Romana Extra Band 28

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PRICKELNDE BEGEGNUNG MIT FOLGEN von GORDON, LUCY
Perdita kann ihr Glück kaum fassen: Als die Journalistin in Paris Leonid Falcon begegnet, bittet er sie spontan um ein Rendezvous. Nun kann sie heimlich Infos für ihre Enthüllungsstory über seine Familie sammeln! Doch während sie dem sexy Tycoon näherkommt, spürt sie Gewissensbisse …

SCHICKSALSTAGE IN MONACO von ROBERTS, PENNY
Adrienne fühlt sich unwiderstehlich zu ihrem attraktiven Boss Lucien Dupont hingezogen. Aber sie darf sich keine tieferen Gefühle für ihn erlauben! Denn der skrupellose Geschäftsmann aus Monaco hat scheinbar nichts Geringeres im Sinn, als ihre Familie komplett zu ruinieren …

CARINS GEHEIMNIS von MCALLISTER, ANNE
Carin ist schockiert: Nathan Wolfe ist zurück auf den Bahamas! Einst hat er ihr das Herz gebrochen, weil er nach ihrer ersten gemeinsamen Liebesnacht ohne ein Wort des Abschieds verschwand. Jetzt will er sie plötzlich heiraten! Weiß er etwa von ihrem Geheimnis?

KOMM INS KÖNIGREICH DER LIEBE von HEWITT, KATE
Die Pflicht verlangt es: König Alessandro Diomedi muss die unnahbare Liana heiraten. Aber ist sie wirklich so gefühlskalt, wie er glaubt? Als er sie küsst, überflutet ihn ungeahnt brennende Sehnsucht. Und er empfindet keine Abneigung mehr, nur pure Zärtlichkeit …


  • Erscheinungstag 21.04.2015
  • Bandnummer 28
  • ISBN / Artikelnummer 9783733740498
  • Seitenanzahl 448
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Lucy Gordon, Penny Roberts, Anne McAllister, Kate Hewitt

ROMANA EXTRA BAND 28

LUCY GORDON

Prickelnde Begegnung mit Folgen

Leonid Falcon will nur eins von Perdita: dass sie sich vor seiner Familie als seine Freundin ausgibt. Aber dann knistert es plötzlich unwiderstehlich heiß zwischen ihnen – mit verführerischen Folgen …

PENNY ROBERTS

Schicksalstage in Monaco

Wie kann die schöne Anwältin Adrienne es wagen, sich ihm zu widersetzen? Jetzt fühlt sich der erfolgsverwöhnte Unternehmer Lucien Dupont erst recht herausgefordert, sie mit aller Macht zu erobern …

ANNE MCALLISTER

Carins Geheimnis

Nathan Wolfe kehrt nur aus einem Grund auf die Bahamas zurück: Dort, wo er einst eine unvergessliche Nacht mit Carin verbracht hat, will er jetzt versuchen ihr Herz zurückzugewinnen …

KATE HEWITT

Komm ins Königreich der Liebe

Liana heiratet König Alessandro Diomedi nur, um ihre Pflicht zu erfüllen. Doch als sein Kuss ungeahnte Leidenschaft in ihr entfacht, sehnt sie sich plötzlich verzweifelt nach seiner Liebe …

PROLOG

„Geh nicht! Bitte bleib bei mir!“, stieß Veruschka Tsareva verzweifelt hervor. Wild fuchtelte sie mit den Händen herum, um jemanden festzuhalten, der nicht da war. Der es schon seit vielen Jahren nicht war und nie mehr sein würde. „Wo bist du? Komm zurück! Lass mich nicht allein!“, schluchzte sie und verstummte, als jemand sie liebevoll umarmte.

„Ich bin hier, Mama“, sagte Leonid Tsarev warmherzig, aber die Mittfünfzigerin in dem Gartensessel schien ihn nicht zu hören. Sie hatte die Augen weiterhin geschlossen und war in ihrem Albtraum gefangen.

„Geh nicht weg. Bleib bei mir.“

„Mama, wach auf. Ich bin’s, Leonid, dein Sohn. Ich bin nicht … jemand anders. Bitte sieh mich an.“ Behutsam wischte er ihr die Tränen fort. „Bitte schau mich an.“ Er beobachtete, wie sie die Augen öffnete. Verwirrt blickte sie ihn zunächst starr an. Dann – endlich – erkannte sie ihn und lächelte matt.

„Entschuldige. Ich bin eingeschlafen, und in meinem Traum war er bei mir. Ich habe gefühlt, wie er mich umarmt hat …“

„Das war ich“, meinte Leonid zärtlich. „Ich bin in den Garten gekommen, um mich zu verabschieden. Du erinnerst dich doch, dass ich dir erzählt habe, ich würde heute zurück nach Moskau fliegen und morgen zu Marcels Hochzeit nach Paris?“

„Ja.“ Sie seufzte. „Natürlich.“

Sie wussten beide, dass sie nicht wegen seiner Abreise geweint hatte, sondern wegen der eines anderen vor einer Ewigkeit. Wegen eines Mannes, der versprochen hatte, zurückzukehren, dies aber nur sehr selten in den zurückliegenden dreißig Jahren getan hatte. Und immer bloß für kurze Zeit.

„Dein Vater wird sich schon auf euer Wiedersehen freuen.“

Wenn er sich überhaupt nach Paris bemüht, dachte Leonid. Bei anderen Vätern konnte man sicher sein, dass sie zu der Hochzeit des Sohnes erschienen. Nicht so bei Amos Falcon.

„Hast du meinen Brief?“, fragte seine Mutter. „Wirst du ihn deinem Vater geben?“

„Natürlich, Mama.“

„Und bringst du mir eine Antwort mit?“

„Ja, das mache ich. Versprochen.“ Selbst wenn er seinem Vater den Arm verrenken musste, damit er ein paar Zeilen schrieb.

„Möglicherweise kommt er ja mit dir zurück“, meinte seine Mutter leise. „Oh ja. Versprich mir, dass du mich mit ihm besuchst.“

„Das kann ich nicht. Er ist immer sehr eingespannt. Marcels Hochzeit hat sich ziemlich plötzlich ergeben. Weshalb er nichts planen konnte.“

„Aber du versuchst es? Sag ihm, dass ich mich danach sehne, ihn wiederzusehen. Dann entscheidet er sich bestimmt dafür.“

„Ich tue mein Bestes“, stieß Leonid hervor. „Vielleicht solltest du jetzt mit mir ins Haus gehen. Es wird kühl.“

„Ich bin so gern hier draußen und möchte noch etwas bleiben.“ Sie zeigte um sich. Der leicht abschüssige Rasen ermöglichte einen wunderschönen Blick auf den Don. „Hier waren wir zusammen und werden es eines Tages wieder sein. Ich weiß es und muss nur Geduld haben. Auf Wiedersehen, mein Junge. Bis bald.“

Leonid umarmte und küsste sie und wandte sich zum Haus. Dort traf er auf Nina, die sich um seine Mutter kümmerte.

„Wie kommt sie zurecht?“

„Nicht gut. Sie hat mir einen Brief für meinen Vater mitgegeben. Es ist schlimm, dass sie nach all den Jahren immer noch glaubt, er würde sie lieben.“

„Und dabei hat Amos Falcon sie benutzt, sie im Stich gelassen und jedes Versprechen gebrochen, das er ihr gegenüber gemacht hat“, erwiderte Nina bissig. Sie war, streng genommen, Leonids Angestellte, konnte es sich aber trotzdem leisten, so über seinen Vater zu reden. Er schätzte sie und vertraute ihr. Nur weil sie seine Mutter umsorgte, konnte er das Haus in Rostow verlassen und seinen Geschäften in Moskau nachgehen.

„Nicht jedes Versprechen. Er hat sie immer finanziell unterstützt.“

„Aus weiter Ferne. Was leicht für ihn war. Wo war er, nachdem ihr Mann erfahren hatte, dass er nicht dein Vater war? Hat er außer Geld noch andere Hilfe angeboten?“

„Mir tut sie genauso leid wie dir, Nina.“

„Kannst du ihn vielleicht dazu bringen, sie zu besuchen? Du weißt, es ist ihr Herzenswunsch.“

„Ich werde es versuchen.“ Leonid stöhnte auf. „Sie ist in einer Fantasiewelt gefangen, in der er sie liebt und eines Tages zu ihr zurückkehren wird. Ist es wirklich besser, sie das glauben zu lassen und sie nicht mehr mit der Wahrheit zu konfrontieren?“

„Ja, denn so erträgt sie das Leben leichter.“

„Du hast wohl recht. Doch nun muss ich los.“ Fest drückte er Ninas Hand. „Was würde ich ohne dich tun?“

„Die Frage stellt sich nicht. Ich gehe zu ihr, damit sie jetzt nicht allein ist. Beeil dich, sonst verpasst du noch deine Maschine.“

Er eilte zur Auffahrt, wo bereits ein Wagen für ihn bereitstand. Bevor er einstieg, drehte er sich noch einmal zu seiner winkenden Mutter um und hob ebenfalls die Hand. Es lag nicht in seiner Macht, ihr das Glück zu verschaffen, nach dem sie sich sehnte. Er konnte nur dafür sorgen, dass ihr Leben so angenehm wie möglich war.

„Nina, es ist wunderbar“, sagte Veruschka Tsareva, während sie dem Auto nachblickte. „Er wird seinen Vater in Paris treffen und mich mit Amos hier besuchen.“

1. KAPITEL

Das muss Jim sein, dachte Perdita Davis, als jemand aufgeregt an ihre Tür klopfte. Er war ein netter Kerl, der sich als ihr Freund betrachtete.

„Das kannst du mir nicht antun.“ Jim stürmte in ihr Apartment, sobald sie geöffnet hatte, und ließ sich einen Moment später aufs Sofa fallen. „Was glaubst du, wie ich mich fühle? Ich freue mich auf unsere gemeinsame Zeit, und dann machst du mit mir Schluss. Per SMS!“

„Ich habe nicht mit dir Schluss gemacht. Ich habe dir bloß gesimst, dass ich für unseren Kurztrip nächste Woche keine Zeit habe. Es tut mir leid.“ Sie lächelte ihn besänftigend an und strich die langen blonden Haare nach hinten. „Ich muss nämlich gleich los. Es geht um eine Story.“

Perdita arbeitete freiberuflich als Journalistin. Sie sah nicht nur super aus und besaß einen unglaublichen Charme, sondern hatte auch einen Spürsinn für Sensationen.

„Und wo wird sich diese sensationelle Geschichte abspielen?“

„In Paris. Ich habe vorhin ein Zimmer im ‚La Couronne‘ reservieren lassen.“

„Das ist das teuerste Hotel vor Ort.“

„Ich weiß, und ich hatte Glück, denn ich habe das letzte freie Zimmer bekommen.“ Der Schalk blitzte ihr aus den blauen Augen. „Seit das Gerücht in der Welt ist, wollen wohl viele dort absteigen.“

„Welches Gerücht?“

„Das von der Hochzeit. Marcel Falcon soll übermorgen heiraten.“

„Wer, zum Teufel, ist Marcel Falcon?“, fragte Jim.

„Der Eigentümer des Hotels. Aber das ist unwichtig. Er ist Travis Falcons Halbbruder. Von ihm hast du bestimmt schon gehört.“

„Du meinst den TV-Star? Na klar.“

„Man hat in letzter Zeit oft über ihn berichtet. Wegen dieser neuen Frau in seinem Leben. Sie soll anders sein als seine üblichen Bettgespielinnen. Es heißt, sie sei gesellschaftsfähig. Jeder ist neugierig darauf, wie sich das Ganze entwickelt. Meine Kontaktperson in Paris hat mir erzählt, dass Travis mit ihr zur Hochzeit kommt. Ich muss die beiden unbedingt aus nächster Nähe beobachten. Die anderen natürlich auch.“

„Welche anderen?“

„Die restlichen Mitglieder der Familie Falcon“, antwortete Perdita. „Sein Vater Amos ist ein mächtiger Mann in der Finanzwelt. Vermutlich werden er und seine anderen Söhne auch in Paris sein.“

„Wie viele hat er denn?“

„Fünf, von vier verschiedenen Müttern: Darius ist Engländer und ebenfalls ein großes Tier in der Finanzwelt, Jackson dreht diese Fernsehdokumentationen. Marcel ist Franzose, Travis Amerikaner und Leonid Russe.“

„Wow. Dieser Amos ist offenbar ziemlich herumgekommen.“

„Ja, früher. Jetzt ist er über siebzig und lebt mit seiner derzeitigen Frau in Monaco. Er ist inzwischen offenbar seriös geworden. Ich würde jedoch wetten, dass der Schein trügt. Ein Kater lässt das Mausen nicht.“

„Doch warum willst du nach Paris? Es wird dort vor Reportern wimmeln. Du wirst eine unter vielen sein.“

Spöttisch blickte sie ihn an. Sie war nie einfach nur eine unter vielen. „Die Trauung findet in der hoteleigenen Kapelle statt. So kann die Familie kontrollieren, wer Zutritt hat, und die Presseleute auf Abstand halten. Deshalb muss ich als Gast im ‚La Couronne‘ sein. Wenn ich es geschickt anstelle, werde ich möglicherweise sogar zur Hochzeit eingeladen.“

Jim lachte. „Träum weiter. Du bringst es möglicherweise fertig, dich einzuschleichen. Doch selbst du kannst dir keine Einladung verschaffen.“

„Wetten, dass?“

„Okay. Ich schätze, wenn es jemandem gelingt, dann dir. Aber weißt du was? Eines Tages wirst du auf einen Typ treffen, der dich mit deinen eigenen Waffen schlägt. Dann wird es dir leidtun.“

„Vielleicht. Es könnte jedoch auch sein, dass ich den Kampf genieße. Je härter er ist, desto mehr Spaß macht das Gewinnen.“

Womit sie alles gesagt hat, dachte Jim. Wer immer Perdita mit ihren eigenen Waffen schlagen konnte, er würde es nicht sein. Das hatte sie ihm freundlich, aber klar zu verstehen gegeben.

