Schnellkurs in Sachen Liebe

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Gestrandet mit einem Mann! Poppy hat sich ihren Urlaub auf der idyllischen Insel entspannter vorgestellt. Doch nun sitzt sie hier mit diesem attraktiven Kerl fest, umgeben nur von Wasser, soweit das Auge reicht. Alles an Sebastian findet sie beunruhigend: seinen athletischen Body, sein wissendes Lächeln, seinen Sex-Appeal
… Sie sollte weglaufen! Aber sie würde nicht weit kommen. Und weil sie ihre Unerfahrenheit nicht vor ihm verbergen kann, macht der verwegene Abenteurer ihr auch noch den frechen, sehr gefährlichen Vorschlag, ihr einen Schnellkurs im Flirten zu geben …


  • Erscheinungstag 22.01.2013
  • Bandnummer 0002
  • ISBN / Artikelnummer 9783954464791
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Schüchternheit ließ sich nicht in absoluten Zahlen messen, sondern allenfalls in relativen. Und genau darin lag das Problem. Als zweitjüngstes der vier West-Kinder hatte Poppy nie mit ihren Geschwistern mithalten können, was Selbstbewusstsein und Mut anbelangte. Das hieß nicht, dass sie ein verschrecktes Mäuschen war. Oder mit dem Leben nicht klarkam – sie las nur lieber ein Buch als sich an einem Bungee-Seil in die Tiefe zu stürzen. Daran war nichts Falsches.

Manch einer würde es sogar als vernünftig bezeichnen.

Natürlich gab es auch diejenigen, die sie für zu schüchtern hielten und glaubten, dass sie weniger arbeiten und mehr unter Leute gehen und neue Freundschaften schließen solle. Als ob ihr – zugegebenermaßen – kleiner Freundeskreis nicht genug wäre. Und als ob neue Freunde einfach so an die Tür klopfen würden.

Tomas war ein Freund. Und als Kryptologe, Mathematiker und Co-Projektmanager strotzte Tomas nur so vor Selbstvertrauen. Er besaß davon genug für sie beide, und er verstand die Sprache, die Poppy am besten beherrschte. Nämlich Codes.

Tomas hatte ihr auch angeboten, seine Privatinsel zu nutzen, um dort ein paar Codes zu knacken. Er hatte nur ganz wenige Fragen gestellt und als Gegenleistung lediglich einen kleinen Gefallen verlangt.

Was wirklich sehr nett von ihm ist, sagte sie sich immer wieder, als sie an Bord des Fischerbootes Marlin III trat und den Skipper höflich um eine Schwimmweste bat.

Sehr, sehr nett von ihm.

Und so war sie jetzt hier, zurück in Australien, ihrem Heimatland. Lediglich eine Bootsfahrt über den offenen Pazifik trennte Poppy noch von ihrem Ziel.

Sie zog ihre Windjacke aus, streifte die Schwimmweste über und schlüpfte dann wieder in die Jacke. Dass sich der Skipper offensichtlich darüber amüsierte, war ihr egal. Der Ozean war nicht ihr Freund. Sie standen kurz davor, ihn zu überqueren. Ein paar Vorsichtsmaßnahmen konnten nicht schaden.

Sonnenschein. Blauer Himmel. Ruhige See. Ein großes, glänzendes Boot, das vom besten Skipper gesteuert wurde, den der Hafen von Cairns zu bieten hatte. Noch dazu war das Boot mit neuestem GPS- und Radarsystem ausgestattet.

Insofern hatte die Reise gut begonnen, doch schnell zogen Wolken am Himmel auf und Wind blies ihnen entgegen. Er machte die Fahrt länger, rauer und insgesamt unangenehmer.

Nicht, dass Skipper Marc sich daran zu stören schien. Der schlaksige Fischer mit den blauen Augen verkündete, es sei ein hervorragender Tag für eine Bootsfahrt. Er müsse es wissen, denn schließlich würde er seit zwanzig Jahren den Fischereizweig des familieneigenen Charter-Boot-Unternehmens leiten. Die einzige Sorge, die Captain Marc hatte, war ihr Ziel.

„Seb weiß, dass Sie kommen, oder?“, fragte er zum tausendsten Mal.

