Dein Kuss heilt meine Wunden

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Seine Hände auf ihrer Haut - und die letzten zehn Jahre ohne ihn sind wie ausradiert! Jenny kann nur noch an die Leidenschaft denken, mit der Gavin sie geküsst hat. Erst als der Rausch der Erregung verfliegt, fällt ihr ein, wie sehr der Polizist sie damals verletzt hat …


  • Erscheinungstag 12.11.2020
  • ISBN / Artikelnummer 9783751504416
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

Die Scheibenwischer konnten die Regenflut kaum bewältigen, die auf die Windschutzscheibe prasselte, und die Scheinwerfer durchdrangen die Dunkelheit nur unzureichend. Dazu stürmte es so sehr, dass es schwierig war, den Wagen auf der Straße zu halten. Jenny Baer umklammerte das Lenkrad und beugte sich leicht im Sitz vor, um die gewundene Straße besser zu erkennen. Die Schlechtwetterfront hatte sie früher als erwartet auf ihrer dreistündigen Fahrt erwischt.

Es war Freitag, und sie hatte vorgehabt, gleich nach der Mittagspause Feierabend zu machen. Dann wäre sie am frühen Nachmittag hier gewesen, lange vor dem Wetterumschwung. Aber in der Firma waren lauter Dinge dazwischengekommen, und sie hatte schließlich erst nach sechs aufbrechen und sich vorher nicht mal umziehen können. Kurz hatte sie überlegt, ob sie erst am nächsten Morgen fahren sollte, aber dann wäre sie möglicherweise nie weggekommen. Sie gönnte sich so selten Urlaub, dass sie sich diese drei freien Tage auf keinen Fall nehmen lassen wollte.

Nur gut, dass ihre Großmutter nicht hier war. Gran hatte die ganze Zeit gesagt, dass es verrückt war, allein für drei Tage in eine einsame Berghütte zu fahren. Aber Gran versuchte ihr sowieso ständig vorzuschreiben, wie sie ihr Leben zu führen hatte. Auch wenn sie es sicherlich nur gut meinte, Jenny musste sie oft daran erinnern, dass sie schließlich schon einunddreißig war, einen Masterabschluss hatte und dass ihr eine erfolgreiche Boutique gehörte.

Wenn Gran gewusst hätte, warum Jenny unbedingt in eine einsame Berghütte wollte, hätte sie gleich noch mehr zu sagen gehabt. Aber vorsichtshalber hatte sie ihrer Großmutter von Thads Heiratsantrag noch gar nichts erzählt. Thad Simonson war ein prominenter Anwalt, und Gran hätte bestimmt gleich den Hochzeitsplaner bestellt und die Verlobungsparty organisiert. Aber Jenny hatte sich bei Thad Bedenkzeit auserbeten – und der verstand das vollkommen und hielt es sogar für vernünftig. Schließlich waren Jennys praktische Veranlagung und ihr scharfer Verstand das, was er am meisten an ihr bewunderte, hatte er bei der Gelegenheit gesagt. Sie hatte es als Kompliment genommen – und so meinte er es auch –, aber in ihren Ohren klang das doch ein wenig unromantisch.

Im Moment war Thad auf einer seiner vielen Geschäftsreisen, und Jenny hatte die Gelegenheit genutzt, um sich ein paar Tage frei zu nehmen. Sie wollte darüber nachdenken, was es für sie bedeutete, wenn sie Thad heiratete – ohne ständig vom Telefon oder einem Meeting mit Angestellten, Kunden und Vertragspartnern unterbrochen zu werden.

