Verbotene Küsse auf dem Maskenball

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Ein schillernder Maskenball an einem streng geheimen Ort. Und als Gäste die einflussreichsten und erfolgreichsten Unternehmer der Welt! Hier hat sich die schöne Ruby Trevelli als Hostess eingeschmuggelt, um von Narciso Valentino das Geld zu fordern, das er ihr schuldet. Doch je näher sie dem gefährlich attraktiven Narciso kommt, desto mehr ist sie von seiner sinnlich-dunklen Aura gebannt. Entsetzt kämpft Ruby gegen ihr Verlangen an, bis sie hinter die Maske des rätselhaften Playboys blickt und dabei in einen Strudel aus Macht und Leidenschaft gerät…


  • Erscheinungstag 05.01.2016
  • Bandnummer 2212
  • ISBN / Artikelnummer 9783733702281
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

New York.

Narciso Valentino betrachtete die Schatulle, die ihm geliefert worden war. Sie war groß, aus feinstem Leder gefertigt und mit Samt bezogen.

Und sie besaß einen Verschluss aus vierundzwanzigkarätigem Gold.

Unter normalen Umständen hätte er bei ihrem Anblick einen Anflug von Vorfreude verspürt. Doch irgendwie hatte Tristesse von seinem Leben Besitz ergriffen, seit er im vergangenen Monat dreißig geworden war. Es kam ihm fast so vor, als wäre alle Freude aus ihm entwichen, wie die Luft aus einem Ballon. Lucia hatte ihm vorgeworfen, dass er zu einem langweiligen alten Mann geworden war, bevor sie vor etwas mehr als zwei Wochen aus seinem Leben verschwunden war.

Er gestattete sich ein feines Lächeln, als er an das Männerwochenende dachte, das er sich zur Feier ihres Abgangs gegönnt hatte. Und an die äußerst enthusiastische norwegische Skilehrerin …

Doch nur allzu schnell kehrte die dumpfe Leere wieder zurück.

Narciso stand auf und ging zum Fenster hinüber. Sein Büro lag im siebzigsten Stockwerk und bot einen fantastischen Ausblick auf die Skyline von New York. Ein nicht unbedeutender Anteil dieser gewaltigen Metropole gehörte ihm, und er verspürte Befriedigung bei diesem Gedanken.

Geld war sexy. Geld war Macht. Und der Hexenmeister der Wallstreet, wie die Zeitungen ihn nannten, hatte sich selbst die Verlockungen von Macht und Sex niemals verwehrt.

Die Gelegenheit, gleich zwei seiner Leidenschaften auszuleben, präsentierte sich ihm in der Schatulle auf seinem Schreibtisch. Und doch hatte er sie nun bereits seit einer Stunde ungeöffnet vor sich liegen lassen …

Entschlossen schüttelte er die Lethargie ab, die von ihm Besitz ergriffen hatte, kehrte zu seinem Schreibtisch zurück und öffnete die Schatulle.

Darin lag, gebettet auf schwarzem Satin, eine präzise gefertigte silberne Halbmaske, verziert mit schwarzem Onyx und glitzernden Kristallen. Narciso wusste Sorgfältigkeit und Präzision zu schätzen. Es waren die Eigenschaften, die ihn mit gerade einmal achtzehn Jahren zum Millionär und mit fünfundzwanzig zum Multimilliardär gemacht hatten.

Unter anderem verdankte er seinem Reichtum den Zugang zu Q Virtus – dem exklusivsten Herrenclub der Welt, der seine Mitglieder einmal im Quartal zu einer Versammlung lud.

Und genau diese Versammlung war der Grund für die Maske.

Er nahm sie aus ihrer Verpackung und drehte sie so, dass er die Rückseite betrachten konnte, die mit einem Security-Mikrochip versehen war. Außerdem fand er dort seinen Namen – Der Hexenmeister – eingraviert, sowie den Veranstaltungsort des kommenden Treffens.

Q Virtus, Macao.

Langsam fuhr er mit dem Daumen über die samtige Oberfläche, in der Hoffnung, ein wenig Begeisterung in sich entfachen zu können. Erfolglos. Er legte die Maske zur Seite und musterte den zweiten Gegenstand in der Schachtel.