„Ja“, antwortete Poppy ebenfalls zum tausendsten Mal. „Er weiß es.“

„Weil ich ihn über Funk nämlich nicht erreichen kann.“

„Ich weiß.“ Marc hatte während der vergangenen Stunde alle zehn Minuten versucht, Sebastian Reyne zu kontaktieren. Das ist eine wunderbare Art, mich zu beruhigen, Marc.

Der Skipper hatte eine halbe Stunde Fahrt gebraucht, ehe er kapierte, dass Poppy unter wachsender Angst litt.

„Haben Sie Probleme mit Seb?“, fragte er und warf ihr einen scharfen Blick zu, während sie sich so dicht hinter ihn drängte wie möglich, ohne seine Intimsphäre zu verletzen.

„Noch nicht“, entgegnete sie. „Zumindest nicht, dass ich wüsste. Schauen Sie, es gibt doch Menschen, die Angst vor großen Höhen haben. Ich habe Angst vor offenem Wasser. Ich blicke auf den Ozean und sehe unendliche Tiefen. Normalerweise betrete ich kein Schiff – nicht, wenn ich es vermeiden kann. Unglücklicherweise ist es die einzige Möglichkeit, auf die Insel zu gelangen.“

„Hätte Seb nicht zu Ihnen kommen können?“, erwiderte der Skipper, worauf Poppy den Mann trotz ihrer Angst anlächelte und noch ein Stückchen näher an ihn heranrückte.

„Ich fahre nicht dorthin, um Seb zu besuchen. Ich kenne den Mann nicht mal.“

Danach war Poppy in Schweigen verfallen, und Marc hatte sie angewiesen, sich auf den Platz neben ihm zu setzen und ihnen beiden einen Becher Kaffee aus der Thermoskanne einzuschenken. Er hatte Zuckerwürfel dabei und fragte nicht mal, wie Poppy den Kaffee trank. Stattdessen ließ er einfach drei Würfel in ihren Becher fallen und befahl ihr, ihn auszutrinken.

Er versuchte, ein Gespräch anzufangen, doch sie war äußerst wortkarg. Dann versuchte er, Musik aufzulegen, aber er liebte Heavy-Metal-Bands.

„Was machen Sie beruflich?“, erkundigte er sich schließlich. Der achtunddreißigste Versuch einer lockeren Unterhaltung.

„Ich schreibe mathematische Codes“, antwortete Poppy. „Die braucht man beispielsweise, um Online-Transaktionen wirklich sicher zu machen.“

„Ah, Sie meinen Kryptologie“, erwiderte Marc und grinste, als er Poppys Blinzeln bemerkte. „Dasselbe, was Tom macht.“

„Ja.“ Sie nickte. „Tomas und ich arbeiten zusammen – wir haben eine gemeinsame Firma. Deshalb stellt er mir auch die Insel zur Verfügung.“

„Sind Sie sicher, dass Seb von Ihrem Kommen weiß?“, hakte Marc erneut nach.

„Ja, ich bin sicher.“ Aber da Marc so unsicher schien, konnte es nicht schaden, ein wenig mehr über Tomas’ einsiedlerischen Bruder zu erfahren. „Gibt es irgendetwas, das ich über Sebastian Reyne wissen sollte?“

„Schwer zu sagen“, murmelte Marc. „Was wissen Sie denn bislang über ihn?“

„Dass er reich ist“, entgegnete sie. „Ich weiß, dass er und Tomas die Insel zusammen gekauft haben und dass Sebastian das Haus darauf entworfen und gebaut hat. Aber was macht er so?“

„Was ihm gerade in den Sinn kommt“, versetzte Marc. „Im Allgemeinen.“

„Das können Sie nicht zufällig ein wenig genauer umreißen?“

„Seb ist Schiffsingenieur. Er leitet eine Firma, die küstennahe Ölplattformen wartet. Für Notfall- und Aufräumarbeiten ist er auch zuständig. Ich habe keine Ahnung, ob er auch von der Insel aus Projekte steuert.“ Marc richtete seinen Blick auf sie. „Ihnen ist schon klar, dass niemand außer Seb auf der Insel lebt?“

„Ja. Aber offensichtlich gibt es nicht nur das Haupthaus, sondern auch noch ein Gästehaus. Ich soll das Gästehaus bekommen. Tom hat Seb beauftragt, es mit allem nötigen Proviant auszustatten. Ich sehe also kein Problem.“

„In diesem Fall können Sie versuchen, Seb in die Leitung zu bekommen.“

Poppy hatte nichts dagegen, das Funkgerät zu bedienen – es half ihr, sich von dem endlosen blauen Wasser um sie herum abzulenken. Doch als sie auf der Insel ankamen und die Marlin III an einem netten kleinen Landungssteg festmachten, hatten sie immer noch keine Menschenseele erreicht, und Poppys Nerven lagen blank.