Vor ihr zuckte ein Blitz durch die Wolken und erleuchtete die umliegenden Hügel. Das Zentrum dieses Junigewitters lag noch ein paar Meilen vor ihr, kam aber näher. Was hatte sie sich nur dabei gedacht, bei einer solchen Wettervorhersage in die Berge zu fahren? Sonst war sie kein bisschen impulsiv – jedenfalls nicht in den letzten zehn Jahren – und doch fand sie sich jetzt hier im Nirgendwo wieder, auf dem Weg zu einer Hütte in den Ozarks, einer idyllischen bewaldeten Bergkette in Arkansas. In der Hütte gab es weder Zimmerservice noch den Luxus, den sie normalerweise im Urlaub bevorzugte – wenn sie sich denn mal Urlaub gönnte. Und sie hatte sich ganz spontan erst vor zwei Tagen entschieden, überhaupt wegzufahren, was für sie auch sehr untypisch war.

So gesehen war es ein Wunder, dass in der beliebten Urlaubsregion im Juni überhaupt eine Hütte frei gewesen war, aber die Frau bei der Ferienhausvermittlung hatte ihr versichert, das gehe in Ordnung. Vielleicht lag es am schlechten Wetter? Aber Jenny hatte sowieso vor, sich hauptsächlich drinnen aufzuhalten und sich darüber zu freuen, dass sie allein war. Ein verregnetes Wochenende konnte sie also nicht abschrecken. Eine so gewaltige Gewitterfront war dagegen schon was anderes.

Zum Glück war sie fast da. Sie bog von der Asphaltstraße auf eine steile Schotterpiste mit vielen Schlaglöchern ab, die rasch zu tiefen Pfützen wurden. Beim Abbiegen kam das Auto leicht ins Schleudern, weil ein Wasserfilm auf der Straße stand. Sie hielt den Atem an und umklammerte das Lenkrad noch fester, bis die Reifen wieder griffen und der Wagen sich langsam den Hügel hinaufkämpfte. Als schließlich die Hütte vor ihr auftauchte, stöhnte Jenny erleichtert auf, auch, wenn sie sie nur als dunkleren Schatten in der Dunkelheit wahrnahm. Eine Außenleuchte mit Bewegungsmelder gab es wohl nicht, und es war schwer zu sagen, ob sich etwas verändert hatte, seit sie vor elf Jahren das letzte Mal hier gewesen war.

Jenny parkte so nah wie möglich neben der vorderen Veranda, um auf dem Weg zur Haustür nicht völlig durchnässt zu werden. Alles, was sie im Moment brauchte – Handtasche, Laptoptasche und eine kleinen Reisetasche mit Sachen für die Nacht – lag auf dem Beifahrersitz. Die große Reisetasche aus dem Kofferraum konnte sie später holen.

Sie griff sich das Nötigste, sprang aus dem Auto und rannte zu der überdachten Veranda. Leise fluchend steckte sie den Schlüssel ins Schloss. Schon von den wenigen Metern war sie völlig durchnässt. Ihr dunkles Haar hing ihr in nassen Strähnen ums Gesicht. Ihre vorher gebügelte weiße Designerbluse klebte ihr jetzt durchsichtig am Körper, und die graue Leinenhose fühlte sich an wie ein nasser Lappen. Ihre teuren Sandalen waren mit Matsch verschmiert, und auf den glatten Holzstufen war sie prompt umgeknickt. Das hatte man nun davon, wenn man in einer Hütte Urlaub machte, wo einen kein freundlicher Portier mit dem Schirm am Auto abholte.

„Hab ich dir doch gleich gesagt“, hörte sie die Stimme ihrer Großmutter in ihrem Ohr.

Stirnrunzelnd stieß Jenny die Haustür auf. Drinnen war es dunkel und stickig. Ab und zu zuckte ein Blitz über den Himmel und erhellte den Innenraum, der aus einem großen Zimmer bestand, an dessen hinterem Ende die Küchenzeile und ein Essbereich lagen. An der rechten Wand gab es einen großen gemauerten offenen Kamin. Genauso hatte sie es in Erinnerung.

