Heirats-Deal mit dem Boss

– oder –

 

Rückgabe möglich

Bis zu 14 Tage

Sicherheit

durch SSL-/TLS-Verschlüsselung

Allein am Fest der Liebe? Keine schöne Aussicht für Tess. Aber deshalb den Heiratsantrag ihres attraktiven Chefs Scott annehmen? Zwar fühlt sie sich heimlich zu ihm hingezogen, und es knistert heiß, als er sie küsst. Aber er stellt auch klar: Die Ehe ist für ihn ein Business-Deal!


  • Erscheinungstag 12.11.2020
  • ISBN / Artikelnummer 9783751504409
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Tess Miller stand stumm daneben, als ihre ältere Schwester noch irgendeine Kleinigkeit auf dem für Thanksgiving perfekt gedeckten Tisch zurechtrückte. Nina Miller-Wheatleys Speisezimmer erstrahlte förmlich. Nicht nur im Glanz des Kristallleuchters, sondern auch dank zahlreicher Kerzen auf dem Tisch und auf der antiken Kommode. Herbstblumen ergossen sich aus Kristallvasen und über kunstvoll arrangierten Kürbissen. Platzkarten steckten auf kleinen Haltern in Form von Truthähnen. Tess wusste nicht, warum sie diese überhaupt brauchten, da die Festgesellschaft nur aus Nina, ihrem Mann, ihren drei Kindern und ihr selbst bestand, aber ihre perfektionistische Schwester machte nun einmal keine halben Sachen.

Es gab außerdem genug Essen für noch einmal sechs Leute. Truthahn und Füllung, mehrere Beilagen, Salate und vier verschiedene Sorten Nachtisch standen auf der Anrichte bereit. Tess hatte einen Gemüseauflauf und einen Kuchen mitgebracht. „Sehr schön“, hatte Nina gesagt und beides ganz hinten hingestellt.

Nina trug eine rostfarbene Seidenbluse und eine dunkelbraune Hose, die ihre im Fitnessstudio gestählte Figur betonten. Kein blondiertes Haar in ihrer schicken Frisur tanzte aus der Reihe. Trotz der Zeit, die sie in der Küche verbracht hatte, war ihr Make-up makellos. Tess’ Outfit, ein schwarzes Wickeltop und eine dunkelgraue Hose, hatte Nina sofort kritisch gemustert. Dann hatte sie gesagt, dass Tess sich doch vielleicht rote Strähnchen machen lassen sollte. Nur, um ihren kastanienbraunen Bob ein wenig „aufzupeppen“. Für den Augenblick war Tess mit ihrer natürlichen Haarfarbe allerdings vollauf zufrieden. Doch sie sparte sich die Mühe, das auszudiskutieren.

„Alles sieht wunderschön aus, Nina“, erwiderte sie nun, denn sie wusste genau, was sie sagen musste, um ihre Schwester glücklich zu machen. „Man sieht, wie viel Mühe du dir gemacht hast.“

Nina seufzte tief. „Du hast ja keine Ahnung. Die ganze Kocherei und Backerei. Ganz zu schweigen von den Freizeitaktivitäten der Kinder und meinem ehrenamtlichen Engagement. Ich bin vollkommen erschöpft, aber für meine Familie lohnt sich das alles natürlich.“

Die Übertragung eines Footballspiels im Wohnzimmer übertönte den Seufzer, den Tess ausstieß. Ihr Schwager Ken und ihre Neffen, der dreizehnjährige Cameron und der neunjährige Austin hingen vor dem Fernseher ab. Die fast fünfzehnjährige Olivia war in ihrem Zimmer und riskierte vermutlich gerade ein Karpaltunnelsyndrom beim Marathontexten mit ihren Freundinnen. Niemand von ihnen hatte angeboten, Nina zu helfen, aber diese liebte es, für ihre Familie die Märtyrerin zu spielen.

