Der Maskenball

– oder –

 

Rückgabe möglich

Bis zu 14 Tage

Sicherheit

durch SSL-/TLS-Verschlüsselung

Maskenball in Venedig! Gianluca hat in Darcy seine Prinzessin gefunden, doch am nächsten Morgen ist er allein in seinem Palazzo. Drei Jahre lang sucht Gianluca nach ihr. Und dann führt eine Anzeige ihn zu seiner Traumfrau: "Ruhiger, ungebundener Mann gesucht …!


  • Erscheinungstag 01.08.2018
  • ISBN / Artikelnummer 9783733758936
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Eine zerbrechliche Schönheit in einem silbriggrünen Kleid. Schimmernde Haut, eine tizianrote Mähne und fesselnde grüne Augen. Eine heisere, verführerische Stimme, die im einen Moment messerscharf und im nächsten zuckersüß klang …

„Keine Namen … kein Strafexerzieren“, hatte sie gesagt.

„Ich will ihn gar nicht wissen“, hatte sie gesagt, als er ihr seinen Namen nennen wollte. „Nach dieser Nacht werde ich dich nie wieder sehen. Also was hätte es für einen Sinn?“

Das hatte noch keine Frau zu ihm, Gianluca Raffacani, gesagt, und daher war er umso schockierter gewesen. Noch keine Frau hatte in ihm nur ein Abenteuer für eine Nacht gesehen. Doch ihre Leidenschaft schien in krassem Widerspruch zu ihren Worten gestanden zu haben – bis er im Morgengrauen aufgewacht war und festgestellt hatte, dass seine geheimnisvolle Geliebte gegangen und der Adorata-Ring ebenfalls verschwunden war.

Die Erinnerung an jene verhängnisvolle Nacht in Venedig vor drei Jahren schmerzte immer noch, als Luca mit unbeweglicher Miene die geschlossene Akte mit der Aufschrift „Darcy Fielding“ auf seinem Schreibtisch betrachtete. Mit eiserner Selbstdisziplin, für die er in der internationalen Finanzwelt bekannt war, widerstand er der Versuchung, die Akte aufzuschlagen. Er hatte so lange gewartet, nun konnte er auch noch etwas länger warten. „Sind Sie sicher, dass sie es diesmal wirklich ist?“, fragte er leise.

Benito verspannte sich. Sie entsprach zwar in jeder Hinsicht der Beschreibung, doch er konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, dass sein Arbeitgeber eine leidenschaftliche Nacht mit der Frau auf dem Foto verbracht hatte …

„Ich werde erst sicher sein, wenn Sie sie wieder erkannt haben, Sir.“

Seufzend schlug Luca Raffacani die Akte auf, um das Foto auf der ersten Seite zu betrachten.

Als Luca sich verspannte und seine Miene versteinerte, wurde Benito blass. Die ungepflegte Frau, die eine schmutzige Jacke mit einem zerrissenen Ärmel, verwaschene Jeans, Gummistiefel und einen abgetragenen Regenhut trug, erinnerte vielmehr an eine Stadtstreicherin als an eine Lady. „Ich war zu voreilig …“

„Sie hat das Haar abgeschnitten“, unterbrach sein Arbeitgeber ihn schroff.

Benito schluckte mühsam. „Heißt das, sie ist es?“

„Wollte sie in diesem Aufzug auf eine Faschingsfeier gehen?“

„Signorina Fielding hat gerade Hühner gefüttert, als die Aufnahme gemacht wurde“, erklärte Benito. „Der Fotograf hat sein Bestes getan. Sie verlässt das Haus nicht oft.“

„Hühner?“ Luca zog die schwarzen Brauen zusammen, während er das Foto weiter betrachtete. „Ja, sie ist es – die hinterhältige kleine Diebin, die mich wie ein Profi bestohlen hat.“

