Skandal um die begehrenswerte Miss Darby

– oder –

Im Abonnement bestellen
 

Rückgabe möglich

Bis zu 14 Tage

Sicherheit

durch SSL-/TLS-Verschlüsselung

Nichol Bain, Sohn eines schottischen Barons, gilt in der adligen Gesellschaft als Experte für brisante Fälle. So auch, als Miss Maura Darby rasch verheiratet werden soll, um ihrer Cousine keine Konkurrenz zu machen. Natürlich weiß Nichol einen passenden Gentleman! Doch während er die ebenso begehrenswerte wie aufsässige Miss Darby durch die unwegsamen Highlands zu ihrem zukünftigen Gatten begleitet, hat der Charmeur im Schottenrock selbst ein Problem: Die Schönheit mit dem rabenschwarzen Haar will von ihm in die Kunst der Liebe eingeweiht werden! Er verzehrt sich nach ihr - aber wie kann er sie danach einem anderen Mann zur Frau geben?


  • Erscheinungstag 06.10.2020
  • Bandnummer 358
  • ISBN / Artikelnummer 9783733749255
  • Seitenanzahl 264
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Stirling, Schottland

1758

Calum Garbett bekam sein Glück einfach nicht zu fassen. Immer wenn er glaubte, es wäre zum Greifen nah, stürzten sich seine Frau und seine Tochter im letzten Augenblick auf ihn, um jede Hoffnung zu zerstören.

Die Szene, die sich jetzt gerade im Salon abspielte, war der Schlag, der allem die Krone aufsetzte. Er konnte gleichsam spüren, wie ihm all seine harte Arbeit durch die Finger rann. Er durfte gar nicht an das Geld und die Zeit denken, die er darauf verwendet hatte, Carrons Eisenhütte zum Leben zu erwecken. Es war eine Herkulesaufgabe gewesen, ein gutes Verhältnis zu Thomas Cadell aufzubauen, einem Engländer, der selbst eine ertragreiche Eisenhütte besaß und der den Schotten die neuesten Techniken beibringen konnte. Techniken, mit denen sich sowohl Zeit als auch Geld einsparen ließ, sodass Calum dann mehr schottische Männer einstellen konnte.

Er hatte alles dafür getan, um zu einem der wichtigsten Industriellen von ganz Schottland aufzusteigen. Wenn es nicht so gewesen wäre, hätte er doch jetzt wohl kaum neben dem Duke of Montrose gesessen, der vorhatte, sein eigenes Geld und seinen Einfluss in das Unternehmen zu investieren.

Ja, Calum hatte die Hand seiner Tochter zu einem Teil des Geschäfts gemacht, aber damit hatte er ihr im Grunde genommen einen Gefallen getan, denn ihre Aussichten auf eine gute Ehe waren ansonsten nicht gerade blendend. Wenn er ehrlich war, musste er zugeben, dass seine Tochter nicht besonders attraktiv war. Und wenn junge, kraftstrotzende Männer im heiratsfähigen Alter eine mögliche Partnerin vorgestellt bekamen, bei deren Anblick sie zusammenzuckten, wenn sie sich ausmalten, das Bett mit ihr zu teilen, zogen sie sich in der Regel völlig zurück.

Nun ja, er hatte trotzdem jemanden für seine Tochter Sorcha gefunden, doch jetzt war sie dabei alles zu ruinieren. Ihre Mutter stand ihr dabei entschlossen zur Seite, und das alles nur, weil sich der junge Gockel, den sie heiraten sollte, in die weit hübschere und wesentlich unerreichbarere Maura Darby verguckt hatte, Calums Mündel.

Calum hatte Maura vor zwölf Jahren unter seine Fittiche genommen, nachdem ihr Vater, sein ältester Freund, gestorben war. Das Mädchen war ganz allein auf der Welt, und Darby hatte an Calums Großzügigkeit und seinen Sinn für Anstand appelliert. Calum hatte nichts dagegen gehabt, sie aufzunehmen, vor allem weil das Mädchen eine ansehnliche Geldsumme mitgebracht hatte und ihre Anwesenheit ihn eigentlich nicht betraf.

Dabei hatte er jedoch überhaupt nicht damit gerechnet, wie beleidigt seine Tochter Sorcha deswegen sein würde, von seiner Frau ganz zu schweigen. Sie war vom Augenblick ihrer Ankunft an sehr gegen das Mädchen gewesen.

Über die Jahre hatte sich die Ablehnung nur noch verschlimmert. Als die Mädchen zu Frauen heranwuchsen, stellte sich heraus, dass die arme Sorcha trotz aller Bemühungen von Calums Frau zu einem Leben mit Knollennase und schief stehenden Augen verdammt war, während aus Maura eine Frau mit hübschem pechschwarzem Haar und Augen so blau wie der Winterhimmel wurde. Je anziehender Maura wurde, desto mehr versuchte seine Frau, sie aus dem Weg zu räumen. Sorcha war zufälligerweise die Erste gewesen, die ein Heiratsangebot erhalten hatte – mit tatkräftiger Hilfe von Mrs. Garbett, die dafür alles in ihrer Macht Stehende getan hatte – außer Maura tatsächlich einzusperren.

Das Mädchen hatte das alles einigermaßen gut verkraftet und beklagte sich nie. Wahrscheinlich hatte sie sich daran gewöhnt, abgelegte Kleider zu tragen und alles was ihr gehörte an Sorcha abzutreten – ein Kätzchen, als sie dreizehn gewesen war, einen Muff ein paar Jahre später und dann auch noch ein Schultertuch, das sie von einer Freundin zu ihrem zwanzigsten Geburtstag bekommen hatte. Und das waren nur die Dinge, von denen Calum wusste.

Doch was sich in den letzten vierzehn Tagen unter seinem Dach abgespielt hatte, hatte aus Sorcha eine vollkommen unverschämte kleine Hexe gemacht. Calum war überzeugt davon, dass sie mitten in einer verfluchten Katastrophe steckten.

Soweit er bis jetzt wusste, war eine Kammerzofe Zeugin eines Kusses zwischen Maura und Mr. Adam Cadell, dem Verlobten seiner Tochter, geworden. Da sie wusste, dass dies eine unverzeihliche Kränkung für ihre Herrin sein musste, war die Zofe zur Haushälterin gelaufen, die wiederum Calums Frau aufgesucht hatte, und die war anschließend laut klagend die Treppe hinunter und ins Arbeitszimmer gekommen, wo Calum und Adams Vater, Thomas Cadell, gerade im Beisein des Duke of Montrose ihren Vertrag endgültig unterschreiben wollten.

Mrs. Garbett wurde dicht gefolgt von der heulenden Sorcha, deren Schluchzen ihre Nase unglücklicherweise noch größer erscheinen ließ. Hinter ihr betrat die Mutter des Jungen Mannes, Mrs. Cadell, den Raum, die lauthals leugnete, dass ihr Sohn sich irgendetwas hatte zuschulden kommen lassen. Als Letzter kam sehr kleinlaut Adam Cadell herein, der darauf bestand, dass die ältere Frau, Maura, die gerade vierundzwanzig geworden war, sich ihm an den Hals geworfen und er nicht gewusst hatte, was er tun sollte.

Der verdammte schamlose Gockel wollte ihnen allen Ernstes einreden, dass er nur ein kleiner Junge war, den man überrumpelt hatte.

Schnell wurde im Salon ein Strafgericht aus drei verwirrten Männern gebildet – Calum, Thomas Cadell und dem Duke. Calum verlangte, dass die Zofe gerufen wurde, um zu bezeugen, was sie beobachtet hatte. Die Angeklagte, Maura, wurde ebenfalls herbeigezerrt und verschränkte trotzig die Arme vor der Brust. Ihre hübschen blauen Augen funkelten vor Widerwillen, als sie sie alle ansah.

„Ich hab gesehen, dass Miss Darby an der Wand gestanden hat und Mr. Cadell sie geküsst hat“, sagte die Zofe und hielt dabei den Blick fest auf den Boden unter ihren Füßen gerichtet.

„Ich weiß genau, dass es andersherum war“, sagte Adam hoffnungsvoll.

Calum sah Maura an. „Miss Darby?“

„Es war genau so, wie Hannah gesagt hat, Sir, aye.“

Das klang für Calum nicht danach, als ob sie sich Adam an den Hals geworfen hätte, nicht wenn sie mit dem Rücken an der Wand gestanden hatte. Aber sie hatte den Kuss zugegeben, und er wusste nicht genau, was er jetzt tun sollte. „Also gut“, sagte er unsicher. „Alle müssen mir versprechen, dass sich so etwas nicht wiederholt.“

„Mr. Garbett!“, kreischte seine Frau wie außer sich. „Willst du die Ehre deiner Tochter nicht verteidigen?“

Du lieber Gott, schlug sie etwa vor, dass Calum den jungen Mann fordern sollte? Sich auf Leben und Tod mit ihm in der Einfahrt duellieren? Er wollte sich den Skandal nicht einmal vorstellen, ganz zu schweigen von den Schwierigkeiten und der Unordnung, die sich unweigerlich daraus ergeben würden.

