Perlen für die Herzogin

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In tiefster Verzweiflung glaubt Danielle, nur einen Ausweg zu haben: Obwohl sie ihren stolzen Gemahl Rafe, Duke of Sheffield, verzehrend liebt, muss sie ihn freigeben. Denn ein bitteres Geheimnis bedrückt sie so sehr, dass sie unter dieser Last fast zerbricht. Nie wagte sie es, sich Rafe anzuvertrauen, und als sie sich auch noch in ein Gespinst aus Lügen verstrickt, scheint eine gemeinsame glückliche Zukunft aussichtslos. Heimlich verlässt sie das Schloss und gerät in die Hände von skrupellosen Entführern. Wird Rafe sie retten, obwohl sie ihn so sehr enttäuschte?


  • Erscheinungstag 17.05.2022
  • Bandnummer 62
  • ISBN / Artikelnummer 9783751511476
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

London, Mai 1806

Es ist doch wirklich ein Jammer …“ Cornelia Thorne, Lady Brookfield, stand im prächtigen Ballsaal des Chesterfield Hotels. „Sieh nur, wie er mit ihr tanzt – völlig gelangweilt. Sie ist ja auch ein unscheinbares Ding … und ganz in Ehrfurcht vor dem Duke erstarrt.“

Miriam Saunders, die Duchess of Sheffield, hob ihr Augenglas, um ihren Sohn Rafael, den Duke of Sheffield, zu betrachten. Miriam und ihre Schwester Cornelia besuchten mit Rafael und seiner Verlobten, Lady Mary Rose Montague, einen Wohltätigkeitsball, dessen Erlös der Londoner Gesellschaft für Witwen und Waisen zugutekommen sollte.

„Das Mädchen ist doch ganz reizend“, wandte die Duchess ein. „Blond und zierlich. Sie ist einfach ein wenig schüchtern.“ Ihr Sohn, der Duke, war ein hochgewachsener, dunkelhaariger Mann, dessen Augen noch blauer waren als die seiner Mutter. Er war zudem ein unglaublich gut aussehender Mann, der mit seiner kraftvollen Ausstrahlung die junge Frau, die er sich zur Braut erwählt hatte, förmlich zu erdrücken schien.

„Zugegeben, sie ist hübsch …“, erwiderte Cornelia, „… auf ihre blasse, makellose Weise. Trotzdem ist es ein Jammer.“

„Rafael kommt endlich seiner Pflicht nach. Es wäre schon längst an der Zeit gewesen, dass er sich eine Frau nimmt. Und wenngleich die beiden nicht so gut zueinander passen, wie ich es mir für ihn gewünscht hätte, so ist das Mädchen doch jung und kräftig und wird ihm einige gesunde Söhne schenken.“ Aber wie ihrer Schwester entging auch Miriam nicht der leere, gelangweilte Ausdruck im Gesicht ihres Sohnes.

„Erinnerst du dich noch daran, wie er früher war?“, fragte Cornelia ein wenig wehmütig. „Voller Ungestüm und Lebenslust … und jetzt? Stets zurückhaltend und immer beherrscht. Ich vermisse den lebhaften jungen Mann, der er einmal war.“

„Menschen verändern sich nun mal, liebste Cornelia. Rafe hat sehr schmerzlich erfahren müssen, wohin ungezügelte Gefühle führen können.“

Cornelia, die sehr dünn, fast sechs Jahre älter als die Duchess und bereits ergraut war, schnaubte verächtlich. „Du denkst an den Skandal – wie könnte irgendjemand Danielle vergessen …? Sie war tatsächlich eine Frau, die es mit Rafael aufnehmen konnte. Schade, dass sie uns so sehr enttäuscht hat.“

Die Duchess warf ihrer Schwester einen warnenden Blick zu. Sie wollte nicht an die schrecklichen Ereignisse erinnert werden, die sie alle wegen Rafes früherer Verlobten, Danielle Duval, hatten durchstehen müssen.

Nach dem Ende der Musik strömten die Paare von der Tanzfläche. „Pst!“, zischte Miriam eindringlich. „Rafe und Mary Rose kommen zu uns herüber.“ Das Mädchen war einen ganzen Kopf kleiner als der Duke und mit ihrem blonden Haar, den blauen Augen und dem hellen Teint die vollkommene Verkörperung englischer Schönheit. Zudem war sie die Tochter eines Earls und verfügte über eine sehr beachtliche Mitgift. Miriam konnte nur hoffen, dass ihrem Sohn mit diesem Mädchen zumindest ein gewisses Glück beschieden war.

Rafe verneigte sich höflich und formvollendet. „Guten Abend, Mutter. Tante Cornelia.“

Miriam lächelte. „Ihr seht heute Abend beide wundervoll aus.“ Und das taten sie wirklich. Rafe trug eine graue Hose und einen marineblauen Frack, der die Farbe seiner Augen unterstrich, und Mary Rose sah in ihrem mit winzigen Rosenblüten geschmückten weißen Seidenkleid ganz bezaubernd aus.

„Vielen Dank, Euer Gnaden“, antwortete das Mädchen und machte einen artigen Knicks.

Miriam runzelte die Stirn. Täuschte sie sich, oder zitterte Mary Rose’ Hand, die sie auf Rafes Arm gelegt hatte, tatsächlich? Mein Gott, und dieses Kind würde bald eine Duchess sein! Miriam hoffte inständig, dass es ihr gelingen würde, dem Mädchen in den kommenden Monaten etwas mehr Selbstvertrauen einzuflößen.

„Möchten Sie gerne tanzen, Mutter?“, fragte Rafe höflich.

„Vielleicht später.“

„Tante Cornelia?“

Aber Cornelia sah wie gebannt zum Eingang des Ballsaals und schien in Gedanken ganz woanders zu sein. Miriam, Rafe und seine Verlobte folgten ihrem Blick.

„Wenn man vom Teufel spricht …“, murmelte Cornelia.

Miriams Augen weiteten sich ungläubig, und ihr Herz begann wild zu schlagen. Sie hatte in der korpulenten Frau, die gerade den Ballsaal betrat, sofort Flora Chamberlain, die verwitwete Countess of Wycombe, erkannt. Und nur zu gut erinnerte sie sich noch an die große, rothaarige Nichte der Countess …

Verärgert kniff Miriam die Lippen zusammen und bemerkte, dass die Miene ihres Sohnes gleichfalls von Ungläubigkeit zu Wut wechselte, wodurch die kleine Kerbe in seinem markanten Kinn sich vertiefte.

Cornelia konnte ihren Blick nicht von den neuen Gästen abwenden. „Was für eine Dreistigkeit!“

Rafes Kiefermuskeln spannten sich, aber er sagte kein Wort.

„Wer sind die beiden?“, wollte Mary Rose wissen.

Rafe ging nicht auf ihre Frage ein. Sein Blick blieb weiter auf die elegante Gestalt gerichtet, die ihrer Tante in den Ballsaal folgte. Während der letzten fünf Jahre hatte Danielle Duval zurückgezogen auf dem Land gelebt. Nach dem Skandal war sie von der besseren Gesellschaft geächtet worden und hatte die Stadt in Schande verlassen. Da ihr Vater tot war und ihre Mutter sie wegen der Vorkommnisse verstoßen hatte, war Danielle zu ihrer Tante Flora Chamberlain gezogen und bis zum heutigen Tag nicht nach London zurückgekehrt.

Die Duchess konnte sich nicht erklären, was Danielle nun wieder in der Stadt wollte oder warum sie sich ausgerechnet an einem Ort sehen ließ, wo sie so offensichtlich nicht willkommen war.

„Rafael …?“ Lady Mary Rose sah mit besorgter Miene zu ihm auf. „Was ist los?“

Rafe sah starr geradeaus. In seinen durchdringenden blauen Augen blitzte etwas auf … etwas Wildes und Leidenschaftliches, das Miriam seit bald fünf Jahren nicht mehr an ihrem Sohn wahrgenommen hatte. Dann atmete er tief durch und rang um Beherrschung.

Wieder gefasst, sah er zu Mary Rose hinunter und lächelte sie an. „Nichts, was Sie beunruhigen müsste, meine Liebe. Rein gar nichts.“ Er nahm ihre Hand und legte sie erneut auf seinen Arm. „Mir scheint, sie stimmen gerade ein Rondell an. Wollen wir tanzen?“

Ohne ihre Antwort abzuwarten, führte er sie auf die Tanzfläche. Miriam ahnte, dass es bei den beiden immer so sein würde – Rafe gab Anweisungen, und Mary Rose gehorchte ihm wie ein braves kleines Mädchen.

Die Duchess wandte ihre Aufmerksamkeit wieder Danielle Duval zu. Sie folgte ihrer Tante hoch erhobenen Hauptes durch den Saal, ließ sich nicht anmerken, dass sie die Blicke und das Getuschel durchaus wahrnahm, und bewegte sich mit der Grazie, die der Duchess gebührte, die sie einmal hätte sein sollen.

Dem Himmel sei Dank, dass ihr wahrer Charakter zum Vorschein kam, noch bevor Rafael sie geheiratet hatte! Und bevor er sich noch mehr in sie verliebte …

Die Duchess sah zu Mary Rose hinüber und dachte sich, was für eine fügsame Ehefrau sie doch abgeben würde – ganz anders als Danielle Duval –, und wurde auf einmal von tiefer Dankbarkeit ergriffen.

Von der hohen Decke des prachtvollen Ballsaals hingen kristallene Kronleuchter, die einen warmen Schein auf das glänzende Parkett warfen. Entlang der Wände standen große Vasen mit gelben Rosen und weißen Chrysanthemen. Alle, die im ton Rang und Namen hatten, waren zu der Gala für die Londoner Gesellschaft für Witwen und Waisen erschienen und tanzten zur Musik des zehnköpfigen, in hellblaue Livreen gekleideten Orchesters.