Mit dem Gefühlssturm, den das hervorrief, hatte sie jedoch nicht gerechnet. Sie spürte einen dumpfen Schmerz in ihrem Herzen und hatte Mühe zu atmen. Die ganze Zeit hatte sie sich eingeredet, dass die Hütte der perfekte Ort war, um sich ernsthafte Gedanken über ihren nächsten Schritt im Leben zu machen. Außerdem lag sie sehr idyllisch – das lange Wochenende, das sie hier mit der Familie ihres damaligen Freundes verbracht hatte, war einer der schönsten Urlaube überhaupt gewesen. Deshalb war es ihr wie eine glückliche Fügung vorgekommen, als sie mit Hilfe des Internets und der Ferienhausvermittlung herausgefunden hatte, dass die Hütte nicht nur immer noch vermietet wurde, sondern zur fraglichen Zeit sogar frei war.

Sie hatte gedacht, sie könne die idyllische Umgebung genießen, ohne daran zu denken, wie tränenreich jenes Jahr nach der Trennung von ihrem damaligen Freund für sie geendet hatte. Sie hatte geglaubt, über diesen jugendlichen Herzschmerz hinweg zu sein. Dass sie an die guten Zeiten denken und die schlechten vergessen konnte, wie es Erwachsene mit den Kapriolen ihrer Jugend eben tun. Vielleicht hatte sie sogar gehofft, dies wäre ein angemessener, endgültiger Abschluss für die einzige ernsthafte Beziehung, die sie vor Thad gehabt hatte, damit sie sich frei von allen Altlasten nun an einen Mann binden konnte.

Vielleicht hätte sie nicht ganz so mutig sein sollen. Manche alten Erinnerungen ließ man besser in Ruhe, anstatt sie so greifbar zu machen.

Ein wenig fassungslos über ihre eigene Gedankenlosigkeit stellte sie die Taschen ab und tastete nach einem Lichtschalter. Hoffentlich würde das Licht die alten Erinnerungsbilder dahin jagen, wohin sie gehörten. Doch als sie den Schalter drückte, passierte gar nichts.

Na wunderbar. Ein Stromausfall wegen des Gewitters. Sollte sie jetzt zurück zum Auto rennen und wieder in die Zivilisation fahren, wo es als Bonus auch keine schmerzlichen Erinnerungen gab? Wie als Antwort peitschte eine Windbö gegen die Fenster, dass die Scheiben klirrten, und kurz darauf erklang ein Donnerschlag, der direkt über der Hütte zu explodieren schien. Okay, also würde sie vielleicht doch erst mal eine Weile drinnen bleiben.

Sie zog ihr Handy aus der Tasche und nutzte das Display als Taschenlampe. Hier hatte sie auch nur minimalen Empfang, aber immerhin zeigte das Handy die Zeit an. Es war schon fast zehn Uhr.

Da konnte sie auch die klatschnassen Sachen ausziehen und versuchen, ein wenig zu schlafen. Plötzlich fühlte sie sich sehr erschöpft, und sie streifte die schlammverkrusteten Schuhe ab, knöpfte mit der freien Hand ihre Bluse auf und trug dann ihre Reisetasche zu dem Flur auf der linken Seite des Raums. Morgen früh, wenn das Gewitter vorbei war, konnte sie sich immer noch überlegen, was zu tun war, wenn es weiterhin keinen Strom gab. Sie hatte gehofft, dass sie am Ende dieser drei Tage einen Haufen Papierkram erledigt und wichtige Entscheidungen getroffen haben würde. War sie zu naiv gewesen?

Als sie im Flur ankam, konnte sie es kaum noch abwarten, die nassen Sachen auszuziehen und in ihr bequemes Satinnachthemd zu schlüpfen. Hoffentlich war die Matratze nicht zu hart – aber das war fast auch schon egal, im Moment hätte sie auf einem Haufen Steine schlafen können.

