Zeig Gefühl, Darling!

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Auf eigene Faust macht sich die toughe Barbesitzerin Charlie Jones auf die Suche nach ihrem verschollenen Vater. Eine heiße Spur führt sie in die Shoppingmeile von Corsville - und mitten in den Fall des Privatdetektivs Harry Lonnigan, der es mit Schutzgelderpressern aufnehmen muss. Knapp können die beiden den Gangstern entkommen und sich in eine stillgelegte Tankstelle retten. Schutz suchend wirft Charlie sich in die starken Arme des attraktiven Ermittlers. Doch obwohl sie spürt, dass er sie begehrt, wehrt er ihre Verführungsversuche ab. Was hat Harry zu verbergen?


  • Erscheinungstag 23.03.2016
  • ISBN / Artikelnummer 9783733767556
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Sie hatte den zarten, reizvollen Mund einer Frau. Und als sie sich leicht vorbeugte, um durch das vordere Fenster des Lebensmittelladens zu spähen, betrachtete Harry ihren Po, den er ebenfalls reizvoll fand. Es juckte ihn in den Fingern, und er war nicht sicher, ob von dem Wunsch, diesen Po zu streicheln, oder dem Drang, ihm einen Klaps zu geben.

Sie war wohl kaum ein Transvestit. Offenbar hatte sie einfach nur einen schlechten Geschmack bei Kleidung. Aber sie war eindeutig weiblich, dessen war sich Harry ganz sicher. Er hatte sie gar nicht bemerkt, bis sie ihm zu nahe kam und er ihren Duft einatmete. Das weckte seine Sinne und ließ seine Hormone verrückt spielen. Unwillkürlich beobachtete er sie, bis es ihr auffiel. Sie warf ihm einen mürrischen Blick zu und entfernte sich von ihm.

Doch Harry beobachtete sie weiter. Die abgewetzte braune Lederjacke war ihr einige Nummern zu groß und an einer Schulternaht aufgerissen. Das Flanellhemd darunter war ihr zu weit und hing ihr über die schlecht sitzende geflickte Jeans. Die ausgetretenen Stiefel mit den niedrigen Absätzen und den Ketten an den Hacken ließen ihn vermuten, dass sie versuchte, den Eindruck einer Rockerbraut zu erwecken. Dabei war das absurd. Selbst ihre mit Gel gestylten glänzenden schwarzen Haare, die zu einem kurzen Pferdeschwanz zusammengebunden waren, wirkten feminin und nicht männlich rebellisch. Sie trug nur in einem Ohr einen Ring, eine kleine abgefeuerte Kugel, die an einem winzigen Silberring hing.

Sie hielt die Hände in den Gesäßtaschen und grinste spöttisch. Harry fragte sich, was sie mit ihren Brüsten gemacht hatte, da sie durch die weite Kleidung nicht zu erkennen waren. Natürlich konnten sie von Natur aus klein sein. Ihm wäre das egal. Er hatte eine Schwäche für sexy Pos, und er mochte zierliche Frauen …

Harry hielt inne, erschrocken über die Richtung, in die seine Gedanken wanderten. Er wollte nichts mit dieser Frau zu tun haben, absolut nichts.

Was immer ihre Entschuldigung dafür sein mochte, sich wie ein Mann zu verkleiden, in diesem Moment sollte sie besser nicht hier sein und ihn ablenken. Das konnte ihm unter Umständen alles verderben.

Er versuchte sie zu ignorieren und sich ganz auf die beiden Männer zu konzentrieren, die sich auf die Kasse zubewegten. Aber es gelang ihm nicht. Wer war diese Frau, und was bezweckte sie mit ihrer Verkleidung und ihrem merkwürdigen Verhalten? Nur ein vollkommener Schwachkopf würde sie für einen Mann halten.

Genau in diesem Moment drehte sich einer der beiden Männer um und musterte sie. Offenbar fiel er auf ihre Verkleidung herein. Harry war verblüfft.