„Sebs Quad-Bike steht da“, sagte Marc, während er ihre Reisetasche auf den Steg warf und geschickt hinterherkletterte. Dann drehte er sich um und streckte ihr die Hand entgegen, um ihr von Bord zu helfen – nur dass Poppy noch damit beschäftigt war, die Schwimmweste auszuziehen und dann wieder in ihre Jacke zu schlüpfen. Sie zögerte, Marcs ausgestreckte Hand zu ergreifen – es war nur ein ganz flüchtiges Zögern, aber es war da, und der Mann bemerkte es. Es war nichts Persönliches – Vorsicht lag nun mal in ihrer Natur –, aber sie schenkte ihm ein kleines, entschuldigendes Lächeln, besann sich ihrer Manieren und dankte höflich, als er ihr auf die Landungsbrücke half.

Fester Boden, war Poppys erster Gedanke. Nur ein paar Schritte entfernt.

Ihr zweiter Gedanke kreiste um Marcs vorige Aussage. „Sie sagten, Sebs Quad-Bike steht hier?“

„Da drüben hinter dem Bootshaus.“

„Das ist ein Bootshaus?“, entgegnete sie und blickte auf das langgezogene Gebäude, das am Strand begann und gut fünfzig Meter ins Wasser hineinragte. „Sieht ein bisschen überdimensioniert aus.“

„Tja, wenn ich Sie wäre, würde ich diese Meinung für mich behalten“, versetzte Captain Marc trocken. „Es fungiert auch als Lagerhalle und manchmal als Notunterkunft. Oben im Loft ist Platz für ein paar Feldbetten, und eine ordentliche Motoryacht befindet sich auch darin. Ich habe ein paarmal dort übernachtet, wenn das Wetter zu schlecht war, um gleich zurückzufahren.“

Und es sieht ganz so aus, als würde es bald wieder so weit sein, dachte Poppy mit einem besorgten Blick gen Himmel. „Sie sollen mich in zwei Wochen wieder hier abholen, richtig? Oder früher, falls ich Sie anrufe und wir einen Termin vereinbaren können. Sie sind gebucht. Ich habe bezahlt.“

„Sie haben gebucht und bezahlt. Wann ich Sie abhole, hängt vom Wetter ab. Wobei in der Vorhersage kein dramatischer Wetterumschwung angekündigt wurde.“

„Diese Wolken sehen für Sie nicht dramatisch aus?“

„Ach was, die sind doch gar nichts“, schnaubte Marc, was Poppy ein Grinsen entlockte. Captain Marc war okay. Captain Marc hatte sie in einem Stück hierhergebracht.

Sie gingen zum Seiteneingang des Bootshauses – einer soliden Metalltür mit riesiger Klinke und ebenso imposantem Schloss. Marc hämmerte laut mit der Faust dagegen.

Nichts. Keine Reaktion. Also griff er nach der Klinke. Die Tür war unverschlossen.

„Er ist sehr vertrauensselig“, bemerkte Poppy.

„Nein, das ist er ganz sicher nicht“, widersprach Marc. „Hey, Seb!“

Keine Antwort.

Sie blickten sich in der Lagerhalle um. Durchsuchten den Bereich, in dem die schneeweiße Motoryacht stand. Er war auch nicht in dem kleinen chaotischen Büro.

Sie fanden ihn im Loft.

Ausgestreckt, mit dem Gesicht nach unten auf einem der Feldbetten. Völlig weggetreten.

Marc seufzte. Poppy starrte einfach nur.

Und das lag nicht nur daran, dass der Mann kein Hemd trug.

Sebastian Reyne war kein kleiner Mann.

Seine Füße baumelten über den Bettrand, und seine Schultern wirkten fast zu groß für die Liege. Eine Jeans schmiegte sich eng an muskulöse Oberschenkel und einen Po, der verdammt knackig, um nicht zu sagen perfekt war. Außerdem war da noch der Rücken.