Jetzt schüttelte Nina allerdings die Aura selbstloser Erschöpfung ab und ersetzte sie durch ein mitfühlendes Lächeln. „Du verstehst das natürlich nicht. Schließlich hast du keinen Mann und keine Kinder.“

Seit Tess vor acht Jahren einundzwanzig geworden war, hatte Nina kaum eine Gelegenheit ausgelassen, um ihrer Sorge Ausdruck zu verleihen, dass ihre Schwester ja allein und kinderlos bleiben würde. Da half es nicht gerade, dass die einzige ernsthafte Beziehung, die Tess in dieser Zeit gehabt hatte, spektakulär gescheitert war.

Obwohl Tess sich durchaus eine eigene Familie wünschte, ging ihr die herablassende Art ihrer Schwester immer mehr auf die Nerven. Jede Familienfeier wurde dadurch zunehmend zur Tortur, und das war unglaublich schade, denn von ihrer Familie im engeren Sinne waren nur noch sie und ihre Schwester übrig. Ihre Eltern, die beide schon Mitte vierzig gewesen waren, als Tess dreizehn Jahre nach Nina zur Welt gekommen war, waren beide in den letzten sechs Jahren gestorben.

Tess holte tief Luft. „Möchtest du, dass ich die anderen zum Essen rufe?“

„Gleich. Zuerst wollte ich dich noch fragen, ob ich Camerons Kieferorthopäden deine Nummer geben darf. Dr. Mike ist wirklich sehr nett.“

„Ernsthaft, Nina, hör auf, mich verkuppeln zu wollen.“ Tess schüttelte den Kopf. „Ich brauche dich nicht, um Verabredungen zu bekommen.“

„Also, du brauchst definitiv jemanden, der dir hilft. Du lernst doch niemanden kennen, wenn du tagein, tagaus nur im Büro sitzt und dich für diesen Sklaventreiber von Chef abrackerst. Da brauchst du nun mal ein bisschen Unterstützung.“

„Wenn ich deine Hilfe will, melde ich mich, okay?“

Nina konnte anscheinend nur mühsam einen frustrierten Laut unterdrücken. „Du hast doch nicht Danas Party vergessen, oder? Du weißt doch genau, wie unsere Cousinen reagieren werden, wenn du dort ohne Begleitung auftauchst. Vielleicht wäre das ja eine gute Gelegenheit, Dr. Mike kennenzulernen?“

„Ich kümmere mich schon selbst um eine Verabredung, danke.“ Tess wusste zwar nicht wo und wie, aber sie würde schon einen Begleiter finden, und wenn sie jemanden anheuern musste!

Bevor ihre Schwester sich nach Einzelheiten erkundigen konnte, drehte sich Tess zur Tür um. „Ich rufe die anderen jetzt zum Essen. Es wäre doch eine Schande, wenn alles kalt wird.“

Das war wahrscheinlich die einzige Drohung, die Nina momentan ablenken konnte. Wenigstens für den Augenblick.

Tess hatte wahrscheinlich keine Ahnung, dass am Samstag nach Thanksgiving um sechs Uhr abends noch jemand anderes außer ihr im Büro war, denn sonst würde sie bestimmt nicht bei offener Tür telefonieren. Ihre Worte waren für Scott Prince in der Lobby nämlich unüberhörbar. Er hatte nicht vorgehabt zu lauschen, ehrlich nicht.

Er war einfach nur sehr leise gewesen, als er den Empfangsbereich der Prince Construction Company Inc. betreten hatte. In den letzten neun Jahren hatte er seine ganze Zeit, seinen Schweiß, sein Geld und seine Träume in sein Bauunternehmen in Little Rock investiert. Als Scott die Firma gekauft hatte, hatte sich der kleine Betrieb nur mühsam mit lokalen Aufträgen über Wasser gehalten. Seine Familie und seine Freunde hatten sich Sorgen gemacht, weil er ein so großes finanzielles Risiko eingegangen war. Mit seinen siebenundzwanzig Jahren hatten sie ihn für viel zu jung und unerfahren gehalten, um eine Firma zu führen. Es hatte ihn fast ein Jahrzehnt persönlicher Opfer und unerschütterlicher Entschlossenheit gekostet, um ihnen zu beweisen, dass ihre Zweifel unnötig gewesen waren. Jetzt war er der Eigentümer eines erfolgreichen Unternehmens, das in mehreren Bundesstaaten operierte und sich auf Bauprojekte kleiner und mittelständischer Betriebe spezialisiert hatte.