„Wann geht dein Flug?“

„In drei Stunden. Ich wollte mir gerade ein Taxi rufen.“

„Ich fahre dich.“

„Oh, Jim, das ist lieb von dir. Wie kann ein Mann bloß so nett und verzeihend sein?“

Eine gute Frage. Obwohl es ihn kränkte, dass er ihr so wenig bedeutete, wollte er ihr trotzdem gern behilflich sein. Sie würde wohl bei vielen anderen Männern eine ähnliche Reaktion hervorrufen.

Als Perdita um kurz vor Mitternacht in Paris landete, wurde sie von ihrer Kontaktperson bereits erwartet. Die fünfzigjährige Hortense war eine französische Geschäftsfrau mit vielen Verbindungen. Sie beide mochten sich nicht nur, sondern arbeiteten in gewisser Weise auch zusammen, indem sie einander hin und wieder Gefälligkeiten erwiesen.

„Ich weiß nicht, wie ich dir danken soll“, sagte Perdita, als sie neben Hortense im Wagen saß.

„Dazu besteht kein Grund. Ich war dir noch etwas schuldig. Das Ganze ist ein glücklicher Zufall, denn die Firma, bei der ich beschäftigt bin, organisiert die Hochzeit.“

„Warum haben die beiden es so eilig?“

„Es heißt, Marcel habe Angst, Cassie könne es sich noch einmal anders überlegen.“

„Ist seine Familie schon eingetroffen?“

„Sie soll bis morgen hier sein“, antwortete Hortense. „Auch Leonid hat sich ein Zimmer reservieren lassen. Allerdings ist niemand sicher, ob er tatsächlich kommen wird. Die Leute, die ihn kennen, behaupten, er sei hart wie Stahl.“

„Das klingt interessant.“

„Eher gefährlich. Sei vorsichtig, wenn du ihm begegnest.“

„Warum? Wo ist da der Spaß.“

„Muss denn alles im Leben Vergnügen sein?“

„Natürlich“, erwiderte Perdita. „Wenn man Spaß hat, hat man die Kontrolle und kann andere überrumpeln.“

„Und das ist wichtig?“

„Oh, ja.“ Perdita lächelte. „Sehr wichtig.“

Hortense schwieg, während sie den Wagen durch das teuerste Viertel von Paris lenkte. Manchmal fand sie es schwierig, abzuschätzen, ob Perdita alles, was sie sagte, auch tatsächlich meinte.

„Dort ist das ‚La Couronne‘.“

„Wow. Das sieht ja toll aus.“

„Einst war es das Zuhause einer aristokratischen Familie, die während der Französischen Revolution umgekommen ist. Danach ging es mit dem Gebäude bergab, bis Marcel es gekauft hat. Er ist auf Luxushotels in Metropolen spezialisiert, und das ‚La Couronne‘ ist von allen, die er besitzt, das beste.“

Hortense parkte das Auto, während Perdita eincheckte und sich zu ihrem Zimmer bringen ließ.

„Hier zu wohnen könnte deinen Geldbeutel etwas strapazieren“, meinte sie, als sie sich schließlich wieder zu Perdita gesellte. „Aber dafür logierst du sogar auf demselben Flur wie die Falcons.“

„Nur das ist wichtig.“

Sie bestellten sich beim Zimmerservice etwas zum Essen und ließen es sich wenig später schmecken.

„War es schwierig, so kurzfristig herzukommen?“

„Einer war nicht sehr glücklich darüber“, antwortete Perdita und erzählte Hortense von Jim. „In anderer Hinsicht war es von Vorteil“, fuhr sie fort. „Ich hätte morgen zu meinen Eltern fahren sollen, um die Verlobung meiner Cousine Sally zu feiern. Es ist vermutlich besser, dass ich nicht da bin.“

„Deine Eltern sind namhafte Gelehrte, wie ich gehört habe.“

„Ja.“ Auch ihre Geschwister waren angesehene Akademiker. „Sie haben mich immer als schwarzes Schaf betrachtet. Als leichtfertig, dumm und ignorant.“

„Warum ist es besser, dass du nicht dort bist?“

„Weil ich vor ein paar Jahren mit Sallys Partner liiert war. Es lief gut zwischen uns, bis sich mir die Gelegenheit zu einer sensationellen Story bot. Jemand hat mir gegenüber etwas geäußert, dem ich nachgegangen bin … Was mir beruflich sehr weitergeholfen hat.“

„Ja, ich erinnere mich. Die Geschichte hat dir deinen Ruf als hervorragende Journalistin eingetragen.“

„Aber Thomas war entsetzt. Er fand es schrecklich ordinär, was ich machte, und wollte, dass ich meine Karriere aufgab. Als ich es nicht tat …“ Perdita zuckte die Schultern.

„Hätte er dich geliebt, hätte er dir deshalb nicht das Herz gebrochen.“

„Wer sagt denn, dass er Letzteres getan hat?“, fragte Perdita empört. „Bei all den Möglichkeiten, die sich mir eröffnet haben, musste ich über andere Dinge nachdenken. Außerdem ist mir klar geworden, dass er mich nicht geliebt hat. Er ist Akademiker und wollte mich nur heiraten, weil er sich von dem guten Ruf meiner Familie etwas versprochen hat.“

„Also hat er sich deiner Cousine zugewandt. Ja, es ist wohl wirklich besser, dass du nicht auf der Verlobungsfeier bist.“

Perdita lächelte gequält. „Das einzig Intellektuelle an mir ist mein lateinischer Spitzname. Mein Vater wollte nicht unbedingt noch ein Kind, und als er von der erneuten Schwangerschaft meiner Mutter erfahren hat, soll er aufstöhnend gesagt haben: ‚Jetzt bin ich endgültig verloren.‘“

„‚Perdita‘ bedeutet übersetzt ‚die Verlorene‘, oder?“ Hortense lachte.

„Ja.“

„Warum veröffentlichst du deine Storys eigentlich unter dem Pseudonym Perdita Davis und nicht unter Erica Hanson, wie du richtig heißt?“

„Den Namen benutze ich bloß für offizielle Zwecke. Erica Hanson hält ihr Bankkonto in Ordnung, zahlt pünktlich ihre Steuern und benimmt sich für gewöhnlich anständig. Perdita Davis hingegen ist so dumm und leichtfertig, wie ein Mitglied einer Familie von Gelehrten nur sein kann“, erklärte sie vergnügt und mit leisem Stolz.

„Woher stammt der Name ‚Davis‘?“

„Er ist frei erfunden. Meine Leute haben mir nämlich mehr oder minder befohlen, den Namen ‚Hanson‘ nicht zu verwenden. Sie haben Angst, dass jemand mich mit ihnen in Verbindung bringen könnte, und wollen sich meinetwegen nicht schämen müssen“, antwortete Perdita ironisch.

„Wie gemein!“

„Man kann es ihnen nicht verdenken. Sie müssen schließlich auf ihren Ruf achten.“

„Wieso denn? Du bist wahnsinnig erfolgreich, und sie behandeln dich wie eine Aussätzige.“

„Ich finde es nicht weiter dramatisch. Es ist nicht wirklich wichtig.“ Perdita ließ sich nicht anmerken, dass Hortense einen Nerv bei ihr getroffen hatte. Die Haltung ihrer Familie beschäftigte sie mehr, als sie zugeben wollte.

„Womöglich sind sie neidisch, weil du ein Vermögen mit deinen Storys verdienst. Manche sind allerdings, offen gestanden, schon hart an der Grenze.“

„Stimmt, doch in letzter Zeit bin ich etwas weniger … draufgängerisch. Ich verletze jetzt nicht mehr so viele Regeln, sondern werde sogar ein bisschen seriöser.“

„Du? Wie kommt’s?“

„Vielleicht macht sich endlich meine Herkunft aus einem akademischen Elternhaus bemerkbar.“ Perdita zuckte die Schultern. „Vielleicht hast du von dem berühmt-berüchtigten Journalisten gehört, der eine Frau mit einem Trick dazu gebracht hat, mit ihm zu sprechen, und dass das Ganze später tragisch endete?“

„Ja, habe ich. Hatte das etwas mit dir zu tun?“

„Nein. Ich habe den Typ allerdings vor einigen Jahren einmal kennengelernt und ihn ein wenig wegen seiner raffinierten Methoden bewundert. Inzwischen tue ich das nicht mehr. Sagen wir einfach, dass ich reifer geworden bin und aufgrund dieser Sache meine eigene Vorgehensweise überdacht habe.“

„Heißt das, die tugendhafte Erica führt jetzt allein Regie und die freche Perdita gibt es nicht mehr?“

„Oh, nein. Perdita ist noch sehr aktiv. Sie achtet nur etwas besser auf die Folgen, die ihr Tun für andere haben könnte.“

Hortense lachte. „Es würde dir recht geschehen, wenn du deinen Traummann kennenlernen würdest und dich zwischen deinen beiden Ichs entscheiden müsstest.“

„Ich habe keine Träume. Mir wurde das Herz bislang noch nicht gebrochen, und das wird es auch nie werden. Ich bin viel zu sehr mit anderen Dingen beschäftigt.“

„Hast du etwa keinen Sinn für Romantik?“, fragte Hortense entrüstet. „Du bist in Paris, der Stadt der Liebe, und nicht wie jede andere Frau von der Atmosphäre hier entzückt?“

„Wenn ich meine Story geschrieben habe, werde ich entzückt sein.“

„Ich werde mich hüten, mit dir darüber zu diskutieren. Außerdem sollte ich jetzt auf mein Zimmer gehen, denn der morgige Tag wird anstrengend. Wir sehen uns dann zum Frühstück. Gute Nacht.“

Als sie allein war, ging Perdita zum Fenster und blickte hinüber zum Eiffelturm in der Ferne. Sie hatte Hortense erzählt, dass ihr das Herz noch nie gebrochen worden sei, was so gut wie wahr war.

Nach dem Ende ihrer Beziehung mit Thomas hatte sie einen Erfolg nach dem anderen eingefahren. Doch dann hatte sie den Fotografen Frank kennengelernt und sich in ihn verliebt, was sie mittlerweile allerdings nicht mehr wahrhaben wollte. Er hatte sie betrogen, indem er sie benutzt hatte, um an heiße Storys zu kommen, und seine Bilder an einen anderen Journalisten verkauft, der seiner Karriere förderlicher gewesen war.

Nach dieser Erfahrung hatte sie beschlossen, wieder allein zu arbeiten und auch ihre eigenen Fotos zu schießen. Sie hatte viel von Frank gelernt. Wozu brauchte sie noch Fotografen oder Männer überhaupt? Das Leben als Freiberuflerin war genau das Richtige für sie, denn so konnte sie selber entscheiden, was sie tat.