Sonnengebräunt und genauso wunderbar geformt wie der Rest von ihm – glatte Haut, die feste Muskeln bedeckte.

Poppy sah, dass sich sein Brustkorb hob und senkte, und auch das, was sie bei den ganzen zerzausten schwarzen Haaren von seinem Gesicht erspähen konnte, schien eine gesunde Farbe zu haben.

Eine fast ganz leere Scotch-Flasche lag neben ihm auf dem Boden.

Also nicht tot.

Nur sternhagelvoll.

„Miss West, darf ich Ihnen Ihren Gastgeber vorstellen?“, sagte Marc, der Witzbold, während er sich hinunterbeugte und den schlafenden Riesen leicht anstupste. „Seb.“

Seb stöhnte. Murmelte irgendwas, dass Marc verschwinden solle. Die Worte, die er benutzte, konnte man kaum als druckreif bezeichnen.

Nichts, was Poppy nicht schon gehört hätte.

„Hey, Seb!“, rief Marc und rüttelte ihn diesmal heftiger an der Schulter. „Paket für dich.“

„Stell es auf den Boden“, knurrte Seb, wobei seine tiefe, schlaftrunkene Stimme sie wie eine Feder streichelte.

„Ja, tolle Idee“, erwiderte Marc und wandte sich an Poppy. „Es könnte einen Moment dauern, bis er wirklich bei sich ist. Vielleicht wollen Sie solange im Büro warten?“

„Ist schon in Ordnung“, versetzte sie. „Ich habe Brüder.“

„Brüder, die sich komplett volllaufen lassen?“

„Brüder, die machen, was sie wollen“, konterte sie ruhig, legte die Hände auf die Oberschenkel und kniete sich so tief, dass sie Seb Reynes Gesicht sehen konnte. Und was für ein Gesicht, wenn man den Dreitagebart mal außer Acht ließ. Es erinnerte sie an einen gefallenen Engel. Definitiv ein schlimmer Junge.

„Mr Reyne? Ich bin Ophelia West. Wir haben miteinander telefoniert. Ich bin Tomas’ Geschäftspartnerin. Ich möchte hier etwas arbeiten.“

Lange dunkle Wimpern hoben sich einen Millimeter und senkten sich gleich wieder, doch Poppy erhaschte eine dunkelgrüne Iris.

„Bin ich tot?“, murmelte er.

„Nicht ganz.“

„Sind Sie sicher?“

„Sehr sicher.“ Poppy richtete sich auf und drehte sich zu Marc um. „Ich bin ziemlich sicher, dass er als Nächstes ‚Willkommen auf der Insel‘ sagen wird.“

Ein weiteres Fluchen. Eigentlich eher ein Wimmern.

„Geben Sie mir fünf Minuten mit ihm“, erklärte Marc und zerrte einen protestierenden Seb erst in Richtung Tür, dann zur Bucht und schließlich direkt in den Ozean.

Poppy blieb auf dem Landungssteg und beobachtete, wie Commander Marc so weit watete, dass ihm das Wasser bis zur Taille ging. Dann ließ er den anderen Mann ohne viel Federlesens in die Fluten plumpsen.

Das wäre zweifellos auch die Vorgehensweise ihres älteren Bruders gewesen.

Poppy lehnte sich gegen das Geländer, während der Captain Seb erneut ins Wasser tauchte, vielleicht, um ihm diesmal den Mund auszuwaschen, doch irgendwann watete Marc zurück an Land, wohingegen Seb sich durch die Haare strich und dann mit einem geschmeidigen Sprung unter die Wasseroberfläche tauchte.

Er hatte offensichtlich keine Angst vor der Tiefe des Ozeans.

„Er wird nicht lange brauchen“, versicherte Marc, als er bei ihr ankam. „Seb hatte eine schwere Zeit in den vergangenen Monaten. Er hat einen seiner Partner bei einer Explosion auf einer Ölbohrinsel verloren. Ein weiterer Mitarbeiter ist seit dem Unglück taub. Seb gibt sich die Schuld daran. Hat Tom Ihnen nichts davon erzählt?“

„Nein, keinen Ton.“ Aber sie würde deshalb noch ein Wörtchen mit ihm reden. Darauf konnte er sich gefasst machen.

