Was nach Mitternacht geschah

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"Was willst du im neuen Jahr ausprobieren?" Bei Carters provokanter Silvesterfrage spürt Lindsey ein aufregendes Prickeln. Denn es gibt nur eine ehrliche Antwort, die sie dem sexy Snowboarder geben kann: Dich will ich! Und in wenigen Minuten beginnt das neue Jahr …


  • Erscheinungstag 23.11.2020
  • ISBN / Artikelnummer 9783751505208
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

„Hallo, meine Hübsche.“

Carter Shaw.

Bad Boy, Snowboarder und Lindsey Collins’ schlimmster Albtraum. Carter war alles, was sie nicht war, und wenn sie ganz ehrlich zu sich war, alles, was sie je hätte sein wollen.

„Hallo, Nervensäge.“

Er lachte dieses tiefe Lachen, das so typisch für ihn war.

Sie versuchte, die Tatsache zu ignorieren, dass seine Augen dieses Graublau besaßen, das sie an den frühen Morgen auf der Piste erinnerte, wenn die Sonne gerade aufging. Sein dichtes, leicht gelocktes Haar trug er im Moment kurz geschnitten. Er hatte es schon viel länger getragen, aber dieser sportliche Schnitt zog noch mehr Aufmerksamkeit auf sein markantes Gesicht. Seinen sexy Bartansatz hätte sie nur zu gerne berührt. Gut aussehend, sportlich und gelassen wie er war, wirkte er auf sie immer so, als wäre er in Kalifornien aufgewachsen und gehörte auf ein Surfbrett statt auf ein Snowboard.

„Nettes Event“, meinte er, „vorausgesetzt, man mag so viel Glamour.“

Sie schaute sich rasch um und musste gegen ihren Willen lächeln. Der Club im Lars Usten Resort und Spa feierte Silvester im großen Stil. Viele Leute. Viel Champagner. Lustige Hüte und Tröten für jeden. Es gab eine große Tanzfläche und ein üppiges Buffet.

„Genau der richtige Rahmen für mich“, erwiderte sie.

„Das stimmt“, sagte er mit einer Bewegung seiner Hand.

„Du widersprichst mir nicht? Was ist los? Machst du mich etwa an?“, fragte sie. „Du wolltest mich zwar häufig küssen, hast aber auch jedes Mal behauptet, dass du letztendlich ein Snowboard einer Super-G-Skifahrerin vorziehen würdest.“

„Nun, im Moment siehst du sehr viel besser aus als mein Snowboard.“

Lindsey schüttelte bei seinen Worten den Kopf. Etwas war in dieser Nacht bei ihm anders. Er wirkte nicht so arrogant wie sonst. Beide waren an diesem Abend zu der Hochzeit ihrer gemeinsamen Freunde, Elizabeth und Bradley, gekommen. Das frisch verheiratete Paar hatte sich längst zurückgezogen, aber Lindsey wäre sich wie Bridget Jones vorgekommen, wenn sie am Silvesterabend allein in ihrer noch spärlich möblierten Wohnung sitzen würde.

Bis jetzt war Lindsey nie gerne an Silvester bis Mitternacht aufgeblieben. Warum auch? Ihr ganzes Leben war darauf ausgerichtet gewesen, internationale Goldmedaillen zu gewinnen – und jemanden um Mitternacht zu küssen war ihr im Vergleich zu ihren Zielen immer etwas langweilig vorgekommen. Zumindest war das bisher so gewesen. Aber heute Nacht fühlte sie sich anders. Ein wenig außer Kontrolle geraten. Und wenn sie ganz ehrlich war, wünschte sie sich, etwas tun zu können, was sie noch nie getan hatte. Das letzte Jahr hätte ihr Jahr werden sollen, aber es war alles anders gekommen. Sie hatte einen demütigenden Sturz bei den Winterspielen in Sotschi erlitten, der ihre Karriere beendet und ihr Leben verändert hatte. Und statt die Veränderungen hinzunehmen, hatte sie sich hier in Park City, Utah im Lars Usten Resort, zurückgezogen.