Die Liste.

Zeus, der anonyme Kopf von Q Virtus, versorgte die Clubmitglieder stets mit einer diskreten Aufstellung von potenziellen Geschäftskontakten, die an der Versammlung teilnehmen würden.

Rasch überflog Narciso die Liste und atmete scharf ein, als er unerwartet einen Namen darauf entdeckte, den er nur zu gut kannte. Aufregung erfasste ihn.

Giacomo Valentino – mein allerliebster Vater.

Er ging die übrigen Teilnehmer durch, um festzustellen, für wen es sich noch lohnen würde, dort zu erscheinen. Aber wem versuchte er hier eigentlich etwas vorzumachen? Ein einziger Name war entscheidend gewesen, auch wenn es noch ein oder zwei andere gab, die sein Interesse als Geschäftsmann weckten.

Doch es war Giacomo, mit dem er sich beschäftigen wollte. Wobei beschäftigen vielleicht das falsche Wort war.

Er legte die Liste beiseite und schaltete seinen Laptop ein. Nachdem er das Passwort eingegeben hatte, öffnete er den Ordner, den er über seinen Vater angelegt hatte. Die Berichte, die er in regelmäßigen Abständen von seinem Privatermittler erhielt, deuteten an, dass sich der alte Mann ein wenig von dem Schlag erholt hatte, den er ihm vor drei Monaten versetzt hatte.

Ein wenig, aber nicht vollkommen.

Innerhalb von Minuten war Narciso über die letzten Businessdeals seines Vaters auf dem Laufenden. Er gab sich nicht der Illusion hin, ihm gegenüber damit irgendeinen Vorsprung zu besitzen. Er wusste ganz genau, dass sein Vater eine ganz ähnliche Akte über ihn besaß. Aber das Spiel wäre nicht so interessant, wenn alle Vorteile nur auf einer Seite lägen. Dennoch befriedigte es Narciso sehr, dass er drei ihrer letzten vier Gefechte für sich hatte entscheiden können.

Sein Handy fing an zu summen, als er gerade über den nächsten Schritt in seiner Vernichtungskampagne nachdachte. Die Nachricht stammte von Nicandro Carvalho, der so etwas wie sein bester Freund war.

Steckst du noch immer im verfrühten Midlife-Crisis-Modus fest, oder bist du bereit, das LAM-Image abzuschütteln?

LAM – langweiliger alter Mann. Narcisos Mundwinkel zuckten kaum merklich, als er seine Antwort eintippte:

LAM gehört der Geschichte an. Lust, dir eine Lektion beim Poker erteilen zu lassen?

Nicandros Antwort – Träum weiter, alter Junge – brachte ihn das erste Mal seit Wochen zum Lachen.

Er fuhr seinen Laptop herunter und klappte den Deckel zu. Erneut fiel sein Blick auf die Maske. Er nahm sie auf und verstaute sie in seinem Safe. Dann streifte er sich seine Anzugjacke über.

Zeus würde seine Antwort am Morgen erhalten – sobald Narciso sich darüber im Klaren war, wie er seinen Vater ein für alle Mal zur Strecke bringen wollte.

Das Internet konnte mitunter beängstigend sein. Aber es war auch ein nützliches Werkzeug, wenn es darum ging, Jagd auf einen aalglatten Mistkerl zu machen.

Ruby Trevelli saß im Schneidersitz auf ihrem Sofa, den Blick starr auf den blinkenden Cursor gerichtet, der auf ihre Eingabe wartete. Dass sie auf Online-Recherchen angewiesen war, um eine Lösung für ihr Problem zu finden, behagte ihr nicht. Sie hatte stets darauf geachtet, sich von allem fernzuhalten, was mit Social Media zu tun hatte. Ein einziges Mal war sie so leichtsinnig gewesen, ihren Namen in eine Suchmaschine einzugeben. Die Flut an falschen Informationen hatte sie so entsetzt, dass sie seither einen großen Bogen um solche Dinge machte.

Natürlich gab es auch eine Menge über ihre Eltern zu entdecken. Dinge, die sie fürs Leben gezeichnet hätten, wäre sie das nicht bereits gewesen.