„Papa!“ Sorcha kreischte in derselben Tonlage wie ihre Mutter. „Ich heirate den nicht! Ich hasse ihn! Ich hasse Maura! Warum hast du sie überhaupt hergeholt?“

Calum spürte die ungebremste Katastrophe als Druck auf seiner Brust. Außerdem juckte ihm der Kopf unter der Perücke, und er hätte gern einen Stock oder so etwas Ähnliches gehabt, um sich damit zu kratzen und verdammt noch mal nachdenken zu können. Wenn es keine Heirat gab, dann gab es auch keinen Vertrag. Seine Eisenhütte, die das Zeug dazu hatte, das wirtschaftliche Juwel von ganz Schottland zu werden, würde den Bach hinuntergehen. Langsam erhob er sich. „Lass uns nichts überstürzen, Liebes.“

„Überstürzen?“, rief Sorcha. „Das ist schon das zweite Mal, dass sie meinen Verlobten geküsst hat!“

Ach ja, richtig. Beim ersten Mal hatte Maura gesagt, dass der Bengel ihr draußen im Garten aufgelauert hätte, wo niemand sie sehen konnte, um sie zu küssen. Wie erwartet hatte der Junge alles geleugnet. Die beiden Familien hatten ihm geglaubt.

„Ich habe ihn überhaupt nicht geküsst“, sagte Maura, und dabei war ihre Stimme erstaunlich ruhig in der überreizten Stimmung, die sie umgab. „Er hat mich auf dem Gang überrascht und mich dann geküsst, Sir.“ Sie sah den jungen Dummkopf an. „Bitte sagen Sie die Wahrheit, Mr. Cadell.“

„Wie können Sie es wagen!“, rief Mrs. Cadell. „Das steht Ihnen nicht zu!“ Aber dann drehte sie sich um und versetzte ihrem Sohn mit der flachen Hand einen so heftigen Schlag auf den Hinterkopf, dass er ein paar Schritte vorwärtsstolperte.

„Sie ist eine Verführerin, wirklich!“, sagte Adam aufgebracht. Er sah sich um. Wahrscheinlich hoffte er auf einen mitfühlenden Blick, aber diese Hoffnung war vergeblich.

„Ich will sie hier nicht, aye, Papa? Ich will sie nirgendwo in meiner Nähe haben!“, sagte Sorcha mit Nachdruck.

Calum wechselte einen Blick mit Thomas, der genauso verwirrt aussah wie Calum sich fühlte. Calum wusste wirklich nicht, was er mit Maura machen sollte. Er konnte sie ja nicht in eine Truhe stecken und auf dem Dachboden verstauen.

„Calum!“, sagte seine Frau. „Du musst sie wegschicken!“

„Aye, schon gut, schon gut, ich habe ja verstanden, dass eure Gefühle verletzt sind“, sagte er scharf und versuchte nachzudenken. Sein Cousin? Er hatte David Rumpkin seit Jahren nicht gesehen. Er lebte auf dem Landsitz, der ehemals seinem Vater gehört hatte, in der Nähe von Aberuthven. Er war ein alter Scharlatan, der sich noch nie auf ehrliche Weise seinen Lebensunterhalt verdient hatte, aber Calum konnte sich vorstellen, dass er Maura gegen Entgelt aufnehmen würde, bis Gras über dieses ganze Debakel gewachsen war.

Er sah Maura an, die seinen Blick ruhig erwiderte, beinahe so, als ob sie ihn herausfordern wollte, es zu wagen, diesem verdorbenen Jüngling zu glauben und sie wegzuschicken. Beim Anblick ihres eiskalten Blicks rann ihm ein kleiner Schauer über den Rücken. „Ich schicke sie fürs Erste zu meinem Cousin, aye?“, sagte er mit dem Blick auf Maura gerichtet. „Nach Aberuthven. Ein schönes Anwesen direkt an einem Loch. Das klingt doch gut, findest du nicht, Maura?“

Sie zuckte nicht einmal. Sie sagte kein Wort. Aber die Ungerechtigkeit, mit der sie behandelt wurde, prallte von ihr ab und verbrannte sie alle.

„Sie wegschicken mit allen Privilegien, die sie unseretwegen all die Jahre über gehabt hat?“, fragte seine Frau wütend. „Sie hat das Glück meiner Tochter zerstört, und dafür muss sie die Güte zurückzahlen, die wir ihr haben zuteilwerden lassen.“

„Allerdings“, meldete sich Mrs. Cadell schnaubend zu Wort. „Sie sollte dafür büßen, dass sie mit ihrer Verworfenheit einen unschuldigen jungen Mann verunglimpft hat.“

Von wegen unschuldig. „Was schlagen Sie denn vor, Madam?“, fragte Calum seine Frau. „Ein Pfund von ihrem Fleisch? Sie hat nämlich keinen einzigen Heller an Vermögen.“ Wenn man es genau nahm, dann hatte sie das schon, aber er hatte nicht vor, ihren Unterhalt so einfach herzugeben.

„Sie hat eine Halskette“, sagte seine Frau.

Maura stöhnte erschrocken. „Nein“, sagte sie.

„Nein?“, wiederholte Calums Frau, und ihr Blick verfinsterte sich vor Zorn. „Ich darf gar nicht an all die Kleider und Schuhe und Mahlzeiten denken, die du bekommen hast!“

„Die Kleider und Schuhe haben zuerst Sorcha gehört, oder nicht?“, wandte Calum ein, aber niemand hörte ihm zu.

„Diese Halskette ist schon seit Jahren in meiner Familie, aye?“, flehte Maura. „Es ist alles, was ich noch von ihr habe.“

„Dann kannst du ja Gott dafür danken, weil du damit deine erheblichen Schulden begleichen kannst.“

„Nun reicht es aber“, sagte Calum mit fester Stimme.

„Wie bitte, Calum?“, fragte seine Frau scharf.

Es hatte keinen Sinn. Seine Frau war fuchsteufelswild, Sorcha hatte immer noch Tränen in den Augen, und Mrs. Cadell war gerade dabei, ihren Mann dazu zu überreden, nach England zurückzukehren. Und all das geschah unter den Augen des Duke of Montrose, der vollkommen gelassen und ruhig geblieben war.

Was dachte der jetzt bloß von ihnen? Dass sie eine Horde von Trampeln waren, das dachte er. Calum war so erschüttert von diesem Schauspiel, dass er alles getan hätte, um es zu beenden, und wenn er seine Frau ansah, wusste er, dass es nicht zu Ende sein würde, ehe sie ihre Genugtuung bekommen hatte. „Holen Sie bitte die Halskette, aye?“, sagte er zu der Zofe.

„Nein“, rief Maura wütend. „Die gebe ich nicht her!“

Doch Hannah war bereits aus dem Raum gewieselt, um sie zu holen.

Calum war nicht wohl in seiner Haut, als er wieder zu Maura Darby hinüberblickte. Es war offensichtlich, wie schmerzhaft das alles für sie war; zum allerersten Mal, seitdem die Schwierigkeiten mit Adam Cadell angefangen hatten, standen ihr Tränen der Hilflosigkeit in den blauen Augen.

„Es tut mir weh, das zu sagen, Mädchen, aber du musst deine Sachen packen. Es ist am besten, wenn du dich bis zur Hochzeit nicht mehr hier sehen lässt, aye?“

„Die Hochzeit wird nicht stattfinden“, verkündete Sorcha unter Tränen und schob Adam aus dem Weg, als sie ihrer roten Nase nach den Raum verließ.

Langsam stieß Maura sich von der Wand ab. Der Blick, den sie Calum beim Hinausgehen zuwarf, hätte mit Sicherheit jeden Mann in Angst und Schrecken versetzt.

„Den Heiligen sei Dank“, sagte Mrs. Cadell, nachdem sie verschwunden war. „Sie sollten eine solche Frau nicht unter Ihrem Dach beherbergen, wenn ich mir die Bemerkung erlauben darf, Mr. Garbett. Sie ist eine Verführerin.“

Der feige Adam nickte.

Calum hätte nichts lieber getan als Maura zu verteidigen, aber das Risiko war viel zu groß. Wenn die Hochzeit vorbei war, würde er sich darum kümmern. Dann wollte er bei ihr alles wiedergutmachen, und sie würde ihn verstehen.

Maura verließ noch am selben Nachmittag das Haus.

Unglücklicherweise ließ sich der Bruch zwischen den Cadells und den Garbetts nicht so einfach loswerden, denn Sorcha und ihre Mutter wiesen jedes auch noch so vernünftige Argument und jede Entschuldigung strikt zurück.

Zwei Tage später trafen sich Thomas Cadell und Calum Garbett noch einmal mit dem Duke of Montrose, um ihn auf den neuesten Stand zu bringen, was ihre gemeinsame Unternehmung anging. Keiner von beiden wusste, was nun zu tun war. „Meine Frau macht mich einen Kopf kürzer, wenn ich mich darauf einlasse“, sagte Thomas.

