Bis ans Ende der Nacht ...

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"Bleib heute Nacht bei mir!" Der Fremde in der Bar mustert Perla voller Verlangen. Sie ist gebannt von seiner männlichen Aura - und von jener Traurigkeit, die sie zu vereinen scheint. Alles in ihr drängt danach, sich dem attraktiven Griechen hinzugeben und für eine Nacht ihre Ehe zu vergessen, die keine war. Arions zärtliche Küsse zeigen ihr ein ungekanntes Paradies - trotzdem stiehlt sie sich im Morgengrauen davon. Doch drei Tage später steht Perla ihm unerwartet wieder gegenüber: Beim Begräbnis ihres Mannes, der Arion angeblich um ein Vermögen gebracht hat …


  • Erscheinungstag 14.04.2015
  • Bandnummer 2174
  • ISBN / Artikelnummer 9783733701567
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Der Parkplatz war genauso still, wie sie gehofft hatte. Perla Lowell saß in ihrem geliebten Mini Cooper und spielte auf der Suche nach den richtigen Worten nachdenklich mit ihrem Stift.

Vier magere Zeilen. Mehr hatte sie in den vergangenen zwei Stunden nicht zustande gebracht. Mühsam schluckte sie ihre wachsende Verzweiflung hinunter. In drei Tagen würde sie vor Freunden und Familie eine Rede halten müssen … und ihr fehlten einfach die Worte.

Das stimmt nicht ganz. Sie hatte schon Worte, nur klangen sie leider nicht wahr. Denn die Wahrheit … nein, die konnte und durfte sie niemals preisgeben. Seit drei Jahren war ihr ganzes Leben eine einzige große Lüge. Kein Wunder, dass ihre Hände wie verrückt zitterten, sobald sie zum Schreiben ansetzte. Und dass ihr Herz stolperte, wenn sie sich vorstellte, wie schwierig es in Zukunft werden würde, den Schein aufrechtzuerhalten.

Aber was blieb ihr für eine Wahl? Wie könnte sie Güte mit Erniedrigung vergelten? Etwas anderes zu sagen oder zu tun als das, was man von ihr erwartete, würde eine Katastrophe nach sich ziehen, der sie nicht gewachsen war.

Wut mischte sich in ihre Verzweiflung, und sie zerriss das Papier vor sich in zwei Hälften. Das Geräusch zerschnitt die Stille der Nacht, und allmählich brannten die Tränen, die sie so lange zurückgehalten hatte, schmerzhaft in ihrem Hals.

Ihre Hände schienen ein Eigenleben zu führen und zerpflückten das Papier zu Konfetti. Dann öffnete sie die Finger und ließ alle Schnipsel zu Boden regnen. Vergeblich wartete sie darauf, dass die Tränen endlich flossen, doch nichts geschah. Sie blieben dort verschlossen, wo sie schon seit zwei Wochen lauerten und Perla quälten.

Sie wären unaufrichtig, denn tief in ihrem Inneren war Perla … erleichtert. Dabei müsste sie am Boden zerstört sein. Wie tief war sie eigentlich gesunken?

Ganz langsam legte sie die Hände in den Schoß und starrte blind durch die Windschutzscheibe. Direkt vor ihr befand sich die kürzlich mit mehreren Millionen Dollar aufpolierte Macdonald Hall in all ihrer urenglischen Pracht und mit ihrem exklusiven Club, der Mitglieder nur auf persönliche Empfehlung hin aufnahm. Gleich hinter dem imposanten Gebäude befand sich der dazugehörige, hochherrschaftliche Golfplatz.

Allein die Cocktailbar dieses Etablissements war dem öffentlichen Publikum zugänglich, und zwar von sieben Uhr abends bis Mitternacht.

