Romana Exklusiv Band 304

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VERZAUBERT VON DIESEM TANZ von MCALLISTER, ANNE
"Tanzen Sie mit mir!" Edies Herz rast, als Nick Savas sie beim Ball auf Schloss Mont Chamion auf die Tanzfläche entführt. Denn mit dem gutaussehenden Unternehmer fühlt sie sich lebendig wie schon lange nicht mehr. Hat dieser Mann mich verzaubert? fragt sie sich und erwidert seinen überraschenden Kuss voller Leidenschaft …

WAS SCHENKT MAN EINEM MILLIARDÄR? von KENDRICK, SHARON
Cassie glaubt zu träumen. Der attraktive Milliardär Giancarlo Vellutini lädt sie zum Dinner in sein Penthouse ein! Was will er von ihr? Das erfährt sie erst in jener kalten Winternacht - die unerwartet heiß wird.

GLAUB AN DIESES WUNDER, FAITH! von MONROE, LUCY
Vor Jahren hat Valentino ein Versprechen gegeben. Nur das ist der Grund, warum er seine Gefühle für Faith streng unter Verschluss hält. Denn ein Sizilianer kann viele Herzen brechen - aber niemals sein Wort!


  • Erscheinungstag 14.12.2018
  • Bandnummer 0304
  • ISBN / Artikelnummer 9783733744571
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Anne McAllister, Sharon Kendrick, Lucy Monroe

ROMANA EXKLUSIV BAND 304

1. KAPITEL

Dieser Mann war die Versuchung in Person!

In Edies Kopf schrillten sämtliche Alarmglocken: groß, unverschämt gut aussehend und gefährlich charmant! Instinktiv taufte sie ihn Mr. Trouble. Und wie er ihre Schwester Rhiannon anlächelte!

Über seinem Kopf blinkte sozusagen in Leuchtschrift das Wort „Gefahr“.

Und zu Edies Aufgaben gehörte es, genau diese Gefahr aus der Welt zu schaffen.

Deshalb stand sie jetzt auch an eine Säule gelehnt im Ballsaal von Schloss Mont Chamion und überlegte, wie sie am besten vorgehen sollte. Es galt, Fingerspitzengefühl walten zu lassen. Schließlich befand man sich auf der Hochzeit ihrer Königlichen Hoheit, Prinzessin Adriana und deren Gemahl, dem attraktiven, berühmten Schauspieler und Regisseur Demetrios Savas.

Zu den Klängen eines Orchesters schwebten die Paare über die Tanzfläche, und Edie wünschte sich, Rhiannon befände sich unter den Tänzern. Leider stand sie stattdessen unangemessen nahe bei diesem Mann und hing andächtig an seinen Lippen.

Edie schickte ein Stoßgebet zum Himmel: Könnte dieser Mr. Trouble sich nicht einfach höflich von ihrer flirtenden Schwester verabschieden? Er bewegte sich doch eindeutig in einer ganz anderen Welt als Rhiannon. Ihre Schwester war zwar hübsch und sexy und eine vielversprechende Nachwuchsschauspielerin, der Fremde machte jedoch einen souveränen und weltgewandten Eindruck. Außerdem war er mindestens Mitte dreißig und Rhiannon gerade mal zwanzig.

Im Moment sehr junge zwanzig!

Edie beobachtete seufzend, wie ihre Schwester die Hand auf den Arm des Mannes legte und hingebungsvoll die Augen zu ihm aufschlug. Diesen Blick kannte sie! Er konnte zweierlei bedeuten: Rhiannon interessierte sich tatsächlich für das Gespräch – oder sie tat einfach, was sie am besten konnte: schauspielern nämlich. Ohne Edies energisches Eingreifen würde die Situation unweigerlich außer Kontrolle geraten.

Also versuchte sie Mr. Troubles Interesse mittels Telepathie auf andere Damen zu lenken. Kurz versperrten ihr die Tänzer die Sicht, aber als sie die beiden wieder sah, lächelte dieser Typ Ree noch immer charmant an. Und sie strich ihm gerade über die Wange, auf der sich ein unwiderstehliches Grübchen zeigte.

Edie unterdrückte ein Seufzen.

Im selben Moment spürte sie einen Stoß im Rücken. Erschreckt fuhr sie herum – und begegnete dem Blick ihrer Mutter. „Unternimm endlich etwas!“, zischte Mona Tremayne, um sich gleich wieder dem Mann an ihrer Seite, dem dänischen Filmproduzenten Rollo Mikkelsen, zuzuwenden. Sie schob die Hand unter seinen Arm und schenkte ihm ihr einmaliges Lächeln – das berühmte Lächeln des Jahrhundert-Sexidols.

Glücklicherweise sind Rhiannons Verführungskünste noch nicht so perfekt wie die unserer Mutter. Allerdings schien nicht mehr viel zu fehlen! Während die letzten Töne des Orchesters verklangen, hörte Edie das perlende Lachen ihrer Schwester.

Mona hörte es offenbar auch und warf Edie erneut einen eindringlichen Blick zu. Das hieß: Sie musste sofort einschreiten, um Rhiannon vor einem schweren Fehler zu bewahren.

Es half alles nichts. „Ich gehe ja schon!“ Edie seufzte und biss die Zähne zusammen.

Als Managerin ihrer Mutter und Schwester gehörte es zu ihren Aufgaben, dafür zu sorgen, dass deren Karrieren durch nichts in Gefahr gerieten. Außerdem kümmerte sie sich um die Finanzen und den Terminkalender. Sie prüfte die Angebote und die Verträge. Sie beantwortete die Fanpost, die Interviewanfragen und und und … All die Dinge eben, die dazugehörten, wenn man „Mädchen für alles“ war – bei dem größten Filmstar Amerikas und deren Tochter, einer vielversprechenden Nachwuchsschauspielerin.

Ein Kinderspiel in Edies Augen!

Die Rolle der Gouvernante spielen zu müssen, das hasste sie jedoch. Natürlich nicht für ihre Mutter, die sehr wohl auf sich selber aufpassen konnte und für ihre Fehler geradestand.

Bei Rhiannon sah die Sache allerdings völlig anders aus.

Sie war jung und verletzlich, hochemotional und etwas leichtsinnig, aber auch warmherzig und einfühlsam. Eine unheilvolle Kombination! Normalerweise genügte es, Rhiannon von morgens bis abends zu beschäftigen, damit sie gar keine Zeit hatte, auf dumme Gedanken zu kommen.

Edie stopfte einfach nur den Terminkalender ihrer Schwester voll – und dafür musste sie nicht einmal ihre Wohnung in Kalifornien verlassen.

Aber vor zwei Tagen rief ihre Mutter von Mont Chamion aus an und sagte: „Edie, pack sofort deinen Koffer und komm her!“

Wenn sie diesen Ton anschlug, war es zwecklos zu protestieren. In Bezug auf Rhiannon besaß Mona einen untrüglichen Instinkt. Witterte sie Gefahr, so handelte man am besten sofort, statt den Kopf in den Sand zu stecken. Deshalb hatte Edie auch ergeben ihren Koffer gepackt und war um die halbe Welt gereist.

Womit sie nicht gerechnet hatte – sie sollte auch auf diese Hochzeitsfeier gehen!

„Warum um alles auf der Welt denn nicht? Natürlich kommst du zu der Hochzeit!“, erklärte Mona energisch. „Und zum Empfang“, fügte sie in einem Ton hinzu, der keinen Widerspruch duldete. „Wer weiß, was Rhiannon womöglich anrichtet, jetzt, wo der gute Andrew weg ist.“

Der „gute Andrew“ – oder besser der „geduldige Andrew“, wie ihn Edie insgeheim nannte – war der Verlobte ihrer Schwester. Ihre erste Liebe – und absolut der Richtige für Rhiannon. Das wusste diese auch … meistens. Normalerweise herrschte bei ihnen immer eitel Sonnenschein.

Aber seit gestern hing der Haussegen schief, und Andrew war wütend abgereist. Laut Monas Prognose konnte sich die Situation leicht zu einer Katastrophe ausweiten, wenn Rhiannon sich ungeliebt und vernachlässigt fühlte.

Trotzdem versuchte Edie, sich vor der Hochzeit zu drücken.

„Du gehst mit“, befahl Mona, während sie sich das Abendkleid für den Hochzeitsball überstreifte. Mit einer Kopfbewegung forderte sie Edie auf, ihr behilflich zu sein. Die königsblaue Robe bestach durch ihre raffinierte Schlichtheit … und betonte nebenbei auch das strahlende Blau von Monas Augen. Der tiefe Rückenausschnitt brachte überdies ihre seidig schimmernde Haut zur Geltung. Auch noch mit fünfzig war Mona Tremayne eine berückende Schönheit.

„Ich bin doch gar nicht eingeladen!“ Energisch zurrte Edie die Bänder der Korsage fest. „Und ich habe nicht vor, unaufgefordert auf einer königlichen Hochzeit aufzutauchen.“

„Rede keinen Unsinn!“ Ihre Blicke trafen sich im Spiegel. „Du begleitest mich.“

„Ich dachte, Oliver ist dein Begleiter.“

Sir Oliver Choate, ein englischer Schauspieler und Monas neuester Filmpartner, war für die Hochzeit extra eingeflogen worden.

„Ja und? Du begleitest mich eben auch!“ Monas Stimme klang deutlich ungeduldig. „Du musst einfach dabei sein. Außerdem … vielleicht lernst du ja auch jemanden kennen.“ Aufmunternd sah sie ihre Tochter an.

Edie presste die Lippen zusammen. Genau das hatte sie befürchtet. Ein neuer Versuch, sie zu verkuppeln. Sie seufzte. „Mutter! Ich habe keine Lust, jemanden kennenzulernen.“

„Nenn mich in der Öffentlichkeit bloß nicht ‚Mutter‘! Herrgott, du bist fast dreißig!“

„Wir sind jetzt aber nicht in der Öffentlichkeit und unsere Zimmer werden bestimmt nicht abgehört. Außerdem – als junge Naive würde dich ja wohl niemand mehr besetzen. Jeder weiß inzwischen, wie alt du bist.“ Unsanft schloss Edie die Korsage.

Mona zog scharf die Luft ein, dann straffte sie die Schultern. „Ich vermeide es, daran zu denken. Trotzdem …“ Sie schüttelte ihre künstlich zerzausten Locken. „Es wäre einfach schön, wenn du kämst, egal ob du jemanden kennenlernst.“ Leider machte sie die mütterliche Anwandlung sofort zunichte. „Aber trotzdem, Edie, das Leben geht weiter. Du musst einen neuen Anfang machen!“

Ich soll also wieder ausgehen, mich mit Männern treffen. Ben vergessen!

