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Es ist Lust auf den ersten Blick, als Brianna den attraktiven Collin in Paris kennenlernt. Aber Brianna ist ein gebranntes Kind in Sachen Liebe. Eine kurze, unverbindliche Affäre wird sie mit ihm genießen und dann nach New York zurückfliegen. Doch man liebt sich immer zwei Mal …


  • Erscheinungstag 14.05.2020
  • ISBN / Artikelnummer 9783733717421
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Brianna Hamilton verband eine Art Hassliebe mit den Paparazzi. Das war schon immer so gewesen und würde sich vermutlich auch nicht ändern. Da heute definitiv die Abneigung gegenüber den aggressiven, sensationslüsternen Idioten überwog, eilte Brianna brüsk an den Scharen von Fotografen vorbei, die sich am Rand des roten Teppichs vor dem weltberühmten Carrousel du Louvre drängten, um einen günstigen Platz zu ergattern.

Ihre Hände schwitzten so sehr, dass Brianna ihre Satinclutch eng umklammert hielt, weil sie fürchtete, sie könnte ihr sonst aus der Hand fallen. Mit jedem Schritt fühlte Brianna, wie sie unruhiger und ängstlicher wurde. Lächle, lächle einfach, und niemand wird je erfahren, wie schlecht es dir geht. Keiner wird merken, dass du dich gestern Nacht in den Schlaf geweint hast.

Die frische Herbstbrise strich durch Briannas dichtes lockiges Haar, das ihr auf die Schultern fiel, fuhr unter den Saum ihres schulterfreien burgunderroten Kleides und wehte es so hoch, dass Brianna schon fürchtete, den lauernden Fotografen zu viel Einblick gewährt zu haben.

Es war vollkommen wahnsinnig, was sich hier in der Rue de Rivoli gerade abspielte. Der Lärmpegel überstieg alles, was Brianna je bei einer Filmpremiere oder Modenschau erlebt hatte. Schreiende Fans schwenkten Transparente, das Blitzlichtgewitter der Kameras flaute nicht einen Moment ab, über den Köpfen der Menge kreisten Hubschrauber, und am Rand der Veranstaltung waren Sanitäter postiert, für den Fall, dass wartende Fans beim Anblick ihrer Idole einen Schwächeanfall erleiden würden.

„Brianna, wo ist Ihre Schwester?“

„In welcher Entzugsklinik verbirgt Bailey sich?“

„Haben Sie auch ein Suchtproblem?“

Die Fragen prasselten auf sie ein wie ein Kugelhagel. Aus jeder Richtung kamen sie. Erbarmungslos. Brianna spürte, wie ihre Hände anfingen zu zittern, und mit einem letzten Kraftakt zwang sie sich, der Menge zuzuwinken. Dann eilte sie, so schnell wie sie ihre zehn Zentimeter hohen Absätze trugen, hastig in die Lobby.

Voller Panik atmete Brianna ein und hielt sich eine Hand auf den Bauch. Ihr war übel, aber sie würde sich nicht übergeben. Nein, das nicht.

Der Saal war nur gedämpft beleuchtet und durchdrungen von einer festlichen Stimmung. Es duftete nach einer Mischung aus erlesenen Weinen, teuren Parfums und frischen Blumen. Die gesamte Prominenz, die anlässlich der Fashion Week nach Paris gekommen war, sowie jeder, der Rang und Namen in der Modebranche hatte, war hier versammelt. Brianna blickte sich um und entdeckte viele international bekannte Persönlichkeiten aus Film, Fernsehen und dem öffentlichen Leben.

Stattliche Kellner, die Fliegen trugen, liefen mit Tabletts durch den Raum, um den Gästen Champagner und Horsd’œuvres anzubieten. Wo immer Brianna auch hinblickte, überall schienen die Anwesenden in kleinen Grüppchen zusammenzustehen und in anregende Gespräche vertieft zu sein oder für die anwesenden Fotografen zu posieren. Hier und da lachte jemand – aber auch die fröhliche Stimmung konnte Brianna nicht aufheitern.