„Meine Frau kastriert mich, wenn ich es tue“, fügte Calum betrübt hinzu.

Der Duke of Montrose, der sich die detailreichen Schilderungen ihres schweren Schicksals unangenehm wortkarg angehört hatte, sagte endlich: „Vielleicht gibt es noch eine Möglichkeit, die Sache zu retten, aye? Ich kenne einen Mann, der sehr geschickt bei der Lösung von Problemen ist.“

Calum und Thomas sahen ihn überaus interessiert an. „Einen Mann? Was für einen Mann?“

„Nichol Bain“, sagte der Duke. „Seine Geschicklichkeit in solchen Dingen ist unübertroffen.“ Er ergriff eine Feder, tauchte sie in die Tinte und schrieb einen Namen und eine Adresse auf. Das Blatt schob er Calum zu. „Seine Vorgehensweise ist vielleicht nicht immer angenehm, aber das Ergebnis wird Ihnen gefallen. Sie sollten sich sofort mit ihm in Verbindung setzen, wenn Sie Ihre Eisenhütte bauen wollen, Sir.“

Calum schickte noch am selben Abend einen Boten zu Nichol Bain in Norwood Park in England.

2. KAPITEL

Mr. Nichol Bain hoffte, dass sein neuester Auftrag endlich einmal wieder eine Herausforderung für ihn darstellen würde. Ein Rätsel, dessen Lösung einen scharfen Verstand und Taktgefühl erforderte. Eine Situation mit weitreichenden Konsequenzen, so wie die Probleme, die er vor einigen Jahren im Auftrag des Duke of Montrose gelöst hatte. Der Duke hatte Gerüchten zufolge seine Frau ermordet, während er gerade für einen Sitz im Oberhaus vorgeschlagen werden sollte. Das war einmal eine knifflige Angelegenheit mit echter Substanz gewesen.

Er wäre sogar mit einem Problem zufrieden gewesen, wie dem, welches er für den sanftmütigen Dunnan Cockburn gelöst hatte. Er war der Alleinerbe einer schottischen Leinweberfamilie und war irgendwie in einen Glücksspielring hineingeraten. In der Folge hatte er Schwierigkeiten mit Londoner Geldverleihern bekommen. Dunnans Grundbesitz unterlag dem Erbrecht, sodass er ihn nicht einfach verkaufen konnte, wenn er wollte, weil er an nachfolgende Generationen weitergegeben werden musste. Er hatte seinen ganzen Einfallsreichtum gebraucht, um einen Anwalt aufzutreiben, der sich in der komplizierten Geschichte des Erbes zurechtfinden und ein kleines Stückchen von Dunnans Land herauspicken konnte, das ihm erlaubt war zu verkaufen, um seine letzten Schulden zu bezahlen. Dabei war es um die astronomische Summe von dreitausend Pfund gegangen.

Dann hatte er nicht unerhebliches Fingerspitzengefühl gebraucht, um eine Vereinbarung zwischen dem naiven Dunnan und ein paar sehr zwielichtigen Londoner Gestalten zu erzielen.

Das Problem, das Mr. Garbett und Mr. Cadell ihm geschildert hatten, war jedoch etwas ganz anderes. Er war aus England auf das Anwesen von Garbett in der Nähe von Stirling geholt worden, um einen Streit zwischen jungen Liebenden beizulegen. Nichols Meinung nach hätte das Problem längst von den Erwachsenen gelöst werden müssen. Unglücklicherweise handelten selbst vernünftige Leute manchmal nach leidenschaftlichem Gefühl und nicht nach den Gesetzen der Vernunft. Mr. Garbett und Mr. Cadell brauchten seine Hilfe nicht – sie mussten Abstand vom Aufruhr und von ihren Frauen gewinnen und nachdenken.

Nichol hatte ihre Schwäche ausgenutzt und eine ansehnliche Vergütung dafür ausgehandelt, dass er sich des Kinderkrams der beiden Eisenbarone annahm. Er betrachtete diese Arbeit als Zerstreuung, einen kleinen Spaß. Eine Übung, mit der das Räderwerk seines Geistes gut geölt blieb, bis er sich um seinen nächsten Auftrag kümmerte, bei dem es um einen wohlhabenden Händler aus Wales und ein verschollenes Schiff ging.

Nichol traf sich als Erstes mit Miss Sorcha Garbett, die seiner Meinung nach genauso unreif wie unansehnlich war. Er bat sie darum, ihm zu erklären, wie es zum Bruch der Verlobung gekommen war. Hoffentlich ohne Tränen.

Miss Garbett berichtete ihm eifrig, was sich abgespielt hatte, und ließ sich eine halbe Stunde lang darüber aus, wie unfair sie von einer gewissen Miss Maura Darby behandelt worden war, die sozusagen aus dem Haus der Garbetts verbannt worden war, und die ihr, wenn man Miss Garbett glauben durfte, schon seit Jahren das Leben schwer gemacht hatte. Während der gesamten halben Stunde erwähnte Miss Garbett ihren Verlobten nur am Rande. Sie stellte ihn als eher unkultivierten Gentleman dar, der die Gerissenheit einer Frau nicht durchschaute. Bei Miss Darby hingegen lagen die Dinge ganz anders.

„Das Mündel Ihres Vaters scheint eine gefährliche Zauberin zu sein“, schlussfolgerte er mehr zu seinem eigenen Vergnügen.

„So zauberhaft ist sie nicht“, widersprach Miss Garbett schnaubend. „Sie ist nicht so schlau, wie sie denkt, und außerdem ist sie auch keine wirkliche Schönheit.“

Miss Darbys Aussehen war bis jetzt überhaupt gar kein Thema gewesen. „Ich verstehe“, sagte Nichol, und wie er verstand. „Wenn ich fragen darf, Miss Garbett – lieben Sie Mr. Cadell?“

Sie drückte sich ein Taschentuch an ihre auffallende Nase und zuckte kläglich mit den Schultern.

Bain verschränkte die Hände hinter dem Rücken und tat so, als würde er eine Porzellanfigur betrachten. „Liegt Ihnen denn etwas daran, Herrin eines vornehmen Hauses zu werden?“

Sie sah ihn mit zusammengekniffenen Augen an.

„Ich habe in England das Haus der Cadells gesehen und kann ohne Zweifel sagen, dass es vornehmer ist als der Kensington Palast.“

Sie ließ das Taschentuch sinken und riss die Augen auf. „Vornehmer als ein Palast?“

„Aye.“

Sie biss sich auf die Lippen und senkte den Blick auf ihren Schoß. „Aber er liebt Maura.“

„Nein“, sagte Nichol. Genau hier lag seine Stärke. Er hockte sich neben das Mädchen, nahm ihre Hand in seine und sagte ernsthaft und vorsichtig: „Er liebt Miss Darby nicht.“

„Wie können Sie da so sicher sein?“, fragte sie mit tränenerstickter Stimme.

„Weil ich ein Mann bin, aye? Ich weiß, wie Männer denken, wenn sie von ihrer Begierde getrieben werden.“ Er sah, wie sich auf ihren Wangen die Röte ausbreitete. „Er hat nicht an den Rest seines Lebens gedacht, das dürfen Sie mir glauben. Wenn er an Sie denkt, dann denkt er an Gemeinsamkeiten und die vielen glücklichen Jahre der absoluten ehelichen Treue, die vor ihm liegen.“

Vielleicht ist das zu dick aufgetragen, dachte er beiläufig.

Miss Garbett schniefte noch einmal. „Ich könnte ihm vielleicht noch eine Chance geben, aye? Aber Maura bekommt von mir keine Chance mehr! Niemals! Sie brauchen mich nicht einmal darum zu bitten.“

„Das würde ich auch nie tun“, versicherte er ihr.

„Aber das werden Sie“, sagte sie unter Tränen. „Weil mein Vater sie sehr gernhat. Mehr als mich.“

„Das ist überhaupt gar nicht möglich“, sagte Nichol tröstend. „Sie müssen mir glauben, Miss Garbett – Ihrem Vater liegt wesentlich mehr an seiner Eisenhütte als an Miss Darby. Und Sie liebt er ohnehin viel mehr.“

Sie setzte sich aufrecht hin und sah mit einem erschöpften Seufzen aus dem Fenster. „Ist das Haus der Cadells in England wirklich so groß wie ein Palast?“

Problem gelöst. Nichol stand auf. „Größer. Achtzehn Schornsteine insgesamt.“

„Achtzehn“, murmelte sie.

Anschließend ging Nichol hinüber in das kleine Arbeitszimmer, um mit Mr. Adam Cadell zu sprechen. Er war zwar schon zwanzig Jahre alt, aber noch nicht richtig in seine schlaksigen Arme und Beine hineingewachsen. Er sah Nichol ängstlich an.

