einfühlsamkeit. Sein gut verborgener trockener Humor.

Jetzt allerdings war nichts von alledem zu merken. Er wirkte hart und kalt.

„Es war ein Date zum Geburtstag“, erklärte sie kühl. „Mit Derek.“

„Derek?“ Khalil sah sich im Pub um. „Ich sehe keinen Derek.“

„Nein. Weil du ihn äußerst unhöflich hinausbeordert hast.“

„Der? Er war mir im Weg.“ Hartnäckig gestikulierte Khalil mit dem Luftballon. „Hier, nimm.“

Ihr Herz machte einen kleinen Satz, weil er an ihren Geburtstag gedacht hatte, aber sie mahnte sich, nichts von dem, was Khalil sagte oder tat, Bedeutung beizumessen, also ignorierte sie den Luftballon.

Und doch möchtest du, dass es etwas bedeutet.

Nein. Nein, so war es absolut nicht. Ihre Gefühle für ihn waren vor Jahren gestorben. Und wenn ihr Herz jetzt schneller schlug und sie um Luft ringen musste, so lag das an dem Schock darüber, ihn wiederzusehen.

Andererseits schien es albern zu sein, den Luftballon nicht zu nehmen, also streckte sie die Hand danach aus. Nur um sich wie elektrisiert zu fühlen, als ihre Finger sich berührten.

Sie konnte sich noch daran erinnern, wann sie das erste Mal so empfunden hatte. Damals hatte Khalil eine Party zu ihrem einundzwanzigsten Geburtstag organisiert. Das hatte zuvor noch nie jemand für sie getan, denn ihre Tante hatte Sidonies Geburtstag nie mit ihr gefeiert, geschweige denn eine Überraschungsfeier für sie veranstaltet.

Der Abend war wundervoll gewesen. Viele Freunde hatte Sidonie damals nicht gehabt, aber Khalil hatte jeden einzelnen eingeladen, zusammen mit seiner eigenen, wilderen Clique. Es hatte Musik gegeben und Gelächter, und sie hatten getanzt. Luftballons waren da gewesen und ein Kuchen. Alle hatten Happy Birthday für sie gesungen, und Sidonie hatte fast geweint, weil alles so schön gewesen war.

Es war seit dem Tod ihrer Eltern ihre erste Geburtstagsfeier überhaupt gewesen und ein Riesenerfolg.

Sehr viel später an jenem Abend hatte Khalil sie an sich gezogen und mit ihr getanzt, und urplötzlich war sie sich seiner Nähe bewusst gewesen. Seines harten, muskulösen Körpers. Seines Dufts. Schön gefunden hatte sie ihn schon immer, aber erst an diesem Abend hatte sie erkannt, dass sie ihn begehrte.

Ein Nachhall dieser alten Sehnsucht traf sie jetzt und ließ ihre Hand zucken, sodass der Luftballon sich hektisch bewegte. Zum Glück schien Khalil es nicht zu bemerken.

„Danke“, sagte sie in der Hoffnung, einigermaßen ruhig zu klingen. „Für den Ballon und den Cupcake. Aber du warst wirklich unentschuldbar grob zu Derek. Ich sollte gehen und nachsehen …“

„Ich kümmere mich darum“, fiel Khalil ihr mit der Arroganz ins Wort, an die sie sich so gut erinnerte. Oder vielleicht auch nicht. Es haftete ihr eine Schärfe an, die es früher nicht gegeben hatte.

Er wandte sich um, und sofort trat einer seiner Männer an den Tisch. Khalil erteilte einen knappen Befehl in der Sprache seines Heimatlandes, und der Mann eilte davon.

Sidonie furchte die Stirn. „Was hast du zu ihm gesagt?“

„Dass er Derek suchen und ihm einen angemessenen Geldbetrag dafür geben soll, dass wir euer Date beendet haben.“ Khalil lächelte, doch seine Augen blieben kalt. „Mach dir keine Sorgen.“

Auch das Lächeln war nicht dasselbe wie früher. Es war ohne jede Wärme.

Er ist nicht mehr der Mann, den du gekannt hast.

„Also, was machst du hier?“, fragte sie mit so neutralem Tonfall, wie sie eben konnte, während sie versuchte, den eigenartigen Schauer zu unterdrücken, der sie durchlief. „Natürlich abgesehen davon, dich einem meiner Freunde gegenüber unmöglich zu verhalten. Ich wusste gar nicht, dass du in England bist.“

Statt einer Antwort blickte Khalil stirnrunzelnd auf den Cupcake. Dann streckte er plötzlich eine Hand aus, und einer seiner Männer kam herbeigesprungen und reichte ihm ein Feuerzeug. Ohne den Mann im schwarzen Anzug anzusehen, zündete Khalil die Kerze an, bevor er die Hand erneut ausstreckte und sein Bodyguard das Feuerzeug wieder an sich nahm. Dann lehnte er sich zurück, verschränkte die muskulösen Arme vor der Brust und fixierte Sidonie mit intensivem Blick.