„Vielleicht stimmt etwas nicht mit mir, wenn ich den Job immer an erste Stelle setze“, überlegte sie jetzt laut. „Aber so bin ich nun mal. Es ist nicht mein Fehler, wenn ich gern Spaß habe.“

„Ich weiß praktisch nichts über Leonid“, sagte Perdita, als sie mit Hortense in ihrem Zimmer frühstückte. „Über ihn etwas herauszufinden ist nicht so leicht wie über die anderen.“

„Merkwürdigerweise nennt er sich mit Nachnamen auch nicht Falcon, sondern Tsarev. Nur wenn er mit seinen Brüdern zusammen ist, wird er mit ‚Falcon‘ angeredet. Er muss ein wahnsinnig erfolgreicher Geschäftsmann sein. Laut meinen Freunden in Moskau hat er wohl kein aufregendes Privatleben. Er arbeitet wie verrückt und scheint keine Zeit für oberflächliche Vergnügungen zu haben. Außerdem soll er schroff und grimmig sein.“

„Auch solche Menschen können interessant sein“, erwiderte Perdita nachdenklich und stand auf, um den Kleiderschrank zu öffnen. „Was, meinst du, soll ich heute anziehen?“

Hortense trat zu ihr und warf einen Blick auf Perditas Garderobe. „Was für tolle Klamotten du hast. Du musst ein Vermögen verdienen.“

„Ja, das tue ich. Im Allgemeinen trage ich aber ganz normale Sachen. Dennoch muss ich für alle möglichen Eventualitäten gerüstet sein, um zum Beispiel bei einem Aufenthalt wie in diesem Luxushotel nicht unangenehm aufzufallen.“

„Was du mit Sicherheit nicht wirst.“ Hortense nahm eine eng geschnittene Edeljeans aus dem Schrank und hielt sie sich kurz an. „Ich beneide dich um deine Figur.“ Sie seufzte und hängte die Hose an die Tür. „Zieh die an.“

„Meinst du wirklich? Ich würde mit meinem Outfit lieber einen dezenten, tugendhaften und vielleicht sogar etwas langweiligen Eindruck machen.“

„Träum weiter! Du solltest dich glücklich schätzen, weil das Schicksal dir einen Körper geschenkt hat, der in diese Jeans passt.“ Sie seufzte. „Ich muss jetzt los. Und vergiss nicht, sollten wir zufällig aufeinandertreffen …“

„… dann kennen wir uns nicht“, beendete Perdita den Satz.

„Wenn mein Arbeitgeber erfährt, dass ich Kontakt zu einer Journalistin hatte, würde ich Schwierigkeiten kriegen. Diesbezüglich ist man sehr streng. Also dann bis irgendwann.“

Am späteren Vormittag verließ Perdita ihr Zimmer, um sich im Hotel umzusehen und umzuhören. Sie war einen Kompromiss eingegangen und hatte zu der Jeans eine weite weiße Seidenbluse gewählt, die ihr bis zu den Schenkeln reichte.

Als sie zu einer breiten Treppe kam, blieb sie unvermittelt stehen. War das dort unten nicht Travis Falcon? Den dunklen Haaren, der Größe und der Statur nach musste er es sein. Einzelheiten konnte sie auf die Entfernung nicht erkennen, aber das Gefühl sagte ihr, dass er es war.

Jetzt musste sie es nur noch schaffen, seine Aufmerksamkeit zu erregen, um dann vielleicht kurz mit ihm zu plaudern. Ein kleiner Trick, den sie für solche Gelegenheiten eingeübt hatte, würde ihr sicher helfen.

Langsam nahm sie eine Stufe nach der anderen, doch auf der drittletzten glitt sie gekonnt aus und ließ sich die restliche Treppe hinunterfallen. Doch leider ging dabei etwas schief. Sie landete nicht, wie geplant, sanft auf dem Boden, sondern verdrehte sich den Fuß und spürte einen stechenden Schmerz im Knöchel. Unwillkürlich schrie sie, nur wenige Zentimeter von Travis entfernt, leise auf.

Êtes-vous blessée?“ Er stellte das Longdrinkglas, das er in der Hand hielt, auf ein Tischchen in unmittelbarer Nähe und ging in die Knie.

„Ich verstehe nicht …“

„Sind Sie verletzt?“, wiederholte er auf Englisch.

„Ich weiß nicht … Mein Knöchel …“

„Haben Sie sich den Fuß verrenkt?“

„Ich befürchte, ja.“

Behutsam legte er ihr einen Arm um die Taille, griff nach ihrer rechten Hand und zog Perdita hoch. „Versuchen Sie, ihn vorsichtig zu belasten.“

Sie folgte seiner Aufforderung und spürte erneut den stechenden Schmerz. Dann schaute sie den Mann an. „Oh“, stieß sie überrascht hervor, denn er war nicht Travis, auch wenn er ihm sehr ähnelte.

„Sie brauchen einen Arzt“, erklärte er, und sie bemerkte jetzt, dass er mit osteuropäischem Akzent sprach.

„Ich komme schon zurecht.“

„Das glaube ich nicht. Stützen Sie sich am Geländer ab, während ich Ihre Sachen einsammle.“

Er bückte sich, hob ihre Handtasche, ihren Pass und die anderen Dinge, die herausgefallen waren, auf, verstaute alles wieder in der Tasche und reichte sie Perdita. Dann erkundigte er sich nach ihrer Zimmernummer. Nachdem Perdita sie ihm genannt hatte, forderte er sie auf, ihm einen Arm um den Nacken zu legen, und hob sie dann behutsam hoch.

„Ich tue Ihnen hoffentlich nicht weh?“

„Nein, überhaupt nicht.“

Langsam trug er sie die Treppe hinauf und den Flur entlang zu ihrem Zimmer. Sobald sie die Tür aufgemacht hatte, trat er mit ihr über die Schwelle und setzte sie vorsichtig aufs Bett.

„Geht’s so?“

„Ja. Ich habe mich nicht wirklich verletzt.“

„Warten wir ab, was der Doktor sagt.“ Schon griff er zum Zimmertelefon und ließ sich mit einem Arzt verbinden. „Er wird in Kürze hier sein“, verkündete er dann.

„Danke, das war sehr nett von Ihnen.“

„Es ist nicht der Rede wert. Eigentlich versuche ich nur, mein Gewissen zu beruhigen. Als ich Sie hinter mir gehört habe, habe ich mich abrupt umgedreht und dadurch womöglich Ihren Sturz herbeigeführt.“

Nein, so ist es nicht gewesen, dachte Perdita schuldbewusst. Dabei empfand sie es als angenehm, dass er sich um sie kümmerte. Sie war immer stolz darauf gewesen, unabhängig und auf niemanden angewiesen zu sein. Doch warum sollte sie sich nicht für ein paar Minuten einfach einmal umsorgen lassen?

„Während wir auf den Arzt warten, bestelle ich Ihnen am besten etwas zu trinken. Wie wäre es mit Tee? Oder Kaffee?“

„Tee, bitte.“

Er telefonierte erneut und sah Perdita danach durchdringend an. Dabei fuhr er sich mit dem Jackettärmel über die Brustpartie. Diese war ganz offensichtlich nass, wie sie erst jetzt bemerkte.

„Bin ich daran schuld?“

„Ich habe unglücklicherweise ein Glas mit einem Longdrink in der Hand gehabt. Vor Schreck über ihren Sturz habe ich ein wenig von dem Getränk verschüttet. Aber machen Sie sich darüber nur keine Gedanken. So etwas kann passieren. Sie sind schließlich nicht absichtlich ausgerutscht.“

„Nein. Es tut mir leid“, erwiderte sie und verspürte leise Gewissensbisse.

„Mein Anblick hat Sie wohl aus dem Gleichgewicht gebracht. Lassen Sie mich raten, warum. Dachten Sie, ich wäre Travis?“

„Travis?“ Sie schaffte es, die Ahnungslose zu spielen.

„Ja, Travis Falcon.“

„Der so oft im TV zu sehen ist?“

„Ja, sehr oft sogar. Wir sollen uns sehr ähnlich sehen. Oft glauben die Leute, sie würden ihm begegnen, und sind dann enttäuscht, wenn nur ich es bin.“

„Wie unhöflich! Sind Sie mit ihm verwandt?“

„Er ist mein Halbbruder. Ich bin Leonid Tsarev.“

Perdita schüttelte ihm die Hand und versuchte dabei, ihrer Verwirrung Herr zu werden. „Freut mich“, antwortete sie leise und stöhnte auf, weil sie das linke Bein bewegt hatte.

2. KAPITEL

„Der Arzt wird sicherlich bald hier sein“, sagte Leonid, als Perdita sich vorbeugte, um ihren Knöchel abzutasten. „Sie werden allerdings die Hose ausziehen müssen, damit er den Fuß untersuchen kann. Ah, das ist er vielleicht“, meinte er dann, denn jemand klopfte an die Tür.

Während er sich umwandte, um zu öffnen, streifte Perdita den rechten Schuh ab. Sie wollte sich auch noch schnell der Jeans und des anderen Schuhs entledigen und die Bettdecke über ihre Beine breiten, doch es gelang ihr nicht.

„Gibt’s Probleme?“ Leonid kehrte mit einem Tablett in den Händen zurück und stellte es ab. Der Arzt war also noch nicht gekommen, sondern ein Bediensteter des Hotels, der den Tee gebracht hatte.

„Ja. Ich komme nicht aus dem Schuh.“

„Lehnen Sie sich zurück und lassen Sie mich das machen.“

Innerhalb von Sekunden hatte er ihr aus dem Schuh geholfen, und es hatte noch nicht einmal wehgetan. „Vielen Dank.“

„Wie ich schon sagte, werden Sie auch die Jeans ausziehen müssen, damit der Arzt sich den Fuß anschauen kann.“

„Sie haben recht.“ Perdita seufzte.

„Kommen Sie, wir schaffen es mit vereinten Kräften. Und keine Sorge, ich sehe dabei weg.“

Sie nickte und öffnete den Knopf am Bund und den Reißverschluss, bevor sie sich auf dem Bett ausstreckte. Dann verlagerte sie das Gewicht auf die rechte Ferse, hob das Becken an und schob die Hose über ihren Po. Nachdem sie ihren Seidenslip, der dabei etwas verrutscht war, wieder ganz hochgezogen hatte, zerrte sie die Jeans so weit wie möglich über ihre Schenkel. Danach streifte ihr Leonid, der den Blick starr auf ihre Schienbeine gerichtet hatte, erst das rechte Hosenbein ab und dann äußerst behutsam das linke. Trotzdem konnte Perdita ein leises Jammern nicht unterdrücken.

„Entschuldigen Sie, wenn ich Ihnen wehgetan habe.“

„Sie können nichts dafür.“

„Sind Sie mit jemandem hier, den ich verständigen kann?“, fragte Leonid, als er die Jeans beiseitelegte.

Perdita setzte sich auf und breitete die Bettdecke über ihre Beine. „Nein.“

„Es gibt niemanden, der sich um Sie kümmern kann?“

„Man muss sich nicht um mich kümmern.“

„Ich weiß nicht, Miss Hanson …“

„Woher wissen Sie meinen Namen?“

„Ich habe ihn vorhin in Ihrem Pass gelesen, bevor ich ihn in Ihre Handtasche getan habe. Sie heißen Erica und sind Engländerin, wie mir auch Ihre Bitte um Tee verraten hat“, erwiderte Leonid.

In diesem Moment klopfte es kurz an der Tür, und ein etwa fünfzigjähriger Mann betrat das Zimmer. Es war der Arzt.

„Haben Sie große Schmerzen?“, erkundigte er sich, während er den Knöchel abtastete.

„Es ist erträglich.“

„Gut. Sie haben sich eine Zerrung zugezogen und sollten den Fuß erst einmal nicht belasten.“

„Dann bin ich hier also so gut wie eingesperrt?“, fragte Perdita entsetzt.

„Nicht unbedingt. Man kann Ihnen hier bestimmt für ein oder zwei Tage einen Rollstuhl und Krücken zur Verfügung stellen“, erklärte er, bandagierte den Knöchel und gab ihr einige Schmerztabletten, bevor er sich an Leonid wandte. „Ich schaue morgen wieder vorbei. Können Sie sich bis dahin um sie kümmern?“

„Aber …“, protestierte Perdita, während sie ihre Beine schnell wieder bedeckte.

„Selbstverständlich“, versicherte Leonid und brachte ihn zur Tür.

„Das kann ich nicht zulassen“, meinte Perdita, sobald der Mediziner gegangen war.

„Sie haben keine andere Wahl. Ich habe es bereits beschlossen.“

„Habe ich etwa kein Mitspracherecht?“

„Nicht das geringste.“

Er sagte es so energisch, dass Perdita vermutete, dass er kein geduldiger Mann war. Dabei wirkte er auf sie nicht unsympathisch. Und seine dunklen Augen faszinierten sie. Da er Travis’ Bruder war, beschloss sie, sich zumindest erst einmal zu fügen.