Der Rubinring stammte aus dem Mittelalter und war ein unersetzliches Erbstück gewesen. Die Familie Raffacani war ein altes Fürstengeschlecht, und der erste principe hatte ihn seiner Frau Adorata zur Geburt seines ersten Sohnes geschenkt. Trotz des immensen Werts des Rings hatte sein Arbeitgeber jedoch nicht die Polizei verständigt. Mittlerweile überraschte ihn, Benito, allerdings gar nichts mehr …

Den Gerüchten zufolge, die im Raffacani-Imperium kursierten, hatten sich damals seltsame Dinge auf dem alljährlich stattfindenden Maskenball im Palazzo d’Oro ereignet. Und wenn es tatsächlich stimmte, dass Gianluca Raffacani verschwunden war, um die Diebin mit einer Gondelfahrt im Mondschein zu umwerben – etwas ausgesprochen Untypisches für einen gebürtigen Venezianer –, dann konnte er, Benito, nachvollziehen, warum sein Arbeitgeber nicht die Polizei eingeschaltet hatte.

Trotz der hohen Belohnung, die dieser inoffiziell ausgesetzt hatte, war der Ring seitdem nicht wieder aufgetaucht. Wahrscheinlich hatte irgendein reicher Sammler in England, der seine Herkunft lieber nicht hinterfragen wollte, ihn unter der Hand erworben. Er, Benito, war sehr enttäuscht gewesen, als die Nachforschungen des Privatdetektivs ergeben hatten, dass Darcy Fielding nicht vorbestraft war.

„Erzählen Sie mir von ihr.“ Sein Arbeitgeber klappte die Akte zu und schob sie weg.

Benito atmete tief durch. „Darcy Fielding lebt in einem großen alten Haus, das sich schon seit Generationen im Besitz ihrer Familie befindet. Ihre finanzielle Situation ist miserabel. Das Haus ist hoch belastet, und sie ist mit den Zahlungen im Verzug …“

„Wer ist der Hypothekengläubiger?“, erkundigte Luca sich leise.

Benito informierte ihn, dass die Hypothek zehn Jahre zuvor bei einer Versicherungsgesellschaft aufgenommen worden war.

„Kaufen Sie es“, wies er ihn an. „Fahren Sie fort …“

„Im Ort genießt die Lady einen guten Ruf. Bei seinen Nachforschungen hat der Privatdetektiv aber herausgefunden, dass die Haushälterin ihrer verstorbenen Patentante nicht gut auf sie zu sprechen ist.“

Luca kniff die Augen zusammen und verzog verächtlich den sinnlichen Mund. Unvermittelt schlug er die Akte wieder auf, um das Foto mit neuer Faszination zu betrachten. Ihr Haarschnitt war völlig missraten, doch der Schimmer ihrer makellosen Haut und das Strahlen ihrer Augen waren unverkennbar …

Als Luca wieder aufblickte, wusste er nicht mehr, wo Benito stehen geblieben war.

„Und falls die Lady es schafft, wird sie etwa eine Million Pfund erben“, fügte dieser hinzu.

Luca betrachtete seinen Berater, dem er bedingungslos vertraute. „Falls sie was schafft?“

„Die verstorbene Signora Leeward hatte drei Patentöchter. Und was bot sich ihr, als es darum ging, ihre weltlichen Güter aufzuteilen? Eine lebte mit einem verheirateten Mann zusammen, eine war alleinerziehende Mutter, und die dritte war ledig und erwartete ein Kind – und keine von ihnen hatte Aussicht auf einen Ehemann!“

„Ich kann Ihnen nicht ganz folgen“, sagte Luca.

„Darcy Fieldings reiche Patentante hat alles ihren drei Patentöchtern hinterlassen, unter der Bedingung, dass jede von ihnen innerhalb eines Jahres heiratet.“

„Und Darcy ist eine von den dreien, die Sie beschrieben haben. Welche?

