Nachts lockt das Verlangen

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Um zu verhindern, dass der eiskalte Milliardär Lucas Demarco das Sorgerecht für seine verwaiste Nichte bekommt, ist Devin zu allem bereit. Sogar dazu, auf sein Anwesen zu ziehen. Sie ist sich sicher, dass Lucas nur hinter den Firmenanteilen her ist, die das Mädchen geerbt hat. Doch warum fühlt sich Devin trotzdem so zu ihm hingezogen?


  • Erscheinungstag 08.05.2020
  • ISBN / Artikelnummer 9783733726539
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

Als Amelia endlich schlief, ging Devin Hartley durch das Wohnzimmer ihres Cottages, das am Ufer des Puget Sounds lag, und sammelte Plastikspielzeug, Decken und verschiedene Bücher und Zeitschriften auf, die überall verstreut waren.

Seit Amelia letzten Monat zu krabbeln begonnen hatte, zog sie sich auch an den Möbeln hoch und hatte sogar den ein oder anderen wackligen Schritt getan, während sie sich an ein Möbelstück klammerte. Und so hatte Devin den unteren Meter des Cottages babysicher gemacht. Trotzdem sah es meistens schon gegen Mittag wie in einer Kriegszone aus.

„Alles ruhig?“ Die Stimme ihrer Nachbarin Lexi war sanft, als sie vorsichtig die Fliegengittertür der Veranda öffnete.

Devin lächelte und winkte Lexi herein. Die Frau war Anfang vierzig und hatte drei erwachsene Kinder, die alle in anderen Staaten lebten, entweder aufs College gingen oder arbeiteten.

Lexi hatte ihren Mann vor sechs Jahren bei einem Bootsunfall verloren. Und es waren ihr Verständnis und ihr Mitgefühl gewesen, die Devin über die schrecklichen ersten Wochen nach dem Flugzeugabsturz von Monica und Konrad hinweggeholfen hatten.

„Hast du letzte Nacht wenigstens ein bisschen Schlaf bekommen?“, fragte Lexi und schloss die Fliegengittertür hinter sich.

„Sechs Stunden am Stück“, protzte Devin mit einem zufriedenen Lächeln. Schlaf war dieser Tage eine Seltenheit.

Lexi bückte sich, um ein paar Spielsachen aufzuheben, und verstaute sie in der bunten Holzkiste in einer Ecke des Zimmers.

Die Einrichtung war wirklich nicht spektakulär – zwei burgunderfarbene Sessel, ein gestreiftes Sofa und verschiedene nicht zusammenpassende Tischchen und Lampen. Der kleine gemauerte Kamin war seit Jahren nicht benutzt worden, wohingegen der rosenfarbene Teppich deutliche Abnutzungsspuren zeigte.

Aber es war sauber und gemütlich, und Devin liebte ihr kleines Cottage. Für Amelia war es der perfekte Ort zum Spielen, und wenn etwas Dreck und Sand vom Ufer hereingetragen wurden, kümmerte es niemanden.

„Hast du Zeit für einen Tee?“, fragte Lexi.

„Absolut.“ Devin hoffte, dass Amelia wenigstens eine Stunde lang schlafen würde.

„Irgendwas Neues zur Vormundschaft?“

„Nur, dass ich mich vor der Anhörung fürchte.“ Devin seufzte und warf die letzten Klötzchen in die Kiste. „Ich verstehe nicht, warum wir die Dinge nicht einfach so lassen können, wie sie sind.“

In weniger als zwei Monaten würde die Anhörung über die endgültige Vormundschaft für Amelia stattfinden, aber plötzlich hatte Lucas Demarco beschlossen, dass er auch die vorläufige Vormundschaft wollte. Schon kommende Woche war der Gerichtstermin.