„Also dann“, sagte Nichol und trat zum Barschrank, um sich ein Glas Portwein einzuschenken. Dem Jungen schenkte er auch eins ein. „Sie haben sich ja in einen verdammten Schlamassel hineinmanövriert, nicht wahr?“

Der junge Mann sah den Portwein zögernd an, nahm ihn aber und stürzte ihn mit völlig übertriebener Entschlossenheit herunter. „Ja“, sagte er heiser.

„Lieben Sie denn Miss Darby?“

Der Junge wurde rot. Er schluckte schwer. „Natürlich nicht.“

Natürlich doch. Nichol nippte gelassen an seinem Portwein und fragte dann: „Wie hoch ist eigentlich die Mitgift für Miss Garbett?“

„Warum?“, fragte der junge Mann, und als Nichol ihm nicht antwortete, fummelte er verlegen am Saum seiner Weste herum. „Ziemlich hoch“, sagte er in einem Tonfall, der beinahe so klang, als ob man ihm gerade befohlen hätte, darauf zu verzichten.

„Genug für ein Haus in der Stadt?“

„In London?“

„Aye, London, wenn Sie wollen. Edinburgh. Dublin.“ Er zuckte mit den Schultern.

Mr. Cadell runzelte verwirrt die Stirn. „Was hat das denn mit der Hochzeit zu tun?“

„Ich würde sagen, das ist offensichtlich.“

Der Junge sah ihn verständnislos an. Für ihn war nichts offensichtlich, abgesehen von seiner rasenden Lüsternheit.

„Wenn Sie ein Haus in einer dieser Städte bauen oder kaufen würden… Sie würden zweifellos viele hübsche Debütantinnen kennenlernen, die unbedingt mit Ihrer Frau befreundet sein wollen, aye?“

Adam Cadell ließ Nichol nicht aus den Augen.

„Ganze Scharen“, fügte Nichol mit Nachdruck hinzu.

Der junge Mann sank auf ein Sofa und verschränkte die Hände im Schoß. Nichol hatte seine ungeteilte Aufmerksamkeit. „Das verstehe ich nicht.“

Nichol stellte das Portweinglas ab. „Was ich damit sagen will, Mr. Cadell, ist, dass Sie Ihren Erben zeugen und dann Ihr eigenes Leben leben können. Sie bekommt das Kind, das sie sich wünscht, das Haus, das sie gern hätte, alle Kleider, die sie will, und Sie bekommen …“ Er zeichnete eine Schleife mit der Hand. „Gesellschaft, aye? Sie retten das Geschäft, das für Ihren Vater so wichtig ist, und dann sind alle wieder glücklich.“

„Ah“, sagte Adam Cadell und nickte zögernd. Seine Augen fingen an zu leuchten. Doch dann verschwand der Glanz sofort wieder. „Aber Sorcha will mich doch gar nicht mehr. Nicht solange das Mündel da ist.“

Also war Miss Darby jetzt nur noch das Mündel, ja? „Sie ist im Augenblick nicht hier“, stellte Nichol fest.

„Nein, aber sie kommt wieder zurück. Mr. Garbett hat sie ziemlich gern, das können Sie mir glauben. Er schickt sie nicht für immer weg. Sie wird wieder Teil seiner Familie sein.“

Nichol dachte darüber nach. „Wenn das Mündel einen Platz fände – einen, mit dem Mr. Garbett zufrieden ist natürlich, aber einen, der sie auf absehbare Zeit von diesem Haus fernhalten würde – könnten Sie sich dann vorstellen, sich angemessen bei Ihrer Verlobten zu entschuldigen?“

„Ja“, sagte der junge Mann mit einem begeisterten Nicken. „Natürlich. Miss Darby wäre vollkommen vergessen.“

„Dann überlassen Sie alles Weitere mir“, sagte Nichol und reichte ihm die Hand.

Mr. Cadell nahm sie mit einem Griff wie dem eines kleinen Kindes und schüttelte sie schwach. „Vielen Dank, Mr. Bain.“

Nichol ging auf, dass dies die Lösung für zwei Probleme gleichzeitig war. Wahrscheinlich war das die einfachste Aufgabe, die er seit fünfzehn Jahren zu bewältigen gehabt hatte.

Er verließ das Haus der Garbetts mit federnden Schritten und kehrte in das Gasthaus in Stirling zurück, wo er untergekommen war. Dort setzte er einen Brief an Dunnan Cockburn auf, seinen ehemaligen Klienten, den Nichol als eine Art Freund betrachtete. Nichol hatte nicht viele Freunde. Erstens blieb er nie lange am selben Ort. Zweitens hatte er sich schon in jungen Jahren angewöhnt, seine Gedanken für sich zu behalten, sodass man sie nicht gegen ihn verwenden konnte. Und drittens hatte er erkannt, dass Freundschaften darauf beruhten, dass man seine Gefühle miteinander teilte. Er hingegen redete nie über seine, und daher hatte er nur wenige Freunde.

Wahrscheinlich konnte man Lord Norwood zu seinen Freunden zählen. Er war dem Earl im Laufe seiner Arbeit für den Duke of Montrose begegnet. Norwood war der Onkel der frischgebackenen Lady Montrose, und wie Nichol die Angelegenheiten von ihr und Montrose geregelt hatte, hatte Norwood entweder beeindruckt oder amüsiert. Was auch immer der Grund war, er hatte engen Kontakt zu Nichol gehalten und schien seine Gesellschaft zu genießen, auch wenn er Nichol häufig losschickte, um einflussreichen Freunden zu helfen.

Dunnan zählte Nichol vor allem zu seinen Freunden, weil sie so viel Zeit miteinander verbracht hatten. Dunnan wollte es allen recht machen und hatte Sinn für Humor, trotz seiner erheblichen Schwierigkeiten. Er bewohnte zusammen mit seiner Mutter ein weitläufiges Anwesen, und während er sich um seine Glücksspielprobleme gekümmert hatte, waren er und Nichol sich einig geworden, dass er weniger in Versuchung geraten würde, so weiterzumachen wie bisher, wenn er eine anständige Frau hätte, die ihn tröstete, ihm raten konnte und alles in allem ein Auge auf ihn hatte.

„Sie suchen sich eine Frau, ja?“, hatte Nichol gefragt, als er Dunnan das letzte Mal getroffen hatte.

„Oh, ganz bestimmt, ganz bestimmt“, hatte Dunnan ihm versichert. „Das steht ganz oben auf meiner Liste von Dingen, die dringend getan werden müssen.“

Leider hatte Dunnan nach allem was man hörte noch keinen Erfolg gehabt. Also schien es sich hier um die perfekte Lösung für alle Beteiligten zu handeln – Dunnan brauchte eine Frau. Die Verführerin brauchte einen Platz auf der Welt, wo sie den jungen Liebenden nicht mehr gefährlich werden konnte, aber einen, mit dem Mr. Garbett zufrieden sein konnte. Miss Darby wäre gut versorgt und würde, zumindest ging Nichol davon aus, von ihrem Ehemann in Ehren gehalten. Vergöttert. Mit Zuneigung überschüttet. Dunnan schien ganz versessen darauf zu sein, eine Frau zu finden.

Nichol gab seinen Brief auf und verbrachte die nächsten beiden Tage, während derer er auf eine Antwort wartete, mit einer hübschen jungen Hure, die Kratzspuren auf seinem Rücken hinterließ.

Dunnans Antwort war voller Begeisterung. Ja. Wenn Sie sich für sie aussprechen, Mr. Bain, dann begreife ich mich als Begünstigter eines sehr gütigen Schicksals und empfange sie mit offenen Armen und Herzen in meinem Haus.

Genau diese Reaktion hatte Nichol von einem Mann erwartet, der sich für so alltägliche Dinge begeistern konnte wie perfekt geröstetes Toastbrot. In diesem Fall hätte er gedacht, dass Dunnan ein wenig umsichtiger sein würde, weil er das Mädchen ja noch nicht einmal gesehen hatte und eine Ehe gewöhnlich für ein ganzes Leben geschlossen wurde. Aber das war nicht das Problem, das er aus der Welt zu schaffen hatte. Sein Auftrag lautete, das Problem mit dem Mündel zu lösen, und er war sehr zufrieden damit, wie er diese Aufgabe bewältigt hatte.

Es war alles sogar so gut verlaufen, dass Nichol sich überlegte, ob er seinen Bruder besuchen sollte, den er seit Jahren nicht gesehen hatte. Die Distanz zwischen ihnen, sowohl räumlich als auch seelisch, war in der letzten Zeit bedrückend für Nichol geworden. Er hatte eine Schwäche für Ivan. Sein Bruder wohnte auf dem Familiensitz, nicht weit von Stirling – oder hatte das zumindest getan, als sie einander das letzte Mal geschrieben hatten. Leider waren Nichols Briefe in den letzten Jahren unbeantwortet geblieben, und die Boten waren nicht vorgelassen worden.