Sie ging zu dem für sie reservierten Platz in der ersten Reihe, ließ sich auf den mit Satin überzogenen Stuhl sinken und schlug die Beine übereinander. Sie konnte es kaum erwarten, dass die Fendi-Show endlich begann. Brianna liebte die besondere Atmosphäre von Paris, die alten Gebäude, den besonderen Stil und die Geräusche.

Im Laufe der Jahre war sie bestimmt ein Dutzend Mal hier gewesen, aber dieses Jahr war ihr Herz nicht bei der Sache, und die übliche Begeisterung für die Fashion Week wollte sich nicht einstellen. Im Moment wollte sie am liebsten bei ihrer Schwester Bailey sein, weit weg von den Menschenmassen, den erbarmungslosen Fotografen und Presseleuten, die nur darauf warteten, eine Schwäche zu entdecken.

Ihre Eltern, Roger und Lila Hamilton, hatten jedoch entschieden, dass niemand Bailey in St. Thomas besuchen durfte. Dorthin hatten sie Bailey nach den schrecklichen Ereignissen vor einem Monat bringen lassen. Zudem hatten sie Bailey strikte Ruhe verordnet, und so blieb es Brianna verwehrt, ihre kleine Schwester, die sie mehr als jeden anderen Menschen auf der Welt liebte, zu sehen und zu trösten. Briannas Eltern fürchteten, die Presse könnte irgendwie Wind von Baileys Aufenthaltsort bekommen, sobald ein Mitglied des Hamilton-Clans sich aufmachen würde, um sie zu besuchen.

So war Brianna nichts anderes übrig geblieben, als sich den Wünschen ihrer Eltern zu beugen. Widerwillig hatte sie ihre Koffer gepackt und war am Montagmorgen in aller Frühe mit dem Privatjet der Familie nach Paris geflogen. Brianna war so beschäftigt gewesen mit letzten Anproben, spannungsgeladenen Meetings und Probeläufen, bei denen alles schiefging, was schiefgehen konnte, dass die vergangene Woche wie im Flug vergangen war. Erst jetzt, nachdem die Show von Roger Hamilton Designs endlich vorüber war, konnte Brianna anerkennen, dass es all den Stress und die Mühe wert gewesen war. Die Show war ein voller Erfolg gewesen, und endlich durfte Brianna sich entspannt zurücklehnen und die noch kommenden Veranstaltungen genießen.

Brianna ließ ihren Blick über die Menge schweifen. Natürlich waren alle hier Anwesenden ausnahmslos modisch gekleidet. Frauen in makellos sitzenden Designerkleidern und mit perfekt frisiertem Haar machten Fotos mit ihren edlen Smartphones, während die Models den Laufsteg entlangschritten. Brianna entdeckte die Chefredakteurin der Vogue, die mit kritischer Miene die Show begutachtete und ihrer Assistentin, die mit einem ledergebundenen Notizbuch ausgerüstet war, zwischendurch kurze Kommentare zuflüsterte. Der Raum knisterte förmlich vor Anspannung.

Aber nicht jedermanns Augen waren auf den Laufsteg gerichtet.

Ein stämmiger Fotograf mit dunkler Sonnenbrille sah zu Brianna hinüber, bevor er das große Objektiv in ihre Richtung schwenkte.

Blitzschnell nahm Brianna das Programmheft von ihrem Schoß und hielt es sich vor das Gesicht. Bitte schön, du Idiot! Am liebsten hätte sie es diesem Widerling um die Ohren gehauen, aber stattdessen atmete sie tief durch und versuchte, sich wieder auf die Show zu konzentrieren.