„Die alleinerziehende Mutter.“

Luca erstarrte. „Wann wurde das Kind geboren?“

„Sieben Monate nach ihrer Reise nach Venedig. Es ist vor Kurzem zwei geworden.“

Luca blickte starr ins Leere, bemüht, seine Wut zu unterdrücken. Cristo … Sie war von einem anderen Mann schwanger gewesen, als sie mit ihm geschlafen hatte! Das ist ein weiterer Nagel zu ihrem Sarg, schwor er sich. Er würde ihr zeigen, was es bedeutete, hintergangen und gedemütigt zu werden. Genauso wie sie es ihm gezeigt hatte …

„Was die Identität des Vaters des Kindes betrifft …“, fuhr Benito trocken fort. „Die Dorfbewohner glauben anscheinend, dass es der Verlobte ist, der die Lady vor dem Altar hat stehen lassen. In ihren Augen ist er ein Mistkerl der übelsten Sorte. Aber die Haushälterin ist da ganz anderer Meinung. Sie behauptet, er wäre zurzeit der Empfängnis im Ausland gewesen und hätte sich aus dem Staub gemacht, weil das Kind nicht von ihm sein konnte.“

Schweigend nahm Luca diese Informationen auf.

„Ich glaube nicht, dass die Lady lange allein bleibt“, erklärte Benito. „Nicht wenn es um eine Million Pfund geht. Sehen Sie mal auf Seite sechs nach …“

Luca schlug die entsprechende Seite auf. „Was ist das?“, fragte er, während er die Chiffreanzeige betrachtete.

„Ich vermute, dass Darcy Fielding per Annonce einen Ehemann sucht, um die Bedingungen des Testaments zu erfüllen.“

„Per Annonce?“, wiederholte Luca ungläubig.

Frau vom Lande sucht ruhigen, häuslichen und ungebundenen Mann mit guten Umgangsformen, 25-50, für befristete Anstellung. Unterkunft wird gestellt. Ihre Zuschrift wird absolut vertraulich behandelt. Bitte nur ernst gemeinte Angebote.

„Sie sucht keinen Ehemann, sondern ein entmanntes Haustier!“, bemerkte Luca scharf.

„Ich muss wieder annoncieren“, meinte Darcy grimmig und schwenkte wütend die Schaufel. Sie war gerade damit beschäftigt, die einzige Box in dem großen Pferdestall auszumisten, die noch bewohnt war, und zwar von einem alten Tier.

Karen, die daneben stand und ihr gern ihre Hilfe angeboten hätte, es jedoch wohlweislich nicht tat, sah ihre Freundin überrascht an. „Und was ist aus dem Gärtner und dem Heimwerker geworden?“

Darcy schnitt ihrer Freundin, einer attraktiven dreißigjährigen Brünetten, ein Gesicht. „Ich habe sie gestern angerufen, um ein Vorstellungsgespräch zu vereinbaren …“

„In dem du ihnen dann mitteilen wolltest, dass es sich bei der Stelle eigentlich um eine Ehe handelt.“

„Na ja, der eine hatte schon einen Job gefunden, und der andere war umgezogen und hatte keine Nachsendeadresse hinterlassen. Ich hätte mir nicht so lange den Kopf darüber zerbrechen sollen, wen ich nehme.“

„Du hast doch nur fünf Zuschriften bekommen, und davon waren zwei obszön und eine äußerst seltsam. Was hat dich bloß geritten, ‚häuslich‘ und ‚mit guten Umgangsformen‘ zu schreiben? Trotzdem kann ich nicht gerade behaupten, dass ich über deinen Misserfolg traurig bin“, sagte Karen mit der für sie typischen Offenheit, die Darcy so an ihr schätzte.

„Karen …“, sagte Darcy und stöhnte.