Es war so einfach gewesen. Das Resort war eine ideale Mischung aus rustikaler Gemütlichkeit und Luxus, ihre Schüler waren so nett und angenehm. In den letzten sechs Monaten hatte sie hier die Gelegenheit gehabt, sich von mehreren Knieoperationen zu erholen.

Aber in diesem Jahr … nun, in diesem Jahr wurden die Würfel neu gemischt. Und sie würde genau hier und in diesem Moment damit beginnen, das Glück auf die Probe zu stellen. Die Band spielte einen Hit von Van Morrison, und sie warf Carter einen neckischen Blick zu. „Das ist mein Song.“

„Dein Song?“

Sie wies auf ihre Augen. Ach du meine Güte, stimmt. „Das Mädchen mit den braunen Augen.“

Der Song passte tatsächlich zu ihr.

„Dann lass uns tanzen“, meinte er, ergriff ihr Handgelenk und führte sie auf die Tanzfläche. Er zog sie zu sich. Sie ließ es geschehen und gab vor, nichts von all den Dingen, die sie über Carter gehört hatte, zu wissen.

Dass er einen lockeren Lebenswandel führte und mit dem Leben und den Frauen spielte. Dass er hohe Risiken einging und mehr als nur einen Unfall auf den Pisten verursacht hatte. Dass er charmant war und fast jede Frau in seinen Bann zog. Sie schluckte nervös, als sie spürte, dass er seine Hand jetzt auf ihre Hüfte gelegt hatte und sie beim Tanzen noch näher an sich heranzog. Sie konnte die Frauen verstehen.

Und er duftete gut. Es war ein frischer, würziger Duft, der sie an die Natur und an die Pisten erinnerte.

Sie wandte leicht den Kopf ab.

Heute Nacht war sie nicht sie selbst. Sie sollte die Tanzfläche verlassen und zur Tür hinausgehen. Sie sollte nach Hause fahren und damit aufhören, etwas zu tun oder sein zu wollen, was sie nicht war.

Aber sie hatte sich irgendwie verloren und brauchte dringend etwas, durch das sie sich wieder lebendig fühlte. Etwas, das früher der Geschwindigkeitsrausch ausgelöst hatte, wenn sie die Piste hinuntergerast war.

„Hey, meine Hübsche. Ist alles in Ordnung?“

Nein. Es war definitiv nichts in Ordnung, aber das würde sie bestimmt nicht ausgerechnet Carter auf die Nase binden.

„Ich habe nur Durst.“

„Dann komm, ich hole dir etwas zu trinken. Wir können uns einen Platz suchen und etwas plaudern.“

„Worüber könnten wir schon reden?“, fragte sie.

„Über die Wohltätigkeitsveranstaltung, damit Kinder Skifahren lernen können. Ich weiß, die findet erst nächsten November statt, aber wir beide sind Schlüsselfiguren darin.“ Seine Augen glitzerten humorvoll. „Oder vielleicht über die Tatsache, dass ich dich um Mitternacht küssen werde. Du kannst es dir aussuchen.“

Plötzlich sprachlos geworden, ließ sie zu, wie er sich abwandte und sich langsam einen Weg durch die Menge bahnte. Er war beliebt, und jeder blieb stehen, um mit ihm zu sprechen oder ein Foto mit ihm zu machen. Er lächelte gelassen und wirkte so, als ob er es genießen würde.

Verflixt, wahrscheinlich genoss er es auch. Sie hatte ihren Trainer sagen gehört, dass er das Rampenlicht liebte und das Rampenlicht ihn. Und sie hatte nie erlebt, dass etwas dieser Aussage widersprochen hätte. Wie machte er das nur?