Lieber sollte er Fotos von den Models machen, die elegant über den Laufsteg stolzierten, oder von den vielen anwesenden Prominenten, die am Rand saßen. Brianna war immer noch aufgebracht. Warum lassen sie mich nicht einfach in Ruhe? fragte sie sich ärgerlich. Schließlich war sie eine noch recht unbekannte Modedesignern, die sich nach Möglichkeit hinter den Kulissen und nicht im Rampenlicht aufhielt. Seit dem vergangenen Monat jedoch, als ihre Schwester Bailey so plötzlich im Lincoln Center in New York verschwunden war, ließen die Papparazzi ihre Familie nicht mehr aus den Augen. Und langsam, aber sicher begann dieser Zustand an Briannas Nerven zu zehren.

Hör auf, daran zu denken, wies Brianna sich zurecht. Sie wollte sich nicht mehr damit beschäftigen, was ihrer Schwester nur wenige Wochen zuvor zugestoßen war. Doch sie konnte die Fragen, die immer wieder in ihr aufstiegen, trotzdem nicht unterdrücken. Welches Interesse sollte jemand daran haben, Bailey zu entführen, sie zu betäuben und ihr anschließend Drogen unterzuschieben? Anscheinend gab es jemanden, der es darauf anlegte, Baileys gerade am Anfang stehende Karriere als international erfolgreiches Model zu ruinieren und den Namen der Familie Hamilton in den Schmutz zu ziehen. Aber weshalb nur?

Brianna zwinkerte, um die aufsteigenden Tränen zurückzuhalten. Fast ein Monat war seit dem schrecklichen Zwischenfall vergangen, der ihre ganze Familie erschüttert hatte. Noch immer gelang es Brianna nicht, zu begreifen, wie und warum das passieren konnte. Natürlich war das Modelbusiness kein Zuckerschlecken, aber soweit Brianna wusste, hatte ihre kleine Schwester keine Feinde. Nicht einen einzigen.

Bailey war das Gesicht von Roger Hamilton Designs. Die großgewachsene, schlanke Schönheit war offen, leidenschaftlich und vor allem gelang es ihr, jeden mit ihrer Schlagfertigkeit zum Lachen zu bringen. Allerdings war davon im Moment nicht viel übrig. Wann immer Brianna mit Bailey in dem Resort in St. Thomas telefonierte, hörte sich ihre kleine Schwester gestresst an und schien am Rande eines Nervenzusammenbruchs zu stehen. Geplagt von Panikattacken weigerte Bailey sich, die Hotelsuite zu verlassen und verbrachte stattdessen ganze Tage im Bett, geplagt von den furchtbaren Erinnerungen an den Überfall.

Das Aufblitzen der auf die Bühne gerichteten Scheinwerfer brachte Brianna wieder zurück ins Hier und Jetzt. Sie ließ das Programm, das sie immer noch in der Hand gehalten hatte, auf ihren Schoß sinken und klatschte gemeinsam mit den anderen Zuschauern Beifall, als die Models eines nach dem anderen über den Laufsteg schritten.

Wie jedes Mal bei einer erfolgreichen Show staunte Brianna, wie die Stimmung anscheinend alle Anwesenden in ihren Bann schlug. Die Leute konnten sich vor Begeisterung kaum auf den Stühlen halten, und auch Brianna wäre am liebsten aufgesprungen.

Die Reaktion der Zuschauer war allerdings kaum verwunderlich. Die eleganten Abendkleider waren aufsehenerregend, die Models atemberaubend schön und die pulsierende elektronische Musik, die den Lauf der Models untermalte, war mitreißend.

Einen Moment lang waren alle finsteren Gedanken wie weggewischt, und Brianna vergaß das Drama, in dessen Mittel punkt ihre Familie geraten war, ebenso wie das schreckliche Erlebnis aus ihrer Vergangenheit, das ihr nachts den Schlaf raubte. Brianna liebte diese Welt – wie es der Mode gelang, Menschen aus ganz verschiedenen Kulturen mit vollkommen unterschiedlichen persönlichen Hintergründen zu vereinen. Wieder einmal wurde ihr deutlich bewusst, was für ein Privileg es war, eine Ha milton zu sein.