„Sind Sie sicher, dass Sie nicht mit mir zurückkommen wollen? Sie könnten sich ein nettes kleines Haus auf dem Festland suchen, in dem Sie sich einigeln.“

„Ich würde es tun, wenn ich könnte, glauben Sie mir.“ Poppy ließ den Blick zu ihrem Gastgeber hinüberwandern, der gerade wieder aus dem Ozean auftauchte. Sein nackter Oberkörper war einfach atemberaubend. Selbst über die Entfernung hinweg spürte sie die Anziehung. Die Sinnlichkeit, die Sebastian Reyne ausstrahlte, erregte und beunruhigte sie gleichermaßen. „Meinen Sie, ich kann hier mit ihm allein bleiben?“

„Er wird Ihnen nichts antun, falls es das ist, was Sie meinen. Allerdings kann ich mir auch nicht vorstellen, dass er besonders höflich sein wird …“

„Was ist mit der Trinkerei?“

„Sieht schlimmer aus, als es ist“, erklärte Marc knapp. „Er ist nicht betrunken. Nur erschöpft.“

„Von was?“

Den Fischen beim Schwimmen zuzusehen?

Poppy war an Unentschlossenheit gewöhnt. Daran, dass sie nicht wusste, wie sie sich in einer bestimmten gesellschaftlichen Situation verhalten sollte. Oder welchem Instinkt vertrauen – demjenigen, der ihr riet, mit Marc ans Festland zurückzukehren, oder demjenigen, der ihr versicherte, dass der Mann ihr nichts tun würde, wenn sie blieb.

Seb war Tomas’ Bruder, und Tomas war ein Freund. Er wusste genau, wann er sie necken konnte und wann er ihr Unterstützung bieten musste. Manchmal schien er ihr gegenüber sogar einen gewissen Beschützerinstinkt zu verspüren. Also hätte er sie doch ganz sicher nicht hergeschickt, wenn er die Situation als kritisch eingestuft hätte? So anders konnte sein Bruder doch wohl nicht sein?

Seb bewegte sich auf sie zu, als gehöre ihm die Insel – was tatsächlich der Fall war. Bei seinem grimmigen Gesichtsausdruck hätten kleine Kinder längst die Flucht ergriffen.

Seine mürrische Miene konnte sie nicht einschüchtern. Was ihr Angst machte, war ihre Reaktion auf seine Nähe. Obwohl ihr Herz heftig pochte und ihr Atem stockte, wünschte sie sich, auf ihn zuzugehen anstatt vor ihm zu flüchten, was wesentlich vernünftiger gewesen wäre.

Als er bei ihnen ankam, holte Poppy tief Luft, hielt ihren Blick streng auf sein Gesicht gerichtet und streckte ihm die Hand entgegen.

„Mr Reyne, wollen wir noch mal von vorn anfangen?“, sagte sie so ruhig wie möglich. „Ich bin Poppy West. Ich denke, Sie erwarten mich.“

Marc neben ihr schnaubte hörbar.

Seb Reyne schaute kurz auf ihre Hand und dann wieder in ihr Gesicht. Sein Blick wirkte ungläubig. „Ich bin nass“, murmelte er.

Das hatte sie durchaus bemerkt. Und sie hatte auch recht gehabt, dass seine Augen grün waren. Ein tiefes Dunkelgrün mit grauen Sprenkeln. „Das sind Sie.“

Sie achtete darauf, dass keinerlei Wertung in ihrer Aussage lag. Sie wollte diesen Handschlag unbedingt – vielleicht weil es unterstrich, dass sie eine Art Geschäftsbeziehung unterhielten. Eine kleine Erinnerung daran, dass ein Mann zu seinem Wort stehen musste und sie hier war, weil er sich damit einverstanden erklärt hatte.

Außerdem verspürte sie den starken Wunsch, ihn zu berühren.

Seine Haut war nass. Die Hand warm und groß und schwielig. Ein kurzes Händeschütteln, und dann war es auch schon wieder vorbei – abgesehen von der Hitze, die sich mit Lichtgeschwindigkeit von ihrem Arm aus im ganzen Körper ausbreitete und einfach nicht nachlassen wollte.

„Wie lange wird Ihr Aufenthalt dauern?“, fragte er.

