Verlobt, verführt ... verliebt?

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Eine Scheinverlobung mit ihrem besten Freund Derek Caruthers? Für Bianca die einfachste Lösung, um die Verkuppelungsversuche ihrer Mutter abzuwehren - mehr nicht! Bis Derek sie zum ersten Mal küsst und sie überraschend ein gefährlich erregendes Prickeln verspürt …


  • Erscheinungstag 15.04.2021
  • ISBN / Artikelnummer 9783751506519
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

Derek Caruthers war ein cooler Typ. Er wusste es, und es wussten auch alle anderen, denen er auf den Gängen des Regional Medical Center von Cole’s Hill begegnete. Er war einer der jüngsten Herzchirurgen des Landes, und abgesehen von ein paar Kleinigkeiten war in seinem Leben alles glatt gelaufen. Er hatte den Ruf verdient, der Beste zu sein. Heute war er besonders zufrieden mit sich, da man ihn zum Meeting des Verwaltungsrates eingeladen hatte. Er war einigermaßen sicher, dass er zum Leiter der neuen Kardiologie ernannt werden würde. Die erweiterte Abteilung für Herzchirurgie sollte demnächst eröffnet werden.

Im Geiste klopfte er sich auf die Schulter, als er den Konferenzraum betrat. Die meisten waren bereits anwesend. Es fehlte nur noch das neue Mitglied, das für die Verwaltung zuständig sein sollte. Derek hatte keine Ahnung, wer dieser Neuzugang war, aber in einer überschaubaren Stadt wie Cole’s Hill konnte er davon ausgehen, dass er den Mann kannte.

„Derek, schön, dich zu sehen.“ Dr. Adam Brickell trat zu ihm, um ihm die Hand zu schütteln. Er war Dereks Mentor gewesen, und die beiden Männer hielten immer noch eine enge Verbindung. Der ältere Arzt hatte sich vor zwei Jahren zur Ruhe gesetzt und war nun Mitglied des Verwaltungsrats. Er hatte Derek für die medizinische Leitung der Kardiologie vorgeschlagen.

„Dr. Brickell.“ Derek lächelte. „Ich freue mich sehr auf dieses Meeting. Das kommt sonst höchst selten vor.“

„Es freut mich, dass du das so siehst, aber es gibt da ein kleines Fragezeichen. Was, wenn das neue Mitglied des Verwaltungsrates andere Vorstellungen für die Kardiologie hat? Wir kennen sie ja noch nicht.“

„Sie? Eine Frau? Bisher habe ich noch alle Frauen dazu bringen können, sich meinen Vorstellungen anzuschließen.“ Derek wollte sich keine Nervosität oder Zweifel anmerken lassen und versuchte sich an einem Scherz. Wer auch immer das neue Mitglied war – er würde ihn oder sie überzeugen.

Dr. Brickell schlug ihm lachend auf die Schulter. „Freut mich, das zu hören.“

Dereks Telefon machte sich bemerkbar. Dr. Brickell trat beiseite, um ihm die Gelegenheit zu geben, sich darum zu kümmern. Als Chirurg ignorierte er seine Anrufe nie.

Das Display zeigte, dass Bianca ihn zu erreichen versuchte. Sie war seit Ewigkeiten seine beste Freundin. Es war ziemlich blöd für ihn gewesen, als er sich in der High School in sie verliebt hatte, es sich aber nicht anmerken lassen wollte, um ihre Freundschaft nicht zu gefährden. Die Ernüchterung folgte, als sie nach Paris zog, um dort als Modell zu arbeiten. Sie verliebte sich später in einen Rennfahrer und heiratete ihn.

Biancas Romanze und die anschließende Ehe waren jedoch nur von kurzer Dauer gewesen. Nach drei gemeinsamen Jahren kam ihr Mann bei einem Flugzeugabsturz ums Leben und ließ sie mit ihrem kleinen Sohn allein zurück.

Das war der Grund, wieso Derek es wieder zu seiner Top-Priorität gemacht hatte, Bianca ein Freund zu sein.