„Du weißt, warum er das tut.“ Lexi zog eine Augenbraue hoch. „Um nah an Amelia dranzukommen.“

Devin nickte. „Das ist noch mein großer Vorteil ihm gegenüber.“

„Soll er’s doch versuchen.“ Lexi ging hinüber in die Küche. „Er ist nicht gerade zum Vater sein geschaffen.“

Sie hatten beide die Zeitungsartikel über ihn gelesen, die ihn als kaltblütigen Geschäftsmann, attraktiven Jet-Setter und Junggesellen darstellten. Für jeden mit auch nur einem Funken Verstand war es offensichtlich, dass Lucas sich nur für Amelia interessierte, weil sie Firmenanteile von Pacific Robotics geerbt hatte. Wenn er die Vormundschaft bekam, kontrollierte er die Firmengeschicke.

Eigentlich vertraute Devin darauf, dass jeder Richter das durchschauen würde. Nur manchmal, mitten in der Nacht, wenn ihr Selbstvertrauen sank und das Leben sie einfach zu überwältigen schien, fürchtete sie, Lucas könne den Fall gewinnen und ihr Amelia wegnehmen.

Es klopfte an der Haustür.

Lexi spähte aus der Küche ins Zimmer, die Augenbrauen hochgezogen. Niemand klopfte hier an eine Tür. Jeder aus der Nachbarschaft kam über die Veranda. Wer förmlich sein wollte, rief hallo.

Leicht befangen, da sie ein ausgewaschenes T-Shirt und abgetragene Jeans anhatte und dazu noch barfuß war, ging Devin zur Tür. Sie warf einen Blick durch das schmale rechtwinklige Fenster. Der Mann an der Vordertür kam ihr vage vertraut vor. Sie zog die Tür halb auf, während sie versuchte, sich zu erinnern.

Er war ungefähr einen Meter fünfundsiebzig groß, hatte mittellanges rotblondes Haar. Er trug einen dunklen Anzug und ein gestreiftes blassblaues Hemd, eine dunkelblaue Krawatte. Er wirkte wie Mitte dreißig, obwohl sein rundes Gesicht ihm den Ausdruck des ewigen Jungen verlieh.

„Kann ich Ihnen helfen?“ Sie sprach leise, um Amelia nicht zu wecken.

Der Mann streckte eine Hand aus und zeigte ein Vertreterlächeln. „Steve Foster. Wir haben uns bei Konrads und Monicas Hochzeit kennengelernt.“ Das Lächeln verschwand. „Erlauben Sie mir, Ihnen mein Beileid auszudrücken.“

„Danke“, erwiderte Devin automatisch und nahm seine Hand.

Natürlich. Steve Foster. Konrads Cousin. Sie zog ihre Hand zurück und presste die Lippen zusammen.

„Ihnen auch mein herzliches Beileid“, sagte sie, obwohl sie die gesamte Demarco-Familie für den Tod ihrer Schwester verantwortlich machte. Wenn nicht alle in dieser Familie so gierig und misstrauisch wären, hätten sie nicht so panisch auf Amelias Erbe reagiert. Konrad hätte nicht so verzweifelt versucht, Monica zurückzugewinnen, und Monica wäre niemals in dieses Flugzeug gestiegen.

„Ich hoffe, ich störe Sie nicht“, fuhr er freundlich fort.

„Gibt es etwas, das Sie von mir brauchen?“ Ihr Tonfall war kühl, und sie konnte hören, wie Lexi hinter ihr näherkam, vermutlich, um die Situation einzuschätzen.

„Ich bin hier, um mich im Namen meiner Familie zu entschuldigen“, sagte er. „Mir ist zu Ohren gekommen, dass Lucas Sie schikaniert.“

Devin wusste nicht, was sie darauf erwidern sollte. Lucas war der Fluch, der auf ihrem Leben lag. Aber wofür Steve sich nun genau entschuldigte, erschloss sich ihr nicht.

Hinter ihr pfiff der Teekessel, und Lexis Schritte entfernten sich.

„Ich habe gerade erst von der Anhörung zur vorläufigen Vormundschaft erfahren.“

Das verriet ihr immer noch nicht, warum er hier war.