Das Schlafzimmer war winzig und wurde fast völlig vom Bett ausgefüllt. Gerade, als ihr das klar wurde, stolperte sie über etwas Hartes auf dem Boden. Die Tasche fiel ihr aus der Hand und landete direkt auf ihrem nackten Fuß. Ein scharfer Schmerz schoss ihr Bein hinauf, und sie schrie auf und hüpfte auf einem Bein herum. Dabei ließ sie das Handy fallen, das auf dem Display landete, woraufhin der Raum in Dunkelheit getaucht war. Orientierungslos fiel Jenny auf das Bett.

„Verdammt, was ist hier los?!“ Die verschlafene, erschrockene männliche Stimme ertönte aus der Dunkelheit, gleichzeitig schlossen sich Hände um Jennys Arme. Instinktiv wehrte sie sich, und ihre Hände landeten auf einer nackten, warmen, behaarten Brust. Sie schrie ein zweites Mal auf und riss ihren Oberkörper heftig zurück. Wenn der Mann sie nicht festgehalten hätte, wäre sie vom Bett gefallen.

„Lassen Sie mich los!“, befahl sie scharf. Panik schnürte ihr den Hals zu. „Was machen Sie hier? Ich rufe die Polizei!“

„Ich bin die Polizei. Und Sie sind hier eingebrochen.“

Jenny kämpfte sich auf die Füße. Der Mann hielt sie noch immer mit einer Hand fest und tastete mit der anderen nach dem Nachttisch. Das kalte, fluoreszierende Licht einer Notlaterne flammte auf, und sie zwinkerte, um sich an die plötzliche Helligkeit zu gewöhnten. Dass sie den Mann, der sie noch immer festhielt, jetzt sehen konnte, beruhigte sie allerdings nicht gerade.

Sein dunkelblondes Haar mit ein paar helleren Strähnen war schulterlang, und sein kantiges Kinn bedeckt von einem dunklen Dreitagebart. Seine Augenfarbe konnte sie nicht erkennen, aber seine Lippen waren fest zusammengepresst, und er hatte Falten neben den Mundwinkeln, die sich, wenn er lachte, möglicherweise zu langen Grübchen vertieften. Falls er je lachte. Seine nackten Schultern waren breit wie bei einem Footballspieler und gebräunt. Am auffälligsten war allerdings der große weiße Verband, der seine rechte Schulter bedeckte, auch wenn der ihn nicht unbedingt verletzlicher aussehen ließ. Im Gegenteil, der erste Eindruck vermittelte ihr angespannte Kraft, schwelendes Temperament und fast überwältigende Männlichkeit.

Es dauerte einen weiteren Moment, bis ihr klar wurde, dass sie den Mann kannte. Oder ihn früher gekannt hatte. Sehr gut sogar. Wenn er nicht noch immer ihren Arm festgehalten hätte, hätte sie gedacht, ihr müder, von Erinnerungen überfluteter Verstand spiele ihr einen Streich.

„Gavin?“

Hatte das Schicksal wirklich einen so schrägen Humor?

Er blinzelte zu ihr auf, und sie fragte sich, ob er sie in diesen Lichtverhältnissen überhaupt erkennen konnten. Doch dann entspannte sich sein Griff.

„Jen?“

Von all den unwahrscheinlichen Vorkommnissen, die sie sich für diese spontane Reise hätte vorstellen können, hätte „Ich lande im Bett mit Gavin Locke“ es nicht mal auf die Liste geschafft. Stumm starrte sie ihn an, unfähig etwas zu denken, geschweige denn zu sagen. Das Herz schlug ihr bis zum Hals, und sie hatte Mühe zu atmen. Schon wieder kamen ihr Erinnerungen – diesmal so greifbar, dass sie seine Hände fast auf ihrer Haut, seine Lippen auf ihrem Mund spüren konnte.

Obwohl ihr Körper sofort auf diese erregenden Bilder reagierte, versuchte sie, sie wegzuschieben. Sie war nur überrascht, das war alles, sagte sie sich. Natürlich reagierte sie darauf, Gavin so unerwartet halbnackt in ihrem Bett vorzufinden – wie früher so oft. Sie hatte diese jugendliche Liebesbeziehung lange hinter sich gelassen. Dass sie sich so lebhaft erinnerte, bedeutete nicht, dass sie noch nicht darüber hinweg war.