Sie wünschte sich, sie hätte selbst etwas von seiner unerschütterlichen Selbstsicherheit, die manchmal als Arroganz herüberkam. Aber sie war nun einmal anders, und sie würde sich kaum über Nacht verändern.

Ein Teil des Problems war, dass sie gerade an einer unglaublich romantischen Winterhochzeit teilgenommen hatte, die ihr vor Augen geführt hatte, wie allein sie im Grunde genommen war. Hinzu kam, dass Penny, eine der Brautjungfern, seit Kurzem mit Will zusammen war. Der gut aussehende Will war ihr Urlaubsabenteuer gewesen, aber mit Penny schien sich etwas Festeres zu entwickeln.

Und sie war allein.

Einsam.

Verzweifelt …

Nein. Nicht verzweifelt. Obwohl es sich so angefühlt hatte, bevor Carter mit einem Martini und einem Drink für sich zurückkehrte. Er nahm neben ihr auf dem Sitz Platz und legte seinen Arm auf die Rückenlehne.

Ach, zum Teufel, dachte sie, als er noch näher an sie heranrutschte. Sie würde kein weiteres Jahr wie all die anderen verbringen. Dieses Jahr würde anders werden, und Carter Shaw würde in dieser Nacht ihr gehören.

Carter hatte sich zu Lindsey hingezogen gefühlt, seit er sie das erste Mal gesehen hatte. Sie waren beide siebzehn Jahre alt gewesen, als sie für ESPN, den Sportkanal, interviewt wurden. Als sie ihn damals mit ihren hübschen schokoladebraunen Augen anschaute, hatte es wie ein Blitz bei ihm eingeschlagen.

Aber sie war immer die Eiskönigin gewesen, wie die Medien sie zu Recht nannten. Zu kühl für jemanden, der so wild und draufgängerisch war wie er. Allerdings kannte er sie jetzt besser. Mehr als zehn Jahre später begehrte er sie immer noch, aber er sah sie durch die Augen eines Mannes und nicht mehr durch die eines Jungen, dessen Hormone außer Rand und Band geraten waren.

Obwohl er zugeben musste, dass sie ihn immer noch total verrückt machte.

Und es war Silvester. Er hatte mehr Jahresübergänge, als er zugeben wollte, betrunken mit Menschen verbracht, an deren Namen er sich noch nicht einmal erinnerte.

Er war sich bewusst, dass er sich im Laufe des letzten Jahres verändert hatte. Die Winterspiele hatten ihm zwar noch einmal Platzierungen eingebracht, die noch auf seiner Erfolgsliste gefehlt hatten, aber er war erschüttert gewesen, als er seinen nordischen Engel stürzen gesehen hatte. Dadurch, dass ihre Karriere ein so unerwartetes Ende gefunden hatte, war ihm klar geworden, dass es an der Zeit war, sein eigenes Leben genauer anschauen zu müssen. Er würde nicht für immer in der obersten Liga der Snowboarder mitspielen können.

Also war er nach Park City gekommen. Okay, vor allem, weil Lindsey da war. Er wollte sehen, ob sie jetzt, da sie nicht mehr ständig trainierte, um an der Weltspitze zu bleiben, Interesse für ihn zeigte. Aber sie behandelte ihn immer noch so, als ob er irgendein Mann in diesem Saal war, dabei wünschte er sich so sehr, der Einzige zu sein.

Vor allem in dieser Nacht.

„Na, meine Hübsche, hast du über den Kuss nachgedacht?“, fragte er leise.

Es war schwer, an etwas anderes zu denken, wenn er ihr so nahe war. Heute trug sie ihr langes hellblondes Haar aufgesteckt. Zarte Strähnen umrahmten ihr herzförmiges Gesicht und betonten ihren schmalen Nacken. Ihr Mund war voll und sinnlich. Sie hatte ein pinkfarbenes, glänzendes Lipgloss aufgetragen, und es war schwer, den Blick davon abzuwenden. Er lehnte sich vor und hätte sie fast geküsst, doch er zog sich wieder zurück.