Perla atmete tief durch und betrachtete die Papierfetzen neben ihren Füßen. Ihr schlechtes Gewissen erwachte, als ihr bewusst wurde, wie gut es sich anfühlte, endlich loszulassen. Nur dieses eine Mal, in diesem einen kostbaren Moment, wollte sie sich nicht zurückhalten … wollte nicht mehr jedes Wort und jedes falsche Lächeln auf die Goldwaage legen, während sie innerlich ihr Schicksal verfluchte. Sie wollte normal sein …

Allerdings würde dieses Gefühl nicht lange anhalten. Perla musste nämlich noch die nächsten Tage überstehen.

Resigniert griff sie nach ihrer Tasche.

Hier war sie weit genug von zu Hause entfernt, niemand würde sie erkennen. Deshalb war sie ja auch über eine Stunde lang gefahren – um einen ruhigen Platz zu finden, an dem sie nach den richtigen letzten Worten suchen konnte. Aber sie war noch nicht bereit dazu, sich der Realität zu stellen, die verständnisvollen Gesten ihrer Mitmenschen anzunehmen oder ihre fragenden Blicke zu ertragen.

Entschlossen starrte sie die Macdonald Hall an. Nur einen Drink! Dann würde sie zurückfahren und den morgigen Tag in Angriff nehmen.

Hastig kramte sie ihre Bürste hervor und versuchte, ihre widerspenstigen Locken zu zähmen. Anschließend trug sie etwas Lippenstift auf. Scharlachrot war eigentlich nicht ihre Farbe, sie hatte diese Kosmetikprobe gratis zu einer Zeitschrift bekommen. Normalerweise würde sie es nicht wagen, sich derart auffällig zu schminken. Sie fand diese Aufmachung zu herausfordernd und zu grell.

Und sie erkannte ihr eigenes Spiegelbild kaum wieder, aber war das nicht vielleicht ganz gut so? Perla zögerte. Nein, heute Nacht würde sie mutig diese Farbe tragen und jemand anderes sein als sonst! Nicht Perla Lowell, der ausgemachte Feigling. Sie wollte für eine Weile den Schmerz und die permanente Demütigung der letzten drei Jahre vergessen!

Bevor sie es sich anders überlegen konnte, stieg sie aus dem Auto in die kühle Nacht hinaus. Ihre Partyjahre mochten lange hinter ihr liegen, trotzdem wusste sie, dass ihr schlichtes, trägerloses kleines Schwarzes für einen Cocktailabend mitten in der Woche durchaus angemessen war.

Falls doch nicht, konnte ihr nicht mehr passieren, als dass man sie höflich bat zu gehen. Im Vergleich zu dem, was in den nächsten Tagen vor ihr lag, war das ein lächerliches Risiko.

Ein schick gekleideter Concierge begrüßte sie am Eingang und führte sie über poliertes, makelloses Parkett zu einer antiken Doppeltür, über der das Wort Bar prangte. Ein weiterer livrierter Mitarbeiter öffnete die Tür für sie und tippte sich kurz zur Begrüßung an die Kappe.

Perla fühlte sich zwar nicht ganz wohl in ihrer Haut, genoss aber trotzdem den Gang über den teuren Holzboden, vorbei an mit Brokat behangenen Wänden bis hin zum eleganten, endlos langen Bartresen. Der Mann dahinter jonglierte gekonnt mit Flaschen und einem silbernen Cocktailshaker herum, während er sich mit ein paar jungen Leuten unterhielt, die ihn begeistert anfeuerten.

Im ersten Augenblick wollte Perla auf dem Absatz kehrtmachen, aber sie zwang sich dazu, Schritt für Schritt voranzugehen, bis sie das freie Ende der Bar erreicht hatte. Dort sicherte sie sich einen der bequemen Lehnhocker und stellte ihre Handtasche auf dem Tresen ab.

Und nun?

