Mit dir unter den Sternen des Südens

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Für einen Neuanfang nach ihrer Scheidung entschließt Luci sich spontan zu einem Wohnungstausch. Dumm nur, dass das elegante Apartment am Hafen von Sydney auch noch vom sexy Bruder ihres Tauschpartners bewohnt wird. Doch als es heiß zwischen Seb und ihr knistert und er sie unter den Sternen des Südens verlangend küsst, beschließt sie: Eine Affäre mit dem freiheitsliebenden Einzelgänger ist genau das Richtige, um die Vergangenheit endgültig hinter sich zu lassen! Sie darf nur nicht ihr Herz an Seb verlieren …


  • Erscheinungstag 13.12.2022
  • Bandnummer 252022
  • ISBN / Artikelnummer 9783751510158
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

„Oh mein Gott, Flick, ich wünschte, du könntest das hier mit eigenen Augen sehen.“

Luci hatte heute zwar schon mehrmals mit ihrer besten Freundin telefoniert, aber ihre neue Bleibe hatte sie so begeistert, dass sie einfach noch einmal anrufen musste.

„Das Apartment scheint dir also zu gefallen.“ Flick klang amüsiert.

„‚Gefallen‘ ist gar kein Ausdruck. Ich liebe einfach alles hier!“ Luci spazierte durch die verschiedenen Räume, während sie sprach. „Es liegt direkt am Hafen. Wenn ich aus dem Fenster schaue, sehe ich das Meer, und zum Strand sind es nur ein paar Meter. Ich kann sogar das Rauschen der Wellen hören. Ich frage mich nur gerade, wie Callum die Umstellung wohl verkraften wird.“

Die Idee, mit einem Unbekannten die Wohnungen zu tauschen, war so spontan entstanden, dass sie keine Zeit gehabt hatte, genauer darüber nachzudenken. Jetzt fühlte es sich allerdings merkwürdig an, durch ein fremdes Apartment zu laufen. Schließlich hatte Luci fast ihr ganzes bisheriges Leben in der vertrauten Umgebung ihrer Heimatstadt verbracht.

Callum Hollingsworths Wohnung am Hafen von Sydney war elegant, modern und mit wenigen, erlesenen Designermöbeln ausgestattet. Sie wirkte betont maskulin. Ihr eigenes kleines Cottage in Vickers Hill hingegen war im romantisch-verspielten Landhausstil eingerichtet und wirkte auf charmante Art ein wenig altmodisch. Was für ein Kontrast! Es war klar, dass sich ihre Vorstellungen von geschmackvollem Ambiente völlig unterschieden. Was er wohl von mir denkt, wenn er mein Haus sieht? Wahrscheinlich, dass ich ein Landei mit einer fragwürdigen Vorliebe für Kitsch bin. Egal, sie würde ihn ohnehin nicht treffen.

Ein durchdringendes Pfeifen drang aus dem Hörer. Es klang wie ein Zugsignal.

„Bist du schon am Bahnhof?“, fragte Luci ihre Freundin.

Sie hatte sich mit Felicity, die von allen nur Flick genannt wurde, eine Auszeit am Bondi Beach gegönnt, bevor morgen ihre Fortbildung am North Sydney Hospital beginnen würde.

„Der Zug kommt gleich. Ich hab mir noch einen Kaffee geholt und warte darauf, dass ich endlich einsteigen kann.“

„Ruf mich an, wenn du angekommen bist“, bat Luci.

„Na klar. Was hast du denn heute noch Schönes vor?“, fragte Flick unternehmungslustig.

„Ich glaube, ich probiere schon mal aus, wie lange ich zu Fuß zum Krankenhaus brauche. Ich will nicht schon am ersten Tag zu spät kommen.“ Luci hatte sich für einen zweimonatigen Kurs in Kinder- und Familiengesundheitspflege eingeschrieben und nahm ihre Verpflichtung sehr ernst. „Hab bitte ein Auge auf Mum und Dad für mich.“

Das war ihre große Sorge. Sie hatte keine Geschwister, und sie fragte sich, ob ihre Eltern, die beide schon um die siebzig waren, allein zurechtkommen würden. Ihr Vater führte immer noch seine kleine Landarztpraxis, und es war ein Segen, dass ihre Freundin Flick als Sprechstundenhilfe bei ihm arbeitete.