Heute Nacht aber hatte sie keine andere Wahl. Denn obwohl es Tausende Seiten über die Narciso Media Corporation gab, war es ihr doch nicht gelungen, mit irgendjemandem zu sprechen, der ihr weiterhelfen konnte. Allein eine Stunde war dafür draufgegangen, herauszufinden, dass ein dreißigjähriger Milliardär namens Narciso Valentino der Besitzer von NMC war.

Sie schnaubte. Wer, um Himmels willen, nannte sein Kind Narciso? Auf der anderen Seite hatte der einzigartige Name ihr die Suche mehr als erleichtert.

Noch einmal atmete sie tief durch, dann gab sie die nächsten Schlagwörter ein: Narcisos New Yorker Treffpunkte. Über zwei Millionen Ergebnisse wurden angezeigt.

Na, wunderbar!

Sie versuchte es noch einmal: „Wo ist Narciso Valentino heute Abend?“

Erneut warf die Suchmaschine eine große Anzahl an Treffern aus. Der erste Link führte zu einer Boulevardzeitung, mit der sie im zarten Alter von zehn Jahren zum ersten Mal Bekanntschaft geschlossen hatte. Auf eine Art und Weise, an die sie sich nicht gern zurückerinnerte. Sie hatte damals gerade zum Geburtstag ihren ersten eigenen Laptop bekommen. Als sie damit online ging und über die Homepage der Zeitung stolperte, war sie dort von einem riesigen Bild ihrer Eltern begrüßt worden.

Seitdem hatte sie die Boulevardpresse gemieden – ebenso wie sie es heutzutage vorzog, ihre Eltern zu meiden.

Sie fühlte einen dumpfen Schmerz in ihrer Brust, ignorierte ihn jedoch und rief stattdessen eine Ortungs-App auf. Im ersten Moment konnte sie kaum glauben, dass es tatsächlich so einfach sein sollte, ihn zu finden. Die App zeigte eine Liste von Prominenten an, die freimütig ihren Aufenthaltsort bekannt gaben – darunter einen, der gerade in diesem Moment an einer Filmpremiere am Times Square teilnahm.

Rasch schaltete sie den Fernseher ein. Sie musste nicht lange suchen, bis sie einen Sender entdeckte, der die Premiere live übertrug. Tatsächlich schritt soeben besagter Filmstar über den roten Teppich und schenkte den Fans sein Tausend-Watt-Lächeln.

Also stimmten die Angaben der App. Sie suchte die Liste nach Narcisos Namen ab. Daneben stand der Name eines kubanisch-mexikanischen Nachtclubs – des Riga – in Manhattan.

Ruby warf einen Blick auf die Uhr über dem Fernseher und überlegte kurz. Wenn sie sich beeilte, konnte sie es in etwas weniger als einer Stunde schaffen. Ihr Herz flatterte vor Aufregung bei dem Gedanken an das, was sie vorhatte. Sie verabscheute die direkte Konfrontation, doch nach wochenlanger fruchtloser Suche nach einer Lösung war sie jetzt endgültig mit den Nerven am Ende.

Sie hatte die Koch-Talent-Show des TV Senders NMC gewonnen und jeden Cent zusammengekratzt, um ihre Hälfte der einhunderttausend Dollar zusammenzubekommen, die sie für das Startkapital ihres Restaurants – dem erst zur Hälfte fertig gestellten Dolce Italia – benötigte.

Von Simon Whittaker, ihrem ehemaligen Geschäftspartner, der fünfundzwanzig Prozent am Dolce Italia hielt, konnte sie keine Hilfe erwarten. Sie ballte die Hände zu Fäusten, als sie an ihr letztes Zusammentreffen mit ihm dachte. Zu erfahren, dass er verheiratet war und demnächst Vater werden würde, hatte sie maßlos enttäuscht. Sein Versuch, sie trotzdem in sein Bett zu bekommen, hatte schlagartig die zarten knospenden Gefühle absterben lassen, die in ihr herangewachsen waren.

Und was tat er? Ein höhnisches Lachen war seine einzige Reaktion gewesen, als sie ihn wegen seiner geplanten Untreue zur Rede stellte. Doch Ruby war bei ihren Eltern einmal zu oft Zeuge davon geworden, was ein solches Verhalten mit einer Ehe anrichtete. Simon aus ihrem Leben zu streichen war eine schmerzhafte, aber absolut richtige Entscheidung gewesen.