„Bei der Vorstellung, dass du mit einem Fremden allein in diesem Haus bist, wird mir ganz anders“, gestand Karen. „Wie stehen denn die Chancen, dass einer der beiden sich auf deinen Vorschlag eingelassen hätte?“

Darcy straffte sich frustriert. „Wenn ich genug Geld geboten hätte, dann hätte einer von ihnen garantiert zugestimmt. Ich brauche mein Erbe, Karen. Ich würde sogar den Glöckner von Notre Dame heiraten, um die Bedingungen in Nancys Testament zu erfüllen! Dieses Haus befindet sich seit vierhundert Jahren im Besitz meiner Familie …“

„Aber es bricht über dir zusammen und frisst dich auf, Darcy. Dein Vater hatte kein Recht, dir eine solche Last aufzubürden. Wenn er Fielding’s Folly nicht hätte verfallen lassen, würdest du jetzt lange nicht so schlecht dastehen!“

Darcy hob das Kinn, und ihre grünen Augen funkelten entschlossen. „Karen, solange ich noch arbeiten kann, wird Fielding’s Folly weiter bestehen, damit ich es einmal Zia vererben kann.“

Sie hörte einen Moment mit der anstrengenden Arbeit auf, um ihre zweijährige Tochter zu betrachten, die in einer sonnenbeschienenen Ecke saß und eine ihrer Puppen kämmte.

Zum Glück hatte Zia weder ihr karottenfarbenes Haar noch ihre Kurzsichtigkeit, noch ihre Nase geerbt. Sie hatte glänzende schwarze Locken und zarte, ebenmäßige Züge und war ein auffallend hübsches kleines Mädchen. Kurzum, sie versprach einmal all das zu werden, was ihre Mutter sich immer verzweifelt und vergeblich gewünscht hatte …

Zia würde auf Partys nicht das Mauerblümchen sein, weil sie zu geradeheraus und unscheinbar war. Und sie würde auch niemals in Selbstmitleid schwelgen, weil sie mit einem Fremden geschlafen hatte, nur um sich zu beweisen, dass sie einen Mann anziehen konnte.

Eines Tages würde Zia nach ihrem Vater fragen. Und was musste sie, Darcy, ihr dann sagen? Oh, ich habe keine Ahnung, wie er heißt, weil ich seinen Namen nicht wissen wollte. Ich weiß nicht einmal, ob ich ihn wieder erkennen würde, denn ich habe damals noch keine Kontaktlinsen getragen, und meine Brille hatte ich nicht auf. Aber er hatte dunkle Augen, noch dunkleres Haar und eine wunderschöne Stimme …

„Was ist los?“

Sie errötete unter Karens fragendem Blick und betrachtete angelegentlich ihre Stiefel. „Mir ist nicht gut“, erwiderte sie wahrheitsgemäß, denn sie schämte sich, dass sie auf den ersten Playboy, dem sie je begegnet war, hereingefallen war.

Widerstrebend nahm Karen einen Brief aus der Tasche ihrer Jeans und reichte ihn ihr. „Hier, ein Nachzügler, schätze ich. Er ist heute Morgen gekommen und in London abgestempelt.“

Da sie sich bereit erklärt, die Anzeige unter ihrem Namen aufzugeben, hatte man die Zuschriften an sie weitergeleitet. Sie wohnte in dem Pförtnerhäuschen, das sie ihr vor Kurzem abgekauft hatte. Falls man ihr, Darcy, auf die Schliche kam, würde sie ihren Anspruch auf das Erbe verwirken, weil sie die Bedingungen des Testaments zu umgehen versuchte.

Doch sie hatte ihrem Vater versprochen, Fielding’s Folly unter allen Umständen zu halten. Wie konnte sie also zulassen, dass ihr vierhundert Jahre Familiengeschichte durch die Finger rannen?

Und, was noch wichtiger war, erst wenn sie heiratete, würde sie in der Lage sein, die Angestellten, die nach dem Tod ihres Vaters gezwungen gewesen waren, sich einen neuen Job zu suchen, wieder zu beschäftigen. Dass diese loyalen, pflichtbewussten Menschen noch immer unter dem mangelnden Geschäftssinn ihres Vaters litten, lastete noch schwerer auf ihrem Gewissen.