„Was machst du hier?“, fragte er. „Wie bist du reingekommen?“

„Durch die Eingangstür“, antwortete sie und wünschte sich, ihre Stimme klänge ein wenig fester. „Und du? Bist du eingebrochen?“

„Eingebrochen? Nein, natürlich nicht! Ich habe einen Schlüssel.“

Er deutete auf den Nachttisch, und sie sah einige Tablettenröhrchen, sein Pistolenhalfter und einen Schlüsselring mit mehreren Schlüsseln.

„Hör mal, Jenny, ich hatte zu wenig Schlaf und ich bin ziemlich sauer, dass jemand es bis in mein Bett geschafft hat, ohne dass ich ihn gehört hätte. Kannst du mir bitte erklären, warum du hier bist?“

Seine Stimme war tiefer geworden, aber seine Gereiztheit kannte sie von früher. Während der letzten Wochen ihrer Collegeromanze hatte sie diesen Tonfall nur allzu oft gehört.

Trotzig hob sie das Kinn, entschlossen, sich von seiner Stimmung nicht einschüchtern zu lassen. „Ich habe die Hütte von Lizzie von der Ferienhausvermittlung gemietet. Ich habe das Wochenende im Voraus bezahlt, und der Vertrag dazu steckt in meiner Laptoptasche im Wohnraum.“

Offenbar überrascht lockerte er seinen Griff noch mehr, und sie nutzte die Gelegenheit, um sich zu befreien und sich ein Stück vom Bett zu entfernen.

„Lizzie hat dir die Hütte vermietet?“, wiederholte er schließlich. Offenbar dämpften die Medikamente seinen sonst so scharfen Verstand ein wenig.

Jenny nickte. „Sie sagte, jemand hätte abgesagt und die Hütte wäre frei.“

„Lizzie ist eine …“

Ein Donnerschlag übertönte seine Worte, was wahrscheinlich besser so war. Als es wieder stiller wurde, schüttelte Gavin den Kopf, schlug das Laken zurück und stand auf. Er hatte nur Boxershorts an. Sie hatte ihn zwar schon in weniger gesehen, aber das war lange her, und dass er jetzt so vor ihr stand, machte die Sache nicht gerade weniger peinlich.

In dem Moment wurde ihr auch klar, dass ihre nasse Bluse aufgeknöpft war und er ihren spitzenbesetzten BH sehen konnte. Hastig zog sie den Stoff über der Brust zusammen und tastete nach den Knöpfen. Ihr Fuß, auf den die Tasche gefallen war, pochte, sie wusste nicht, wo ihr Handy gelandet war, und von ihrem nassen Haar fielen ihr ständig kalte Tropfen auf die Schultern. Nicht im Traum hätte sie sich einfallen lassen, dass ihr Urlaub so anfing.

Gavin schien sich aus seinem Aufzug nichts zu machen, denn er blieb im Lichtkegel der Notlaterne stehen. Blitze erhellten ab und zu das Zimmer, dann sah sie sein hartes Gesicht und seinen gestählten Körper besser – und reagierte dummerweise auch nach all dieser Zeit und trotz der seltsamen Umstände mit einem eindeutigen verlangenden Ziehen in ihrer Mitte darauf. Er sah heute noch besser aus als früher.

Sie räusperte sich. „Wenn du den Vertrag sehen willst …“

„Komm schon, Jenny, ich glaube dir natürlich. Außerdem hatte ich in letzter Zeit oft genug mit Lizzie zu tun und kann mir denken, wie es gelaufen ist.“

Draußen heulte der Wind ums Haus, und Jenny musste die Stimme heben. „Willst du damit sagen, dass sie dir die Hütte ebenfalls vermietet hat?“

„Ich musste sie nicht mieten, sie gehört mir jetzt.“

„Oh, verflixt.“ Wann hatte er sie gekauft? Und warum? Jenny erinnerte sich dunkel daran, dass die Hütte einem alten Freund seiner Familie gehört hatte.

