Dir verfallen mit einem Blick

– oder –

 

Rückgabe möglich

Bis zu 14 Tage

Sicherheit

durch SSL-/TLS-Verschlüsselung

Lange hat Andrew Sterling einen finsteren Plan verfolgt: Er wollte die Firma seines Bruders Johnathon zerstören, der ihn betrogen hat. Doch nun ist Johnathon tot. Um das Unterfangen zu stoppen, kehrt Andrew in seine Heimatstadt San Diego zurück. Wo er unerwartet eine wunderschöne Frau kennenlernt: Miranda, Innenarchitektin bei Sterling Enterprises. Mit einem Blick verfällt er ihr, auch wenn er verzweifelt versucht, gegen seine Gefühle für sie anzukämpfen – denn Miranda ist die Witwe seines Bruders!


  • Erscheinungstag 25.05.2021
  • Bandnummer 2187
  • ISBN / Artikelnummer 9783751503686
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Andrew Sterling hatte schon fast vergessen, wie schön es in San Diego im November sein konnte. Als er die Stufen seiner Cessna hinunterstieg, fuhr ihm ein sanfter Wind durchs Haar, und die kalifornische Sonne wärmte sein Gesicht. Wenn er hätte raten sollen, hätte er gesagt, dass es beinahe zweiundzwanzig Grad waren. Das Wetter war das exakte Gegenteil von dem in seiner Wahlheimat Seattle, wo Kälte und Regen zur Zeit vor Thanksgiving gehörten. Sie krochen einem in die Glieder und suchten sich einen festen Platz in jedermanns Stimmung. Erst weit nach Weihnachten wurde das Wetter wieder freundlicher. San Diego war um diese Jahreszeit eindeutig der viel bessere Ort. Allerdings hielt diese Stadt traurige Erinnerungen für Andrew bereit – geplatzte Träume, zerstörte Freundschaften, eine unglückliche Liebe und dann auch noch ein verlorener Bruder, für immer entzweit. Er würde nicht lange bleiben, egal wie gut das Wetter war.

Für immer entzweit. Das war der Teil, der Andrew am meisten zu schaffen machte. Sein Verhältnis zu seinem Bruder ließ sich nicht mehr in Ordnung bringen. Johnathon war tot, sein Leben war vor gerade einmal drei Monaten zu Ende gegangen, im viel zu jungen Alter von einundvierzig Jahren. Es war ein Unfall gewesen – ein gerader, kraftvoller Schlag auf dem Golfplatz, ein Ball, den er direkt an die Schläfe bekommen hatte. Es war keine Zeit geblieben, sich zu verabschieden, nicht, dass das ein einfaches Gespräch gewesen wäre. Es hätte noch unzählige Dinge zu sagen gegeben und noch mehr, wofür er sich entschuldigen musste. Aber das hätte nur passieren können, wenn sie darüber hinweggekommen wären, dass Johnathon und Andrew seit über einem Jahr nicht mehr miteinander geredet hatten. Schlimmer noch, Andrew steckte hinter einem Plan, um Johnathons Firma, Sterling Enterprises, in die Knie zu zwingen.

Er hatte gute Gründe dafür gehabt, dieses geheime Unterfangen anzustoßen, aber nun war es unwichtig geworden. Johnathon war tot, und Andrew musste alles daransetzen, die Ereignisse aufzuhalten, die immer bedrohlicher zu werden schienen. Die selbst gebaute Bombe musste dringend entschärft werden. Leider gab es jemand anderen, der die Lunte trotz allem zünden wollte – Andrews ehemaliger Verbündeter in dieser Intrige, ein Mann, der nur als Victor bekannt war. Victor hatte bei einem viele Millionen Dollar schweren Geschäft mit Johnathon den Kürzeren gezogen, und er war kein Typ, der gern Dinge unter den Tisch fallen ließ. Schuldgefühle und Reue hatten Andrew überzeugt, aber Victor hatte weder Verpflichtungen der Familie gegenüber noch ein Gewissen, das ihn zurückgehalten hätte. Victor war gnadenlos. Wenn er sich nicht an Johnathon rächen konnte, würde er stattdessen sein Andenken zerstören. Deshalb war Andrew auf unbestimmte Zeit in die Stadt zurückgekehrt, die er eigentlich nicht mehr ertragen konnte.