Sie war nach Cole’s Hill zurückgekehrt und lebte im Haus ihrer Eltern. Sie war oft gereizt. Er wusste, dass ihre Mom sie unter Druck setzte, sich wieder einen Mann zu suchen, damit Bianca und ihr Sohn ‚nicht allein‘ waren.

Er warf einen Blick zu Dr. Brickell hinüber und signalisierte ihm, dass er den Anruf annehmen musste. Dann ging er auf den Korridor hinaus, um ungestört zu sein.

„Hi, Bia. Was ist los?“

„Ich bin so froh, dich zu erreichen. Hat das Meeting noch nicht begonnen?“

„Noch nicht. Was ist los?“, wiederholte er.

„Mom hat wieder einen Kandidaten aufgetan, mit dem ich mich treffen soll. Besteht der Hauch einer Chance, dass du heute Abend Zeit hast?“

Nein. Auch wenn es anders gewesen wäre, hätte er sich nicht darauf eingelassen. Sie waren Freunde – weil sie es so wollte und weil es sicher auch für ihn das Beste war. Diesen Zustand wollte er nicht durch Dates gefährden. Er hätte einiges für sie abgesagt, aber es war Mittwoch. Alle in Five Families, dem Stadtteil, in dem sie beide lebten, wussten, dass die Caruthers mittwochs im Club aßen und dann Pool spielten. „Heute ist Pool-Abend mit meinen Brüdern – das weiß deine Mutter sicher. Sie würde dir nichts anderes glauben.“

„Verdammt. Okay, es war einen Versuch wert.“

„Ja, sicher. Tut mir leid. Wer ist es denn heute Abend?“

„Jemand vom Sender. Ein Produzent oder so etwas.“

Biancas Mom arbeitete als Moderatorin einer Morgensendung im lokalen Fernsehen. Sie hatte schon diverse Dates für ihre Tochter arrangiert, seit Bianca wieder in Cole’s Hill war.

„Klingt … interessant“, bemerkte Derek.

„Wie man’s nimmt. Mom hat keine Ahnung, was mir an einem Mann wichtig ist.“

Das war ein Thema, auf das Derek sich im Moment lieber nicht einlassen wollte. „Ich muss gehen. Die Mitglieder des Verwaltungsrates sind schon fast alle da.“

„Kein Problem. Ich drücke dir die Daumen. Es gibt mit Sicherheit keinen besseren Kandidaten als dich.“

„Finde ich auch“, stimmte Derek zu. „Bis später.“

„Bis später.“

Er steckte das Smartphone wieder ein. Das Stakkato sich nähernder High Heels ließ ihn aufsehen. Und dann vergaß er für einen Moment vor Erstaunen, den Mund zu schließen.

Die Frau, die auf ihn zukam, war Dr. Marnie Masters. Verdammt. Ein durchdringender Blick, perfekt gezupfte Augenbrauen, das blonde Haar um ihr etwas kantiges Gesicht kunstvoll gestylt. Ihre Bewegungen erinnerten ihn irgendwie an eine Löwin, die sich ihrer Beute näherte. Und es bestand kein Zweifel daran, wer hier die Beute war.

„Marnie! Es ist doch immer eine Freude, dich zu sehen“, versicherte er ihr, obwohl er während der vergangenen achtzehn Monate all ihre Anrufe, SMS und Einladungen ignoriert hatte.

„Ich würde es ja glauben, wenn es nicht so kompliziert wäre, dir einmal rein zufällig über den Weg zu laufen. Dafür musste ich extra diesen Posten im Verwaltungsrat übernehmen“, bemerkte sie trocken.

„Du lebst wieder in Cole’s Hill?“ Er hatte Mühe, seine entgeisterte Reaktion zu verbergen.