„Das kannst du laut sagen.“ Missmutig schüttelte er den Kopf. „Ich hatte Lizzie extra gesagt, dass sie diese Woche nicht vermieten soll, weil ich die Hütte selbst brauche. Ich hätte wissen müssen, dass sie das durcheinanderbringt. Sie ist neu in der Vermittlungsfirma und leider völlig inkompetent.“

„Ich …“ Wieder traf ein heftiger Windstoß die Hütte, die darunter zu erzittern schien. Dann schlug etwas auf das Dach, und Jenny zuckte zusammen und blickte instinktiv nach oben. Immerhin waren sie von Bäumen umgeben. Wahrscheinlich war es diesmal nur ein Ast gewesen, aber sie hoffte sehr, dass dem nicht der ganze Baum folgte.

Gavin blickte ebenfalls zur Decke und schwankte dann, als mache ihn die Bewegung schwindelig. Er suchte am Nachttisch Halt und warf dabei fast die Notlaterne runter. Ohne nachzudenken, ging Jenny auf ihn zu und legte ihm die Hände auf die Schultern. Er zuckte zurück, als sie die bandagierte Schulter berührte; offenbar hatte sie ihm weg getan. Doch selbst bei dem kurzen Kontakt bemerkte sie, wie unnatürlich heiß sich seine Haut anfühlte.

Stirnrunzelnd streckte sie noch einmal die Hand aus und legte sie diesmal vorsichtig auf seine Wange. „Du hast Fieber.“

Er schob ihre Hand weg. „Ich habe geschlafen. Wahrscheinlich ist mir deshalb so warm.“

„Nein, es ist definitiv leichtes Fieber. Ist die Wunde infiziert?“

„Ich nehme Antibiotika“, murmelte er.

„Seit wann?“

„Seit heute Morgen. Ich war in Little Rock beim Arzt, bevor ich hergefahren bin. Er meinte, es wäre nicht allzu schlimm und die Medikamente würden es schnell in den Griff bekommen.“

„Hast du was gegen das Fieber genommen?“

„Mir geht’s gut.“

„Ich habe Aspirin in meiner Tasche. Vielleicht solltest du dich wieder hinlegen, während ich es hole. Kann ich mir die Lampe ausleihen?“

„Du bist hier eingebrochen, um bei mir Fieber zu messen und mir Aspirin zu geben? Hat meine Mutter dich geschickt?“, fragte er.

Seltsamerweise entspannte sie sich ein wenig, als er seine Mutter erwähnte. Die hatte sie immer sehr gemocht.

„Ich bin nicht eingebrochen. Und ich gehe sofort wieder. Tut mir leid, dass es ein Missverständnis gab. Möchtest du jetzt das Aspirin, bevor ich gehe, oder nicht?“

Mittlerweile stand er ein wenig sicherer, und er griff nach einer Jeans, die auf dem Boden lag, und zog sie über. Jetzt erst bemerkte sie, dass sie über seine Stiefel gestolpert war.

Er deutete zum Fenster, dessen Scheibe vom Sturm vibrierte, und durch das ständig Blitze zu sehen waren.

„Bei dem Wetter kannst du hier nicht weg. So wie das regnet, würde es mich nicht wundern, wenn die Straße unten überschwemmt ist. Und noch ist die Gewitterfront nicht mal direkt über uns. Es wird noch schlimmer, bevor es vorbei ist.“

Sie dachte daran, wie der Wagen auf der nassen Straße ausgebrochen war, als sie abbiegen wollte, und schluckte.

„Ich komme schon klar.“ Es klang nicht ganz so überzeugt, wie sie gehofft hatte.