„Ich weiß es nicht“, gab sie offen zu. „Irgendwas zwischen ein paar Tagen und ein paar Wochen. Wenn es länger dauert, drehe ich durch.“

„Tun wir das nicht alle?“ Sebs Blick wanderte zu Marc hinüber. „Du bleibst nicht?“

„Kann nicht. Habe eine Charterbuchung morgen früh.“

„Sag ab.“

„Das geht nicht. Sie gehört ganz allein dir, mein Freund.“

„So hätte ich das jetzt nicht ausgedrückt“, versetzte Poppy milde. „Allerdings ist mir klar, dass es eine große Bitte ist und dass Tomas vielleicht nicht von gewissen … Entwicklungen wusste, als er seine Gastfreundschaft anbot – und natürlich die Ihre. Ist es ein Problem für Sie, wenn ich hierbleibe, Mr Reyne? Ich hatte den Eindruck, dass dem nicht so wäre, aber falls doch …“ Sie zuckte die Schultern und versuchte, sich ihre Bestürzung nicht anmerken zu lassen. „Nun, es ist Ihre Insel. Ich kann mit Marc ans Festland zurückkehren.“

Sebastian Reyne fuhr sich mit der Hand durchs Haar und starrte derart angestrengt auf den Ozean hinaus, als suche er dort nach einem Rettungsanker. Poppy hätte ihm sagen können, dass sie schwer zu finden waren, doch sie hielt den Mund und wartete auf seine Antwort, wobei sie mühsam versuchte, ihre Angst zu bezähmen.

„Ich werde ganz bestimmt keine Umstände machen“, versicherte sie, als das Schweigen sich unangenehm ausdehnte. „Ich muss einfach nur arbeiten. Sie werden mich kaum zu sehen bekommen. Das ist ein Versprechen.“

„Wenn Tom gesagt hat, dass Sie bleiben können, dann können Sie bleiben“, erklärte Seb Reyne schließlich. „Das ist Ihr ganzes Gepäck?“ Er deutete auf ihre Reisetasche.

„Ja.“

„Können Sie ein Quad-Bike fahren?“

„Ich kann einen Strandbuggy fahren.“

„Können Sie ein Boot steuern?“

„Nein. Ganz ehrlich? Ich hasse alles, was schwimmt.“

„Aber Sie können schwimmen?“

„Einigermaßen“, entgegnete sie und blickte auf den Ozean hinaus. „Allerdings wie weit und wie lange ist immer die eigentliche Frage, nicht wahr?“

Seb wandte sich seufzend ab. „Ich brauche was zu essen.“

Da schaltete sich Marc ein. „Ich muss mich jetzt auf den Weg machen. Brauchst du irgendwas vom Festland, das ich mitbringen soll, wenn ich sie wieder abhole?“

Seb und Marc gingen zusammen den Steg zu Marcs Boot hinunter. Poppy blieb, wo sie war. Es schien nur höflich, sie nicht zu stören – ganz offensichtlich waren sie Freunde. Sie musste nicht jedes ihrer Worte hören.

Außerdem mochte ein bisschen Abstand ihr genug Zeit geben, die Nachwehen seiner Berührung abzuschütteln. Noch immer spürte sie ein Prickeln, das völlig inakzeptabel war.

Seb machte sich auf den Weg zurück zu ihr. Seine Jeans klebte an den langen, muskulösen Oberschenkeln, die sie bereits zuvor bemerkt hatte.

Der Motor von Marcs Boot wurde gestartet. Poppy winkte dem Skipper zum Abschied zu und versuchte, ruhig zu bleiben, während ihr Gastgeber immer näher kam.

„Also, wie wollen Sie das Ganze angehen?“, fragte er mürrisch, als er direkt vor ihr stand. „Das hier ist Ihre Show.“

„Nun …“, sagte Poppy. Ihr war klar, dass er vermutlich einen Kater hatte und es mit seiner Laune insofern nicht zum Besten stand. „Sie können mich einfach dahin bringen, wo die Computer stehen, sich mit einem Filterkaffee meine ewige Dankbarkeit sichern und mich dann allein lassen, damit ich die Arbeit beginnen kann, wegen der ich hier bin. Klingt das okay?“

„Ja“, versetzte er und warf ihr einen Blick zu, den sie nicht einordnen konnte. „Das klingt gut.“

2. KAPITEL

Sie war nicht das, was er erwartet hatte. Tomas hatte Poppy eine kleine graue Maus genannt mit einem IQ, der um einiges zu groß für sie war. Doch Seb sah keine Maus, wenn er Ophelia West anschaute.