Am Rande der Tanzfläche standen Cord Easton, Earl of Brant, und Ethan Sharpe, Marquess of Belford, mit ihren Frauen Victoria und Grace.

„Seht ihr auch, was ich zu sehen glaube?“, erkundigte sich Cord plötzlich und richtete seinen Blick auf die beiden Frauen, die am anderen Ende des Saals dicht an der Wand entlanggingen. Cord war ein stattlicher Mann von kräftiger Statur, mit dunkelbraunem Haar und goldbraunen Augen. Er und Ethan waren die besten Freunde des Dukes.

„Was fesselt dich denn so?“ Victoria Easton folgte seinem Blick.

„Danielle Duval“, stellte Ethan überrascht fest. „Ich kann kaum glauben, dass sie es wagt, sich hier sehen zu lassen.“ Ethan war genauso groß wie der Duke, schlank und breitschultrig, mit schwarzem Haar und sehr hellen blauen Augen.

„Oh, aber sie ist ja wunderschön …“ Grace Sharpe betrachtete die schlanke, rothaarige Frau ganz ergriffen. „Kein Wunder, dass Rafe sich in sie verliebt hat.“

„Mary Rose ist auch schön“, wandte Victoria ein.

„Ja, natürlich ist sie das. Aber Miss Duval hat etwas … seht ihr das nicht auch?“

„Sie hat wirklich etwas, dem stimme ich zu“, knurrte Cord. „Sie ist ein heimtückisches, gewissenloses Biest mit dem Herzen einer Schlange. Jeder hier weiß, was sie Rafe angetan hat, und sie ist alles andere als willkommen.“

Cord ließ seinen Blick über die Tanzenden schweifen, bis er den Duke entdeckt hatte, der seine zierliche, blonde Braut mit einer Aufmerksamkeit bedachte, die er ihr nie zuvor geschenkt hatte. „Rafe muss sie auch gesehen haben“, bemerkte Cord. „Verdammt! Warum nur musste Danielle nach London zurückkehren?“

„Was, meinst du, wird Rafe tun?“, fragte Victoria.

„Sie nicht beachten. Rafe ist viel zu beherrscht, als dass er sich dazu herablassen würde.“

Danielle Duval sah starr geradeaus und folgte ihrer Tante. Sie steuerten den hinteren Teil des Saals an, wo Danielle den Blicken der meisten anderen Gäste entzogen sein würde.

Aus dem Augenwinkel nahm sie eine Frau wahr, die sich abrupt abwandte und ihr den Rücken zudrehte. Sie konnte hören, wie um sie herum getuschelt und über den Skandal geredet wurde. Warum um alles in der Welt hatte sie sich nur von ihrer Tante überreden lassen, hierherzukommen?

Aber Flora Chamberlain hatte es schon immer verstanden, andere von ihren eigenen Vorstellungen zu überzeugen.

„Die Wohltätigkeitsorganisation bedeutet mir alles, meine Liebe“, hatte sie erklärt. „Und du warst an all unserer guten Arbeit maßgeblich beteiligt und hast noch kein einziges Wort des Dankes gehört. Ich werde nicht ohne dich auf den Ball gehen. Bitte tu deiner Tante diesen kleinen Gefallen.“

„Sie wissen, wie es für mich sein wird, Tante Flora. Niemand wird mit mir sprechen. Hinter meinem Rücken wird geredet werden. Ich weiß nicht, ob ich das noch einmal ertragen kann.“

„Früher oder später musst du dich aus deinem Versteck wagen. Fünf Jahre sind bereits eine lange Zeit! Und du hast nie etwas getan, was es rechtfertigen würde, wie man dich behandelt. Es wird höchste Zeit, dass du deinen Anspruch in der Gesellschaft wieder geltend machst.“

Da sie wusste, wie viel der Ball ihrer Tante bedeutete, hatte Danielle zögernd zugestimmt. Im Grunde hatte Tante Flora recht – es war an der Zeit, dass sie wieder den Platz einnahm, der ihr gebührte. Zudem musste sie nur die nächsten beiden Wochen in London verbringen. Danach würde sie nach Amerika und in ein neues Leben aufbrechen.

Danielle hatte den Heiratsantrag eines Mannes namens Richard Clemens angenommen. Clemens war ein reicher amerikanischer Geschäftsmann, verwitwet, mit zwei kleinen Kindern, den sie auf dem Land kennengelernt hatte. Als Richards Frau würde sich Danielles Wunsch nach einer eigenen Familie doch erfüllen, den sie längst aufgegeben hatte. Und weil sie wusste, dass am anderen Ende der Welt bereits ein neues Leben auf sie wartete, war es ihr gleich weniger schlimm erschienen, der Bitte ihrer Tante nachzugeben und sie auf den Ball zu begleiten.

Doch nun, wo sie tatsächlich dort war, wünschte Danielle sich von ganzem Herzen weit fort. Irgendwohin – nur hier wollte sie nicht sein.

Als sie den hinteren Teil des Ballsaals erreicht hatten, setzte sie sich auf einen der kleinen vergoldeten und mit Samt bezogenen Stühle, die an der Wand standen, und verbarg sich so gut wie möglich hinter einer großen Blumenvase. Tante Flora ließ sich von den feindseligen Blicken, mit denen sie beide bedacht wurden, nicht beirren, ging Früchtepunsch holen und kam wenige Minuten später mit zwei bis zum Rand gefüllten Kristallgläsern zurück.

„Hier, meine Liebe, trink das.“ Sie blinzelte Danielle zu. „Ich habe einen kleinen Schuss dazugetan, damit du dich ein wenig entspannst.“

Danielle wollte bereits protestieren, dass sie durchaus keines Alkohols bedurfte, um den Abend zu überstehen, doch in diesem Moment fing sie erneut den feindseligen Blick einer Ballbesucherin auf … Danielle nahm einen tiefen Schluck Punsch.

„Als eine der Vorsitzenden dieser Veranstaltung“, erklärte ihre Tante ihr derweil, „muss ich nachher eine kurze Rede halten. Ich werde alle Anwesenden um eine großzügige Spende bitten, meine Dankbarkeit für die bisherige Unterstützung zum Ausdruck bringen, und dann können wir gehen.“

Letzteres konnte Danielle kaum erwarten. Obwohl sie vorher gewusst hatte, was sie hier erwarten würde – die Verachtung, die sie in den Gesichtern einstiger Bekannter wahrnahm, alte Freunde, die sie nun keines Blickes mehr würdigten –, schmerzte es sie dennoch mehr, als sie vermutet hatte.

Und dann war da noch Rafael.

Wie sehr hatte sie gehofft, dass er nicht hier sein würde! Tante Flora hatte ihr versichert, dass er wie in den Jahren zuvor lediglich eine große Spende machen würde. Doch nun war er hier … sah sogar noch besser aus, als sie ihn in Erinnerung gehabt hatte, und war von einer atemberaubenden Ausstrahlung kraftvoller Männlichkeit und aristokratischer Würde.

Dieser Mann hatte ihren Ruf ruiniert. Sie hasste ihn von ganzem Herzen.

„Ach du liebe Güte.“ Tante Flora wedelte mit ihrem bemalten Fächer vor ihrem runden, gepuderten Gesicht hin und her. „Ich habe mich geirrt. Es sieht ganz so aus, als ob Seine Hoheit, der Duke of Sheffield, doch anwesend ist.“

Danielle biss kurz die Zähne zusammen. „Ja … es sieht ganz so aus.“ Und sie wusste, dass er sie gesehen hatte, denn ihre Blicke waren sich einen kurzen Moment begegnet. Sie hatte Verärgerung in seinen Augen aufblitzen sehen, bis er sich wieder unter Kontrolle hatte und seine Miene erneut so ausdruckslos wurde, wie sie gewesen war, bevor er sie erblickt hatte.

Dafür spürte Danielle nun in sich selbst Wut aufsteigen. Nie zuvor hatte sie einen solchen Ausdruck in seinem Gesicht wahrgenommen, ihn so ruhig, vollkommen ungerührt und fast schon gleichgültig erlebt. Am liebsten hätte sie ihm diese herablassende Selbstgefälligkeit aus seinem viel zu gut aussehenden Gesicht geschlagen …

Doch stattdessen saß sie auf ihrem Stuhl an der Wand, wurde von alten Freunden geschnitten, hörte Leute, die sie nicht einmal kannte, über sie tuscheln und wünschte sich nur, dass ihre Tante endlich ihre Rede halten würde und sie nach Hause fahren konnten.

Rafael brachte seine Verlobte zurück in die Obhut ihrer Eltern, dem Earl und der Countess of Throckmorton.

„Vielleicht würden Sie noch einen weiteren Tanz für mich freihalten“, sagte Rafe zu der zierlichen Blondine und beugte sich galant über ihre Hand.

„Natürlich, Euer Gnaden.“

Er nickte und wandte sich ab.

„Nachher spielen sie wieder einen Walzer“, meinte Mary Rose. „Vielleicht könnten wir …“

Aber Rafe war schon fortgegangen und in Gedanken bei einer Frau, die gänzlich anders war als die, welche er zu heiraten gedachte. Danielle Duval. Allein der Klang ihres Namens genügte, um ihn zur Weißglut zu treiben. Er hatte Jahre gebraucht, um zu lernen, sein ungestümes Temperament zu zügeln und seine Gefühle zu beherrschen. Mittlerweile wurde er nur noch selten laut, und auch seine Wutanfälle gehörten der Vergangenheit an. Seine leidenschaftliche Natur war gezähmt und seit geraumer Zeit nicht mehr aus ihm hervorgebrochen.

Seit Danielle nicht mehr.

Danielle Duval zu lieben hatte ihn eine wertvolle Lektion gelehrt – er hatte einen hohen Preis dafür bezahlt, sein Herz und seinen Verstand von seinen Gefühlen regieren zu lassen. Wie eine Krankheit hatte die Liebe ihn schwach werden lassen und hätte ihn fast umgebracht.