Auf einmal schwoll das Stimmengemurmel im Saal an, und Brianna wusste, dass ein weiterer Star den Raum betreten hatte. Neugierig, um wen es sich dabei handelte, zwang sie sich, den Blick von der Bühne abzuwenden, um die Menge mit Blicken zu durchforsten und den berühmten Neuzugang ausfindig zu machen.

In diesem Moment fiel ihr Blick auf ihn.

Bei seinem Anblick weiteten sich Briannas Augen, und ihr blieb der Mund offen stehen. Was für ein Mann!

Bestimmt war er einen Kopf größer als jeder andere Mann im Saal. Jede seiner geschmeidigen Bewegungen strahlte Stolz und Selbstvertrauen aus, und er war so sexy, dass Brianna das Gefühl hatte, auf ihrem Stuhl zu zerfließen. Bekleidet war er mit einem Kamelhaarmantel, unter dem er einen weißen Rollkragenpullover und schwarze Anzughosen trug. Alles an ihm wirkte cool und lässig. Brianna musterte ihn von Kopf bis Fuß, und das, was sie sah, gefiel ihr so gut, dass sie ihren Blick gleich noch einmal von oben bis unten an ihm entlangwandern ließ.

Beim zweiten Mal spürte Brianna ihren Herzschlag in den Ohren pulsieren, als sie sich vorstellte, wie er wohl nackt aussehen mochte. Auf einmal wurde ihr ganz heiß, und sie spürte ein Verlangen in sich aufsteigen, das so stark und so unerwartet war, dass sie beinah erschrak. Seit ihrer Scheidung hatte Brianna mit niemandem mehr geschlafen, was sie, ehrlich gesagt, bis zum heutigen Tag auch nicht vermisst hatte. In den vergangen zwölf Monaten hatte sie kaum einen Gedanken an Sex verschwendet.

Weshalb hätte ich das auch tun sollen? fragte sie sich, während sie damit fortfuhr, den schönen Fremden mit den Augen zu verschlingen und, so gut es aus der Entfernung eben möglich war, jeden Zentimeter seines schlanken, durchtrainierten Körpers genau zu studieren. Nicht mit einem der Männer, die Brianna im vergangenen Jahr getroffen hatte, hätte sie auch nur ansatzweise Lust gehabt zu schlafen.

Tatsächlich wird Sex überbewertet, dachte Brianna. Nur selten hatte sie dabei einen Orgasmus gehabt und es daher häufig vorgezogen zu arbeiten, statt mit ihrem Exmann zu schlafen. Aber irgendetwas an diesem Typ mit den dunklen, geheimnisvollen Augen und den vollen Lippen ließ in Briannas Bauch Schmetterlinge flattern. Hitze breitete sich in Wellen in ihrem Körper aus.

Seine stylishe Sonnenbrille, das breite Lächeln, bei dem zwei Reihen perfekter weißer Zähne aufblitzten, sowie seine aufrechte, selbstbewusste Haltung ließen ihn reif und weltgewandt wirken. Dennoch vermutete Brianna, dass er höchstens Anfang dreißig war. Er sah aus wie jemand, der mit Mark Zuckerberg zu Mittag aß, mit Tiger Woods Golf spielte und mit Kanye West Party machte. Als er sich seinen Weg durch die Menge bahnte, nahm das aufgeregte Gemurmel der Zuschauer noch zu. Wo er vorbeikam, hinterließ er verzückte Gesichter und offene Münder.

