Sinnlich verführt unterm Mistelzweig

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DER RITTER UNTERM MISTELZWEIG von TATIANA MARCH
Schwarze Locken, die Augen blitzend im goldenen Kerzenschein der geschmückten Halle: Ritter Olaf Stenholm begehrt die schöne Schottin Brenna Kilgarren! Dass er durch die Hochzeit ein unabhängiger Mann wäre, macht sie noch verführerischer. Aber wie erobert man eine Schwertmaid?

EINE LADY UNTERM MISTELZWEIG von AMANDA MCCABE
Wenn Lady Cassandra in einsamen Winternächten an Sir Ian Chandler denkt, überläuft sie ein süßer Schauer der Erregung. Als Witwe sollte sie diese Sehnsucht nicht zulassen! Bis sie bei einer Weihnachtsparty der Duchess of Gifford unvermittelt Ian unterm Mistelzweig begegnet …

GERAUBTE KÜSSE UNTERM MISTELZWEIG von GAIL RANSTROM
Schöne Bescherung! Charity ist überzeugt, dass während der Festtage ihre Verlobung mit Julius Lindgate bekannt gegeben wird. Doch als der verwegene Schotte Sir Andrew das Herrenhaus betritt, erfährt sie, was Liebe auf den ersten Blick bedeutet …

EIN EARL UNTERM MISTELZWEIG von LOUISE ALLEN
Diese Frau muss ein Weihnachtsengel sein! Davon ist der Earl of Burnham überzeugt, als er die schöne Wirtin Emilia kennenlernt – und spontan um ihre Hand anhält. Doch warum weist Emilia ihn weinend ab?

DIE GOUVERNANTE UNTERM MISTELZWEIG von MARGUERITE KAYE
Inmitten der festlichen Weihnachtsgesellschaft auf Brockmore House spürt die junge Gouvernante Joanna nur Trauer. Bis ihr der schneidige Major MacIntosh begegnet. Denn sein zärtlicher Kuss unterm Mistelzweig entzündet in ihrem Herzen ein wundersam warmes Feuer …


  • Erscheinungstag 16.11.2023
  • ISBN / Artikelnummer 9783751528160
  • Seitenanzahl 650
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

IMPRESSUM

Der Ritter unterm Mistelzweig erscheint in der HarperCollins Germany GmbH

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Leitung: Miran Bilic (v. i. S. d. P.)
Produktion: Christina Seeger
Grafik: Deborah Kuschel (Art Director), Birgit Tonn,
Marina Grothues (Foto)

© 2013 by Tatiana March
Originaltitel: „Surrender To The Knight“
erschienen bei: Harlequin Enterprises Ltd., Toronto
Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

© Deutsche Erstausgabe in der Reihe HISTORICAL WEIHNACHTEN
Band 10 - 2017 by HarperCollins Germany GmbH, Hamburg
Übersetzung: Claudia Heuer

Umschlagsmotive: shutterstock_Tereshchenko Dmitry, D_Ania, detchana wangkheeree

Veröffentlicht im ePub Format in 12/2020 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

E-Book-Produktion: GGP Media GmbH , Pößneck

ISBN 9783751504935

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.
CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

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1. KAPITEL

Schottland, 1541

E s war November und Herbststürme heulten über die Highlands. Sie hatten den ersten Schnee mitgebracht, Flocken wirbelten durch die Luft. Olaf Stenholm blinzelte und versuchte, im Schneegestöber die Augen offen zu halten. Das war gar nicht so einfach, denn es verfingen sich immer wieder eiskalte Flocken im Visier seines Helms. Der große kastanienbraune Hengst, auf dem er saß, wieherte erschöpft. Er nannte ihn Thor und das Pferd war eigentlich für das Schlachtfeld ausgebildet, doch jetzt hingen an seinen beiden Flanken große Säcke herab. Ihn als Packpferd für einen Reiter mitsamt dessen eiserner Rüstung sowie sämtlicher Habseligkeiten zu missbrauchen, glich einer Beleidigung für das edle Tier.

Ebenso stellte der lange Ritt nach Nordwesten eine Beleidigung für jeden Ritter dar. Olaf versuchte, die Finger in seinen Lederhandschuhen zu bewegen, damit seine Hände nicht taub vor Kälte wurden. Sein ganzes Leben kam ihm wie eine unendliche Kette von Erniedrigungen vor. Zuerst war er aus Stenholm Castle geworfen worden, weil er das Recht seines älteren Bruders auf das Erbe des Titels angezweifelt hatte. Dann, nachdem sein Bruder verstorben war, hatte er sein Anrecht auf den Besitz auch noch an dessen Witwe verloren. Schließlich hatte ihm König James eine Braut angeboten, die ihren eigenen Besitz mit in die Ehe brachte.

Eine Frau mit Landbesitz .

Olaf schnaubte verächtlich, das Geräusch klang hohl in seinem Helm. Es war schön und gut, dass Kilgarren sich von der Küste meilenweit ins Landesinnere erstreckte, aber dabei handelte es sich um nichts weiter als endloses Ödland. Und von der dazugehörigen Braut, Brenna Kilgarren, wurde gemunkelt, dass sie an die Ländereien gelangt war, indem sie ihren einzigen Bruder vergiftete. Den geflüsterten Anschuldigungen zufolge wollte sie ganz allein über diese gottverlassene Wildnis herrschen und hatte geschworen, jeden Mann umzubringen, der versuchte, sie unter seine Kontrolle zu bekommen. Doch König James war daran gelegen, die Küste gegen eventuelle Angriffe von der Seeseite zu sichern.

Eine solche Aufgabe hätte der König niemals einer Frau anvertraut.

In einiger Entfernung tauchte der schemenhafte Umriss eines zinnenbewehrten Turmes im Schneetreiben auf. Das einsame Gebäude war der einzige Orientierungspunkt in dieser endlosen Weite aus sanft gewellten Hügeln, die mit hartem Gras bewachsen waren. Olaf beeilte sich weiterzukommen und verdrängte alle weiteren Überlegungen. Das Einzige, was er jetzt wollte, waren ein prasselndes Feuer und ein Krug mit heißem Whisky.

Als er näherkam, sah er einige Erdhügel, die aussahen wie Unterstände, in denen Menschen und Vieh während der Wintermonate Schutz suchen konnten. Als er sich noch weiter näherte, hörte er auch noch Stoff im Wind flattern. Im Schutz der einfachen Burg waren zwei Zelte aufgestellt, deren Bahnen vom Wind bis zum Zerreißen gespannt wurden. Von ihren Spitzen wehten Banner in leuchtenden Farben und bildeten damit einen starken Kontrast zum bleigrauen Himmel.

Seine Konkurrenz .

Um Brenna Kilgarrens Widerstand zu brechen, hatte der König ihr gleich drei Heiratskandidaten geschickt, zwischen denen sie wählen sollte. Vor einem der Zelte standen zwei Krieger, die Wache hielten und sich dabei auf ihre Lanzen stützten. Keiner der beiden trug eine eiserne Rüstung, aber ihre Lederwämse waren neu, und die Pferde, die hinter ihnen auf der reifüberzogenen Wiese grasten, sahen stark und gesund aus.

Olaf seufzte bedauernd. Mit solchem Wohlstand konnte er nicht mithalten.

Ehe er sich auf den langen Weg gemacht hatte, hatte er jeglichen Besitz verkaufen müssen, den er sich in vielen Jahren als fahrender Ritter verdient hatte. Er hatte den Jungen entlassen, den er aus Livland, der baltischen Provinz, mitgebracht hatte, und ihm sein Fuhrwerk und das Zugpferd überlassen. Jetzt wünschte er sich, dass er alles behalten hätte: Güter, Wagen und Dienstboten. Nicht nur, um mit seiner Konkurrenz mithalten zu können, sondern auch, damit er nicht auf jeglichen Komfort verzichten musste, falls die Lady wirklich ihn als ihren Gemahl auswählen sollte.

„Keinen Schritt weiter!“

Der plötzliche Ausruf hätte fast dafür gesorgt, dass Olaf vor Schreck aus dem Sattel gerutscht wäre. Er sah sich um, mit scharfen Augen musterte er die Umgebung und erblickte karges Moorland im schwächer werdenden Licht des Nachmittags. Links von ihm stand eine zerlumpte Gestalt, die mit beiden Füßen fest auf der dünnen Schneedecke stand und mit beiden Händen, die in Lederhandschuhen steckten, ein Langschwert vor sich in die Höhe streckte.