Im hinteren Teil des Ballsaals sah er kurz Danielles leuchtendes Haar aufschimmern. Er konnte es kaum fassen, dass sie hier war. Wie konnte sie es wagen, sich nach allem, was geschehen war, hier zu zeigen!

Rafe war fest entschlossen, sie nicht weiter zu beachten, und ging zu seinen Freunden hinüber. Doch noch bevor er sie erreicht hatte, wusste er, dass auch sie Danielle bemerkt hatten.

Er nahm sich ein Glas Champagner von dem silbernen Tablett eines vorbeikommenden Dieners. „Nun …“, sagte er, „aus euren erstaunten Mienen schließe ich, dass ihr sie auch gesehen habt.“

Cord schüttelte den Kopf. „Kaum zu glauben, dass sie den Mut aufbringt, hierherzukommen.“

„Ihre Dreistigkeit ist nicht zu überbieten“, fügte Ethan finster hinzu.

Rafe sah kurz zu Grace hinüber, die ihn über den Rand ihres Champagnerglases aufmerksam musterte.

„Sie ist schön“, bemerkte sie schließlich. „Ich kann nun verstehen, weshalb du dich in sie verliebt hast.“

Seine Kiefermuskeln spannten sich. „Ich habe mich in sie verliebt, weil ich ein Idiot war. Aber ich habe den Preis für meine Dummheit bezahlt, und es wird nie wieder geschehen.“

Victoria hob bei seinen Worten den Kopf. „Du willst doch nicht andeuten, dich nie wieder verlieben zu wollen?“, fragte sie ungläubig.

„Genau das will ich.“

„Aber was ist mit Mary Rose? Du wirst sie wohl zumindest ein bisschen lieben.“

„Ich mag sie. Ich würde sie nicht heiraten, wenn es nicht so wäre. Sie ist eine reizende junge Frau von angenehmem Wesen, fügsam und mit einem hervorragenden Stammbaum.“

Ethan verdrehte seine hellen blauen Augen. „Dürfte ich dich wieder einmal daran erinnern, mein Freund, dass wir hier von deiner zukünftigen Frau sprechen und nicht von einem Pferd?“

Cords Blick glitt erneut zu der rothaarigen Frau am anderen Ende des Saals. „Du schaffst es ganz vorzüglich, ihr die kalte Schulter zu zeigen. Ich weiß nicht, ob ich so gefasst sein könnte.“

Rafe lächelte spöttisch. „So schwer ist das nicht. Die Frau bedeutet mir nichts – nicht mehr.“

Aber erneut wanderte sein Blick über die Tanzfläche, bis er im Hintergrund kurz Danielles rotes Haar leuchten sah. Sogleich spürte er heiße Wut in sich aufsteigen. Es juckte ihn in den Fingern, den Saal zu durchqueren, Danielle bei den Schultern zu packen und sie mit aller Kraft zu schütteln. Solche Empfindungen hatten sich in ihm nicht mehr geregt, seit er Danielle das letzte Mal gesehen hatte – und das war fünf Jahre her.

Die Erinnerung an diesen Tag überkam ihn mit ungeahnter Heftigkeit. Es war während einer mehrwöchigen Hausgesellschaft auf dem Landsitz seines Freundes Oliver Randall passiert. Er erinnerte sich wieder an die freudige Erwartung, die er bei dem Gedanken daran verspürt hatte, dass auch Danielle, ihre Mutter und ihre Tante unter den Gästen sein würden. Oliver Randall war der dritte Sohn des Marquess of Caverly, und Woodhaven, der Familiensitz, war ein wahrer Palast.

Der Aufenthalt auf dem Land war traumhaft gewesen. Rafe und Danielle hatten lange, müßige Nachmittage zusammen verbracht, abends miteinander getanzt und hin und wieder Gelegenheit gefunden, unbeobachtet zu sein. Dann, zwei Tage vor der geplanten Abreise, war Rafe eine von Danielle unterzeichnete Nachricht in die Finger gekommen. Das Schreiben war an Oliver gerichtet, schien gelesen und dann achtlos beiseitegeworfen worden zu sein.

Ich muss Dich sehen, Oliver. Nur Du kannst mich davor bewahren, einen schrecklichen Fehler zu machen. Bitte, ich flehe Dich an, komm um Mitternacht auf mein Zimmer. Ich werde auf Dich warten.

Deine Danielle

Rafe war zwischen Ungläubigkeit und Wut hin- und hergerissen gewesen. Er liebte Danielle und hatte immer geglaubt, dass sie seine Gefühle erwiderte.

Kurz nach Mitternacht hatte Rafe an die Tür ihres Zimmers geklopft und dann den Knauf gedreht. Als er die Tür aufstieß, fand er seinen Freund im Bett mit seiner Verlobten … er lag nackt neben der Frau, die Rafe liebte.

Rafe konnte sich noch gut an die Welle der Übelkeit erinnern, die über ihm zusammenschlug, und an das entsetzliche, furchtbare Gefühl tief in seinem Innern, das ihm der Betrug verursachte.

Diese Empfindungen stiegen nun wieder in ihm empor, während die Musik im Saal zu einem Crescendo anschwoll. Rafe richtete seine ganze Aufmerksamkeit auf das Orchester. Er war fest entschlossen, die Geister der Vergangenheit zu vertreiben und die Erinnerungen zu begraben, wie er es schon vor fünf Jahren getan hatte.

Die nächste Stunde verbrachte er damit, mit den Ehefrauen seiner Freunde zu tanzen, dann tanzte er noch einmal mit Mary Rose. Eine der Organisatorinnen des Balls hielt eine kurze Rede, und als Rafe in ihr Flora Chamberlain erkannte, verstand er auch, weshalb Danielle heute Abend hier war.

Zumindest könnte die Anwesenheit ihrer Tante einer der Gründe sein.

Sollte sie noch andere haben, so würde er sie nie erfahren. Als die Musik wieder einsetzte, sah Rafe erneut über die Tanzfläche zum hinteren Teil des Saals.

Danielle Duval war nicht mehr da.

2. KAPITEL

Hast du bemerkt, wie er sie angesehen hat?“ Victoria Easton, Countess of Brant, strich sich eine Locke ihres kastanienbraunen Haars zurück. Sie saß auf dem Brokatsofa im Blauen Salon des Stadthauses, in dem sie mit ihrem Mann und ihrem zehn Monate alten Sohn lebte. Claire, Lady Percival Chezwick, und Victorias beste Freundin Grace Sharpe, Marchioness of Belford, leisteten ihr Gesellschaft.

„Ja, das war wirklich allerhand“, stimmte Grace zu. „Ich habe noch nie einen so leidenschaftlichen Ausdruck in seinen Augen gesehen.“

„Wahrscheinlich war er nur wütend darüber, dass sie auf dem Ball erschienen ist“, wandte Claire ein. „Ich wünschte, ich wäre dabei gewesen!“

„Stattdessen bist du lieber mit Percy zu Hause geblieben und hast weitaus Vergnüglicheres getan, als einen Wohltätigkeitsball zu besuchen“, meinte Tory schmunzelnd.

Claire kicherte. Sie war die jüngste der drei Frauen, und auch nach ihrer Heirat wirkte sie oft noch ein wenig unbedarft. „Ja, wir hatten einen wundervollen Abend. Percy ist so ein Romantiker. Aber dennoch hätte ich gerne einmal eine wirklich verrufene Frau gesehen.“

„Rafael tat mir leid“, bemerkte Grace. „Er muss sie wirklich geliebt haben. Obwohl er sich bemüht hat, es zu verbergen, war er auch nach all den Jahren immer noch rasend vor Wut.“

„Ja, und eigentlich verliert er nur sehr selten die Fassung“, stellte Tory fest. Sie seufzte. „Es ist furchtbar, was sie ihm angetan hat. Aber ich wundere mich darüber, dass sie ihn so sehr hat täuschen können, denn an sich verfügt Rafe über eine ausgezeichnete Menschenkenntnis.“

„Was genau hat sie denn getan?“, fragte Claire und beugte sich in ihrem Sessel vor.

„Cord hat mir erzählt, dass Danielle einen Freund von ihm in ihr Bett eingeladen haben soll. Rafe hat die beiden ertappt und die Verlobung gelöst. Alles fand recht öffentlich statt, und der Skandal hat ihn noch Jahre danach verfolgt.“

Grace strich nachdenklich über den Rock ihres apricotfarbenen Musselinkleides. „Danielle Duval ist also der Grund, weshalb Rafe entschlossen ist, nicht aus Liebe zu heiraten.“ Vor einer Woche war Andrew Ethan, ihr kleiner Sohn, ein halbes Jahr alt geworden, aber Grace war bereits wieder so schlank wie eh und je.

In diesem Moment klopfte Timmons, und Tory bedeutete dem Butler einzutreten. Er rollte den Teewagen herein, stellte ihn neben dem Sofa ab und verließ dann wieder den Salon.

„Noch ist nicht alles verloren“, meinte Tory zu Grace und beugte sich vor, um den dampfenden Tee in drei wunderschöne Porzellantassen mit Goldrand zu gießen. „Jetzt, wo du Rafael das Hochzeitscollier gegeben hast, gibt es vielleicht doch noch einen Hoffnungsschimmer.“

Rafe war maßgeblich daran beteiligt gewesen, Grace und ihrem kleinen Sohn das Leben zu retten. Und weil sie wollte, dass ihr Freund genauso glücklich wurde, wie sie es mit Ethan geworden war, hatte sie dem Duke ein ganz besonderes Geschenk gemacht. Die Halskette war ein sehr altes Schmuckstück, das im dreizehnten Jahrhundert für die Braut Lord Fallons gefertigt worden war. Der Legende nach lastete ein Fluch auf der Kette, der besagte, dass sie entweder großes Glück oder aber unendliches Leid bringen könne – je nachdem, ob ihr Besitzer reinen Herzens war.