Nun, da sie sich nicht länger auf ihn und seinen Geschäftssinn verlassen konnte, lag die gesamte finanzielle Verantwortung auf ihren Schultern. Deshalb auch die Suche nach Narciso Valentino. Sie musste ihn, den Besitzer von NMC, daran erinnern, die Versprechungen, die seine Firma gemacht hatte, einzuhalten.

Ein Vertrag war und blieb nun mal ein Vertrag.

Knapp anderthalb Stunden später näherte sie sich dem roten Ziegelgebäude, in dem sich das Riga befand. Sie hoffte, Narciso hier tatsächlich anzutreffen und mit ihm alles klären zu können. Ihre Füße schmerzten in den High Heels, die für das unebene Pflaster vor dem Club nicht gemacht waren.

Sie umrundete gerade eine riesige Pfütze, die der letzte Regenschauer hinterlassen hatte, als ein tiefes Männerlachen ihre Aufmerksamkeit erregte.

Ein bulliger Türsteher öffnete für zwei Männer und deren atemberaubend attraktiven Begleiterinnen die Absperrung des VIP-Eingangs, als diese den Club verließen. Der erste Mann war attraktiv genug, um einen zweiten Blick zu rechtfertigen, doch es war der andere, der Rubys Interesse weckte. Der, dessen pechschwarzes Haar wie ein Vorhang über die rechte Seite seines Gesichtes fiel.

Ihr stockte der Atem. Noch nie war sie einem Mann mit einer derart überwältigenden Ausstrahlung begegnet. Seine Aura ließ alles und jeden um sich herum in den Hintergrund treten.

Wie benommen starrte sie ihn an. Seine geschwungenen Brauen, die wie in Marmor gemeißelten Wangenknochen und sinnlichen Lippen, die ekstatische Freuden versprachen.

„Hey, Miss, wird das heute noch was?“

Die Stimme des Türstehers ließ sie schlagartig wieder in die Realität zurückkehren. Dennoch gelang es ihr nicht, den Blick von ihm abzuwenden.

Sie beobachtete, wie die Blondine an seiner Seite ihm ein Lächeln schenkte. Seine Hand, die gerade noch auf ihrer Hüfte lag, rutschte tiefer und strich flüchtig über ihren Po, bevor er ihr in die schwarze Limousine half, die soeben am Straßenrand gehalten hatte. Kurz darauf war auch er im Inneren des Wagens verschwunden, und der irritierend intime Moment, der Ruby in seinen Bann geschlagen hatte, war vorüber.

Die Limousine fuhr los und fädelte sich in den Straßenverkehr ein.

Ruby atmete tief durch. So etwas war ihr überhaupt noch nie passiert.

Der Türsteher räusperte sich vernehmlich, und sie drehte sich zu ihm um. „Können Sie mir sagen, wer der Mann war, der da gerade in die Limousine gestiegen ist?“

Er hob eine Braue.

Ruby schüttelte seufzend den Kopf. „Nein, natürlich nicht“, beantwortete sie sich ihre Frage selbst. Sie war sich ohnehin ziemlich sicher, dass sie Narciso Valentino soeben verpasst hatte. „Das ist so was wie Türsteher-Schweigepflicht, richtig?“

„Sie haben’s erfasst“, erwiderte er grinsend. „Also, was ist? Wollen Sie jetzt rein oder nicht?“

„Ich will“, sagte Ruby, obwohl ihre Befürchtungen, was Valentino betraf, sich noch verstärkt hatten.

„Na, dann mal hereinspaziert.“ Der Türsteher drückte einen Stempel auf ihr Handgelenk, schaute zu ihr auf und fügte noch einen zweiten hinzu. „Zeigen Sie den an der Bar, und Sie bekommen den ersten Drink auf Kosten des Hauses.“ Er zwinkerte ihr zu.

Und so stand sie eine Stunde später, einen mittlerweile lauwarmen Cocktail in der Hand, an der Bar und gestand sich ein, dass Narciso Valentino genau der Mann gewesen war, den sie draußen gesehen hatte.