Steve räusperte sich. „Würde es Ihnen sehr viel ausmachen, wenn ich …“ Er deutete ins Cottage. „Ich möchte Ihnen ein Angebot machen.“

„Ich bin nicht interessiert“, sagte Devin. Sie traute keinem aus dieser Familie über den Weg, insbesondere nicht, wenn er freundlich tat.

„Ich würde Lucas’ Verhalten gern wiedergutmachen.“

Devin versuchte den Ausdruck in seinen blassen blauen Augen zu deuten. „Warum?“

Er gab sich zerknirscht. „Weil er Sie schlecht behandelt. Er hat fünf extrem teure Anwälte auf den Fall angesetzt. Ich kenne diese Kerle, und ehrlich gesagt, Devin, Sie haben keine Chance.“

Kalte Furcht ergriff sie. Aber dazu mischte sich auch Misstrauen. Auf der ganzen weiten Welt gab es keinen Grund für Steve, sie vor Lucas zu warnen.

„Was wollen Sie?“, fragte sie.

„Nur, was ich Ihnen bereits gesagt habe.“ Er erwiderte ihren Blick geradeheraus und ohne zu blinzeln. Wenn er Theater spielte, war er ein verdammt guter Schauspieler.

Sie gestattete sich, zu erwägen, dass er es ehrlich meinte. „Warum sollte Sie das kümmern?“

„Es kümmert mich, weil ich ein anständiger Mensch bin. Und ich will mehr tun, als Sie zu warnen. Ich bin hier, um Ihnen die Dienste einer erstklassigen Anwaltsfirma anzubieten. Bernard und Botlow stehen auf meiner Gehaltsliste, und Sie dürfen sie gern für Ihre Zwecke bei der Anhörung nächste Woche einsetzen. Kostenlos selbstverständlich.“

Devin blinzelte.

Lexi trat neben sie und zog die Tür weiter auf. „Wo ist der Haken?“

Als er Lexi erblickte, bekam Steves freundliche Maske einen winzigen Riss. „Hallo. Und Sie sind?“

„Eine Freundin von Devin.“

„Macht es Ihnen etwas aus, wenn ich für einen Moment hereinkomme?“

„Das Baby schläft“, sagte Devin.

„Ich werde leise sein.“ Er wartete, nickte Lexi zu. „Ich bin nur hier, um rechtlichen Beistand anzubieten, mehr nicht. Sie können die Anwaltsfirma überprüfen und die Anwälte. Sie haben einen ausgezeichneten Ruf, und ich werde in keiner Weise in den Fall verwickelt sein.“

Er sah Devin an. „Mein Cousin behandelt Sie nicht fair. Er hat die Karten zu seinen Gunsten gemischt, und ich will einfach nur für Chancengleichheit sorgen.“

Devin dachte nicht gern über Steves Cousin Lucas nach. Er war durch und durch ein Demarco. Und das bedeutete, er war verheerend attraktiv, sexy, selbstsicher und mächtig. Die Mischung hätte abschreckend sein sollen. Sie war abschreckend. Aber eben auch erregend, wie in einem Reflex, einer Art Urinstinkt, und Devin musste sich selbst davor schützen, sich sexuell von diesem Mann angezogen zu fühlen, der mit jedem Tag bedrohlicher wurde.

Sie dachte an ihre überarbeitete Anwältin in Beach Drive. Hannah war wundervoll. Sie war klug und arbeitete hart, und sie hatte ihr Honorar für diesen Fall beträchtlich gesenkt. Aber sie war eben nicht auf Familienrecht spezialisiert.

„Sie können drinnen immer noch nein sagen“, gab Steve zu bedenken.

Devin warf Lexi einen kurzen Blick zu. Die zuckte fast unmerklich mit den Schultern, und Devin entschied, es zu riskieren. Mit einem hatte Steve immerhin recht. Sie konnte sein Angebot ebenso gut in ihrem Wohnzimmer ablehnen wie an der Tür.