„Was macht ein feines Mädchen wie Sie an einem Ort wie diesem?“

Dieser vordergründige Satz brachte sie zum Lachen, und sie sah hoch direkt in das strahlende Gesicht des Barkeepers. Ohne Zweifel war dieser makellos schöne Mann eingestellt worden, um die Damenwelt abends bei Laune zu halten. „Sie sind schon die zweite Person, die hier heute Abend reinspaziert und aussieht, als könnte sie etwas gebrauchen, das ihre düstere Stimmung wieder aufhellt.“

In einem anderen Leben hätte Perla diesen charmanten Kerl eventuell interessant gefunden. Nur leider hatte sie die Erfahrung gelehrt, sich nicht mehr vom äußeren Eindruck eines Menschen blenden zu lassen.

Trotzdem setzte sie ein bemühtes Lächeln auf und faltete die Hände über ihrer Tasche. „Ich hätte gern einen Drink, bitte.“

„Kein Problem.“ Er beugte sich vor, und sein Blick fiel auf ihre Lippen. „Was darf ich Ihnen servieren?“

Ratlos betrachtete sie die Cocktailkarte an der Wand und hatte keine Ahnung, worum es sich bei den einzelnen Getränken handelte. Am liebsten hätte sie nach einem Cosmopolitan gefragt, aber sie war sich nicht sicher, ob dieser Cocktail heutzutage noch en vogue war.

Wieder verspürte sie einen Fluchtinstinkt, doch ihre Sturheit zwang sie, auf dem Barhocker sitzenzubleiben. Sie hatte sich lange genug herumschubsen lassen, hatte genug erduldet. Viel zu lange hatte sie jemand anderem gestatten, über ihr Leben zu bestimmen, jetzt war es an der Zeit, der Welt die Stirn zu bieten – wenn auch nur für einen Abend.

Obwohl der knallrote Lippenstift keine gute Idee gewesen war. Er zog viel zu viel ungewollte Aufmerksamkeit auf ihre Lippen, aber das sollte ihren kleinen Ausflug in die Freiheit nicht weiter stören.

Entschlossen straffte sie die Schultern und zeigte auf ein Deko-Glas, in dem mehrere bunte Schirmchen steckten. „Genau das würde ich gern haben.“

Der Barkeeper folgte ihrem Blick und runzelte die Stirn. „Einen Martini mit Granatapfelsaft?“

„Ja. Was wäre falsch daran?“, fragte sie spitz.

„Nun ja, der ist ziemlich unspektakulär. Passt gar nicht zu Ihnen.“

„Ich nehme ihn trotzdem.“

„Kommen Sie, lassen Sie mich für Sie …“

„Geben Sie der Lady, wonach sie verlangt“, ertönte eine tiefe Stimme direkt hinter ihr.

Sie erkannte einen fremden Akzent, vermutlich irgendwas Südländisches, und Perla lief ein Schauer über den Rücken.

Stocksteif blieb sie sitzen und beobachtete, wie der Barkeeper nickte und sich an die Arbeit machte.

Die Präsenz des Mannes hinter ihr erdrückte sie regelrecht, und ihr Verstand ließ alle Alarmglocken schrillen. Dennoch gelang es ihr nicht, sich zu rühren oder gar umzudrehen. Ihre Finger krallten sich automatisch um ihre Tasche.

„Drehen Sie sich doch mal um“, bat die Stimme hinter ihr.

Noch ein Mann, der ihr Vorschriften machen wollte! „Hören Sie, ich wäre einfach gern ein bisschen allein …“

„Drehen Sie sich bitte für mich um“, unterbrach der Fremde sie etwas sanfter.

Seine Bitte machte sie neugierig. Aber nicht neugierig genug, um blind zu gehorchen.

„Ich habe Sie gerade davor bewahrt, einem professionellen Aufreißer zum Opfer zu fallen. Das Mindeste, was Sie wohl für mich tun können, ist, sich zu mir umzudrehen und mit mir zu reden.“

Obwohl ein paar Schmetterlinge in ihrem Bauch tanzten, blieb Perla hart. „Ich habe Ihre Hilfe weder erbeten noch gebraucht. Und ich will momentan mit niemandem reden, also …“

Sie sah zum Barkeeper hinüber, um ihre Bestellung zu widerrufen. Diese ganze Sache hier war sowieso eine Schnapsidee gewesen. Perla hatte Mühe, ihre Emotionen unter Kontrolle zu halten, und wollte nur noch weg von hier.