Bis Mitternacht würde er warten.

Er würde nicht seinen niederen Trieben nachgeben. Nicht mehr. Er hatte sich jetzt unter Kontrolle.

„Es ist mir mal durch den Kopf gegangen“, schnurrte sie und fuhr mit dem Zeigefinger leicht über seine Unterlippe, bevor sie kurz mit geschlossenen Augen über sein Kinn glitt.

„Ich habe darüber nachgedacht. Du weißt, dass du mich schon seit einer Ewigkeit interessierst.“

„Seit einer Ewigkeit?“, wiederholte sie. „Ist das nicht ein bisschen übertrieben?“

Nicht wirklich. Aber er hatte nicht vor, heute Nacht zuzugeben, dass er bereits seit zehn Jahren von ihr besessen war. Sie war immer seine Traumfrau gewesen. Die Eine in seinem Leben, die immer außerhalb seiner Möglichkeiten gewesen war.

Bis jetzt.

Er wickelte eine zarte Haarlocke, die ihren Nacken berührte, um seinen Finger. Ihr Haar war unglaublich seidig. Sie trug ein smaragdgrünes Kleid, das ihre makellose cremefarbene Haut betonte.

„Das ist keine Übertreibung. Ich wollte dich schon küssen, als wir vom ESPN interviewt wurden.“

Sie legte den Kopf leicht in den Nacken. „Du warst bereits damals ein Draufgänger. Und wir beide wussten, dass du eine gefährliche Ablenkung von meiner Karriere gewesen wärst. Beinahe hätte ich es zugelassen.“

„Und was hat dich daran gehindert?“

„Meine Eltern. Sie haben viel geopfert, damit ich dahin kam, wo ich war, und kein noch so heißer Snowboarder mit einem Tattoo konnte das ändern.“

„Mit einem Tattoo. Ist das ein Minuspunkt für mich?“, fragte er und rieb sich den Nacken, an dem sich das erste Tattoo befand, das er sich hatte machen lassen. Es war ein Symbol für Mut. Er hatte dieses Zeichen in Japan gesehen, als sein Vater, der ein international anerkannter Geschäftsmann war, ihn mit auf eine Reise genommen hatte. Carter war damals fünfzehn Jahre alt gewesen und in Nagano Snowboard gefahren, während sein Vater seinen Terminen nachging. Das Tattoo war ein Weg gewesen, die Aufmerksamkeit seines Vaters zu erlangen. Was sollte er sagen? Er war damals ein Teenager gewesen.

Sie fuhr mit einem ihrer manikürten Fingernägel über das Zeichen. „Jetzt nicht mehr. Aber damals warst du viel zu wild und rebellisch für mich. Ich musste mich auf das Skifahren konzentrieren.“

„Du warst immer viel schneller als ich“, winkte er ab. Er wusste, dass viele Leute die Flips und Drehungen auf seinem Snowboard als extrem gefährlich einschätzten, aber Lindsey war mit weit mehr als einhundert Kilometern in der Stunde die Piste hinuntergerast. Das hatte er immer bewundert.

Sie fuhr mit dem Finger an seinem Nacken entlang und rief Schauer der Erregung in ihm hervor. Offensichtlich bemerkte sie seine Reaktion, denn sie lehnte sich näher und seufzte leise.

„Warum bist du mir dann immer voraus?“, flüsterte sie ihm ins Ohr.

Seine Fähigkeit zu denken war plötzlich verschwunden. Ihr Atem war warm, und er konnte nur noch an ihren Mund denken. Er drehte den Kopf, beugte sich leicht vor und wollte ihre Lippen schmecken, als plötzlich eine Kellnerin an ihrem Tisch erschien.

Carter fluchte leise und zwang sich zu einem Lächeln. „Ja, bitte.“

„Diese hier sind für Sie“, erklärte die junge Frau und legte zwei Karten und Kugelschreiber auf den Tisch, bevor sie wieder ging.