„Puste“, befahl er.

Sie blinzelte. „Wie bitte?“

„Die Kerze. Puste sie aus.“

Ein neues Beben durchlief sie, als eine weitere Erinnerung in ihr aufstieg. Daran, wie er sie immer angesehen hatte. So wie jetzt. Intensiv und konzentriert, als sei das, was sie zu sagen hatte, von äußerster Bedeutung und als wollte er sich kein einziges Wort entgehen lassen.

Er hatte immer die Fähigkeit gehabt, ihr das Gefühl zu geben, sie sei interessant und besonders, als sei das, was sie zu sagen hatte, es wert, gehört zu werden. Das war eine berauschende Erfahrung für eine Frau, die als achtjähriges Mädchen ihre Eltern verloren hatte und bei der kalten, gefühllosen Schwester des Vaters aufgewachsen war. Tante May, die ihr deutlich klargemacht hatte, dass sie sich nur aus Pflichtgefühl ihrem Bruder gegenüber um dessen Kind kümmerte. Dass sie eine Belastung war, die May sich nicht ausgesucht hatte und nicht wollte, aber aus Nächstenliebe eben auf sich nahm.

Es ist noch immer berauschend.

Nein, das war es nicht. In diese Falle würde sie nicht noch einmal tappen. Sie war eine erfolgreiche Frau und Leiterin einer Hilfsorganisation. Sie brauchte die Bestätigung anderer Menschen nicht – am wenigsten Khalils. Sie hatte ihren Abschluss in Oxford mit Auszeichnung gemacht und all ihre Kraft und Entschlossenheit darangesetzt, Waisen und anderen Kindern zu helfen, und sie war nicht länger einsam. Sie hatte Selbstbewusstsein und ruhte in sich selbst, egal, was erst ihre Tante und dann Khalil ihr angetan hatten.

Sie ignorierte ihre körperliche Reaktion auf ihn, stieß leise den Atem aus und hielt seinem Blick stand. Früher, als sie noch befreundet gewesen waren, hatte sie ihm seine überhebliche Art nie durchgehen lassen, und das würde sie ganz sicher auch heute nicht tun.

Sie hob eine Augenbraue. „Nur wenn du Happy Birthday für mich singst.“

„Wie du möchtest“, antwortete er und fing sofort damit an, wobei seine dunkle Stimme jedes Wort wie eine zärtliche Berührung klingen ließ.

Sie hätte ihn nicht dazu auffordern sollen. Zu viele Erinnerungen waren damit verbunden. Erinnerungen an den Abend, als er mit ihr getanzt hatte, und die brauchte sie jetzt nicht.

„Und jetzt puste“, befahl er, als er fertig gesungen hatte.

Sich wegen einer Kerze zu streiten, war lächerlich, und immerhin war es ja ihr Geburtstag, also beugte Sidonie sich vor und blies die Kerze aus.

Danach richtete sie sich wieder auf. „Nun, ich nehme an, ich sollte mich geehrt fühlen, weil du …“

„Du erinnerst dich nicht, oder?“

Sie blinzelte, denn seine unerwartete Frage hatte sie überrumpelt. „Erinnern? An was erinnern?“

„Daran, dass du gesagt hast, wenn du an deinem dreißigsten Geburtstag noch ledig wärst, würdest du mich heiraten.“

Ihr wurde abwechselnd heiß und kalt, und all die kühlen Fragen, die sie ihm hatte stellen wollen, schwanden aus ihrem Kopf.

Dieser Abend in Soho, das war es, wovon er sprach. Der Abend, an den sie sich nicht erinnern wollte. Genauso wenig wie an das, was sie gesagt und womit sie ihn vertrieben hatte. Und ganz bestimmt nicht an die fleckige Serviette, die sie unter ihrem Cocktailglas hervorgezogen hatte, um ein absolut albernes Versprechen darauf zu kritzeln. Ein Versprechen, das sie ihn hatte unterschreiben lassen.

Hitze breitete sich erst auf ihrem Hals, dann auf ihrem Gesicht aus, und sie konnte nichts dagegen tun. Es war der Fluch der Rothaarigen, dass sie hellhäutig waren und kaum eine Emotion je verbergen konnten.

„Es war an unserem letzten Abend in London“, fuhr Khalil fort, ohne den Blick von ihr zu nehmen. „Mein Vater war gerade gestorben, und wir beide haben uns auf einen Drink in Soho getroffen. Ich habe dir gesagt, dass ich nicht wüsste, wann ich das nächste Mal nach England kommen könnte, und deshalb hast du mir das Versprechen abgenommen, wenigstens dann zu kommen, wenn du dreißig wirst. Du wiederum hast mir versprochen, mich zu heiraten, falls du dann immer noch ledig wärst.“

Die Hitze hatte sich in Flammen verwandelt, die auf ihrer Haut brannten, während sie an jenen schrecklichen Abend dachte und daran, wie sehr sie sich selbst gedemütigt hatte. Sie hatten über Al Da’Ira gesprochen und all die Reformen, die Khalil nun, da er König war, durchführen wollte, Reformen, über die er oft in Oxford mit ihr gesprochen hatte. Ihnen beiden hatte es am Herzen gelegen, das Leben der Menschen zu verbessern, sie mit ihren Plänen für die Hilfsorganisation, er mit seinen für die Zeit, wenn er erst einmal König war.