„Daddy hat – auf meinen Wunsch hin – Geld für die Kardiologie gestiftet. Im Gegenzug hat der Verwaltungsrat zugestimmt, dass ich die Leitung für das Projekt übernehme. Ich habe gerade etwas Ähnliches in Houston gemacht, und Daddy lag sehr daran, dass ich wieder nach Hause komme … Es sieht also ganz so aus, als würden wir beide in Zukunft eng zusammenarbeiten.“

„Es freut mich, dass der Verwaltungsrat sich für jemanden mit deinen Qualifikationen entschieden hat.“

„Ich nehme an, wir werden uns jetzt besser kennenlernen. Da ich nun hier lebe, können wir uns öfter sehen und auch privat einiges unternehmen.“

Unter gar keinen Umständen würde er sich noch einmal mit ihr einlassen. „Ich fürchte, das ist nicht möglich.“

„Wieso? Es gibt keine Regeln, die dagegen sprächen.“ Sie zwinkerte ihm zu. „Ich habe extra nachgesehen.“

„Natürlich gibt es keine Regeln. Es ist nur – ich bin verlobt“, erklärte er spontan. „Ich möchte nicht, dass meine Verlobte einen falschen Eindruck bekommt.“

„Verlobt?“ Ethan Caruthers sah seinen Bruder verblüfft an, als sie später am Abend im Country Club eine Runde Drinks bestellten. „Wieso hast du das gesagt?“

„Du kennst doch Marnie. Sie hätte kein Nein akzeptiert. Ich bin in Panik geraten.“

„Und deswegen hast du ihr solchen Schwachsinn erzählt? Derek, das ist doch verrückt. Wenn sie rausfindet, dass du keine Verlobte hast, geht die Sache richtig nach hinten los.“

Ethan hatte natürlich recht. Schon jetzt belastete die Lüge seine Aussichten, medizinischer Leiter der Kardiologie zu werden. Marnie war alles andere als erfreut gewesen, als sie von seiner Verlobung erfahren hatte. Prompt hatte sie den Verwaltungsrat darüber informiert, dass sie noch weitere Anwärter für den Posten des Leiters der Kardiologie habe. Dr. Brickell unterstützte Derek weiterhin und forderte, die Entscheidung möglichst bald zu treffen. Marnie beharrte auf ihrem Standpunkt. Die Entscheidung sei frühestens in zwei Monaten zu treffen. Sie fand genügend Unterstützer im Gremium, sodass der Termin schließlich vertagt wurde.

Nach dem Meeting war Derek wieder an die Arbeit gegangen. Zwei Operationen hatten das Problem mit seiner nicht vorhandenen Verlobten erst einmal in den Hintergrund treten lassen. Er beschäftigte sich erst jetzt wieder damit. Ethan war als einziger seiner Brüder schon da.

„Damit könntest du natürlich recht haben“, sagte Derek nachdenklich. „Wenn ich nur eine Frau finden würde … eine Frau, die nur an einer Liaison für ein paar Monate interessiert ist.“

„Würde Marnie dir denn glauben, wenn du eine deiner Kurzaffären als deine Verlobte ausgibst?“ Ethan war skeptisch.

„Nein. Ich habe ihr gesagt, dass es etwas ganz Besonderes ist und ich daher noch nicht darüber gesprochen habe.“

Ethan nippte an seinem Scotch. Er schüttelte den Kopf. „Verdammt, du hast schon immer ein Talent für absurde Geschichten gehabt.“

„Ich weiß. Aber was soll ich jetzt machen?“

„Worum geht’s?“ Hunter war zu ihnen getreten. Er war unlängst nach Cole’s Hill zurückgekehrt, nachdem er gut zehn Jahre in der National Football League gespielt hatte und anschließend durch die Staaten gereist war, um Fitnesskurse zu promoten. Dabei war er immer auf der Flucht vor einem Skandal gewesen – er hatte unter dem Verdacht gestanden, seine Freundin am College ermordet zu haben. Erst vor Kurzem war der wahre Täter aufgespürt und vor Gericht gestellt worden, sodass Hunter endlich von jedem Verdacht freigesprochen war. Er war jetzt verlobt und plante die Hochzeit des Jahrhunderts – wenn man seiner Mutter glauben durfte und Ferrin, seiner Verlobten. Ganz Cole’s Hill hatte das Hochzeitsfieber erfasst.