Darcy riss den Umschlag auf, nahm den Brief heraus und überflog ihn. „Er ist kein gebürtiger Brite … und er hat Erfahrung als Finanzberater …“

„Wahrscheinlich war er mal Bankangestellter“, warf Karen zynisch ein. Finanziell ging es ihr gut, doch nach ihrer Scheidung hatte sie nicht mehr allzu viel Vertrauen in das männliche Geschlecht.

„Er bietet Referenzen.“ Ihr optimistischer Gesichtsausdruck bewies, wie verzweifelt Darcy war. „Und er ist erst einunddreißig …“

„Woher kommt er?“

Darcy warf einen Blick auf die unleserliche Unterschrift. „Das sagt er nicht. Er schreibt lediglich, dass er ledig ist und gesund und eine befristete Stelle mit Unterkunft genau das ist, was er zurzeit sucht …“

„Er ist also arbeitslos und pleite.“

„Wenn es nicht so wäre, würde er sich wohl kaum bewerben. Ich finde, es klingt vernünftig. Und da er nicht weiß, um was für einen Job es sich handelt, hat er sich eben auf die wichtigsten Informationen beschränkt.“

Als Darcy fünf Tage später in dem kleinen Wohnzimmer in Karens Häuschen auf und ab ging, schob sie ihre dicke Brille hoch, strich über ihren Faltenrock und zupfte am Rollkragen ihres Pullovers.

In fünf Minuten würde er kommen. Da er keine Telefonnummer angegeben hatte und sie ihre Adresse vorerst geheim halten wollte, hatte sie ihm schriftlich einen Vorstellungstermin mitgeteilt, und er hatte diesen in einem weiteren Brief bestätigt. Diesem hatte sie entnommen, dass sein Vorname offenbar Lucas war, doch seinen Nachnamen hatte sie wieder nicht entziffern können.

Von draußen war das Geräusch eines Motorrads zu hören, und eine Minute später wurde die Tür aufgerissen, und Karen steckte aufgeregt den Kopf herein. „Gerade ist eine Riesenmaschine vorgefahren … und dieser Prachtkerl hat seinen Helm abgenommen! Es muss Lucas sein. Er ist fantastisch …“

„Er ist mit dem Motorrad hier?“ Darcy sah sie erstaunt an.

„Du bist manchmal so spießig“, meinte Karen vorwurfsvoll. „Ich wette, dass du nicht den Mut hast, diesen Kerl zu fragen, ob er dich heiratet.“

Darcy war sich bereits schmerzlich bewusst, dass sie keine andere Wahl hatte. Sie hoffte inständig, das Lucas, wer oder was auch immer er sein mochte, zustimmen würde, denn sie stand bereits mit dem Rücken zur Wand. Am Vortag hatte sie einen Brief von der Versicherungsgesellschaft bekommen, die ihr damit drohte, ihr Forderungsrecht geltend zu machen.

Darcy zuckte zusammen, als es klingelte, und Karen stürzte förmlich zur Tür. Darcy stellte sich an den Kamin und setzte eine unbeteiligte Miene auf. Er war also attraktiv. Attraktive Männer waren selbstherrlich. Sie schnitt ein Gesicht.

„Signorina Darcy?“, hörte sie eine Männerstimme mit Akzent überrascht fragen.

„Nein … Sie … sie ist da drinnen … und erwartet Sie“, erwiderte Karen stockend und kicherte. Dann wurde die Tür geöffnet.

Darcy war erstarrt, und ihr Herz klopfte schneller, denn die Stimme war ihr so bekannt vorgekommen. Dann wurde ihr jedoch klar, warum, und sie erschauerte. Er war Italiener! Es war der melodische Akzent, den sie wieder erkannt hatte, nicht die Stimme.

Ein sehr großer, dunkelhaariger Mann, der Motorradkluft und eine Sonnenbrille trug, betrat den Raum, und sie betrachtete ihn wie gebannt. Er hatte sehr breite Schultern, schmale Hüften und muskulöse Oberschenkel, und die enge Lederkluft überließ nur wenig der Fantasie. Und trotzdem hatte er mehr mit Zias Vater gemeinsam als nur den Akzent, denn dieser war auch sehr groß und gut gebaut gewesen.