Tess hatte vor sechs Jahren als Büroangestellte bei ihm angefangen, doch inzwischen war sie seine Büroleiterin und persönliche Assistentin. Ohne ihre Zustimmung kam keiner an ihn heran. Manche Leute sagten, dass er ein Talent dafür hatte, die richtigen Mitarbeiter zu finden. Tess war ein Paradebeispiel dafür. Er gab gerne zu, dass das Geschäft ohne sie sofort ins Chaos stürzen würde.

Aber dieses Wochenende war Thanksgiving. Sollte sie diese Zeit nicht mit ihrer Familie oder Freunden verbringen?

„Das Essen war die übliche Tragödie“, hörte er sie nun erzählen, als ob sie seine Frage beantworten würde. „Meine Schwester hat mal wieder versucht, mich zu verkuppeln. Mein Schwager hat gesagt, sie soll damit aufhören, denn – wie hat er das gleich noch mal formuliert? … Manche Frauen sind nun einmal dazu bestimmt, Single zu sein.

Scott verzog das Gesicht. Jetzt wusste er, warum Tess lieber arbeitete, als Zeit mit ihrer Familie zu verbringen. Beinahe hätte er etwas gesagt, um sie wissen zu lassen, dass er da war, doch sie sprach bereits weiter.

„Jedenfalls hat Nina mich damit genervt, dass ich mit dem Kieferorthopäden ihres Sohnes zu der Weihnachtsfeier von Dana gehen soll, aber ich habe ihr erklärt, dass ich absolut in der Lage bin, selbst eine Verabredung zu finden. Nein, keine Ahnung, mit wem. Du weißt doch, was für ein Pech ich mit diesen Dating-Websites hatte, die ich bisher ausprobiert habe. Vielleicht nehme ich einfach Glenn mit. Ja, ich weiß, du sagst mir immer, wie langweilig er ist, aber vielleicht bin ich einfach zu …“

Scott öffnete nun erneut die Tür und schloss sie wieder. Dieses Mal allerdings deutlich lauter. Urplötzlich war ihm nämlich klar geworden, dass er bestimmt viel mehr mitbekommen hatte, als Tess lieb war.

Er hörte, wie sie hastig etwas murmelte, und dann ihr Handy weglegte. Einen Augenblick später tauchte sie in der offenen Tür auf. Zuerst wirkte sie ein wenig verlegen, doch dann setzte sie ihre normale, stets gelassene Miene auf. Sie war lässiger gekleidet als an einem Arbeitstag und trug eine blau-schwarz gemusterte Tunika und schwarze Leggings, mit flachen Stiefeln kombiniert. Ihr Haar war offen und nicht zu einem ordentlichen Knoten frisiert wie sonst. Natürlich hatte er sie schon oft im Freizeitlook gesehen, aber er hatte das Gefühl, dass sie heute ganz besonders hübsch aussah. Ihre Wangen waren leicht gerötet. Das stand ihr wirklich gut.

„Scott? Was machst du denn hier? Ich habe gedacht, dass du heute mit deinem Dad und deinen Brüdern nach Missouri zum Spiel der Razorbacks fahren wolltest.“

„Das hatten wir auch vor, aber Eli musste eine Rufbereitschaft übernehmen, weil sich einer seiner Partner beim Fahrradfahren den Arm gebrochen hat, und dann hat sich auch noch Jakes Sohn einen Virus eingefangen. Deshalb ist unser Plan ins Wasser gefallen.“

„Es tut mir leid, dass es nicht geklappt hat. Du brauchst wirklich mal Abstand von der Arbeit.“

Er lächelte schief. „Willst du damit etwa sagen, dass ich in letzter Zeit schlecht gelaunt war?“

„Nein, das nicht … okay, vielleicht schon ein bisschen“, erwiderte sie und lachte leise.

Er konnte sich immer darauf verlassen, dass Tess ehrlich zu ihm war. Manchmal sogar schonungslos. Irgendwie schaffte sie es aber dennoch, dabei nie die Grenzen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer zu überschreiten, sogar, wenn sie sauer auf ihn war, was schon ein paarmal vorgekommen war.