Er trat hinter dem Chips-Regal hervor und schlenderte gemächlich weiter, um keine Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Doch die Frau war inzwischen zu nah bei den beiden Männern. Anscheinend versuchte sie jemanden durch das Schaufenster zu beobachten, ohne selbst gesehen zu werden. Offenbar war sie sich der Gefahr nicht bewusst. Harry hatte nicht die Absicht, den Helden zu spielen, aber er war auch nicht so abgebrüht, einfach mit anzusehen, wie eine Frau verletzt wurde, wenn er es verhindern konnte.

„Verschwinden Sie!“, zischte sie ihm zu.

Harry stutzte verblüfft. Woher hatte sie gewusst, dass er hinter ihr stand? Er hatte doch kein einziges Geräusch gemacht.

Die beiden Männer sahen auf. Es waren freche, unangenehme junge Typen, die übertrieben selbstsicher auftraten, weil sie in dieser Gegend schon zu lange ihre Masche abziehen konnten. Das behauptete jedenfalls Harrys Freund Dalton. Harry schuldete Dalton einen Gefallen, und diese beiden Rüpel von ihrer Erpressung abzuhalten, war eine gute Gelegenheit, seine Schuld zu begleichen, auch wenn es eine ärgerliche Angelegenheit war. Besonders da diese kleine Pseudo-Rockerbraut, die irgendetwas im Schilde führte, die Sache komplizierter machte.

Einer der Männer drehte sich zu ihnen um, stützte die Ellbogen auf den Verkaufstresen und musterte die beiden abschätzend. „Was machst du da?“

Harry tat so, als würde er nicht verstehen. Er widmete sich einem Regal mit Konserven und entschied sich schließlich für Dosenfleisch. Innerlich schüttelte er sich. Dosenfleisch war ziemlich eklig. Die kleine Frau neben ihm war wie erstarrt.

Endlich, nach einigen Sekunden Stille, in denen sich niemand rührte, sah Harry auf. „Hm? Redest du mit mir?“

Der Kerl stieß sich vom Verkaufstresen ab und kam durch den engen, vollgestopften Gang auf ihn zu. Seine blonden Haare waren lang und ungewaschen, wie vermutlich der Rest von ihm. Seine Augen waren von einem wässerigen Blau und rot gerändert, mit so dünnen Wimpern, dass sie fast nicht sichtbar waren. Ein zerzauster Bart bedeckte sein Kinn. Sein Partner, der schwerer war und braunes Haar hatte, drehte sich ebenfalls um, während Pops, der Ladenbesitzer, mit jedem Moment nervöser wurde.

„Ja, du. Was glaubst du denn, mit wem ich geredet habe? Mit dem Jungen?“

Harry grinste. Der Kerl war also ein Trottel und hielt die Kleine für einen Jungen. War er vielleicht kurzsichtig? Harry hob arrogant eine Braue. „Ich habe die Frage nicht gehört.“

Über das Gesicht des Blonden huschte ein gereizter Ausdruck, während er eine selbstsichere Pose einnahm, die eine Hüfte vorgeschoben, die Arme vor der schmalen Brust verschränkt. „Ich habe dich gefragt, was zum Teufel du da machst?“

Die Türklingel ertönte, als eine Kundin eintrat. Gleich darauf klingelte sie noch einmal, da die Frau die Situation mit einem Blick erfasste und rasch wieder hinauseilte. Offenbar war den Bewohnern dieser Gegend durchaus klar, was hier vorging. Sie waren alle zu alt oder zu ängstlich, um dem Spuk selbst ein Ende zu machen. Harry dagegen war weder alt noch ängstlich. Er hob verächtlich eine Braue.