Aber Edie wollte Ben nicht vergessen. Warum auch? Er war das Beste, was ihr im Leben passieren konnte. Und dann war er gestorben … vor zweieinhalb Jahren.

„Ich musste ja auch noch einmal neu beginnen!“ Diesen Satz hörte Edie von Mona nicht zum ersten Mal.

Ihr Vater starb bei einem Reitunfall, als sie fünf war. Er war Monas große Liebe gewesen, und um sich über den Schmerz hinwegzutrösten, mutete sie ihrer Tochter eine Reihe von Stiefvätern zu.

„Und was hat dir das gebracht?“, fragte Edie trocken.

„Vier wunderbare Kinder!“ Ihre Blicke trafen sich im Spiegel. In Monas Augen lag ein herausfordernder Ausdruck.

Dem konnte Edie nun wirklich nicht widersprechen. Sie liebte ihre jüngeren Geschwister. Rhiannon, Grace, Ruud und Dirk wurden ihre Ersatzfamilie. Sie füllten die Lücke, die Ben hinterlassen hatte.

Jetzt spielte Mona ihren größten Trumpf aus. „Deine Schwester braucht dich! Und zwar heute! Wer weiß, was passiert, wenn der gute Andrew die Verlobung lösen sollte.“

„Meinst du wirklich, so weit könnte es kommen?“ Andrew liebte Rhiannon zwar heiß und innig, aber wahrscheinlich gab es für jeden einen Punkt, der das Fass zum Überlaufen brachte.

Andrew Chalmers, dreifacher Olympiasieger im Schwimmen, war ein total netter Kerl – und seit der Highschool in Rhiannon verliebt.

Und sie erwiderte Andrews Gefühle – wenn sie nicht gerade mit anderen Männern flirtete. Er gab ihr Halt und hatte einen positiven Einfluss auf sie. Dafür konnten Mona und Edie ihm gar nicht dankbar genug sein.

Vor einem Monat hatte Andrew um Rhiannons Hand angehalten. Sie gab sofort ihr Jawort. Die Hochzeit sollte im nächsten Sommer stattfinden, und Ree stürzte sich in die Vorbereitungen. Zumindest bis zu dem Streit gestern.

Und der war, gelinde gesagt, nicht gerade diskret verlaufen. Mitten im Empfangssaal der königlichen Familie machte Rhiannon eine lautstarke Szene, als Andrew ihr mitteilte, er würde an einem Schwimmwettkampf in Vancouver teilnehmen.

„Und was ist mit mir? Du bist bei der Hochzeit mein Begleiter!“

„Eben nicht!“, korrigierte Andrew sie in seiner gewohnt ruhigen Art. „Und das wusstest du auch, Ree. Schon seit letzter Woche! Ich habe dir gesagt, dass ich am Freitag wieder abreisen muss.“

„Aber ich will, dass du bei mir bist!“

„Du kannst gerne mit mir kommen“, erwiderte er gelassen.

Aber um nichts auf der Welt wollte Rhiannon die königliche Hochzeit verpassen, und sie war sich sicher gewesen, Andrew um den kleinen Finger wickeln zu können. Offensichtlich besaß dieser jedoch mehr Rückgrat als erwartet. Weder durch lautstarke Szenen noch durch heiße Tränen ließ er sich erweichen, sondern reiste wie vorgesehen ab. Insgeheim zog Edie den Hut vor ihm. Sie hielt es für falsch, jeder Laune ihrer Schwester nachzugeben.

Die spielte jetzt leider die gekränkte und verlassene Braut und zwar mit aller Dramatik.

„Sie wird irgendetwas Schreckliches anstellen“, prophezeite Mona. „Ich sehe eine Katastrophe auf uns zukommen.“

Und diese schien sich gerade vor Edies Augen anzubahnen … Um sich an Andrew zu rächen, warf sich Ree gerade einem völlig Fremden an den Hals.

Rhiannon war eine der schönsten Frauen Hollywoods. Sie besaß den Sex-Appeal einer Marylin Monroe und die klassische Schönheit einer Catherine Deneuve. Und sie stellte alles Dagewesene in den Schatten, wenn sie es darauf anlegte, einen Mann zu bezirzen. Wäre „Flirten“ eine olympische Disziplin, würde sie für England die Goldmedaille holen, besser gesagt für Wales. Rees Vater war nämlich kein Geringerer als der berühmte walisische Dichter Huw Evans. Rhiannon hatte sogar die doppelte Staatsangehörigkeit – und den Hang, überall auf der Welt in Schwierigkeiten zu geraten.

Und eben deshalb befand sich Edie jetzt hier im Ballsaal, halb hinter einer Marmorsäule verborgen. Das blassrosa Ballkleid ihrer Schwester, die mit ihrem sonnengebräunten Teint und ihren blonden Locken fantastisch darin aussah, wirkte bei Edies heller Haut absolut unvorteilhaft. Noch schlimmer war, dass sie ihre Füße in viel zu kleine Schuhe zwängen musste. Sie fühlte sich wie in einer schlechten Aschenputtel-Verfilmung. Leider bestand keine Aussicht auf Erlösung … weit und breit war kein Prinz zu sehen.

Nur Mr. Trouble!

Hilflos musste Edie mit ansehen, wie Rhiannon eine Hand auf seinen Arm legte und mit der anderen seine Smokingjacke streichelte. Sie lachte über seine Bemerkungen und warf den Kopf in den Nacken. Ihr blondes Haar schimmerte im Glanz der Kristalllüster. Jetzt fuhr sie ihm auch noch mit der Hand durch das Haar!

Als Nächstes wird sie an seiner Krawatte ziehen und ihm das Hemd aufknöpfen! Wie Mona prophezeit hatte, nahm die Katastrophe ihren Lauf.

Edie biss die Zähne zusammen und bemühte sich, ihre schmerzenden Füße zu ignorieren. Sie stieß sich von der Säule ab und ging auf ihre Schwester zu.

„Da bist du ja!“, rief sie betont fröhlich. Es gelang ihr sogar, ein strahlendes Lächeln aufzusetzen, obwohl ihr eher danach zumute war, das Gesicht vor Schmerz zu verziehen.

Rhiannon fuhr herum und warf wieder den Kopf in den Nacken. Diesmal hatte die Geste jedoch etwas herausfordernd Trotziges. „Was willst du?“, fragte sie ungnädig.

Mr. Trouble hob erstaunt die Augenbrauen und sah Edie fragend an.

Sie nickte ihm höflich zu, ließ ihren Blick jedoch nicht von ihrer Schwester. „Andrew hat mir eine SMS geschickt.“ Glücklicherweise entsprach dies vollkommen der Wahrheit.

Schlagartig hellte sich Rhiannons Miene auf. Leider fiel ihr sofort wieder ein, dass sie ihrem Verlobten ja böse war, und sie runzelte schnell die Stirn. „Wieso schickt er dir eine SMS?“

„Keine Ahnung.“ Edie zuckte die Schultern. „Aber könnte es daran liegen, dass du dein Telefon ausgeschaltet hast?“

Ree schob schmollend die Unterlippe vor. „Ich wollte nicht mit ihm reden.“

„Aber er offensichtlich mit dir. Dringend. Die SMS klingt richtig panisch.“

Nun ja. Das war vielleicht etwas überspitzt formuliert. Andrews SMS lautete: Deine Schwester soll ihr Tel. einschalten. Müssen reden.

Immerhin hatte er „müssen“ geschrieben. Drückte das nicht eine gewisse Dringlichkeit aus? Doch bestimmt, beschwichtigte Edie ihr Gewissen.

„Dringend!“, wiederholte sie. Erst jetzt gönnte sie dem Mann, auf dessen Arm die Hand ihrer Schwester ruhte, einen Blick. „Andrew ist ihr Verlobter.“

„Ein Verlobter?“, fragte der überrascht. Fragend sah er Ree an und befreite diskret seinen Arm.

„Er ist nicht hier.“ Betont gleichgültig zuckte sie die Achseln, errötete jedoch dabei. „Wir haben uns gestritten. Er meint, er hätte immer recht.“

Mr. Trouble blickte sie schweigend an. Edie hielt es für ratsam, die Situation zu entschärfen. „Ganz bestimmt glaubt Andrew das nicht“, sagte sie besänftigend. „Auf dem Weg nach Vancouver hatte er ja Zeit, über die Sache nachzudenken. Ich bin mir sicher, er wollte dich nicht verletzen. Wahrscheinlich vermisst er dich bereits schrecklich.“

„Meinst du?“ Rhiannons Miene hellte sich wieder auf.

„Du solltest wirklich zurückrufen.“

Aber Rhiannon zögerte. Ihr Blick schweifte zu dem attraktiven Mann an ihrer Seite und dann durch den Ballsaal. Was würde sie wohl verpassen, wenn sie jetzt ging? Champagner, Musik und Tanz … „Andrew hätte bei mir bleiben sollen, dann hätte er mit mir tanzen können“, stieß sie ärgerlich hervor.

„Stimmt, aber immerhin wollte er dich mitnehmen. Ein Kompromiss ist keine Einbahnstraße. Er musste schließlich zu dem Wettkampf nach Vancouver.“

„Aber dann hätte ich auf die Hochzeit verzichten müssen.“

„Und jetzt? Jetzt musst du auf Andrew verzichten.“

Edie gab Ree Zeit, darüber nachzudenken, dann schob sie nach: „Ach ja. Dann kannst du ihm ja auch gleich erzählen, dass Sir Oliver euch das Schloss in Schottland für die Flitterwochen zur Verfügung stellt.“

Das gab den Ausschlag. Seit der Verlobung kreisten Rhiannons Gedanken ausschließlich um die Hochzeit, und selbstverständlich musste sie Andrew jeden einzelnen Gedanken mitteilen. Letzten Abend war Sir Olivers großzügiges Angebot Thema Nummer eins gewesen – abgesehen natürlich von Thema Nummer zwei, ihrem Ärger über Andrew.

„Na gut! Von mir aus!“ Sie hatte tatsächlich angebissen, Edies Taktik war aufgegangen. „Dann rufe ich ihn eben an … wenn er schon versucht, mich zu erreichen … und dafür dir sogar eine SMS schickt …“

Ree seufzte und warf dem attraktiven Fremden einen theatralischen Blick zu. „Andrew liebt mich eben“, erklärte sie. „Und ich ihn, auch wenn er mich manchmal zur Weißglut treibt. Ich glaube, ich muss ihn wirklich anrufen, obwohl …“, sie seufzte erneut auf, „ich wahnsinnig gerne die Renovierungsarbeiten in Ihrem Schlafzimmer gesehen hätte.“

„Und ich hätte sie Ihnen gerne gezeigt“, erwiderte dieser galant.