Er räusperte sich nun. „Tut mir leid. Du musst zugeben, dass die letzten Monate eine echte Herausforderung waren.“ Sie hatten mit einigen großen und schwierigen Aufträgen fertig werden müssen. Dann hatte sie ein Einbruch auf einer der Baustellen auch noch einige teure Werkzeuge gekostet, und Anfang des Jahres war sogar hier im Büro eingebrochen worden. Was das anging …

Er runzelte die Stirn. „Warum war die Alarmanlage eigentlich aus? Du solltest hier niemals allein sein, ohne sie einzuschalten. Wie ich gerade unter Beweis gestellt habe, hätte jeder einfach so reinkommen können.“

Sie zog eine Augenbraue hoch. „Du hast also keinen Schlüssel gebraucht?“

Er war immer noch überrascht, dass sie ihn nicht gehört hatte, als er ursprünglich hereingekommen war. Das zeigte nur, wie sehr sie sich auf ihr Telefongespräch konzentriert hatte. „Ja, schon, aber …“

Lächelnd lenkte sie ein. „Die Alarmanlage war fast die ganze Zeit über an. Ich habe sie nur ausgeschaltet, weil ich schnell etwas aus dem Auto holen musste. Ich wollte sie wieder anmachen, nachdem ich zu Ende telefoniert habe.“

Er sorgte dafür, dass seine Miene so unergründlich war wie nur möglich, denn er wusste, dass es ihr peinlich sein würde, dass er so viel von ihrem Telefonat mitbekommen hatte. „Ich will ja nur, dass du hier in Sicherheit bist, wenn du allein bist. Lass das verdammte Ding in Zukunft also bitte an.“

Sie deutete einen militärischen Gruß an. „Jawohl, Sir. Wird gemacht.“

Er schüttelte den Kopf. „Insubordination. Erinnere mich doch mal daran, warum ich dich hier behalte.“

Nun lachte sie. „Weil du genau weißt, dass ohne mich hier alles zusammenbrechen würde.“

Er lachte ebenfalls, weil sie damit praktisch seine Gedanken laut aussprach.

Ihr Einfluss zeigte sich überall in der Firma, vom Empfangsbereich bis hin zur Gewinnspanne.

Was die Lobby anging … Plötzlich fielen ihm die Dekorationen auf, die vor ein paar Tagen noch nicht da gewesen waren. Ein Weihnachtsbaum mit goldenen und weißen Ornamenten und winzigen, weißen Lichtern stand in der Ecke. Um die Theke herum war eine goldene Girlande drapiert, passend zu dem Kranz an der Tür. Kerzenhalter aus mattem Glas mit dicken, weißen Kerzen standen auf dem Tisch. Alles war zurückhaltend, aber sehr geschmackvoll. Typisch Tess eben, dachte er lächelnd.

„Bist du nur wegen des Weihnachtsschmucks ins Büro gekommen?“

„Ich habe gedacht, wo ich gerade mal einen ruhigen Nachmittag habe, könnte ich mich doch um die Weihnachtsdeko kümmern, und ich bin auch schon fast fertig.“

„Sieht wirklich gut aus. Kann ich dir dabei helfen?“

„Ich habe alles im Griff, aber danke.“

Er nickte, dann steuerte er auf sein Büro zu. „Sag Bescheid, wenn du doch was brauchst. Ich schaue mir nur noch mal schnell die Unterlagen für das Projekt in Springdale an.“

„Ich habe dir ein paar Verträge hingelegt, die du noch unterschreiben musst. Das kann zwar bis Montag warten, aber wenn du gerade schon mal da bist …“

„Ich kümmere mich darum.“

Er warf einen Blick über die Schulter zurück. Tess stand da und starrte den Weihnachtsbaum an, dabei runzelte sie vor lauter Konzentration die Stirn. Sie sah heute wirklich hübsch aus. Er dachte flüchtig daran, ihr das zu sagen, doch irgendetwas hinderte ihn daran.

Mit der Kapselmaschine auf seiner Kommode machte er sich zuerst einmal eine Tasse Kaffee. „Hättest du gerne etwas zu trinken?“ Er hatte auch immer diverse Kräutertees im Regal, die Tess gern mochte. Sie tranken oft zusammen eine Tasse, während sie über das Geschäft sprachen.