Lucas wusste, dass er sich moralisch gesehen auf dünnem Eis bewegte, wenn er Steves Autofahrten anhand des LoJack-Systems verfolgte, das eigentlich dazu da war, das Auto im Falle eines Diebstahls wieder aufzuspüren. Aber als das System bei Lake Westmire eine halbe Stunde lang abgeschaltet blieb, bestätigte das seinen Verdacht und rechtfertigte somit auch sein Vorgehen.

Er verließ das Herrenhaus durch den Vordereingang und überquerte die Einfahrt zur Garage, die seinen pechschwarzen Bugatti beherbergte.

Die eigentlich einstündige Fahrt verkürzte er auf vierzig Minuten, in denen er auch, laut der Radaranzeige, Steves Porsche kreuzte, der die Interstate in der entgegengesetzten Richtung, südlich von Seattle, entlangfuhr. Das GPS führte ihn über die kurvige Küstenstraße zielsicher bis zum Kiesweg der Einfahrt hinter einem kleinen weißen Cottage, das am Ufer des Puget Sounds lag.

Er stellte den Motor ab und stieg aus.

Wenige Stufen führten auf eine niedrige Veranda, die rund um das Cottage herumlief und hinten hinaus auf den Sund zeigte. Auf der Vorderseite war eine blaue Tür. Er klopfte.

Nach ein paar Minuten spähte Devin durch das kleine Fenster und runzelte die Stirn, bevor sie öffnete.

„Lucas?“ Sie blickte nach allen Seiten, doch wonach sie Ausschau hielt, blieb ihm unklar, nur dass sie von seiner Anwesenheit offensichtlich überrascht war, zeigte sich deutlich.

„Was wollte er?“, fragte er ohne Einleitung. Ein direkter Angriff würde sie am ehesten aus dem Gleichgewicht bringen.

„Wie bitte?“

„Steve“, fuhr er fort und drängte sich in den schmalen Spalt zwischen Tür und Hauswand.

Reflexartig trat Devin einen Schritt zurück, öffnete die Tür dadurch noch weiter. „Ich habe keine Ahnung, wovon Sie sprechen.“

Lucas lehnte sich gegen die gelb gestrichene Wand in dem kleinen Flur, ließ nicht mal einen halben Meter Platz zwischen ihnen. Ihre offensichtliche Lüge enttäuschte ihn. Aber was wusste er schon über sie?

„Steve war hier“, stellte er fest.

Sie schwieg.

„Ist das Ihre Art, dieses Spiel zu spielen?“, hakte er nach. „Werden Sie mir weiter in die Augen sehen und lügen?“

Für einen Moment schien ihr Gesichtsausdruck sie zu verraten, doch dann blinzelte sie, ihre langen Wimpern verdeckten ihre tiefblauen Augen, verbargen ihre Gefühle. „Was wollen Sie hier?“

„Sagen Sie mir, was er wollte. Hat er Ihnen geschmeichelt? Versucht, einen Deal zu machen?“ Wenn er Steves Taktik kannte, konnte er ihn besser bekämpfen.

„Was Sie da sagen, macht keinerlei Sinn.“

Er starrte sie an. „Ich habe sein Auto gesehen.“

„Sie haben mich ausspioniert?“

„Nein.“ Er hatte Steve nachspioniert. „Habe ich nicht. Aber ich weiß, dass er hier war, und ich will wissen, was er Ihnen erzählt hat.“

Eine Fabrik in Südamerika zu eröffnen, war keine Entscheidung, die man auf die leichte Schulter nehmen konnte. Steve würde ihr ein rosarotes Bild von den möglichen Profiten gemalt und dabei alle Risiken beschönigt haben. Es machte Lucas verrückt, dass er seine Unternehmensstrategie vor einer Frau rechtfertigen sollte, deren einzige Geschäftserfahrung darin bestand, ihre banalen Selbsthilfebücher für die Verzweifelten zu signieren.

Devin schüttelte den Kopf, und ihr kurzes, dunkles Haar schwang leicht hin und her. „Das geht Sie nichts an.“

Lucas spürte, wie sein Blutdruck in die Höhe schoss. „Sie geben also zu, dass er hier war.“

„Das geht Sie ebenfalls nichts an.“

„Verdammt, Devin“, fluchte er.