Sie hatte sich entschieden, die Nacht mit Carter zu verbringen, aber ihre Nerven waren doch angespannter, als sie erwartet hatte. In Filmen hatte sie gesehen, wie Frauen einen Mann köderten, mit ihm tanzten und lachten und schließlich mit ihm im Bett landeten. Aber ihr war das Flirten noch nie leichtgefallen.

Carter besaß etwas, das für sie unwiderstehlich war. Sein Tattoo hatte sie schon immer fasziniert, und sein leichter Bartansatz fühlte sich genauso an, wie sie es sich vorgestellt hatte. Sie würde sich in dieser Nacht von den Martinis Mut holen. Sie musste zugeben, dass sie sich langsam entspannte und ihr die Situation zu gefallen begann.

Sehr sogar.

„Was ist das?“ Sie nahm eine der Karten, die die Kellnerin zurückgelassen hatte. Soeben hatte er sie küssen wollen, und sosehr sie sich danach sehnte, war sie doch froh über die Verzögerung. Sie wollte ihn erst um Mitternacht küssen.

„Darauf ist eine Liste von Vorsätzen für das neue Jahr gedruckt, und du kannst eigene dazuschreiben“, meinte er. „Was wünschst du dir denn, meine Hübsche?“

Sie zog eine Augenbraue hoch. „Warum nennst du mich immer so?“

„Weil du bildhübsch bist“, meinte er. „Außerdem habe ich Angst, deinen Namen auszusprechen, weil du dich dann daran erinnern könntest, dass du mich eigentlich nicht magst.“

„Ich würde nicht sagen, dass ich dich nicht mag“, wehrte sie ab. Er war zu verwegen, als dass sie sich immer in seiner Gegenwart wohlfühlen könnte, aber heute Abend gefiel ihr seine Art. Sie wollte vergessen, wer sie war und was im letzten Jahr geschehen war. Und sie wünschte sich, am ersten Januar als eine andere Frau aufzuwachen.

Wie bemitleidenswert ist das denn? dachte sie. Sie sollte aufhören zu trinken. Sie hatte zwei Martinis und war nicht betrunken, höchstens ein wenig beschwingt. Es waren die sentimentalen Gedanken, die sie störten.

„Also gut, was würdest du denn über mich sagen?“

„Mir gefällt dein Tattoo“, gab sie zu. „Und deine Bartstoppeln. Wodurch werden sie so weich?“

Er lachte. „Ich habe noch mehr Tattoos.“

„Wirklich?“, fragte sie. „Wo?“

„Wenn alles zwischen uns gut läuft, zeige ich sie dir.“

Sie errötete ein wenig. Sie war nicht so cool, wie sie es sich gewünscht hätte, aber wich nicht aus. Sie würde das durchziehen, würde impulsiv und verwegen sein. So gar nicht wie ihr altes Lindsey-Selbst.

Um abzulenken, schaute sie auf die Karte, die vor ihr lag. „Hast du Vorsätze?“

„Ist das dein Ernst?“, fragte er mit spöttischem Blick. „Sehe ich wirklich so aus, als ob ich vorhätte, mich zu bessern?“

Sie schüttelte den Kopf, aber ihr wurde in diesem Moment bewusst, dass er sich als den Playboy und Draufgänger sah, für den sie ihn immer gehalten hatte. „Ich bin mir nicht sicher. Ich denke, es gibt einen Teil von Carter Shaw, den die Welt nie gesehen hat.“

Er schüttelte den Kopf. „Nein. Ich meine, da gibt es diese Tattoos, aber ansonsten bekommt man, was man sieht.“

Das bezweifelte sie. Sie kam ihm langsam auf die Schliche. Warum kämpfte er so hart darum, jemand zu sein, der er nicht war? Aber tat sie das nicht auch? Ja, weil es einfacher war, sich so zu verhalten, als der Welt die Wahrheit über sich zu zeigen.