Die Fahrt zum altehrwürdigen US Grant Hotel im Zentrum von San Diego dauerte nur eine halbe Stunde. Doch Andrew ließ sich nicht bis vor den Haupteingang chauffieren. Stattdessen fuhr der Fahrer mit ihm ins Parkhaus, und Andrew benutzte den Privateingang, der sonst für Würdenträger und Staatsoberhäupter vorgesehen war. Andrew war weder das eine noch das andere, aber er hatte Leibwächter und das Geld, um sich eine solche Vorzugsbehandlung leisten zu können. Er und Pietro, einer seiner Bodyguards, fuhren im Fahrstuhl hinauf in die Präsidentensuite. Pietro machte einen schnellen Kontrollgang durch den Wohnbereich und ging dann hinauf in die zweite Etage der Suite, um sich im Schlafzimmer und im Bad umzusehen.

„Alles okay“, sagte Pietro. „Soll ich Ms. Sterling ausfindig machen?“

„Ja, aber unauffällig. Sie weiß noch nicht, was los ist.“ Andrew musste schlucken, wenn er an Miranda, die Witwe seines Bruders, dachte. Sie war der ausschlaggebende Grund dafür, dass Andrew den Ruin von Sterling Enterprises aufzuhalten versuchte. Sie wusste nur nichts davon.

Seitdem sie sich ausgesprochen hatten, hatte Miranda nichts dagegen, Zeit mit ihm zu verbringen. Sie erzählte ihm von ihrem Leben mit Johnathon und vor allem von dem Baby, das unterwegs war – dem Kind, von dem sein Bruder auf dem Sterbebett erfahren hatte. Andrew wusste, dass Miranda seinen Bruder in einem zu guten Licht erscheinen ließ. Johnathon hatte immer in seiner eigenen Welt gelebt, die Dinge so verdreht, bis er in seinen Augen für nichts mehr verantwortlich gewesen war. Aber Andrew hörte aufmerksam zu, wenn Miranda über ihre Zukunft nachdachte, eine, in der ihr Kind niemals seinen Vater kennenlernen würde. Diesen Teil ihres Gesprächs bekam Andrew nicht mehr aus dem Kopf. Als es Zeit war zu gehen, umarmte sie ihn, küsste ihn auf die Wange und sagte, dass er zur Familie gehörte. Sie hatte ihre Hand auf ihren Babybauch gelegt und ihm gesagt, dass sie hoffte, dass ihr Baby Teil seines Lebens werden würde. Selbst jetzt, zwei Monate später, verfolgte ihn das Erlebnis immer noch. Er hatte immer gewusst, dass Familie wichtig war, aber so deutlich hatte er es bisher nie gespürt.

Damit war für ihn alles entschieden. Er kehrte sofort nach Seattle zurück und sagte Victor, dass es mit dem Komplott gegen Sterling Enterprises vorbei war. Johnathon war tot, und es gab keinen Grund mehr für ihn, Rache zu üben. Er hatte vorgehabt, Sterling Enterprises daran zu hindern, sich an der Ausschreibung für ein Projekt in San Diego zu beteiligen, die Sanierung der Seaport Promenade, eines großen öffentlichen Platzes an der Bucht. Andrew hatte sich dieses Projekt aus sehr persönlichen Gründen für seine Rache ausgesucht, denn er war sicher, dass Johnathon es sich aus den gleichen Gründen ausgesucht hatte. Es ging um den Schauplatz eines besonders schmerzhaften Kapitels in der lang andauernden Rivalität zwischen den beiden Brüdern – um den Tag, an dem Andrew vor dem Altar stehen gelassen worden war oder vielmehr im Hochzeitspavillon auf der Seaport Promenade.

„Kontaktieren Sie mich bitte sofort, falls Ihnen irgendetwas ungewöhnlich erscheint“, sagte Andrew zu Pietro und zwang sich damit auch, die unangenehmen Erinnerungen abzuschütteln, die drohten, von ihm Besitz zu ergreifen.