Edie glaubte, ihren Ohren nicht zu trauen. Sprachlos blickte sie von einem zum anderen. Ree drehte sich um und verließ fröhlich winkend den Ballsaal. Hoffentlich ruft sie Andrew wirklich an und versöhnt sich mit ihm, flehte Edie innerlich.

Sie wandte sich Mr. Trouble zu, um sich unter einem Vorwand zu verabschieden – und blickte geradewegs in seine Augen. Im Gegensatz zu ihr sah er nämlich nicht der Davoneilenden nach, sondern betrachtete sie! Ein Lächeln umspielte seine Lippen – und dann … zwinkerte er ihr plötzlich zu!

Edies Herz setzte einen Moment lang aus … und fing dann an zu rasen. Sie fühlte sich, als hätte man sie nach einem Herzstillstand durch einen Stromstoß ins Leben zurückgeholt.

Vom Prinzen wachgeküsst wie Dornröschen? Das Gefühl überrumpelte sie völlig. Seit Bens Tod hatte sie sich nicht mehr so lebendig gefühlt!

Reiß dich zusammen, Edie! ermahnte sie sich. „Habe ich eben richtig gehört? Renovierungsarbeiten in Ihrem Schlafzimmer?“ Sie hob spöttisch die Brauen. Wahrscheinlich wäre er als Nächstes mit seiner Briefmarkensammlung angekommen!

„Großes Pfadfinderehrenwort, nur darum ging es“, antwortete er mit einem spitzbübischen Funkeln in den Augen.

Edies Herz tat erneut einen kleinen Hüpfer. „Ich finde das gar nicht lustig!“ Wütend funkelte sie ihn an.

„Sie glauben mir nicht? Kommen Sie, ich kann es Ihnen beweisen.“ Galant bot er ihr den Arm.

„Sind Sie verrückt? Ich gehe doch nicht mit auf Ihr Zimmer.“ Unwillkürlich verschränkte Edie die Arme vor der Brust. „Übrigens – auch Rhiannon hätte das nicht getan“, schob sie nach. Sie wusste nicht genau, warum, aber irgendwie hatte sie das Gefühl, das Gespräch wieder auf ihre Schwester lenken zu müssen. „Rhiannon liebt Andrew. Sie streiten eben manchmal … und dann reagiert sie etwas … überzogen.“ Was manchmal in eine Katastrophe münden kann, setzte sie insgeheim hinzu. „Das bedeutet nicht, dass sie nicht ihre Grenzen kennt.“

„Ach ja?“ Wieder die hochgezogenen Augenbrauen. „Offensichtlich konnten Sie unser Gespräch doch nicht ganz verfolgen.“

Edie schoss das Blut in die Wangen. „Auf gar keinen Fall hätte sie … würde sie …“

„Mit mir schlafen?“ Es schien ihm wirklich Spaß zu machen, Edie zu provozieren.

„Nein! Natürlich nicht!“ Zumindest hoffte Edie das.

„Also da müssen Sie sich wirklich keine Sorgen machen … meinerseits bestand da sowieso keinerlei Gefahr.“

Ungläubig weiteten sich Edies Augen. „Nicht?“

Entschieden schüttelte er den Kopf. „Darauf können Sie Ihren Kopf wetten. Ree ist doch noch ein Kind.“

„Sie ist zwanzig!“

„Genau. Nicht mein Typ.“

„Ach? Sie haben einen Typ?“

Genaugenommen war das keine Frage, eher eine Feststellung.

Männer wie er besaßen immer einen ganz besonderen Geschmack.

Edie trat einen Schritt zurück. „Ah. Ja. Ich gehe dann mal.“ Sie hielt es für ratsam, sich allmählich zurückzuziehen.

Mr. Trouble trat einen Schritt vor. „Wer sind Sie eigentlich?“ Sein Blick war derart intensiv, dass seine Augen fast schwarz wirkten.

„Ich bin Rhiannons Schwester.“ Edie erwartete ungläubiges Staunen. Normalerweise glaubte das niemand, bis Mona schwor, dass sie tatsächlich die leibliche Mutter von beiden war. Rhiannon war blond, großbusig … die reinste Sexbombe, Edie eher hager und schlaksig. Schon als Kind. Ihr Haar war irgendwie mittelbraun und ihre Augen von einem undefinierbaren Grün. Kein Jade- oder Smaragdgrün. Eher etwas Banales … wie zum Beispiel grasgrün. „Ihre Halbschwester, um genau zu sein.“

„Haben Sie auch einen Namen, Halbschwester?“

„Edie Daley.“

Ein weiterer wunder Punkt. Rhiannon trug den Namen einer sagenumwobenen Göttin, Edie dagegen den ihrer Großmutter väterlicherseits.

„Edie!“ Er lächelte und schob ihr eine Locke aus der Stirn. „So hieß meine Großmutter.“

Wie sollte es auch anders sein? dachte Edie resigniert.

„Ich heiße Nick.“

Nick? Wie in Nick Knatterton? Schwarm aller Frauenherzen und Meisterdetektiv?

„Nick Savas“, fügte er hinzu, als hätte er ihre Gedanken lesen können.

„Demetrios Bruder?“ Edie wusste, davon gab es mehrere. Sie kannte jedoch keinen persönlich, wusste nur, dass alle attraktiven, dunkelhaarigen Männer auf dem Hochzeitsfest mit dem Bräutigam verwandt waren.

„Nein, sein Cousin.“

Na wunderbar. Typisch Rhiannon! Flirtet mit einem Familienmitglied des Bräutigams. Und natürlich auch noch mit dem weitaus attraktivsten.

Das erklärte wahrscheinlich Edies eigene heftige Reaktion. Sie war zwar nicht interessiert, aber immerhin nicht blind … oder tot!

„Ich möchte mich für das Verhalten meiner Schwester entschuldigen, Mr. Savas“, sagte sie steif.

„Nick, bitte.“

Edie hütete sich, den Namen zu wiederholen. Es war mehr als deutlich, dass Nick das Gespräch fortführen wollte, aber um nichts auf der Welt war sie dazu bereit. Die Nähe dieses Mannes machte sie nervös – und das irritierte sie zunehmend.

„Wenn Sie mich jetzt bitte entschuldigen würden …“ Erneut machte sie Anstalten zu gehen. Sie hatte ihre Pflicht getan, sie konnte sich endlich zurückziehen, dieses grässliche Kleid und diese Folterinstrumente an ihren Füßen ausziehen und den Rest des Abends mit einem guten Buch verbringen.

Aber bevor sie noch einen Schritt tun konnte, fühlte sie, wie eine starke Männerhand ihr Handgelenk umschloss. Entgeistert drehte sie sich um. „Entschuldigen Sie bitte …?“

„Sie werden jetzt doch wohl nicht kontrollieren, ob Ree wirklich telefoniert?“

„Natürlich nicht!“

„Warum wollen Sie denn dann fortlaufen? Bleiben Sie! Unterhalten Sie sich mit mir.“

„Ich …“ Edie brach ab. Eigentlich wollte sie ablehnen. Sie lehnte immer ab. Aber irgendwie wollte ihr der Satz nicht über die Lippen. „Worüber denn?“, brachte sie schließlich hervor.

„Die Renovierungsarbeiten in meinem Schlafzimmer?“

Edie konnte nicht anders. Sie musste einfach lachen.

Das war genau die Art von trockenem Humor, wie sie ihn an Ben geliebt hatte. Ihr Mann hatte sich geweigert, sich selbst allzu ernst zu nehmen – und das war sehr erfrischend verglichen mit den Egozentrikern, die ihre Mutter umgaben.

Von Mr. Trouble hatte sie diese Art Humor jedenfalls nicht erwartet.

Dieser strahlte sie jetzt an und sagte: „Sehen Sie! Ich wusste, ich würde es schaffen, Ihnen ein Lächeln zu entlocken.“

„Ich hatte bereits vorher gelächelt. Ich lächle nämlich viel“, protestierte Edie. Ich werde seinem Charme nicht erliegen, schwor sie sich.

„Und wie oft ist es ein echtes Lächeln?“

„Sehr oft.“

„Heute Abend aber noch nicht. Bis zu diesem Moment!“

Edie öffnete schon den Mund, um zu widersprechen, als er sanft einen Finger auf ihre Lippen legte.

„Tanzen Sie mit mir!“

Dieser Mann war wirklich die Verführung schlechthin. Diese warme, sonore Stimme, das jungenhafte Lächeln … die Berührung seiner Hand. Seine Direktheit entwaffnete … und verunsicherte sie. Noch viel schlimmer war jedoch der brennende Wunsch, genau das zu tun, worum er sie bat.

„Nein. Vielen Dank.“

„Und warum nicht?“

„Man hinterfragt die Entscheidung einer Dame nicht. Das zeugt von schlechtem Benehmen.“

„Ach ja? Und ich hielt Ihre Ablehnung für schlechtes Benehmen.“ Wieder lächelte er sie jungenhaft an.

Allmählich kam Edie sich vor wie ein Teenager. „Tut mir leid, ich kann nicht“, antwortete sie mit hochroten Wangen.

„Können nicht?“ Prüfend sah er sie an. „Oder wollen nicht?“

Edie beschloss die Flucht nach vorne. „Meine Füße tun weh“, gestand sie verlegen.

Ungläubig blickte Nick ihr ins Gesicht – dann auf die rosa High Heels, in die sie sich gezwängt hatte.

„Du meine Güte!“ Fassungslos schüttelte er den Kopf, dann lächelte er. „Kommen Sie.“ Er nahm sie bei der Hand und zog sie ohne Umschweife zu einem der Stühle am Rande der Tanzfläche. „Setzen Sie sich!“

Es klang eher wie ein Befehl als eine Bitte. Edie wünschte sich jedoch nichts sehnlicher, als ihre gequälten Zehen zu entlasten, und so ließ sie sich widerspruchslos auf einen Stuhl sinken.

Vermutlich sucht er sich jetzt eine andere Tänzerin. Davon ging sie zumindest aus. Stattdessen kniete er sich hin … und zog ihr die Schuhe aus. Achtlos schob er sie unter einen Tisch.

„Was … was machen Sie denn da?“

„Wieso tut ihr Frauen euch das an? Das werde ich nie verstehen.“ Kopfschüttelnd sah er zu ihr hoch.

Das sind Rhiannons Schuhe, wollte sie protestieren, aber die Worte erstarben ihr auf den Lippen, als Nick plötzlich anfing, ihre gemarterten Zehen sanft zu massieren. Edie unterdrückte ein wohliges Stöhnen. Wie himmlisch – und wie intim. Ein Schauer durchlief sie. Sie wünschte, er würde aufhören … und doch, als er ihren Fuß schließlich freigab, wäre sie am liebsten in Tränen ausgebrochen.