„Bitte entschuldigen Sie, dass ich meine Sonnenbrille aufbehalte, aber meine Augen sind überanstrengt, und das Licht tut mir weh“, informierte er sie mit wohlklingender Stimme und unerwartet leise.

„Möchten Sie sich nicht setzen?“ Fast unbeholfen zwang Darcy sich, Platz zu nehmen.

Sie stand unter Schock, denn einen Macho, der mit dem Motorrad vorfuhr und eine enge Lederkluft trug, hatte sie nicht gerechnet. Mit dem Dreitagebart wirkte er ungefähr so häuslich und wohlerzogen wie ein Säbelzahntiger.

„Verzeihen Sie, wenn ich das sage, aber Sie sehen mich so merkwürdig an“, bemerkte er lässig, während er sich auf das kleine Sofa ihr gegenüber setzte. „Erinnere ich Sie an jemanden, Signorina?“

Darcy verspannte sich noch mehr. „Überhaupt nicht. Leider konnte ich Ihre Unterschrift nicht entziffern. Wie heißen Sie?“

„Belassen wir es vorerst bei ‚Luca‘. Dem Text Ihrer Anzeige nach zu urteilen, handelt es sich anscheinend um einen ungewöhnlichen Job“, sagte er leise. „Ich würde gern Genaueres darüber wissen.“

Sie fühlte sich wie eine Katze, die gegen den Strich gestreichelt wurde. Eigentlich hätte sie ihn befragen sollen und nicht umgekehrt!

„Schließlich haben Sie mir Ihren richtigen Namen auch nicht gesagt“, fügte er hinzu.

Verblüfft sah Darcy ihn an. „Wie bitte?“

„Ich habe Sie überprüft. Ihr Nachname ist ‚Fielding‘, nicht ‚Darcy‘, und Sie wohnen nicht in diesem Cottage, sondern in dem Herrenhaus“, zählte er kühl auf. „Sie haben einige Mühe auf sich genommen, um Ihre wahre Identität zu verbergen, und das beunruhigt mich natürlich.“

Sie sprang auf und betrachtete ihn wütend und verwirrt zugleich. „Sie haben mich überprüft?“

Er zog lässig die Augenbrauen hoch und nahm langsam die Sonnenbrille ab. „Hier ist es dunkel genug …“

Darcy ertappte sich dabei, wie sie wie gebannt seinen Blick erwiderte. Er hat tolle Augen, dachte sie hilflos, dunkel wie die Nacht und unergründlich. Ohne Sonnenbrille sah er geradezu überwältigend aus. Dieser Mann war es gewohnt, von den Frauen angestarrt und angelächelt zu werden.

Unwillkürlich wich sie einen Schritt zurück und stieß dabei gegen den Sessel, auf dem sie gesessen hatte. Errötend ging sie um den Sessel herum, verzweifelt bemüht, so viel Abstand wie möglich zwischen Luca und sich zu bringen.

Dieser betrachtete sie aus zusammengekniffenen Augen. „Signorina Fielding …“

„Sie hatten kein Recht, mich zu überprüfen …“ Abwehrend verschränkte sie die Arme vor der Brust. „Ich habe Ihnen Diskretion zugesagt. Hätte ich dasselbe nicht auch von Ihnen erwarten können?“

„In der Geschäftswelt ist es üblich, vor einem Vorstellungsgespräch Erkundigungen einzuziehen.“

Frustriert riss sie sich von seinem Anblick los. Vielleicht war es gut, dass er sie daran erinnert hatte, denn schließlich wollte sie ihm ein Geschäft vorschlagen. Er hielt sich wohl für clever, doch sie wusste bereits, dass er strohdumm sein musste. Nur ein Vollidiot wäre in einem Aufzug wie ein Mitglied der Hell’s Angels zu einem Vorstellungsgespräch mit einer Frau erschienen. Finanzberater? Von wegen! In der Branche war ein konservatives Erscheinungsbild üblich.