Mit der Klinge beschrieb er einen Bogen in der kalten Luft. „Runter da! Stellt Euch!“

Verwundert sah Olaf den Herausforderer an. Er trug keine Rüstung, nur ein uraltes Kettenhemd, das ganz offensichtlich für jemanden gemacht war, der viel größer war als er. Alles, was er trug war ihm zu groß, sein Helm saß wie ein umgedrehter Eimer auf seinen Schultern und der Saum des Kettenhemds reichte ihm bis zum Knie und als er das Schwert schwang, pflügte er damit beinahe den Boden. Oder vielmehr sie. Olaf saß seufzend ab. Offensichtlich wollte seine zukünftige Braut keine Zeit verlieren, ehe sie ihn tötete. Er fragte sich flüchtig, wie es wohl seinen Rivalen ergangen war und ob sie denen wohl die gleiche Begrüßung hatte zuteilwerden lassen. Doch er schob den Gedanken beiseite, zog sein Schwert aus der Scheide und wandte sich seiner Gegnerin zu.

Die Lady hob ihre Waffe mit beiden Händen hoch und versuchte einen tiefen Stoß. Olaf grinste hinter dem Visier seines Helms. Gar nicht schlecht. Sie hatte Köpfchen. Seine Knie waren sein Schwachpunkt, weil er für die lange Reise auf Teile seiner Rüstung verzichtet hatte und nur die größeren Stücke angelegt hatte. Auch das allein war während seiner Reise schon nicht sehr bequem gewesen, aber ohne Packpferd war der einfachste Weg, seine Rüstung zu transportieren, indem man sie am Körper trug.

Er wehrte den Angriff mit Leichtigkeit ab. Mit kurzen Schwüngen seines Schwerts zwang er die Kämpferin zum Rückzug und testete dabei ihr Können und ihre Stärke. Für eine Frau kämpfte sie gut. Mit der langen Klinge war sie nicht gerade schnell und die riesigen Stiefel hielten ihre Füße am Boden fest wie zwei Anker. Während sie auswich und herumwirbelte, schmiegte sich das Kettenhemd eng um ihren Körper, sodass man ihre schlanke Statur und ihre weiblichen Rundungen erkennen konnte.

In Olaf stieg eine Hitze auf, die nichts mit den Anstrengungen des Kampfes zu tun hatte. Er musste jeden Schlag vorsichtig setzen, um sicherzugehen, dass er sie nicht verletzte, aber er konnte sich dennoch an keinen anderen Kampf erinnern, der so aufregend für ihn gewesen war. Mit jedem Schwung seiner Waffe hellte sich seine düstere Stimmung ein wenig auf.

Er suchte sich einen Platz aus, an dem ein weicher Erdhügel ihren Fall bremsen würde, ehe er seine Gegnerin zum Zurückweichen zwang, bis sie schließlich über die Grasnarbe stolperte und mit lautem Scheppern und Klirren des Kettenhemds auf dem Hinterteil landete. Er drückte die Spitze seines Schwerts am unteren Rand des Helms gegen ihre Kehle. „Keine Bewegung“, warnte er sie.

Er konnte durch die beiden Schlitze in ihrem Visier sehen, dass sie die Augen aufriss, aber das Tageslicht war zu schwach, als dass er die Farbe hätte erkennen können. Sie waren seltsam dunkel. Seine Augen wiederum waren hellgrün wie die ersten Blätter des Frühlings. Er widerstand der Versuchung, sich vorzubeugen, um genauer hinzusehen, stattdessen verdrängte er die Frage aus seinem Geist. Was machte es schon aus, welche Augenfarbe sie hatte? Er hatte diese Reise bis ans Ende der Welt nicht unternommen, um die Frau an seiner Seite zu finden oder auch nur eine, die nachts neben ihm liegen würde. Ihm ging es nur darum, Ländereien zu gewinnen und seinem König zu dienen.

„Bleibt, wo Ihr seid!“, befahl er.

Schließlich zog er sein Schwert zurück, schob es wieder in die Scheide und ging zu seinem Pferd zurück. Er wollte gerade die Hand nach dem in Leder eingebundenen Paket ausstrecken, das hinter Thors Sattel festgebunden war, als plötzlich ein Bild in seinem Geist auftauchte und sich breitmachte: Er sah eine Frau vor sich, eine sanfte Schönheit mit goldenem Haar und hellgrünen Augen. Er hatte seine Mutter nie kennengelernt – nur ein Gemälde erinnerte an sie –, aber er hielt dennoch daran fest.

Olaf zögerte einen Augenblick. Dann folgte er seiner Eingebung. Er zog das längliche Paket von Thors Rücken und wickelte das Schwert aus, das darin verborgen war. Solange er denken konnte hatte er die kunstvoll geschmiedete Waffe in Ehren gehalten. Er hielt sie an der Klinge fest und drehte sich wieder zu seiner zukünftigen Braut um.

Die Lady war nicht sitzen geblieben.

Sie stand schon wieder und setzte erneut zum Angriff an, offensichtlich hatte sie vor, seine Eingeweide aufzuspießen. Olaf wäre dem Angriff gern mit einem Schritt zur Seite ausgewichen, aber er befürchtete, dass sie dann die Flanke seines kastanienbraunen Hengstes getroffen hätte. Deshalb blieb er, wo er war und hoffte nur, dass Lady Brenna es auch in ihrem Übereifer nicht darauf anlegte, einen Mann ernsthaft zu verletzen, der seine eigene Waffe nicht in der Hand hielt.

Mit einem lauten Scheppern traf ihre Klinge seinen Brustpanzer. Als die Angreiferin ihn in seiner stabilen, unnachgiebigen Haltung traf, prallte sie von ihm ab und stolperte rückwärts. Das Schwert rutschte ihr aus der Hand und fiel klirrend auf den gefrorenen Boden. Olaf sah vorsichtig auf seine Brust hinab, die sie schmerzhaft getroffen hatte. Die Kraft des Schlages hatte eine Beule in seinem Brustpanzer hinterlassen. Ohne den Schutz seiner eisernen Rüstung hätte sein Blut jetzt seine Stiefel bespritzt. Er wusste nicht, ob er über seine Dummheit lachen oder weinen sollte, immerhin hatte er sich selbst ihrem Angriff preisgegeben und war außerdem gerade dabei, seinem Gegner auch noch eine bessere Waffe zu überreichen, sodass die Wahrscheinlichkeit wuchs, dass er ernsthaft verletzt wurde.

Er hielt ihr sein wohlgehütetes Schwert hin. „Versucht es hiermit.“

Die schmale Gestalt im Kettenhemd hatte sich gebückt, um das heruntergefallene Schwert aufzuheben. Als sie seine Worte hörte, drehte sie sich um und sah ihn an. Ihre Bewegungen wirkten unbeholfen, weil sie das Gewicht des zu großen Helms auf ihren Schultern ausbalancieren musste. Langsam stand sie auf und ließ ihre Waffe auf dem Boden liegen.

Olaf hielt ihr die blankpolierte Klinge hin. „Es ist ein einhändiges Kampfschwert, das für eine Lady gemacht ist“, erklärte er ihr. „Eine Frau hat nicht die Kraft, um ein zweihändiges Schwert im Kampf zu beherrschen, und muss sich deshalb stattdessen auf Geschwindigkeit und Beweglichkeit verlassen.“

„Ihr wusstet es?“ Durch die Schlitze in ihrem Visier sahen ihn zwei dunkle, glänzende Augen an. Braun. Ihre Augen waren dunkelbraun und hatten goldene Einsprengsel.

„Natürlich wusste ich es.“ Olaf spuckte die Bemerkung geradezu in ihre Richtung, es glich einer Beleidigung, wenn sie annahm, dass sie ihn getäuscht hatte. „Eine Frau bewegt sich anders. Kämpft anders.“ Lässt die Lenden eines Mannes schmerzen und heizt sein Blut mehr auf als alle Feuer der Hölle, hätte er noch hinzufügen können.

Schweigend hielt er ihrem Blick stand. Er konnte nur einen schmalen Streifen ihrer Haut um ihre Augen herum erkennen, und doch zog sich in seinem Inneren alles zusammen, sodass die Unruhe noch schlimmer wurde, die er schon während ihres Gefechts gespürt hatte. Zuerst wandte sie den Blick ab. Dann nahm sie das Schwert von ihm, trat ein paar Schritte zurück und vollführte zur Probe ein paar Schwünge mit der Waffe, sie schnitt und stach in die Luft, machte einen Ausfallschritt nach vorn, mit dem sie einen unsichtbaren Feind angriff, und zog sich dann wieder zurück.