Hinter ihr blieb ihr vermeintlicher Retter stumm. Aber sie wusste, dass er noch da war, weil sie mit jedem Atemzug seinen maskulinen Duft in sich aufnahm. Und sie konnte auch ihn atmen hören. Ein seltsames Gefühl schlich über ihre Haut, und sie musste sich zwingen, keinen Blick über die Schulter zu riskieren.

Plötzlich bemerkte sie, wie der Barkeeper einen unsichtbaren Befehl abnickte, während sein Blick offenbar auf den Mann hinter ihr gerichtet war. Dann nahm der junge Barangestellte ihren Drink und brachte ihn fort.

Wutentbrannt drehte sie sich nun doch um und starrte dem großen, breitschultrigen, dunkelhaarigen Mann hinterher, der sich gerade zu dem Platz bewegte, an dem ihr Drink serviert wurde.

Eilig folgte sie ihm. „Was denken Sie sich eigentlich dabei?“, wollte sie wissen.

Der Mann drehte sich zu ihr um, und Perla verschlug es die Sprache.

Atemberaubend. Das war das erste Wort, das ihr einfiel. Hinreißend und atemberaubend und so real, dass man ihn wirklich und wahrhaftig anfassen konnte. Hingerissen sah sie ihn an. Die olivfarbene Haut, die markanten Züge und das leicht grau melierte Haar faszinierten sie auf Anhieb. Sie hätte sich niemals umdrehen und ihm vor allen Dingen niemals folgen dürfen!

Lieber Himmel, hatte sie denn gar nichts aus ihren Fehlern gelernt? Kopfschüttelnd versuchte sie, den Rückweg anzutreten. Ihr Platz war nicht hier bei diesen Leuten. Wenn irgendjemand das herausfand …

Aus ruhigen, braunen Augen sah er sie an und musterte sie von Kopf bis Fuß.

„Ist Ihre Haarfarbe echt?“, erkundigte er sich.

Verwirrt drückte sie ihre Tasche fester an sich. „Wie bitte?“

„Dieser ungewöhnliche Rotton. Ist der echt?“

Diese Frage ernüchterte sie. „Sicher ist er echt. Weshalb sollte ich mir wohl die Haare färben?“ Natürlich konnte er nicht wissen, dass ihr diese Art von Eitelkeit völlig fremd war. Aus welchem Grund sollte sie sich die Haare färben? Es gab niemanden, dem sie gefallen wollte. Sie war viel zu sehr damit beschäftigt, ihr Überleben zu sichern. „Er ist echt, okay? Wollen Sie mir jetzt verraten, was dieses Spiel hier soll? Das ist mein Drink, den Sie da an Ihren Tisch beordert haben.“

„Ich kläre nur die Situation für uns beide“, behauptete er in rätselhaftem Ton und rückte einen Stuhl für sie zurecht. „Setzen Sie sich, bitte!“

Perla zog eine Augenbraue hoch und blieb stehen. Der Fremde zuckte die Achseln und wartete ab.

„Sie mischen sich in eine Situation ein, die ich vollkommen unter Kontrolle hatte“, beschwerte sie sich. „Dies ist ein renommiertes Lokal. Hier braucht man keine Hilfe von fremden Männern.“

„Also meinen Sie, Sie würden einen Wolf im Schafspelz sofort erkennen?“, fragte er schneidend.

„Nein, das meine ich nicht. Diese Bar ist ein sicherer Ort, wollte ich sagen. Und ich bin einfach nur für einen harmlosen Drink hierhergekommen“, verteidigte sie sich.

Geduldig zeigte er auf den Stuhl. „Den dürfen Sie jetzt auch genießen, ohne dass ich Ihnen mit aufdringlichen Gesprächen zur Last falle. Ehrenwort!“

Sein Angebot machte sie neugierig. Oder vielleicht wünschte sie sich auch nur eine Ablenkung von dem Schmerz und dem Chaos, das sie erwartete, sobald sie diese Bar verließ.