„Natürlich, Sir.“

„Ich möchte, dass Sie mit Ihrem Team weiter Victors Haus hier in San Diego überwachen und dazu seine Stammlokale und die Flughäfen. Lassen Sie es mich bitte wissen, falls er auftaucht.“

„Sie erfahren als Erster davon, Mr. Sterling.“

Andrew brachte Pietro zur Tür, schloss sie hinter ihm und legte den Riegel vor. Dann holte er sein Handy aus der Tasche, um Sandy anzurufen. Sie hatte für seinen Plan eine Schlüsselrolle gespielt. Er hatte sie als Maulwurf bei Sterling Enterprises eingeschleust, damit sie dafür sorgte, dass das Seaport-Projekt nicht an Sterling ging. Sandy hatte bereitwillig aufgehört, nachdem Andrew sie darum gebeten hatte, aber dann hatte Victor ihr eine Menge Geld geboten, und sie hatte sich sofort wieder an die Arbeit gemacht. Andrew hatte Sandy eigentlich nicht als Menschen eingeschätzt, dem es nur ums Geld ging, aber offensichtlich hatte er sich geirrt.

Leider erreichte Andrew nur ihre Mailbox. „Sandy, hier ist Andrew. Schon wieder. Das wird langsam langweilig. Dieser Quatsch muss endlich aufhören. Wir können verhandeln. Aber das geht nur, wenn einer von Ihnen mich zurückruft.“ Es gefiel ihm überhaupt nicht, ihr ein Ultimatum zu stellen, aber er wollte sich dieses Spiel auch nicht komplett aus der Hand nehmen lassen. Er sank auf die Couch und fuhr sich mit einer Hand durchs Haar. Es würde schon klappen. Es musste einfach. Pietro und sein Team ließen Miranda nicht aus den Augen. Sie war in Sicherheit, und er konnte das Problem lösen. Dann konnte er versuchen, eine Beziehung zu ihr und ihrem Baby aufzubauen. Vielleicht half ihm das dabei, über den Tod von Johnathon hinwegzukommen, dem Bruder, den er gleichzeitig geliebt und gehasst hatte. Im Augenblick hatte er das Gefühl, dass die Vergangenheit ihn einholte und mit rasender Geschwindigkeit dabei war, ihn von innen heraus aufzufressen. Das wollte er nicht einfach so geschehen lassen.

Nach einem langen Arbeitstag in ihrem Innenarchitekturbüro war Miranda Sterling fast zu Hause angekommen. Sie bog mit ihrem Range Rover in die Straße zu ihrem Viertel in La Jolla ein und konnte an nichts anderes mehr denken als an eine große Schüssel Hummerravioli, die ihr Koch für sie gemacht hatte. Anschließend würde sie ein entspannendes Schaumbad in ihrer riesengroßen Badewanne nehmen. So eine Schwangerschaft hatte auch Vorteile.

Sie fuhr gerade in die Einfahrt zu ihrem Haus, als ihr Handy vibrierte. Auf dem Display sah sie, dass Tara Sterling sie anrief. Tara war ihre Freundin und Geschäftspartnerin, aber sie war auch die erste Ehefrau von Johnathon gewesen, Mirandas vor Kurzem verstorbenem Ehemann. Tara und Miranda hielten zusammen mit Astrid, Johnathons zweiter Ehefrau, die Aktienmehrheit von Sterling Enterprises. Johnathon hatte seinen drei Frauen die Aktien seiner Firma vererbt, offensichtlich als Beweis dafür, wie sehr er sie alle geliebt hatte. „Tara, hey. Ich bin gerade nach Hause gekommen. Ist es wichtig, oder können wir später reden? Ich bin am Verhungern und will unbedingt meine Schuhe ausziehen.“ Miranda fuhr in ihre Garage und machte den Motor aus.