Im hohen Norden hatte Olaf bereits Frauen gesehen, die Seite an Seite mit ihren Männern kämpften. Er hatte Kriegerinnen schon immer für einen besonders glorreichen Anblick gehalten. Brenna Kilgarren bewegte sich grazil, ihr Körper war schlank unter dem Kettenhemd, unter dem sie fast versank. Anders als die hochgewachsenen Frauen des Nordens, war Brenna jedoch klein. Eine Frau, die den Schutz eines Mannes suchen sollte, anstatt ihn zurückzuweisen, der Gedanke zuckte wie ein Blitz durch Olafs Geist.

Schließlich hörte sie mit der Tänzelei auf und drehte sie zu ihm um. „Warum bringt Ihr mir dieses Schwert?“

„Das habe ich nicht“, antwortete Olaf. „Ihr solltet es nur ausprobieren.“ Er fragte sich, ob die Lady wohl bestechlich war. Ein Schwert wie dieses war ein Vermögen wert, ganz bestimmt mehr als die Zelte der anderen Bewerber um ihre Gunst, vielleicht sogar mehr als ihre Pferde. „Es hat meiner Mutter gehört“, fügte er hinzu.

„Und warum hat sie es Euch überlassen, anstatt es ihrer Tochter zu geben?“

„Sie hatte keine Töchter.“ Olaf schwieg einen Augenblick. Er redete nicht gerne über sich selbst, aber trotz seiner Zurückhaltung sprudelten die Worte plötzlich aus ihm heraus. „Sie ist bei meiner Geburt gestorben. Mein Vater fand es richtig, dass ich ihr Schwert erbe. Es ist das Einzige, was ich noch von meiner Familie habe. Alles andere ist an meinen Bruder gegangen und der hat alles verloren.“ Er zeigte auf Thor. „Das ist alles, was ich besitze.“

„Ich verstehe.“ Ehe sie mit offensichtlichem Bedauern das Schwert an Olaf zurückgab, musterte Brenna die Säcke, die an beiden Flanken des Schlachtrosses hingen. „Wenn Ihr kein Zelt habt, wo wollt Ihr dann schlafen, während ich die Kandidaten in Augenschein nehme?“

Olaf ließ sich Zeit dabei, das Kampfschwert wieder in seine Schutzhülle aus Lammfell zu wickeln und es hinter Thors Sattel zu verstauen. „Wann wollt Ihr Eure Entscheidung treffen?“, fragte er, während er sich wieder der Kriegerin zuwandte.

„Ich weiß noch nicht.“ Ihre braunen Augen funkelten unerschrocken. „Vielleicht in der nächsten Woche.“

Olaf gab der Bitterkeit nach, die sich in ihm aufgestaut hatte. „Ich gebe Euch bis zum Abendessen Zeit für Eure Entscheidung. Danach schlafe ich entweder in Eurem Bett oder ich bin auf dem Rückweg.“

Sie schnappte erschrocken nach Luft, woraufhin er befriedigt den Mund verzog. Er hatte genug von den Höflichkeiten und davon, sich beliebt zu machen. Er wollte entweder für immer hierbleiben oder sich auf den Weg zum nächsten Schlachtfeld machen, wo er jederzeit ewigen Frieden durch die Klinge seines Feindes finden konnte.

„Kein Mann erteilt mir Befehle.“ Lady Brennas Stimme war heiser vor Wut.

„Ihr könnt vielleicht Eurem Ehemann auf der Nase herumtanzen, aber Ihr habt Eurem König zu gehorchen.“ Olaf drehte sich um und strich Thor über den schlanken Hals. „Wo kann ich mein Pferd unterstellen?“

Lady Brenna schwieg eine ganze Weile. Dann hob sie einen Arm im Kettenhemd und zeigte auf den schlichten, gemauerten Turm. „Die Tiere sind im Erdgeschoss untergebracht, die Diener im nächsten und das oberste Stockwerk steht dem Herrn und seiner Familie zu. Ihr könnt Euch in der Kammer für die Gäste einquartieren.“ Ohne ein weiteres Wort drehte sie sich auf dem Absatz ihrer riesigen Lederstiefel um und stapfte den Weg zum Haupttor mit seinen massiven Eisenbeschlägen hinauf.

Olaf ging hinter ihr her und gab Thor ein Zeichen, ihm zu folgen.

Noch heute Abend würde er erfahren, ob seine Zukunft in diesem kargen Land lag.

Brenna stieß die schwere Eichentür auf und stampfte mit den Füßen, um den Schnee von ihren Stiefeln zu klopfen. In ihrem Kopf bekämpften sich Zweifel, Furcht und eine so tiefe Dankbarkeit, dass sie beinahe auf die Knie gesunken wäre, um ihrem Schöpfer zu danken.

Sie hatte um einen Mann gebetet, der sie kämpfen ließ, der sie als ebenbürtig betrachtete. Ein Ehemann hatte für sie sonst nur einen einzigen Vorteil: Er verlieh ihrem Anspruch auf die Ländereien von Kilgarren mehr Gewicht. Wenn sie den Bund geschlossen hatten, konnte König James ihr ihr Erbe nicht mehr wegnehmen, indem er behauptete, dass es einer Frau an militärischen Fähigkeiten fehlte, um Schottlands Grenzen zu verteidigen.

Der Neuankömmling würde ihr dabei helfen, ihre eigene Zukunft zu sichern.

Dann musste er wieder gehen.

Und er würde wieder gehen.

Wer nicht in den entlegenen Winkeln dieses Landes geboren war, konnte die Einsamkeit hier meistens nicht ertragen, der hasste die heulenden Winde, die vom Meer her wehten und die ständige Dunkelheit der Wintermonate oder die kargen Mahlzeiten, die dem Land in diesem rauen Klima abgetrotzt werden konnten.

Hinter ihr führte der Ritter seinen großen Hengst in die Burg und stieß die Tür hinter sich zu, sodass das schwächer werdende Licht des düsteren Wintertags ausgeschlossen wurde. Sie drehte sich um, um ihn im Schein des Feuers, das in dem massiven Hauptkamin brannte, genauer zu betrachten. Er hatte breite Schultern, schmale Hüften und war bestenfalls mittelgroß. An der Art und Weise, wie sich seine Rüstung an seinen Körper schmiegte, konnte sie sehen, dass sie speziell für ihn gemacht war.

Sie hatte vorhin bereits bemerkt, dass seine Augen hellgrün waren. Jetzt zog er seine dicken Lederhandschuhe aus und hob die Hände, um den Helm abzunehmen. Bei dem Anblick des Gesichts, das er dabei enthüllte, lief ein warmes Kribbeln über Brennas Haut. Er hatte eine gerade Nase, ein energisches Kinn und glatte, helle Wangen. Sein schmaler, fein geschwungener Mund deutete darauf hin, dass Entschlossenheit zu seinen Charakterzügen gehörte. Ein Maler hätte seine Züge nicht perfekter gestalten können. Elegant und doch maskulin, erstaunlich männlich trotz seiner Schönheit.

Das Pferd neben ihm stampfte mit den Hufen und er drehte sich um, um das Tier zu beruhigen. Als er den Kopf neigte, fielen seine blonden Locken, die ihm bis auf die Schultern reichten, nach vorn. Im Licht des Kamins schienen sie fast zu glühen. Als Kind war Brenna einmal in Edinburgh gewesen, dort hatte sie Gemälde von Heiligen gesehen, deren Heiligenschein fast genauso aussah.

Jetzt sei nicht albern, wies sie sich selbst zurecht. Er ist ganz bestimmt kein Heiliger, nur ein Mann, der gierig nach Landbesitz ist.

„Wo bewahrt Ihr Hafer und Heu auf?“, fragte der Ritter, während er mit beiden Händen dem kastanienbraunen Schlachtross seine Lasten abnahm.

„Das ist alles, was wir haben“, sagte sie und deutete auf ihre kleiner werdenden Vorräte in einer Ecke. Der Ritter ging in die Richtung, die sie ihm gewiesen hatte, und sah sich suchend um, ehe ihm klar wurde, dass das eine Fass mit Getreide und das halbe Dutzend Heuballen wirklich alles war.

Brenna ging mit schnellen Schritten am Hauptkamin vorbei, dabei genoss sie die Wärme, die von den Flammen aufstieg. Sie schöpfte Hafer aus dem Fass in eine Holzschüssel und überreichte sie dem Ritter.

„Vielen Dank.“ Er nahm ihr die Schale ab und sagte nichts mehr.