„Er braucht eine Verlobte“, erklärte Ethan grinsend.

Derek knuffte seinen Bruder in die Seite. Natürlich fand Ethan das Ganze witzig! Zwischen ihnen lagen nur elf Monate Altersunterschied, was sie fast zu Zwillingen machte. Ethan war der Ältere von ihnen und behandelte ‚den Kleinen‘ immer ein wenig herablassend.

„Will ich wissen, wieso?“ Hunter bedeutete der Kellnerin, ihm einen Drink zu bringen, während er es sich bequem machte.

„Marnie Masters.“

Hunter warf den Kopf zurück und lachte. „Ich dachte, du hättest dich schon vor Jahren von ihr getrennt.“

„Vor achtzehn Monaten“, korrigierte Derek. Er hatte die Verbindung vor zwei Jahren gelöst, war aber ein halbes Jahr später noch einmal schwach geworden und hatte eine Nacht in Houston mit ihr verbracht. Das hatte Marnie in ihrem Glauben bestärkt, dass er noch etwas für sie empfand und sie es daher noch einmal miteinander versuchen sollten. Seither war er ihr aus dem Weg gegangen.

„Wozu brauchst du eine Verlobte?“, wollte Hunter wissen.

„Marnies Vater hat großzügig für die neue Kardiologie des Krankenhauses gespendet. Im Gegenzug hat sie eine Stelle im Verwaltungsrat erhalten und darf entscheiden, wer die medizinische Leitung übernimmt. Ich bin in Panik geraten, als ich sie sah. Nachdem sie erklärt hatte, wir könnten mehr Zeit miteinander verbringen, habe ich eine Verlobte vorgeschoben.“

„Aha.“ Auch Hunters Mitgefühl schien sich in Grenzen zu halten. „Hast du dir denn schon überlegt, wer dafür in Frage kommen könnte?“

„Nein, mir fällt niemand ein.“ Derek musste sich eingestehen, dass das gelogen war. Eine Frau tauchte in seinen Überlegungen immer wieder auf. Gebräunte Haut, langes schwarzes Haar und faszinierende dunkelbraune Augen. Ein Blick, in dem man sich verlieren konnte. Sie war nicht an einer Ehe interessiert und brauchte etwas Ruhe vor ihrer Mutter, die sie partout verkuppeln wollte. An sich ideale Voraussetzungen, aber sie müsste schon verrückt sein, wenn sie bei seiner Idee mitmachte.

Und sie war alles andere als verrückt.

Sie war eine alleinerziehende Mutter, die sich darauf verließ, dass ihr bester Freund für sie da war. Mit Sicherheit lag ihr nichts daran, dass er seinen langgehegten heimlichen Traum verwirklichte, Bianca Velasquez als seine zukünftige Frau auszugeben.

Auch wenn es nur für zwei Monate war. Höchstens drei.

Verdammt.

In dem Moment sah Derek sie hereinkommen, in Begleitung eines Mannes, der ein paar Jahre älter als sie sein mochte. Sie lächelte höflich, aber er kannte sie gut genug, um zu wissen, dass sie sich den Club ganz bewusst ausgesucht hatte. Hier konnte sie sich nach dem Essen höflich verabschieden und die paar Blocks zu Fuß nach Hause gehen.

Sie war elegant. Anmutig. Der Typ Frau, auf den die Männer flogen. Keine Frau, die bei einer vorgetäuschten Verlobung mitmachen würde.

„Oh-oh …“ Ethan schüttelte den Kopf. Er war Dereks Blick gefolgt.

„Was meinst du?“ Hunter sah ihn fragend an.

„Also ich finde das überhaupt nicht witzig“, protestierte Derek.

„Wo bleibt eigentlich Nate?“, fragte Hunter jetzt. Nate war ihr ältester Bruder und kam als Letzter. Er war frisch verheiratet mit der Mutter seiner dreijährigen Tochter Penny. Es gefiel Derek, wie sein Bruder in die Rolle des Ehemanns und Vaters hineinwuchs.