„Vermutlich hast du recht“, stimmte Grace zu. „Rafe hat nun das Collier, und wir sollten hoffen, dass es ihm Glück bringt.“

Claire ließ ihren Finger auf dem Rand ihrer Teetasse kreisen. „Aber was ist, wenn alles Gute, das dir und Tory geschehen ist, einfach nur Zufall war? Es könnte ja sein, dass die Kette gar nichts damit zu tun hat, oder?“

Tory seufzte, denn sie wusste, dass ihre Schwester recht haben könnte. „Das wäre natürlich möglich, aber …“ Tory dachte an die Zeit zurück, als die Brautkette ihr gehört hatte … und dachte an den wundervollen Mann, den sie geheiratet hatte, und an Jeremy Cordell, ihren kleinen Sohn, der glücklich und zufrieden im Kinderzimmer schlief.

Und nachdem Tory Grace die Kette geschenkt hatte, war ihrer Freundin Ethan begegnet und hatte ihm geholfen, die Geister der Vergangenheit zu vertreiben. Mittlerweile war sie glücklich verheiratet und hatte auch einen wunderbaren kleinen Sohn.

Und natürlich kam Tory nicht umhin, sich an ihren Stiefvater Miles Whiting, Baron Harwood, zu erinnern, einen von Grund auf schlechten Menschen, den der Besitz des Colliers ins Grab gebracht hatte …

Tory erschauderte und versuchte, den Gedanken daran schnell zu verdrängen. „Wir wissen alle, dass Rafe ein gutes Herz hat. Nun können wir nur hoffen, dass der Zauber auch diesmal wirkt.“

Claire hatte nachdenklich den Teesatz in ihrer Tasse betrachtet und sah nun auf, als sei ihr eine Idee gekommen. „Vielleicht verliebt der Duke sich ja in Mary Rose! Das wäre doch die beste Lösung.“

Tory warf Grace einen kurzen Blick zu und konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen, als sie ihre Freundin die Augen verdrehen sah. „Eine sehr gute Idee, Claire. Vielleicht passiert ja genau das.“

Aber wenn sie daran dachte, mit welch glühender Leidenschaft Rafe Danielle Duval angesehen hatte, erschien es ihr sehr unwahrscheinlich.

„Bitte nicht, Tante Flora! Wie können Sie nur erwägen, mich dies noch einmal durchmachen zu lassen?“

Sie standen beide in Danielles Schlafzimmer, einem schönen in Gold und Dunkelgrün gehaltenem Raum, der Teil der eleganten Suite war, die sie im Chesterfield Hotel bewohnten. Tante Flora hatte die Räumlichkeiten gemietet, bis sie in zwei Wochen nach Amerika aufbrechen würden.

„Komm schon, meine Liebe. Es ist kein Ball, sondern nur ein Nachmittagstee, bei dem auch viele Kinder sein werden, und ich weiß doch, wie sehr du Kinder liebst.“

Danielle nestelte unentschlossen am Kragen ihres blauen Morgenmantels. Es war noch nicht einmal Mittag, aber der Wohltätigkeitstee würde bereits in einer Stunde beginnen. „Ich werde dennoch von allen gemieden werden. Sie haben doch gesehen, wie ich auf dem Ball behandelt worden bin.“

„Ja, das habe ich – und ich war sehr stolz darauf, wie du damit umgegangen bist. Du hast allen zu verstehen gegeben, dass es dein gutes Recht ist, dort anwesend zu sein.“

„Ich habe mich den ganzen Abend elend gefühlt.“

Tante Flora seufzte theatralisch. „Ja, ich weiß. Es tut mir leid wegen des Dukes.“ Sie hob ihre fein gezupften silbergrauen Augenbrauen und sah Danielle prüfend an. „Zumindest hat er uns gestern keine Schwierigkeiten bereitet.“

Danielle verzichtete darauf, den wütenden Blick zu erwähnen, den er ihr zugeworfen hatte. „Er hätte es sicher bereut, wenn er auch nur ein Wort gesagt hätte.“

„Nun, heute wird er auf jeden Fall nicht anwesend sein, das verspreche ich dir.“

Danielle blickte zu ihrer Tante hinunter, die ein gutes Stück kleiner war als sie selbst, dafür jedoch um etliches schwerer. „Wie können Sie sich da so sicher sein?“

„Ein Nachmittagstee dürfte den Duke wohl kaum interessieren. Zudem würde ich dich gar nicht bitten, mich zu begleiten, wenn ich mich nicht etwas verschnupft fühlte. Die letzten Tage haben mich ein wenig erschöpft.“ Sie hüstelte vorwurfsvoll, um ihre Worte zu unterstreichen.

Doch statt sich schuldig zu fühlen, witterte Danielle ihre Chance. „Wenn Sie sich nicht wohlfühlen, sollten wir zu Hause bleiben. Wir könnten uns Tee und Scones heraufbringen lassen und …“

Tante Flora unterbrach sie. „Als eine der Vorsitzenden der Organisation muss ich meinen Pflichten nachkommen. Aber wenn ich dich an meiner Seite weiß, schaffe ich das schon.“

Danielle ließ resigniert die Schultern sinken. Wie gelang es ihrer Tante nur, immer ihren Willen durchzusetzen? Andererseits hatte Tante Flora sich bereit erklärt, sie nach Amerika zu begleiten und dort zu bleiben, bis Danielle sich eingelebt hatte. Deshalb war es eigentlich kaum zu viel verlangt, wenn sie ihrer Tante nun den Gefallen tat und noch diese eine, letzte Wohltätigkeitsveranstaltung durchstand …

Zumal ja auch die Kinder dort sein würden und Danielle somit zumindest auf ein paar freundliche Gesichter hoffen konnte, die ihr helfen würden, den Nachmittag zu überstehen.

Als es klopfte, wurde sie aus ihren Gedanken gerissen. Die Tür wurde geöffnet, und Danielles Kammerzofe, Caroline Loon, kam herein.

Caro lächelte vergnügt. „Lady Wycombe hat nach mir geschickt.“

Danielle verdrehte die Augen und dachte, dass sie von Anfang an keine Chance gegen die Pläne ihrer Tante gehabt hatte.

„Nun, dann werde ich dich mal allein lassen, damit du dich ankleiden kannst“, meinte Tante Flora und ging zur Tür. „Sobald du fertig bist, können wir aufbrechen.“

Danielle fügte sich ihrem Schicksal und nickte resigniert. Sobald die Tür sich hinter ihrer Tante geschlossen hatte, begann Caro aus dem Wandschrank ein Kleid für Danielle herauszusuchen. Caroline Loon war sechsundzwanzig und damit ein Jahr älter als Danielle, sehr groß und schlank, blond, von apartem Aussehen und sehr einnehmendem Wesen.

Caro war eine junge Dame aus respektablem Hause, deren Eltern unerwartet einem Fieber erlegen waren. Als mittellose Waise war sie vor fast fünf Jahren nach Wycombe Park gekommen, weil sie verzweifelt nach einer Anstellung suchte.

Tante Flora hatte sie sofort als Kammerzofe für Danielle eingestellt, doch im Laufe der Jahre hatte sich zwischen den beiden jungen Frauen mehr entwickelt als nur das übliche Verhältnis zwischen Herrin und Dienerin. Die Pfarrerstochter Caroline Loon war Danielles beste Freundin geworden.

„Wie wäre es mit dem mit Rosen bestickten safrangelben Musselinkleid?“, fragte Caro und zog eines von Danielles Lieblingskleidern hervor.

„Das klingt gut.“ Wenn sie schon zu diesem unseligen Nachmittagstee musste, dann wollte sie wenigstens etwas tragen, worin sie sich wohlfühlte, und Danielle wusste, dass ihr das Kleid sehr gut stand.

„Setz dich, damit ich deine Haare aufstecken kann“, wies Caro sie an. „Lady Wycombe reißt mir den Kopf ab, wenn sie deinetwegen zu spät kommt.“

Danielle seufzte. „Wie werde ich jemals eine eigene Entscheidung treffen, wenn ihr beide mir immer alles abnehmt?“

Caro lachte. „Deine Tante liebt dich und möchte, dass du glücklich bist.“

„Das werde ich sein – wenn ich erst einmal in Amerika bin.“ Danielle griff nach Caros Hand. „Ich bin dir so dankbar, dass du mit uns kommst.“

„Ich bin auch sehr froh darüber.“ Caro lächelte leicht. „Vielleicht können wir beide dort ein neues Leben beginnen.“

Danielle erwiderte ihr Lächeln. „Ja, vielleicht.“ Sie konnte es nur hoffen, denn sie war es so leid, zurückgezogen auf dem Land leben zu müssen, kaum Freunde zu haben und allenfalls einmal von den Kindern aus dem Waisenhaus besucht zu werden. In Amerika, wo niemand jemals von dem Skandal gehört hatte, würde sie sich ein neues Leben aufbauen können.

Aber bis dahin musste sie noch all ihren Mut zusammennehmen, um den heutigen Nachmittag zu überstehen.

Rafael zog einen tannengrünen Gehrock über seine hellbraune Weste, und sein Kammerdiener, ein schmächtiger Mann mit schütterem Haar, der schon seit Jahren in seinen Diensten stand, rückte ihm die Halsbinde zurecht.

„Das hätten wir, Euer Gnaden.“

„Danke, Petersen.“

„Brauchen Sie noch etwas, Sir?“

„Erst wenn ich am Nachmittag zurückkomme.“ Rafe hatte nicht vor, lange auf der Veranstaltung zu bleiben, sondern wollte nur kurz seine Aufwartung machen und eine Spende von beträchtlicher Höhe überreichen. Die Waisenkinder finanziell zu unterstützen war ihm eine selbstverständliche Bürgerpflicht.

Er versuchte sich einzureden, dass sein Entschluss nichts damit zu tun hatte, dass er Danielle Duval dort zu treffen hoffte, denn für diesen Fall war er fest entschlossen, ihr wie schon zuvor die kalte Schulter zu zeigen.