Die Tiere waren hinter einem Zaun aus dünnen Birkenästen an einem Ende des Raums zusammengepfercht. Das Arbeitspferd Ramsey stand wie ein Kaiser in der Mitte, die Milchkühe Trudy und Sally standen links und rechts neben ihm. Die zwölf Schafe hatten keine Namen. Brenna wollte Tieren, die sie wahrscheinlich essen würden, keine Namen geben.

Der Ritter hatte die Pforte des Pferchs geöffnet und führte sein Pferd hinein. Die Stille wurde nur von den Geräuschen der Tiere unterbrochen. Das Pferd trank mit großen prustenden Schlucken aus einem Eimer, der auf dem Boden stand. Die anderen versuchten, sich an ihm vorbeizudrängen, um an die Schüssel mit dem Hafer zu gelangen, und brachen in lauten Protest aus, als der Ritter sie verscheuchte.

Seine schweigende Anwesenheit beunruhigte Brenna, deshalb ging sie langsam auf eine Leiter zu, die in einer Ecke des düsteren Raums stand. Sie musste die alte Rüstung ablegen, die ihrem Vater gehört hatte, und stattdessen ein Kleid und einen Überrock anziehen, um ihre Verlobung gebührend zu ehren. Sie zögerte und stellte den Fuß, den sie bereits auf die unterste Sprosse der Leiter gesetzt hatte, wieder auf den Boden, um noch einen Blick auf den Ritter zu werfen, der sein Pferd versorgte.

Warum sollte sie sich überhaupt die Mühe machen, ein Kleid anzuziehen? Warum sollte sie nicht das tun, was sie auch weiterhin zu tun gedachte und auf weiblichen Tand verzichten? Sie brauchte sich überhaupt nicht den Anschein zu geben, als sehe sie dieser Eheschließung mit Freude entgegen. Sie hatte sich Zeit ihres Lebens wie ein Junge gekleidet und würde daran ganz bestimmt nichts ändern, nur weil man ihr einen Ehemann aufzwingen wollte – auch dann nicht, wenn dieser Ehemann aussah wie der edle Prinz aus dem Märchen.

Brenna beugte ihren Oberkörper ein wenig nach vorn, um den Helm abzunehmen, der wie ein umgedrehter Eimer auf ihrem Kopf saß. Sie senkte ihn auf den Lehmboden und richtete sich wieder auf, dann schälte sie sich aus dem Kettenhemd. Unter der Rüstung trug sie dicke wollene Beinlinge und ein Wams, das lang genug war, um nicht zu viel von ihrem Körper zu enthüllen.

Sie rieb einen Schlammfleck aus ihrem Mieder, dann löste sie ihr Haar und streckte den Rücken durch, während sie sich mit den Fingern durch ihre Locken fuhr, um sie zu entwirren. Sie besaß keinen Spiegel, aber alle, die ihre Mutter gekannt hatten, bestätigten ihr, dass sie die normannischen Attribute von ihr geerbt hatte – rabenschwarzes Haar, braune Augen, die vor Freude strahlen oder vor Tränen glänzen konnten, und eine schlanke Gestalt, die zerbrechlich wirkte, obwohl Brenna ausdauernder als die meisten Männer war, wenn sie über das Moor ritten.

Ein unverständlicher, rauer Laut schreckte sie auf. Brenna drehte sich schnell um. Im Feuerschein konnte sie sehen, dass der Ritter sie anstarrte. Sein Blick wanderte über ihren Körper, ihre Beine hinauf, über die Taille hinweg und blieb schließlich an ihren runden Brüsten haften.

Sie hatte ein merkwürdiges Gefühl im Bauch, so ähnlich wie wenn sie sich an der Küste ganz nah an den Rand der Klippen schob und in die Tiefe schaute. Ihre Brustspitzen zogen sich zusammen, so wie sie es manchmal taten, wenn der Stoff ihres Unterkleids an ihnen scheuerte.

Der Ritter betrachtete sie weiterhin, jetzt sah er ihr ins Gesicht. Ihr wurde ganz warm in ihren wollenen und leinenen Unterkleidern. Sie atmete nur noch flach, und ihr Herz schlug schnell und unregelmäßig. Sie wurde von einem Bedürfnis zu fliehen erfasst, sie hätte sich gern ein einsames Plätzchen gesucht, um ihre innere Ruhe wiederzufinden.

„Kommt mit mir“, sagte Brenna und wandte sich ab. „Ich zeige Euch oben die Schlafkammer für Gäste.“

Sie kletterte die Leiter hinauf, so schnell sie konnte, und schaute sich nicht noch einmal nach ihm um.

2. KAPITEL

O laf sah sich in der kleinen gemauerten Kammer um, in der es nichts gab als einen Strohsack zum Schlafen, eine große Holztruhe und einen Stapel Decken, die so fadenscheinig waren, dass sich selbst sein Pferd darüber beschwert hätte. Durch das schmale Fenster fielen die letzten Reste von Tageslicht herein.

„Ich hole Euch ein paar Kerzen.“ Mit diesen Worten war Lady Brenna durch die Tür verschwunden.

Die beiden Säcke, in denen sich sein ganzes Hab und Gut befand, lasteten schwer auf Olafs Schultern, deshalb beugte er sich vor und setzte sie geräuschvoll ab. Noch ehe er sich seine Umgebung genauer ansehen konnte, kam Lady Brenna mit einer brennenden Kerze in der Hand zurück. Sie ging langsam und vorsichtig und schirmte mit einer Hand die Flamme ab. Sie steckte die Kerze in einen Halter in der Wand und zündete an der Flamme eine zweite Kerze an, die sie in einen anderen Halter weiter hinten an der Wand steckte.

„Darf ich um etwas zu trinken bitten?“, fragte Olaf, „Bier oder Whisky?“

Sie überlegte einen Augenblick und neigte dabei den Kopf zur Seite. „Ich bringe Euch Met.“

Er nickte. „Met ist auch willkommen.“

Olaf sank auf den Strohsack. Seine müden Hände hatten Schwierigkeiten mit den Riemen und Schnallen, als er seine Rüstung abnahm und sie neben dem Strohsack aufstapelte. Dann wartete er. Wenn er über Nacht bleiben wollte, musste er auspacken und sich umziehen. Seine Unterwäsche war schweißfeucht nach dem langen, anstrengenden Ritt und dem anschließenden Kampf, und seine Beinlinge und sein Wams waren von der Reise staubig und mitgenommen. Er konnte es in den schmutzigen Kleidern sicher nicht mehr lange aushalten, aber seinen Durst zu stillen ging jetzt vor allem anderen.

Kurz darauf knarrte die Tür in ihren eisernen Scharnieren, und Lady Brenna kehrte zurück. Sie trug einen Krug am Henkel vor sich her. Erstaunt sah Olaf sie an. Unten bei den Tieren, als sie den klobigen Helm und das Kettenhemd abgelegt hatte, hatte der Anblick ihrer Schönheit ihm die Sprache verschlagen.

Er hatte ihr dabei zugesehen, wie sie sich wie ein Schmetterling aus seinem unscheinbaren Kokon geschält hatte, dabei verspürte er das Verlangen, auf sie zuzugehen und seine Hände in ihren rabenschwarzen Locken zu vergraben. Er war nur einer von drei Heiratskandidaten, rief er sich selbst zur Ordnung. Vielleicht würde er niemals das Recht erwerben, sie zu berühren.

Lady Brenna kam auf ihn zu und blieb ein paar Schritte vor ihm stehen, dann beugte sie sich vor und hielt ihm den Krug hin. Glänzende schwarze Locken fielen ihr dabei über die Schultern und leuchteten im Kerzenschein auf. Als sie sich zu ihm herunterbeugte, zeichneten sich ihre Brüste deutlich unter dem dicken Wollstoff ihres Wamses ab. Olaf rutschte auf dem Strohsack ein Stück nach hinten und tat so, als wolle er sich bequemer an die Wand lehnen, doch in Wirklichkeit pulsierte sein Unbehagen direkt unter seinem ledernen Hosenlatz.

„Ich habe den Met angewärmt und ein paar Gewürze dazugegeben“, erklärte sie. „Damit Ihr zur Ruhe kommt.“

Schweigend sah Olaf sie an. Ihre Züge waren nicht nur hübsch, sondern verrieten auch ihre Kraft. Sie hatte eine kühne, gerade Nase, dunkle, geschwungene Augenbrauen und hohe Wangenknochen. Ihr voller Mund und die langen Wimpern verliehen ihr hingegen etwas Weiches, Sinnliches. Die Kombination aus einer Kriegerin in Männerkleidung und einer Frau mit weiblichen Reizen war mehr als erregend. Wahrscheinlich war sich Lady Brenna nicht einmal bewusst, wie einladend ihr figurbetonter Aufzug auf jeden Mann wirken musste, der alt genug war, um eine Frau voller Lust zu betrachten und jung genug, um zu handeln.