Nichol war sich nicht sicher, was der Grund dafür war, aber er war völlig sicher, dass er das nie erfahren würde, wenn er seinen Bruder nicht selbst aufsuchte. Ivan würde sich erschrecken, denn es war schon über zwölf Jahre her, dass Nichol ihr ehemals gemeinsames Zuhause verlassen hatte. Das war jedoch eine ganz andere Angelegenheit, eine, für die es keine einfache Lösung gab. Aber Nichol wollte wissen, was mit Ivan passiert war.

Vielleicht war es jetzt an der Zeit, ihn zu besuchen. Vielleicht hatte sich genau deshalb alles so entwickelt.

Aber zuerst das Geschäftliche. Nichol verabschiedete sich von der Hure, heuerte einen Jungen als Knecht an und ritt dann los, um Mr. Garbett und Mr. Cadell seinen Plan zu erläutern, wie sich die Kluft zwischen den Familien ein für alle Mal überwinden ließ.

Wie erhofft wurde sein Plan von allen Beteiligten erfreut zur Kenntnis genommen, abgesehen von Mrs. Garbett, deren Rachedurst offensichtlich keine Grenzen kannte. Sie war der Überzeugung, dass Miss Darby das Privileg nicht zustand, sich gut zu verheiraten, aber nachdem man ihr klargemacht hatte, dass das Mündel ihres Mannes andernfalls in ihren Haushalt zurückkehren würde, hatte sie zögerlich zugestimmt.

Ende der Woche wurden Nichol und Gavin, sein Knecht, für eine mehrtägige Reise ausgestattet und machten sich auf den Weg zu einem Anwesen in der Nähe von Aberuthven, um Miss Darby abzuholen.

Am Nachmittag des folgenden Tages hatten sie ihr Ziel beinahe erreicht. Zarte Schneeflocken schwebten vom Himmel herab. Sie waren im schwachen Licht der Sonne, die durch die Wolken schaute, kaum zu erkennen. Der Junge saß fröstelnd im Sattel, obwohl Nichol ihm schon seine Decke zugeworfen hatte, damit er sie sich über die Jacke legen konnte. „Bist du noch da, Gavin?“, rief er über die Schulter hinweg.

„Aye, Sir.“

„Wir haben es bald geschafft“, versicherte er ihm, als sie das kleine Dorf Aberuthven verließen, um der Wegbeschreibung zum Anwesen der Rumpkins zu folgen, die sie von Garbett erhalten hatten. Eine halbe Stunde später waren sie angekommen.

Nichol hatte ein Haus erwartet, das mit dem der Garbetts mithalten konnte, und war unangenehm überrascht, als er ein viel kleineres Haus vor sich sah. Bei diesem konnte man kaum von einem Herrenhaus sprechen, und außerdem war es dringend renovierungsbedürftig. Es hatte auf einer Seite einen einzelnen, efeubewachsenen Turm, und das dazugehörige Haus hatte die Form einer Schachtel. Es sah aus, als hätte der Baumeister angefangen, eine Burg zu bauen, und sich auf halbem Wege stattdessen für ein kleineres Haus entschieden.

Nur aus einem der vier Schornsteine stieg eine dünne Rauchfahne auf, und Nichol sah, dass wenigstens vier Fensterscheiben gesprungen und durch Holzplatten ersetzt worden waren. Er und Gavin saßen von ihren Pferden ab und starrten das Haus an. Niemand kam, um sie zu begrüßen. Nicht einmal ein Hund.

Gavin sah Nichol erwartungsvoll an.

„Aye“, beantwortete Nichol die unausgesprochene Frage des Jungen. „Mal sehen, ob sich jemand blicken lässt.“ Er übergab Gavin die Zügel seines Pferdes und wies mit einem Kopfnicken auf ein weiteres heruntergekommenes Gebäude, das ein Stall oder eine Scheune sein mochte. „Gib den Pferden Wasser und Futter. In der Tasche ist noch Essen für dich, aye? Iss etwas. Wärm dich auf. Wir reiten wieder zurück, sobald wir hier fertig sind.“

Gavin trottete auf das stallartige Gebäude zu und führte die beiden Pferde hinter sich her.

Nichol zog seinen Mantel um sich zusammen und sah wieder zum Haus. Er betrachtete die gelblichen Kräuter, die unter den verdunkelten Fenstern wuchsen. War das Haus verlassen? Das wäre eine unangenehme Wendung für seine Pläne. Er verzog das Gesicht und ging auf die Tür zu.

Er betätigte dreimal den Türklopfer aus Messing, aber ohne Erfolg. Er war schon so gut wie überzeugt, dass das Haus tatsächlich verlassen war, als er hörte, wie jemand auf der anderen Seite der Tür hantierte. Kurz darauf wurde die Tür plötzlich aufgerissen. Ein Mann mit einer Lampe in der Hand sah Nichol misstrauisch an. Er trug ein Nachthemd, das mit Essensresten bekleckert war, und darüber einen Morgenmantel. Der Mann war fettleibig und stand breitbeinig vor ihm, offenbar um Balance bemüht. Er war nicht rasiert, und sein langes, wirres Haar stand ihm vom Kopf ab und fiel ihm bis auf die Schultern. Sogar aus den Ohren wuchsen ihm Haare.

Nichol gab sich Mühe, sein Erstaunen zu verbergen – es war beinahe zwei Uhr am Nachmittag, und der Mann sah aus, als hätte man ihn mitten in der Nacht aus dem Bett geholt.

„Sind Sie wegen des Mädchens hier?“, fragte er mürrisch.

Nichol hätte nicht sagen können, wie er darauf gekommen war. „Aye, das bin ich.“

Der Mann hielt zuerst die Hand auf. „Zuerst das Geld.“

Diah, es sah ganz so aus, als ob Garbetts Cousin ein Rüpel wäre. „Darf ich vielleicht hereinkommen? Es ist ziemlich kalt.“

Der Mann brummte. Er machte einen Schritt zurück und verneigte sich mit geheuchelter Ehrerbietung, als Nichol an ihm vorbei in eine Eingangshalle trat, die vollgestopft war mit Umhängen und Stiefeln und erstaunlicherweise Stapeln von Torfsoden.

Der Mann schloss die Tür und schlurfte in einen Raum, der direkt hinter der Halle lag.

Nichol folgte ihm, aber er hatte ein bisschen das Gefühl, als würde er auf eigene Gefahr dort hineingehen. Der Raum, ein Speisezimmer, war widerwärtig. Es stank nach verdorbenen Lebensmitteln und Hundekot, was beides, wie Nichol feststellte, als er den Blick senkte, auf dem Fußboden verteilt war. Essensreste waren um den Tisch herum in Schüsseln stehen gelassen worden, wo sie vergammelten und selbst in der Kälte noch die Fliegen anzogen. Vor dem Kamin lagen zwei Hunde. Einer von beiden, ein langbeiniges, schlaksiges Tier, erhob sich widerwillig und kam herüber, um Nichol zu beschnüffeln, ehe es sich wieder auf seinen Platz vor dem Kamin legte.

Nichol sah sich um und fragte: „Ist Ihre Haushälterin gestorben, Mr. Rumpkin?“

„Amüsant“, sagte der Mann. „Hat mein Cousin Sie hergeschickt, um mich zu unterhalten oder um mich dafür zu entschädigen, dass ich das schwachsinnige Mädchen bei mir aufgenommen habe?“ Er streckte wieder die Hand aus.

Nichol holte den Geldbeutel aus seiner Manteltasche und drückte ihn in Mr. Rumpkins ausgestreckte Hand. Mr. Rumpkin stellte daraufhin die Lampe ab, öffnete die Börse und kippte die Münzen auf den Tisch. Er zählte sie schnell und biss in eine, um sicherzugehen, dass sie aus Gold war. Als er überzeugt war, zeigte er auf die Treppe am anderen Ende der Halle. „Sie ist da oben, müssen Sie wissen. Hat sich verbarrikadiert.“

Daraus konnte Nichol ihr kaum einen Vorwurf machen. „Seit wann?“

„Zwei Tage“, sagte er mürrisch. Da Nichol vor Überraschung nicht antwortete, sah Rumpkin ihn von der Seite an. „Gucken Sie mich nicht so an! Ich hab ihr was zu Essen raufbringen lassen, aber sie hat nichts angerührt.“

Wahrscheinlich hatte sie Angst, sich mit der Pest anzustecken. Nichol konnte es kaum glauben, dass Mr. Calum Garbett sein Mündel ausgerechnet in die Hölle geschickt hatte. Sein Gewissen verlangte, dass er das Mädchen so schnell wie möglich hier herausholte. „Welches Zimmer?“

„Im Turm“, sagte Rumpkin verärgert und sank schwer auf einen der Stühle, die am Tisch standen. Er nahm einen Löffel in die Hand und aß was auch immer in einer Schüssel vor ihm stand.