„Ich kaufe ein. Was geht dich das an?“

Die Miene des Blonden verfinsterte sich. „Du lungerst hier schon herum, seit wir in den Laden gekommen sind. Wieso hast du noch nichts gekauft?“

Harry runzelte die Stirn. „Ich bin eben wählerisch.“

Der Blonde starrte ihn grimmig an. Dann entschied er offenbar, die Sache nicht weiter zu verfolgen, wahrscheinlich weil Harry mit seinen ein Meter fünfundneunzig gut einen Kopf größer war als er. Obwohl Harry wie ein Yuppie gekleidet war, strahlte er nicht die Harmlosigkeit eines ehrgeizigen leitenden Angestellten oder Geschäftmanns aus. Die Leute sagten, das habe etwas mit seinen Augen zu tun. Aber er gab nichts auf diesen Unsinn.

„Na schön, dann erledige das und verschwinde. Es gefällt mir nicht, dass du hier herumlungerst.“

Harry war bereit mitzuspielen – bis zu einem bestimmten Punkt. Und zwar bis zu dem Punkt, an dem der Kerl sich an die Frau wandte und sie mit dem Finger gegen die Brust stieß, sodass sie fast gestürzt wäre. „Das Gleiche gilt auch für dich. Verschwinde.“

Harry war kein Held, aber er verabscheute brutale Typen. Außerdem war Gewalt gegen Frauen für ihn unerträglich, auch wenn dieser Trottel nicht merkte, dass er eine Frau vor sich hatte.

Als der Kerl sie erneut anstoßen wollte und sich über ihr Zurückstolpern amüsierte, ließ Harry das Dosenfleisch fallen, packte die Finger des Mannes und drückte sie in seiner Faust zusammen.

Ein lautes Aufheulen hallte durch den Laden.

Unbeeindruckt fragte Harry: „Wieso willst du jemanden angreifen, der kleiner ist als du?“

Die Knie des Burschen gaben nach, da Harry noch fester zupackte. Der Blonde sah mit schmerzverzerrtem Gesicht zu ihm auf. „Er ist fast so groß wie ich!“

„Das ist keine Entschuldigung. Du bist ganz offensichtlich älter. Außerdem mag ich dich nicht.“ Durch eine geschickte Bewegung verdrehte er dem jungen Mann den Arm, dass dieser sich auf die Zehenspitzen stellen musste, um sein Gleichgewicht zu halten. Er stieß mit schriller Stimme wilde Flüche aus.

Und dann brach die Hölle los.

Der zierlichen Frau platzte der Kragen. „Ich brauche Ihre Hilfe nicht, sie aufgeblasener Kerl!“

Der Blonde hörte sie nicht oder er ignorierte sie absichtlich.

Der muskelbepackte Kumpan des Blonden stürzte hinzu. „Floyd!“, rief er und zog eine Pistole aus der Hose. Mit bösartigem Blick aus zusammengekniffenen Augen wandte er sich an Harry. „Lass ihn los, oder ich puste dir den Schädel weg!“

Harry spürte den harten Lauf der Pistole an den Rippen. „Das wird ein bisschen schwierig“, erwiderte er sarkastisch, „weil mein Kopf ein ganzes Stück höher sitzt als Ihre Pistole.“

Diese unkluge Provokation beförderte die Waffe augenblicklich höher, sodass er das kalte Metall jetzt an seinem Ohr spürte. Allmählich geriet die Situation außer Kontrolle. Vorsichtig lockerte er den Griff.

Floyd schüttelte fluchend die Hand und sah zu Harry auf. „Erschieß ihn!“

„Was?“

„Verdammt, du hast mich ganz genau verstanden, Ralph! Erschieß ihn!“

Harry sandte ein Stoßgebet zum Himmel, das prompt Wirkung zeigte, denn das Mädchen bewegte sich endlich unauffällig Richtung Tür bewegte.

„Komm zurück!“ Floyd hatte nicht die Absicht, einen von ihnen gehen zu lassen. „Ich vermute, ihr beide arbeitet zusammen, um uns abzulenken. Wer hat euch geschickt?“

Die Frau blinzelte, und ihre Wangen waren gerötet. „Niemand hat mich geschickt. Ich habe diesen Kerl noch nie gesehen!“

Harry wartete darauf, dass ihre Tarnung aufflog, denn ihre Stimme war eindeutig eine weibliche, trotz ihrer Bemühungen, sie tiefer klingen zu lassen.