„Nein, danke“, erwiderte sie, ohne hereinzukommen. Er sagte sich, dass er nicht enttäuscht darüber war, dass sie zu viel zu tun hatte, um sich gemütlich mit ihm zu unterhalten.

Er setzte sich an seinen Schreibtisch, und die nächsten zwanzig Minuten versuchte er, sich auf den Papierkram zu konzentrieren. Doch trotz seiner Bemühungen kehrten seine Gedanken unwillkürlich immer wieder zu der Unterhaltung zurück, die er zufällig mit angehört hatte – und damit auch zu Tess’ Privatleben. Natürlich hatte er nicht sechs Jahre so eng mit ihr zusammengearbeitet, ohne das eine oder andere von ihr mitzubekommen.

Auf der Abendschule und mit Onlinekursen hatte sie ihr BWL-Studium abgeschlossen. Seit sie bei ihm arbeitete, hatte sie noch weitere Kurseinheiten für ein Aufbaustudium absolviert. Während dieser Zeit hatte sie mit der Krankheit und dem Tod ihrer Eltern fertig werden müssen. Er hatte damals den Eindruck gehabt, dass ein Großteil der Pflege an ihr hängen geblieben war, weil ihre Schwester bereits mit ihren kleinen Kindern beide Hände voll zu tun gehabt hatte. Doch er hatte nie gehört, dass Tess sich beklagte. Egal, womit sie sich in ihrem Privatleben auch hatte herumschlagen müssen, bei der Arbeit war sie immer gut gelaunt, gelassen und effizient gewesen.

Man könnte denken, dass jemand, der so nett war, zu sensibel, oder zu leicht einzuschüchtern wäre. Doch das war bei Tess nicht der Fall. Er hatte erlebt, wie sie sich den streitlustigsten, missmutigsten Mitarbeitern und Kunden gegenüber behauptet hatte. Einer seiner Vorarbeiter hatte Scott einmal anvertraut, dass sie ihn an seine alte Mathelehrerin erinnerte … eine Nonne. „Meistens war sie sehr nett“, hatte der Mann klargestellt, „aber wenn man sich daneben benommen hat, hat man mit dem Lineal eins auf die Pfoten bekommen, ehe man bis drei zählen konnte.“

Scott konnte sich gut vorstellen, dass Tess einem im Notfall mit einem Lineal durchaus gefährlich werden könnte, aber er hatte sie noch niemals mit einer Nonne assoziiert.

Er räusperte sich und griff hastig nach seinem Kaffee. Dabei warf er beinahe die Tasse um. Fluchend schaffte er es gerade eben noch, die Unterlagen auf seinem Schreibtisch zu retten.

Vielleicht hatte er sich Tess nie als Nonne vorgestellt, aber er hatte auch nicht gedacht, dass sie es mit Online-Dating versucht hatte, oder dass sie überhaupt aktiv nach einem Partner suchte.

Männer online kennenzulernen ist gefährlich, dachte er missbilligend. Klar, viele Leute machten das heutzutage, aber es kam ihm einfach nicht richtig vor, wenn es um Tess ging.

Scott wusste, dass sie vor ungefähr drei Jahren eine Beziehung gehabt hatte, aus der aber letzten Endes nichts geworden war. Ungefähr zur selben Zeit war er ebenfalls kurz mit einer umwerfenden, aber sehr launenhaften Frau verlobt gewesen. Wie alle andere Frauen vor ihr hatte Sharon mehr von ihm erwartet, als er ihr hatte geben können. Als sie endlich zu dem Schluss gekommen war, dass ihm seine Firma mehr bedeutete als ihre Beziehung, war sie sofort weg gewesen. Die Trennung war nicht gerade freundschaftlich abgelaufen.

Er fragte sich, ob Tess mit ihren Verflossenen noch auf gutem Fuß stand. Das würde ihn nicht überraschen, denn anders als die unberechenbare Sharon war Tess eher der praktische, pragmatische Typ. Er hatte sie noch niemals von Romantik oder irgendwelchen unrealistischen Fantasien schwafeln hören.