Von drinnen ertönte der Schrei eines Babys.

Devin schlug mit der Hand gegen die Tür. „Sehen Sie, was Sie jetzt angerichtet haben?“

Amelia war hier.

Natürlich war Amelia hier. Sie lebte hier.

Devin drehte sich auf dem Absatz um und stürmte barfuß Richtung Wohnzimmer, ausgewaschene Jeans umschmeichelten ihren gut geformten Po. Lucas nutzte den Moment, schloss die Tür und folgte ihr ins Haus. Er würde nicht ohne Antworten von hier fortgehen.

Devin kehrte mit Amelia über der Schulter ins Wohnzimmer zurück, das Baby war rot im Gesicht, plärrte und sah verheult aus. Mit einer Hand streichelte sie den Rücken des Babys, während sie Lucas anfauchte. „Danke vielmals.“

„Ich wusste doch nicht, dass sie geschlafen hat.“

„Es ist drei Uhr nachmittags. Was haben Sie denn gedacht?“

Er hatte keine Ahnung, und Ratespielchen erschienen ihm sinnlos. „Erzählen Sie mir einfach, was Steve gesagt hat.“

Amelia schrie noch lauter, und Devin begann, sie hin und her zu wiegen. „Sie haben wirklich Nerven, Lucas Demarco. Stürmen hier rein …“

„Steve hat die Nerven. Schleicht hinter meinem Rücken herum.“

Sie wurde ganz ruhig. „Er hat mir Hilfe angeboten.“

Lucas lachte kalt auf. „Steve hat noch nie in seinem Leben irgendwem geholfen.“

Amelia kreischte, brachte sein Trommelfell beinahe zum Platzen. Er warf ihr einen genervten Blick zu. „Können Sie nicht irgendwas tun, damit …“ Zu seinem Entsetzen drückte Devin ihm das Baby gegen die Brust. Automatisch griff er nach dem Kind, hielt es unter den Achseln fest, sodass es in sicherer Entfernung von seinem sauberen Anzug in der Luft hing. „Was zum …“

„Versuchen Sie es“, sagte Devin.

Amelia sah ihn nur ein einziges Mal an und riss den Mund zu einem Brüllen auf. Sie presste die Augen zu, Tränen liefen über ihre Wangen, und ihr Gesicht wurde röter und röter, je lauter sie brüllte.

Devin verschwand Richtung Küche.

„Wo gehen Sie hin?“, rief Lucas ihr hinterher, beschämt von dem hohen Quietschen, das sich dabei in seine Stimme schlich.

„Ihr Fläschchen holen.“

„Aber …“ Das Baby wand sich in seinem Griff, doch er fürchtete sich davor, es näher an sich zu halten. Amelias Nase lief, und ihr Kinn war mit glänzendem Speichel beschmiert.

Er trug einen maßgeschneiderten Anzug, Herrgott nochmal.

Plötzlich hörte sie auf zu heulen. Sie versteifte sich. Ihr Gesicht nahm einen verkniffenen Ausdruck an, und ein fürchterliches Grummeln ertönte in ihrem kleinen Körper. Bei dem Gestank, der darauf folgte, musste er sich fast übergeben. Er atmete flach durch den Mund und blickte sich hektisch nach einem Platz um, an dem er sie ablegen konnte.

Zum Glück kam Devin aus der Küche zurück.

„Braves Mädchen“, gurrte sie, während sie ihn wütend anstarrte und ihm das Baby wieder abnahm. Sie hielt es fest und zuckte angesichts des Gestanks nicht einmal zusammen.

Lucas trat einen großen Schritt zurück, bewunderte still Devins Standhaftigkeit.

„Brauchst du eine neue Windel, Süße?“, fragte sie das Baby.

Ausräucherung wäre eher das Mittel der Wahl, dachte er. Doch als Devin Amelia auf den Boden legte und nach einer blauen Windeltasche griff, war alles, woran er noch denken konnte, Flucht.