Nichol musste sich abwenden, um nicht zu würgen. Er ging hinaus in die Eingangshalle, stieg über eine Torfsode und lief dann die Treppe hinauf. Auf dem Treppenabsatz hielt er inne. Links von ihm gab es nur eine einzige Tür. Vor der Tür stand ein Tablett mit Essen, das mit einem Tuch zugedeckt war.

Er ging zur Tür und klopfte energisch. „Miss Darby, bitte öffnen Sie die Tür. Ich bin Mr. Nichol Bain und im Namen Ihres Gönners hier, Mr. Garbett.“

Es vergingen einige Augenblicke, ehe er hörte, wie sich im Zimmer etwas bewegte. Er wartete darauf, dass die Tür geöffnet wurde, und sah sich dabei auf dem düsteren Flur um, um vielleicht die Quelle des Gestanks hier oben auszumachen. Erschrocken hörte er auf der anderen Seite der Tür etwas, das sich anhörte, als ob Glas zu Bruch gegangen wäre. Hatte das Mädchen gerade etwas gegen die Tür geworfen?

Nichol stemmte die Hände in die Hüften und betrachtete nachdenklich die Tür. Er machte einen Schritt darauf zu und klopfte noch einmal, dieses Mal ein wenig leiser. „Miss Darby… Mädchen. Mr. Garbett hat einen Vorschlag für Sie, den Sie sich mit Sicherheit anhören möchten. Er möchte, dass Sie dieses … Haus verlassen, und zwar so bald wie möglich, aye? Bitte öffnen Sie die Tür.“

Stille.

Er stützte die Hände links und rechts neben der Tür ab. Damit, dass er sie zur Abreise überreden musste, hatte er nicht gerechnet. Er hätte gedacht, dass sie aus ihrem Zimmer gehüpft käme, mit gepackten Koffern und voller Dankbarkeit, dass sie endlich fliehen konnte. „Ich versichere Ihnen, das was ich Ihnen zu sagen habe, ist besser als alles, was Sie hier zu erwarten haben.“

Er hörte, wie etwas Schweres über den Boden scharrte. Offensichtlich schob sie etwas, das klang wie ein schweres Möbelstück, vor die Tür.

„Ich hab Sie gewarnt, nicht wahr?“, hörte er die Stimme des Mannes hinter sich. Nichol spähte über die Schulter. Mr. Rumpkin war mit der Flasche in einer Hand die Treppe heraufgekommen. Die Flasche setzte er an den Mund und trank einen großen Schluck, ehe er sagte: „Verdammte Wilde, die da drinnen.“

Nichol wandte sich wieder der Tür zu und beschloss, es mit Strenge zu versuchen. „Es ist gut jetzt, Miss Darby, aye? Ihrem Gönner liegt viel daran, dass es Ihnen gut geht, und was er Ihnen vorzuschlagen hat, wird bestimmt zufriedenstellend für Sie sein. Aber Sie müssen die Tür öffnen, wenn Sie erfahren wollen, um was es sich handelt.“

Stille.

Nichol spürte, wie er langsam die Geduld verlor, und er verlor niemals die Geduld. Er versuchte, die Tür zu öffnen, aber sie war wie erwartet verriegelt. Er knallte seine Hand dagegen, eine für ihn ganz ungewöhnliche Geste der Unbeherrschtheit. „Miss Darby, ich muss darauf bestehen, dass Sie sofort herauskommen!“, sagte er gebieterisch.

Er vernahm ein Geräusch und presste das Ohr an die Tür. Bildete er sich das nur ein oder hatte er ein leises Lachen auf der anderen Seite der Tür gehört?

Auf jeden Fall hörte er ein verhaltenes Lachen hinter sich.

Seine Geduld ließ Nichol vollends im Stich. Er war stolz darauf, dass er normalerweise vollkommen ruhig bleiben konnte, wenn andere weder ein noch aus wussten – diese Fähigkeit war die Voraussetzung für die Art von Tätigkeit, die er ausübte. Aber das alles hier ärgerte ihn. Er spürte, wie sein Herzschlag sich beschleunigte und ihm warm am Hals wurde. So konnte eine junge Frau nicht mit ihm umspringen, die nichts vorzuweisen hatte, und der niemand anderer helfen konnte außer ihm. Er würde ihr schlechtes Benehmen nicht dulden, bei allem was er für sie zu tun gedachte. Er kehrte der Tür den Rücken zu.

Mr. Rumpkin stand immer noch da und trank immer noch. Er wischte sich den Mund am Ärmel ab und sagte: „Wie ich gesagt hab.“

Nichol drängte sich an ihm vorbei und stieg mit langen Schritten die Treppe hinab.

In den vielen Jahren, die er mit der Lösung von Problemen verbracht hatte, hatte er auch gelernt, dass es immer einen anderen Weg gab, wenn einem einer verbaut war. Man musste ihn nur finden.

Und wie er ihn finden würde.

3. KAPITEL

Maura stemmte sich mit beiden Händen gegen die Tür und beugte sich vor, um das Ohr an das grobe Holz zu pressen. Sie hörte, wie Schritte sich entfernten.

Als sie verklungen waren, stieß sie sich von der Tür ab und lächelte grimmig in sich hinein. Wie konnte Mr. Garbett es wagen, jemanden zu schicken, um sie abzuholen? Wie konnte er es wagen, nicht persönlich zu kommen und sich bei ihr zu entschuldigen? Glaubte er wirklich, dass sie einfach so einem Fremden aus diesem Höllenloch heraus folgen würde? Brav mitgehen würde nach allem, was passiert war? Nicht ohne Entschuldigung, mit Sicherheit nicht, und sie war fest entschlossen, dieses Zimmer nicht wieder zu verlassen, bis sie sie bekommen hatte.

Noch fester war sie jedoch entschlossen, diesen furchtbaren Ort zu verlassen, sobald sie herausgefunden hatte, wie. Sie würde keine Nacht länger als nötig unter Mr. David Rumpkins Dach verbringen.

Oh, wie sie diesen Mann verabscheute! Anfangs hatte sie beschlossen, das Beste aus ihrer Lage zu machen, und obwohl sie ihre Umgebung kaum ertragen konnte, hatte sie versucht, freundlich und entgegenkommend zu sein. Genau wie sie es getan hatte, als die Garbetts sie aufgenommen hatten.

Auf seinem Sterbebett hatte ihr Vater gesagt, dass sie immer gütig und der Familie dankbar sein sollte, die sie aufnehmen würde, dass sie so hilfsbereit sein sollte, wie sie nur konnte. Er hatte sie daran erinnert, dass sie keine eigene Stellung in dieser Welt hatte und dass ihr Schicksal vom Wohlwollen eines Mannes abhing, der nicht ihr Vater war. Maura hatte sich nach Kräften bemüht, alle Empfehlungen ihres Vaters zu befolgen, aber sie war nicht mit ihnen verwandt, und Mrs. Garbett hatte sie vom ersten Augenblick an gehasst. Mr. Garbett hatte sich meistens nicht viel um sie gekümmert, er hatte sie aber von Zeit zu Zeit verteidigt. Doch Maura hatte immer geglaubt, dass Mr. Garbett sie mochte. Jetzt war sie davon überzeugt, dass sie ihm genau das war, wie er sich ihr die meiste Zeit gegenüber verhalten hatte: gleichgültig.

Nach den Erfahrungen, die sie in Stirling gemacht hatte, hätte sie vielleicht wissen müssen, dass dankbar und entgegenkommend zu sein sie hier auch nicht weiterbringen würde. Rumpkin hatte sich beinahe sofort als unmögliches, nachlässiges Ungeheuer erwiesen. Er hatte keinen Respekt vor ihr oder dem unglückseligen Mädchen aus Aberuthven, das ihm seine Eintöpfe kochte.

Aber das hätte sie vielleicht noch aushalten können. Sie hatte sogar überlegt, ob sie ihm zuliebe im Haus ein wenig Ordnung schaffen sollte, weil sie sich kaum irgendwo hinsetzen mochte. Aber nachdem Rumpkin sie betrunken begrapscht hatte, hatte sie sich in diesem Zimmer verschanzt. Es hatte sie vollkommen unvorbereitet getroffen – er war von hinten an sie herangetreten und hatte ihr eine Hand auf den Hintern gelegt, die andere auf ihre Brust und seinen schmierigen Mund an ihren Hals.

Wenn sie daran dachte, schauderte sie.

Maura hatte in diesem Augenblick eine Kraft in sich entdeckt, von der sie gar nicht gewusst hatte, dass sie sie besaß. Sie hatte diesen Berg von einem Mann mit aller Macht von sich geschubst, und er war rückwärts gestolpert und in seinen Sessel gefallen. „Sei doch nicht so widerspenstig“, hatte er gelallt, und noch während er versuchte, sich aus seinem Sitz hochzuhieven, war sie in ihr Zimmer gerannt, hatte die Tür verriegelt und zur Sicherheit noch den Schreibtisch davorgeschoben.

Am nächsten Tag musste sie den Schreibtisch wieder wegschieben, um das bisschen Essen entgegenzunehmen, das das Mädchen ihr gebracht und vor die Tür gestellt hatte. Sie hatte das Brot gegessen, den klebrigen Eintopf aber nicht angerührt.