„Er kommt später. Er wollte noch mit Penny reiten gehen, bevor er in die Stadt kommt“, erklärte Ethan. „Das Dasein als Daddy hat ihn sehr verändert.“

„Er ist ruhiger geworden“, bestätigte Hunter. „Ihr beiden solltet es auch versuchen.“

„Das mache ich ja. Gewissermaßen.“ Derek räusperte sich. Die Vorstellung, tatsächlich zu heiraten und eine Familie zu gründen, hatte nichts Verlockendes für ihn. Er war mit seinem Job verheiratet. Die Arbeit als Chirurg verlangte seine ganze Konzentration. Die meisten Frauen – zu denen im Übrigen auch Marnie gehörte – verstanden das nicht. Sie wollten einen Mann, der ihnen mindestens ebenso viel Aufmerksamkeit widmete wie seinem Beruf.

„Was du da vorhast, zählt nicht“, erklärte Hunter ihm. „Bianca hat etwas Besseres verdient als eine vorgetäuschte Verlobung.“

„Mehr wird bei mir wohl nicht herauskommen“, räumte Derek ein. Er war neben Ethan der einzige noch ungebundene der Caruthers-Brüder. Ethan liebte die Frau eines Freundes. Bei ihm war also nicht viel zu erwarten, was das Thema Ehe anging. „Wir sind ja auch dazu verpflichtet, die Gerüchteküche in Cole’s Hill mit Stoff zu versorgen. Immerhin gelten wir als die ‚wilden Caruthers‘. Wie sollen wir unserem Ruf gerecht werden, wenn wir alle verheiratet sind?“

„Darauf lasst uns anstoßen“, sagte Ethan.

Die drei hoben ihre Gläser. Als Nate einige Minuten später eintraf, wandte sich das Gespräch erfreulicherweise von Dereks vorgetäuschter Verlobung ab. Derek aß und trank mit seinen Brüdern und behielt den Tisch im Blick, an dem Bianca und ihr Date saßen. Er war jederzeit bereit, ihr zu Hilfe zu kommen. Als Freund. Das war alles. Hunter hatte recht. Keine anständige Frau würde sich auf eine vorgetäuschte Verlobung einlassen.

Bianca Velasquez machte gerade keine gute Lebensphase durch. Vor einem Jahr hatte sie Silvester allein auf dem Balkon einer Villa in Sevilla gefeiert, während Jose auf dem Weg zu ihr gewesen war. Seine Maschine war abgestürzt. Es war … erschütternd gewesen. Sie hatte keine Gelegenheit mehr gehabt, die Sache mit ihm zu beenden. Sie war wütend auf ihn gewesen und hatte sich eingeredet, ihn zu hassen. Aber die Wahrheit war, dass er ihre erste große Liebe gewesen war. Sie hatten ein Kind zusammen, und ganz gleich, mit wie vielen Frauen er schlief, während er mit der Formel 1 um die Welt tourte … Nein, sie war nicht darauf vorbereitet gewesen, dass er derart abrupt aus ihrem Leben verschwand.

Sie rieb sich den Nacken, während ihr Begleiter sich endlos über ein Hobby ausließ, dem er neuerdings frönte. Sie hatte keine Ahnung, worum es ging. Sie hatte sich schon vor geraumer Zeit aus dem Gespräch ausgeklinkt. Dabei schien er durchaus ein netter Mann zu sein. Ein Mann, der eine Frau verdient hätte, die wirklich an einem Gespräch mit ihm interessiert war, statt heimlich auf die Uhr zu sehen und so schnell zu essen, dass sie sich beinahe verschluckt hätte. Nein, sie war ganz gewiss nicht die Richtige für ihn.

„Ich habe dich verloren“, konstatierte er bedauernd.