Sie wollte gerade aufbrechen und nahm den letzten Schluck von ihrem Drink, als Stimmen aus der angrenzenden VIP-Area ihre Aufmerksamkeit erregten.

„Bist du sicher?“

„Natürlich bin ich das. Narciso wird da sein.“

Unauffällig blickte sie in Richtung der zwei Frauen, die im abgesperrten Bereich standen. Ihr teurer Schmuck und die Designerkleider kosteten vermutlich mehr, als Ruby im ganzen Jahr verdiente. Sie fühlte sich alles andere als wohl dabei, das Gespräch der beiden einfach so zu belauschen – doch was blieb ihr anderes übrig?

„Woher willst du das wissen?“, fragte die Blonde. „An den letzten Events hat er jedenfalls nicht teilgenommen.“

„Ich hab’s dir doch gesagt“, entgegnete die Rothaarige. „Ich habe gehört, wie er mit dem anderen Kerl darüber gesprochen hat. Ich muss unbedingt einen Job als Petit Q-Hostess ergattern. Das könnte meine große Chance sein!“

„Und dafür willst du dich in ein Clownskostüm stecken lassen und hoffen, dass er dich zufällig entdeckt?“

„Es sind schon seltsamere Dinge geschehen.“

„Ich würde jedenfalls nicht so weit gehen, nur um einen Typen an die Angel zu bekommen.“

Die Rothaarige verzog schmollend das Gesicht. „Du solltest nicht darüber urteilen, ehe du es nicht ausprobiert hast. Der Job wird außerdem extrem gut bezahlt. Und wenn mir Narciso Valentino dabei über den Weg laufen sollte, werde ich mir diese Chance ganz gewiss nicht durch die Lappen gehen lassen.“

„Okay, ich bin ganz Ohr. Gib mir den Namen der Webseite, und ich schau mir das Ganze an.“ Die Blonde runzelte die Stirn. „Wo, zum Teufel, liegt Macao eigentlich?“

„Hm … Europa, schätze ich.“

Ruby unterdrückte ein Schnauben. Europa? Kopfschüttelnd und mit klopfendem Herzen holte sie das Handy aus ihrer Handtasche und gab den Namen der Webseite ein.

Anderthalb Stunden später sandte sie ein Stoßgebet zum Himmel und schickte das Online-Bewerbungsformular ab, das sie auf dem Heimweg ausgefüllt hatte.

Möglich, dass sich nichts daraus ergab. Dass sie an einem Test oder Vorstellungsgespräch scheiterte, Geld und wertvolle Zeit verschwendete. Und das alles auf die vage Hoffnung hin, dass sie eine Gelegenheit erhielt, mit Narciso Valentino zu sprechen. Aber, verdammt, sie musste es wenigstens versuchen. Denn mit jedem Tag, den sie ungenutzt verstreichen ließ, entfernte sie sich weiter von ihrem Ziel.

Die Alternative – dem Druck ihrer Mutter nachzugeben und ins Familienunternehmen einzusteigen – stand für sie nicht zur Debatte. Im besten Fall würde sie einmal mehr zum Faustpfand werden. Zu einer Person, die ihre Eltern schamlos nutzten, um sich gegenseitig wehzutun. Im schlimmsten Fall versuchten sie, sie wieder ins Rampenlicht zu ziehen.

Auf diese Weise hatten ihre Eltern ihr die Kindheit zur Hölle gemacht. Und Ruby wusste, dass sich in den vergangenen Jahren nichts, aber auch gar nichts geändert hatte. Ihre einzige Freude schien darin zu bestehen, sich gegenseitig das Leben schwer zu machen und die ganze Welt daran teilhaben zu lassen.

Die Ricardo & Paloma Trevelli Show wurde zur Hauptsendezeit ausgestrahlt. Die Pseudo-Reality-Reihe lief schon, so lange Ruby zurückdenken konnte. Sie war damit aufgewachsen. Es hatte zum Alltag gehört, stets von mindestens zwei Kamerateams verfolgt zu werden, die jeden Schritt dokumentierten, den sie und ihre Eltern machten.

Die Teams der Fernsehcrews waren für sie zu erweiterten Familienmitgliedern geworden. Für ein paar Monate, als die Show sie zum beliebtesten Mädchen der Schule gemacht hatte, war es ihr gelungen, sich selbst einzureden, dass sie damit zurecht kam. Doch dann flog der erste Seitensprung ihres Vaters auf.