Natürlich erlaubte er es sich auch nur selten, an Tess als Frau zu denken, schließlich arbeitete sie für ihn. Als sie sich damals bei ihm beworben hatte, war sie gerade erst dreiundzwanzig geworden. Er hingegen hatte nur ein paar Monate später seinen einunddreißigsten Geburtstag gefeiert. Die Firma hatte ihm damals schon über drei Jahre gehört. Vielleicht hatte er deswegen die ganze Zeit über gedacht, dass sie viel zu jung für ihn war, auch wenn der Altersunterschied zwischen ihnen eigentlich nur sieben Jahre betrug. Sie wird bald dreißig, überlegte er. Vermutlich war es nur natürlich, wenn sie jetzt an Ehe und Kinder dachte. Schließlich hatte er in letzter Zeit auch selbst viel darüber nachgedacht.

Sie kam jetzt durch die offene Tür herein. „Ich habe gedacht, ich stelle dir diese Kerze auf den Schreibtisch. Ich weiß, du willst nicht viel Firlefanz im Büro, aber das ist doch nicht zu viel, oder?“ Sie hielt eine Sturmlaterne in die Höhe, die mit einer kleinen Girlande geschmückt war.

„Die Kerze macht mir nichts aus“, versicherte er Tess.

„Wie war denn dein Thanksgiving?“, fragte sie, während sie die Girlande zurechtzupfte.

„Schön. Laut. Die Kinder waren vollkommen aufgedreht.“

Seine Brüder waren beide glücklich verheiratete Familienväter. Sein älterer Bruder Eli war Allgemeinarzt und hatte Zwillingstöchter, namens Madison und Miranda. Die beiden waren fast fünf Jahre alt und steckten voller Energie. Er war ihr „Onkel Scotty“ und er betete sie an, genau wie seinen kleinen Neffen. Der sechs Monate alte Henry war das Kind seines jüngeren Bruders Jake. Seine Brüder hatten beide das Glück gehabt, ihre große Liebe schon früh im Leben zu finden – Eli und Libby hatten sich beim Medizinstudium kennengelernt. Jake, der Anwalt, hatte Christina, eine Psychologin, vor ein paar Jahren auf einer Party getroffen.

Doch so sehr Scott das Familientreffen auch genossen hatte, war er sich die ganze Zeit über schmerzhaft der Tatsache bewusst gewesen, dass er noch genauso weit davon entfernt war, eine eigene Familie zu haben, wie vor einem Jahr. Es setzte ihm zwar niemand zu, was das Heiraten anging, aber er fragte sich insgeheim, ob seine Familie glaubte, dass er in dieser Richtung irgendwie versagt hatte. Mehr und mehr fragte er sich das auch selbst.

Ohne jede Arroganz konnte er zugeben, dass er mit seinen fast siebenunddreißig Jahren schon viel erreicht hatte. Er hatte das College mit Auszeichnung abgeschlossen, den Master gemacht, eine eigene Firma gegründet und besaß ein schönes Haus, das er eigenhändig renoviert hatte. Sein ganzes Leben lang hatte er den Spruch über die „biologische Uhr“ gehört, aber seine Bedeutung nie wirklich verstanden, bis jetzt, als er nur noch ein paar Jahre bis zum vierzigsten Geburtstag hatte und keine konkrete Hoffnung auf eine Frau und Kinder. In den letzten zwölf Monaten war er auf private Partys und geschäftliche Empfänge gegangen. Er hatte „Blind Dates“ gehabt. Er hatte viele nette Frauen getroffen, Spaß gehabt und neue Freunde gefunden … aber er war nie einer Frau begegnet, mit der er sich vorstellen konnte, sein Leben zu teilen.

Tess musterte die Dekoration, die sie gestaltet hatte. Anscheinend war sie der Meinung, dass alles passte, denn sie drehte sich zur Tür um. Auf dem Weg nach draußen fragte sie noch: „Hast du die Verträge schon unterschrieben?“

Hastig griff er nach dem Stapel. „Bin schon dabei.“

Er fragte sich, was sie wohl gesagt hätte, wenn er zugegeben hätte, dass er sich Sorgen machte, ob er bald eine feste Partnerin fand. So wie er Tess kannte, würde er dann am Montag zur Arbeit kommen und eine Warteschlange qualifizierter Bewerberinnen vorfinden. Dass sie selbst bei der Suche nach einem passenden Partner Probleme hatte, würde sie nicht eine Sekunde daran hindern, seine zu lösen.