Er sah Schüchternheit, ja. Anpassungsfähigkeit. Eine gewisse Nachsicht gegenüber den Schwächen anderer. Er sah ruhige blaue Augen, makellose, cremige Haut, karamellfarbenes Haar, in das die Sonne goldene Strähnen gezaubert hatte, und einen geschmeidigen, gertenschlanken Körper, den er besser gar nicht wahrnehmen sollte.

Und was ihre Lippen anging … sie waren das Erste, was er bemerkt hatte, als er die Augen geöffnet hatte. Sofort wusste er, wo genau er diese Lippen spüren wollte.

Er hätte es als Warnung auffassen sollen.

Verdammt, er hatte es als Warnung verstanden.

Deshalb war er ja auch fest entschlossen gewesen, sie mit Marc zurückzuschicken, doch sie hatte ihn wie einen Mann behandelt, der zu seinem Wort stand, und urplötzlich blieb Ophelia West, wo sie war, während Marc sich verabschiedete und jeder von Seb erwartete, dass er sich wie ein Ehrenmann verhielt.

Einfach so.

Verdammt sollte er sein, wenn er es nicht zumindest versuchte.

Er ging in sein Büro, holte seine Sonnenbrille, setzte sie auf und seufzte erleichtert, als das Licht nicht mehr ganz so grell in seine Augen stach. Seine Erleichterung wuchs, als er Poppy West erneut anblickte und sie sich bereits viel besser in die Umgebung einfügte als zuvor.

Vielleicht hatte er sich die verheerende Wirkung ihrer Berührung nur eingebildet. Vermutlich hatten sich ihre Augen auch gar nicht geweitet und diese engelsgleichen Lippen sich nicht geteilt, als er mit dem Daumen ihr Handgelenk umfasst hatte.

Rasch griff er nach ihrer Reisetasche und marschierte auf das Quad-Bike zu. Er schlang ein Bein über das Fahrzeug, startete den Motor und zuckte zusammen, als das Geräusch wie Donnerhall in seinem malträtierten Schädel wütete.

Er brauchte einen Kaffee.

„Kommen Sie?“, rief er, worauf sie wortlos hinter ihn glitt und die Reisetasche als Puffer zwischen sie legte. Keine Hände um seine Taille, kein koketter Spruch. Nur eine Kollegin von Tomas, die hergekommen war, um zu arbeiten.

Sie brauchten fünfzehn Minuten, um das Haus zu erreichen.

Wind zerrte an Sebs und ihren Haaren, und eine widerspenstige karamellfarbene Strähne streifte seine Wange, ehe sie sich wie ein sanfter Henkersstrang um seinen Hals legte.

Seb biss die Zähne zusammen, verfluchte seine nasse Jeans und betete darum, dass das Quad-Bike alles an Geschwindigkeit herausholte, was in ihm steckte.

Der unwegsamste Teil der Strecke führte über einen rauen Fels, und direkt dahinter tauchte das Haus auf. Die Hinterräder rutschten immer ein wenig auf dem glitschigen Untergrund aus. Diesmal klammerten sich Ophelia Wests Hände um seine Schultern.

Ein ungewolltes Schauern durchlief seinen Körper – nicht das Vorspiel zu sanftem Verlangen, sondern zu ungezügelter, wilder Lust. Er hatte zu lange keine Frau gehabt, befand er grimmig. War nun schon viel zu lange allein auf dieser Insel und brütete nur düstere Gedanken aus.

Nach einer Viertelstunde kamen sie endlich aus dem Wind heraus und betraten das Innere des Hauses. Ophelia West blickte sich neugierig um, sagte aber kein Wort.

Seb hätte ihr Verhalten als beruhigend empfinden sollen – die Tatsache, dass sie keine Veranlassung spürte, sich mit ihm anzufreunden und ihn zu nichtiger Konversation zu zwingen.

Doch es beruhigte ihn nicht.