Darcy schalt sich im Stillen dafür, dass sie sich von seinem Äußeren hatte beeindrucken lassen. Sie nahm wieder Platz und faltete krampfhaft die Hände im Schoß. „Dann lassen Sie uns zur Sache kommen …“

Luca lehnte sich lässig auf dem Sofa zurück, streckte die langen Beine aus und betrachtete sie ruhig.

Herausfordernd hob sie das Kinn. „Ich hatte meine Gründe dafür, eine so ungewöhnliche Anzeige aufzugeben. Aber bevor ich sie Ihnen erkläre, sollte ich Ihnen einige Fakten nennen. Sollten Sie die Stelle annehmen, würde ich Sie gut bezahlen, obwohl Sie nicht zu arbeiten brauchen …“

„Ich brauche nicht zu arbeiten?“

„Richtig“, bestätigte sie. „Sie würden in meinem Haus wohnen, könnten tun und lassen, was Sie wollen, und wenn unser Arbeitsverhältnis beendet ist und Sie alle Bedingungen zu meiner Zufriedenheit erfüllt haben, erhalten Sie zusätzlich einen großzügigen Bonus.“

„Und wo ist der Haken?“, erkundigte er sich leise. „Muss ich etwas Illegales tun?“

Darcy errötete wieder. „Natürlich nicht. Der ‚Haken‘, wenn Sie es so nennen wollen, ist, dass Sie mich für sechs Monate heiraten müssten.“

„Heiraten?“, wiederholte er ungläubig und beugte sich vor. „Der Job, den Sie zu vergeben haben, ist eine Ehe mit Ihnen?“

„Genau. Ich brauche einen Mann, der die Trauzeremonie mit mir durchzieht und sich mindestens sechs Monate lang wie ein Ehemann verhält“, erklärte sie steif.

„Warum?“

„Das geht nur mich etwas an. Ich glaube nicht, dass Sie es wissen müssen, um eine Entscheidung zu treffen“, erwiderte sie unbehaglich.

Luca senkte die Lider. „Ich verstehe nicht ganz … Könnten Sie es mir noch einmal erklären, Signorina?“

Er ist nicht gerade schnell von Begriff, dachte sie zerknirscht. Da sie das Schlimmste hinter sich hatte, fühlte sie sich jedoch schon besser und war auch nicht mehr verlegen. Wenn er tatsächlich ledig war, wie er behauptete, konnte er viel Geld verdienen, ohne etwas dafür tun zu müssen. Also wiederholte sie ihre Worte und nannte ihm anschließend das Gehalt, das sie zu zahlen bereit war, und den Bonus, den er bekommen würde, wenn er nach ihrer Trennung Diskretion übte.

Luca nickte, dann wieder, wobei er den Blick noch immer stirnrunzelnd gesenkt hielt. Vielleicht tut ihm das Licht in den Augen weh, überlegte Darcy. Vielleicht ist er auch platt angesichts der Vorstellung, fürs Nichtstun so viel Geld zu bekommen. Vielleicht war er aber auch so entsetzt über ihren Vorschlag, dass er noch nicht wusste, wie er darauf reagieren sollte.

„Ich bräuchte natürlich Referenzen“, fuhr sie fort.

„Ich habe keine Referenzen als Ehemann …“

Sie atmete tief durch. „Ich meine natürlich, was Ihren Charakter betrifft.“

„Warum haben Sie nicht eine Kontaktanzeige aufgegeben?“

„Weil ich dann Zuschriften von Männern bekommen hätte, die an einer richtigen, dauerhaften Ehe interessiert sind“, sagte sie und seufzte. „Deshalb hielt ich es für klüger, es als Stellenangebot abzufassen …“

„Ruhig … häuslich … mit guten Umgangsformen.“

„Ich möchte keinen Mann, der mir im Weg ist und den ich von vorn bis hinten bedienen muss. Würden Sie sich als selbstständig bezeichnen?“

„Sí …“

„Na dann … Was denken Sie?“, fragte sie impulsiv.