„Es ist nett von Ihnen, sich um mich zu kümmern. Vielen Dank.“

„Offen gestanden bin ich nicht nur einfach nett, sondern profitiere ebenfalls von der Situation.“

„So?“ Anscheinend übe ich auch eine Anziehungskraft auf ihn aus, dachte sie und sah ihn fragend an.

„Es ist so“, begann er und runzelte die Stirn, als es wieder klopfte. „Erwarten Sie jemanden?“

„Nein.“

Leonid öffnete die Tür, vor der eine hübsche junge Frau stand. „Entschuldige, dass ich hereinplatze. Aber ich habe eine Nachricht für dich und gesehen, wie du eine Frau nach oben getragen hast, und mich nach der Zimmernummer erkundigt.“ Dann sah sie zu Perdita. „Ich … störe wohl.“

„Stimmt, Freya, doch es ist nicht so, wie du annimmst“, erwiderte Leonid, umarmte sie und küsste sie auf die Wange.

„Machst du uns miteinander bekannt?“

„Natürlich. Freya, das ist Erica Hanson. Erica, das ist meine Stiefschwester. Mein Vater ist mit ihrer Mutter verheiratet.“

„Wir zanken uns aber wie richtige Geschwister“, fügte Freya fröhlich hinzu. „Hallo Erica. Schön, Sie kennenzulernen. Ich finde es sogar sehr schön.“ Bedeutungsvoll blickte sie Leonid an. „Ich muss wieder los, denn die Probe in der Kapelle fängt gleich an. Deshalb habe ich dich gesucht. Kommst du auch?“

„Ich bin nicht sicher …“

„Keine Sorge. Amos hat noch nicht eingecheckt und wird nicht da sein. Ich freue mich schon, auch Sie später beim Treffen der Familie zu sehen, Erica.“

„Ich weiß nicht …“

„Natürlich werden Sie dabei sein. Bis nachher also.“ An der Tür drehte Freya sich noch einmal um und hielt die Daumen hoch, bevor sie endgültig verschwand.

„Was hatte denn das zu bedeuten?“

„Ich fürchte, meine Familie versucht, Sie für ihre eigenen Zwecke einzuspannen. Freya hat nämlich ein Problem. Mein Vater hat fünf Söhne, aber keine Tochter. Er will einen von uns mit ihr verheiraten, damit sie nicht nur seine Stieftochter ist. Nur gehen ihm allmählich die ledigen Söhne aus.“ Er fuhr sich mit einer Hand durchs Haar. „Darius ist bereits verheiratet, und Marcel wird es ab morgen sein. Wir alle mögen Freya, lassen uns aber nichts vorschreiben. Glücklicherweise lässt sie sich das auch nicht. Deshalb kommen Sie ihr wie gerufen. Denn wenn mein Vater annimmt, dass Sie und ich ein Paar sind …“

„Ist Freya denn vor Ihnen sicher?“

„Oh ja. Da sind aber immer noch Jackson und Travis.“

„Hat es nicht in der Presse geheißen, dass Travis mit jemandem liiert ist? Besagte Dame wird ihn doch bestimmt begleiten, oder?“

„Vermutlich. Doch keiner von uns weiß es genau. Wir sind noch nicht einmal sicher, ob Amos kommen wird. Er ist verärgert über Marcel, weil er es gewagt hat, sich selbst eine Frau zu suchen. Wenn unser Vater jedoch erscheint, wird es für Jackson, Travis und mich gefährlich. Es sei denn, irgendein Engel beschützt mich.“ Fragend blickte er sie an.

Perdita schnitt ein Gesicht. „Sie meinen, dass dieser Engel sich zwischen Sie und Ihren Vater stellt, damit er sein Augenmerk auf Ihre Brüder lenkt?“

„Ja. Und schätzungsweise hat Freya die Tatsache, dass sie Sie im Bett gesehen hat, falsch interpretiert.“

„Haben Sie denn keine Freundin?“ Die Frage war heraus, bevor Perdita richtig darüber nachgedacht hatte. Wie peinlich! Schnell lenkte sie seine Aufmerksamkeit auf ein anderes Thema: „Sie haben übrigens einen osteuropäischen Akzent. Woher kommen Sie?“

„Ich bin in Moskau zu Hause.“

„Wie aufregend! Sicher kennen Sie da viele Frauen, oder?“, erwiderte Perdita und hatte das Gefühl, dass ihm ihre Frage nicht gefiel. Warum sprach sie das Thema denn auch noch einmal an?

Er antwortete gereizt: „Ich habe viele Bekannte, bin aber mit niemandem liiert, sonst hätte ich die Person mitgebracht. Was ist denn mit Ihnen?“

„Ich bin auch ungebunden.“

„Wenn ich mich um Sie kümmere, spielen Sie dann heute Abend und auf der Hochzeit meine Begleiterin?“ Er lächelte gewinnend und deutete auf die feuchte Stelle auf seinem Jackett. „Schließlich schulden Sie mir einen Gefallen.“

„Ja, das tue ich in der Tat.“

„Also werden Sie mich vor den Plänen meines Vaters beschützen? Oder haben Sie andere Pläne?“

„Wohl kaum.“ Perdita zeigte auf ihren bandagierten Knöchel.

„Richtig, Sie brauchen mich ja als Pfleger.“ Er grinste, und ein leiser Triumph schwang in seiner Stimme mit. „Das Ganze kommt mir so gelegen, dass man fast meinen könnte, ich hätte Ihren Sturz absichtlich herbeigeführt.“

Wenn du wüsstest, dachte Perdita voller Unbehagen. Aber ihr Selbstvertrauen hatte wieder die Oberhand gewonnen, sodass sie theatralisch erwiderte: „So intrigant und unredlich wird doch hoffentlich niemand sein, oder?“

Er lächelte schalkhaft. „Glauben Sie es mir oder nicht, manche Leute sind es.“

„Ich bin schockiert.“

„Natürlich sind Sie und ich über ein derartig skandalöses Verhalten erhaben.“ Er schaute sie vergnügt an.

„Gibt es wirklich solche Menschen?“

„Wir reden heute beim Abendessen darüber. Sie werden bestimmt eine schöne Zeit verbringen.“

Nein, ich werde bestimmt eine fantastische Zeit verbringen, dachte Perdita, denn alles verlief wunderbar. Sie hatte es tatsächlich geschafft, sich in die Familie Falcon einzuschleichen und eine Einladung zur Hochzeit zu bekommen. Und als wäre das nicht schon fast des Guten zu viel, war ihr Begleiter ein umwerfend attraktiver Mann mit einer faszinierenden, irgendwie geheimnisvollen Ausstrahlung.

„Sie sagen ja gar nichts? Befürchten Sie etwa, dass ich die Situation ausnutzen könnte? Machen Sie sich darüber keine Gedanken. Es geht mir einzig darum, meinem Vater etwas vorzuspielen. Erlauben Sie mir in seiner Gegenwart, einen Arm um Sie zu legen. Wenn wir allein sind, lasse ich Sie völlig in Ruhe.“

„Jetzt ist mir schon viel wohler“, log Perdita.

„Dann kann ich auf Sie zählen?“

Sie lächelte, obwohl sie das Gefühl hatte, auf einem Felsvorsprung zu stehen. Ein einziger falscher Schritt – und sie lief Gefahr, abzustürzen. Doch das schreckte sie nicht. Mit der Gefahr verhielt es sich wie mit dem Spaß. Beides war aufregend.

„Ja.“

„Wunderbar. Doch dann sollten wir uns ab sofort duzen.“

„Du siehst fast perfekt aus“, erklärte Leonid, als er um halb sieben Perditas Zimmer betrat, um sie zum Abendessen abzuholen.

Wie versprochen, hatte er ihr eine Hotelangestellte geschickt, die ihr beim Ankleiden geholfen hatte. Jetzt saß sie in einem langärmeligen dunkelblauen Cocktailkleid in dem zur Verfügung gestellten Rollstuhl.

Fast perfekt?“

„Es fehlt nur eine Kleinigkeit.“ Er holte ein Kästchen aus der Tasche seines weißen Smokingjacketts und öffnete es. „Bitte fühl dich nicht gekränkt und nimm die Perlenohrringe als mein Dankeschön an.“

„Ich fühle mich nicht gekränkt. Sie sind wunderschön.“

„Darf ich sie dir anlegen?“

Als sie nickte, schob er ihre lockigen blonden Haare zurück, die sie offen trug. Und während er den Schmuck befestigte, versuchte sie so gut es ging seine warmen Finger zu ignorieren.

„Jetzt sollte ich mir wohl besser eine andere Frisur machen, sonst kann niemand die herrlichen Ohrringe sehen.“

„Muss sie denn jemand sehen?“, fragte Leonid leise. „Wir wissen doch, dass sie dort sind.“

„Ja, das stimmt auch.“

„Können wir dann gehen?“

„In Ordnung“, antwortete sie und erkundigte sich, während er den Rollstuhl den Flur entlangschob, ob sein Vater inzwischen eingetroffen sei.

„Nein. Freya hat mir allerdings gesagt, er sei hierher unterwegs.“ Unvermittelt blieb er an der breiten Treppe stehen. „Dort unten sind drei meiner Brüder“, erklärte er, als einer der Männer nach oben blickte und danach seinen Nachbarn anstieß. „Das ist Darius. Dann wollen wir mal einen großen Auftritt hinlegen.“ Er wandte sich zum Lift. „Warum sitzt du übrigens im Rollstuhl?“

„Wie bitte?“, stieß sie entgeistert hervor. „Du weißt doch, warum. Du bist schließlich dabei gewesen.“

„Ja, was erzählen wir aber meinen Leuten. Sie werden bestimmt fragen, und wir sollten das Gleiche antworten.“

„Ja, natürlich.“

„Wenn man Leute zum Narren halten will, muss man vorher genau wissen, was man ihnen erzählt.“ Leonid klang amüsiert. „Aber du bist wohl keine erfahrene Lügnerin, oder?“

„Nein“, erwiderte Perdita, während sie nach unten fuhren.

„Bestimmt nicht. Sonst wäre dir klar gewesen, dass man sich absprechen muss.“

Er hält mich in dem Punkt ganz offenbar für naiv, dachte sie schockiert, und ihr wurde ein wenig schwindelig. „Du hältst mich wohl für dumm, oder?“

„Nein, für unschuldig. Du hast die Kunst des Täuschens nun mal nicht gelernt. Doch keine Sorge. Ich bin darin so geübt, dass es für uns beide reicht.“

„Da bin ich aber erleichtert. Und was den Rollstuhl betrifft, sollten wir vielleicht besser bei der Wahrheit bleiben. Im Hotel weiß man, dass ich die Treppe hinuntergefallen bin.“

„Du hast recht“, antwortete Leonid, als die Lifttüren aufglitten. Er schob Perdita im Rollstuhl aus der Kabine ins Foyer, wo seine Familie sie mit neugierigen Blicken bereits erwartete. „Das ist Darius, mein ältester Bruder, und das seine Frau Harriet. Und das ist Marcel, dem dieser kleine Schuppen gehört“, erklärte er und erntete Gelächter.

„Ich muss schon sagen, dass dieser kleine Schuppen der weitaus schönste ist, den ich je gesehen habe“, erwiderte Perdita, und alle lachten erneut. Nachdem sie schließlich auch Freya, Cassie und Jackson begrüßt hatte, kam ein junges Paar Hand in Hand auf sie zugeschlendert.

„Hallo Travis.“ Leonid umarmte ihn.

„Darf ich dich mit Charlene bekannt machen“, stellte sein Bruder ihm seine Begleiterin vor.

„Ich habe schon viel über dich gehört.“

„Glaub nicht all die Geschichten in den Medien. Niemand weiß, wie sie wirklich ist. Außer mir.“ Travis schaute Charlene warmherzig an, und die hübsche Frau errötete leicht und senkte den Blick.

„Erica kennt ihr ja noch nicht“, erklärte Leonid den beiden.

„Weil du uns ihre Existenz bis jetzt verschwiegen hast.“

„Wir leben nicht alle im Rampenlicht, Travis. Und jetzt kommt und lasst uns etwas essen.“

In einem Nebenraum war bereits für die Familie gedeckt. Perdita fand sich am Tisch zwischen Marcel und Leonid wieder. Angeregt unterhielt sie sich mit ihm über das Menü und schenkte ihm zunächst ihre volle Aufmerksamkeit. Schließlich sollte sie seine Freundin spielen. Als dann das Essen serviert wurde, nahm sie sich bewusst zurück, damit er sich seiner Familie widmen konnte.

Das gab ihr die Gelegenheit, Travis und Charlene verstohlen zu beobachten, die ihr gegenübersaßen. Die beiden waren ganz ineinander versunken. Wenn sie nur aus PR-Gründen so taten, dass sie eine Beziehung hatten, lieferten sie eine überzeugende Show ab.