Schließlich zwang sie sich, ihn genauer zu betrachten. Seine Krawatte war bereits gelockert, und er sah aus, als wäre er sich mehr als nur ein oder zwei Mal mit den Händen durchs Haar gefahren. Sie erkannte sofort, dass er nicht auf der Suche nach einer willigen, weiblichen Begleitung war. Er machte nicht den Eindruck eines Jägers, obwohl seine Ausstrahlung extrem sinnlich war. Nein, in seinen Augen erkannte sie tiefen Kummer …

Abrupt machte er einen Schritt vorwärts. „Setzen Sie sich bitte!“

Perla gehorchte sofort und sah dabei zu, wie er ihr schweigend den Martini hinschob. „Danke“, murmelte sie.

Er legte den Kopf schief und prostete ihr zu. „Auf das Schweigen!“

Ihre Gläser klirrten aneinander, und ein merkwürdiges Gefühl überfiel Perla, als sie an ihrem Drink nippte. Der Alkohol wärmte sie innerlich und kühlte zugleich ihr Gemüt.

Ihr Gegenüber schien immer noch von ihrer Haarfarbe fasziniert zu sein, denn er starrte ihre Locken unentwegt an. Sie musste sich zusammenreißen, um nicht herausfordernd mit einer Strähne zu spielen. Stumm tranken sie ihre Gläser leer und taxierten sich dann und wann mit vorsichtigen Blicken.

Irgendwann stellte Perla ihr Glas ab und seufzte.

Der Mann tat es ihr nach. „Danke.“

„Wofür?“

„Dafür dass Sie dem Drang nach belanglosem Smalltalk widerstanden haben.“

„Ich sagte doch schon, deswegen bin ich nicht hergekommen. Wenn dem so wäre, hätte ich einen Freund mitgebracht. Oder ich wäre zumindest früher hergekommen, als noch mehr Gäste da waren. Sie sind ja wohl auch extra später hier, um dem Rummel zu entgehen?“

„Ihre Annahme ist korrekt“, erwiderte er steif.

Sie zuckte die Achseln. „In dem Fall gibt es keinen Grund, mir zu danken.“

Er stutzte, und sein Blick fiel einmal mehr auf ihr Haar. Danach auf ihren rot geschminkten Mund.

Und ehe sie es verhindern konnte, fuhr sie sich automatisch mit der Zunge über die Lippen. Sie hörte, wie er zischend ausatmete, und wunderte sich darüber, dass sie eine so starke Wirkung auf diesen Mann hatte. Perla wusste nicht recht, ob sie sich geschmeichelt fühlen oder eher Angst bekommen sollte.

„Wohnen Sie hier in der Macdonald Hall?“, erkundigte sie sich, um die Atmosphäre etwas aufzulockern.

Der Fremde ballte seine rechte Hand zur Faust. „Für die heutige und auch die nächsten Nächte schon.“

Sie sah von seiner Faust hoch zu seinem Gesicht. „Wieso beschleicht mich das Gefühl, Ihnen ist das nicht besonders recht?“

„Weil wir unser Schicksal nicht immer selbst bestimmen können. Ich sitze nun mal die nächsten Tage hier fest und bin tatsächlich nicht sonderlich erfreut darüber.“

Nachdenklich begutachtete sie ihr leeres Glas. „In dem Fall werden Sie wohl bald vom Glas auf die Flasche umsteigen, was?“

Er hob eine Schulter. „Trinken ist ein Weg, den Lauf der Zeit zu beschleunigen, nehme ich an.“

In ihrer Magengegend flammte ein Gefühl von Gefahr auf. „Wir sind die letzten Gäste in einer Hotelbar kurz vor Mitternacht. Mir ist nicht ganz klar, wie Sie sich hier noch ablenken wollen.“ Ihre Stimme klang heiserer, als beabsichtigt.