Sein öffentliches Eingeständnis, fremdgegangen zu sein, ließ die Einschaltquoten in die Höhe schnellen. Und ihre Mutter, die vor laufenden Kameras über ihr gebrochenes Herz sprach, landete weltweit in den Schlagzeilen. Beinahe über Nacht wurde die TV-Show in die ganze Welt verkauft und brachte ihren Eltern noch mehr traurige Berühmtheit. Die nachfolgende Versöhnung und die Erneuerung ihres Ehegelübdes begeisterten das Publikum.

Nachdem ihr Vater zum zweiten Mal seine Untreue eingestanden hatte, wurde Ruby von Fremden auf der Straße angesprochen, die sie entweder dafür bedauerten oder beschimpften, eine Trevelli zu sein.

Sie war froh gewesen, auf ein College an der Westküste gehen zu können. Doch selbst dort war es ihr nicht gelungen, ihre Vergangenheit abzuschütteln. Es hatte sich rasch herausgestellt, dass sie kein anderes Talent besaß als das fürs Kochen.

Die Erkenntnis, dass die Trevelli-Gene so stark in ihr wirkten, hatte sie bis tief in die Grundfesten ihrer selbst erschüttert. Das war der Grund dafür, dass sie Simon einfach so aus ihrem Leben verbannen konnte. Und dass sie sich geschworen hatte, ihre Eltern niemals wieder ihr Leben kontrollieren zu lassen.

Deshalb war es auch so wichtig für sie, mit Narciso Valentino zu sprechen.

Unwillkürlich musste sie wieder daran denken, wie sie ihn draußen vor dem Riga gesehen hatte. Und einmal mehr verspürte sie diese Erregung, die sich, von ihrem Bauch ausgehend, in ihrem ganzen Körper ausbreitete.

Um Himmels willen, was tat sie hier eigentlich? Wie konnte sie auf diese Weise für einen Mann empfinden, den sie überhaupt nicht kannte?

Sie schüttelte über sich selbst den Kopf. Ihr Verhalten war einfach absurd.

Das Summen ihres Telefons riss sie aus ihren Grübeleien. Sie öffnete die Nachricht, die soeben eingegangen war, und blinzelte.

Offenbar hatte ihr Lebenslauf beeindrucken können.

Sie atmete tief durch.

Nun musste sie auf ihrem Weg, eine Petit Q zu werden, nur noch ein Vorstellungsgespräch hinter sich bringen.

2. KAPITEL

Macao, China.

Eine Woche später.

Für Rubys Geschmack saß die rote bodenlange Robe ein wenig zu eng, und der schulterfreie Schnitt zeigte ein bisschen zu viel Dekolleté. Doch sie wusste, im Grunde konnte sie froh sein, wies das teure Designerkleid sie doch als Petit Q aus.

Vorsichtig, um nicht versehentlich mit den Absätzen ihrer High Heels auf den Saum zu treten, durchquerte sie das mit Marmor ausgelegte Hotelfoyer. Die Blicke, die ihr dabei folgten, bereiteten ihr leises Unbehagen. Aber das war etwas, an das sie sich besser gewöhnte, denn die beiden anderen Outfits, die ihr für das Wochenende zur Verfügung gestellt worden waren, saßen mindestens ebenso knapp und figurbetont. Dennoch konnte sie nichts daran ändern, dass ihr jede Aufmerksamkeit, die ihr zuteil wurde, äußerst unangenehm war.

Doch jetzt war es zu spät, um noch einen Rückzieher zu machen.

Aber was, wenn es ein Fehler gewesen war, hierherzukommen? Wenn Narciso gar nicht auftauchte? Oder wenn er erschien und sie verpasste ihn erneut?

Nein, sie musste ihn finden. Erst recht nach dem Telefonanruf, den sie vor ein paar Tagen erhalten hatte.

Die Stimme am anderen Ende der Leitung war zwar ruhig, aber dennoch bedrohlich gewesen. Simon hatte seine fünfundzwanzig Prozent an ihrem Unternehmen an eine dritte Partei verkauft.