„Versprochen. Ich wünsch dir viel Spaß.“

Luci legte auf und setzte die Erkundungstour durch das Apartment fort. Sie bewunderte die gekonnte Raumaufteilung. Die offen geplante Wohnküche wirkte funktional und dennoch edel. Vom kombinierten Wohn- und Esszimmer führte eine Glastür auf einen großen Balkon mit Blick auf den Strand. Es gab ein Schlafzimmer, zwei Badezimmer und einen kleinen Hauswirtschaftsraum. Es war perfekt. Luci bezog das Gästeschlafzimmer – in Callums Bett zu schlafen, schien ihr zu gewagt.

Nachdem sie ihre Koffer ausgepackt hatte, ging sie zurück ins Esszimmer und trat von dort auf den Balkon, um für einen Moment die Aussicht zu genießen. Gleißende Sonnenstrahlen zauberten faszinierende Lichtreflexe auf das kristallklare Wasser des Hafens. Sie verfolgte die kleinen, weißen Boote, die sich geschickt zwischen den größeren Jachten hindurchmanövrierten. In der Ferne konnte man an den Uferhängen stattliche Villen erahnen, die zwischen mächtigen Eukalyptusbäumen hervorlugten. Es war einfach traumhaft.

Luci war in einer Kleinstadt im Süden Australiens aufgewachsen und hatte noch nicht viel von der Welt gesehen. Zwar hatte sie mit ihrer Familie ein paar Ausflüge an die Küste unternommen, doch große Reisen waren nie drin gewesen.

Später, als sie mit nur einundzwanzig Jahren ihre Jugendliebe geheiratet hatte, hatten andere Dinge Priorität gehabt. Doch nun war sie fünfundzwanzig, geschieden und allein.

Über ein Jahr hatte sie daran zu knapsen gehabt, dass ihr Mann sie verlassen hatte. Er hatte ihren Traum von einer eigenen Familie zerstört, aber deswegen war ihr Leben noch lange nicht vorbei. Es war an der Zeit, endlich etwas von der Welt zu sehen. Ihr Aufenthalt in Sydney bot ihr die Chance, noch mal komplett von vorn anzufangen. Sich neu zu erfinden. Hier kannte sie niemand, also konnte man sie auch nicht auf ihre Rolle als Tochter, Lebensgefährtin oder Ehefrau festlegen. Hier war sie einfach nur Luci.

Luci trat aus der Dusche und wickelte sich in eines der flauschigen Badetücher, die sie in einem kleinen Regal neben dem Waschbecken aufgestapelt vorgefunden hatte. Sie hatte ihr Haar vor dem Duschen zu einem lockeren Dutt hochgebunden, damit es nicht nass wurde. Jetzt löste sie das bunte Gummiband und fuhr sich mit der Hand durch die schulterlangen blonden Wellen, um sie zu glätten. Schnell trocknete sie sich ab. Es war ein langer Tag gewesen, und sie wollte endlich ins Bett. Ihr Fortbildungskurs war anstrengender, als sie es sich vorgestellt hatte. Ihre übliche Arbeit als Krankenschwester auf Station war zwar körperlich fordernder, aber die Vorlesungen waren auch kein Zuckerschlecken.

Immerhin, die erste Woche war fast geschafft. Vielleicht konnte sie am Wochenende endlich ein wenig die Stadt erkunden.

Bisher kannte sie lediglich die Strecke von Callums Apartment zum Krankenhaus, die sie jeden Tag zurücklegte. Es war ungewohnt, unterwegs nur fremde Gesichter zu sehen. Zu Hause in Vickers Hill konnte man keine zwei Schritte tun, ohne einem Bekannten über den Weg zu laufen. Aber gerade das war ja auch das Aufregende hier: Es gab so viel Neues zu entdecken, dass keine Zeit für Heimweh blieb.