Unter seinem intensiven Blick färbten sich ihre Wangen zart rosa und sie fing nervös zu plappern an. „Vor fünf Jahren haben wir den Hauptkamin bauen lassen. Vorher mussten wir immer mit dem Qualm leben, wenn wir die Feuerstelle im unteren Stockwerk benutzt haben.“

Feuerstelle? Olaf schüttelte ungläubig den Kopf. Sie schrieben inzwischen das Jahr 1541, aber es hatte den Anschein, als wäre in diesem abgelegenen Winkel von Schottland vor Jahrhunderten die Zeit stehen geblieben.

„Es ist noch zu früh, um schlafen zu gehen“, stellte er fest. „Und ich habe auch nicht vor, hier zu übernachten.“

Lady Brennas Gesicht nahm für einen Augenblick einen trotzigen Ausdruck an. Olaf war sich sicher, dass sie verstanden hatte, was er damit sagen wollte, dass er sie an seine Drohung erinnern wollte, sich wieder auf den Weg zu machen, wenn sie bis zum Einbruch der Nacht keinen Ehemann gewählt hatte.

Sie hielt ihm den Krug hin. „Trinkt das und dann schlaft ein wenig“, wies sie ihn an. Dabei verzog sie den Mund, so als ob sie den Geschmack der Worte auf ihrer Zunge nicht leiden konnte. „Vielleicht bekommt Ihr später keine Gelegenheit mehr dazu“, fügte sie hinzu, und Olaf war sich nicht sicher, ob das ein Hinweis auf seine baldige Abreise oder auf die bevorstehende Hochzeitsnacht sein sollte.

„Trinkt“, sagte sie noch einmal. „Es wird Euch guttun.“

Jetzt fiel es ihm auf – ein Schimmer von Gerissenheit lag auf ihrem Gesicht, als sie ihm den Krug in die Hand drückte. Sie schlug die Augen nieder und wich seinem fragenden Blick aus. Ihr Stirnrunzeln ließ sie schuldbewusst erscheinen, und zwar so deutlich, als hätte jemand eine große Warntafel aufgestellt.

Er war sehr müde und seufzte tief. Eigentlich war es gleichgültig, ob er nun auf dem Schlachtfeld oder an einer Vergiftung starb. Wenn Lady Brenna sich für ihn entschied, musste er nicht durch dieses gottverlassene Moor zurückreiten und vor allem wollte er jetzt nicht anfangen, sich über jeden Bissen und jeden Schluck Gedanken zu machen, den er zu sich nahm, ehe sie Mann und Frau waren, vor dem Gesetz vereint. Wenn sie dadurch nicht zu seiner Witwe werden konnte, hatte es für sie gar keinen Sinn, ihn zu töten.

Olaf nahm ihr den Zinnkrug aus der Hand und hob ihn an die Lippen. Als er den ersten Schluck vom süßen Met trank, schlug die Erschöpfung wie eine Woge über ihm zusammen. Er legte den Kopf in den Nacken und nahm einen Schluck nach dem anderen.

Als er fertig war, gab er Lady Brenna den leeren Krug zurück. Sie blieb in der Kammer und entfernte sich nur ein paar Schritte von ihm. Dort blieb sie stehen und wiegte sich leicht hin und her, während sie von einem Fuß auf den anderen trat. Sie hob eine ihrer schmalen Hände und wickelte ihre rabenschwarzen Locken um ihre nervösen Finger, während sie wartete.

Und wartete.

Und wartete.

Olaf kämpfte nicht länger gegen die Müdigkeit an, die auf ihm lastete. Seine Glieder wurden schwer, und er konnte keinen klaren Gedanken mehr fassen. Eine einschläfernde Wärme umfing ihn und zog ihn immer tiefer in ihre friedliche Umarmung. Gerade als der Schlaf ihn mit seiner Dunkelheit übermannen wollte, machten seine Gedanken sich selbständig, er verlor die Kontrolle über sich.

„Ich will, dass du mir gehörst … damit ich dich küssen kann und heiraten und mit dir ins Bett gehen …“ Er hörte selbst seine gemurmelten Worte, aber er konnte sie nicht aufhalten. „Land … ich will Land … vergiss das Land … ich will dich schmecken … dich überall berühren … deinen nackten Körper spüren …“

Mit dem letzten Funken seines Bewusstseins nahm Olaf Lady Brennas entsetztes Aufstöhnen wahr. Sie machte hastig einen Schritt rückwärts und trat tiefer in den Schatten hinein, aber sie konnte nicht verbergen, dass sie purpurrot geworden war.

„Ich will mich in dir spüren und fühlen, wie du um mich herum enger wirst … so lange, bis wir beide vor Lust schreien …“ Seine Stimme war jetzt nur noch ein heiseres Flüstern. „Ich will mich neben dir zum Schlafen zusammenrollen … jede Nacht …“

Lady Brenna hatte ihr Entsetzen offenbar überwunden und war wieder näher gekommen, sie blieb vor ihm stehen und bemühte sich zu verstehen, was er sagte. Olaf versuchte, die Hand nach ihr auszustrecken. Er verspürte das Verlangen, sie an sich zu reißen und seinen Mund auf ihre rosigen Lippen zu pressen, aber sein Körper gehorchte ihm nicht. Mit einem frustrierten Stöhnen sank er auf dem Strohsack zusammen. Dann tat sich ein schwarzer Abgrund vor ihm auf und verschlang ihn und mit ihm alle Bilder seiner Hoffnungen und Träume.

Lady Brenna floh aus der Gästekammer, dabei wollten ihre zitternden Beine sie kaum tragen. Direkt gegenüber lag die Kammer des Lairds, und sobald sie über die Schwelle getreten war, blieb sie stehen und verriegelte die Tür hinter sich. Dann drehte sie sich um und lehnte sich mit dem Rücken an die glatten Holzbohlen. Ihre Brust hob und senkte sich mit jedem heftigen Atemzug.

Der dritte Kandidat hatte eine warme, tiefe Stimme, die jetzt in ihren Ohren widerhallte. Sie versuchte, nicht an seine lustvollen Worte zu denken, aber in ihrem Körper pochte und kribbelte es beim Gedanken an die Gefühle, die seine gewagten Bemerkungen in ihr ausgelöst hatten. Bilder von der hochmütigen, maskulinen Schönheit des goldenen Ritters tauchten vor ihrem inneren Auge auf und ließen sich nicht mehr vertreiben.

Wie es wohl wäre, sich zu verlieben?

Wie es wohl wäre, von einem Mann berührt zu werden?

Wie es wohl wäre, sehnsüchtig auf den Beginn der Nacht zu warten?

Ein ungutes Gefühl überkam Brenna und ließ sie zittern wie die Kälte eines Wintertages. Romanzen waren nur dafür gut, die Leben von Menschen zu zerstören. Sie hatte alle Liebe erfahren, die sie brauchte, die sichere und bedingungslose Liebe ihrer Familie, und sie würde das Schicksal ganz bestimmt nicht herausfordern, indem sie ihr Herz einem Fremden öffnete. Schmerzvolle Erinnerungen tauchten vor ihrem inneren Auge auf. Sie sah die Tränen ihrer Mutter vor sich, als sie die Einsamkeit in Kilgarren nicht mehr aushalten konnte und nach Frankreich zurückkehren musste. Die Trauer ihres Vaters, wie er hinaus ins Moor gestürmt war und seine Sehnsucht nach ihr in den Wind hinaus gebrüllt hatte, nachdem sie fort war und er seine Einsamkeit nicht mehr ertragen konnte. Sie hatte ihm schließlich den Verstand geraubt.

Brenna würde sich die Zukunft nicht mit einem solchen Schicksal ruinieren.

Sie weigerte sich einfach, sich zu verlieben, dann konnte ihr Herz auch nicht verkümmern und sterben, wie das Herz ihres Vaters gestorben war, nachdem ihre Mutter nicht länger bei ihm bleiben konnte. Sie würde ihre Pflicht tun, den Bund der Ehe eingehen und dann die Tage zählen, bis ihr Ehemann endlich genug von dem einfachen Leben im Norden hatte und wieder verschwand.