„Wir werden uns demnächst mit Ihnen in Verbindung setzen, um uns über Zinsen und Zahlungsmodalitäten zu unterhalten“, hatte ihr Gesprächspartner gesagt.

„Da gibt es im Augenblick noch nicht viel zu besprechen“, war Rubys Antwort gewesen. „Das Restaurant ist noch nicht einmal eröffnet.“

„Nun, dann sollten Sie in Ihrem eigenen Interesse dafür sorgen, dass es dazu bald kommt, Miss Trevelli.“

Danach war die Leitung tot gewesen, und für einen Moment hatte Ruby sich gefragt, ob sie das alles vielleicht nur geträumt hatte. Aber sie lebte schon lange genug in New York, um zu wissen, dass Kredithaie eine sehr reale und ernstzunehmende Bedrohung waren.

Und ausgerechnet an einen solchen hatte Simon seine Anteile verkauft.

Ruby war so wütend und zugleich verängstigt gewesen, dass sie sich bereits mehrere Kilometer über dem Indischen Ozean befand, ehe sie sich mit dem Q Virtus – Handbuch befasste. Darin war genau erklärt, was es bedeutete, eine Petit Q zu sein – und zu ihrem Entsetzen war eine Maske fester Bestandteil ihrer neuen Berufskleidung.

Das bevorstehende Q Virtus – Event würde ein Maskenball sein, der an einem geheimen Ort in Macao stattfand. Und das bedeutete, dass auch alle Gäste Masken tragen würden. Wodurch die Chancen, Narciso Valentino ausfindig zu machen, sich noch erheblich reduzierten. Sie atmete tief durch und straffte die Schultern. Nun war sie so weit gekommen – aufgeben kam nicht infrage.

Sie erreichte den Treffpunkt vor dem Hotel und erblickte die Rothaarige aus dem Riga. Die andere Frau musterte sie kurz abschätzend und wandte sich dann mit einem hochmütigen Blick wieder ab.

Eine Limousine mit einem stilisierten Q auf der Beifahrertür fuhr vor dem Hoteleingang vor, und sie stieg gemeinsam mit der Rothaarigen ein. Als sich die Schiebetür hinter ihr schloss, begann ihr Herz wie verrückt zu schlagen. Alles in ihr schrie danach, auf dem Absatz kehrtzumachen und sich in den nächsten Flieger zurück nach Hause zu setzen.

Aber was, wenn dies hier ihre letzte Möglichkeit war? Ein Mann, der ohne mit der Wimper zu zucken tausende von Meilen zurücklegte, um an einem Event von Q Virtus teilzunehmen, der vermochte sich ebenso gut auch einfach in Luft aufzulösen. Sie konnte sich glücklich schätzen, diese Gelegenheit bekommen zu haben. Das Schicksal hatte ihr eine riesige Chance eröffnet. Sie würde sie nicht ungenutzt verstreichen lassen.

Die Limousine rumpelte durch ein Schlagloch und holte Ruby abrupt in die Realität zurück.

Trotz der glitzernden Lichter und der an Las Vegas erinnernden Atmosphäre war das chinesische Erbe der kleinen Insel Macao doch unverkennbar. Sie überquerten die Lotus-Brücke nach Cotai – ihren endgültigen Bestimmungsort –, umgeben von Fahrrädern, Sportwagen und altmodischen Bussen. Es war eine spektakuläre Mischung aus alt und modern.

Keine zehn Minuten später fuhr der Wagen in eine Tiefgarage und hielt schließlich an. Beim Aussteigen blickte Ruby sich neugierig um. Luxuriöse Sportwagen standen Seite an Seite mit aufgemotzten Geländewagen und Stretch-Limousinen. Sie schätzte den Wert von dem, was hier parkte, auf das Bruttoinlandsprodukt eines kleinen Landes.

Zum ersten Mal sah sie nun auch den Rest der Gruppe. Die anderen neunzehn Hostessen waren, wie sie selbst, in rote Roben gekleidet, während die zehn männlichen Hosts rote Jacketts trugen.

Sechs Bodyguards geleiteten sie zu den Aufzügen, und Ruby unterdrückte nur mühsam den Drang davonzulaufen, als sich die Fahrstuhltüren schlossen.