Doch er wartete vergeblich.

„Wir können ihn nicht erschießen, Floyd. Du weißt doch, was Carlyle gesagt hat. Erledigt die Sache sauber. Außerdem wird es leichter sein, wenn wir ihn einfach gehen lassen. Er ist völlig bedeutungslos.“

„Wieso mischt er sich dann ein?“

Ralph senkte nachdenklich die Brauen und hielt weiter die Waffe an Harrys Kopf.

Um die beiden zu besänftigen, zuckte Harry mit den Schultern und sagte: „Ich kann es nun einmal nicht ertragen, wenn jemand Schwächere traktiert.“

Der Lauf der Waffe schlug gegen seinen Kopf, dass ihm die Ohren klingelten. „Du kannst alles ertragen, was Floyd dir befiehlt! So läuft das nämlich in dieser Gegend.“

Floyd grinste, und Harry stellte erstaunt fest, dass er gerade, weiße Zähne besaß. „Es gefiel dir also nicht, dass ich das mickrige Bürschchen herumgeschubst habe?“ Ohne Vorwarnung schlug er die Frau mit dem Handrücken ins Gesicht. Sie stolperte rückwärts und fiel krachend in einen Stapel Tunfischdosen.

Harry packte Floyd an der Kehle. Der Ladenbesitzer schrie etwas. Ralph hob die Frau auf und richtete die Waffe auf sie.

„Aufhören oder der kleine Mistkerl ist in ernsten Schwierigkeiten!“

Harry hielt inne. Die Frau war benommen, das war deutlich zu sehen. Ihr Kiefer verfärbte sich bereits, aber ansonsten war sie unverletzt. Harry ließ Floyd los, sodass der ein paar Schritte zurücktaumelte – und ausholte. Harry fing die Faust wenige Zentimeter vor seiner Nase ab und schüttelte missbilligend den Kopf. „Ich glaube, dein Komplize sagte, du sollst aufhören.“

„Damit meinte er dich, nicht mich!“

„Seht mal, Jungs“, begann Harry, „offenbar habt ihr hier etwas zu erledigen und habt euch ein wenig ablenken lassen. Vielleicht solltet ihr uns unschuldige Zuschauer einfach gehen lassen und zu Ende bringen, was ihr angefangen habt.“ Statt wie geplant nur zu beobachten, hatte Harry die Angelegenheit enorm verkompliziert. Jetzt musste er retten, was noch zu retten war.

Der Ladenbesitzer nickte in heftiger, unwirscher Zustimmung. „Ja, nehmt das verdammte Bargeld. Aber steckt die Pistole ein.“

„Halt den Mund, alter Mann, und lass mich nachdenken.“

Harry hielt das für aussichtslos, angesichts der Tatsache, dass Floyd nur mit sehr wenig Verstand gesegnet war. Aber er hielt den Mund, um die Situation nicht zu verschärfen, vor allem, da der Ladenbesitzer inzwischen aussah, als würde er gleich selbst eingreifen. Das wäre katastrophal.

Nach einer beachtlichen Zeitspanne nickte Floyd. „Ich glaube, du bist ein Cop.“

Harry straffte instinktiv die Schultern. „Sei nicht albern.“

Ralph stieß einen tiefen Pfiff unter seinem schlaffen Schnurrbart aus. „Jetzt, wo du es sagst, finde ich wirklich, dass er wie ein Cop aussieht. Überprüf mal den Mantel, den er trägt.“

Harry verdrehte die Augen. „Ihr habt zu viel ‚Colombo‘ gesehen. Es hat heute genieselt, deswegen habe ich den Trenchcoat angezogen. Das ist wohl kaum die Standarduniform für die Polizei.“

„Wenn ich es mir genau überlege“, fügte Ralph hinzu, „redest du auch ganz schön vornehm für jemanden aus dieser Gegend.“

„Ich bin nicht aus dieser Gegend.“

Floyd schob das Kinn vor. „Was machst du dann hier?“

„Ich hatte geschäftlich in der Gegend zu tun, und da fiel mir ein, dass ich noch etwas zum Abendessen einkaufen muss. Das ist alles, das versichere ich euch.“

„Ich glaube dir nicht.“

Verdammt, dachte Harry und beobachtete die Frau, die jetzt zum Glück still war und den Blick auf den Boden gerichtet hielt. Sollte er jetzt etwa wegen eines Trenchcoats erledigt sein?