Der Fremde setzte sich auf einen Platz in der ersten Reihe neben eine französische Popdiva, die den Ruf hatte, eine Vorliebe für böse Jungs, transparente Kleidung und selbst produzierte Sexvideos zu haben. Er begrüßte sein Date mit zwei Wangen küsschen, bevor er sich in der Menge umsah. Dies war der Augenblick, in dem er Brianna dabei erwischte, wie sie ihn anstarrte. Ihre Blicke trafen sich, und für einen Moment, der scheinbar eine Ewigkeit dauerte, sahen sie sich in die Augen.

Brianna fühlte sich plötzlich schwach und vollkommen hilflos, als hätte sie sich gerade bei einem Aerobic-Kurs verausgabt.

Gleichzeitig war ihr Körper erfüllt von einem Sirren, einem Kribbeln, das jede Faser durchdrang. Der Mann musste ein Schauspieler sein, jemand, der mit Mitgliedern der europäischen Königshäuser feierte, jemand, der von den meterhohen Plakatwänden herunterlächelte, die jede Großstadt schmückten. Er hatte diesen Look, diese Ausstrahlung, die unweigerlich jeden, der ihn anblickte, in den Bann zog. Die Blicke von fast allen Frauen im Raum waren auf ihn gerichtet, doch er schien das Aufsehen, das er erregte, gar nicht zu bemerken. Immer noch sah er Brianna an, ließ seinen Blick von ihren Augen zu ihrem Mund wandern.

Brianna fühlte, wie ihr die Hitze in die Wangen stieg. Sie wusste, dass ihr Gesicht mittlerweile knallrot war. Der Fremde sah sie auf eine Weise an, die ein Verlangen ungekannten Ausmaßes in ihr weckte. Anstatt jedoch den Blick von ihm abzuwenden, erwiderte Brianna seine forsche Musterung. Irgendetwas an ihm fesselte ihre Aufmerksamkeit, ließ nicht zu, dass sie den Blick von ihm löste.

Es war, als ob von dem Moment an, in dem sich ihre Blicke trafen, eine besondere Verbindung zwischen ihnen entstanden wäre. Aber noch während Brianna dieser kühne Gedanke durchfuhr, wurde ihr bewusst, wie abwegig er war. Selbst ihre nach Männern verrückten Single-Freundinnen hätten ihn als absurd abgetan. Vielleicht gab es derartige Momente im Märchen, aber doch nicht im wirklichen Leben. Trotzdem konnte Brianna den Gedanken nicht abschütteln und nichts gegen das Gefühl tun, das sie auf einmal überwältigte.

„Die Hamiltons mögen reich und berühmt sein, aber was für ein verkorkster Haufen!“

Sofort saß Brianna kerzengerade auf ihrem Stuhl. Sie warf einen Blick über die Schulter und konnte in der Reihe hinter sich zwei Frauen sehen, die miteinander tuschelten. Am liebsten hätte Brianna sich ihre Handtasche gegriffen und wäre auf dem schnellsten Weg aus dem Carrousel du Louvre gestürmt. Aber was für einen Eindruck würde es machen, wenn sie die Fendi-Show noch vor dem Ende überstürzt verließ? Nein, das kam nicht infrage. Brianna würde die Zähne zusammenbeißen und den Abend bis zum bitteren Ende durchstehen. Schließlich war sie in Paris, um das Unternehmen ihrer Familie zu repräsentieren.

Also zwang Brianna sich, zur Bühne zu blicken und die Ohren auf Durchzug zu stellen. Ich brauche einen Drink, dachte sie und bedeutete einem der in der Nähe stehenden Kellner, ihr ein Glas Champagner von seinem Silbertablett zu servieren.

Hoffentlich würde der perlende Champagner ihre Wut abkühlen. Der fremde Mann auf der gegenüberliegenden Seite des Laufstegs hob grüßend sein Glas, aber Brianna brachte nicht einmal ein schwaches Lächeln zustande. Sie fühlte sich geschlagen und gedemütigt, und bei dem Gedanken an ihre kleine Schwester brach ihr beinahe das Herz.