„Du schlägst dich sehr gut“, sagte Leonid irgendwann leise zu ihr.

„Vielen Dank. Ich bin allerdings zu nervös, um viel zu reden.“

„Hm.“

„Hm?“

„Ich kann mir nicht so ganz vorstellen, warum du es bist. Eine Frau mit deinem Aussehen kommt doch immer gut an. Was machst du beruflich? Lass mich raten. Bist du Model?“

„Was meinst du?“, fragte sie kokett, woraufhin er sie abschätzend musterte.

„Ich glaube, du bist undercover hier und gibst vor, ein normaler Gast zu sein, was du aber nicht bist.“

Fast wäre ihr das Herz stehen geblieben. „Wie kommst du denn darauf?“

„Du bist bestimmt eine Restauranttesterin und nimmst das Haus unter die Lupe. Vielleicht sollte ich Marcel vor dir warnen.“

„Nur zu. Mal sehen, was geschieht, wenn er merkt, dass es nicht stimmt.“

„Okay, ich kapituliere für den Moment. Ich werde es aber bestimmt herausfinden. Lass mir nur noch etwas Zeit“, erwiderte Leonid lächelnd.

Perdita verspürte leise Gewissensbisse, weil sie sich so aus der Affäre gezogen hatte. Sie hätte ihn bestimmt nicht angelogen, konnte ihm aber in diesem Moment auch nicht die Wahrheit sagen. Die Frage zu umgehen war ihre einzige Möglichkeit gewesen.

Später werde ich Farbe bekennen, nahm sie sich vor. Dann kann ich ihm alles erklären.

Glücklicherweise gab Jackson gerade etwas zum Besten und lenkte Leonid erst einmal von ihr ab.

Nach dem Essen bildeten sich verschiedene Grüppchen, und Charlene gesellte sich zu Perdita. „Sieh dir die beiden an“, meinte sie und zeigte mit dem Kopf auf Travis und Leonid, die etwas abseits standen und sich unterhielten. „Sie haben eine große Ähnlichkeit.“

„Leonid hat mir erzählt, dass er von Weitem oft mit seinem Bruder verwechselt wird und viele erst aus der Nähe die Unterschiede bemerken.“

„Ja, und die sind nicht nur äußerlich. Travis albert zuweilen gern herum. Es gefällt ihm, die Leute auf den Arm zu nehmen, und er mag es durchaus, wenn man über ihn lacht. Zumindest wenn er es darauf angelegt hat. Leonid dagegen zeigt laut Travis den Menschen zumeist seine eher schwermütige Seite.“ Charlene stutzte. Plötzlich schien ringsum eine seltsame Atmosphäre zu herrschen.

Perdita schaute sich um und stellte fest, dass alle zur Tür blickten. Sie wandte den Kopf und sah einen grauhaarigen Mann auf der Schwelle stehen. Es war Amos Falcon. Auf Fotos von ihm war sie bei ihren Recherchen gestoßen.

Aufmerksam verfolgte sie, wie seine Söhne ihn nacheinander begrüßten. Darius streckte ihm die Hand entgegen, Jackson umarmte ihn, und Marcel schlug ihm auf die Schulter. Travis und Leonid verhielten sich ihm gegenüber eher reserviert. Sie beobachtete auch, wie die Männer einander abschätzten.

Als man wenig später mit Champagner anstieß, stellte Leonid sie Amos und seiner Frau Janine vor. „Es freut mich, Sie kennenzulernen“, meinte sein Vater förmlich. „Leonid hat noch nie von Ihnen gesprochen. Wie haben Sie sich kennengelernt?“

Verflixt, was sollte sie darauf antworten? „Ich habe Urlaub in Moskau gemacht und bin in eine ziemlich dumme Situation geraten, aus der mich Leonid gerettet hat“, improvisierte sie schnell.

„Was ist geschehen?“

„Ich habe mich verlaufen und die Leute nach dem Weg gefragt. Auf Englisch, da ich kein Russisch spreche. Doch niemand hat mich verstanden.“ Hilfe suchend blickte sie Leonid an.

„Ich bin ihr zufällig über den Weg gelaufen und habe ihre Notlage sofort erfasst“, erklärte er. „Danach musste ich sie einfach im Auge behalten, für den Fall, dass sie sich noch einmal verirren sollte.“

„Dann hast du von der Hochzeit erfahren und nutzt jetzt die Gelegenheit für ein Wiedersehen?“

„Darling, hör auf, sie auszufragen.“ Janine fasste ihren Mann am Arm. „Wir sind hier auf einer Party und nicht in einem Polizeiverhör.“ Sie lächelte Perdita an. „Bis später“, meinte sie und zog Amos fort.

3. KAPITEL

Tief atmete Leonid aus. „Du hast uns durch deine schnelle Reaktion gerettet.“

„Aber den weiteren Verlauf der Geschichte musst du dir ausdenken. Ich habe keine Ahnung von Moskau.“

„War es dann nicht ziemlich riskant, unser Kennenlernen dort stattfinden zu lassen?“

„Was sollte ich tun? Hätte ich es nach England oder sonst wohin verlegt, hätte dein Vater sich bestimmt erkundigt, wann das gewesen sei. Möglicherweise hätte er auch gewusst, dass du zu der Zeit nicht auf Reisen gewesen bist. Moskau war sicherer, denn dort bist du doch immer. Oder etwa nicht?“, fragte Perdita entsetzt, als ihr ein schrecklicher Gedanke kam.

„Nicht immer, aber meistens. Du hast recht. Moskau zu sagen war überzeugender.“ Leonid neigte den Kopf zur Seite und sah sie bewundernd und zugleich leicht argwöhnisch an. „Ich habe dich falsch eingeschätzt. Du hast es wirklich drauf.“

Spöttisch schaute sie ihn an. „Soll das heißen, dass du mich nicht mehr für unschuldig hältst?“

Er erwiderte ihren Blick belustigt. „Es soll heißen, dass es für mich verschiedene Arten von Unschuld gibt.“

„Oh ja.“ Perdita lachte.

„Sollte ich mich vielleicht vor dir in Acht nehmen?“

„Unbedingt“, erwiderte sie. „Hinter meiner Unschuldsmiene verbirgt sich nämlich eine geborene Intrigantin. Du solltest mir keine Sekunde lang trauen. Die Menschen, die mich sehr gut kennen, nennen mich noch nicht einmal Erica.“

„Wie dann?“

„Perdita. Diesen Spitznamen habe ich schon seit einer Ewigkeit. Als mein Vater gehört hat, dass meine Mutter wieder schwanger wäre, hat er gesagt, dass er verloren sei. Außerdem witzelt meine Familie darüber, dass ich ein wenig hinterhältig sei.“

Leonid funkelte sie an. „Und wie viel ist ein wenig?“

„Das musst du schon selbst herausfinden.“

„Bin ich ein mögliches Opfer?“

Sie tat so, als würde sie ernsthaft darüber nachdenken. „Nicht wirklich. Ich glaube nicht, dass du leicht hinters Licht zu führen bist.“

„Warum meinst du das?“

„Weil du noch gerissener bist als ich, wie du mir selbst erklärt hast.“

„Okay, wir haben einander gewarnt. Legen wir also die Karten auf den Tisch.“

„Du willst kein Ass mehr im Ärmel behalten? Wie enttäuschend“, erwiderte Perdita.

„Was heißt, dass du eines in der Hinterhand haben wirst.“

„Natürlich. Ohne Trumpfkarten würde es auf der Welt keinen Spaß geben.“

„Spaß?“, wiederholte Leonid, als wäre der Begriff für ihn ein Fremdwort.

„Du weißt doch, was Spaß ist, oder?“, fragte sie herausfordernd.

„Ich habe irgendwo schon einmal davon gehört.“

„Aber du hast keine Ahnung, wie wahnsinnig wichtig er sein kann. Wie er das Leben verschönert und einem etwas vermittelt, woran man sich in harten Zeiten klammern kann.“

„Es gibt vieles, was ich noch nicht entdeckt habe“, antwortete er ernst. „Vielleicht tue ich es ja mit dir, Perdita. Oder sollte ich Erica sagen?“

„Manchmal kenne selbst ich mich bei den Namen nicht mehr aus. Aber dadurch wird das Leben interessant.“

„Ja, das Leben mit dir dürfte sehr interessant sein.“

Perdita wollte etwas Neckendes erwidern, als Amos ihre Aufmerksamkeit erregte. „Sieh nur, dein Vater beobachtet uns.“

„Er ist argwöhnisch. Wir müssen uns mehr anstrengen.“

„Komm, lach weiter. Es wirkt überzeugend.“ Viel zu überzeugend, mahnte eine innere Stimme.

„Schau mir in die Augen und verzeih mir das, was ich jetzt mache.“

Perdita seufzte theatralisch und sah ihn sehnsüchtig an, während er ihre Hand nahm und darauf einen Kuss hauchte. Und als würde er einem Impuls folgen, drehte er ihre Rechte dann um und presste die Lippen auf die Innenfläche. Perdita war wie elektrisiert und musste sich sehr zusammenreißen, um nicht aufzustöhnen.

„Sorry“, sagte er, als er ihre Finger losließ, es klang aber nicht, als würde es ihm leidtun.

„Du brauchst dich nicht zu entschuldigen“, erwiderte sie. Sie spürte Nervosität in sich aufsteigen. Ein Glück, dass sie nicht naiv war, sonst hätte sie womöglich die Kontrolle über sich verloren.

„Wie lange wirst du in Paris bleiben?“ Leonid richtete sich wieder ganz auf und bemühte sich, sich normal zu geben.

„Ich … ich weiß es nicht.“

„Du musst zu keinem bestimmten Zeitpunkt wieder zu Hause sein?“

„Ich entscheide, wann das sein soll, denn ich halte mir gern alle Optionen offen.“

„Du kannst also immer Urlaub machen, wann du willst? Hast du einen reichen, nachsichtigen Vater, der dir jede Freiheit lässt?“

„Sehe ich wie eine verwöhnte Göre aus?“, fragte Perdita gespielt empört. „Ich kann meine Rechnungen selbst bezahlen.“

„Auch hier?“ Er blickte sich um, und sie bemerkte, dass sein Lächeln plötzlich verschwand, als er zu Amos hinüberschaute, der gerade allein dastand. „Entschuldige mich für einen Moment. Ich muss mit meinem Vater sprechen und bin gleich wieder bei dir.“

„In Ordnung.“

Er eilte zu seinem Vater und zog ihn auf die Seite. „Wir müssen miteinander reden. Es ist wichtig, und ich bin froh, dass du es einrichten konntest, um herzukommen.“

„Offen gesagt halte ich diese Hochzeit für keine gute Idee. Aber Marcel will nicht auf mich hören.“

„Er liebt Cassie. Du musst doch am besten wissen, was es mit der Liebe auf sich hat.“

„Ja, schon gut. Wie geht es deiner Mutter? Es geht ihr gesundheitlich hoffentlich gut.“

„Schon seit Langem nicht, wie ich dir bereits früher erzählt habe.“

„Es tut mir leid. Aber sie ist keine junge Frau mehr. Wir sind alle nicht mehr so jung, wie wir einmal waren.“

„Ja. Deshalb kann ich dich hoffentlich überreden, uns einmal zu besuchen. Es würde ihr sehr viel bedeuten, dich wiederzusehen.“

„Es würde sie bestimmt traurig stimmen, und das möchte ich ihr nicht antun.“

„Warte, bis du ihren Brief gelesen hast, den ich dabeihabe.“

„Nicht jetzt. Morgen ist früh genug.“

„Ich bringe ihn dir nachher aufs Zimmer, damit du Zeit für eine Antwort hast und sie mir morgen geben kannst.“

„Ich kann sie doch per Post schicken.“

„Ich habe ihr versprochen, den Kurier zu spielen. Sie ist sehr einsam, Vater. Ich möchte mein Wort halten.“

„Okay. Mach, wie du willst. Aber erst morgen.“

Perdita hatte Leonid, während er mit seinem Vater sprach, beobachtet. Zunächst war seine Miene freundlich gewesen, wenn auch ein wenig angespannt. Dann aber wirkte er mit einem Mal ziemlich verbissen, und jetzt kam er mit einem Gesichtsausdruck auf sie zu, der nichts Gutes verhieß.

Als er ihren forschenden Blick bemerkte, lächelte er sie an. Das gehört nur zu unserer Scharade, ermahnte sie sich. Doch als er bei ihr war, meinte sie, dass sein Gesichtsausdruck etwas Warmherziges annahm, bevor er sich Marcel und Cassie zuwandte, die sich verabschieden wollten.