Er hechtete zu einem offen stehenden Fenster.

„Würden Sie ihr gern die Windel wechseln?“, fragte Devin mit zuckersüßer Stimme.

Lucas schluckte. Die Male, die ihn jemand sprachlos gemacht hatte, konnte er an den Fingern einer Hand abzählen.

„Da Sie das alleinige Sorgerecht wollen“, fuhr Devin fort, „sollten Sie vielleicht etwas Übung bekommen.“

„Sie wird ein Kindermädchen haben“, argumentierte er.

Devin zog Amelia das rosa Strampelhöschen aus und darunter kam eine weiße Windel zum Vorschein. „Sie haben nicht vor, ihre Windeln zu wechseln?“

Lucas wandte sich ab, blickte hinaus über den grünen Hang bis hin zum stillen Wasser des Puget Sounds. Am Steg von Devins Nachbar lag ein schnittiges Rennboot. Entlang der Küstenlinie zogen sich ein paar Dutzend Häuser mit gepflegten Gärten, die Hügel dahinter waren von Tannen bedeckt. Eigentlich war es hier wirklich schön.

„Lucas?“ Devins Stimme riss ihn aus seinen Betrachtungen.

„Ich denke nicht, dass das nötig sein wird“, sagte er. Es gab einen guten Grund für die Erfindung von Kindermädchen.

„Tolles Mädchen“, gurrte Devin, und Lucas wagte es, wieder ins Zimmer zu schauen, wo Amelia auf ihren pummeligen bloßen Füßen stand und sich an Devins Haaren festkrallte.

Devin packte die Wickelunterlage weg und reichte Amelia ein Fläschchen mit Saft. Das Baby setzte sich prompt auf seine neue Windel und steckte das Fläschchen in den Mund.

„Warum wollen Sie das Sorgerecht?“, fragte Devin, während sie aufstand, sich mit der Hand über die Rückseite strich und die von Amelia zerzausten Haare mit den Fingern glättete. Ihr T-Shirt war zerknittert und mehrere feuchte Flecken überzogen die Vorderseite. Kein Wunder, dass sie einfache, zweckdienliche Kleidung bevorzugte. Er mochte sich kaum vorstellen, welche verheerenden Schäden Amelia auf Leinen und Seide anrichten würde.

Doch die einfache Kleidung konnte die umwerfende Gestalt darunter nicht verbergen. Sie war klein, etwas über einssechzig vielleicht. Dass sie keine Absätze trug, ließ sie noch kleiner erscheinen. Aber ihre Beine waren schlank und durchtrainiert, ihre Taille war schmal und die runden Brüste standen in perfekter Proportion zu allem anderen.

Er wusste nicht, was sie tat, um sich fit zu halten, aber es lohnte sich.

„Sie scheinen sich nicht besonders für Amelia zu interessieren“, fuhr Devin fort.

„Sie ist eine Demarco.“

„Und?“

„Und so habe ich eine Verantwortung …“

„Können Sie nicht wenigstens ehrlich sein?“

„Ich bin ehrlich.“ Er schuldete es seinem Bruder, für Amelias Sicherheit zu sorgen.

„Sie wollen ihre zehn Prozent von Pacific Robotics, Lucas, die Mehrheitsbeteiligung. Amelia als Person kümmert Sie doch kein bisschen.“

„Da irren Sie sich gewaltig.“

„Ich tue, was immer Sie für das Unternehmen wollen“, schwor sie. „Ich verspreche, mich nicht einzumischen.“

Er wünschte sich, er könnte ihr glauben. „Was wollte Steve?“

„Das kann ich Ihnen nicht sagen.“

Lucas hob die Arme. „Ich weiß, was er gesagt hat.“ Er würde ihr einen Deal angeboten haben. Wenn sie die Vormundschaft über Amelia gewann, würde Steve ihr die Unterstützung seiner Expansionspläne nach Südamerika vergolden.