„Zum Glück bin ich nicht länger allein“, konterte der Fremde mit einem Augenzwinkern. „Ich habe eine Dame in Not gerettet, und zur Belohnung genieße ich nun ihre Gesellschaft.“

„Ich bin keine Dame in Not. Außerdem kennen Sie mich nicht. Demnach könnte ich auch zu den Menschen gehören, vor denen Sie gerade Ihre Ruhe haben wollen, Mr …?“

Ihre indirekte Frage nach seinem Namen wurde vom Barkeeper unterbrochen, der in diesem Augenblick erschien, um nach einer neuen Bestellung zu fragen.

„Ich glaube nicht, dass ich noch etwas trinken sollte“, begann sie unschlüssig.

Warme, braune Augen richteten sich auf sie. „Aber wir lernen uns doch gerade erst richtig kennen.“

„Vor wenigen Minuten wollten Sie noch ganz allein sein, genau wie ich“, warf Perla ein.

„Das will ich nicht“, widersprach er schnell. „Vergeben Sie mir, wenn ich den Eindruck erweckt haben sollte. Aber ich möchte Sie auch nicht dazu drängen, hier mit mir auszuharren.“

Sie fand diesen Mann wirklich faszinierend, vor allem diese beeindruckende Aura von Eleganz, Reichtum und Traurigkeit. „Eigentlich brauche ich dafür Ihre Zustimmung nicht, aber ich bleibe noch auf einen weiteren Drink“, sagte sie mutig.

„Efharisto“, entgegnete er ernst, und ihr wurde bei seinem sinnlichen Tonfall ganz warm ums Herz.

„Was bedeutet das?“

„Das ist Griechisch für Dankeschön.“

„Oh, Sie sind Grieche? Ich liebe Griechenland! Vor langer Zeit war ich mal bei einer Hochzeit auf Santorin. Damals habe ich mir vorgenommen, selbst mal dort zu heiraten. Für mich ist es einer der schönsten Plätze auf diesem Erdball!“ Sie brach ab, als sie sein verschlossenes Gesicht bemerkte. „Tut mir leid, das war nun wirklich belangloser Smalltalk.“

Sein rechter Mundwinkel hob sich leicht. „Nicht so belanglos, wie ich befürchtet hatte. Also lieben Sie Griechenland? Was lieben Sie noch?“

„Dies ist wohl der Moment, an dem man von Spaziergängen im Regen berichtet?“

„Nur wenn es stimmt. Ich persönlich verabscheue Regen. Mir gefällt Sonnenschein viel besser. Und das Meer.“

Ihre neuen Drinks wurden serviert, und sie tranken schweigend. Aber dieses Mal taxierten sie einander offensiver mit neugierigen Blicken.

Perla fand die leicht silbernen Strähnen in seinen Schläfen und seinem Dreitagebart extrem anziehend, und insgesamt kam er ihr sogar vage bekannt vor.

Vermutlich aus der Zeitung oder dem Fernsehen, vermutete sie, dachte aber nicht weiter darüber nach. Selbstverständlich war er prominent, sonst würde er sich wohl kaum in einem so exklusiven Sportclub herumtreiben.

Viel schlimmer war, sie fühlte sich zu diesem Mann mit den haselnussbraunen Augen hingezogen. Zu gern wäre sie mit den Fingerspitzen über seine Bartstoppeln gefahren und hätte ihm mit ihrer Zunge … Nein, das durfte sie noch nicht einmal in ihrer Fantasie tun!

„Vorsicht, Kleines“, sagte er, als hätte er ihre Gedanken gelesen. „Dieser Wolf hat scharfe Zähne.“

Erschrocken, weil sie sich ertappt fühlte, sprang sie auf. „Sie haben vollkommen recht. Ich war schon immer für meine Vorsicht bekannt. Also, danke für die Einladung …“ Ihre Zunge fühlte sich seltsam schwer an. „Und für die reizende Gesellschaft.“

Sie zuckte zusammen, als er plötzlich vor ihr stand.