„Wir gehen heute früh schlafen, um morgen ausgeruht zu sein.“

„Eine gute Idee.“

Bald beschlossen auch die anderen, sich zurückzuziehen, und die Runde löste sich auf. Perdita und Leonid fuhren wie alle anderen auch mit dem Lift nach oben. Als sie auf ihrer Etage den Fahrstuhl verließen, schob Leonid den Rollstuhl langsam den langen Gang entlang. Er wollte den anderen Mitgliedern seiner Familie Gelegenheit geben, schnell in ihren Zimmern zu verschwinden. Doch das taten sie nicht.

Leonid beugte sich zu Perdita hinunter. „Wir sind gleich bei deiner Tür. Wie du siehst, lassen sich alle Zeit, um zu sehen, ob ich mit hineingehe. Wir dürfen sie nicht enttäuschen.“

„So? Für was für eine Frau hältst du mich denn? Etwa für eine, die einen Mann in ihr Zimmer einlädt, bloß weil er ihr Moskau gezeigt hat?“

„Ich habe bisher wohl die falschen Frauen kennengelernt.“

„Das glaube ich auch. Sicherlich hast du jede Minute genossen.“

„Willst du damit sagen, dass ich mit jeder Frau spiele, die mir über den Weg läuft?“

„Willst du etwa behaupten, dass es nicht der Fall ist?“

Amüsiert blickten sie sich an.

„Diese Frage beantworte ich lieber erst morgen. Denn momentan dürfte jede Antwort falsch sein.“

„Wahrscheinlich. Manche Männer haben einfach das Talent, alles falsch zu machen.“

„Dafür könnte ich dich büßen lassen.“

„Du wirst dich doch bestimmt nicht an einem armen Wesen im Rollstuhl vergreifen wollen, oder?“, meinte Perdita, als er vor ihrem Zimmer haltmachte.

„Absolut nicht. Ich habe schließlich versprochen, mich um dich zu kümmern. Nur deshalb gehe ich mit dir in dein Zimmer, um dich auszuziehen und ins Bett zu bringen.“

Sie funkelte ihn an. Leonid war wirklich ein toller Gegenspieler und mit allen Wassern gewaschen. Ihn herauszufordern bedeutete einen Riesenspaß. „Aber ich habe dich nicht darum gebeten.“

„Ein Gentleman wartet nicht ab, bis eine Dame ihn um Hilfe bittet. Er bietet sie ihr an.“

„Was ist, wenn sie diese nicht benötigt?“

„Habe ich dich danach gefragt?“ Er tat überrascht. „Und jetzt mache ich noch etwas Skandalöses. Ich werde dich vor den Augen meiner neugierigen Familie küssen, und nichts und niemand wird mich daran hindern.“

Er legte ihr eine Hand auf die Schulter, neigte sich noch weiter zu ihr und hauchte ihr einen Kuss auf die Lippen. Danach öffnete er die Zimmertür, und während er Perdita über die Schwelle schob, bemerkte sie aus den Augenwinkeln, dass Amos sie mit finsterer Miene beobachtete.

„Dein Vater scheint verärgert zu sein.“

„Genau darum geht’s.“

Ja, das ist der Zweck der ganzen Aktion, und wenn ich eine vernünftige Frau bin, vergesse ich das besser nicht, dachte sie, während Leonid ihr die Schuhe auszog.

Das Leben war komplizierter, als sie gemeint hatte. Bei ihrer Ankunft hatte sie nur an den beruflichen Erfolg gedacht und geglaubt, sie wäre gegen alles gewappnet. Sie hatte sich geirrt und sollte sich schnell darauf einstellen.

„Beug dich vor“, forderte er sie auf und machte dann die Knöpfe hinten an ihrem Kleid auf. „Wo ist dein Nachthemd?“

„In der obersten Kommodenschublade.“

Er holte es und warf es aufs Bett. „Stell dich hin und pass auf deinen Fuß auf.“

Perdita hielt sich an ihm fest, während sie aufstand. Sekunden später zog er ihr geschickt das Kleid über den Kopf.

„Den Rest schaffst du schätzungsweise allein.“ Er wandte sich ab und legte das Kleid auf einen Stuhl.

„Ja. Vielen Dank.“ Sie beobachtete, wie er eine Karte aus der Jacketttasche holte und etwas auf die Rückseite schrieb, bevor er ihr sie reichte.

„Das ist meine Zimmernummer. Ruf mich an, wenn du Hilfe brauchst. Das kannst du jederzeit tun.“

„Ich komme schon klar.“

„Wirklich?“

„Ja, ganz bestimmt.“

Schon wandte er sich zur Tür, öffnete sie vorsichtig und warf einen Blick nach draußen. Dann sah er sich noch einmal zu ihr um, nickte und verschwand.

Tief atmete Perdita mehrfach durch und versuchte, sich mit ihrer veränderten Welt zu arrangieren. Sie war sich sicher, dass Leonid kurz davor gewesen war, die Beherrschung zu verlieren und sie leidenschaftlich zu küssen und zu umarmen.

Was beunruhigend gewesen wäre. Viel beunruhigender war jedoch, wie sehr sie es sich gewünscht hatte.

Reglos stand Leonid auf dem Flur und wartete darauf, dass Perdita wie schon viele Frauen zuvor die Tür öffnete, um ihn zurückzurufen. Schließlich mahnte er sich zur Vernunft und ging zu seinem Zimmer.

Er war nach Paris gekommen und wie immer bei Familientreffen auf alles Mögliche gefasst gewesen. Doch dieses Mal warfen ihn die Ereignisse um. Er fühlte sich erschlagen und hatte keine Ahnung, was er tun sollte.

Die Kontrolle zu haben war für ihn das Wichtigste, und momentan hatte er sie verloren, was beunruhigend war. Andererseits bemerkte er eine Seite an sich, die er bislang kaum wahrgenommen hatte. Früher oder später würde er die Kontrolle zurückerlangen, doch zunächst wollte er abwarten und mehr über sich lernen.

Was er empfunden hatte, als er mit der verletzten Perdita die Treppe hinaufgegangen war, hatte ihn überrascht. Er hatte schon viele Frauen im Arm gehabt. Es waren immer elegante Frauen gewesen, die sich verführerisch an ihn geschmiegt hatten. Jede hatte gewusst, was er von ihr erwartete, denn es war im Voraus abgesprochen worden. So liebte er es.

Doch als er Perdita nach oben getragen hatte, hatte er nur ihren zarten Körper gespürt. Er war sich ihrer Hilflosigkeit bewusst gewesen und hatte zu seinem Erstaunen die Bereitschaft gehabt, zu geben und zu geben.

Allein die Tatsache, dass diese Begegnung nicht wie all die anderen geplant gewesen, sondern spontan zustande gekommen war, erfüllte ihn mit Wärme. Es war, als hätte das Schicksal ihm auf die Schulter geklopft und ihm zugeflüstert: „Ich bin noch da. Von nun an führe ich Regie.“

Leonid lächelte.

Als Perdita sich am nächsten Morgen gerade angezogen hatte, klingelte ihr Handy.

„Hallo, hier ist Gary. Ich hatte eigentlich erwartet, dass du dich bei mir meldest. Du hast doch bestimmt schon deine Fühler zu der Familie ausgestreckt.“

„Es tut mir leid.“ Gary war der Herausgeber eines edlen Boulevardmagazins und ihr bester Kunde. Momentan konnte sie auf seinen Anruf jedoch gut verzichten. „Es gibt noch nichts zu berichten.“

„Was ist los?“

„Nichts ist los. Alles ist bestens. Bis dann.“ Schnell trennte sie die Verbindung, denn sie war in höchstem Grad verunsichert. Dabei waren die Voraussetzungen für eine erfolgreiche Story ausgezeichnet. Sie hatte sich Zutritt zur Familie Falcon verschafft und war sogar zur Hochzeit eingeladen. Außerdem hatte sie Leonids Vertrauen gewonnen.

Aber genau das war das Problem. Obwohl sie ihn noch nicht lange kannte, war ihr klar, dass er kein Mann war, der jemandem sein Vertrauen leicht schenkte. Und keine Macht der Welt würde sie dazu bringen, ihn zu enttäuschen.

Wurde sie verrückt? Nach diesem Tag würde sie ihn nie wiedersehen. Warum sollte ich es also nicht tun? fragte sie sich, als sie ihn draußen auf dem Flur schimpfen hörte.

„Verschwinden Sie von hier und lassen Sie sich nicht noch einmal von mir in der Nähe meiner Familie erwischen.“

„Ich habe lediglich …“

Verflixt, das war Franks Stimme!

„Ich sagte, verschwinden Sie“, stieß Leonid wütend hervor.

Perdita hörte eilige Schritte auf dem Flur, und dann wurde gegen ihre Tür geklopft. War Frank wirklich fort? Er durfte sie hier nicht sehen, denn er konnte Leonid Dinge über sie erzählen, die sie noch vor ihm geheim halten wollte.

„Herein!“, rief sie, und im nächsten Moment trat Leonid über die Schwelle und schloss die Tür sogleich hinter sich. „Guten Morgen. Was war denn da draußen auf dem Flur los?“

„Ich hatte gerade eine unschöne Begegnung mit einem Mann, der dort herumgeschlichen ist. Er hatte eine Kamera dabei. Vermutlich war das ein Paparazzo, der hinter Travis her ist.“

„Dein Bruder muss doch daran gewöhnt sein.“

„Ja. Travis könnte aber nicht die einzige Person sein, die im Fokus steht. Die Presseleute verfolgen auch meinen Vater und versuchen, irgendetwas Skandalöses in seinem Leben zu entdecken. Diese Typen sind hinterlistige Monster.“ Leonid ging zum Fenster. „Aber diesen Mistkerl sind wir zumindest erst einmal los. Er verlässt gerade das Hotel.“ Er wandte sich um. „Zeit, um zum Frühstück zu gehen. Und danach in die Kapelle.“

„Möchtest du mich wirklich auf die Hochzeit mitnehmen? Ihr habt euch so bemüht, Fremde davon fernzuhalten.“

„Du bist keine Fremde. Ich hätte dich nicht eingeladen, wüsste ich nicht, dass ich dir vertrauen kann.“

Perdita wünschte, er hätte es nicht gesagt. Unter dem Ansturm ihrer Gefühle war sie plötzlich kaum fähig, etwas außer einem leisen Dankeschön herauszubringen. Eines stand zweifelsfrei fest: Sie würde keine Story schreiben.

Als sie sich bei ihm einhakte, bemerkte sie, dass etwas Weißes aus seiner Jacketttasche schaute. Leonid folgte ihrem Blick und schob es tiefer hinein. „Es ist ein Brief von meiner Mutter an meinen Vater. Ich habe ihr versprochen, ihn ihm zu geben. Ich möchte es allerdings möglichst nicht in Janines Beisein tun.“

„Überlass es mir“, erklärte Perdita, während sie, bei ihm eingehakt, zum Lift humpelte.

„Es geht nicht, dass du ihn ihm aushändigst.“

„Das meine ich auch nicht. Warte ab und halte dich bereit“, erwiderte sie, und ihr Herz schlug vor Freude höher, als er sie völlig verblüfft ansah.

Als Perdita und Leonid ins Speisezimmer kamen, saßen sein Vater und Janine bereits am Tisch. Nachdem sie einander begrüßt hatten, setzte Perdita sich neben Janine. Sie bewunderte ihr Kleid und unterhielt sich weiterhin angeregt mit ihr, während Leonid sich seinem Vater zuwandte. Erst als sie sah, dass Leonid seinem Vater den Brief gab und Amos diesen einsteckte, beendete sie das Gespräch, um zum Frühstücksbüfett zu gehen. Kurz darauf gesellte sich Leonid zu ihr.

„Mission erfüllt?“

„Ja. Vielen Dank. Du bist ein Genie.“

„Nein, ich bin nur eine geschwätzige Frau, die einfach nicht den Mund halten kann“, antwortete sie lächelnd.

Während der Trauung schaute Perdita ein paarmal verstohlen zu Travis und Charlene hin. Die beiden schienen tatsächlich bis über beide Ohren verliebt zu sein. Auch auf der späteren Feier bedauerte sie es, dass sie nichts darüber schreiben durfte. Doch Leonid zuliebe musste sie auf die Story verzichten.

Mit einem Glas Champagner in der Hand ging sie zu ihm. Er stand mit mehreren Familienmitgliedern zusammen und bedauerte gerade, dass sich ihre Wege schon bald wieder trennen und man nicht wissen würde, wann man sich wiedersah.