In seinen Schläfen pochte es dumpf und gleichmäßig, als ob eine Trommel geschlagen wurde. Olaf öffnete die Augen und wurde langsam wieder wach, dabei versuchte er, sich daran zu erinnern, wo er eigentlich war. Dunkelheit umgab ihn, wurde aber von goldenen Lichtstreifen durchbrochen. Als er die Hand ausstreckte, trafen seine Finger auf festen, dicken Stoff, der eine dünne Wand bildete, die zurückwich, als er sie berührte. Er drehte sich um, schob den flüsternden Samt zur Seite und sah, dass er sich in einer großen Kammer befand.

Er war jedoch von Vorhängen umgeben.

Er lag ausgestreckt unter einem Betthimmel. Auf einem kleinen Tischchen, das wenige Fuß von ihm entfernt stand, flackerten die Flammen von zwei Talgkerzen. In einem massiven gemauerten Kamin prasselte ein Feuer. Langsam kam er wieder zu Sinnen und fühlte, dass er noch immer seine wollenen Beinlinge und sein gestepptes Wams auf der Haut trug – wer auch immer ihn von dem Strohsack in diese Kammer hineingeschleppt hatte, hatte sich nicht an seinen Kleidern zu schaffen gemacht.

Aus dem Schatten ertönte eine leise Stimme. „Ich habe Ian und Alistair darum gebeten, Euch in die Schlafkammer des Lairds zu tragen.“

Seine Kehle war vollkommen ausgetrocknet, er konnte als Antwort nur röcheln.

„Ihr müsst etwas trinken“, wies ihn die Stimme an.

Er kämpfte gegen den Schmerz in seinem Kopf an und versuchte, in der Richtung, aus der die Stimme kam, etwas zu erkennen. Aus dem Schatten kam eine Frau auf ihn zu. Sie war schlank und trug ein Paar enganliegende Beinlinge und ein Wams aus grünem Samt, das ihr bis auf die Oberschenkel reichte. Glänzende schwarze Locken fielen ihr bis auf die Taille hinab. Als sie ihm leicht zulächelte, erschienen zwei Grübchen in ihren Wangen.

Bruchstücke von Erinnerungen fügten sich wieder zusammen: der Ritt durch die Highlands, seine Ankunft in Kilgarren, wie er im Schwertkampf auf eine Frau getroffen war. „Lady Brenna?“, krächzte er.

„Trinkt.“ Sie kniete sich neben ihn und hob eine Trinkschale aus Steingut an seine Lippen.

Er war noch immer benommen vom Schlaf, doch Olaf legte den Kopf in den Nacken und nahm tiefe Schlucke von dem kühlen Wasser, um seinen Durst zu stillen. Er sah die Frau genau an – die sanften Rundungen ihrer Brüste, die fein geschwungenen Augenbrauen, die rosigen Lippen, die vor Konzentration verzogen waren, während sie versuchte, das Trinkgefäß für ihn still zu halten.

Er schluckte die letzten Tropfen herunter. „Vielen Dank.“

Lady Brenna machte ein paar Schritte von ihm weg. Sie stellte die Trinkschale auf dem Tischchen ab und beugte sich vor, um sich an einigen Gegenständen zu schaffen zu machen, die Olaf aus dieser Entfernung nicht erkennen konnte. Er hörte einen dumpfen Aufprall und dann ein schabendes Geräusch. Wenige Augenblicke später zog Lady Brenna einen niedrigen Schemel aus Fichtenholz hinter sich her neben das Bett. Dann ging sie wieder zu dem Tischchen hinüber und kam mit einem Brett, einer Rolle Pergament und einer Schreibfeder zurück.

Sie hielt ihm das Dokument hin. „Der Ehevertrag.“

Sie hatte ihn gewählt und keinen seiner Rivalen.

Olafs angeschlagener Stolz stabilisierte sich ein wenig, aber seine Gedanken wirbelten noch immer durcheinander, sie rangen miteinander fast wie ein Heer, das einen auf dem Schlachtfeld von allen Seiten her angreift. Sein Geist fühlte sich noch immer dumpf an. Sie musste ihm ein Mittel verabreicht haben. Er hätte wissen müssen, dass er vorsichtig sein musste, als sie ihm den Schlaftrunk gebracht hatte.

Aber er hatte einfach getrunken.

Sein Magen rumorte. Vielleicht musste er dessen Inhalt loswerden. Er verdrängte den Gedanken und kämpfte gegen die Übelkeit an. Er setzte sich auf und schwang die Beine über die Bettkante. Er spürte den eiskalten Boden unter seinen Füßen und war nicht sicher, ob er seine Stiefel selbst ausgezogen hatte, oder ob das jemand anderes getan haben musste, während er bewusstlos war. Hatte etwa seine Braut sie ihm ausgezogen?

Lady Brenna ließ sich auf dem niedrigen Schemel nieder, den sie neben das Bett gestellt hatte. Sie hielt das Brett auf den Knien und zeigte mit der Schreibfeder auf das Pergament. „Euer Name?“

Verwirrt betrachtete Olaf ihr ernstes Gesicht. „Ihr kennt meinen Namen nicht?“

„Ich habe vergessen, danach zu fragen, als Ihr angekommen seid.“

„Hat der König Euch die Heiratsanwärter nicht angekündigt?“

„Nicht alle.“ Lady Brenna wandte den Blick ab. Ihre Stimme war jetzt nur noch ein Flüstern. „Die beiden anderen kannte ich schon.“

„Was ist aus denen geworden?“, fragte Olaf.

„Ich habe sie weggeschickt, während Ihr geschlafen habt.“ Sie richtete ihre Aufmerksamkeit wieder auf das Pergament, das sie auf den Knien hatte. Offenkundig hatte sie nicht vor, weiter über die abgelehnten Kandidaten zu reden. „Euer Name?“, fragte sie noch einmal.

„Olaf Stenholm.“ Er sah ihr dabei zu, wie sie ihn in das Dokument eintrug.

Ihre vollen Lippen waren zu einem konzentrierten Ausdruck verzogen, während sie sorgfältig nacheinander die Buchstaben auf das Blatt schrieb. Ihre langen Wimpern hoben sich als dunkle Halbmonde von ihrer makellosen Haut ab. Sie drehte das Brett mit dem Pergament um und hielt ihm die Schreibfeder hin. „Unterzeichnet hier.“

Er war mit den Gedanken plötzlich wieder bei dem langen Ritt über das vereiste Moor, den Frostbeulen an seinen Fingern, den Unannehmlichkeiten und der Erschöpfung nach der endlosen Reise, während der er seine Rüstung am Körper hatte tragen müssen, weil er sie nicht anders transportieren konnte. Auf seinem Weg hatte er stets gedacht, dass er alles verloren hatte außer seiner Ehre. Jetzt ging ihm auf, dass er außerdem auch überlebt hatte, und jeder Tag, der ihm jetzt noch blieb, war mehr wert, als er je für möglich gehalten hätte.

Er hob eine Hand und machte eine abwehrende Geste, mit der er die Feder zurückwies, die sie ihm hinhielt. Auch wenn er die Wirkung des Schlafmittels noch nicht ganz abschütteln konnte, war seine Stimme scharf und klar. „Ihr hattet die Gelegenheit, mich als Bewerber einzuschätzen. Im Gegenzug möchte ich jetzt Euch und Euer Land genauer einschätzen. Der König hat Euch drei Kandidaten geschickt, aus denen Ihr wählen konntet. Ich will drei Tage, um meine Entscheidung zu treffen.“

Die Feder zerbrach zwischen Lady Brennas Fingern in zwei Teile. „Entscheidung?“

„Allerdings“, sagte er. „Um zu entscheiden, ob ich Euch heiraten möchte.“

Sie zog ihre dunklen Augenbrauen zusammen und sah ihn einen Augenblick lang finster an. Unsicherheit und Verzweiflung lagen in ihrem Blick. „Einen Tag“, sagte sie schließlich. „Ihr habt mir einen Tag gegeben, um mich zu entscheiden. Ihr sollt die gleiche Zeit bekommen. Ich will Eure Entscheidung bis morgen Abend.“

Olaf nickte. „Morgen Abend. So soll es sein. Wir werden den morgigen Tag dafür nutzen, Eure Ländereien zu besichtigen. Wenn es dunkel wird, werde ich entweder die Eheschließung unterschreiben, oder ich mache mich auf den Weg.“

Nachdem er das gesagt hatte, stand er auf. Er machte vorsichtige Schritte, um die verbleibende Wirkung des Schlafmittels abzuschütteln.