„Um sicherzugehen, nehmen wir am besten den Jungen mit“, meinte Floyd grinsend. „Wenn du die Cops rufst oder uns zu folgen versuchst, lege ich ihn um.“

Die Situation war völlig außer Kontrolle geraten. „Nein, das kannst du nicht machen.“

Ralph neigte den Kopf und grinste höhnisch. „Ach, und weshalb nicht?“

Die Frau wehrte sich. „Ich gehe mit euch beiden nirgendwohin! Wenn ihr eine Geisel wollt, dann nehmt ihn!“ Mit ihrem schmalen Zeigefinger deutete sie auf Harry, was ihn für einen Moment aus der Fassung brachte.

„Irgendwie glaube ich, dass wir mit dir leichter fertig werden.“

Sie trat nach Ralphs Schienbein, und er wich ihr geschickt aus. Doch es war offensichtlich, dass ihn diese ein wenig weibliche Reaktion verblüffte. „Was zur Hölle …“

Sie versuchte wegzulaufen. Harry konnte nichts tun, da die Waffe noch immer auf seinen Kopf gerichtet war. Er verfluchte die Frau, weil sie alles nur noch komplizierter machte.

Floyd schnappte sie und hielt inne, nachdem er den Arm um ihre Brust geschlungen hatte. Abrupt ließ er sie los, als hätte er sich an ihr die Finger verbrannt. Er musterte sie von Kopf bis Fuß.

„Zieh deine Jacke aus.“

„Fahr zur Hölle!“

Floyd fing an zu lachen. „Ich will verflucht sein … er ist gar kein Junge.“

Harry war die Geschichte langsam leid und meinte nur: „Außerst scharf beobachtet.“

Floyd wirbelte zu Harry herum. „Ich nehme an, du wusstest es.“

„Natürlich.“

Ralph atmete tief durch. „Ich mag dich nicht besonders, Mister.“

Die Frau verschränkte die Arme vor der Brust. „Ich mag ihn überhaupt nicht.“

Die hat vielleicht Nerven! dachte Harry. Da versuchte er, ihren schlanken Hals zu retten, und diese undankbare …

„Ich sagte, zieh die Jacke aus. Sofort. Ich will dich mal genauer anschauen.“

Ralph richtete die Pistole auf ihre Brust, während Floyd ihr Befehle gab. Um Zeit zu gewinnen, sagte Harry leise: „Es ist besser, wenn Sie tun, was die beiden verlangen.“

Sie starrte ihn wütend an. „Fahren Sie zur Hölle!“

Der Ladenbesitzer knallte ungeduldig einen Umschlag auf den Tresen. „Hier ist euer verdammtes Geld! Lasst das Mädchen in Ruhe, und verschwindet aus meinem Laden!“

„Halt die Klappe, Alter. Na schön, auch wenn du die Jacke nicht ausziehst, werde ich nicht auf dich schießen. Das würde zu viel Dreck machen und wahrscheinlich den ganzen Spaß verderben. Dabei mögen wir ein bisschen Spaß dann und wann, nicht wahr, Ralph?“

Ralph kicherte.

„Aber wenn du das verfluchte Ding nicht ausziehst, und zwar auf der Stelle, lasse ich Ralph deinen Freund erschießen.“

Pflichtbewusst wurde der Lauf der Waffe wieder auf Harry gerichtet.