„Verflixt, warum habe ich den Apparat nicht ausgeschaltet?“, sagte Travis, als sein Handy klingelte, und holte es aus der Tasche. „Hallo Joe … Wie bitte?“ Seine Miene hellte sich auf. „Bist du dir sicher?“

„Was ist los?“, fragte Charlene, nachdem er das Telefonat beendet hatte.

„Es geht um die Nominierungen für den Fernsehpreis. Offenbar bin ich in der näheren Auswahl.“

Alle waren begeistert und notierten sich das Datum, an dem die Verleihung stattfinden würde.

„Dann treffen wir uns also im nächsten Monat in Los Angeles wieder?“ Travis blickte in die Runde.

Leonid nickte. „Das Ereignis werde ich um nichts auf der Welt verpassen.“

„Ich auch nicht“, erklärte Amos. „Du machst uns große Ehre.“

Perdita freute sich ehrlich für Travis. Doch bei dem Gedanken, dass sich Leonids Wege und ihre in Kürze wohl tatsächlich für immer trennen würden, fröstelte sie.

4. KAPITEL

Endlich gelang es Leonid, seinen Vater zur Seite zu nehmen. „Hast du Mutters Brief gelesen?“

„Ja.“

„Hast du dann eine Antwort für mich?“

„Lass mir noch etwas Zeit.“

„Aber du brichst morgen sehr früh auf. Sicher …“

„Hör auf, mich zu bedrängen.“ Grimmig blickte Amos ihn an, und dann hellte sich seine Miene unvermittelt auf. „Ah, Marcel, da bist du ja, komm lass dich umarmen.“ Er ging zu ihm und ließ Leonid einfach stehen.

„Ist alles in Ordnung?“ Perdita, die ihn und seinen Vater von Weitem beobachtet hatte, trat jetzt auf ihn zu.

„Nein. Ich muss unbedingt in den Garten, um frische Luft zu schnappen. Doch vorher bringe ich dich nach oben.“

„Ich würde dich aber gern begleiten“, entgegnete sie, denn sie hatte den Eindruck, dass er besser nicht allein sein sollte. Was mochte Amos bloß zu Leonid gesagt haben, dass dieser dermaßen verstimmt war?

„Ich bin aber schlecht gelaunt und werde es vermutlich an dir auslassen.“

„Du hast mich gewarnt.“ Sie nahm seinen Arm. „Geh bitte nicht zu schnell.“

Er führte sie in den großen Garten, der sich entlang der Seine erstreckte. Es wurde bereits dunkel, und die Lichter von den Booten auf dem Fluss verwandelten das Wasser in ein glitzerndes breites Band.

„Was ist los?“, fragte sie, nachdem sie sich auf eine Bank gesetzt hatten.

„Ich habe meinen Vater auf den Brief meiner Mutter angesprochen und ihn um eine Antwort gebeten. Der Teufel soll ihn holen.“

„Du verstehst dich offenbar nicht besonders mit ihm.“

„Bei mir ist es so wie mit seinen anderen Söhnen. Wir kommen gut miteinander aus, solange ich tue, was er möchte. Wenn nicht, zieht er es vor, mich zu ignorieren. Er ist geschäftlich sehr erfolgreich und beurteilt uns danach, inwieweit wir es mit ihm diesbezüglich aufnehmen können.“

„Aber du bist doch auch ein erfolgreicher Geschäftsmann, oder? Sieht er das nicht?“

„Meistens schon. Wir haben in der Vergangenheit mehrere Geschäfte zusammen gemacht. Ich versuche, es mir nicht mit ihm zu verderben. Nicht meinetwegen, sondern meiner Mutter zuliebe. Sie hat sich vor langer Zeit in ihn verliebt und ist, obwohl sie sich seit Jahren nicht mehr gesehen haben, nie über die Trennung von ihm hinweggekommen.“

Leonid schwieg, und Perdita bemerkte, dass er in sich zusammengesunken war. Mitfühlend legte sie ihm den Arm um die Schultern und war fast ein wenig überrascht, dass er es zuließ.

„Sie hat sehr jung geheiratet. Ihre Eltern haben ihr den Mann ausgesucht und sie mehr oder minder zu der Ehe mit Dmitri Tsarev gezwungen. Sie war nicht glücklich mit ihm. Leute, die beide von früher her kannten, haben mir erzählt, dass er sich einen Sohn gewünscht hat, sie aber anscheinend nicht schwanger werden konnte. Dann ist sie Amos begegnet, der sich in Russland aufgehalten hat, um Geschäftsmöglichkeiten zu erkunden. Sie haben sich im Haus ihrer Eltern, die sie zu der Zeit besucht hat, in Rostow kennengelernt, und sie hat sich in ihn verliebt. Wie mit so vielen anderen Frauen hat er sich mit ihr wohl einfach nur vergnügt. Schließlich ist er nach Hause geflogen und hat sie vergessen. Damals war er mit Marcels Mutter verheiratet. Erst nach seiner Abreise hat meine Mutter gemerkt, dass sie schwanger war. Sie hat versucht, ihn zu kontaktieren, es aber erst sehr viel später geschafft. Inzwischen wurde ich geboren, und Dmitri dachte begeistert, er hätte einen Sohn.“

Gebannt lauschte Perdita seinen Ausführungen. Als Leonid jetzt kurz stockte, nickte sie ihm aufmunternd zu.

„In jenen ersten Jahren war er mir in vieler Hinsicht ein guter Vater“, fuhr Leonid fort. „Er hat mich geliebt und nett behandelt, weil er glaubte, ich wäre sein Kind. Dann ist Amos nach Russland zurückgekehrt, und alles ist ans Licht gekommen. Dmitri hat uns beide rausgeworfen, und meine Mutter hat gemeint, Amos würde uns mit nach England nehmen. Das hat er jedoch nicht getan. Er hat ihr Geld gegeben und uns zurückgelassen. Das hat sie nie verwunden. Nach all den Jahren macht sie sich vor, dass Amos sie aufrichtig liebt und bei ihr wäre, wenn er es könnte. Ich wohne in Moskau und hätte sie gern bei mir. Aber sie lebt noch in dem Haus am Don, das sie von ihren Eltern geerbt hat. Dort waren Amos und sie zusammen, und deshalb will sie nicht wegziehen.“

„Hat ihr Mann kein bisschen Erbarmen mit ihr gezeigt?“

„Nein. Er ist vor einigen Jahren gestorben, ohne seine unnachgiebige Haltung uns gegenüber zu ändern. Doch das ist meines Erachtens für sie nicht sonderlich schlimm gewesen. Dass Amos sie verlassen hat, hat ihr das Herz gebrochen. Sie hat es nie wirklich glauben wollen und geht davon aus, dass er eines Tages zu ihr zurückkommen wird. Ich habe lange versucht, ihr die Wahrheit vor Augen zu führen. Inzwischen mache ich es nicht mehr, denn sie könnte es wohl nicht ertragen. Deshalb habe ich ihm den Brief zugesteckt und werde meinem Vater zusetzen, bis er ihn beantwortet. Sie möchte, dass ich ihn bewege, sie zu besuchen. Doch er wird sich weigern, und sie wird wieder in Trübsinn verfallen, und ich kann gar nichts dagegen tun. Sie ist auf mich angewiesen, und ich lasse sie immer wieder im Stich“, stieß er wütend und verzweifelt hervor.

„Hör auf, Leonid“, sagte Perdita energisch. „Du bist für das Unglück deiner Mutter nicht verantwortlich.“

„Aber ich bin alles, was sie noch hat. Sie hat ihn über alles geliebt und ihm gegeben, was sie hatte, und er hat sie mit nichts zurückgelassen.“

„Das stimmt nicht. Von ihm hat sie einen Sohn, den sie lieben kann.“

„Aber wozu bin ich nütze? Ich kann sie weder trösten noch ungeschehen machen, dass sie ihn verloren hat.“

„Sie hat ihn nicht vollständig verloren. Solange sie dich hat, ist er auch irgendwie da. Ein Teil von ihm verbleibt ihr, liebt sie, denkt an sie und kümmert sich um sie.“

Forschend blickte Leonid sie an, während er ihre Worte auf sich wirken ließ. So hatte er es noch nie betrachtet.

„Deiner Mutter wurde vielleicht nicht viel Glück geschenkt. Doch das bisschen, was sie hat, kommt allein durch dich.“

„Ich denke … du hast recht. So habe ich es allerdings noch nie gesehen.“

„Dann solltest du damit anfangen. Deine Mutter hat Glück, weil sie einen Sohn hat, der sie liebt und sich um sie sorgt.“

„Aber ich kann ihr nicht wirklich helfen. Ich will, dass sie glücklich ist. Ich möchte, dass er sie anständig behandelt, aber …“ Ratlos schaute er sie an. „Was kann ich bloß tun?“

„Mit einem Brief könnte dein Vater sie zum Beispiel glücklich machen.“

„Falls ich ihn denn dazu bringen kann, einen zu schreiben. Warum macht er sich noch nicht einmal diese kleine Mühe?“

„Weil er vielleicht nicht weiß, was er schreiben soll. Er wirkt auf mich nicht wie ein Mann, der zu großen Gefühlen fähig ist.“

„Manchmal frage ich mich, ob er überhaupt welche hat.“

„Deiner Mutter zuliebe musst du ihm vielleicht beim Verfassen des Briefes helfen“, erwiderte Perdita.

„Wieso glaubst du, dass er das zulässt?“

„Weil ich denke, dass er es sogar schätzen würde, wenn er es sich dann nicht selbst auszudenken braucht.“

„Das wäre immerhin möglich.“ Verblüfft blickte Leonid sie an.

„Sag ihm, er solle schreiben, dass er – vor allem wenn er dich sieht – an sie denkt und ihr beide euch über sie unterhalten könnt und ihn das glücklich macht.“

„Warte.“ Er holte ein Notizbuch und einen Stift aus der Jacketttasche.

„Er sollte ihr außerdem mitteilen, wie stolz er auf dich ist und wie sehr es ihn freut, dass sie seinen Sohn so gut großgezogen hat. Siehst du deiner Mutter ähnlich?“

„Ich habe ihre Augen.“

„Prima. Er könnte ihr zum Beispiel schreiben, dass er deine Augen mag, weil sie ihn an sie erinnern. Du hast eben erzählt, dass sie noch in dem Ort lebt, in dem sie sich kennengelernt haben.“

„Ja, in Rostow am Don. Sie sind abends oft am Fluss spazieren gegangen.“

„Er könnte ihr auch berichten, dass er sich vorstellt, wie sie am Wasser entlangschlendert und an ihn denkt. Hat er dir je von einem besonderen Erlebnis berichtet?“

Angestrengt überlegte er und schüttelte schließlich den Kopf. „Nein … Aber meine Mutter. Damals haben sie einen Ausflug nach Taganrog gemacht. Sie hat ihm die Stadt gezeigt und ihm von den berühmten Leuten erzählt, die dort gelebt haben oder zu Besuch gewesen sind. Später hat er ihr gebeichtet, dass er kaum etwas von ihren Ausführungen mitbekommen habe, weil ihn ihre anmutige Schönheit und sanfte Stimme so fasziniert hätten.“

„Hat er das je in einem Brief erwähnt?“

„Nein. Ich schätze, er hat es total vergessen. Doch jetzt wird er sich daran erinnern, denn ich werde ihn dazu bringen, es ihr zu schreiben, und meine Mutter wird unendlich glücklich sein. Danke, vielen Dank.“

Bevor Perdita begriff, wie ihr geschah, umfasste er ihre Schultern und küsste Perdita auf den Mund.

„Entschuldige“, sagte er danach sogleich. „Ich hätte mich dir nicht aufdrängen dürfen …“

„Keine Angst, ich verzeihe dir. Und jetzt geh schnell wieder rein und schnapp dir deinen Vater. Ich schaffe es allein hinauf ins Zimmer.“

„Bist du sicher?“

„Ja. Bis nachher.“

Schon eilte er davon, und Perdita war froh darüber. So konnte er auf keinen Fall merken, dass ihr Herz plötzlich wie verrückt klopfte.

Eine gute Stunde später klopfte es an ihre Tür. Als Perdita sie öffnete, sah sie einen entspannten Leonid vor sich. Sie nahm seine Hand und zog ihn ins Zimmer. Bestimmt würde er sie jetzt umarmen. Doch stattdessen stand er einfach nur da und schaute sie an.