„Ich weiß nicht, was ich davon halten soll“, erwiderte er sanft. „Mich hat noch nie eine Frau gebeten, sie zu heiraten.“

„Ich rede ja nicht von einer richtigen Ehe. Nach sechs Monaten werden wir uns scheiden lassen. Übrigens müssten Sie außerdem einen Ehevertrag unterschreiben“, fügte sie hinzu, denn sie musste sich gegen jegliche Ansprüche absichern.

Luca stand auf. „Ich glaube, ich brauche einen größeren finanziellen Anreiz, um auf meine Freiheit zu verzichten …“

„Das ist kein Problem“, unterbrach sie ihn. Wenn er bereit war, über ihren Vorschlag nachzudenken, würde sie ihm entgegenkommen. „Ich bin bereit zu verhandeln. Wenn Sie zustimmen, werde ich den Bonus verdoppeln.“

Da er nicht darauf reagierte, errötete sie wieder.

Er betrachtete sie mit einem unergründlichen Ausdruck in den Augen. „Ich werde es mir überlegen. Ich melde mich bei Ihnen.“

„Was ist mit den Referenzen?“

„Die bekommen Sie, wenn ich mich entschieden habe, die … die Stelle anzunehmen.“ Bei seinen letzten Worten leuchteten seine Augen auf. Amüsierte er sich etwa darüber, dass sie so verzweifelt eine Einigung mit ihm erzielen wollte?

„Ich sage Ihnen morgen Bescheid.“ Er ging zur Tür, zögerte dort jedoch und warf ihr einen fragenden Blick über die Schulter zu. „Es überrascht mich, dass Sie keinen Freund dazu überreden konnten. Schließlich ist es ja nur von kurzer Dauer.“

Darcy verspannte sich. „Unter diesen Umständen ist mir ein Fremder lieber.“

„Ein Fremder … Das verstehe ich“, meinte er sanft.

2. KAPITEL

„Und, was für einen Eindruck hast du von Lucas?“, fragte Karen wenige Minuten später.

„Er heißt nicht Lucas, sondern Luca … Mein Eindruck?“ Geistesabwesend betrachtete Darcy ihre Freundin. „Es ist komisch, aber im einen Moment dachte ich, er hätte nur Muskeln und keinen Grips, und im nächsten hat er mich eines Besseren belehrt.“

„Hat er dir nicht vorgeworfen, du hättest ihn unter Vorspiegelung falscher Tatsachen hierher gelockt? Hat er sich nicht vor Lachen ausgeschüttet oder dich gefragt, ob du ihn auf den Arm nimmst?“ Jetzt war Karen diejenige, die verwirrt dreinblickte.

Nachdenklich schüttelte Darcy den Kopf. „Trotz seines Aufzugs hat er sich sehr geschäftsmäßig verhalten. Das hat es mir wesentlich leichter gemacht.“

„Nur du schaffst es, ein Vorstellungsgespräch mit einem so tollen Kerl zu führen und ganz sachlich zu bleiben.“

„Männer wie er lassen mich kalt.“ Darcy spürte jedoch, wie sie errötete, als sie sich an ihre Reaktion auf seinen Anblick erinnerte.

Karens Augen funkelten. „Offenbar hat er dich doch nicht kalt gelassen, stimmt’s?“

„Karen …“

„Vergiss es. Ich sehe es dir an, wenn du lügst.“

Autor

Lynne Graham
<p>Lynne Graham ist eine populäre Autorin aus Nord-Irland. Seit 1987 hat sie über 60 Romances geschrieben, die auf vielen Bestseller-Listen stehen. Bereits im Alter von 15 Jahren schrieb sie ihren ersten Liebesroman, leider wurde er abgelehnt. Nachdem sie wegen ihres Babys zu Hause blieb, begann sie erneut mit dem Schreiben....
Mehr erfahren

Entdecken Sie weitere Bände der Serie

Millionaires Wanted