„Warum fragen Sie mich dann?“

„Ich wollte wissen, ob ich Ihnen vertrauen kann.“

„Sie lügen. Sie werden mir nie vertrauen. Sie wollten Informationen, die Sie gegen mich verwenden können.“ Sie stand dicht vor ihm.

Alles, was er gewollt hatte, waren Informationen, die er gegen Steve hätte verwenden können. „Ich sehe schon, das hier bringt uns nicht weiter.“

„Ich bin Ihnen weit voraus, Lucas. Ich weiß seit Wochen, dass wir uns nicht näherkommen werden.“

Er blickte in ihre kristallblauen Augen, konnte sich nicht dagegen wehren, ihre dunklen Wimpern zu bemerken, ihre geschwungenen Brauen, die zierliche Nase, ihre bogenförmigen Lippen und die sahnig glatte Haut. Sie war eine wunderschöne Frau. Ebenso war sie temperamentvoll und leidenschaftlich, was sie zu einer frustrierenden Gegnerin machte.

Aber er hatte schon zuvor frustrierende Gegner besiegt. Und er würde auch diesen Kampf gewinnen. Sie mochte wissen, wie man eine Windel wechselte, aber Amelia brauchte mehr als Umarmungen und einen sauberen Hintern. Sie war eine Demarco. Eines Tages würde sie einen bedeutenden Anteil eines Unternehmens kontrollieren, das Hunderte von Millionen von Dollar schwer war.

2. KAPITEL

Devin war mehr als zufrieden mit dem Anwalt, den Steve ihr für die Anhörung über das einstweilige Sorgerecht gestellt hatte. Der Mann brachte seine Punkte ebenso präzise wie eloquent vor, beschrieb Devins enge Beziehung zu Amelia. Wie sie schon bei deren Geburt anwesend gewesen war, dass Amelia bei ihr gelebt hatte, seit sie aus dem Krankenhaus gekommen war.

Er legte Aussagen von Freunden und Nachbarn vor, die bezeugten, dass Devin eine gute Mutter war, dass sie ein Kinderzimmer für Amelia eingerichtet und stets für deren Gesundheit und Wohlergehen gesorgt hatte.

Dagegen setzte er dann Lucas’ mangelnde Erfahrung in der Kindererziehung, seinen Plan, eine Nanny einzustellen, statt sich selbst um das Kind zu kümmern, sowie die Tatsache, dass er seit ihrer Geburt kaum Zeit mit Amelia verbracht hatte. Natürlich wäre die Sicherheit eines Kindes aus einer derart reichen Familie zu bedenken, gab er schließlich zu, aber es gäbe viele Möglichkeiten, für ihre Sicherheit zu sorgen.

Devin musste sich eingestehen, dass sie nie über die Gefahr einer Entführung nachgedacht hatte. Passierte so etwas überhaupt noch?

Ihrer Meinung nach hatte der Anwalt hervorragende Arbeit geleistet, sie war sicher gewesen, dass sie die Anhörung gewinnen würden. Doch dann, in der letzten Sekunde, hatte sich Lucas’ Anwalt an die Richterin gewandt.

Er räumte Devins enge Beziehung zu Amelia ein, sprach über die Seriosität ihres Berufes als Autorin von Selbsthilfebüchern, dann schlug er das vor, was er einen Kompromiss nannte: Beide, sie und Amelia, sollten vorübergehend im Anwesen der Demarcos einziehen. So könnte Amelia weiterhin in Devins Nähe bleiben und gleichzeitig die Sicherheit genießen, die nur die Demarco-Familie ihr geben konnte.

Lucas’ selbstgefälliger Gesichtsausdruck verriet Devin, dass er das alles von Anfang an geplant hatte.

Sie öffnete schon den Mund, um zu protestieren, aber sie wusste, dass es keinen Ausweg gab. Jeder Einwand, den sie vorbrächte, würde sie unvernünftig klingen lassen. Sie konnte die moralischen Vorteile, die sie Lucas gegenüber hatte, nicht aufs Spiel setzen, da dieselbe Richterin wie heute auch über die endgültige Vormundschaft entscheiden würde. Und allem Anschein nach schlug Lucas eine vernünftige Lösung vor.