Nach unmerklichem Zögern zuckte die Frau mit den Schultern und hob das Kinn. „Nur zu, erschießt ihn. Was geht mich das an?“

Harry ließ den Kopf sinken. Dieses miese kleine …

„Na sieh mal an!“ Floyd amüsierte sich. „Anscheinend arbeitet ihr zwei doch nicht zusammen. Aber das ändert nichts. Ich will sehen, was du unter der Jacke trägst, Mädchen. Was versteckst du?“

Sie schien sich zu beruhigen und hielt seinem Blick stand. Ihre Augen waren von einem tief dunklen Blau, wie Harry erst jetzt bemerkte, mit dichten Wimpern. „Fass mich an, und ich bringe dich um.“

Darüber mussten beide Männer lachen. Selbst Harry grinste. Das Mädchen besaß trotz ihrer zierlichen Statur Mut. Harry bewegte sich ein Stück weiter zum Schaufenster. Niemand bemerkte es.

„Vielleicht sorge ich dafür, dass du dich nackt ausziehst.“

Der Ladenbesitzer war außer sich. „Ihr werdet nichts dergleichen tun!“

„Halt den Mund, hab ich gesagt.“

Harry bewegte sich noch ein paar Zentimeter Richtung Schaufenster. Wenn er sich nur zeigen und Dalton ein Zeichen geben könnte, dass die Sache außer Kontrolle geraten war, hätten sie innerhalb kürzester Zeit Verstärkung. Daltons Juwelierladen lag direkt gegenüber auf der anderen Straßenseite und stand bestimmt als Nächster auf Floyds Liste.

Floyd wurde offenbar unruhig, und es war durchaus möglich, dass er nicht nur brutal und dumm, sondern auch noch schießwütig war. Es war also sicher nicht gut, ihn noch mehr zu provozieren.

Um die Männer von seiner unauffälligen Bewegung in Richtung Fenster abzulenken, wandte er sich an die Frau. „Sie wollen doch sicher nicht, dass mein Tod Ihr Gewissen belastet, oder? Ziehen Sie die Jacke aus. Es kann nichts allzu Außergewöhnliches sein, was Sie darunter verstecken.“

„Wie bitte?“

Floyd war nicht so verwirrt wie Ralph. „Genau, es ist nämlich nicht so, als hätten wir Männer hier noch nie vorher eine nackte Frau gesehen. Und ich lasse den Kerl wirklich von Ralph erschießen. Ich suche geradezu einen Grund.“

Die Frau zog die Brauen zusammen. „Es ist nicht meine Sache, was ihr mit ihm anstellt.“

In diesem Moment sah Ralph aus dem Fenster und fluchte. „Drüben beim Juwelier sind zwei Cops! Was machen wir jetzt, Floyd?“

Floyd war bereits in Bewegung, schnappte sich, eine Warnung zischend, den Umschlag vom Tresen und zog seine eigene Waffe. Er richtete sie auf Harry. „Wir gehen hinten raus. Du kommst mit uns.“

Harrys erste Reaktion war Erleichterung, weil sie ihn statt der Frau mitnahmen. Nicht dass er ein Held war, aber er war auf Situationen wie diese trainiert und wusste, wie man sich zu verhalten hatte. Doch dann schnappte sich Floyd das Mädchen.

Harrys Muskeln spannten sich an. „Ihr braucht sie doch gar nicht, Floyd. Sie wird euch nur aufhalten.“

„Wenn sie das versucht, wird es ihr leid tun.“

„Eine Geisel ist mehr als genug.“

„Halt den Mund, verdammt noch mal! Ich habe schon genug von dir gehört. Und jetzt beweg dich!“

Mit den Pistolen im Rücken wurden Harry und das Mädchen zum Hinterausgang des Ladens getrieben. Wartete Dalton noch immer auf ein Signal? Jetzt würde er jedenfalls keines mehr bekommen. Aber wieso war die Polizei dort? Hatte Dalton auch ohne Harrys Zeichen irgendwie mitbekommen, dass etwas schief lief?