Sie bückte sich, um ihr Handy aufzuheben. Gleichzeitig machte Gavin einen Schritt auf sie zu. „Sei doch nicht dumm. Das Gewitter ist zu …“

Durch den Zusammenprall fiel sie rücklings aufs Bett, und Gavin wäre fast auf ihr gelandet. Irgendwie schaffte er es noch, das Gleichgewicht zu bewahren, musste dafür aber mit den Armen rudern, weshalb er vor Schmerzen aufstöhnte.

Kopfschüttelnd setzte sie sich auf. Konnte dieser lächerliche Abend noch schlimmer werden? Oder forderte sie das Schicksal heraus, wenn sie sich das fragte?

2. KAPITEL

Gavin fragte sich, was wohl in den Tabletten gewesen war, die er genommen hatte, bevor er ins Bett ging. Hatte er Halluzinationen? Oder war wirklich eine umwerfende, nasse Frau mit verführerischen Kurven, die man dank der offenen Bluse gut sehen konnte, direkt in seinem Bett gelandet? Eine Frau aus den Erinnerungen, die er so gut wie möglich verbannt hatte, auch wenn sie ihn in seinen heißeren Träumen manchmal verfolgten? Träumte er jetzt auch?

Nein. So grimmig, wie sie ihn anstarrte, war sie bestimmt keine Fantasie. Seine Traum-Jenny war sehr viel umgänglicher gewesen.

Er murmelte eine Entschuldigung und reichte ihr den gesunden Arm, um ihr aufzuhelfen. Als sie sicher stand, ließ er sie sofort los.

„War ja nicht deine Schuld“, gab sein ungebetener Gast zu. „Ich wollte nur mein Handy aufheben. Ich habe es fallen lassen, als ich über deine Schuhe gestolpert bin.“

Weshalb es auf gewisse Weise also doch seine Schuld war, aber er wollte keinen Streit anfangen.

„Erwartest du eigentlich heute Abend noch jemanden?“, fragte er.

Hoffentlich störte er nicht bei einem romantischen Wochenende. Dass ihm die Möglichkeit missfiel, lag nur daran, dass er keine Lust auf weitere Besucher hatte. Woran sollte es nach all der Zeit auch sonst liegen?

„Nein. Ich wollte mich hier ein paar Tage verkriechen, um endlich mal ohne Unterbrechungen arbeiten zu können.“

So ganz klar war er noch nicht wieder im Kopf. Wieso sollte Jenny ausgerechnet hierher kommen? Und was sollte er jetzt mit ihr anfangen?

Das war zwar eine rhetorische Frage, aber die Antwort präsentierte sich ihm prompt mit einer Flut von ungebetenen Erinnerungen an das letzte Mal, als sie hier zusammen gewesen waren. Er konnte geradezu vor sich sehen, wie er und Jenny nackt und eng umschlungen auf ihren ausgebreiteten Kleidern im Schatten von Bäumen lagen. Lachend und erregt hatten sie diese gestohlene Stunde ausgiebig genutzt.

Er verdrängte die Erinnerung entschlossen und wandte sich halb von Jenny ab. Bei diesem Wetter konnte er sie unmöglich auf die Straße schicken. Er seufzte schwer. „Hinter der Küche gibt es noch ein Schlafzimmer, erinnerst du dich? Du kannst da heute Nacht schlafen, und dann sehen wir morgen weiter.“

„Ich soll die Nacht hier verbringen? Mit dir?“

Autor

Gina Wilkins
Die vielfach ausgezeichnete Bestsellerautorin Gina Wilkins (auch Gina Ferris Wilkins) hat über 50 Romances geschrieben, die in 20 Sprachen übersetzt und in 100 Ländern verkauft werden! Gina stammt aus Arkansas, wo sie Zeit ihres Leben gewohnt hat. Sie verkaufte 1987 ihr erstes Manuskript an den Verlag Harlequin und schreibt seitdem...
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