An diesem Abend hatte er auch gesagt, dass er irgendwann einmal würde heiraten müssen, und da war ihr die Idee gekommen, dass er dann ja auch sie heiraten könnte. Die Cocktails hatten ihr Mut verliehen, während das machtvolle Gefühl in ihrem Inneren und die Tatsache, dass sie ihn lange nicht wiedersehen würde, sie dazu gebracht hatten, das Versprechen auf Papier festzuhalten. Den Schwur.

Heute kam es ihr so dumm vor, so naiv. So … verzweifelt. Diese Frau war sie nicht mehr, schon seit Jahren nicht.

Sie ignorierte ihre glühenden Wangen und sah Khalil in die Augen. „Ach richtig, stimmt. Und war da nicht auch eine Art …“ Sie gab vor, in ihrem Gedächtnis zu kramen. „Ich habe etwas aufgeschrieben, und du hast es unterschrieben, richtig?“

Wenn er durchschaute, dass sie ihm etwas vormachte, gab er es nicht zu erkennen. „Ganz genau.“ Er griff in die Brusttasche seines Jacketts und zog ein zerknittertes Stück Papier hervor. „Ich nehme an, du meinst das hier.“ Er legte es neben den Cupcake und strich es glatt. Sein Blick wurde noch schärfer.

Sidonie konnte nicht anders, als hinzusehen. Eine fleckige Serviette, auf der noch immer der pinke Ring zu sehen war, den ihr Cocktailglas hinterlassen hatte. Und ihre Handschrift, krakelig und ungeduldig.

Khalil schwieg.

Halb zögerlich, halb fasziniert nahm sie die Serviette, und ja, da war es. Ihre gesamte peinliche Bedürftigkeit, festgehalten mit schwarzem Kugelschreiber. Und ganz unten ihre dahingekritzelte Unterschrift neben seiner, weil sie gewusst hatte, dass sie ihre Meinung nicht ändern würden. Niemals …

Lange starrte sie die Serviette stumm an. Dann tat sie, was sie immer getan hatte, wenn Khalil etwas Absurdes sagte oder tat. 

Sie lachte.

Geduldig wartete Khalil, bis Sidonie sich wieder beruhigte, während er beobachtete, wie ihre grünen Augen aufblitzten und ihr blasses, sommersprossiges Gesicht sich verdunkelte.

Er erinnerte sich gut an dieses Lachen. Daran, wie es sie von innen her zum Leuchten brachte und wie er sich davon hatte anstecken lassen. Was ihn selber immer wieder verwundert hatte, da es für ihn selten einen Grund zu lachen gegeben hatte.

Es war lange her, dass er sie gesehen und dieses Lachen gehört hatte. Lange her, dass er selber gelacht hatte. Er hatte fast vergessen, wie es ging.

Wenn er noch immer mit ihr befreundet wäre, hätte er in das Lachen eingestimmt, doch das war er nicht, nicht mehr, und so sah er sie einfach an und nahm ihren Anblick in sich auf.

Sie hatte sich verändert. Das hatte er in dem Augenblick erkannt, als er das Pub betreten hatte.

Die feuerroten Haare hatte sie wie immer auf dem Kopf hochgesteckt – er wusste noch, wie sie früher einen Stift dafür verwendet hatte, wenn sie zusammen gelernt hatten –, aber der Knoten war nicht so nachlässig, wie er ihn in Erinnerung hatte. Nicht ein Haar saß dort, wo es nicht sein sollte, nicht eine widerspenstige Locke fiel ihr ins herzförmige Gesicht oder in den Nacken, um ihre schönen Züge weicher wirken zu lassen.

Auch trug sie keines der farbenfrohen Kleider, die er an ihr gewohnt gewesen war. Heute Abend war sie in eine strenge schwarze Hose und eine makellose weiße Bluse gekleidet, eine schwarze Jacke lag ordentlich gefaltet auf dem Stuhl neben ihr.

Autor

Jackie Ashenden
<p>Jackie Ashenden schreibt düstere, gefühlsgeladene Stories über Alphamänner, denen die Welt zu Füßen liegt, bevor sie von ihren umwerfenden Gegenspielerinnen in Stücke gerissen wird. Sie lebt mit ihrem Ehemann, dem unvergleichlichen Dr Jax, zwei Kindern und zwei Ratten in Auckland, New Zealand. Wenn sie nicht gerade Alphamänner und ihre kühnen...
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