Ach ja richtig, das hatte sie beinahe vergessen – sie war ganz ausgehungert.

Maura wandte der Tür den Rücken zu und sah sich in ihrem Gefängnis um. Sie hatte einen kleinen Stapel Bücher, um sich die Zeit zu vertreiben, aber die hatte sie bald ausgelesen. Sie hatte das Feuerholz beinahe aufgebraucht, ihre Kleider mussten gewaschen werden, und sie verlor langsam jegliche Würde. Die Kleider, die sie an dem Abend getragen hatte, als er sie begrapscht hatte, lagen auf dem Boden, und da würden sie auch bleiben, sofern sie sie nicht verbrennen musste, um sich zu wärmen. Sie hatte sich seit Tagen nicht die Mühe gemacht, sich zu frisieren oder ein Kleid über ihren Reifrock und den Stecker zu ziehen.

Sie ließ sich auf die Polsterbank fallen, die am Fußende des Bettes stand, und starrte übellaunig zur Decke hinauf, von der die Farbe abblätterte. Sie konnte hier nicht mehr lange überleben. Gestern Abend hatte sie sich einen ausgeklügelten Plan zurechtgelegt, wie sie bis zum Frühling durchhalten konnte, wenn es wieder wärmer wurde. Wenn Mr. Rumpkin, seine Flasche umklammernd fest eingeschlafen war, würde sie dieses Haus einfach verlassen. Aber dann war sie missmutig geworden, weil es bis zum Frühling noch so lange hin war, und sie in der Zwischenzeit den ganzen Winter überstehen musste.

Sie brauchte einen anderen, einen besseren Plan.

Sie hatte nur ein paar Münzen, Schuhe, die zu nichts anderem gut waren als zum Tanzen oder für einen Spaziergang in einem gepflegten Garten, ein anständiges Kleid und ein brauchbares Kleid. Das dritte Kleid, das sie bei ihrer Abreise aus Stirling hatte mitnehmen dürfen, lag zusammengeknüllt auf dem Boden.

Während sie dort lag und nachdachte, hörte sie ein Geräusch, das nach dem Vorbeihuschen einer Ratte geklungen hätte, wenn es nicht von draußen vor dem Fenster gekommen wäre. Sie setzte sich langsam auf und starrte das Fenster an. Das konnte doch nicht sein. Das würde er doch nicht tun, dieser Mr. Nichol Bain! Maura sprang von der Bank auf und stürmte zum Fenster. Sie öffnete es gerade so weit, dass sie hinausblicken konnte.

Sie konnte nichts weiter sehen als dichtes kastanienbraunes Haar, während der Mann die dicken Ranken hinaufkletterte, die den Turm bedeckten.

Verdammter Schurke. Mr. Garbett musste ihn gut dafür bezahlt haben, sie in irgendeine andere Hölle mitzunehmen. Sie schloss das Fenster und verriegelte es. Wenn er geglaubt hatte, dass sie ihm aufmachen würde, war er ein Narr. Sie ging zurück zur Bank und legte sich hin. Sie stellte einen nackten Fuß auf den muffigen Teppich und schlang sich einen Arm um den Körper. So wartete sie auf den unausweichlichen Moment, in dem er ans Fenster klopfte und verlangte, dass sie ihn hereinließ. Hoffentlich fiel er auf seinen Hintern. Hoffentlich taten ihm die Finger so weh, dass ihm die Augen tränten.

Sie hatte nicht damit gerechnet, dass er mit der Faust die Glasscheibe zerschlagen würde, aber genau das tat er, sodass ein Scherbenregen auf das Fensterbrett niederging. Mit derselben Faust griff er durch das Loch nach dem Riegel und stieß das Fenster auf. Maura war so erschrocken, dass sie sich nicht bewegen konnte, und sah entgeistert zu, wie Mr. Nichol Bain hereingeklettert kam. Er blieb kurz stehen, klopfte seine Kleider ab, fuhr sich mit der Hand durchs Haar und bedachte sie dann mit einem Blick, der keinen Zweifel daran ließ, wie sehr es ihn beunruhigte, dass er auf diese Weise hereinkommen musste.

Keiner von beiden sagte ein Wort. Maura hätte nicht sagen können, was sie mehr verwirrte – sein unverschämtes Eindringen oder sein gutes Aussehen. Seine Augen waren hellgrün, sein Haar hatte die Farbe von Herbstlaub. Er war groß gewachsen und hatte breite Schultern, die von einem Wintermantel betont wurden, der eng an seiner schmalen Taille anlag. Er war wahrscheinlich der bestaussehende Mann, der ihr je unter die Augen gekommen war.

Der Blick, mit dem er sie musterte, wie sie dalag – sie konnte sich noch immer nicht rühren – war zornig. „Feasgar math“, sagte er mit tiefem Timbre in der Stimme.

Er hatte ihr gerade auf Gälisch einen guten Tag gewünscht. Maura starrte ihn an. Kam er etwa aus den Highlands?

„Jetzt verstehe ich, warum Adam Cadell den Verstand verloren hat“, sagte er und verneigte sich galant.

Bei der Liebe zu Schottland! Männer waren verkommen, einer wie der andere. Wer auch immer dieser Mann war und was auch immer er wollte, das war Maura egal. Sie war schon in Stirling weit über den Punkt hinaus gewesen, sich um irgendetwas zu scheren, und war unversöhnlich wütend auf die Welt und alle Menschen um sie herum. Sie wollte nicht an den verfluchten Feigling Adam Cadell erinnert werden. Sie seufzte ungeduldig, warf sich den Arm vor die Augen und versuchte, den Fremden mit der Kraft ihrer Gedanken aus dem Zimmer zu vertreiben.

Er verließ das Zimmer jedoch nicht. Nein, er ging hin und her und sah sich um. Als er wieder das Wort ergriff, stellte sie fest, dass er den ganzen Raum durchquert hatte und vor dem anderen Fenster stand. „Erlauben Sie mir, mich noch einmal vorzustellen, aye?“, sagte er kühl. „Mein Name ist Nichol Bain.“

Es war ihr völlig gleich, wie sein Name lautete. Glaubte Mr. Garbett vielleicht, dass sie an diesem Punkt noch irgendwem über den Weg traute?

„Ich verstehe ja, dass Sie misstrauisch sind.“

Misstrauisch? Aye, Sir, misstrauisch und wütend. In ihr tobte die reine, ungebrochene Wut. Sie hatte keine Lust, darüber zu reden, was sie war oder dachte, und murmelte in sich hinein: „Sortez maintenant, imbécile“, damit der Dummkopf endlich das Zimmer verließ.

Es entstand eine lange Pause, ehe er sagte: „Pas avant que vous n’écoutiez ce que j’ai à dire.“

Nicht bevor Sie sich angehört haben, was ich zu sagen habe. Maura ließ überrascht den Arm sinken und drehte den Kopf, um ihn anzusehen.

Er hatte sich ein paar Meter von ihr entfernt hingehockt und beobachtete sie aufmerksam wie ein Habicht. Sein Blick war scharf und konzentriert, sein Körper fast wie erstarrt.

Maura stützte sich auf die Ellenbogen und sah ihn mit schmalen Augen an. Also gut, er konnte also Französisch sprechen. Er hielt sich für klug, das konnte sie in seinem Blick sehen. „Mir ist es gleich, was Sie zu sagen haben“, sagte sie auf Deutsch.

Sie lächelte ihn schnippisch an und dankte im Stillen ihrem verstorbenen Vater dafür, dass er darauf bestanden hatte, sie auch Fremdsprachen lernen zu lassen.

Mr. Bains Lächeln war vielsagend und beinahe anzüglich. „Aye, jetzt haben Sie mich erwischt, Mädchen. Mein Deutsch ist nicht so gut, aber dennoch … Wollen Sie mit mir fortgehen?“ Die letzten Worte hatte er auf Deutsch gesagt.

Sie schnappte nach Luft. Dieser Mann, wer auch immer er war, war ein Respekt einflößender Gegner. Sie richtete sich auf, stellte beide Füße auf den Boden und umklammerte rechts und links der Knie die Bank, auf der sie gelegen hatte. Sie sah ihn ganz genau an, versuchte ihn einzuschätzen, ehe sie seine Frage beantwortete: „Aye, ich will weg von hier“, sagte sie, „aber nicht mit Ihnen.“

Mr. Bain erhob sich, verschränkte die Hände hinter dem Rücken und sagte gelassen: „Im Augenblick scheint mir das Ihre einzige Wahl zu sein.“

„Das ist nicht meine einzige Wahl. Ich könnte aus dem Fenster springen, das sie mir so großzügig geöffnet haben, aye?“

Er zuckte mit den Schultern. „Wenn Sie aus dem Fenster springen wollten, hätten Sie das wohl am selben Tag getan, an dem Sie sich hier in diesem Zimmer verbarrikadiert haben.“

Also gut, er war ein aufmerksamer Beobachter. Dafür sollten ihn alle Frauen als Helden verehren – Schaut euch das an, Mädchen, ihr alle, ein aufmerksamer Gentleman! Kommt schnell, so etwas bekommt ihr nicht so bald wieder zu sehen!