Sie wusste inzwischen, wo die Fähre in Richtung Stadt abfuhr, und einen kleinen Strandspaziergang hatte sie auch schon absolviert. Einer der nächsten Punkte auf ihrer To-do-Liste war ein Bad im Gezeitenpool, der in die Felsen am Hafen eingelassen war. Sie hatte noch so viel vor, und sie wusste, dass die zwei Monate in Sydney wie im Flug vergehen würden. So wenig Zeit und so viel zu tun! Aber erst brauchte sie Schlaf.

Sie hängte das feuchte Badetuch über den elektrischen Handtuchtrockner, ging in ihr Schlafzimmer und schlüpfte nackt unter die kühlen Laken des Doppelbetts. Durch das gekippte Fenster drang die warme Frühlingsluft ins Zimmer. Das sanfte Rauschen des nahen Ozeans war so beruhigend, dass sie schon nach wenigen Minuten eindöste.

Es schien nur ein Augenblick vergangen zu sein, als Luci plötzlich durch ein lautes Geräusch aus dem Schlaf aufgeschreckt wurde.

Sie konnte nicht direkt zuordnen, woher der Lärm kam. Luci kannte die Geräusche einer ländlichen Kleinstadt. Krähende Hähne und ratternde Traktoren brachten sie nicht um den Schlaf. Aber die Symphonie der Großstadt mit dem scheppernden Klang der Müllabfuhr, den durchdringenden Signalhörnern der Fähren und den lauten, bierseligen Gesängen der nächtlichen Pubbesucher war gewöhnungsbedürftig. Diese Geräusche drangen normalerweise von weit her durch das offene Fenster bis zu ihr heran. Aber dieses Geräusch war viel näher. Es klang, als wäre die Wohnungstür ins Schloss gefallen. Sofort dachte sie an all die Filme, die sie gesehen hatte, in denen wehrlose Frauen von finsteren Gestalten überfallen wurden. Vielleicht habe ich das Geräusch auch nur geträumt?

Sie zuckte zusammen, als plötzlich ein Lichtschein durch den Spalt unter ihrer Schlafzimmertür fiel. Jemand hatte das Deckenlicht im Flur eingeschaltet. Dann hörte sie Schritte auf den Holzdielen, die langsam näher kamen.

Oh Gott, es ist wirklich jemand im Haus!

Ihr stockte der Atem.

Was mache ich denn jetzt?

Um Hilfe rufen?

Nein, dann findet er mich ja sofort.

Mich bewaffnen? Ja, das war eine prima Idee. Sie hatte irgendwo in der Wohnung eine Golftasche gesehen. Soweit sie wusste, hatten Golfschläger einen Kopf aus Metall. Damit konnte man sich sicher gut verteidigen. Dann fiel es ihr wieder ein. Verdammt noch mal! Die Tasche mit den Schlägern befand sich in einem Schrank in einer Nische neben der Wohnungstür. Da komme ich nicht ran. Sie verfluchte Callums Vorliebe für spärlich eingerichtete Räumlichkeiten. Im Gästezimmer gab es nicht mal eine Vase, die man dem Einbrecher über den Kopf hätte ziehen können.

Sie musste die Polizei rufen. Aber wie schnell konnten die Beamten vor Ort sein? Wohl nicht schnell genug.

Luci war ratlos. Kritische Situationen hatte sie früher immer ihrem Ehemann überlassen. Und die Tatsache, dass sie nicht nur wehrlos, sondern dazu auch noch nackt war, machte sie umso verletzlicher.

Sie setzte sich im Bett auf und tastete panisch nach ihrem Handy. Sie wagte es nicht, das Licht einzuschalten, aus Angst, die Aufmerksamkeit des Fremden auf sich zu ziehen. Die dünne Decke, die ihre Blöße bedeckte, verrutschte ständig. Ich brauche was zum Anziehen! Sie wollte nicht am nächsten Tag mit der Schlagzeile „Junge nackte Frau schlägt Einbrecher in die Flucht“ in der Zeitung stehen.

Die Schritte bewegten sich in Richtung Wohnzimmer. Sie klangen nach schweren Stiefeln. Ein Mann. Besonders beunruhigend war, dass er offenbar keinen Versuch unternahm, leise aufzutreten. Dann folgte ein dumpfer Aufprall, als ob etwas Schweres mit Schwung fallen gelassen wurde, zum Beispiel eine Tasche. Da war sicher das Diebesgut drin.