„So!“, verkündete er und erhob sich. „Ist es jetzt besser?“

Edie begegnete seinem fragenden Blick. Sie fühlte sich wie in Trance und schaffte gerade noch ein zaghaftes Nicken.

„Dann können wir ja jetzt tanzen.“ Er nahm sie bei der Hand und zog sie geradewegs in seine Arme.

Es war wie ein Traum.

Sie wiegten sich im Walzertakt, und Edie stolperte kein einziges Mal. Ich stolpere sonst immer, dachte sie ungläubig.

Selbst bei ihrem Hochzeitswalzer hatte sie sich hölzern und ungelenk gefühlt. Wie hatte Mrs. Achenbach, die Tanzlehrerin, immer gesagt? Ach ja: Zwei linke Füße hätte sie. Und diese Worte waren auf immer und ewig in Edies Gehirn eingebrannt.

Aber heute schienen die Gesetze der Schwerkraft aufgehoben, und sie schwebte über die Tanzfläche wie eine Feder. Ihre Füße taten genau das, was sie sollten: der Führung dieses Mannes zu folgen.

Wie konnte es auch anders sein bei diesem Mann!

Nick Savas befahl: „Tanzt!“ und ihre Füße wagten nicht, sich zu widersetzen. Fassungslos schielte Edie auf ihre seidenbestrumpften Zehen.

„Alles in Ordnung?“

Nichts war in Ordnung – und gleichzeitig alles. Edie kam es vor, als erlebte sie gerade eine Astralreise. Ihr physischer Körper schien sich von ihr gelöst zu haben – oder vielleicht in einen anderen Menschen geschlüpft zu sein. Vielleicht in Aschenputtel?

Keinesfalls konnte es sich um ihren eigenen Körper handeln.

Von Rechts wegen sollte sie nicht einmal hier sein. Wollte es auch gar nicht. Sie gehörte nicht hierher … außer natürlich, um wieder einmal auf ihre Schwester aufzupassen. Aber die hatte den Ballsaal ja jetzt verlassen.

Unwillkürlich suchte Edie nach einer Uhr. Womöglich schlägt es gleich Mitternacht … und der Spuk ist vorbei?

Natürlich hing in dem Ballsaal keine Uhr, und so wie Nick sie herumwirbelte, hätte sie keine Chance gehabt, das Zifferblatt zu erkennen. Sie schwebten über die Tanzfläche, und Edie hätte am liebsten vor Übermut mit den Zehen gewackelt … Sicher tippte ihr jetzt gleich jemand auf die Schulter und fragte sie, wo denn ihre Schuhe seien, und dass es verboten sei, ohne Schuhe zu tanzen.

Aber natürlich schenkte ihr kein Mensch auch nur die geringste Aufmerksamkeit. Schon gar nicht ihren Füßen.

Nick wirbelte sie durch den Ballsaal, und Edie fragte sich allmählich, ob sie wohl jemals die Schuhe wiederfände.

„Ist was?“

„Meine Schuhe …“

„Das sind doch unmöglich Ihre.“

„Stimmt. Es sind Rhiannons. Trotzdem kann ich sie nicht einfach hierlassen.“

„Wir holen sie später“, beruhigte Nick sie.

Er hat gut reden, dachte Edie. Er muss ja nicht auf Strümpfen in einem königlichen Schloss tanzen.

„So lächeln Sie doch!“ Es klang wie ein Befehl. „Ich liebe Ihr Lächeln“, fügte er sanft hinzu.

Und wie von selbst formte sich ihr Mund zu einem Lächeln. Offensichtlich gaben ihre Lippen ebenso leicht nach wie ihre Füße.

Befriedigt blickte Nick sie an. „So ist es viel besser.“

Kein Wunder, dass Rhiannon sich ihm förmlich an den Hals geworfen hat, durchzuckte es sie wie ein Blitz. Für den Bruchteil einer Sekunde fühlte sie sich wie gelähmt. Sie geriet aus dem Takt und wäre beinahe gestürzt, hätte Nick sie nicht fester an sich gezogen. Sie waren sich ganz nah … gefährlich nah. Durch die Seide ihres Kleides fühlte sie die Wärme seines Körpers und roch den herben Duft seines Aftershaves.

Ihre Knie drohten nachzugeben, und Nick presste sie noch enger an sich.

„Ich bin einfach keine gute Tänzerin“, entschuldigte sie sich und versuchte, den Abstand wieder etwas zu vergrößern.

Vergeblich! „Ich genieße jede Sekunde. Dies ist bis jetzt der Höhepunkt meines Abends“, flüsterte er ihr ins Ohr. Seine Stimme klang wie flüssiges Gold, sein warmer Atem streifte ihr Ohr. Edie durchrann ein Schauer. Ihre Gedanken überschlugen sich und gingen genau in die Richtung, die sie sich eigentlich strengstens verbot.

Was meint er mit „bis jetzt“?

„Was haben Sie?“, murmelte er, als er spürte, wie Edie sich verspannte.

„Ach nichts“, wehrte sie ab. „Ich musste nur an etwas denken.“

„Damit sollten Sie wirklich aufhören!“ In seiner Stimme schwang ein leichtes Lächeln mit, Edie glaubte, seine Lippen an ihrer Schläfe zu spüren. Wieder lief ihr ein Schauer den Rücken hinunter.

Was ist nur los mit mir!?

Sie konnte sich gar nicht erinnern, wann sie das letzte Mal solch eine Regung überkommen hatte. Seit Bens Tod interessierten sie Männer nicht im Geringsten.

Das Drängen ihrer Mutter, wieder unter Leute zu gehen, fiel auf taube Ohren bei ihr. Sie hatte einfach kein Bedürfnis danach. Und damit war die Sache für sie erledigt. Bis jetzt! Edie verstand plötzlich die Welt nicht mehr. Sie fühlte sich wie magisch zu diesem Mann hingezogen und ließ sich willenlos führen. Die Klänge des Orchesters verzauberten sie, und ihre Gedanken verloren sich in einer Märchenwelt.

Achtung! meldete sich in ihr eine warnende Stimme.

Was ist denn so schlimm daran? konterte eine andere, ihr bis jetzt völlig unbekannte Stimme. Solange man nicht glaubt, dass Märchen wahr werden!

Außerdem glaubte sie sowieso nicht an Märchen und ein Happy End.

Nicht, seit sie im Alter von achtzehn Jahren der Schauspieler und Herzensbrecher Kyle Robbins davon kuriert hatte. Und wenn doch einmal die Hoffnung in ihrem Herzen aufglomm, dann musste sie sich nur an das traumatische Ende ihrer Ehe erinnern.

Edie wusste, es gab kein Happy End. Sie war gegen diese Illusion gefeit.

Also los, flüsterte diese unbekannte Stimme wieder, worauf wartest du noch? Was ist schon dabei … ein Walzer, eine Nacht voller Seligkeit … weiter nichts!

Zum ersten Mal an diesem Abend fiel ihr eine Last von den Schultern. Gefühl und Verstand lagen nicht mehr im Streit miteinander. Edie hob den Kopf, lächelte Nick Savas an … und gab sich der Musik hin.

Nick Savas ging prinzipiell nicht auf Hochzeiten.

Seit Jahren nicht!

Und zu dieser wollte er natürlich auch nicht kommen. Wenn man allerdings mit dem Bräutigam verwandt war und gerade die Familienresidenz der Braut renovierte, dann blieb einem leider keine Wahl.

Er hätte während der königlichen Hochzeit sowieso nicht weiterarbeiten können – auch wenn ihm das lieber gewesen wäre. Ein weiteres glückliches Paar zu sehen, das sich das Jawort gab, darauf konnte er wirklich verzichten. Er wollte nicht die Hoffnung in ihren Augen sehen. Vielleicht war das egoistisch von ihm – wahrscheinlich sogar verdammt egoistisch – aber er ertrug es einfach nicht! Er wollte nicht das Glück anderer mit ansehen müssen, das ihm selbst verwehrt war. Seit dem Tod seiner Verlobten Amy vor zwei Jahren scheute er solche Situationen.

Aber vor allem galt es, die Hochzeiten des Savas-Clans zu meiden. Nicht nur wegen des Eheversprechens, das ihn jedes Mal bis ins Mark traf. Sondern deshalb, weil sich offensichtlich jeder in dieser Familie zum Ziel gesetzt hatte, ihn mit einer auch nur halbwegs akzeptablen Frau zu verkuppeln.

Dabei lag Nick nichts ferner, als zu heiraten.

Aber offensichtlich nahm das niemand ernst.

Deshalb bemühte er sich, möglichst auf einen anderen Kontinent zu reisen, sobald eine Hochzeit anstand. Da er nun aber leider gerade im Schloss arbeitete, hatte er keine Ausrede. Das hieß, er musste erscheinen.

„Es wird ein wunderbares Fest werden“, beruhigte ihn seine Tante Malena. „Und ich glaube, Gloria kommt in Begleitung zweier Assistentinnen. Beide jung und ledig!“ Und damit bestätigten sich auch schon seine schlimmsten Befürchtungen.

„Du wirst die Auswahl haben unter Dutzenden von zauberhaften Frauen“, fügte Tante Ophelia hinzu.

Aber Nick wollte sich niemanden aussuchen. Deshalb erschien er zur Trauung auch erst in allerletzter Minute und setzte sich dann in die hinterste Reihe. Auf jeden Fall musste er seinen Tanten, Onkeln und Cousins aus dem Weg gehen, die nur einen Gedanken hatten … jeden Single möglichst unverzüglich mit einem Partner zu versorgen.

Dagegen hatte Nick ja auch eigentlich nichts. Aber für ihn waren diese Zeiten vorbei.

Als der Priester die feierliche Formel sprach: Willst du diese Frau zu deiner rechtmäßigen Ehefrau nehmen …, schluckte Nick. Plötzlich war seine Kehle wie zugeschnürt.

Rasch richtete er den Blick nach oben und studierte angelegentlich die Verzierungen, die Engel und Putten, die über den Köpfen der Anwesenden schwebten. Anschließend hätte er eine Examensprüfung darüber ablegen können – wie damals, bei seinem Architekturdiplom. Eindeutig Barock, dachte er. Mitte 17. Jahrhundert.

„Hiermit erkläre ich euch zu Mann und Frau.“

Nick stieß einen Seufzer der Erleichterung aus.

Er hoffte, sich unauffällig davonmachen zu können. Leider entdeckte ihn sein Onkel Orest und verwickelte ihn in ein Gespräch über einen renovierungsbedürftigen Gartenpavillion auf seinem Grundstück in Connecticut, das sich Nick unbedingt ansehen müsse.