Maura stand auf. Sie war mindestens einen Kopf kleiner als er; er musste den Blick senken. Und als er das tat, blickte er zuerst schamlos auf ihren Busen, ehe er ihr in die Augen sah.

Sie musterte ihn aufgebracht. „Was wollen Sie eigentlich von mir?“

„Ich will Sie vor allem aus diesem … Haus mitnehmen.“

Sie verschränkte die Arme vor dem Körper. „Und dann? Wo wollen Sie mich dann hinbringen? Zu Mr. Garbett? Oder habe ich das Vergnügen, noch einen anderen Cousin von ihm besuchen zu dürfen?“

Sein Blick blieb an ihren Lippen hängen. Maura überlegte, ob sie ihm gegen das Schienbein treten sollte. „Nach Luncarty“, sagte er.

„Luncarty? Was zum Teufel ist Luncarty?“

„Ein kleines Dorf und ein Herrenhaus. Außerdem ist es eine gute Gelegenheit.“

Sie lachte ihn aus. Eine gute Gelegenheit! Für wie naiv hielt er sie eigentlich? „Ist es das? Um was für eine Art von Gelegenheit handelt es sich denn, wenn ich fragen darf, Mr. Bain? Mich gegen die Zudringlichkeit von einem anderen Mann zu wehren, den ich noch nie gesehen habe?“

„Wie bitte?“, fragte er und hatte zumindest so viel Anstand, ein entsetztes Gesicht zu machen. „Hat Rumpkin …“

Sie schnalzte mit der Zunge über seine Begriffsstutzigkeit. Alle Männer waren begriffsstutzig.

Aber dieser Dummkopf hier sah plötzlich regelrecht mordlustig aus. „Ich würde Sie niemals in eine Lage bringen, in der Sie nicht sicher sind, Miss Darby. In Luncarty gibt es ein Haus, das Ihnen mit Sicherheit gut gefällt. Ein großes, wohlhabendes Haus.“

„Ah. Ich soll also die Mätresse von jemandem werden.“

Er wirkte bestürzt über ihre direkte Art. „Nicht die Mätresse. Sie sind Mr. Garbetts Mündel, aye? Er hat geschworen, Ihnen zu Ihrem Recht zu verhelfen.“

Sie breitete die Arme aus. „Sieht das hier aus, als wäre mir Recht widerfahren, Sir? Aye, reden Sie weiter – wenn ich keine Mätresse werden soll, was habe ich dann auf Luncarty verloren?“

„Den Laird heiraten.“

Sie schnappte vor Schreck nach Luft. Und dann lachte sie vergnügt, während sie ihr zerzaustes Haar zusammennahm und sich über die Schulter legte. „Sie sind ja verrückt geworden! Oder Sie müssen mich für verrückt halten.“

„Ich bin vor allem entschlossen, einen angemessenen Platz für Sie zu finden.“

„Also das ist er ganz bestimmt nicht!“, sagte sie und lachte noch einmal, dieses Mal allerdings ein wenig schriller. „Ich heirate niemanden, den ich nicht einmal kenne.“

„Sie lernen Ihn natürlich kennen, ehe Sie sich entscheiden“, sagte Mr. Bain mit gleichsam elterlicher Geduld. „Der Gentleman ist ein Bekannter von mir. Er ist gütig und auf der Suche nach einer Frau, und er wird Sie wie eine Prinzessin behandeln.“

„Glauben Sie denn wirklich, dass das ausreicht?“

Mr. Bain zuckte mit den Schultern. „Was erwarten Sie denn sonst noch?“

„Was ich erwarte? Liebe? Gemeinsamkeiten?“ Alles, was sie sich verzweifelt wünschte, nachdem sie die letzten zwölf Jahre vergeblich nach dem kleinsten bisschen Liebe oder Gemeinsamkeit gesucht hatte. Nach einem winzig kleinen Beweis der Zuneigung. Seitdem ihr Vater gestorben war, war Mr. Garbett der Einzige gewesen, der ihr zumindest mit so etwas Ähnlichem wie Zuneigung begegnet war, und selbst die zeigte sich nur selten in einem Kopftätscheln oder einem Schulterklopfen.

„Liebe und Gemeinsamkeit“, sagte er spöttisch. „Das sind alles hehre Ziele für ein Mädchen, das ohne Aussicht auf irgendetwas anderes als ein Dienstbotenleben in einem Turmzimmer eingesperrt ist.“

Maura stockte der Atem. Ihre Wut und Ungläubigkeit verblassten, und sie spürte, dass sich ihr die Wahrheit seiner Worte wie ein schwerer Umhang um die Schultern legte. Sie sank in sich zusammen und ließ den Kopf hängen.

„Geben Sie mir wenigstens die Gelegenheit, Ihnen alles zu erklären?“, fragte er.

„Aber bitte doch“, sagte sie trocken. „Sie haben sich immerhin die Mühe gemacht, diese Mauer hinaufzuklettern und das Fenster einzuschlagen.“ Sie ging von ihm weg zum Kleiderschrank hinüber. Sie holte einen Schal heraus und schlang ihn sich um die Schultern. Durch das zerbrochene Fenster wehten der Nordwind und einzelne Schneeflocken herein. „Was wollten Sie sagen, Mr. Bain?“

„Dunnan Cockburn ist der Erbe der größten Leinenfabrik in ganz Schottland. Er lebt allein mit seiner verwitweten Mutter in einem vornehmen Haus. Er ist ein guter Mann.“

Maura sah ihn skeptisch an. „Und warum ist er dann noch nicht verheiratet?“

„Er ist nicht gerade geschickt, wenn es um das schöne Geschlecht geht.“

Was sollte das nun wieder heißen? War er schrecklich hässlich? Ein fröhlicher Trunkenbold? „Ich nehme an, dass Sie dagegen immer souverän mit dem schönen Geschlecht umgehen“, sagte sie. „Vielleicht sollten Sie ihm Unterricht erteilen.“

Er verzog einen Mundwinkel nach oben. „Ich hoffe, dass Sie mit mir kommen und diese Aufgabe überflüssig machen, Miss Darby.“

„Und wenn ich bereit bin, ihn kennenzulernen? Wann kann ich dann diesen fürchterlichen Ort verlassen?“

„Noch heute Abend.“

Jetzt hatte er ihre Aufmerksamkeit – sie konnte heute noch von hier fort? Ein Strudel von Gedanken strömte ihr gleichzeitig durch den Kopf, voran derjenige, dass sich ihr endlich ein Ausweg aus diesem Haus bot. Das war der erste Schritt. Sie wusste noch nicht, wie es weitergehen sollte, wenn sie dieses Gefängnis verlassen hatte, aber sie hatte nicht vor, einen gesichtslosen Mann zu heiraten.

Sie wollte die Halskette ihrer Mutter zurückhaben. Diese Halskette war der sprichwörtliche Tropfen gewesen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hatte. Maura hatte alles getan, was die Garbetts je von ihr verlangt hatten, sie war sogar in die kleine Dienstbotenkammer am Ende des Ganges gezogen, damit sie „nicht im Weg“ war. Sie war zu Hause geblieben, wenn sie und Sorcha zu einer Abendgesellschaft eingeladen waren, sodass Sorcha glänzen konnte. Sie hatte versucht, sich im Hintergrund zu halten, wenn Gäste kamen. Sie hatte Bitte und Danke gesagt und nie um irgendetwas gebeten, hatte getan was sie konnte, um sich dankbar und entgegenkommend zu zeigen. Und als Lohn für ihre Mühe hatten sie sie beschuldigt, sie eine Lügnerin genannt und ihr als Gipfel der Kränkung ihre Halskette weggenommen.

Sie hätten sie ihr nicht wegnehmen dürfen, und Maura hätte das nicht zulassen dürfen. Sie hatte sich nichts zuschulden kommen lassen. Die Kette war alles, was sie besaß, und sie wollte sie zurückhaben.

Sie hatte zwar keinen Plan, wie sie das anstellen sollte, aber der erste Schritt war, dieser Hölle zu entrinnen, in die Mr. Garbett sie geschickt hatte, und Mr. Bain würde ihr dabei helfen.

Autor

Julia London
Julia London hat sich schon als kleines Mädchen gern Geschichten ausgedacht. Später arbeitete sie zunächst für die US-Bundesregierung, sogar im Weißen Haus, kehrte aber dann zu ihren Wurzeln zurück und schrieb sich mit mehr als zwei Dutzend historischen und zeitgenössischen Romanzen auf die Bestsellerlisten von New York Times und USA...
Mehr erfahren

Entdecken Sie weitere Bände der Serie

Stürmisches Verlangen nach dem Highlander