Ihr Herz schlug Luci immer noch bis zum Hals. Glücklicherweise hatte sie bisher noch nicht viel Erfahrung mit Einbrechern sammeln müssen, aber dieser hier war mit Sicherheit der lauteste von allen. Außerdem sorgte er mit der Deckenbeleuchtung wahrscheinlich dafür, dass seine Taten wie auf dem Präsentierteller weithin sichtbar waren.

Luci atmete ein wenig auf. Vermutlich ein Amateur. Wenn er neu in dem Geschäft ist, kann ich ihn vielleicht überrumpeln.

Aber vielleicht ging er auch nur davon aus, dass niemand zu Hause war? Wenn ich so viel Lärm mache, dass er denkt, dass hier mehr als eine Person ist, dann verschwindet er sicher.

Das nächste Geräusch ließ Luci stutzen. War das gerade die Kühlschranktür? Er war also schon in der Küche und fühlte sich offenbar ganz wie zu Hause. Wie dreist kann man sein? Sie war absolut sicher, dass es nicht ihr Wohnungstauschpartner sein konnte. Sie hatte am Vormittag noch mit ihrer Freundin Flick telefoniert, und Callum war definitiv in Vickers Hill angekommen. Seine Ankunft hatte offenbar für einiges Aufsehen gesorgt. Luci hoffte, dass es keine Schwierigkeiten geben würde. Callum sollte ihrem Dad die Arbeit erleichtern und nicht für noch mehr Trubel sorgen. Aber darauf hatte sie ohnehin keinen Einfluss. Im Moment bedeutete es nur für sie, dass die harmloseste Erklärung für den nächtlichen Besuch keine Option war. Mittlerweile war sie überzeugt, dass es auch kein Einbrecher sein konnte. Aber was wollte der Fremde dann hier? Wollte er ihr etwas antun? Sie durfte ihn auf keinen Fall auf dumme Gedanken bringen.

Es war Zeit zu handeln. Ich muss mich dringend anziehen!

Mutig schaltete sie das kleine Nachttischlämpchen an. Gerade als sie sich aus den Laken befreit hatte und aufgestanden war, hörte sie, wie die Schritte wieder näher kamen. Während sie verzweifelt überlegte, wie sie ihr Kleidungsdilemma lösen konnte, sah sie mit Entsetzen, wie die Klinke ihrer Zimmertür langsam nach unten gedrückt wurde.

Oh mein Gott, er kommt rein!

„Am besten verschwinden Sie gleich wieder. Ich habe die Polizei alarmiert“, rief Luci laut, obwohl das natürlich eine glatte Lüge war. Aber ihr fiel auf die Schnelle nichts Besseres ein.

Die Klinke blieb niedergedrückt, doch die Tür war nach wie vor zu. Dann hörte sie zum ersten Mal die Stimme des Eindringlings. „Sie haben was?“

Als klar wurde, dass der Mann sich nicht aufhalten lassen würde, sprang Luci schnell zurück ins Bett und zog das Laken bis zum Kinn hoch. Inzwischen hatte sie auch ihr Handy wiedergefunden und umklammerte es fest, falls sie wirklich Verstärkung anfordern musste.

„Wenn Sie reinkommen, dann schreie ich die ganze Nachbarschaft zusammen“, rief sie mit Nachdruck.

Es half nichts. Die Tür schwang auf, und im ersten Moment glaubte Luci, von einer Erscheinung heimgesucht zu werden. Vielleicht träume ich das hier wirklich alles nur? Ihr Puls ging rasend schnell, aber inzwischen wusste sie nicht mehr, ob vor Panik oder purer Lust. Dieser Fremde war ein Adonis. Sie hatte noch nie einen so schönen Mann gesehen. Mit seinem Aussehen hatte er es nicht nötig, nachts bei fremden Frauen einzusteigen. Sie würden von allein bei ihm Schlange stehen.