Wenigstens will er mich nicht seiner neuen Sekretärin vorstellen, dachte Nick ergeben, während er dem Bräutigam gratulierte und die strahlende Braut küsste.

Zum Abendessen gesellte er sich zu seinem Onkel Philip und dessen Töchtern, eineiigen Drillingen. Hier erwartete garantiert niemand, dass er flirtete. Anschließend platzierte er sich strategisch geschickt am Rande der Tanzfläche. Hier wäre es sicher unmöglich, ihn in ein Gespräch zu verwickeln.

Er zählte die Minuten, bis er sich endlich zurückziehen konnte, als diese Blondine ihn plötzlich in Beschlag nahm.

„Rhiannon Evans“, hauchte sie. Dabei sah sie ihn an, als müsse er wissen, wer sie war.

Fragend sah Nick sie an, auch wenn er zugeben musste, dass er sie außerordentlich reizend und attraktiv fand.

„Ich bin Schauspielerin“, erklärte sie und verzieh ihm großzügig seine Ahnungslosigkeit, nachdem er ihr gestanden hatte, nie ins Kino zu gehen.

Das sollte er aber unbedingt ändern und gleich mit ihren Filmen anfangen. Ihr Name stünde jetzt auch schon im Abspann, wenn auch erst nach den Hauptdarstellern. Und ihre Rollen wurden auch immer größer. Man besetze sie im Übrigen nicht nur wegen ihres Aussehens, sondern wegen ihrer schauspielerischen Leistung. Bei all dem schwang in ihrer Stimme keinerlei Ironie mit.

Offensichtlich gab sie im Moment die unbekümmerte Naive, aber Nick hörte eine gewisse Angespanntheit heraus. So gut kannte er die weibliche Körpersprache doch.

Nicht nur, dass die junge Dame ihm sofort die Hand auf den Arm legte, sie hängte sich auch noch bei ihm ein, strich über das Revers seines Smokings und über seine Wange.

„Ich habe auch nicht vor, mir Vorteile durch die Berühmtheit meiner Mutter zu verschaffen“, verkündete sie stolz. Dadurch erfuhr er, dass sie die Tochter von Mona Tremayne war.

Zumindest wusste er, um wen es sich dabei handelte.

Sie war das Sexidol schlechthin. Es gab wohl keinen Mann auf der Welt, der nicht irgendwann von ihr geschwärmt hätte – auch er selbst … obwohl sie inzwischen gut seine Mutter hätte sein können.

Vor ein paar Tagen erst war er ihr anlässlich eines Dinners begegnet, zu dem Demetrios eingeladen hatte. Glücklicherweise kam sie ohne ihre Tochter. Mona überragte an Schönheit immer noch jede andere Frau. Wäre er dafür empfänglich gewesen, hätte er sie immer noch begehrenswert gefunden. Außerdem war sie außerordentlich charmant und warmherzig.

Er erzählte ihr, dass er ursprünglich gar nicht wegen der Hochzeit da war, sondern um einen Teil des Palastes zu restaurieren. „Haben Sie schon einmal eine Ranch renoviert?“, erkundigte Mona sich daraufhin.

„Bis jetzt noch nicht.“

„Denken Sie darüber nach. Ich besitze eine alte Ranch in Lehmbauweise, die dringend renoviert werden muss, bevor sie sich in Urschlamm zurückverwandelt.“

Nick musste lachen. Da er sich generell für traditionelle Bauweisen interessierte, fragte er nach und versprach, ihr ein paar Kollegen zu nennen, die darauf spezialisiert waren.

Rhiannon erwies sich als weit weniger faszinierend. Sie plauderte fröhlich und unbeirrt weiter, und Nick bemühte sich, wenigstens höflich und aufmerksam zu wirken. Zumindest ist sie nicht auf der Suche nach einem Heiratskandidaten. So viel steht fest.

Hinter ihrem Geplapper spürte Nick eine gewisse Verzweiflung. Außerdem schweifte ihr Blick unablässig durch den Raum, als müsse sie sich vergewissern, dass man sie auf jeden Fall mit ihm zusammen sah.

Ihm konnte das gleichgültig sein. Er hatte nicht vor, etwas mit ihr anzufangen. Und zumindest würde ihre Gegenwart die Kuppler des Savas-Clans fernhalten.

Unvermittelt brach Rhiannons Wortschwall ab. „Was machen Sie eigentlich?“, fragte sie.

Nick ergriff die Gelegenheit beim Schopf und erzählte ihr ausgiebig und umständlich von den Renovierungsarbeiten. Geschieht ihr recht, dachte er voller Genugtuung. Es war mehr als deutlich, dass das Ganze sie keinen Deut interessierte.

Langatmig klärte er sie über Balken und Holzverbindungen und die Statik der tragenden Wände auf. Ließ sich ausführlich darüber aus, wie wichtig es sei, die Originaltechniken zu recherchieren. Redete über Holzschwamm und Holzwurm … und wenn sie wollte, könne er ihr das gerne zeigen. Im Ostflügel des Palastes würde er gerade die Bodendielen erneuern und hätte sich dort sogar sein Schlafzimmer eingerichtet, um jederzeit an den wurmstichigen Dielen weiterarbeiten zu können.

Wenn er sie nur lange genug mit diesen Details langweilte, würde sie sich sicher nach einem dankbareren Opfer umsehen.

Leider warf sie ihm beim Stichwort Schlafzimmer einen schmelzenden Blick zu und hauchte: „Das würde ich furchtbar gern sehen.“

Ich muss mir wohl eine bessere Taktik überlegen, um sie loszuwerden. Vielleicht sollte ich mit ihr tanzen und ihr dabei auf die Füße treten.

Aber so weit sollte es gar nicht kommen.

Die Rettung nahte. In Gestalt von Edie Daley.

Diese entsprach so gar nicht seiner Vorstellung von einer Retterin und schon gar nicht der von Rhiannons Schwester.

Zwischen den beiden bestand nun wirklich nicht die geringste Ähnlichkeit. Bei näherer Betrachtung konnte man mit etwas gutem Willen die hohen Wangenknochen ihrer Mutter entdecken. Aber das war es dann auch schon. Im Gegensatz zu Rhiannon, die ihre Schönheit durch Make-up geschickt hervorhob, versuchte Edie, vermeintliche Makel ihrer Haut zu verdecken.

Nick meinte, unter dem Make-up ein paar Sommersprossen erahnen zu können.

Die wären ihm eigentlich lieber gewesen als eine Make-up-Schicht. Auf jeden Fall zog er ihre blitzenden grüne Augen den babyblauen ihrer Schwester vor. Außerdem hielt sie offensichtlich nichts vom Flirten und von Small Talk. Sie kokettierte auch nicht, sondern hielt Distanz.

Und sie redete nicht lange um den heißen Brei herum. Ohne Umschweife kam sie zur Sache: Sie wollte ihre Schwester vor ihm retten. Nick empfand dies als eine erfrischende Abwechslung. Das Schauspiel einer Glucke, die ihr Küken retten will, rührte ihn. Anscheinend kannte Edie ihre Schwester nur allzu gut!

Rhiannons Verlobter war wirklich nicht zu beneiden, er wäre in der Ehe vollauf damit beschäftigt, seine Frau zu bändigen. Umso beeindruckender fand Nick, wie diplomatisch Edie die Situation gelöst hatte. Eine Frau mit Durchsetzungskraft und Charakter.

Und mit einer unglaublich faszinierenden Ausstrahlung.

Mochte sie auch nicht den Sex-Appeal ihrer Mutter oder die makellose Schönheit ihrer Schwester besitzen, waren ihre Züge doch absolut markant und fotogen. Außerdem konnte man sich in ihren funkelnden smaragdgrünen Augen geradezu verlieren.

Nick liebte funkelnde smaragdgrüne Augen. Ihm gefiel ihre geradlinige Art … und ihre offensichtliche Ungeduld, ihn loszuwerden.

Womit sie natürlich genau die gegenteilige Wirkung bei ihm erzielte.

Plötzlich ertappte sich Nick dabei, den Ballsaal gar nicht mehr so dringend verlassen zu wollen. Viel lieber würde er sich mit Edie Daley unterhalten.

Zum ersten Mal an diesem Abend amüsierte er sich. Es machte ihm Spaß, Edie aus der Reserve zu locken … sie sogar ein wenig aufzuziehen. Aber es war wie bei einem Tanz: Machte er einen Schritt vorwärts, wich sie zurück. Er wollte aber nicht, dass sie ihn verließ.

Es blieb ihm nur eine Möglichkeit: Er forderte sie zum Tanz auf.

Wahrscheinlich war er selbst davon weit mehr schockiert als Edie. Nick tanzte nämlich grundsätzlich nicht. Auf keinen Fall. Niemals.

Die letzte Frau, mit der er getanzt hatte, war Amy gewesen. Drei Tage vor der Hochzeit, einen Tag, bevor sie starb.

Aber das hier ist ja jetzt etwas ganz anderes, sagte er sich, nicht zu vergleichen mit damals.

Er wollte einfach nur mit einer hübschen, netten Frau eine Runde auf der Tanzfläche drehen. Himmel, er befand sich auf einer Hochzeit! Es wurde sozusagen von ihm erwartet! Und nur, weil er es so lange nicht mehr getan hatte, musste man es nicht überbewerten.

Schließlich ging es nur darum, die Füße zum Takt der Musik zu bewegen. Um mehr nicht! Ich hätte schon vor Jahren wieder damit anfangen sollen! Aber irgendwie war es ihm gar nicht in den Sinn gekommen.

Und so erlitt er den nächsten Schock des Abends: Edie lehnte ab.

Das war ihm mit seinen dreiundreißig Jahren noch nie passiert! Verblüfft fragte er: „Warum nicht?“

Sie gab eine derart gnadenlos ehrliche und absolut unerwartete Antwort, dass Nick in schallendes Lachen ausbrach. Ihre Füße taten weh! Köstlich!

In seinem ganzen Leben war ihm noch nicht untergekommen, dass eine Frau zugab, wie sehr diese spitzen, hochhackigen Schuhe ihre Füße marterten. Nicht einmal Amy!

Nachdem er Edie von diesen Folterinstrumenten befreit hatte, erschien es ihm wie ein Wunder, wie sie es überhaupt geschafft hatte, sich hineinzuquetschen. Natürlich wollte sie nicht tanzen! Er fragte sich, wie sie damit überhaupt gehen konnte.

Aber nun ließ sie sich von ihm in die Arme nehmen und auf die Tanzfläche führen.