Darauf ließen sich jetzt keine Antworten finden. Es blieb auch keine Zeit mehr, die Umstände zu überdenken, während sie durch den leichten Nieselregen zu einem gemieteten Lieferwagen getrieben wurden, der in der schmalen Gasse parkte. Obwohl es Mitte Juni war, schien die Sonne nicht, und es war ziemlich kühl. Floyd wedelte mit seiner Pistole und deutete auf die offene Hecktür des Lieferwagens. Harry kletterte hinein und wollte der Frau helfen, die jedoch seine Hand ignorierte und unbeholfen selbst hinaufkletterte.

„Du fährst, Ralph. Ich bleibe hinten bei der kleinen Lady.“ Floyd grinste anzüglich. „Los, ihr zwei, in die Ecke. Setzt euch hin, und haltet den Mund.“

Harry zog seinen langen Trenchcoat aus, breitete ihn galant auf dem schmutzigen Boden der leeren Ladefläche aus und bedeutete der Frau, sich zu setzen. Sie warf ihm einen wütenden Blick zu und zog sich in die gegenüberliegende Ecke zurück, wo sie sich auf den Boden sinken ließ und die Arme um die Knie schlang. Durch diese Haltung spannte der Jeansstoff um ihre Oberschenkel, und Harry registrierte, dass sie schlank und ihr Po wohlgerundet war. Er zwang sich, den Blick auf ihr Gesicht zu richten.

Sie wirkte deprimiert und sehr nachdenklich, aber glücklicherweise nicht so verängstigt, wie sie es eigentlich hätte sein müssen. Ihre Wange war von dem Schlag geschwollen. Erneut stieg Zorn in ihm auf. Vorsichtig setzte er sich, wobei er abwechselnd Floyd und die Frau im Auge behielt.

Mit einer derartigen Entwicklung der Dinge hatte er nicht gerechnet, als er sich bereit erklärt hatte, sich für Dalton um diese Angelegenheit zu kümmern. Und schon gar nicht war er darauf vorbereitet gewesen, von einer Frau abgelenkt zu werden, noch dazu von einer so störrischen, die sich als Mann auszugeben versuchte. Wenn Harry etwas nicht mochte, dann waren es halsstarrige, rechthaberische, unbelehrbare Frauen. Von diesem Frauentyp hatte er vor langer Zeit genug bekommen.

Trotzdem konnte er den Blick nicht von ihr abwenden.

Eine kleine Deckenlampe verbreitete trübes Licht im hinteren Teil des Lieferwagens. Ralph zog von außen die Rolltür zu, sodass sie gefangen waren.

Harry musterte die Frau erneut. Wieso steckte sie jetzt mit in der Sache? Er zweifelte keine Sekunde daran, dass sie etwas im Schilde geführt hatte. Nur fiel ihm absolut keine plausible Erklärung ein, was es gewesen sein könnte. Er war überzeugt, dass ihr nicht klar gewesen war, in was sie hineinstolperte, bis es zu spät war.

Floyd marschierte aufgebracht auf und ab, gute fünfzehn Minuten lang, während sie sich immer weiter von der Polizei wegbewegten. In der Ferne waren keine Sirenen zu hören, nur das sanften Prasseln des Regens und das Motorgeräusch des Lieferwagens.

„Setzt euch nebeneinander“, befahl Floyd und ließ sich an der gegenüberliegenden Wand nieder. Er stützte die Waffe auf sein Knie. „Ich will euch beide im Auge behalten können.“

Die Frau erhob sich fluchend und setzte sich neben Harry. „Mistkerl!“, zischte sie ihm zu.

„Wie bitte?“, erwiderte Harry mit einer Mischung aus Erstaunen und Verärgerung.