Sein Lächeln verblasste, als ihm klar wurde, dass er da vielleicht auf etwas gestoßen war. Nein, er hatte nicht vor, Tess zu bitten, Kandidatinnen für ihn zu finden. Es war ihm viel eher der Gedanke gekommen, dass er das Ganze vielleicht ganz falsch angegangen war. Vielleicht sollte er dieses Projekt so anpacken, wie er sein Unternehmen aufgebaut hatte. Pragmatische Lösungen und analytisches Denken waren immerhin seine Stärken, Romantik hingegen überhaupt nicht. Es musste doch auch nette Frauen geben, die diesen ganzen Firlefanz nicht erwarteten. Frauen, die einfach nur einen anständigen Kerl heiraten und eine Familie gründen wollten. Eine Verbindung, die auf gemeinsamen Zielen und Werten aufbaute, am besten sogar auf Freundschaft, musste doch auch für andere Menschen interessant sein.

Er stellte sich die Frau vor, die seiner Meinung nach am besten zu ihm passen würde. Es wäre eine Person, die methodisch und effizient vorging, ganz ähnlich wie er selbst. Eine Frau, die verstehen würde, dass er niemals ein wortgewandter Romeo sein würde, dafür aber stets loyal, großzügig, engagiert und zuverlässig war.

Seine Frau musste nicht schön wie ein Model sein, sondern eher so aussehen, wie seine Ex-Verlobte. Natürlich wäre es schön, wenn er sie attraktiv finden würde. Er hatte sich schon immer von freundlichen Augen und einem warmherzigen Lächeln angezogen gefühlt, und er hatte zugegebenermaßen eine Schwäche für Grübchen …

Tess hat nette Augen, dachte er. Außerdem ein gutherziges Lächeln. Vermutlich würde man sie eher als natürlich und hübsch und nicht als umwerfend schön bezeichnen, aber es gab nichts, was er an ihrem Aussehen verändern würde. Im letzten Jahr hatte er sich mehr als einmal dabei ertappt, wie er ihre Vorzüge auf eine Art und Weise bewundert hatte, die ihn dazu gezwungen hatte, sofort an etwas anderes zu denken.

Ein gedämpfter Schlag und ein genervter Ausruf waren jetzt aus der Lobby zu hören. Neugierig ging er zur Tür. „Was machst du denn da?“

Tess lag auf dem Boden unter dem Weihnachtsbaum. „Mir ist eine Kugel runtergefallen. Oh, hier ist sie ja!“

Mit der goldenen Kugel in der Hand robbte sie darunter hervor, stand auf und betrachtete nachdenklich den Baum. Einen Augenblick später beugte sie sich vor und hängte das Ornament an einen bestimmten Zweig, dann lehnte sie sich zurück und schaute nach oben. Winzige, weiße Lichter funkelten zwischen dichten, grünen Zweigen. Ihr Licht ließ die dunkelroten Strähnchen in ihrem Haar aufleuchten.

„Wie sieht es aus?“, fragte sie.

„Gut“, murmelte er langsam, den Blick immer noch auf sie gerichtet. „Wirklich gut.“

Sie strich sich geistesabwesend ihre Hose glatt. „Meinst du, eine Kerze in einem Kerzenhalter, der wie eine Schneeflocke aussieht, wäre zu viel auf der Theke am Empfang?“

Er räusperte sich. „Tut mir leid. Wie bitte?“

Autor

Gina Wilkins
Die vielfach ausgezeichnete Bestsellerautorin Gina Wilkins (auch Gina Ferris Wilkins) hat über 50 Romances geschrieben, die in 20 Sprachen übersetzt und in 100 Ländern verkauft werden! Gina stammt aus Arkansas, wo sie Zeit ihres Leben gewohnt hat. Sie verkaufte 1987 ihr erstes Manuskript an den Verlag Harlequin und schreibt seitdem...
Mehr erfahren

Entdecken Sie weitere Bände der Serie

Ein süßes Versprechen