Und dann war es zu spät.

Die Türen öffneten sich wieder und gaben den Blick frei auf glänzenden Parkettboden und einen rot- und goldfarbenen Läufer, der sich über die gesamte Länge des Foyers erstreckte. An den Wänden hingen seidene Teppiche mit asiatischen Drachenmotiven und vor den Fenstern schwere Vorhänge, die die Außenwelt aussperrten. Zwei geschwungene Treppenflügel führten hinab ins untere Stockwerk, in dem mehrere Spieltische – jeder mit einer eigenen Bar und Sitzecke – standen.

Die Veranstaltung hatte offenbar bereits begonnen. Ruby sah maskierte Männer in maßgeschneiderten Smokings. Dazwischen tummelten sich auch einige Frauen in Designerroben, deren atemberaubende Masken kleinen Kunstwerken glichen.

Ruby und ihre Kolleginnen wurden von einer hochgewachsenen, maskierten Frau in Empfang genommen, die sich als leitende Hostess vorstellte und sie in ihre jeweiligen Aufgaben einwies.

Sie versuchte, ihre flatternden Nerven zu beruhigen, als sie die Stufen hinunterging und auf die Bar des vierten Pokertisches zusteuerte.

An einer Bar zu arbeiten, das war etwas, mit dem sie sich auskannte. Rasch checkte sie die Männer, die bereits am Tisch saßen, ab. Keiner von ihnen war der Mann, nach dem sie suchte.

Als die Runde zu Ende war, standen die Spieler auf und machten Platz für die nächste Gruppe. Ein grauhaariger Mann erregte sofort ihre Aufmerksamkeit. Er wirkte wie jemand, der daran gewöhnt war, Anweisungen zu geben. Doch er war zu alt, um Narciso zu sein.

Er schnipste mit den Fingern und bestellte ein Glas sizilianischen Rotwein. Ruby presste die Lippen zusammen und zwang sich, seine Unhöflichkeit zu ignorieren. Fünf weitere Männer platzierten sich rund um den Tisch, sodass nur noch ein letzter Stuhl frei blieb.

Nachdem sie die Drinks serviert hatte, schaute sie von ihrem sicheren Platz hinter der Theke aus zu, wie die Einsätze immer höher und kühner wurden. Als die Tür mit der Aufschrift Black Room neben den Fahrstühlen aufschwang, blickte sie sich um.

Den Mann, der hindurch trat, umgab eine Aura von Macht und Autorität; so überwältigend, dass es Ruby schier den Atem raubte. Sie beobachtete, wie die Chef-Hostess auf ihn zu eilte, doch er hob nur eine Hand und winkte sie fort. Beim Anblick seiner feingliedrigen eleganten Finger durchzuckte Ruby die Erkenntnis wie ein Blitz.

Ihr Mund war staubtrocken, als er auf ihre Bar zukam. Silbergraue Augen hielten ihren Blick gefangen, schienen sich in sie hineinzubohren, um ihr jedes noch so kleine Geheimnis zu entlocken. Sein Lächeln verblasste langsam, während er sie weiterhin anstarrte und eine Braue hob.

Dann wanderte sein Blick an ihr hinunter, verharrte kurz bei ihren Brüsten, ehe er auch den Rest von ihr in Augenschein nahm. Sie spürte, wie ihr Körper auf seine intensive, fast schon erotische Musterung reagierte, und ihr stockte der Atem.

Narciso Valentino.

Ja, er musste es sein. Sie war sich so sicher, dass sie ihren letzten Dollar darauf verwettet hätte.

„Geben Sie mir etwas zu trinken, cara mia. Ich sterbe vor Durst.“

Seine Stimme klang heiser und rauchig; pure Sünde.

Ruby atmete tief durch. Warum, zum Teufel, waren ihre Hände plötzlich so feucht?

Autor

Maya Blake
<p>Mit dreizehn Jahren lieh sich Maya Blake zum ersten Mal heimlich einen Liebesroman von ihrer Schwester und sofort war sie in den Bann gezogen, verlor sich in den wunderbaren Liebesgeschichten und begab sich auf romantische Reisen in die Welt der Romanhelden. Schon bald träumte sie davon, ihre eigenen Charaktere zum...
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