Er würde nichts von dem sagen, was er ihr vor fünf Jahren gerne gesagt hätte, und würde sie nicht merken lassen, wie sehr ihr Betrug ihn verletzt hatte. Die Genugtuung zu wissen, dass er am Boden zerstört gewesen war und über Wochen hinweg kaum noch den Wunsch zu leben verspürt hatte, würde er ihr nicht gönnen. Stattdessen wollte er seine Verachtung für sie ohne ein einziges Wort zum Ausdruck bringen.

Vor dem Haus stand Rafes Vierspänner bereit, und nachdem er es sich in den weichen, roten Samtpolstern bequem gemacht hatte, rumpelte der Wagen auch schon die kopfsteingepflasterte Straße hinunter. Der Nachmittagstee fand im Garten des Stadthauses des Marquess of Denby in Mayfair statt. Die Marchioness engagierte sich sehr für die Londoner Witwen und Waisen.

Bis zur Breton Street war es nicht weit. Rafe stieg aus und ging an zwei livrierten Hausdienern vorbei die Vordertreppe hinauf, durchquerte die Eingangshalle und gelangte schließlich in den Garten hinter dem Haus.

Wie er gehofft hatte, waren die meisten Gäste bereits eingetroffen und standen in kleinen Grüppchen auf der Terrasse beisammen oder schlenderten über die Kieswege, die sich durch das helle Grün des Gartens zogen. Einige Kinder, die einfach gekleidet, aber sauber waren und ordentlich gekämmtes Haar hatten, spielten am Fuße eines steinernen Brunnens.

Rafe schätzte die von Lady Denby organisierte Wohltätigkeitsarbeit sehr. Es gab in London nicht genügend Waisenhäuser, die sich um die unzähligen bedürftigen Kinder hätten kümmern können, und viele von ihnen endeten deshalb in Arbeitshäusern für die Ärmsten der Stadt, wurden als Kaminfeger ausgebildet oder wuchsen zu Bettlern heran, die sich auf der Straße durchschlugen und von der Hand in den Mund lebten.

Die meisten Waisen wurden durch die Gemeindepfarreien versorgt, doch was ihnen geboten wurde, konnte kaum als ein Zuhause bezeichnet werden. Findelkinder, die der Obhut eines solchen Heimes anvertraut waren, überlebten oft nicht einmal das erste Jahr. Rafe war der Fall der Pfarrei von Westminster zu Ohren gekommen, die in einem Jahr fünfhundert Kinder hatte aufnehmen müssen, von denen nach fünf Jahren nur noch ein einziges am Leben war.

Die Londoner Gesellschaft hingegen hatte schon einige Waisenhäuser von sehr hohem Standard gegründet.

„Euer Gnaden!“ Lady Denby, eine üppige Frau mit kurz geschnittenem schwarzem Haar, das sich in glänzenden Locken um ihr Gesicht ringelte, kam auf ihn zugeeilt. „Wie schön, dass Sie gekommen sind.“

„Ich fürchte jedoch, dass ich nicht lange bleiben kann, und wollte Ihnen nur kurz diese Bankanweisung für das Waisenhaus übergeben.“ Er zog das gefaltete Papier aus der Tasche seines Gehrocks und reichte es der Marchioness. Derweil ließ er seinen Blick über die anderen Gäste schweifen.

„Aber das ist wundervoll, Euer Gnaden – zumal Sie ja bereits auf dem Ball eine sehr großzügige Spende gemacht haben.“

Rafe zuckte mit den Schultern. Er konnte es sich leisten, und Kinder hatten ihm schon immer am Herzen gelegen. Tatsächlich ging sein Entschluss, bald zu heiraten, auf den Wunsch zurück, endlich eine eigene Familie zu haben. Und natürlich lagen ihm auch seine Mutter und seine Tante dauernd damit in den Ohren, dass er seiner Verantwortung als Duke gerecht werden müsse.

Er bräuchte einen Erben, sagten sie. Und am besten noch einen zweiten und dritten Sohn dazu – für alle Fälle. Seine Pflicht war es, den Titel der Sheffields weiterzutragen und das riesige Vermögen zusammenzuhalten, damit alle Mitglieder der Familie auf lange Zeit gut davon leben konnten.

„Der Tee wird auf der Terrasse gereicht.“ Lady Denby nahm den Duke beim Arm und führte ihn in besagte Richtung. „Natürlich haben wir auch etwas Gehaltvolleres für die Männer.“

Sie lächelte, als sie vor einem Tisch stehen blieben, auf dem silberne Platten mit den verschiedensten Kuchen und Keksen standen sowie Sandwiches, die so winzig waren, dass Rafe ein Dutzend davon hätte essen müssen, um satt zu werden. In der Mitte des mit einem Leinentuch bedeckten Tisches standen eine große, silberne Teekanne und eine Kristallschüssel mit Fruchtpunsch.

„Soll ich Ihnen einen Brandy bringen lassen, Euer Gnaden?“

„Ja, das wäre schön. Danke.“ Er hatte nicht vor, länger als eine halbe Stunde zu bleiben, aber auch die musste durchgestanden werden.

Als ihm der Brandy gebracht wurde, trank er ihn in kleinen Schlucken und begann sich umzusehen. Sein Blick fiel auf seine Mutter und Tante Cornelia, die sich mit einigen anderen Damen unterhielten, und nicht weit von ihnen entdeckte er das runde, gepuderte Gesicht von Flora Chamberlain. Und dann bemerkte er die Frau, die neben ihr stand – eine Frau mit flammend rotem Haar und dem Gesicht einer Göttin. Rafes Innerstes zog sich schmerzhaft zusammen, als wäre sein Leib von einem heftigen Schlag getroffen worden.

Seine Miene wurde sofort kalt und unbewegt. Er hatte zwar versucht, sich einzureden, dass er nicht ihretwegen gekommen war, doch als er Danielle jetzt sah, merkte er, dass er sich selbst etwas vorgemacht hatte. Ihre Augen weiteten sich ungläubig, als ihre Blicke sich kurz trafen. Rafe spürte einen Anflug tiefster Zufriedenheit, als er sah, wie ihr das Blut aus ihrem schönen, betrügerischen Gesicht wich.

Er wandte seinen Blick nicht von ihr ab und war sich sicher, dass sie zuerst ihre Augen senken würde.

Doch stattdessen hob sie ihr Kinn noch höher und bedachte ihn mit einem Blick, der ihm durch Mark und Bein fuhr. Er biss die Zähne zusammen. Einen Moment lang sahen sie sich noch an. Dann erhob Danielle sich langsam von ihrem Stuhl und ging in Richtung des Gartens davon.

Rafe spürte Zorn in sich aufsteigen. Wo war die Demut, die er erwartet hatte? Wo die Verlegenheit, von der er sicher gewesen war, sie in ihrem Gesicht zu sehen?

Stattdessen zeigte sie ihm die kalte Schulter und schlenderte nun hoch erhobenen Hauptes den Kiesweg hinunter in den hinteren Teil des Gartens, wo einige der Kinder spielten.

Innerlich bebte sie, aber Danielle richtete ihren Blick unentwegt auf die Kinder, die beim Gartenpavillon Fangen spielten. Nein, sie würde sich nicht anmerken lassen, wie sehr die Begegnung mit Rafael Saunders sie aufgewühlt hatte. Nach dem Skandal hatte sie gelernt, ihre Gefühle zu beherrschen. Niemand sollte mehr merken, wie verletzlich sie war.

„Miss Danielle!“ Maida Ann, ein kleines Mädchen mit blonden Zöpfen, kam zu ihr gerannt und klatschte mit der Hand auf ihren Arm. „Sie sind dran!“

Danielle lachte erleichtert auf. Immer wenn die Kinder zu einem Besuch nach Wycombe Park kamen, hatte sie mit ihnen Fangen gespielt, und auch jetzt wollten sie, dass sie sich ihrem Spiel anschloss. Danielle war dankbar für diese Ablenkung.

„Also gut … mal sehen … wer wird wohl der Nächste sein? Robbie? Oder vielleicht du, Peter?“ Sie kannte einige der Kinder mit Namen, wenngleich nicht alle. Keines von ihnen hatte mehr Eltern, oder wenn, dann waren sie von ihnen ausgesetzt worden. Danielle war froh, dass ihre Tante Schirmherrin einer Wohltätigkeitsorganisation war, die sich um diese Kinder kümmerte. Auf diese Weise hatte auch Danielle Gelegenheit, Zeit mit ihnen zu verbringen.

Maida Ann rannte kichernd an ihr vorbei und wich ihr geschickt aus. Danielle hatte die lebhafte Fünfjährige mit den großen blauen Augen in ihr Herz geschlossen. Sie liebte Kinder sehr und hatte immer gehofft, eines Tages einmal eine eigene Familie zu haben.

Eine Familie mit Rafe.

Der bloße Gedanke daran ließ sie erneut wütend werden – und traurig.

Denn es würde ihr nicht vergönnt sein, weder mit Rafe noch mit einem anderen Mann … Danielle schüttelte den Kopf und schob den Gedanken an den Reitunfall beiseite, bei dem sie vor fünf Jahren schwer gestürzt war.

Stattdessen richtete sie ihre Aufmerksamkeit nun auf Terrance, einen rothaarigen Jungen, der vielleicht acht Jahre alt sein mochte. Terry rannte dicht an ihr vorbei, aber so, dass sie ihn nicht erreichen konnte. Auch die anderen Kinder schienen alle ihre Aufmerksamkeit auf sich ziehen zu wollen, als wäre es eine Ehre, von ihr gefangen zu werden.

Danielle spielte das Spiel eine Weile mit und fing dann schließlich Terry. Nachdem sie den Kindern ein letztes Mal zugewunken hatte, ging sie weiter.