Mit dem Tanzen verhielt es sich offensichtlich wie mit dem Fahrradfahren: Wenn man es erst einmal gelernt hatte, vergaß man es nie mehr.

Allerdings fühlte es sich völlig anders an als mit Amy.

Ihr graziles Persönchen reichte ihm gerade mal bis zur Schulter. Edie hingegen befand sich fast auf Augenhöhe mit ihm. Leider hielt sie ihn sehr auf Abstand … und ab und zu warf sie einen verstohlenen Blick auf ihre Zehen.

Er musste gestehen, auch er konnte sich hin und wieder einen Blick auf ihre Füße nicht verkneifen. Er war schlichtweg hingerissen. Edie schien immer noch nicht fassen zu können, dass sie tatsächlich mit ihm tanzte.

Immerhin vertraute sie sich seiner Führung an – von den Momenten abgesehen, in denen sie erstarrte und auf Abstand gehen wollte.

Er reagierte darauf, indem er sie noch näher an sich heranzog, um die Wärme ihres Körpers zu spüren und den Druck ihrer Brüste. Er genoss das Gefühl ihres seidigen Haars an seine Wange und hätte am liebsten sein Gesicht darin verborgen. Sanft streifte er es mit den Lippen.

Wieder spürte er, wie sie sich verkrampfte. „Was tun Sie? Starren Sie etwa auf meine Füße?“

Ohne rot zu werden, konnte er dies verneinen.

„Ich glaube Ihnen nicht! Ich wette, Sie starren sie an!“

Nick presste Edie noch enger an sich. „So! Jetzt könnte ich nicht einmal gucken, selbst wenn ich wollte. Okay?“

Undeutlich murmelte Edie eine Antwort. Plötzlich wich die Anspannung aus ihr und sie überließ sich seinen Armen.

So gefiel es ihm schon viel besser. Nur … jetzt reagierte sein Körper auf ihre verführerische Nähe. Nick wollte zwar nicht mehr heiraten, aber dem Sex hatte er nach Amys Tod keineswegs entsagt.

Der Gedanke, Edie in seinen Armen zu halten – in seinem Schlafzimmer – wurde immer verlockender.

Sie schien wie geschaffen dafür. Nick gab sich den Bewegungen ihrer Körper hin und schmiegte seine Wange an Edies Haar. Es unterschied sich völlig von Rhiannons platinblonder Mähne. Es war dicht und gewellt. Die dunklen Locken sollten wohl ursprünglich durch goldfarbene Spangen gezähmt werden, ringelten sich jedoch wild und ungebärdig.

Nick musste sich beherrschen, um nicht seine Finger in dieser Haarpracht zu vergraben. Er verstieg sich in die Vorstellung, die Locken ausgebreitet auf seinem Kopfkissen zu sehen. Allmählich verklangen die letzten Takte des Walzers, und das Orchester begann ein schnelleres Stück, dessen Rhythmus dem heftigen Pochen von Nicks Herzen entsprach.

„Das … das war wirklich nett“, riss Edies Stimme ihn aus seinen Träumereien. Sie löste sich aus seiner Umarmung und wich zurück.

„Nett?“

Edie lächelte charmant. Ein reizendes Grübchen erschien auf ihrer Wange. „Ja. Wirklich sehr nett. Vielen Dank für diesen Tanz.“ Nick empfand ihre Schlichtheit und ausgesuchte Höflichkeit fast als Provokation. Sie erstickte jeden weiteren Annäherungsversuch im Keim.

Doch so leicht gab er nicht auf. „Aber das ist doch erst der Anfang!“ Er versuchte, ihre Hand zu ergreifen.

Energisch wehrte Edie ab. „Nein danke! Ich glaube, es gilt nicht als unhöflich, einen zweiten Tanz abzulehnen.“

„Wie wäre es mit einem Glas Wein? Wir können ja diesen Tanz auslassen.“

Wieder schüttelte Edie den Kopf. „Mr. Savas. Ich danke Ihnen vielmals. Sie haben sich meiner Schwester gegenüber vorbildlich verhalten. Und dieser Walzer … ich habe ihn sehr genossen.“

Nahm er da eine Sekunde des Zögerns wahr? Nick war sich nicht sicher, aber Edie ließ ihm keine Zeit, darüber nachzudenken. Energisch schüttelte sie seine Hand. „Gute Nacht.“

Nein!

Natürlich sagte er dies nicht laut. Glücklicherweise konnte er sich diesen Impuls verkneifen. Aber so vieles lag ihm auf der Zunge, das er ihr gern mitgeteilt hätte. Er wollte, dass sie blieb … bei ihm.

Diese heftige Regung überraschte ihn selbst. So kannte er sich gar nicht. Und eigentlich wollte er es auch nicht.

Mit ihr ins Bett gehen – selbstverständlich! Das war ja schließlich normal! Aber nur bei ihr sein, um ihre Gegenwart zu genießen? Was sollte das?

Also schob er gewollt nonchalant seine Hände in die Hosentaschen und lächelte kühl. „Dann gute Nacht, Ms. Daley. Vielen Dank für den Walzer.“

Sie wandte sich ab, und er konnte nicht anders, er musste ihr nachrufen: „Falls Sie aber doch an den Restaurationsarbeiten in meinem Schlafzimmer interessiert sein sollten, Ms. Daley …“

Sie wirbelte herum, und ihre Augen sprühten Funken.

Nick blieb fast das Herz stehen bei diesem Blick. Aber er beschloss, cool zu wirken. Deshalb warf er ihr sein Mister-hundertausend-Volt-Lächeln zu. Mit einer verächtlichen Geste warf Edie die Haare in den Nacken, drehte sich um … und ging.

Nick sah ihr nach, bis die Menge der Tanzenden sie seinen Blicken entzog.

Plötzlich fühlte sich alles schal und nichtig an.

Eigentlich wäre es an der Zeit, sich zurückzuziehen. Es war schon fast Mitternacht, und er hatte seinen gesellschaftlichen Verpflichtungen Genüge getan. Er hatte sich gezeigt … sogar getanzt. Niemand würde ihm jetzt noch Vorwürfe machen.

Aber er ging nicht. Unruhig tigerte er am Rande der Tanzfläche auf und ab. Eine starke Unruhe erfüllte ihn. Irgendwie fühlte er sich unbefriedigt, es fehlte etwas – aber er wusste nicht, was. Er wusste nur, dass seine Arme immer noch spüren konnten, wie Edie Daley sich anfühlte.

„Verdammt!“ Abrupt drehte er sich um und bat die nächstbeste Frau um einen Tanz. Warum auch nicht? Habe ich heute ja schon einmal getan. Ist ja nichts dabei. Ist eh eine wie die andere!

Aber da täuschte er sich.

Die Frau, die er jetzt in Armen hielt, presste sich an ihn. Sie verschränkte die Hände in seinem Nacken und ließ verführerisch die Zungenspitze über ihre Lippen gleiten. Es war weniger ein Tanz als ein unverhohlener Verführungsversuch. Als die Musik verklang, war Nick froh, sich aus ihrer Umarmung winden zu können.

„Sollen wir noch einmal?“, hauchte sie.

„Nein!“ Er hatte genug. Mehr als genug. Seine gute Erziehung verlangte jedoch von ihm, dass er wenigstens ein bedauerndes Gesicht aufsetzte. „Leider muss ich mich verabschieden.“

Plötzlich spürte er eine Hand auf seinem Arm und er hörte eine weibliche Stimme hinter sich. „Das freut mich zu hören.“

Er wirbelte herum – und blickte geradewegs in Edies funkelnde grüne Augen. Sie schenkte ihm ein strahlendes Lächeln und hängte sich bei ihm ein. „Wissen Sie was? Ich glaube, ich möchte doch wahnsinnig gerne die Renovierungsarbeiten in Ihrem Schlafzimmer sehen.“

2. KAPITEL

Nicks Augenbrauen schnellten in die Höhe. Sein Herzschlag ebenfalls. Schlagartig loderte der Funke des Begehrens wieder auf.

Wenn seine Libido sich auch deutlich regte, so warnte ihn doch die Stimme der Vernunft vor übereiltem Handeln.

„Haben Sie es sich anders überlegt?“

Edies Lächeln wurde noch ein bisschen strahlender. „Ja! Genau!“

In ihrem Blick meinte Nick jedoch, ein unsicheres Flackern zu entdecken. Und schwang da nicht in ihrer Stimme eine gewisse Verzweiflung mit? Eindringlich musterte er ihr Gesicht.

Edies Lider flatterten nervös und ihr Lächeln wirkte wie festgezurrt. Auf jeden Fall Verzweiflung – gepaart mit einer gehörigen Portion Trotz, so viel ist klar. Was mochte wohl diesen Gesinnungswandel bewirkt haben?

Nicks Blick glitt von Edies widerspenstigen Locken zu ihren Füßen. Nur allzu gern würde er diese entzückenden Zehen von den Seidenstrümpfen befreien.

Ob sie mich wohl ließe? Genug der Überlegungen, befahl er sich.

„Eine fantastische Idee!“, stimmte er zu. Erst jetzt registrierte er, dass seine Tanzpartnerin noch immer neben ihm stand. Er hatte sie völlig vergessen. „Vielen Dank für den Tanz“, sagte er mit einer Verbeugung. „Und gute Nacht!“

Er nahm Edie bei der Hand und zog sie zu dem Tisch, unter dem ihre Schuhe lagen. Er hob sie auf. „Ich nehme nicht an, dass Sie sie anziehen wollen?“

Sie lachte auf. Irgendwie klang es jedoch etwas gezwungen.

Es muss etwas passiert sein. Dessen war Nick sich jetzt absolut sicher.

„Auf keinen Fall!“ Wieder erklang dieses gekünstelte Lachen.

Nick steckte die Schuhe in die Jackentaschen. Nur die Absätze lugten noch heraus. Dann nahm er Edies Arm, und sie schritt scheinbar unbekümmert, hocherhobenen Hauptes neben ihm her.

Trotzdem spürte er deutlich ihre Anspannung. Schweigend sah Edie geradeaus … bis sie sich dem Ausgang des Ballsaals näherten.

Dort stand Mona. Wie üblich von einer Schar Bewunderer umgeben. Edie würdigte diese kaum eines Blickes. Sie wandte sich Nick zu, sah ihn mit einem schmelzenden Blick an und klimperte zusätzlich noch mit den Wimpern.

Nick musste sich das Lachen verbeißen. Höflich grüßte er Mona und registrierte deren hochgezogene Augenbrauen. Auf ihren Zügen malte sich Überraschung aus … und noch etwas anderes. Was immer Edie bewogen hatte, ihre Meinung zu ändern, es hatte auf jeden Fall mit ihrer Mutter zu tun.