Ihr Schweigen sorgte lediglich dafür, dass er unbedingt wissen wollte, was sie von dem Haus und der Insel hielt. Ein Haus, das aus Beton und Glas und Metall bestand. Eines, das sich in den Fels dahinter fraß und von jedem Raum aus einen fantastischen Blick auf den Ozean bot. Er hatte es selbst entworfen und einen großen Teil auch selbst gebaut. Er war stolz auf die schroffe Schönheit und die Herausforderungen, die das Design gestellt hatte.

Was auch immer die Maus über das Gebäude dachte, sie behielt es für sich.

„Kann ich mal das Bad benutzen?“, fragte sie, worauf er ihr zeigte, wo das nächste Bad zu finden war und dann selbst in die Küche ging.

Kaffee würde helfen. Musste helfen, und dann würde er ihr das Büro zeigen, ein paar Eier und ein bisschen Schinken in die Pfanne hauen und für den Rest des Tages verschwinden, sodass sie tun konnte, was auch immer sie hier zu tun gedachte. Währenddessen würde er seinen Kater bekämpfen, seine schlechte Laune und das Interesse an einer kleinen grauen Maus, die sich sehr bemühte, keinerlei Umstände zu bereiten. Ophelia West tat wirklich nichts, um seine Aufmerksamkeit zu fesseln, und doch war er sich ihrer stärker bewusst als jeder anderen Frau in den vergangenen Jahren.

Seb gab eine halbe Wagenladung Kaffeepulver in die glänzende Stahlkaffeemaschine, lehnte sich gegen die Arbeitsfläche und presste die Stirn gegen einen der Küchenschränke.

Er schloss die Augen und versuchte sich daran zu erinnern, was sein Bruder sonst noch über Poppy West gesagt hatte. Versuchte sich daran zu erinnern, ob Tomas an ihr interessiert war, und falls ja, ob er sich ihr jemals genähert hatte.

Wahrscheinlich.

Sie war genau der Typ seines Bruders. Sie hatte Klasse. War intelligent. Irgendwie süß, wohingegen Seb … Seb bevorzugte selbstbewusste Frauen mit Abenteuergeist und ein wenig Sünde im Blut.

„Der Kaffee riecht gut“, sagte eine ruhige, gemessene Stimme, woraufhin er sich aufrichtete, die Augen öffnete und sie unsicher im Türrahmen stehen sah.

„Ja, das stimmt.“ War das seine Stimme? So rau und krächzend?

Sie hatte ihre Jacke ausgezogen. Darunter trug sie eine Designer-Jeans und ein taubengraues T-Shirt, das ihren schlanken Körper betonte. Kleine, hoch angesetzte Brüste. Ganz viel Bein.

Ein Mann, der sie erobern wollte, musste zärtlich vorgehen; musste Vorsicht walten lassen …

„Möchten Sie etwas essen?“, fragte er die Maus. Mausmausmausmaus. Die kleine graue Maus seines Bruders. Geschäftspartnerin. Was auch immer. Er würde es früh genug herausfinden.

„Nein, vielen Dank, ich hatte ein großes Frühstück.“

Müsli und Joghurt, darauf wollte er wetten. „Ich stelle Ihnen eine Kühlbox mit Essen zusammen, die Sie mit ins Gästehaus nehmen können“, versetzte er. „Dort ist ein Kühlschrank. Sie müssen ihn nur anschalten. Ich weiß nicht, ob das Bett gemacht ist, deshalb gebe ich Ihnen auf jeden Fall auch Bettwäsche mit.“

Wahrscheinlich hätte er das Gästehaus nach Spinnen absuchen sollen. Eidechsen. Schlangen. Er war nicht unbedingt der versierteste Gastgeber.

„Ach was, wir machen es anders“, sagte er. „Ich richte das Gästehaus her. In der Zwischenzeit können Sie tun, was auch immer Sie mit den Computern anstellen wollen. Tom war da nicht besonders präzise.“

Autor

Kelly Hunter
<p>Obwohl sie von Beruf Naturwissenschaftlerin ist, hatte Kelly Hunter schon immer eine Schwäche für Märchen und Fantasiewelten und findet nichts herrlicher, als sich in einem guten Buch zu verlieren. Sie ist glücklich verheiratet, hat zwei Kinder und drückt sich gerne davor, zu kochen und zu putzen. Trotz intensiver Bemühungen ihrer...
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