„Wie willst du dich im nächsten Jahr ernähren?“, las sie von der vorgedruckten Liste auf der Karte vor und hoffte, dass ihr Mut sie bis Mitternacht nicht verlassen würde. Es waren ja nur noch fünfzehn Minuten. Sie wollte Carter. Sie wollte, dass dieses Silvester anders als alle vorigen würde.

„Wie ich mich ernähren will?“ Er zog die Stirn in Falten. „Ich bin mir noch nicht sicher, aber ich werde mit meinem Cousin auf Grönland eine Rentierfarm besuchen. Vielleicht esse ich also Rentier?“

„Ich wette, es schmeckt nicht wie Hühnchen“, bemerkte sie mit dem Anflug eines Lächelns. „Wann geht ihr dorthin?“

„Im Herbst. Wir wollen die Nordlichter sehen. Drei Wochen lang werden wir mit den Einheimischen leben und jede Nacht nach der Aurora Borealis Ausschau halten.“

Das hörte sich … kalt an, aber auch faszinierend. „Hast du das vorher schon einmal gemacht?“

„Nein. Das ist das erste Jahr, in dem ich nicht mehr an Wettkämpfen teilnehmen werde.“

Sie sah ihn überrascht an. „Was? Warum nicht?“ Wenn ihr verletztes Knie nicht wäre, das die extremen Belastungen des Profisports nicht mehr zugelassen hatte, würde sie weitertrainieren, um in vier Jahren bei den nächsten Winterspielen mitzumachen.

„Ich habe mehr Goldmedaillen und Auszeichnungen, als ein Mann verlangen kann. Es wird Zeit, dass ich mich auf etwas Neues konzentriere.“

„Und das wäre?“, fragte sie und rückte näher. Das hier interessierte sie. Was konnte nach Jahren des Trainings und der Wettkämpfe kommen? Carter hatte es wahrscheinlich leichter, da er aus einer angesehenen, sehr wohlhabenden Familie kam. Er war ein reiches, verwöhntes Kind gewesen, das alles bekommen hatte, was es wollte. Allerdings wusste sie auch, dass er genauso hart wie sie gearbeitet hatte, um an den Winterspielen teilzunehmen.

„Das weiß ich noch nicht. Aber dies wird das Jahr sein, in dem ich es herausfinden will. Ich arbeite an dieser Wohltätigkeitssache für Kinder, bei der du auch mitmachst. Es ist etwas Neues für mich. Mein Vater freut sich darüber, dass ich etwas zurückgeben will. Kannst du glauben, dass er so etwas zu mir gesagt hat?“ Carter verzog das Gesicht. „Ich habe in den letzten Jahren viel zurückgegeben.“

Für einen Moment konnte sie einen Blick auf den wahren Carter werfen. „Das hast du. Ich habe von dem Snowboard gehört, das du entwickelt hast. Es hat das Snowboarden verändert.“

„Ja, aber das war keine große Sache“, erklärte er und grinste. Und mit diesem jungenhaften Lächeln verschwand der echte Mann wieder hinter der Fassade. „Was willst du bei deiner Ernährung ändern?“

„Nichts Besonderes. Ich habe bisher immer eine Abneigung gegen bestimmte Milchprodukte gehabt. In diesem Jahr will ich Käse ausprobieren.“

Er zog eine Augenbraue hoch. „Käse?“

„Ja.“

„Du isst keinen Käse?“, fragte er.

Sie hatte Freunde, die genau wie er reagierten, wenn sie das erwähnte. „Ich mag eben keinen Käse. In welcher Form auch immer.“

„Cheeseburger?“

„Nein.“

„Pizza?“

„Nur mit Pesto und frischen Tomaten. Kein Käse.“

„Das ist seltsam“, meinte er.