„Sind Sie selbst hergefahren?“, wollte er wissen.

„Ja, mit meinem geliebten alten roten Mini. Aber den zweiten Drink habe ich ja kaum angerührt …“

„Mein Fahrer wird Sie nach Hause bringen.“

Aufregung und Angst ließen sie aufhorchen. Es könnte einen Skandal provozieren, wenn sie mitten in der Nacht von einem fremden Wagen dieser Preisklasse zu Hause abgesetzt werden würde!

„Nein, danke. Das ist sehr nett von Ihnen, aber wirklich nicht notwendig.“

Seine hypnotischen Augen richteten sich auf sie, und Perla konnte sich nur noch auf seine dichten Wimpern konzentrieren, auf seinen starren Blick … und auf die Art, wie sich seine Mundwinkel verzogen, wenn er seinen Willen nicht sofort bekam.

„Darf ich Sie wenigstens zu Ihrem Auto bringen?“

„Ich kann ganz gut allein …“

„Das war kein Vorschlag!“

„Haben Sie mich nicht vorhin vor professionellen Aufreißern gewarnt?“

Dieses seltsame, traurige Lächeln zeigte sich wieder kurz auf seinem Gesicht. „Wie auch immer, ich bringe Sie zu Ihrem Auto.“

Es dauerte nur wenige Minuten, bis sie den Mini erreicht hatten, und Perla spürte die hitzige Präsenz ihres Verehrers jede einzelne Sekunde des Weges. Sie zwang sich dazu, ihn nicht direkt anzusehen, sonst wäre sie vermutlich noch auf dumme Gedanken gekommen.

Aber mit jedem weiteren Schritt hatte sie das Gefühl, diese Schlacht zu verlieren. Was hatte sie mit dem Besuch dieser Bar letztendlich erreicht? Absolut nichts!

Neben dem Wagen blieb sie stehen. „Ich habe gleich gesagt, das ist nicht nötig, aber trotzdem danke.“

„Noch sind Sie nicht aus dem Schussfeld“, brummte er.

„Was meinen Sie damit?“, fragte Perla atemlos.

Er trat so dicht an sie heran, dass sie zusammenprallten. „Verraten Sie mir Ihren Namen!“

Ihr Mund wurde trocken. „Ich heiße … Pearl.“ Sie wusste, dass ihr Name ungewöhnlich klang, schließlich war er auch leicht abgewandelt. Denn heute Abend blieb sie lieber anonym.

Seine Augen wirkten plötzlich wie verschleiert. „Ich habe den unbezwingbaren Drang, dich zu küssen, Pearl. Schlägt dich das jetzt in die Flucht?“

Die Dringlichkeit in seiner Frage berührte sie, und sie legte spontan eine Hand an seine Wange. „Nein. Aber es lässt mich vermuten, dass etwas mit dir nicht stimmt. Du wirkst … wie ein Ertrinkender. Irgendwie verzweifelt …“

Der Laut, den er von sich gab, klang gequält. „Damit will ich dich nicht langweilen.“

„Wie kommst du darauf, dass du mich langweilen könntest? Vielleicht brauche ich die Ablenkung ja genauso dringend wie du?“ Sie drängte sich unbewusst näher an ihn heran. „Vielleicht will ich dir geben, was du willst, weil ich mir das Gleiche wünsche?“

Diese Konversation kam ihr selbst absurd vor, gleichzeitig fühlte sie sich richtig an.

„Sei vorsichtig, was du dir wünschst, Kleines!“

„Aber das bin ich doch! Sogar sehr vorsichtig und vielleicht sogar ein bisschen zu übervorsichtig! Allerdings bin ich es auch gründlich leid, immer vorsichtig zu sein.“

Seine Hand fand ihre, und er drückte ihre bebenden Finger an seine Wange. „Versprich nichts, was du nicht halten kannst!“

„Soll das eine Herausforderung sein?“

„Ich will dich nur vorwarnen. Und ich möchte dir keine Angst machen, also solltest du jetzt lieber fahren“, fügte er hinzu. „Oder bleib, falls du den Mumm dazu hast! Die Wahl liegt ganz bei dir, aber entscheide dich bitte schnell!“

Gleichzeitig verfingen sich seine Hände in ihren dichten, roten Haaren, und er begann, sie zu streicheln.