Oder vielleicht mit dem Mann an deren Seite, der Edie förmlich mit den Blicken verschlang.

Er war ungefähr in Nicks Alter, blond und gut aussehend – eine Art Robert-Redford-Typ. Irgendwie kam er Nick bekannt vor …

Der Robert-Redford-Typ setzte ein gewinnendes Lächeln auf und stellte sich ihnen in den Weg. „Edie! Meine Liebe! Wie lange haben wir uns nicht gesehen? Ich war so froh, als Mona mit erzählte, dass du hier bist!“

Eine Sekunde lang krallte sich Edie in Nicks Ärmel, verlor jedoch nicht ihr strahlendes Lächeln. „Leider nicht mehr lange“, hauchte sie. „Wir gehen gerade.“

„Aber wir haben doch noch gar nicht miteinander getanzt!“

Edies Lächeln verrutschte keinen Millimeter, aber Nick spürte die Anstrengung, die sie das kostete. „Hat mich sehr gefreut, Kyle. Gute Nacht.“ Sie zog Nick weiter.

„Bis morgen früh dann!“, rief ihr der Mann, den sie Kyle genannt hatte, hinterher.

Ein paar Schritte später fragte sie Nick plötzlich mit lauter Stimme: „In welchem Flügel des Schlosses befindet sich Ihr Schlafzimmer denn?“

Einige der Umstehenden schnappten deutlich hörbar nach Luft. Amüsiert hob Nick die Brauen. „Kommen Sie, ich zeige es Ihnen“, verkündete er ebenso laut und hielt Edie charmant lächelnd die Tür auf. Mit königlicher Haltung schritt sie über die Schwelle.

Als sich die Tür hinter ihnen schloss, sank sie einen Moment in sich zusammen. Sofort straffte sie jedoch wieder die Schultern und ging energischen Schrittes durch den Empfangsraum. Erst in dem walnussvertäfelten Flur blieb sie stehen und holte tief Luft. Sie drehte sich um und blickte Nick ins Gesicht. „Ich danke Ihnen.“ Die nervöse Anspannung war völlig von ihr abgefallen.

„Gern geschehen.“ Besorgt musterte er sie. Ihr Gesicht war plötzlich leichenblass. „Möchten Sie sich vielleicht hinsetzen?“

Edie zwang sich zu einem schwachen Lächeln. „Nein, nein. Alles in Ordnung.“

Das ist doch nicht die Frau, die wie eine Löwin die Ehre ihrer Schwester verteidigt. „Verraten Sie mir jetzt auch noch, was das Ganze eben sollte?“

Edie blickte verlegen auf ihre Zehenspitzen. In diesem Augenblick wirkte sie ungeheuer verletzlich. „Sie waren soeben Zeuge eines nicht ganz so diskreten Versuchs meiner Mutter, mich zu verkuppeln.“

„Mit diesem Robert-Redford-Imitat mit dem hundert Dollar-Haarschnitt?“

Edie seufzte und nickte. „Genau mit dem.“

„Aber Sie sind nicht interessiert?“ Das Gefühl der Erleichterung, das ihn durchströmte, überraschte Nick.

„Nein!“ Die Heftigkeit, mit der die Antwort kam, verriet, dass das Thema offensichtlich äußerst heikel war. Ruhiger fügte Edie hinzu: „Nein. Ich bin nicht interessiert. Es ist nur … ich hatte so etwas von Anfang an befürchtet. Sie macht so etwas ständig!“

„Mit sie meinen Sie Ihre Mutter?“

Edie nickte.

„Sie versucht öfter, Sie zu verkuppeln?“

„Zumindest bombardiert sie mich ständig mit Andeutungen.“

„Und das gefällt Ihnen nicht?“ Wahrscheinlich genau so wenig wie mir.

„Ganz und gar nicht! Sie ist der Meinung, ich müsste wieder mehr unter Leute … Zeigen, dass ich wieder zu haben bin.“

„Wieder?“

Edie zögerte. Offensichtlich rang sie mit sich, wie viel sie von ihrem Leben preisgeben sollte. Plötzlich schien sie einen Entschluss zu fassen. „Wo sind denn nun diese viel gepriesenen Renovierungsarbeiten?“, wich sie aus.

Nick hob die Brauen. „Sie wollen sie tatsächlich sehen?“

„Wenn sie existieren! Oder haben Sie nur mit meiner Schwester geflirtet?“

„Sie existieren, und – ich habe nicht mit Ihrer Schwester geflirtet! Sie hat sich praktisch selbst eingeladen.“

„Aber mich haben Sie doch auch …“

„Mit Ihnen habe ich ja auch geflirtet.“ Um jeden weiteren Kommentar im Keim zu ersticken, griff Nick nach ihrer Hand. Stumm gingen sie den Korridor entlang.

Die Situation verwirrte ihn: Wurde er nur benutzt, um einer unangenehmen Begegnung aus dem Weg zu gehen, oder suchte Edie tatsächlich ein erotisches Abenteuer?

Ich werde es ja bald herausfinden! Er blieb stehen und stieß die schwere Eichentür zum Ostflügel auf. Es brannte lediglich eine spärliche Notbeleuchtung.

Edie spähte in die düstere Eingangshalle.

„Sind Sie immer noch interessiert?“ Es hätte ihn nicht gewundert, wenn sie es sich spätestens jetzt anders überlegen würde.

„Ja!“ Sie holte tief Luft und blickte ihm offen in die Augen. „Und Sie?“

Die Frage brachte ihn beinahe aus dem Konzept.

Er hatte seit Amys Tod vor acht Jahren zwar durchaus mit anderen Frauen geschlafen, aber es war etwas völlig anderes als mit Amy. Es hatte ihm nie etwas bedeutet. Es ging ausschließlich um Sex. Und er achtete darauf, nur mit Frauen zu schlafen, die seine Einstellung teilten.

Ob Edie Daley dieser Kategorie Frauen entspricht? Eine Frau, die nicht einmal mit Männern ausgeht? Erst jetzt wurde ihm bewusst, dass er ihre Frage noch gar nicht beantwortet hatte, und sie ihn immer noch forschend ansah.

Nick räusperte sich. „Selbstverständlich bin ich noch interessiert.“

Edie schenkte ihm ein Lächeln. Ein ganz anderes als das, mit dem sie ihre Mutter oder diesen Kyle bedacht hatte. Es war ein echtes, aufrichtiges Lächeln, das bis in ihre Augen reichte. Ein Strahlen, das sein Herz erwärmte … und das Begehren in ihm weckte.

„Dann kommen Sie, ich zeige Ihnen meine Restaurierungsarbeiten.“ Voller Enthusiasmus begann er, ihr die Details zu erklären. Nach ein paar Sätzen registrierte er, dass Edie ihn mit offenem Mund anstarrte. „Was ist?“, fragte er irritiert.

„Sie kennen sich ja wirklich aus!“

Nick musste lachen. „Das ist mein Beruf! Deshalb bin ich doch überhaupt hier!“

„Ich dachte, wegen der Hochzeit.“

„Ganz und gar nicht. Ich kam, um den Turm des Ostflügels zu renovieren.“

Plötzlich erhellte wieder dieses besondere Lächeln ihr Gesicht. „Aber das ist ja wunderbar! Sie müssen mir unbedingt alles ganz genau zeigen. Jedes einzelne Detail!“

Nick nahm an, sie wolle lediglich höflich sein. Als er jedoch die Lampen einschaltete und Edie durch die Räume führte, die bereits fertiggestellt waren, zeigte sie sich aufrichtig begeistert. Er schilderte ihr, wo es sich noch um die ursprüngliche Bausubstanz aus dem 17. Jahrhundert handelte und was später hinzugefügt worden war. Edie stellte tausend Fragen.

Was für ein Unterschied zu ihrer Schwester! dachte er.

Irgendwann gestand Edie, dass sie Kunstgeschichte studiert hatte. Sie wollte ursprünglich Lehrerin werden.

„Lehrerin? Das ist ja meilenweit davon entfernt, womit Sie sich jetzt beschäftigen! Ich meine, als Managerin für Ihre Mutter und Schwester …“

„Manchmal hat das Leben eben anderes mit einem vor.“

„Wollten Sie denn nie Schauspielerin werden?“

„Auf keinen Fall! Das ist einfach nicht meine Welt.“

„Und doch müssen sie sich täglich damit auseinandersetzen.“

„Aber nur mit der geschäftlichen Seite. Mit dem Glamour habe ich nichts zu tun.“

„Sie würden nicht gerne den roten Teppich entlangschreiten?“

„Das ist nichts für mich. Ich finde es viel zu schwierig und anstrengend.“

„Die Schauspielerei?“

„Auch – aber eigentlich meine ich etwas anderes: Wie soll man denn noch wissen, wer man eigentlich ist, wenn man ständig eine Rolle spielen muss? Wie soll man da aufrichtig und ehrlich sein? Kennt man den Unterschied überhaupt noch? Ich ziehe es vor, hinter den Kulissen zu stehen statt im Rampenlicht.“

„Ich auch.“ Als Edie ihn verblüfft ansah, fügte er erklärend hinzu: „Wenn ich an einem Bauwerk arbeite, steht dieses absolut im Mittelpunkt.“ Mit einer ausholenden Geste wies er durch den Raum, in dem sie sich befanden. „Der Mensch, der die Arbeiten ausführt, ist in diesem Moment völlig unwichtig.“

„Ich glaube, ich weiß, was Sie meinen.“ Edie strich über das Holz einer Fensterbank. „Sie haben wirklich eine Meisterleistung vollbracht. Zumindest nehme ich das an, weil ich – ehrlich gesagt – nicht einmal den Unterschied erkennen kann zwischen dem Originalteil und dem neu eingefügten.“

„Genau so soll es ja auch sein.“

„Wie gehen Sie bei solch einem Projekt überhaupt vor?“

„Das ist die reinste Detektivarbeit. Ich recherchiere alles über den Erbauer, die Zeit, in der er lebte … einfach jedes Detail. Und dann lebe ich buchstäblich darin.“

„Der Satz: die Renovierungsarbeiten in meinem Schlafzimmer, ist also tatsächlich wörtlich zu nehmen?“ Edie lachte schallend. „Nicht nur so ein Spruch, wie: Darf ich Ihnen meine Briefmarkensammlung zeigen?“

„Genau.“ Nick deutete auf eine Tür in Edies Rücken. „Dort geht es zu meinem Gemach.“

Rhiannon hätte ihn jetzt bestimmt mit einem verführerischen Augenaufschlag angeschaut und gehaucht: Das würde ich wahnsinnig gerne besichtigen.