Als sie auf einmal Schritte hinter sich hörte, wusste sie, noch bevor sie sich umdrehte, wer es war. Dennoch entwich ihr ein überraschter Laut, als sie Rafe ansah.

„Guten Tag, Danielle.“

Ihr Herz klopfte heftig, und aufsteigende Wut färbte ihre Wangen rosig. Sie wandte sich von ihm ab. Es war höchst unhöflich, ihn auf diese Weise stehen zu lassen, und sie sah ihm an, wie sehr es ihn verblüffte, als sie einfach davonging.

Aber der Duke of Sheffield war es nicht gewohnt, dass man ihm die kalte Schulter zeigte, und Danielle spürte, wie sich seine Finger um ihren Arm schlossen. Sein Griff war so fest, dass sie stehen blieb und sich zu ihm umdrehte.

„Ich habe Guten Tag gesagt und erwarte zumindest eine angemessene Antwort.“

Danielle versuchte, ihre Wut zu unterdrücken und sich nicht von ihm provozieren zu lassen. „Entschuldigen Sie mich bitte. Ich glaube, meine Tante ruft nach mir.“

Er ließ ihren Arm jedoch nicht los. „Mir scheint, dass deine Tante anderweitig beschäftigt ist und du durchaus Zeit hast, einen alten Freund zu begrüßen.“

Nun war es endgültig um ihre Selbstbeherrschung geschehen. „Du bist nicht mein Freund, Rafael Saunders! Tatsächlich bist du der letzte Mann auf Erden, den ich jemals als Freund bezeichnen würde.“

Rafes Kiefermuskeln spannten sich. „So? Wenn wir keine Freunde sind, was sind wir dann?“

Sie hob ihr Kinn und spürte ihre Wut im ganzen Körper. „Ich war eine Närrin, dir jemals zu vertrauen, und es war dumm von mir, mich in dich zu verlieben, Rafael.“

Sie wandte sich erneut zum Gehen, doch Rafe schnitt ihr den Weg ab. Seine Miene war undurchdringlich, und seine tiefblauen Augen leuchteten hart und klar wie Diamanten.

„Ich glaube mich zu erinnern, dass du es warst, meine Liebe, die mich hintergangen hat, als du Oliver Randall in dein Bett einludst.“

„Und du warst es, der bereitwillig die Lügen deines Freundes geglaubt hat!“

„Du hast mich betrogen, Danielle, auch wenn du das lieber vergessen würdest.“

Danielle sah zu ihm auf, und ihre Augen funkelten. „Nein, Rafael. Du hast mich verraten. Wenn du mich geliebt und mir vertraut hättest, hättest du wissen müssen, dass ich die Wahrheit sage.“ Sie lächelte bitter. „Wenn ich es genau bedenke, bist du es, der ein Narr gewesen ist.“

Rafe bebte vor Zorn.

Sehr gut, dachte sie. Ihr war der stets gefasste und beherrschte Mann, der er geworden war, verhasst. Wäre er schon damals so gewesen, hätte sie ihn kein bisschen anziehend gefunden.

„Du wagst es wirklich, mir gegenüber zu behaupten, dass dich keine Schuld trifft?“

„Ich habe dir das von dem Moment an versichert, als du mein Schlafzimmer betreten hast, und …“

„Du warst mit diesem Mann im Bett!“

„Ich wusste nicht einmal, dass er dort ist – aber auch das habe ich dir schon damals gesagt. Und jetzt lass mich gehen, Rafael.“

In seinen blauen Augen loderte die blanke Wut, aber das war ihr gleichgültig. Als sie sich erneut zum Gehen wandte, versuchte Rafe nicht mehr, sie aufzuhalten.

Es überraschte sie, dass er sie überhaupt angesprochen hatte. Seit der besagten Nacht vor fünf Jahren, in der er Oliver Randall in ihrem Bett vorgefunden hatte, hatten sie kein Wort mehr miteinander gewechselt.

Sie hatte damals versucht, ihm zu erklären, dass Oliver sich einen schlechten Scherz erlaubt hatte, dass zwischen ihnen nichts geschehen war und sie tief und fest geschlafen hatte, als Rafe in ihr Zimmer kam.

Aber aus Gründen, die sie bis heute nicht verstehen konnte, war Oliver darauf aus gewesen, die Liebe zu zerstören, die Rafael für sie empfand – oder die er zumindest behauptet hatte, für sie zu empfinden –, und sein grausamer Plan war aufgegangen.

Rafe hatte Danielle nicht einmal angehört und auch auf keinen ihrer Briefe geantwortet, in denen sie ihn anflehte, sich ihre Seite der Geschichte anzuhören und ihr zu glauben, dass sie die Wahrheit sagte.

Als der Skandal öffentlich wurde, hatte Rafe keinerlei Anstrengung unternommen, Danielle in Schutz zu nehmen, sondern die Verlobung gelöst und damit die Anschuldigungen gegen sie bestätigt.

Sein Handeln hatte allgemein zu verstehen gegeben, dass Danielle Duval keineswegs so unschuldig war, wie sie tat, und in den Augen der Welt war sie nun eine gefallene Frau, die gegen alle Regeln des Anstands verstoßen und ihren Verlobten hintergangen und bloßgestellt hatte. Von der guten Gesellschaft war sie geächtet worden und hatte sich aufs Land zurückgezogen. Sogar ihre Mutter hatte ihr nicht geglaubt.

Tränen stiegen in Danielle auf, während sie durch den Garten lief. Sie hatte zuletzt nur noch selten an Rafael und die Ereignisse von damals gedacht. Aber nun war sie wieder in London, und Rafe konfrontierte sie erneut mit der ganzen Affäre.

Energisch kämpfte sie gegen ihre Tränen an. Nein, sie würde nicht wegen Rafael weinen – nicht schon wieder. Sie hatte mehr als genug Tränen um den Mann vergossen, den sie vor fünf Jahren geliebt hatte, und wollte ihm keinen einzigen Moment mehr nachweinen.

3. KAPITEL

Rafe sah Danielle nach, bis sie im Haus verschwunden war.

Er wusste nicht, was in ihn gefahren war, sie anzusprechen. Lag es daran, dass er all die Jahre geschwiegen hatte? Statt der Genugtuung, die er sich von der Konfrontation mit Danielle erwartet hatte, fühlte er sich nun aufgewühlter als zuvor.

Wie schon in besagter Nacht, hatte Danielle auch jetzt wieder ihre Unschuld beteuert. Aber er hatte ihr damals nicht geglaubt, und er glaubte ihr auch jetzt nicht. Schließlich hatte er den Brief gelesen und hatte zudem Augen im Kopf! Oliver war Danielles Einladung gefolgt, und Rafe hatte ihn in Danielles Zimmer ertappt – nackt und in ihrem Bett!

Natürlich hatte er diesen Bastard, den er einmal für seinen Freund gehalten hatte, zum Duell gefordert.

„Ich werde mich nicht mit dir duellieren, Rafe“, hatte Ollie entgegnet. „Wir sind seit unserer Kindheit befreundet, und ich bestreite meine Schuld in dieser Angelegenheit nicht.“

„Aber warum, Ollie? Wie konntest du das tun?“

„Ich liebe sie, Rafael. Ich habe sie schon immer geliebt, und als sie mich bat, sie in ihrem Zimmer aufzusuchen, konnte ich der Versuchung nicht widerstehen.“

Tatsächlich hatte Rafael seit Jahren gewusst, dass sein Freund in Danielle verliebt war. Aber Danielle hatte Ollies Gefühle nie erwidert.

Das hatte Rafe zumindest immer gedacht. Dumm wie er war, hatte er geglaubt, dass Danielle ihn und nicht Oliver Randall liebte, wenngleich Ollie sie seit seiner frühen Jugend verehrte. Nach dem nächtlichen Zwischenfall war Rafe dann zu dem Schluss gekommen, dass Danielle seinen Heiratsantrag wohl nur angenommen hatte, um Duchess zu werden. Sie wollte gar nicht ihn, sondern nur sein Vermögen und seinen Titel …

Während er durch den Garten zum Haus zurückkehrte, rief er sich all diese Dinge wieder ins Gedächtnis. Früher war er überzeugt davon gewesen, dass Danielle ihm nicht die Wahrheit gesagt hatte, und auch heute war er noch versucht, an ihren Worten zu zweifeln.

Aber er war jetzt älter, nicht mehr rasend vor Eifersucht und blind vor Liebe, wie er es damals gewesen war. Die Wut und der Schmerz hatten nachgelassen.

Und weil er sich verändert hatte, wollte ihm Danielle, wie sie gerade im Garten vor ihm gestanden und ihn angesehen hatte, nicht aus dem Kopf.

Sie hatte weder Scham noch Reue erkennen lassen und ihn stattdessen voller Hass angesehen, der dem gleichkam, was Rafe für sie empfunden hatte.

Nein, Rafael. Du hast mich verraten. Wenn du mich geliebt und mir vertraut hättest, hättest du wissen müssen, dass ich die Wahrheit sage.

Ihre Worte verfolgten ihn auch dann noch, als er längst wieder nach Sheffield House zurückgekehrt war. Konnte es vielleicht doch möglich sein …?

Am nächsten Morgen schickte er als Erstes eine Nachricht an Jonas McPhee, den Ermittler aus der Bow Street, dessen Dienste Rafe und seine Freunde seit Jahren in Anspruch nahmen, wann immer sie irgendwelche Informationen benötigten. McPhee war vertrauenswürdig und leistete hervorragende Arbeit. Pünktlich um zwei Uhr mittags traf er in Sheffield House ein.

„Guten Tag, Jonas. Danke, dass Sie gekommen sind.“

„Es ist mir ein Vergnügen, Ihnen in jeder mir möglichen Weise behilflich zu sein, Euer Gnaden.“

Rafe trat einen Schritt zurück und ließ McPhee in sein Arbeitszimmer treten. Er deutete auf einen der dunkelgrünen Ledersessel, die vor seinem Schreibtisch standen.