Die Leute waren so grausam, und vielen schien es ein perverses Vergnügen zu bereiten, ihrer Familie noch zusätzlich Schmerzen zuzufügen, seitdem die Hamiltons in die Schlagzeilen geraten waren. Und irgendetwas sagte Brianna, dass die schweren Zeiten noch lange nicht vorbei waren.

2. KAPITEL

Brianna betrat die Bar 8, eine der angesagtesten Locations in Paris, die sich zufälligerweise im Erdgeschoss ihres Hotels befand und durch den VIP-Eingang zu erreichen war. Sie fühlte, wie der Stress, unter dem sie die vergangenen zwei Stunden gestanden hatte, langsam von ihr wich. Natürlich hätte Brianna auch oben in den gemütlichen drei Zimmern ihrer Suite bleiben und den Zimmerservice bestellen können, aber die Nacht war noch jung, und ihr war nach Gesellschaft zumute.

Brianna suchte sich einen Platz an dem u-förmigen Marmortresen. Das edle Ambiente und die gedämpfte Beleuchtung halfen Brianna dabei, ihre Probleme und Sorgen auszublenden. Die glatten holzgetäfelten Wände waren mit Intarsien aus Kristall verziert, die aussahen wie Regentropfen. Die meisten der Glastische waren von Paaren besetzt, die sich gegenüber saßen und sündhaft teuren Wein tranken. Der Raum hallte wider von Stimmen, die angeregt in verschiedenen Sprachen erklangen, und leisem Lachen. Die Leute, die am Tresen saßen, hielten ihre Blicke wie gebannt auf den großen Flachbildschirm hinter der Bar gerichtet und folgten den letzten Minuten des Fußballspiels, das gerade ausgestrahlt wurde. Die lauten Kommentare und Anfeuerungsrufe sorgten für eine gelöste, fröhliche Stimmung.

„Was darf ich Ihnen bringen, Madam?“, fragte der Kellner Brianna mit einem starken russischen Akzent.

„Einen 95er Pinot Grigio, bitte.“

Brianna schloss die Augen und stieß einen tiefen Seufzer aus. An Tagen wie diesen wünschte sie sich, einfach in der Masse ganz normaler Menschen verschwinden zu können und nicht zu einer berühmten Familie zu gehören. Nicht mehr die Modedesignerin Brianna Hamilton, älteste Tochter von Roger und Lila Hamilton, zu sein.

Ein frischer, sauberer Duft stieg Brianna in die Nase und lenkte ihre Gedanken wieder in die Gegenwart. Es war ein Aftershave, das sie an ihr Zuhause erinnerte. An ihren Vater und an kalte Wintertage, die die Familie gemeinsam verbracht hatte. Brianna öffnete die Augen und erwartete fast ihren grauhaarigen Vater auf dem Barhocker neben sich zu entdecken. Doch als sie stattdessen ihn vor sich sah, den umwerfend attraktiven Mann, der vorhin im Carrousel du Louvre allen Frauen den Kopf verdreht hatte, schnappte sie nach Luft.

„Sorry“, sagte er und hob in einer beschwichtigenden Geste die Hände. Besorgt sah er sie an. „Ich wollte Sie nicht erschrecken.“

Obwohl er sie entschuldigend ansah, beäugte Brianna ihn misstrauisch. Sie war es nicht gewohnt, von einem Mann in einer Bar angesprochen zu werden. Wenn man es genau nahm, war Brianna es nicht gewohnt, überhaupt von Männern angesprochen oder um ein Date gebeten zu werden. Nicht, dass ihr das etwas ausmachte. Brianna war weder auf der Suche nach schnellem Sex noch nach der großen Liebe. Lieber verbrachte sie Zeit mit ihrer Familie, als mit jemandem zu schlafen, dem es nur um seine eigene Befriedigung ging. Und auch wenn sie sicher war, dass es noch einige anständige Männer da draußen gab, war es ihr zu anstrengend, ernsthaft nach so einem Mann zu suchen. Wozu auch, wenn die Liebe sowieso vergänglich war?