Lady Brenna erhob sich ebenfalls und trat neben ihn. „Sicher seid Ihr hungrig. Ich hole Euch Brot und etwas Käse.“

Sie wandte sich zum Gehen, doch Olaf verspürte keinen Appetit. Er hatte ein ungutes Gefühl beim Gedanken daran, etwas von ihr Zubereitetes zu sich zu nehmen, nachdem sie ihn bereits einmal betäubt hatte. Zwar hätte Lady Brenna wohl keinen Vorteil davon, ihn noch vor der Eheschließung zu vergiften, doch ganz sicher konnte er dessen nicht sein. Er folgte ihr lautlos. Sie verschwand die Leiter hinunter, ihr glänzender, lockiger Scheitel war noch immer zu sehen.

„Es ist nicht nötig, dass Ihr mir etwas bringt“, rief er ihr hinterher. „Ich bin nicht hungrig.“

Seufzend zog er sich in die Gästekammer zurück und streckte sich auf dem Strohsack aus. Er hätte in dem großen Bett bequemer schlafen können, aber irgendetwas hielt ihn davon ab – es kam ihm so vor, als ob er die Grenzen einhalten müsste, so lange, bis er sein neues Leben als Herr von Kilgarren beginnen konnte. Er wollte nicht die Nacht im Bett des Lairds verbringen, wenn es ihm nicht von Gesetzes wegen zustand, so wie die Ländereien und die Frau, die dazugehörten.

Als Olaf wieder aufwachte, war der dumpfe Schmerz in seinem Kopf verschwunden. Durch das schmale Fenster drang genug Licht herein, um seine Sachen wiederzufinden.

Er hatte vielleicht seinen Anspruch auf das Vermögen der Stenholms verloren, aber zumindest hatte er noch saubere Kleider. Während er sich umzog, spürte er, wie die eisige Luft, die durch das Fenster hereindrang, ihn belebte und die Müdigkeit vertrieb. Seine Gedanken wurden wieder klar.

Er musste diese Frau heiraten. Natürlich musste er das. Er brauchte ihr Land, egal wie karg es auch sein mochte. Es war reine Taktik, dass er gefordert hatte, den Besitz zunächst anzusehen. Sie sollte ihm die Zeit verschaffen, die er brauchte, um einen Weg zu finden, wie er hier überleben konnte. Er musste verhindern, dass er entweder vergiftet wurde oder vor Hunger sterben musste.

Olaf stieß einen matten Seufzer aus und fuhr sich mit den Händen durch die Haare. Vielleicht war es dumm von ihm, die Todesgefahr auf dem Schlachtfeld gegen die Aussicht einzutauschen, mit jedem Bissen, den er zu sich nahm, sterben zu können, aber er hatte genug von dem Nomadenleben eines fahrenden Ritters. Er stieg in seine hohen Lederstiefel und machte sich auf die Suche nach Lady Brenna.

Ein neuer Gedanke keimte in ihm auf, während er zur Leiter ging. Seine Zukunft wäre einfacher und ganz bestimmt sicherer, wenn er Lady Brenna davon überzeugen konnte, dass ein lebendiger Ehemann ihr nützlicher war als ein toter. Er verzog den Mund zu einem bitteren Lächeln. Er hatte sich noch nie zuvor um die Gunst einer Frau bemühen müssen, es war ihm noch nie notwendig erschienen, aber jetzt gefiel ihm die Herausforderung beinahe.

Die Halle war leer, abgesehen von einer stämmigen Frau, die neben dem großen Eichentisch stand, der den meisten Platz einnahm. Als sie seine Schritte hörte, sah sie von ihrer Arbeit auf und musterte ihn. Im Gegenzug schätzte er sie ab. Sie war um die vierzig, ihre Züge waren grob und ihre Haut wirkte rau. Sie hatte braunes Haar, das sie in einem geflochtenen Zopf um ihren Kopf gelegt hatte. Ihr Kleid war aus Leinen und so oft geflickt worden, dass sie ihn an eine Tagelöhnerin bei der Feldarbeit erinnerte.

„Ich bin Martha, die Haushälterin.“ Sie machte sich wieder daran, Fleischstücke hochzuheben und daran zu riechen, ehe sie sie in den eisernen Kessel fallen ließ, der vor ihr stand.

Olafs Blick fiel auf die hölzernen Schalen, die überall auf dem Tisch standen. Sie waren so sauber ausgekratzt, dass er nicht mehr hätte sagen können, was darin gewesen war, aber in der Luft lag noch eine Andeutung des Dufts von warmem Getreide, gemischt mit dem scharfen Geruch von Qualm, der das ganze Haus durchdrang. Ihm lief das Wasser im Mund zusammen. Sein Magen knurrte laut.

Martha sah auf. „Porridge“, sagte sie. „Es ist nichts mehr übrig.“ Sie zuckte die Achseln, als ob sie sich dafür entschuldigen wolle. „Lady Brenna ist unten bei den Tieren“, fuhr sie fort. „Sie hat uns befohlen, nicht mit Euch zu reden, ehe wir wissen, ob Ihr hierbleiben wollt oder nicht. Nur damit Ihr nicht überrascht seid, wenn die Männer Euch nicht beachten.“

Unbehagen keimte in Olaf auf, aber die Anweisung schien ihm auch vernünftig. Er überlegte fieberhaft, was er Sinnvolles dazu sagen könnte. „Es muss schwer für Lady Brenna sein, den Besitz ganz allein zu verwalten, nachdem ihr Vater und ihr Bruder gestorben sind.“

„Sie hat ihn auch schon verwaltet, als sie noch am Leben waren.“ Martha hob den schweren Kessel hoch und ging zum Feuer hinüber. Die abweisende Haltung ihrer Schultern schien anzudeuten, dass die Unterhaltung jetzt beendet war.

Olaf ließ sie gewähren und machte sich auf den Weg hinunter zu den Tieren. Er hatte nur einen Tag, um diese widerspenstige Braut für sich zu gewinnen und er wollte keine weitere Zeit mehr verschwenden.

Die Hufe des Pferdes schlugen hart auf den gefrorenen Boden. Lady Brenna lehnte sich mit dem Rücken an den Ritter, der hinter ihr saß. Ihre Körper schaukelten einträchtig, den linken Arm hatte er um ihre Taille gelegt und sie hatten sich zusammen in einen groben Wollumhang eingewickelt. Zuerst hatte sie sich vor dieser Nähe gefürchtet, aber als sie sich jetzt an ihn schmiegte, fühlte sie sich, umhüllt von seiner Wärme, sicher und geborgen.

Sie fühlte seine Brust wie eine harte Wand hinter sich, die Muskeln in seinen Beinen spannte sich jedes Mal an, wenn er dem Pferd ein Kommando gab. Sein Duft – nach Leder und Männlichkeit und Metall – erfüllte jeden Atemzug, den sie machte. Auch ohne ihn anzusehen hatte sie seine hochmütigen Gesichtszüge, seine grünen Augen und sein blondes Haar vor Augen, bei dieser Vorstellung kribbelte ihre Haut und ihr Herz klopfte wie verrückt.

Er legte den Arm enger um sie und zog sie näher an sich. „Erzählt mir etwas von Eurer Familie.“

Brenna erhob die Stimme, damit er sie bei dem böigen Wind hören konnte. „Meine Mutter war Französin. Sie ist zurück nach Frankreich gegangen, als ich sechs war. Dort ist sie einem Orden beigetreten und hat den Nonnen bei der Krankenpflege geholfen. Nach ein paar Jahren hieß es, sie sei an einem Fieber gestorben.“

„Und Euer Vater?“, fragte der Ritter. „Woran ist er gestorben?“

Brenna zögerte. Schmerz durchfuhr sie wie ein Blitzschlag, wenn sie daran dachte, wie ihr Vater an der Einsamkeit ohne seine Frau zerbrochen war. Wie ein Geist war er umhergeirrt, verloren zwischen den Welten. Sie hatten versucht, seinen Zustand geheimzuhalten, und sie würde seine Ehre jetzt nicht verraten, indem sie die Wahrheit sagte – dass er sich entschlossen hatte, sich in den Tod zu stürzen.

„Mein Vater ist vor fünf Jahren bei einem Erdrutsch ums Leben gekommen.“ Brenna stieß einen tiefen Seufzer aus. Wie oft musste sie wohl noch lügen, bis sie mit ihrer Besichtigung von Kilgarren fertig waren? „Er ist zu nah an eine Klippe am Meer herangeritten, dann hat der Boden unter ihm nachgegeben und ihn und sein Pferd hinuntergezogen.“

„Und Euer Bruder?“

„Er ist im April gestorben. In seinen Eingeweiden ist irgendetwas geplatzt.“

Eine Welle der Bitterkeit schlug über Brenna zusammen. Cedric war jahrelang krank gewesen, aber er hatte die Wahrheit immer vor allen verborgen. Er hatte dicke Kleider getragen, damit niemand die Wucherung sehen konnte, die seinen Leib anschwellen ließ wie bei einer Schwangeren, und er hatte immer so getan, als ob er zu faul wäre und lieber am Feuer döste, anstatt sich um seine Pflichten als Laird von Kilgarren zu kümmern.