Plötzlich wandte sie sich ihm zu und boxte ihn mit aller Kraft gegen den Arm. „Das ist alles Ihre Schuld! Die haben überhaupt nicht auf mich geachtet, bis Sie ihre Aufmerksamkeit auf mich lenkten!“

Er rieb sich den Arm, eher aus Empörung als wegen des Schmerzes. „Woher sollte ich denn wissen, dass Floyd und Ralph zu dumm sind, eine Frau zu erkennen, wenn sie vor ihnen steht?“

Sie boxte ihn erneut. „Ich war verkleidet, Sie Idiot!“

Diesmal hielt er ihre Hand fest, wobei er darauf achtete, ihr nicht weh zu tun. Dann beugte er sich zu ihr, bis sich ihre Nasen fast berührten. Mit zusammengebissenen Zähnen erklärte er: „Anscheinend nicht gut genug, da ich Sie sofort als Frau erkannt habe.“

Sie kniff die Augen zusammen. „Und woran?“

„Um ehrlich zu sein, Sie haben einen eindeutig weiblichen Mund.“ Er betrachtete ihren Mund, der jetzt zu einer grimmigen Linie zusammengepresst war, und sein Magen zog sich zusammen. Mit einem spöttischen Lächeln fügte er hinzu: „Und Sie haben einen weiblichen Po, der trotz der ausgebeulten Jeans zu erkennen ist. Außerdem bewegen Sie sich wie eine Frau.“ Er grinste und zog sie ein Stück zu sich. „Und Ihr Duft verrät Sie.“

Sie straffte die Schultern. „Unsinn! Ich trage kein Parfüm.“

„Ich weiß“, entgegnete er sanft.

Floyd lachte und zeigte noch einmal seine perfekten weißen Zähne. „Auf ihr Hinterteil habe ich nicht geachtet.“ Er zuckte mit den Schultern. „Ich habe sie für einen Mann gehalten.“

Harry rückte ein wenig ab von ihr, ohne ihre Hand loszulassen. „Na ja, sie gewährte mir einen ungehinderten Blick. Und da ich auch nur ein Mann bin, ist es mir aufgefallen.“

„Verdrehte männliche Logik“, konterte sie und versuchte sich loszureißen. Doch Harry hielt ihre Hand weiter fest. „Wieso mussten Sie den beiden Idioten unbedingt mitteilen, dass ich eine Frau bin?“

„He, sachte.“ Floyd war nicht länger amüsiert.

„Das war unbeabsichtigt“, erklärte er, und da sie nur verächtlich schnaubte, fügte er hinzu: „Ich habe versucht, Sie zu schützen, Sie undankbares Kind.“

„Ich bin kein Kind.“

„Wie alt bist du?“, wollte Floyd wissen. Es verblüffte Harry, dass Floyd so leicht abgelenkt werden konnte.

„Das geht dich überhaupt nichts an!“

Inzwischen prasselte der Regen wie Gewehrschüsse auf das Dach des Lieferwagens. Ralph wechselte abrupt den Gang, sodass Harry aus dem Gleichgewicht geriet und gegen die Frau geworfen wurde.

Floyd streckte die Beine aus, um sich abzustützen. „Ich würde sagen, du bist jung, aber nicht zu jung.“ Er runzelte nachdenklich die Stirn. „Niemand verfolgt uns, und wir haben noch eine ziemliche Strecke vor uns. Vielleicht solltest du dich jetzt ausziehen, damit ich mir ein Urteil bilden kann. Für meinen Geschmack siehst du ein bisschen zu flach aus, aber man kann ja nie wissen.“

Der Lieferwagen rumpelte erneut, und diesmal waren alle damit beschäftigt, das Gleichgewicht zu halten. Floyd verfluchte Ralphs Fahrkünste. Die Frau landete auf den Händen und Knien. Wütend fauchte sie: „Zum letzten Mal, du Dreckskerl: ich ziehe überhaupt nichts aus!“

Autor

Lori Foster
Bisher hat die US-amerikanische Bestseller-Autorin Lori Foster über siebzig Liebesromane geschrieben. Unter dem Namen L.L.Foster schreibt sie Fantasy-Romane. Mit dem Schreiben begann Lori Foster erst im Alter von 30 Jahren, vorher dachte sie nie daran, eine Geschichte zu schreiben. Als sie mit einer Lungenentzündung das Bett hüten musste, brachte ihre...
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