„Stört es Sie, wenn ich mich setze?“

„Ja … ich meine n-n-nein“, stotterte Brianna und ärgerte sich über ihre Unsicherheit. „Sie können sich hinsetzen, wo Sie wollen. Der Hocker gehört ja nicht mir.“ Was rede ich da für einen Blödsinn? dachte Brianna peinlich berührt und wäre am liebsten im Erdboden versunken. Sie spürte, wie ihre Hände anfingen zu zitterten.

„Keine Sorge, ich werde Sie nicht belästigen. Versprochen.“ Er deutete mit dem Kopf zum Bildschirm. „Ich muss unbedingt sehen, wie das WM-Qualifikationsspiel steht.“

Brianna lächelte ihn an. Ihr Sitznachbar war fraglos ebenso Amerikaner wie sie. Dem Akzent nach zu urteilen stammte er von der Westküste. Seine Stimme war tief und ein bisschen heiser, und seine Art zu sprechen strahlte Ruhe und Souveränität aus. Brianna konnte sich nicht daran satthören. Was hinderte sie also daran, eine Unterhaltung mit ihm zu beginnen? Auf einmal fühlte Brianna sich erstaunlich aufgekratzt.

Tja, was die Anwesenheit von einem heißen Typen auf dem Barhocker neben einem so alles ausmachen kann! dachte Brianna und rutschte nervös auf ihrem Hocker hin und her.

„Ich wette jedenfalls auf die Blauen“, fuhr er fort, bevor er zum Bildschirm sah.

„Tut mir leid, der Unglücksbote zu sein, aber das Spiel ist bereits vorbei. Deutschland hat gewonnen.“

„Was? Das kann doch nicht wahr sein!“ Der Unbekannte strich sich mit der Hand über die kurzgeschorenen dunkelbraunen Haare. „Als ich letztes Mal geguckt habe, stand es noch zwei zu null für Italien.“

„In der zweiten Hälfte haben die Deutschen ordentlich Tempo gemacht und wesentlich aggressiver gespielt. Die Mannschaft ist zwar jung, aber die Spieler haben wirklich Potenzial. Es würde mich nicht wundern, wenn sie nächstes Jahr in Brasilien den Pokal holen.“

Ihr Nachbar sah sie an und zog erstaunt eine Braue hoch. „Wie kommt es, dass Sie sich so gut mit Fußball auskennen?“

„Ich habe ein Jahr lang in Mailand gelebt, und da kommt man am Fußball nicht vorbei“, erwiderte Brianna lachend. „Die Italiener sind vollkommen fußballverrückt, und im Fernsehen läuft kaum etwas anderes. Nach kurzer Zeit habe ich mich von ihrer Begeisterung anstecken lassen, und selbst wenn ich heute weniger Spiele als früher ansehe, versuche ich, die Spiele meiner Lieblingsmannschaften zu verfolgen.“

„Interessant“, erwiderte der Fremde und strich sich über das Kinn. „Was denken Sie, wer das Spiel zwischen Frankreich und Spanien gewinnen wird? Ich wollte gerade eine Wette abschließen.“

„Frankreich, daran besteht kein Zweifel.“

„Wie können Sie so sicher sein? In letzter Zeit haben die Franzosen alles andere als gut gespielt.“

„Genau deshalb bin ich überzeugt, dass Frankreich gewinnen wird“, antwortete Brianna. „In den entscheidenden Spielen konnten die Franzosen das Blatt meistens noch wenden. Außerdem ist der Mannschaft klar, dass die Fans ihnen eine Niederlage gegen Spanien niemals im Leben verzeihen.“

Der Unbekannte streckte ihr die rechte Hand entgegen. „Ich bin übrigens Collin.“

Und verdammt heiß, dachte Brianna.