So fremd und so richtig fühlt sich das an, schoss es Perla durch den Kopf. Sie hatte keine Chance auf Gegenwehr, und ehe sie sich versah, spürte sie seine Lippen auf ihren.

Alle rationalen Gedanken waren vergessen, und sie ergab sich der elektrisierenden Wirkung dieser unverhofften Begegnung.

Der geheimnisvolle Mann küsste sie mit einer Intensität, als würde sein Leben davon abhängen. Das machte sie an und berührte gleichzeitig einen gewissen wunden Punkt in ihr. Es kam ihr fast so vor, als würde dadurch ein Heilungsprozess in Gang gesetzt werden, der ihr gut tat …

Irgendwann rangen sie beide nach Luft. Ihr Verehrer gab einen unwilligen Laut von sich, und Perla strich sich das Haar glatt.

„Also, ich … ich …“ Wie sollte sie in Worte fassen, was gerade mit ihr geschah? „Reicht das nicht allmählich?“ Halbherzig beschloss sie, diesen Mann endgültig abzuhängen.

Er schüttelte träge den Kopf. „Nein, es reicht nicht“, flüsterte er. „Der Geschmack von dir macht süchtig. Ich möchte in dir ertrinken …“ Mit beiden Händen hielt er ihren Kopf und küsste sie, bis alle ihre Zweifel verflogen waren.

„Theos“, keuchte er nach einer Weile. „Das ist verrückt, aber ich kann dich nicht gehen lassen. Noch nicht!“ Seine Augen flehten sie an. „Bleib heute Nacht bei mir, Pearl!“

Ihre Entscheidung fiel im Bruchteil einer Sekunde. Trotzdem musste sie sich noch etwas zaghaft geben, das gebot der Anstand.

„Ich kenne nicht einmal deinen Namen“, raunte sie.

„Ich heiße Arion. Aber du darfst mich gern Ari nennen.“

„Arion“, wiederholte sie.

„Gefällt dir mein Name?“, wollte er wissen.

„Ich liebe deinen Namen“, versicherte ihm Pearl. „Ich habe ihn nie zuvor gehört … Ari.“

Mit dem rechten Arm zog er sie fest an sich heran. „Die Art, wie du ihn aussprichst“, raunte er. „Du kannst mir extrem gefährlich werden, agapi mou.“

Sie lachte stockend. „Wow, ich und gefährlich? Das ist zumindest ein Anfang.“

„Wie haben dich andere Männer in deinem Leben genannt?“

Die Frage klang für ihre Ohren ziemlich ernüchternd. Die vertraute Erniedrigung wollte sie einholen, aber Perla wehrte sich gegen diesen Gedanken. Diese eine Nacht gehörte ihr allein! Das wollte sie sich von der Vergangenheit nicht kaputtmachen lassen.

„Was glaubst du, wie sie mich genannt haben?“

Hinreißend. Atemberaubend. Aphrodite persönlich wäre eifersüchtig auf dich“, sagte er und presste seine Lippen an ihren Hals. „Dein Haar ist einzigartig, die Farbe eines echten griechischen Sonnenuntergangs.“

Unwillkommene Tränen drängten in Perlas Augen, und sie schluckte.

Autor

Maya Blake
<p>Mit dreizehn Jahren lieh sich Maya Blake zum ersten Mal heimlich einen Liebesroman von ihrer Schwester und sofort war sie in den Bann gezogen, verlor sich in den wunderbaren Liebesgeschichten und begab sich auf romantische Reisen in die Welt der Romanhelden. Schon bald träumte sie davon, ihre eigenen Charaktere zum...
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