„Ms. Hartley?“, fragte die Richterin, während sie schon die Hand nach dem Hammer ausstreckte.

Devins Anwalt ergriff das Wort. „Wir können diese Unterbrechung von Amelias Alltagsroutine nicht akzeptieren. Sie hat bereits ihre Mutter verloren. Ms. Hartleys Haus ist das einzige Heim, das sie je gekannt hat.“

Die Richterin blickte Devin an. „Sie sind Autorin? Sie arbeiten zu Hause?“

Devin hatte keine Wahl, sie musste nicken.

„Haben Sie noch weitere Kinder?“

Devin schüttelte den Kopf.

„Lehnen Sie es ab, einen Kompromiss zu schließen?“

Als nächstes würde die Richterin wissen wollen, warum sie die Gewährleistung von Amelias Sicherheit ablehnte. Devin kapitulierte und schüttelte den Kopf.

Die Richterin schlug mit dem Hammer auf ihr Pult. „Somit wird es beschlossen. Das vorläufige Sorgerecht geht an Ms. Hartley, unter der Voraussetzung, dass sie und das Kind im Haus der Demarcos wohnen. Mr. Demarco erhält das unbeaufsichtigte Umgangsrecht. Sir, ich gehe davon aus, dass Sie die nötigen Sicherheitsmaßnahmen veranlassen?“

„Selbstverständlich, Euer Ehren.“ Lucas nickte.

Der Anwalt beugte sich zu Devin. „Tut mir leid.“

Sie schüttelte den Kopf. „Das konnten Sie unmöglich kommen sehen.“

„Lucas ist ein hervorragender Stratege.“

„Bei uns nennt man das hinterhältig“, spottete Devin.

„Bei uns auch.“ Er verstaute die Fallordner in seinem Aktenkoffer. „Aber es funktioniert.“

„Allerdings“, stimmte sie ihm zu. Und sie konnte nur sich selbst die Schuld geben. Sie hatte Lucas unterschätzt. Das würde nie wieder vorkommen.

„Devin?“ Lucas kam quer durch den Gerichtssaal zu ihr herüber, sein Schatten legte sich über sie.

„Du bist wirklich unglaublich“, sagte sie, während sie nach ihrer Tasche griff und den Stuhl zurückschob.

„Das hat man mir schon öfter gesagt.“

„Du hast mich in die Ecke gedrängt.“

„Ja, habe ich.“

„Du spielst nicht ehrlich.“

Er zwinkerte nicht einmal. „Nur wenn es wichtig ist.“

„Warum habe ich das Gefühl, dass es sehr wichtig ist?“

„Weil ich nur spiele, um zu gewinnen.“

„Das hier ist kein Spiel, Lucas.“ Es ging um die Zukunft eines kleinen Mädchens. Amelia war keine Schachfigur, die nach dem Belieben der Erwachsenen in ihrem Leben herumgeschubst werden konnte.

Er schwieg, und sein Blick wurde hart, als fände er ihre Offenheit anstößig. „Genau deswegen ist es wichtig.“ Er pochte mit den Fingerknöcheln auf die Tischplatte. „Wie lange brauchst du, um zu packen?“

Sie stand auf und wünschte sich, sie hätte sich für höhere Absätze entschieden. Er war gut über eins achtzig groß, und alles an ihm drückte Stärke und Macht aus.

„Du meinst, wie viele Tage?“, fragte sie sarkastisch und dachte eher an Wochen.

„Ich meinte, wie viele Stunden.“

Sie musterte ihn. Er scherzte nicht.

Autor

Barbara Dunlop
<p>Barbara Dunlop hat sich mit ihren humorvollen Romances einen großen Namen gemacht. Schon als kleines Mädchen dachte sie sich liebend gern Geschichten aus, doch wegen mangelnder Nachfrage blieb es stets bei einer Auflage von einem Exemplar. Das änderte sich, als sie ihr erstes Manuskript verkaufte: Mittlerweile haben die Romane von...
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