Aber dann fiel ihr Ted Bundy ein. Ein attraktiver, gebildeter und äußerst charmanter Mann, der sich zum Entsetzen seines Umfelds später als perfider Serienmörder entpuppte, der mehr als dreißig Frauen auf dem Gewissen hatte. „Kommen Sie nicht näher“, befahl sie mit sich überschlagender Stimme.

Er blieb stehen und hob die Hände zu einer beschwichtigenden Geste. „Ich werde Ihnen nichts tun. Aber wer zum Henker sind Sie, und was machen Sie in meinem Zimmer?“

Ihrem Zimmer?“

War das doch Callum? So schnell konnte er doch nicht nach Sydney zurückgekehrt sein, Vickers Hill war tausend Meilen entfernt. Was hatte er hier zu suchen? Bereute er den Wohnungstausch? „Warum sind Sie nicht in Vickers Hill?“

„Ich weiß nicht mal, was Vickers Hill ist.“

Luci runzelte die Stirn. „Wer sind Sie?“

Das war auf keinen Fall Callum. Aber in wessen Zimmer befand sie sich dann?

„Ich bin Seb. Seb Hollingsworth.“

Plötzlich hatte sie eine Eingebung. „Dann sind Sie sein …?“

Seb musterte Luci mit einem intensiven Blick und beendete den Satz für sie: „Bruder. Genau. Gut kombiniert.“

Luci hörte seine Antwort kaum. Sie war wie gebannt von seinen strahlend blauen Augen, die von langen, dunklen Wimpern umrahmt wurden.

„Sein Bruder!“ Warum hatte Callum sie nicht vorgewarnt? Sie setzte sich im Bett auf und tat alles, damit die schützende Bettwäsche nicht verrutschte und ungewollte Einblicke auf ihren nackten Körper bot. „Callum hat Sie nie erwähnt.“

„Sie kennen Callum also?“

„Gewissermaßen.“

Er zog eine Augenbraue hoch, sagte aber nichts.

Na gut, das Spielchen beherrsche ich auch, dachte Luci. Sie erwiderte sein Pokerface und nutzte die Sekunden der Stille, um sich den attraktiven Besucher genauer anzusehen.

Er war wirklich ein Traum von Mann. Sehr groß und durchtrainiert. Die langen Beine steckten in schmal geschnittenen Jeans. Das dichte kastanienbraune Haar und die markanten Augenbrauen waren ein gelungener Kontrast zum spektakulären Blau seiner Augen. Sein Gesicht war so ebenmäßig, dass es fast unwirklich schien. Der einzige Makel, den sie entdecken konnte, war eine kleine Unebenheit auf seinem Nasenrücken. Aber der Umstand, dass er sich die Nase wohl irgendwann einmal gebrochen hatte, tat seiner Attraktivität keinen Abbruch. Es gab seinem Aussehen Charakter und passte gut zu dem dunklen Bartschatten, der ihm etwas Verwegenes verlieh.

Sein Oberkörper war nackt, aber er hielt ein schwarzes T-Shirt in seiner Hand. Sie fragte sich, was er gerade vorgehabt hatte, bevor er sie hier überrascht hatte. Doch ehe sie den Gedanken weiterverfolgen konnte, wurde sie vom Anblick seines Waschbrettbauchs und der breiten Schultern schon wieder abgelenkt. An wen erinnert er mich bloß?

Dann fiel es ihr ein: David von Michelangelo. Seb war genauso perfekt. Nur dass er keine Statue aus kaltem Marmor war, sondern ein Kunstwerk aus Fleisch und Blut.

Luci spürte immer noch, wie das Adrenalin in ihren Adern pulsierte. Aber es war nicht mehr Angst, die ihren Körper auf Hochtouren brachte. Ihr Körper zeigte die natürliche Reaktion einer Frau auf einen begehrenswerten Mann.

Während sie Seb weiter anstarrte, begann die lebende Statue plötzlich wieder zu sprechen. „Ich glaube, Sie schulden mir eine Erklärung.“

Sollte ich Callum über den Weg laufen, drehe ich ihm den Hals um. Luci war wütend, weil er der Grund dafür war, dass sie gerade nackt in einem fremden Bett lag und mit Fragen bombardiert wurde. Sie merkte, wie die Decke ein wenig verrutschte, und zog sie schnell wieder nach oben in der Hoffnung, dass ihre Brüste nicht entblößt worden waren. „Darf ich mir wenigstens etwas anziehen, bevor das Verhör beginnt?“, fragte sie spöttisch.