„Als ob du normal wärst!“

„Wer will schon normal sein?“, bemerkte er. „Okay … Scherz beiseite. Welche neuen Dinge willst du ausprobieren?“

Sie überlegte lange, bis sie dank der zwei getrunkenen Martinis endlich ihren ganzen Mut zusammennahm. „Dich.“

2. KAPITEL

„Mich?“

„Ja, dich. Erinnerst du dich, wie oft du mich küssen wolltest?“

Und ob er das tat! Seit ihrem ersten Treffen war es zu einer Art Spiel für ihn geworden. Er wollte sie, aber sie hatte sich ihm gegenüber immer abweisend verhalten. Natürlich hatte ihn das nicht aufgehalten. Er hatte sie unbarmherzig aufgezogen und sie immer wieder scherzhaft mit diesem Kuss bedrängt.

„Das letzte Mal, als ich dich fragte, habe ich dich wohl erschreckt“, erklärte er und kam zu einem der Hauptgründe, warum er heute Abend neben Lindsey Collins saß, die trotz ihrer Aussage wohl kaum in dieser Nacht in seinem Bett landen würde. Er hatte sie in Sotschi bei den Winterspielen bedrängt. Hatte sie dahin getrieben, dass sie sich einverstanden erklärte, ihn zu küssen, wenn er seine eigene Weltrekordzeit brechen würde.

Obwohl er eigentlich nie erwartet hatte, dass sie ihren Teil der Wette einhielt. Er hatte sie nur in die Enge treiben wollen, da es nach zehn Jahren unerfüllten Flirtens lächerlich erschien, weiterzumachen. An diesem Tag hatte er sich auch von seinem Coach und den Sponsoren bedrängt gefühlt, weil er einen Vertrag unterschreiben sollte, der ihn verpflichtete, das zu tun, was er immer getan hatte. Und statt wie ein Mann zu handeln, war er zu Lindsey, die sich auf das Abfahrtsrennen vorbereitete, gelaufen, um sie ein wenig zu ärgern.

„Du hast mich nicht erschreckt. Um Gottes willen, denke nur nicht, dass mein Sturz etwas mit dir zu tun hatte“, sagte sie betroffen und legte ihre Hand auf seine.

Sie beugte sich vor, und der Duft ihres Parfüms umgab ihn. Der Ausdruck in ihren braunen Augen war ehrlich, als sie ihm die Hand drückte. „Mein Sturz war … ich bin mir nicht sicher, was ihn ausgelöst hatte, aber ganz bestimmt warst du es nicht. Ich habe mir die Aufzeichnungen tausend Mal angeschaut. Ich wünschte, ich würde übertreiben, aber das tue ich nicht. Immer und immer wieder habe ich mir die Abfahrt angesehen und versucht herauszufinden, was ich anders gemacht habe. War dir aufgefallen, wie gut ich im oberen Teil gefahren bin?“

„Ja.“ Er hatte sie wie alle anderen auch gesehen, nur dass er – wie immer bei ihr – diesen Stolz gespürt hatte. Dann war sie plötzlich auf halber Strecke gestürzt. Sein Herz hatte für eine Sekunde ausgesetzt. Sie hatte so schmal und verletzlich gewirkt, als sie in die orangefarbene Sicherheitsabgrenzung gerast war. Schuld und Angst hatten ihm die Kehle zugeschnürt.

„Wahrscheinlich habe ich den Ski einfach verkantet. Mein Trainer hat mehrere Theorien darüber. Aber ganz ehrlich, bestimmt bin ich nicht aus Angst vor deinem Kuss gestürzt.“

„Du hast schon viele Männer geküsst, nicht wahr?“

Autor

Katherine Garbera
<p>USA-Today-Bestsellerautorin Katherine Garbera hat schon mehr als neunzig Romane geschrieben. Von Büchern bekommt sie einfach nicht genug: ihre zweitliebste Tätigkeit nach dem Schreiben ist das Lesen. Katherine lebt mit ihrem Mann, ihren Kindern und ihrem verwöhnten Dackel in England.</p>
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