Sie lächelte ihn an. Er sah gut aus und war charmant. Alles, was ihr normalerweise an einem Mann gefallen hätte. „Es tut mir leid. Es liegt nicht an dir. Ich bin nur …“

Er schüttelte den Kopf. „Ich verstehe schon. Deine Mom hat mich gleich gewarnt, aber ich konnte der Versuchung nicht widerstehen, herauszufinden, ob du tatsächlich so hübsch bist wie auf dem Foto.“

Sie errötete. Mit achtzehn hatte sie begonnen, als Model zu arbeiten. Dann hatte sie einen Vertrag in Paris bekommen und ihre Karriere als Supermodel gestartet. In Paris hatte sie auch Jose kennengelernt und sich in ihn verliebt. Jetzt war sie älter und fühlte sich schon lange nicht mehr wie das unbeschwerte Mädchen von einst. „Die Fotos sind vor langer Zeit entstanden.“

„Welche Fotos? Ich rede von dem, das auf dem Schreibtisch deiner Mutter steht“, sagte er.

„Oh, entschuldige. Ich stehe heute Abend irgendwie neben mir“, bekannte sie. „Es tut mir leid, dass ich deine Zeit verschwendet habe.“

„Unsinn! Falls du je Lust haben solltest, es noch einmal zu versuchen, ruf mich an.“ Damit erhob er sich und ging.

Bianca blieb allein an ihrem Tisch zurück. Sie starrte aus dem Fenster auf den Golfplatz. Die Sonne war längst untergegangen. Sie sollte nach Hause gehen, aber ihr Sohn war schon im Bett, und ihre Mom würde sie wahrscheinlich über das Date ausfragen. Keine guten Aussichten.

Sie bedeutete dem Ober, den Tisch abzuräumen, und bestellte einen Martini.

„Darf ich mich zu dir setzen?“

Wie aus dem Hut gezaubert stand plötzlich Derek Caruthers neben ihrem Tisch. Das Haar fiel ihm glatt in die Stirn. Als sie noch Kinder gewesen waren, war sein dunkelblondes Haar immer wild und ungezähmt gewesen, so wie Derek selbst. Heute war er ein Chirurg, dessen Können in den höchsten Tönen gelobt wurde.

„Leider bin ich heute keine gute Gesellschaft.“

Er nahm Platz. „Das kann ich nicht glauben.“

„Es stimmt aber. Ich war ein schreckliches Date. Ich komme mir richtig gemein vor.“

Er bestellte einen Drink. Kurze Zeit später hielt er ein Glas mit Scotch in den Händen und sie ihren Martini.

„Auf alte Freunde“, sagte er.

„Auf alte Freunde.“ Sie stieß mit ihm an. „Wie ist das Meeting gelaufen?“ Sie beneidete Derek. Er hatte sein Leben im Griff. Er wusste, was er wollte, und er bekam es. Im Gegensatz zu ihr schien er glücklich zu sein mit seinem Singledasein.

„Nicht so, wie ich es mir vorgestellt hatte.“

Sie nippte an ihrem Drink. „Das passt ja gar nicht zu dir. Was ist passiert?“

„Eine Ex von mir ist aufgetaucht und hat Probleme gemacht. Wie immer.“ Derek leerte sein Glas in einem Zug.

„Was war los? Erzähl es mir, und ich helfe dir, das Problem zu lösen.“

Es tat gut, ein Problem mit Derek zu besprechen. Ein Problem, bei dem es nicht um sie ging. Um die erwachsene Frau, die wieder bei ihren Eltern eingezogen war. Die Klatschtanten in Cole’s Hill zerrissen sich darüber das Maul. Vom Supermodel zur Loserin. Sie schob den Martini beiseite. Der Drink machte sie melancholisch.

„Du könntest mir tatsächlich helfen.“ Derek beugte sich vor und nahm ihre Hand in seine.

„Sag mir, was ich machen soll. Du bist mein bester Freund, und du weißt, ich würde alles für dich tun.“

„Ich habe gehofft, dass du das sagst.“

Sie lächelte. Natürlich würde sie Derek helfen – so wie er ihr. Als sie davon geträumt hatte, Texas zu verlassen und nach Paris zu gehen, hatte er sich alles angehört und ihr geholfen, ihre Träume zu verwirklichen. Im ersten Jahr in Paris war sie oft einsam gewesen – und er hatte ihr jeden Tag eine Mail oder eine SMS geschickt.