Seb schenkte ihr ein amüsiertes Grinsen und nickte gönnerhaft. Als Luci das Funkeln in seinen Augen sah, schoss eine Welle der Erregung durch ihren ganzen Körper. Sie spürte, wie sie errötete. Seb machte keinerlei Anstalten, den Blick von ihr abzuwenden. Hatte er bemerkt, welche Wirkung er auf sie hatte, und schwelgte jetzt im Gefühl seiner Überlegenheit? Sie musste ihn dringend loswerden, bis sie sich wieder unter Kontrolle hatte.

„Geben Sie mir fünf Minuten, dann können wir reden.“

„Natürlich, bitte verzeihen Sie“, antwortete er, aber er wirkte überhaupt nicht reumütig. „Ich warte in der Küche.“ Er wandte sich zum Gehen, hielt dann inne und drehte sich nochmals um. Er blickte auf das Handy, das sie immer noch in ihrer Hand hielt. „Könnten Sie bitte die Polizei darüber informieren, dass das Ganze nur ein Missverständnis war? Ich möchte nicht, dass die Nachbarn einen falschen Eindruck von mir bekommen.“

„Ich habe die Polizei gar nicht alarmiert“, gab Luci kleinlaut zu.

Er zog die Tür hinter sich zu, und als er in die Küche ging, konnte sie sein sonores Lachen hören. Es war so ansteckend, dass sie selbst schmunzeln musste.

Sie wartete, bis sich seine Schritte von ihrer Tür entfernten, dann erst warf sie das Laken achtlos von sich und sprang aus dem Bett. Ihre Beine zitterten immer noch ein wenig, als sie in Pyjamashorts und ein T-Shirt schlüpfte, dann ging sie durch das Wohnzimmer in Richtung Küche.

Das Erste, was sie sah, war ein knackiger, in Denim verpackter Po, der sich ihr entgegenstreckte. Seb hatte seinen Kopf in den Kühlschrank gesteckt und begutachtete offensichtlich das vorhandene Angebot an Lebensmitteln. Er war barfuß.

Luci war so abgelenkt, dass sie fast über sein Gepäck fiel, das er neben der Couch abgestellt hatte. Da lag ein großer Seesack, über den eine braune Lederjacke gebreitet war. Ein paar derbe Stiefel und ein Motorradhelm komplettierten das eigentümliche Stillleben. Alle Gegenstände waren von einer rotbraunen Staubschicht überzogen.

Sie stellte sich ans hintere Ende des Esstischs, um ein wenig Distanz zu Seb zu gewinnen. Auch wenn er umwerfend gut aussah und angeblich mit dem Besitzer des Apartments verwandt war, war sie noch nicht ganz von seiner Harmlosigkeit überzeugt. Falls sich herausstellte, dass er log, war es besser, Abstand zu halten. Sie verfolgte jede seiner Bewegungen, stets bereit, einen rekordverdächtigen Sprint in Richtung Haustür zu absolvieren.

Inzwischen hatte er das schwarze T-Shirt wieder übergestreift, und der Blick auf seine Bauchmuskeln blieb ihr verwehrt. Wie schade!

In diesem Moment tauchte er aus dem Kühlschrank auf und hielt zwei Bierflaschen in den Händen.

„Wollen Sie auch eins?“, fragte er und streckte ihr eine der Flaschen entgegen.

Luci lehnte ab.

Seb stellte ein Bier wieder zurück und schloss die Kühlschranktür. Dann öffnete er seine Flasche und nahm einen tiefen Zug. Er ließ Luci dabei nicht aus den Augen, aber er tat es offenbar nicht aus Nervosität, sondern aus unverhohlenem Interesse an ihr. Er ging zum Tisch, zog einen der Stühle hervor und setzte sich. Mit einem zufriedenen Seufzer streckte er die langen Beine aus.