Es konnte kein Zweifel daran bestehen, dass er der attraktivste Mann war, dem sie je gegenübergesessen hatte. Himmel, die Nähe zu ihm brachte ihren ganzen Körper in Aufruhr. Ganz zu schweigen von ihren Gedanken. Brianna spürte, wie sich ihre Brustwarzen unter dem dünnen Stoff ihres Kleides aufrichteten – und sie konnte nicht verhindern, sich Collin nackt in ihrem Bett vorzustellen. Und wenn er real nur halb so gut wie in ihrer Vorstellung aussah, dann war sie in ziemlichen Schwierigkeiten.

„Wollen Sie mir auch Ihren Namen verraten, oder soll ich Ihnen erst noch ein Glas Wein bestellen?“

„Ich bin Brianna“, antwortete sie und gab ihm die Hand. Bei der Berührung spürte sie ein Kribbeln im Bauch, das sich schnell weiter nach unten ausbreitete. Brianna richtete sich auf. Wow, wenn ich nicht aufpasse, werde ich sofort schwach, dachte sie, als Collin sie anschaute und mit einem umwerfenden Lächeln bedachte. Ihre körperlichen Reaktionen auf diesen Typen mit der dunklen Haut, der eine solche Lässigkeit ausstrahlte und sie jetzt mit seinen schönen braunen Augen tiefgründig ansah, warfen Brianna für einen Moment vollkommen aus der Bahn, bevor sie ihre Stimme wiederfand. „Schön Sie kennenzulernen.“

„Das Vergnügen liegt ganz auf meiner Seite.“

Collin zog seinen Mantel aus, hängte ihn über die Lehne seines Barhockers und setzte sich. Einen Augenblick lang saßen sich die beiden schweigend gegenüber.

„Hat Ihnen die Show gefallen?“, fragte Brianna, um das Schweigen zu unterbrechen. Nur widerstrebend ließ sie seine Hand los.

„Ja, die Show war wirklich cool, aber ich muss sagen, dass mir gestern die Show von RHD noch besser gefallen hat. Roger Hamilton ist einer meiner Lieblingsdesigner. Ich kann es kaum erwarten, bis seine Frühlingskollektion in den Läden hängt.“

Brianna lächelte stolz, verriet jedoch nicht, wer sie war. Wenigstens heute Abend sollte es keine Rolle spielen, aus welcher Familie sie stammte. Heute war sie einfach eine Frau, die in Paris in einer angesagten Bar saß und mit dem heißesten Mann im Raum plauderte. Warum sollte sie diesen Moment verderben und verraten, dass sie nicht nur Roger Hamiltons Tochter, sondern auch noch eine der Chefdesignerinnen von RHD war?

„Ihre Freundin nimmt es Ihnen nicht übel, dass Sie sich lieber das Spiel ansehen wollen, als sie zur Party von Vanity Fair zu begleiten?“

„Ich bin Single“, erwiderte er sanft. „Evangeline ist nicht meine Freundin. Sie macht die neue Anzeigenkampagne für mein Unternehmen, und als ich erfahren habe, dass sie auch zur Fashion Week in Paris ist, haben wir uns getroffen, um die Einzelheiten zu besprechen.“

„Arbeiten Sie im Modebereich?“

„Nein, ich bin in der Hotelbranche tätig. Nicht besonders aufregend, aber einträglich.“

Autor

Pamela Yaye
<p>Ihre Liebe zu Büchern entdeckte Pamela Yaye schon als kleines Kind. Ihre Eltern, selbst passionierte Leser, ermunterten sie, so viel wie möglich zu lesen. Der wöchentliche Ausflug in die Stadtbibliothek war für Pamela Yaye immer ein großes Highlight. Dass sie selbst auch schriftstellerisches Talent hat, merkte sie schon früh. Nach...
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