„Ich habe einen Auftrag für Sie, Jonas.“ Rafe nahm hinter seinem wuchtigen Schreibtisch Platz. „Ich möchte, dass sie ein Geschehen untersuchen, das sich vor fünf Jahren ereignet hat.“

„Fünf Jahre sind eine recht lange Zeit, Euer Gnaden.“

„Ja, ich weiß, und ich bin mir bewusst, dass es nicht einfach sein wird.“ Rafe lehnte sich in seinem Stuhl zurück. „Eine Frau namens Danielle Duval und ein gewisser Oliver Randall waren in den Vorfall verwickelt. Miss Duval ist die Tochter des schon vor Jahren verstorbenen Viscount Drummond, Lady Drummond starb letztes Jahr. Oliver Randall ist der dritte Sohn des Marquess of Caverly.“

„Ich werde mir einige Notizen machen, Euer Gnaden.“

Rafe hielt einen Bogen Papier hoch. „Ich habe Ihnen bereits alles aufgeschrieben.“

„Ausgezeichnet.“

Rafe legte den Zettel wieder auf seinen Schreibtisch. „Miss Duval und ich waren einmal verlobt. Vor fünf Jahren wurde die Verlobung gelöst.“

Rafe erzählte nun, was sich an dem Abend ereignet hatte, an dem er Danielles Brief an Oliver fand. Er schilderte, wie er um Mitternacht in Danielles Zimmer gegangen war und die beiden zusammen angetroffen hatte. Rafe bemühte sich, dem Ermittler alles Wesentliche zu berichten, ohne dabei etwas von seinen Gefühlen preiszugeben.

„Sie haben diesen Brief nicht zufällig noch?“, erkundigte sich Jonas.

Mit dieser Frage hatte Rafe gerechnet. „Es ist komisch, aber ich habe ihn tatsächlich aufgehoben …“ Er öffnete die unterste Schublade seines Schreibtisches, schob die Pistole, die er dort aufbewahrte, beiseite und holte eine kleine Schatulle hervor, in der sich der Brief befand. Das Papier war vergilbt und die Schrift verblasst, aber dennoch löste der bloße Anblick erneut tiefe Bestürzung in Rafe aus.

„Vielleicht habe ich ihn aufgehoben, um mir stets vor Augen zu halten, dass ich nie wieder so vertrauensselig sein sollte.“

McPhee nahm den Brief und die Liste mit den Namen der Leute, die in den Skandal verwickelt gewesen waren, entgegen.

„Es könnte aber eine Weile dauern …“, bemerkte McPhee.

Rafe erhob sich. „Nachdem ich fünf Jahre gewartet habe, kommt es auf einige Wochen auch nicht mehr an.“ Aber seltsamerweise konnte er es kaum erwarten zu erfahren, was McPhee wohl herausfinden würde. Vielleicht hatte er einfach nur das Bedürfnis, einen Schlussstrich unter die ganze Affäre zu ziehen, die nie wirklich untersucht worden war.

Vielleicht dachte er dabei auch an die Zukunft und an seine baldige Hochzeit. Es schien ihm besser, wenn die Vergangenheit ein für alle Mal begraben wäre.

Caro half Danielle dabei, ihre letzten Habseligkeiten in den Reisekoffern zu verstauen. Danielle konnte es kaum erwarten, endlich aufzubrechen.

„Es sieht ganz so aus, als seien wir mit allem fertig“, verkündete Caro strahlend. „Bist du bereit?“

„Mehr als bereit. Und du?“

Caro lachte fröhlich. „Ich sitze schon seit Tagen auf gepackten Koffern.“

„Und Tante Flora?“

In diesem Moment eilte Danielles Tante herbei. Einzelne Strähnen ihres silbergrauen Haars hatten sich gelöst und wehten ihr um das rundliche Gesicht. „Von mir aus können wir aufbrechen, meine Lieben.“

Auch für Tante Flora war Caroline Loon fast zu einem Mitglied der Familie geworden, weshalb Danielle einmal vorgeschlagen hatte, dass Caro nicht länger als Zofe für sie arbeiten, sondern einfach ihre Gesellschafterin sein solle.

Caro war entsetzt gewesen. „Ich will keine Almosen, Danielle. Du und Lady Wycombe wart immer sehr freundlich und großzügig zu mir, aber ich möchte für das, was ich bekomme, auch arbeiten.“

Danach hatte Danielle das Thema nie wieder angesprochen. Caro war glücklich über ihre Arbeit, und Danielle war glücklich, Caro zur Freundin zu haben.

„Nun, wenn wir alle so weit sind“, meinte Tante Flora, „werde ich Bescheid sagen, damit die Kutsche vorgefahren wird.“ Der Wagen würde sie zum Hafen bringen und danach nach Wycombe Park zurückfahren. Lady Wycombe hatte vor, nach ihrer Amerikareise nach England zurückzukehren, während Danielle und Caro in Amerika bleiben und im Haus von Danielles künftigem Mann, Richard Clemens, leben würden.

„Oh, wie ist das alles aufregend!“ Tante Flora eilte davon, und Danielle sah zu Caro hinüber, der die Vorfreude ins Gesicht geschrieben stand.

„Nun brechen wir also wirklich auf …“, meinte Danielle.

Caro lächelte. „Stell dir nur vor – bald wirst du eine verheiratete Frau sein!“

Danielle nickte nur. Sie musste unwillkürlich an den Mann denken, den sie vor fünf Jahren hatte heiraten wollen und der sie so grausam verraten hatte.

Richard ist anders, versuchte sie sich aufzumuntern.

Sie konnte nur hoffen, dass sie sich nicht täuschte.

Auf dem Schiff wurden alle Vorbereitungen getroffen, um mit der Flut auslaufen zu können. Die Wyndham war ein großes Passagierschiff mit Kabinen, die allen modernen Komfort boten. Der Kapitän hatte die drei Frauen persönlich an Bord begrüßt und ihnen versprochen, sich während der Überfahrt um ihr Wohlergehen zu kümmern, da sie ohne den Schutz eines Mannes reisten.

Danielle versuchte sich zu erinnern, ob es jemals in ihrem Leben einen Mann gegeben hatte, der sie vor irgendetwas geschützt hätte … Ihr Vater war früh gestorben, und ihr Cousin Nathaniel hatte ihr bereits nachgestellt, als sie erst zwölf Jahre alt gewesen war.

Und Rafael, der Mann, den sie von ganzem Herzen geliebt hatte und der ihr Ehemann hätte werden sollen … Rafael schon gar nicht.

Sie fragte sich, wie es wohl mit Richard Clemens sein würde – aber eigentlich war das auch nicht wichtig, denn mittlerweile hatte sie gelernt, auf sich selbst aufzupassen, und das würde sie auch nach ihrer Heirat tun.

Danielle stand mit Tante Flora und Caro an der Reling, während auf dem Schiff die Segel gesetzt wurden. Es war Ende Mai, und ein leichter Wind blähte Danielles Umhang, den sie sich um die Schultern gelegt hatte.

„Ich kann es kaum glauben“, meinte Caro, als sie den Londoner Hafen hinter sich in der Ferne verschwinden sahen. „Wir fahren wirklich nach Amerika!“

„Das wird für uns alle ein Abenteuer werden“, verkündete Tante Flora strahlend.

Obwohl Danielle fast ebenso aufgeregt war wie die beiden, wünschte sie, sie wäre sich sicher, das Richtige zu tun. Sie kannte Richard Clemens kaum, und nach der Erfahrung mit Rafael war sie Männern gegenüber viel misstrauischer geworden. Andererseits bot Richard ihr die Möglichkeit eines glücklichen und erfüllten Lebens, wie sie es schon längst nicht mehr für möglich gehalten hatte.

Sie umarmte die beiden Frauen, die ihre besten Freundinnen waren. „Ich bin so froh, dass ihr beide mit mir kommt.“ Und sie wusste, dass das für die beiden selbstverständlich war, denn sie alle drei waren wie eine Familie geworden – die einzige Familie, die Danielle je gehabt hatte.

Doch nun erwartete sie eine andere Familie in Amerika. Richards Sohn und seine Tochter würden ihr die Kinder sein, die sie sonst nie gehabt hätte. Sie versuchte, sich Richards Gesicht zu vergegenwärtigen und erinnerte sich an einen Mann mit dichtem blondem Haar und braunen Augen, einen attraktiven Mann, der klug und großherzig war.

Sie hatten sich in Wycombe Park kennengelernt. Richard arbeitete in der Textilbranche und hatte geschäftlich in England zu tun. Er war zu Gast bei Squire Donner, einem von Tante Floras Freunden, der ganz in der Nähe lebte. Eines Abends waren der Squire und seine Frau Prudence zusammen mit ihrem Hausgast zum Essen nach Wycombe Park eingeladen worden.

Nach einem erfreulichen Abend mit Kartenspiel und angenehmen Gesprächen, an dem Danielle und Prudence die Gäste auch eine Stunde auf dem Klavier unterhalten hatten, hatte Richard sie gefragt, ob er sie wiedersehen dürfe. Danielle war selbst überrascht gewesen, als sie Ja sagte.

Während der nächsten Tage hatten sie viel Zeit gemeinsam verbracht und schienen sich immer besser zu verstehen. Und auch nachdem sie Richard von dem Skandal erzählt hatte, wollte er sie noch heiraten.

Anders als Rafael hatte er ihr geglaubt, als sie ihm versicherte, dass sie sich keiner Schuld in dieser Angelegenheit bewusst war.

Als sie nun auf dem Deck der Wyndham stand, spürte Danielle den Wind auf ihrem Gesicht. Sie konnte sich glücklich schätzen, eine zweite Chance zu bekommen, und sie war fest entschlossen, an ihrem Glück festzuhalten und das Beste daraus zu machen.