Abrupt lenkte Edie ab: „Wann genau wurde der Turm erbaut?“

„Im dreizehnten Jahrhundert. Er diente den Soldaten als Unterkunft und ermöglichte ihnen, feindliche Horden rechtzeitig zu erspähen.“

„Feindliche Horden? Aber das Schloss ist doch gar nicht so groß! Warum sollte es jemand angreifen?“

„Die königliche Familie verfügte über einen ungeheuren Reichtum und ihre Ländereien bestanden aus fruchtbarem Ackerland. Außerdem gab es mit seinen Quellen und Flüssen genügend Wasser für die Landwirtschaft. Das Schloss mit allem, was dazugehört, wäre eine ganz nette Beute gewesen.“ Nick lächelte und hob die Hände. „Allerdings gelang es niemandem, es einzunehmen.“

„Von all dem hatte ich ja überhaupt keine Ahnung!“

„Die Chamions waren schon immer Überlebenskünstler“, erklärte er, während sie auf eine schwere Eichentür zugingen. „Außerdem verstanden sie sich auf psychologische Kriegsführung. Sie wussten, wie sie ihre Feinde gegeneinander ausspielen konnten. Und sie begriffen, wie wichtig Verbündete und Freunde waren. Sie befinden sich hier auf geschichtsträchtigem Boden, Ms. Daley.“

Nick stieß die Tür auf und gab den Blick auf ein Foyer frei, vor dessen Wänden Gerüste standen. „Hier sind wir noch bei der Arbeit“, fügte er überflüssigerweise hinzu.

Der Fußboden war mit Planen ausgelegt. Edie erblickte Sägeböcke und Bauholz, konnte jedoch kein einziges elektrisches Gerät entdecken. Das Werkzeug sah aus, als stamme es direkt aus dem dreizehnten Jahrhundert. Edie stürzte sich förmlich darauf, und Nick musste ihr bei jedem einzelnen Stück erklären, wofür er es benutzte und wo er es entdeckt hatte. In ihren Augen spiegelte sich Bewunderung, als er gestand, die meisten würde er selbst herstellen.

„Es bleibt mir nichts anderes übrig. Es sind ja kaum noch welche erhalten.“

„Und Sie machen wirklich alles eigenhändig?“

Nick strich fast liebevoll über ein Brett. „Ursprünglich ja. Anfangs war ich hier ja ganz auf mich allein gestellt. Inzwischen ist es aber für einen einzelnen Menschen zu umfangreich geworden. Ich arbeite im Moment oben im Turm, und hier unten machen ein paar Handwerker aus der Region weiter.“

Edie betrachtete alles ganz genau. Vor einem Balken, dessen Holz verriet, dass er neu sein musste, blieb sie stehen und ließ ihre Hand darüber gleiten. Deutlich spürte sie die Spuren und Kerben, die das Werkzeug hinterlassen hatte. „Was für eine aufwendige Arbeit!“, rief sie aus. „Das muss ja ewig dauern!“

„Deshalb dauerte es ja auch Generationen, bis so ein Schloss fertig war.“

Kopfschüttelnd sah Edie Nick an. „Sie wirken so ganz anders … so modern! Man kann Sie sich gar nicht bei einer solchen Tätigkeit vorstellen.“

Er lächelte. „Normalerweise trage ich zur Arbeit ja auch keinen Smoking.“

„Wie kamen Sie denn auf diesen Beruf? Jungs wollen doch normalerweise Cowboy oder Feuerwehrmann werden.“

„Ich wollte Architekt werden.“

„Für historische Bauwerke?“

„Sie gefallen mir nun mal.“

„Haben Sie jemals ein modernes Gebäude gebaut?“

„Ein einziges Mal“, antwortete er kurz angebunden.

Plötzlich herrschte im Raum eine angespannte Atmosphäre. „Es tut mir leid“, sagte Edie schließlich.

Nick warf ihr einen misstrauischen Blick zu … und konnte seine Augen nicht mehr abwenden. Sie lehnte an einer Werkbank und sah einfach hinreißend … und begehrenswert aus. „Was tut Ihnen leid?“, fragte er heiser.

„Ihnen zu nahe getreten zu sein.“

„Zu nahe? Was meinen Sie damit?“

„Offensichtlich habe ich mit meiner Frage eine Grenze überschritten.“

Abwesend nahm Nick einen Meißel von einem Tisch und ließ den Daumen über die Klinge gleiten. Dann legte er ihn abrupt zurück. „Unsinn!“

Skeptisch hob Edie die Brauen. „Und dabei hätte ich geschworen …“

Und damit ins Schwarze getroffen.

Nick rieb sich die verspannten Nackenmuskeln. „Sie haben recht“, gab er tonlos zu.

Schweigend sah Edie ihn an.

Nick steckte die Hände in die Hosentaschen und starrte ins Leere. „Ein einziges Mal in meinem Leben habe ich selbst ein Haus entworfen“, stieß er widerstrebend hervor. Wieso erzähle ich ihr das, fragte er sich. Er konnte kaum glauben, dass diese Worte über seine Lippen kamen. Er sprach nie über dieses Haus. Mit niemandem. „Ich wollte heiraten. Ich baute dieses Haus für meine Verlobte“, hörte er sich sagen. „Es sollte das perfekte Zuhause werden.“ Die Erinnerung überwältigte ihn. Dieses Haus war sein Geschenk an Amy gewesen. Es sollte perfekt werden. So perfekt wie sie.

Amy hatte ihn immer damit aufgezogen. „Ich bin doch alles andere als perfekt“, hatte sie lachend protestiert.

Aber für Nick verkörperte sie alles, was er sich ersehnte. Sie war seine Traumfrau.

Und so verlangte er von ihr, ihm in allen Details ihr Traumhaus zu beschreiben: vom Panoramafenster, das den Blick auf den Long Island-Sund freigab, die geschwungene Freitreppe, bis zum Balkon, von dem man auf den in die Landschaft integrierten Pool blickte. Von dem aus Naturstein gemauerten Kamin bis zur Küche mit der Kochinsel, den drei Schlafzimmern im oberen Stockwerk – einem Elternschlafzimmer und zwei Kinderzimmern. Er wollte ein Haus für Amy bauen, das bis ins kleinste Detail ihren Vorstellungen entsprach.

„Ich wollte ihr einen Herzenswunsch erfüllen“, sagte er bitter.

„Und das ist Ihnen nicht gelungen?“

Nick zuckte die Achseln. „Es war ihr letztendlich gleichgültig. Natürlich fand sie das Haus fantastisch. Aber eigentlich wollte sie einfach nur, dass wir heiraten. Ich hingegen wollte zuerst das Haus fertig haben und schob deshalb die Hochzeit immer wieder hinaus.“

Nicht, weil er Amy nicht heiraten wollte. Im Gegenteil. Er wollte ihr das größte Geschenk machen, das er zu geben hatte … und er dachte, dafür lohne es sich zu warten.

Welch ein Fehler!

Nach all den Jahren zerriss es ihm immer noch das Herz, wenn er an die verlorene Zeit dachte – nur wegen eines Hauses. Zeit, die er mit Amy hätte verbringen können – als Mann und Frau. Nick biss die Zähne zusammen und schluckte schwer.

„Was ist passiert?“, fragte Edie sanft.

„Sie ist gestorben.“

Er musste sich zwingen, die Worte auszusprechen. Er wich Edies Blick aus. Das alles hatte nichts mit ihr zu tun. Es ging um ihn. Um ihn und Amy.

Es folgte ein langes Schweigen. Offensichtlich fehlten Edie die Worte. Das überraschte Nick nicht. Was gab es dazu schon zu sagen?

Er hätte den Mund halten sollen. Wieso musste ich diese Frau, die ich gerade mal ein paar Stunden kenne, mit meinem privaten Unglück belästigen?

„Themenwechsel“, sagte er schließlich. „Ich hätte gar nicht davon anfangen sollen.“

„Ich habe Sie doch gefragt.“ Edie legte ihm die Hand auf den Arm. „Es tut mir wirklich sehr, sehr leid für Sie.“

Viele Menschen hatten das damals gesagt, aber bei Edie klang es nicht wie eine Plattitüde. In ihrer Stimme lagen Aufrichtigkeit und tiefstes Mitgefühl … als teilte sie seinen Schmerz.

„Sie haben die Frau, die sie liebten, verloren … und damit auch Ihre eigene Zukunft.“

„Ja.“ Niemand sonst schien das zu verstehen. Man sagte ihm: „Das Leben geht doch weiter.“ Man lud ihn zu Partys ein.

„Ich weiß, wie Ihnen zumute ist“, sagte Edie schlicht.

Das wiederum bezweifelte Nick. Trotzdem bedankte er sich höflich für ihre Worte. Er wandte den Kopf und sah gedankenverloren aus dem Fenster.

„Vor zwei Jahren starb mein Mann.“

Schockiert wanderte Nicks Blick zurück zu Edies Gesicht. Er sah den Schmerz in ihren Augen. „Das tut mir leid.“ Nun war er es, der diese Plattitüde von sich gab. „Das wusste ich nicht.“

„Normalerweise rede ich auch nicht darüber.“ Ein schwaches Lächeln umspielte ihren Mund. „Genau so wenig wie Sie wahrscheinlich.“

„Stimmt.“ Das letzte Mal lag schon Jahre zurück, wenn er sich recht erinnerte. „Hat Sie deshalb Monas Versuch, Sie zu verkuppeln, derart aus der Fassung gebracht?“

Nick erinnerte sich an Edies Worte: Meine Mutter meint, es sei an der Zeit, mich wieder mit Männern zu treffen. Er hatte sich über das Wort wieder gewundert. Jetzt kannte er die Antwort darauf.

Edie zögerte kurz, dann nickte sie zustimmend.

Wie gut Nick sie verstehen konnte.

Er versuchte in ihr die Ehefrau eines anderen Mannes zu sehen und fragte sich, was wohl passiert war. Aber er glaubte, nicht das Recht zu haben, danach zu fragen.

Nick spürte ihre Ausstrahlung. Die Luft zwischen ihnen schien förmlich zu knistern. Er fühlte sich Edie nahe, wollte sie trösten, die bösen Erinnerungen vertreiben.

Dabei wusste er doch am besten, dass man die Vergangenheit nie vergessen konnte.

Autor

Anne Mc Allister
Anne Mcallister, Preisträgerin des begehrten RITA Award, wurde in Kalifornien geboren und verbrachte ihre Ferien entweder an kalifornischen Stränden, auf der Ranch ihrer Großeltern in Colorado oder bei Verwandten in Montana. Genug Gelegenheiten also, um die muskulösen Surfer, die braungebrannten Beach-Volleyballer und die raubeinigen Cowboys zu beobachten! Am Besten gefielen...
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