„Ich weiß nicht, wie ich dir danken soll. Du hattest recht. Mein Vater brauchte jemanden, der ihm sagte, was er schreiben sollte. Mit deiner Hilfe ist ein Brief entstanden, der meine Mutter bestimmt glücklich machen wird.“

„Mit deiner Hilfe, nicht meiner.“

„Nein, denn du hast mich überhaupt erst auf den Gedanken gebracht und mir dann die Ideen geliefert. Meinem Vater habe ich es allerdings verschwiegen.“

„Gut so. Du darfst es ihm nie erzählen.“

„Ist es nicht etwas unehrlich?“

„Ja, aber zu viel Ehrlichkeit kann ein großer Fehler sein. Manchmal ist es das Beste, Leute das annehmen zu lassen, was sie glauben wollen. Egal, ob es stimmt oder nicht. Genau das tust du doch bei deiner Mutter.“

Leonid nickte und holte einen Umschlag aus der Jacketttasche. „Möchtest du den Brief lesen?“

„Nein. Dazu habe ich nicht das Recht.“

„Du hast mich aber zu ihm inspiriert.“

„Es ist der Brief deines Vaters an deine Mutter“, erklärte Perdita eindringlich. „Niemand anders hatte etwas damit zu tun. Sag dir das immer wieder. Was er auch geschrieben hat … Deine Mutter möchte glauben, dass es von ihm ist. Du darfst ihr diese Illusion nie rauben.“

„Dann kann ich ihr auch nicht erzählen, wie hilfreich und nett du gewesen bist.“

„Sie will nicht meine Nettigkeit, sondern die deines Vaters. Außerdem kennt sie mich nicht. Es wäre für sie nur ein Name. Morgen trennen sich unsere Wege, und sie braucht nie etwas von mir zu erfahren.“

„Du tust so, als würden wir uns nicht wiedersehen.“

„Was ziemlich wahrscheinlich ist. Ich lebe in London, und du lebst in Moskau.“

„Wir müssen uns wiedersehen. Nächsten Monat ist die Preisverleihung in Los Angeles. Ich werde dort sein. Und du?“

„Ja, ich werde kommen.“

„Dann haben wir Zeit, um zu reden … und um zu schauen, was passiert.“

„Ja“, sagte Perdita leise. Daraufhin zog Leonid sie so behutsam an sich, als fürchtete er, sie wäre zerbrechlich.

Sanft drückte er die Lippen auf ihre, und sie wartete darauf, dass er sie leidenschaftlich umarmte. Sie wünschte es sich jedenfalls von ganzem Herzen. Nichts anderes war mehr wichtig. Doch stattdessen ging er wieder auf Abstand.

„Darling, du weißt, was ich möchte?“

„Ja.“ Perdita nickte.

„Du hast mir so viel geschenkt. Ich kann nicht um mehr bitten. Zumindest nicht heute.“

„Du musst um nichts bitten. Keiner von uns muss den anderen um etwas bitten. Was ist los, Leonid?“

„Ich will dich zu sehr.“

„Kann es ein ‚zu sehr‘ überhaupt geben?“

Er ließ sie los und trat einen Schritt zurück. „Ja, wenn wir … Wenn ich … Nein, das meine ich nicht. Du kannst es nicht verstehen, denn ich verstehe es selbst nicht … Dass mit dir … Mit mir … Das Ganze. Ich vermag es einfach nicht zu tun.“ Dann wandte er sich zur Tür und machte sie einen Moment später hinter sich zu.

Perdita humpelte zu einem Sessel und setzte sich erst einmal hin. Leonid wollte sie wirklich genauso sehr wie sie ihn. Da war sie sich sicher. Er wollte sie so sehr, dass er aufgrund seiner überzogenen Selbstkontrolle nicht damit zurechtkam. Deshalb war er aus dem Zimmer geflohen.

Doch ich werde ihn nicht einfach loslassen, nahm sie sich vor. Morgen hatten sie noch ein wenig Zeit füreinander, bevor sie sich trennen mussten. Und nächsten Monat würden sie sich in Los Angeles wiedersehen.

Am nächsten Tag muss ich ihm auch erzählen, warum ich ursprünglich nach Paris gekommen bin, dachte sie. Möglicherweise würde er an ihrer Redlichkeit zweifeln. Sie würde ihm jedoch erklären, dass sie ihr Ziel, eine gute Story zu bekommen, nicht weiter verfolgt hatte, nachdem sie ihn kennengelernt hatte. Die Begegnung mit ihm hatte alles verändert. Das Herz sagte ihr, dass Leonid sie verstehen und am Ende alles gut werden würde. Das unerklärliche Gefühl, das zwischen ihnen gewachsen war, würde stark genug sein, um die Probleme zu besiegen.

Und Perdita fragte sich, was die Zukunft wohl für sie bereithalten mochte.

Kaum hatte sich Perdita am nächsten Morgen angezogen, klopfte Leonid an die Tür.

„Du bist schon wieder viel besser zu Fuß“, stellte er erfreut fest, nachdem sie ihn hereingebeten hatte.

„Ja, zum Glück.“

„Wegen gestern Abend … Es tut mir leid. Du musst mich für verrückt halten. Ich glaube es ja selbst.“

„Nein. Die Dinge haben uns überrollt, bevor wir herausfinden konnten, was wir fühlen.“

Leonid nickte. „Ja, das stimmt. Sag, musst du wirklich heute schon nach England zurück?“

„Nein, nicht unbedingt.“

„Ich könnte meinen Flug auch verschieben, sodass wir den Tag für uns hätten. Die anderen reisen nachher ab.“

Der Vorschlag begeisterte sie total. „Ja, das wäre schön“, antwortete sie leise.

„Okay.“

Leonid zog sie an sich und küsste sie, und Perdita genoss seine Nähe. Zweifellos wollte er sie genauso sehr wie sie ihn. Sie würden den Tag miteinander verbringen und sicher auch die Nacht … Das plötzliche Klingeln seines Handys ließ sie beide zusammenzucken.

„Verflixt.“ Aufstöhnend holte er es aus der Hosentasche. „Ich werde den Anrufer bestimmt schnell los“, erklärte er, doch einen Moment später beobachtete sie, wie sich sein Gesichtsausdruck veränderte. „Nina!“

Perdita verstand nicht, was er sagte, denn er sprach Russisch. Doch seine Stimme klang sehr besorgt, sodass sie instinktiv wusste, dass der gemeinsame Tag zu Ende war, noch bevor er richtig angefangen hatte.

„Nina kümmert sich um meine Mutter, der es nicht gut zu gehen scheint“, informierte Leonid sie zwischendurch.

Als er dann weitertelefonierte, verstand Perdita zwar immer noch nichts, doch er sprach jetzt offenbar mit einer anderen Person, die er zu lieben schien. Es konnte nur seine Mutter sein.

„Es tut mir leid“, sagte er, nachdem er das Gespräch beendet hatte. „Ich muss dringend nach Hause. Meine Mutter hat mich missverstanden und geglaubt, ich würde heute noch zu ihr kommen. Sie ist völlig verzweifelt, und Nina kann sie nicht beruhigen.“

„Dann musst du schnell zu ihr.“

„Vielen Dank für dein Verständnis. Aber wir sehen uns in Los Angeles?“

„Natürlich.“

„Und dort machen wir es uns wunderschön.“

„Ja, das tun wir.“

5. KAPITEL

Leonid wurde von seiner Mutter im Wohnzimmer erwartet, die ihn erst hoffnungsfroh ansah und dann so traurig, wie er es befürchtet hatte.

„Es tut mir leid, Mama“, meinte Leonid, nachdem er sie zur Begrüßung umarmt und sich zu ihr gesetzt hatte. „Vater musste zu einem dringenden Geschäftstermin. Sonst hätte er dich sehr gern wiedergesehen.“

„Ich hatte es schon befürchtet. Er ist ein so beschäftigter Mann, selbst wenn er nicht mehr der Jüngste ist und eigentlich mehr Zeit als früher haben müsste.“

Was er auch hat, dachte Leonid, aber es war barmherziger, es ihr nicht zu sagen. „Männer wie er ziehen sich nie wirklich aus dem Geschäftsleben zurück.“ Er holte den Brief aus der Tasche. „Den hat er mir für dich mitgegeben“, erklärte er und betrachtete seine Mutter aufmerksam, während sie ihn las.

„Mama, was ist?“, fragte er, als sie die Hand an die Lippen legte und zu weinen begann.

„Er erinnert sich noch an unseren Ausflug nach Taganrog. Hör nur, was er schreibt: ‚Du hast mir die Stadt gezeigt und mir von den berühmten Leuten erzählt, die dort gelebt oder sie besucht haben. Aber ich habe nicht viel davon mitbekommen, denn ich war so von deiner anmutigen Schönheit und sanften Stimme fasziniert. Später habe ich es dir gebeichtet, doch du hast es mir wohl nicht geglaubt. Du hättest es tun sollen. Wie hätte ich mich für andere Menschen interessieren können, während ich mit einer so bezaubernden Frau wie dir zusammen war? Ich habe dein Bild ständig vor Augen, und so wird es immer sein‘“

Sie ließ die Hand mit dem Brief sinken. „Ich dachte, dass er jenen herrlichen Tag längst vergessen hätte und nur ich mich noch an ihn erinnern würde. Ich habe nie mit jemandem darüber geredet.“

„Aber Mama …“ Im nächsten Moment schwieg er, denn er meinte, Perdita sagen zu hören: „Manchmal ist es das Beste, Leute das annehmen zu lassen, was sie glauben wollen. Egal, ob es stimmt oder nicht.“

Zärtlich blickte seine Mutter ihn an. „Du hast die ganze Zeit über nicht wirklich geglaubt, dass er mich liebt, oder? Doch ich habe es immer gewusst. Wenn man dem Richtigen und Einzigen begegnet, hat man keine Zweifel mehr.“

„Es muss ein wunderbares Gefühl sein.“

„Oh ja. Und es macht mich traurig, dass du diese Freude noch nicht erfahren hast. Einmal dachte ich, du hättest das passende Mädchen gefunden. Ihr habt auf mich wie das perfekte Paar gewirkt. Doch dann …“

„Es hat einfach nicht sollen sein. Lass uns nicht über sie sprechen. Sie ist Vergangenheit.“

„Eines Tages wirst du eine Frau kennenlernen, die zunächst wie jede andere zu sein scheint. Doch dann wirst du merken, dass dein Herz sich ihr in geheimnisvoller, noch nicht da gewesener Weise öffnet. Du wirst ihr Sachen erzählen, die du noch nie zuvor jemandem berichtet hast. Und du wirst wissen, dass ihr Herz sich dir öffnet.“

„Werde ich es wissen?“

„Vielleicht wirst du es zunächst nur hoffen. Die Dinge sind nicht immer von Anfang an klar. Manchmal brauchen sie etwas Zeit, und man muss sich gedulden. Doch eine innere Stimme wird dir irgendwann sagen, dass diese Frau anders ist.“

„Anders“, wiederholte Leonid leise. „Ja, das kann man nicht leugnen.“

„Genau“, bestätigte seine Mutter. „Und du darfst nie aufgeben. Ich habe es nie getan. Zu Recht, wie sich jetzt zeigt. Der Tag, an dem Amos und ich endlich zusammen sein werden, rückt immer näher.“

„Mama …“

„Ja, ich weiß, du möchtest nicht, dass ich mir zu viel erhoffe. Du bist ein Realist, sonst könntest du nicht so ein erfolgreicher Geschäftsmann sein und dich wie dein Vater in der Welt behaupten. Zu sehen, dass du diese Seite von ihm geerbt hast, macht mich froh. Doch du hast auch noch etwas anderes von ihm, was mich mindestens genauso freut: seinen Großmut.“

„Ich bin nicht sicher … Ich meine … Einen Moment, Mama, ich glaube, da draußen ist etwas.“

Schnell stand Leonid auf, ging zum Fenster und schaute in den Garten. Er hatte dort nichts wahrgenommen. Doch er musste sich kurz von ihr abwenden, damit sie ihm nicht anmerkte, wie nahe ihm ihre Worte gingen. Sie war überzeugt, dass Amos eines Tages wieder bei ihr sein würde. Nur zu gern würde er ihr den Wunschtraum erfüllen. Doch er konnte es nicht, und dafür hasste er sich.

„Wunder geschehen, mein Junge.“ Seine Mutter stellte sich neben ihn.

„Ja, manchmal ist es so.“ Er lächelte sie an.

„Auch deins wird kommen. Vielleicht erkennst du es nicht sofort. Aber sie wird sich in deinem Herzen einnisten und sich weigern, wieder daraus zu verschwinden.“

„Selbst wenn ich sie dazu auffordere?“

„Selbst dann nicht. Und je öfter du es ihr sagst, desto wichtiger ist sie dir und desto energischer setzt sie sich fest.“

Autor

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