„Was brauchst du?“

„Eine Verlobte.“

2. KAPITEL

Eine Verlobte? Hatte er den Verstand verloren?

Bianca begann zu lachen – und konnte nicht mehr aufhören.

„Danke, das habe ich gebraucht“, keuchte sie schließlich. „Du kannst dir nicht vorstellen, wie schrecklich die vergangene Woche war.“

Derek lehnte sich zurück und verschränkte die Arme vor der Brust. Unwillkürlich registrierte Bianca, wie sich sein Bizeps unter dem Stoff des Hemdes abzeichnete. Es war ihr in den langen Jahren ihrer Freundschaft immer schwerer gefallen zu ignorieren, wie gut Derek aussah. Er ging regelmäßig ins Fitnessstudio. Irgendwann hatte er ihr mal erklärt, ein Chirurg müsse funktionieren wie eine Präzisionsmaschine. Dazu müsse alles – Körper und Verstand – in einem Top-Zustand sein.

„Das war kein Witz.“

„Wie bitte?“ Bianca war müde. Irgendwie kam sie sich vor wie Alice im Wunderland, die den Tunnel hinunter in den Kaninchenbau geht. Es war alles so unwirklich.

„Ich brauche eine Verlobte“, sagte Derek. „Es gibt ein neues Mitglied im Verwaltungsrat. Eine Frau. Und die entscheidet über meine Zukunft. Leider ist sie wie besessen von mir – wir waren vor langer Zeit zusammen. Ich kann sie mir nur vom Hals halten, wenn ich ihr klarmache, dass ich vergeben bin.“

„Und was für eine Rolle soll ich dabei spielen?“

Derek musterte sie nachdenklich. „Eine vorgetäuschte Verlobung könnte auch für dich nützlich sein.“

Sie konnte ihm immer noch nicht folgen. Derek war einer ihrer besten Freunde, und das, was er jetzt vorschlug, klang irgendwie nicht ganz einwandfrei.

„Inwiefern?“

„Wenn wir verlobt wären, würden uns alle in Ruhe lassen. Ich könnte mich darauf konzentrieren, die Mitglieder des Verwaltungsrates so zu beeindrucken, dass sie keine andere Wahl haben, als mich zum Leiter der Kardiologie zu ernennen. Und du könntest dir überlegen, was du mit deinem Leben machen willst – ohne den Druck, den deine Eltern zurzeit auf dich ausüben.“

Sie dachte nach. So betrachtet wäre es dumm, ihm nicht zuzustimmen. „Bist du dir sicher?“

„Natürlich.“

Wann war Derek sich seiner Sache nicht sicher? Sie hätte seine Antwort kennen sollen.

„Wenn wir verlobt wären – wieso hätten wir es geheim halten sollen?“

„Um Hunter und Nate nicht die Show zu stehlen. Hunters Hochzeit steht wirklich im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses.“

„Das stimmt. Kinley hat viel mit den Vorbereitungen zu tun. Sie wird sich allerdings fragen, wieso ich nicht einmal erwähnt habe, dass wir zusammen sind.“

Bianca und Kinley waren gute Freundinnen. Sie waren beide alleinerziehende Mütter mit Kleinkindern im gleichen Alter gewesen. Jetzt war Kinley nicht mehr allein. Sie hatte ihr Glück mit Nate gefunden, Dereks ältestem Bruder.

Autor

Katherine Garbera
<p>USA-Today-Bestsellerautorin Katherine Garbera hat schon mehr als neunzig Romane geschrieben. Von Büchern bekommt sie einfach nicht genug: ihre zweitliebste Tätigkeit nach dem Schreiben ist das Lesen. Katherine lebt mit ihrem Mann, ihren Kindern und ihrem verwöhnten Dackel in England.</p>
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