4. KAPITEL

Es vergingen zehn Tage, in denen es nur spärliche Nachrichten von Jonas McPhee gab. Währenddessen führte Rafe sein Leben weiter wie gehabt. Er besuchte Hausgesellschaften, verbrachte seine Abende im White’s Gentlemen’s Club und machte manchmal einen Abstecher von intimerer Natur zu Madame Fontaneaus Freudenhaus.

Früher hatten ihn seine besten Freunde Ethan Sharpe und Cord Easton oft begleitet, doch beide waren nun glücklich verheiratete Familienväter. Rafe wollte, dass seine Zukunft genauso aussah. Wenngleich seine Ehe mit Mary Rose keine Liebesheirat sein würde, so war es doch unerlässlich, dass er einen Erben zeugte, um das große Vermögen der Sheffields auch für zukünftige Generationen zu bewahren.

Denn Rafe hatte keine Brüder, und wenn er starb, ohne einen Sohn zu hinterlassen, würden Besitz und Titel an seinen Cousin Arthur Bartholomew übergehen. Artie war ein Taugenichts der schlimmsten Sorte, dessen einziger Lebenszweck darin bestand, zu trinken, zu spielen und zu huren und sich mit seinen Ausschweifungen früh ins Grab zu bringen.

Arthur war denn auch der Grund, weshalb Rafes Mutter so sehr darauf bedacht war, dass ihr Sohn bald heiratete, und Rafe konnte es ihr nicht verübeln. Seine Mutter und seine Tante lebten von einem Einkommen aus dem Vermögen der Sheffields, und es war Rafes Aufgabe, dafür zu sorgen, dass dieses Vermögen auch in Zukunft allen Familienmitgliedern ein gutes Auskommen ermöglichen würde.

Um dies sicherzustellen, hatte Rafe beschlossen, eine eigene Familie zu gründen. Er brauchte Söhne – mehr als nur einen –, um seiner Verpflichtung nachzukommen. Aber davon abgesehen, freute er sich auch darauf, Kinder zu haben … er hatte sich seit seiner Verlobung mit Danielle darauf gefreut, wenngleich ihm nach deren Betrug die Vorstellung unerträglich gewesen war.

Seine Gedanken begannen erneut um Danielle zu kreisen, und er dachte immer noch an sie, als er eine Stunde später endlich eine Nachricht von Jonas McPhee erhielt, in der dieser ihn um ein Treffen heute Abend bat. Aus dem Ton des Schreibens schloss Rafe, dass der Ermittler Neuigkeiten hatte.

Es war jedoch schon fast neun Uhr, als der Butler McPhee in das Arbeitszimmer führte, wo Rafe ungeduldig vor seinem Schreibtisch auf und ab ging.

„Guten Abend, Euer Gnaden. Ich hatte gehofft, früher kommen zu können, aber ich wollte noch einige Details überprüfen.“

„Schon in Ordnung, Jonas. Ich weiß es zu schätzen, dass Sie so gründlich arbeiten. Und ich vermute, dass Sie Neuigkeiten für mich haben.“

„Ich fürchte ja, Euer Gnaden.“

Rafe horchte auf. Ein Blick in McPhees Gesicht machte ihm klar, dass ihm nicht gefallen würde, was der Detektiv herausgefunden hatte. Rafe bedeutete ihm, sich in einen der Ledersessel zu setzen, während er selbst hinter dem Schreibtisch Platz nahm.

„Also gut, ich höre.“

„Um es kurz zu machen, Sir, es sieht so aus, als wären Sie an dem fraglichen Abend vor fünf Jahren hereingelegt worden.“

„Wie meinen Sie das?“

„Dieser Bekannte von Ihnen, Oliver Randall, der in das Geschehen verwickelt war, hat anscheinend seit Jahren einen tiefen Groll gegen sie gehegt.“

„Das ist eine schwere Anschuldigung. Immerhin waren wir Freunde. Nie wirklich enge Freunde, aber mir ist auch keine besondere Abneigung seinerseits aufgefallen.“

„Wussten Sie von den Gefühlen, die er für Ihre Verlobte hegte?“

„Ja, ich wusste, dass er seit Jahren in Danielle verliebt war. Er tat mir irgendwie leid.“

„Bis Sie die beiden dann in jener Nacht zusammen sahen.“

„Das stimmt. Ich fand ihn nackt in Danielles Bett vor.“

„Daran besteht auch kein Zweifel. Einige der Gäste, die zu der Zeit auf dem Landsitz zu Besuch waren, haben mir die Ereignisse dieses Abends bestätigt … soweit sie davon wissen konnten. Sie hatten Geräusche gehört, waren zu Miss Duvals Schlafzimmer geeilt und sahen, was auch Sie gesehen haben – und kamen zu demselben Schluss wie Sie.“

„Sie scheinen andeuten zu wollen, dass wir uns alle getäuscht haben.“

„Erzählen Sie mir noch einmal, wie Sie den Brief gefunden haben.“

Rafe kehrte in Gedanken abermals zu den furchtbaren Ereignissen von damals zurück. „Einer der Hausdiener brachte ihn mir nach dem Abendessen. Er sagte, er habe ihn in Lord Olivers Arbeitszimmer auf dem Boden gefunden. Und da er wusste, dass ich und Miss Duval verlobt seien, hielt er es für nicht richtig, was zwischen Miss Duval und Lord Oliver geschah.“

„Erinnern Sie sich noch an den Namen dieses Dieners?“

„Nein, nur noch daran, dass ich ihn für seine Achtsamkeit gut entlohnte.“

„Sein Name war Willard Coote. Und er hat sich auch von Lord Oliver gut dafür bezahlen lassen, dass er Ihnen den Brief gab.“

Rafe runzelte die Stirn. „Warum sollte Oliver daran interessiert sein, sich mit Danielle ertappen zu lassen?“

„Bedenken Sie, wie entschlossen Lord Oliver war, Ihre Heirat mit Danielle Duval zu verhindern. Er wird gehofft haben, sie für sich selbst gewinnen zu können – was natürlich nie geschehen ist. Hauptsächlich ging es ihm darum, Ihnen tiefen Schmerz zuzufügen.“

Rafe war völlig durcheinander und versuchte, das Gehörte zu begreifen. „Warum sollte Oliver mir so etwas antun?“

„Offensichtlich war er eifersüchtig. Aber dies scheint nicht der einzige Grund seiner tiefen Abneigung gegen Sie zu sein. Vielleicht kann ich diesbezüglich noch mehr herausfinden.“

Rafe straffte die Schultern. In seinem Kopf wimmelte es von Bildern, die Oliver und Danielle in jener Nacht zeigten. „Das wird vorerst nicht nötig sein. Im Moment möchte ich nur wissen, ob Sie ohne jeden Zweifel sicher sind, dass Danielle Duval keinerlei Schuld an den damaligen Ereignissen trifft.“

Statt zu antworten, holte McPhee einen Zettel aus der Tasche seines zerknitterten und schon etwas fadenscheinigen Gehrocks. „Es gibt noch ein letztes Beweisstück, das ich Ihnen zeigen möchte.“ Er legte den Brief, den Rafe ihm gegeben hatte, auf den Schreibtisch. „Dies ist die Nachricht, die der Hausdiener Ihnen an jenem Abend gegeben hat.“

McPhee holte ein weiteres Papier hervor und legte es daneben. „Und hier ist ein von Miss Duval geschriebener Brief. Ich denke, das beweist alles.“ Jonas beugte sich über die beiden Zettel. „Wie Sie hier sehen können, Euer Gnaden, ist die Handschrift ähnlich, aber wenn Sie genau hinschauen, werden Ihnen kleine Unterschiede auffallen.“

Rafe betrachtete aufmerksam jede einzelne Zeile von Danielles Brief und verglich sie mit der verhängnisvollen Nachricht. Es war offensichtlich, dass die Schriften sehr ähnlich waren, jedoch nicht von derselben Hand stammten.

„Sehen Sie sich die Unterschrift an.“

Der Namenszug war zwar eine bessere Fälschung als der Rest, aber auch hier waren leichte Abweichungen zu erkennen.

„Ich bezweifle, dass Miss Duval diese Nachricht an Oliver Randall geschrieben hat“, meinte Jonas. „Wahrscheinlich hat Lord Oliver den Brief selbst verfasst, bevor er seinen Diener anwies, Ihnen die Nachricht zukommen zu lassen.“

Rafes Hand zitterte, als er nach dem Brief griff, den McPhee mitgebracht hatte. Danielle schrieb ihrer Tante darin von den schrecklichen Ereignissen jener Nacht und bat sie, ihr zu glauben, dass sie unschuldig war.

„Wo haben Sie den herbekommen?“

„Ich habe Miss Duvals Tante, Lady Wycombe, einen Besuch abgestattet. Die Countess hat sich sofort zur Zusammenarbeit bereit erklärt, weil sie sehr daran interessiert ist, dass die Unschuld ihrer Nichte bewiesen wird, und sie hat mir einige Schriftproben Miss Duvals geschickt.“

Rafe legte den Brief zurück auf den Schreibtisch. „Danielle hat mir immer wieder geschrieben, aber ich habe nie … ich habe keinen einzigen ihrer Briefe geöffnet. Aufgrund dessen, was ich gesehen hatte, war ich mir sicher, die Wahrheit zu kennen.“

„Wenn man bedenkt, wie sorgfältig die Geschehnisse dieses Abends geplant worden sind, ist das nicht verwunderlich, Euer Gnaden.“

Ruckartig schob Rafe seinen Stuhl zurück und stand auf. „Wo ist er?“

Autor

Kat Martin
<p>Ihre Arbeit im Immobiliengeschäft führte die New York Times Bestseller- Autorin Kat Martin auf den Weg ins Glück. Durch ihre Tätigkeit als Maklerin lernte sie den perfekten Partner kennen – ihren Ehemann, den Western-Autor Jay Martin. „Wir standen uns als potenzielle Verkäufer und Käufer gegenüber“, erinnert sie sich. Kurz nachdem...
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