Wenn der König erfahren hätte, dass Cedric kaum mehr als eine lebendige Leiche war, dann hätte er Brenna sofort dazu gezwungen, Erskine zu heiraten. Ihr Bruder hatte darum gekämpft, so lange wie möglich am Leben zu bleiben, damit sie genug Zeit hatte, den König dazu zu überreden, dass er ihr zumindest die Wahl zwischen mehreren Männern ließ. Sie hatte hilflos und voller Trauer dabei zugesehen, wie die Schmerzen in Cedrics Körper immer schlimmer wurden, aber die zwei Jahre, die er in ständigen Qualen verbracht hatte, hatten sie stark genug gemacht, um den Besitz allein zu bewirtschaften.

„Es heißt, dass Ihr froh wart, als Euer Bruder starb.“

Brenna zuckte zusammen. Sie war in ihren schmerzlichen Erinnerungen gefangen gewesen und hatte ganz vergessen, dass der Ritter mit seiner Befragung noch nicht fertig war. „Das stimmt“, gab sie zu und erschrak, weil sie die Wahrheit gesagt hatte. „Als das Ende endlich kam, war es eine Erleichterung, denn niemand sollte erdulden müssen, was Cedric in seinen letzten Monaten durchgemacht hatte.“

Der Ritter sprach leise und drückte seine Lippen dabei so nah an ihr Ohr, dass sie seinen warmen Atem auf ihrer Haut spüren konnte. „Ich habe nicht die Absicht zu sterben.“

Ein Schauer überlief Brenna. Seine Worte schienen eine Warnung zu enthalten, eine Warnung, die sie nicht ganz verstand. Olaf Stenholms ganzes Gebahren schien ihr ein wenig bedrohlich zu sein und doch fürchtete sie sich nicht, sondern war von einer merkwürdigen Sehnsucht erfüllt.

Wie es wohl wäre, einen starken, belastbaren Mann an ihrer Seite zu haben? Ihre Lasten mit einem Ehemann zu teilen, der ihr Verbündeter war und nicht ihr Feind? Wie es wohl wäre, sich nicht ständig über die Zukunft Sorgen machen zu müssen, sich nicht jedes Mal zu erschrecken, wenn ein Reiter mit lautem Hufgetrappel nach Kilgarren kam, weil sie befürchten musste, dass er ihr alles wegnehmen wollte?

Sie lehnte sich an die breite Brust von Olaf Stenholm. Die Wärme, die von ihm ausging, durchströmte sie und weckte weibliche Empfindungen in ihr, die sie ihr Leben lang verdrängt hatte. Schluss damit, wies Brenna sich selbst zurecht. Lass dich nicht auf alberne Träumereien ein, die zu nichts führen. Wie kannst du dir wünschen, dich auf jemand anderen verlassen zu können, nachdem du dein ganzes Leben lang nur für dich selbst verantwortlich gewesen bist?

Aber die Hoffnung blieb.

3. KAPITEL

O laf lehnte seinen Kopf an den Felsvorsprung, hinter dem sie Schutz vor dem eisigen Wind gesucht hatten, und sah Lady Brenna dabei zu, wie sie zwei Laibe Brot und zwei Ecken Käse aus einem Leintuch auswickelte, das sie in einem Lederbeutel über der Schulter getragen hatte.

Seine Aufmerksamkeit wurde plötzlich von der Landschaft um sie herum gefangen genommen.

Sie mochten sich in einer gottverlassenen Einöde befinden, aber es gab hier eindeutig Entwicklungsmöglichkeiten.

An einigen Stellen wuchs genug Gras, damit dort Milchvieh grasen konnte. Aus dem Unterholz waren unter lautem Gezeter ganze Schwärme von Moorhühnern aufgeflogen, als sie vorbeigeritten waren. Es gab Torf zum Heizen und dort, wo der Boden mit Schnee bedeckt war, hatte er Spuren von Hasen, Hirschen und Füchsen gesehen.

Lady Brenna hatte ihm berichtet, dass ein Feuer im Herbst die Höfe außerhalb der Burgmauern verwüstet hatte. Deshalb hatten die Dorfbewohner nichts anderes mehr als die Unterstände, die er bei seiner Ankunft gesehen hatte. Es war hier also nicht immer so trostlos gewesen. Mit Geschick und Geduld konnte man alles wieder aufbauen und zu einer starken Kraft in der Gegend machen.

„Ich fürchte, das ist ein eher karges Mittagessen“, sagte Lady Brenna, als sie ihm ein Stück Brot und Käse reichte. Sie waren doppelt so groß wie die Stücke, die sie für sich selbst behalten hatte. Und sie sahen sich so wenig ähnlich, dass man sie nicht verwechseln konnte, falls eins von ihnen einen ungewöhnlichen Zusatz enthielt.

Olaf versuchte, sich den Hunger nicht anmerken zu lassen, der in seinem Inneren rumorte. Er stieß sich mit den Schultern von den Felsen ab und machte einen Schritt auf Lady Brenna zu, die er weit überragte. Er kam ihr absichtlich nahe, weil er an ihrer Reaktion zu erkennen versuchte, ob sie etwas im Schilde führte.

„Ihr habt mir die viel größeren Stücke gegeben“, stellte er fest.

„Ihr seid mein Gast. Und Ihr hattet kein Frühstück. Und … “, sie wich nicht zurück und zuckte vorsichtig und unruhig mit den Schultern, „und schließlich seid Ihr ein Mann. Männer haben immer mehr Appetit als Frauen.“

Aufmerksam betrachtete er ihr Gesicht und ihre gerunzelte Stirn. Ihre Wangen waren rosig vom Wind. Ihre dunklen Augen glänzten vor Stolz über die Ländereien, die sie ihm gezeigt hatte und die ihr gehörten. Ihre energisch geschwungenen Brauen und ihr entschlossen gerecktes Kinn verliehen ihr etwas Kühnes, das vielleicht auf verborgene Leidenschaften hindeutete.

„Was wisst darüber, was Männer wollen?“, fragte Olaf leise.

„Mehr als mir lieb ist“, antwortete Lady Brenna steif.

Erschrocken zog Olaf sich zurück, um sie nicht zu sehr zu bedrängen. Er hatte Thor für ihre Besichtigung gesattelt und ihr gesagt, dass sie vom Pferderücken aus mehr zu sehen bekämen als zu Fuß. Den ganzen Morgen lang waren seine Nerven angespannt gewesen, weil sie ihm so nah war. Er hatte seine ganze Willenskraft aufgeboten, damit er nicht mit den Händen ihre schlanken Kurven nachzeichnete und jetzt war er froh darüber. Ihre Stimme hatte bitter geklungen, so als ob sie Männer verabscheute, die versuchten, sich zu nehmen, was ihnen nicht zustand.

Und Lady Brenna stand ihm nicht zu. Noch nicht.

Er zog einen Dolch aus seinem Gürtel und schnitt eine dünne Scheibe von dem Käse ab. „Wir werden uns jeden Bissen teilen“, stellte er fest. Er spießte das Stück mit der Spitze seines Dolchs auf und hob es an ihren Mund. „Nehmt die eine Hälfte.“

Erstaunt sah sie zu ihm auf, aber sie gehorchte. Sie öffnete den Mund und schob den Kopf vor. Langsam schlossen sich ihre vollen Lippen um das Stück Käse. Genauso langsam richtete sie den Kopf wieder auf, kaute und schluckte, ängstlich wie ein in die Falle geratenes Tier.

Nahrung. Endlich. Olaf schlang seinen Anteil herunter, schnitt noch ein Stück ab und hielt es Lady Brenna hin. Er konnte nicht widerstehen, die Spitze des Dolchs ein wenig zu weit von ihr weg zu halten, sodass sie ihre Lippen spitzen musste. Sie erreichte jeden einzelnen Bissen mit ihrem weichen und rosigen Mund.

Olaf war nicht mehr kalt. In seinem Inneren brodelte eine Hitze, die in wilden Wellen durch seinen Körper strömte. Lady Brennas Blick aus Augen, dunkel wie der Nachthimmel, trafen auf den seinen. Sie war errötet. Ihre Lippen bebten und dann, als ob die Spannung in diesem Augenblick zu viel für sie wäre, schloss sie die Lider und zerstörte den Zauber zwisc...

Autor

Tatiana March
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