Er blickte zu Luci hoch. „Und, holde Prinzessin? Verratet Ihr mir Euren werten Namen?“

„Luci.“

„Luci“, wiederholte er und zog das „u“ genüsslich in die Länge. Das klang schön.

„Wo steckt mein großer Bruder denn nun? Und warum lässt er Sie hier allein in meinem Bett zurück?“

Luci musste schlucken. Sein Bett? Klar, es war sein Zimmer, also auch sein Bett. Diese Feststellung verursachte ein wohliges Gefühl in ihr, das langsam von ihrem Bauch in tiefere Regionen wanderte.

„Ich dachte, das hier ist ein Gästezimmer. Ich hatte keine Ahnung, dass es noch einen Bewohner gibt.“

Eines war absolut sicher: Callum hatte seinen Bruder mit keinem Sterbenswörtchen erwähnt. Aber streng genommen hatte sie auch nie wirklich mit ihm gesprochen. Dieses Detail behielt sie für sich, denn das hätte auf Seb sicher ziemlich merkwürdig gewirkt. Die Sekretärin ihres Vaters hatte die Wohnungstauschgeschichte organisiert. Luci selbst hatte mit Callum nur per E-Mail kommuniziert. Eigentlich war geplant gewesen, ihn bei der Schlüsselübergabe persönlich zu treffen, aber er hatte Sydney überraschend früher verlassen müssen und dann einfach den Schlüssel für sie unter einem Blumentopf nahe dem Eingang zum Apartment hinterlegt.

Die Anwesenheit von Seb stellte Luci vor eine völlig neue Situation. War der Wohnungstausch damit hinfällig? Würde Seb sie höchstpersönlich vor die Tür setzen?

„Also, wo steckt er?“ Als sie nicht sofort antwortete, setzte er augenzwinkernd nach: „Ich glaube, ich muss mich vor Ihnen in Acht nehmen. Ich habe den starken Verdacht, dass er irgendetwas getan hat, um Sie zu verärgern, und dann haben Sie ihn um die Ecke gebracht und anschließend im Hafenbecken versenkt.“

Luci musste lachen. Gleichzeitig fragte sie sich, mit welcher Art von Frauen Seb Umgang pflegte, dass er auf solche Gedanken kam. „Ich kann Sie beruhigen. Er ist in Vickers Hill.“

„Richtig, den Namen haben Sie bereits eben erwähnt. Wo ist das genau?“ Er zog wieder die rechte Augenbraue hoch, und Luci fragte sich, ob er auch die linke unabhängig von der anderen bewegen konnte. Diese alberne Überlegung brachte sie so aus dem Konzept, dass sie fast seine Frage vergaß.

„Südaustralien. Im Clare Valley“, erklärte sie und setzte betont geschäftig Teewasser auf. Dann nahm sie eine große Tasse aus dem Geschirrschrank und legte den kleinen Gazebeutel mit den grünen Teeblättern bereit.

Seb nahm noch einen Schluck von seinem Bier. „Und was hat ihn dorthin verschlagen?“

„Er wird dort in einer Arztpraxis arbeiten. Es ist Teil seines Forschungsprojekts zum Thema medizinische Versorgung in ländlichen Gegenden.“ Sie erwähnte bewusst nicht, dass Callum dort auch ihrem Vater zur Hand ging. Wenn Callum seinen Bruder nicht über seine Pläne informiert hatte, gab es sicher einen triftigen Grund dafür. Sie dachte an Sebs staubiges Gepäck und fragte sich, wo er wohl gerade hergekommen war. In der ganzen Wohnung hatte es keinen Hinweis auf ihn gegeben. Sein Zimmer wirkte unbewohnt und hatte keinerlei persönliche Note. Lediglich die wenigen Kleider im Schrank des vermeintlichen Gästezimmers waren wohl sein Eigentum. Luci hatte angenommen, dass sie ebenfalls Callum gehörten.

„Das erklärt, warum Cal in Vickers Hill ist. Aber warum sind Sie hier?“, wollte Seb wissen.

„Wir haben die Wohnungen getauscht.“ Luci hängte den Teebeutel in ihre Tasse und goss kochendes Wasser darüber.

Autor

Emily Forbes
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