„Ich bin mit Astrid auf dem Weg zu dir. Wir müssen über Andrew reden.“

Miranda hasste es, ständig in das Drama bei Sterling Enterprises hineingezogen zu werden. Ja, Johnathon und er waren wohl ihr Leben lang Rivalen gewesen, aber ihr kam Andrew nicht einmal annähernd so böse vor, wie alle sagten. „Warum? Wir haben doch darüber geredet. Ich habe ernsthafte Zweifel an eurer Theorie. Glaubst du wirklich, dass er dafür verantwortlich ist, dass bei der Bewerbung für das Seaport-Projekt so viele Fehler gemacht wurden?“

„Ja, das glaube ich. Astrid und ich sind gleich bei dir. Wir reden weiter, wenn wir da sind.“

Miranda fand es nicht gut, wie Tara und Astrid sich quasi ohne Vorwarnung bei ihr einluden. Allerdings hatte sie auch gerne Besuch. Tara und Astrid waren echte Freundinnen geworden, auch wenn es eine ungewöhnliche Verbindung war. „Hoffentlich mögt ihr Hummerravioli.“

„Machst du Witze? Na, aber hallo!“

Miranda machte sich auf den Weg ins Haus. Sie würde sich nie daran gewöhnen, wie groß und leer es sich anfühlte, seitdem Johnathon nicht mehr bei ihr war. Siebenhundertfünfzig Quadratmeter waren schon für zwei Personen lächerlich viel und für einen Menschen erst recht. Aber sie konnte sich einfach nicht von dem Haus trennen. Es hatte nicht nur eine atemberaubende Aussicht auf den Pazifik, Miranda hatte auch sorgfältig jeden Zentimeter selbst gestaltet. Das Haus tröstete Miranda.

Miranda stellte drei Portionen Ravioli in den Ofen. Zum Glück hatte sie um Extraportionen gebeten. Tara und Astrid waren wenige Minuten später da.

„Kommt rein.“ Miranda trat zur Seite und ließ die beiden Frauen in die Eingangshalle. Tara mit ihrem hellblonden Bob übernahm mit entschlossenen Schritten die Führung, gefolgt von der grazilen Astrid, einer natürlichen Schönheit, die früher als Model gearbeitet hatte. Als Miranda die Tür schloss, fiel ihr auf, dass sie die Kleinste war, vor allem ohne ihre High Heels. Miranda war mit ihren einhundertsiebzig Zentimetern nicht gerade klein, aber die anderen Ehefrauen überragten sie dennoch.

Astrid beugte sich vor und umarmte Miranda herzlich. „Wie geht es dir? Ist alles in Ordnung?“ Astrid freute sich sehr über das Baby, das Miranda bekommen würde, obwohl sie selbst jahrelang darunter gelitten hatte, dass ihre Ehe mit Johnathon kinderlos geblieben war. Inzwischen war sie mit Mirandas Bruder Clay verlobt. Miranda fragte sich, ob sie es mit einer künstlichen Befruchtung versuchen würden oder ob Astrid sich vielleicht ganz darauf konzentrieren wollte, eine Mutter für Clays Tochter Delia zu werden.

„Ich habe die ganze Zeit Hunger.“ Miranda winkte den beiden, dass sie ihr durchs Wohnzimmer in ihre Küche folgen sollten, wo schon der himmlische Duft von Ravioli in der Luft lag. „Zum Glück ist das Essen in einer Viertelstunde fertig. Kann ich euch beiden ein Glas Chablis anbieten?“ Miranda holte eine Weinflasche aus dem Getränkekühlschrank in der Kochinsel.

„Sehr gerne.“ Astrid setzte sich auf einen der Barhocker.

„Für mich auch. Aber wenn es geht, würde ich gerne sofort über Andrew reden.“ Tara setzte sich neben Astrid.

Miranda löste mit einem Messer die Folie vom Hals der Weinflasche. „Okay. Schieß los.“

„Er ist wieder in der Stadt. Eine Freundin von mir hat ihn im Grant Hotel gesehen. Ich glaube, wir sollten nicht einfach dasitzen und abwarten, was er als Nächstes vorhat“, sagte Tara mit Nachdruck. „Wir müssen in die Offensive gehen.“

Miranda schenkte zwei Gläser Wein ein und kämpfte dabei gegen die Frustration an, die sie empfand. Sie hatte ein bisschen Zeit mit Andrew verbracht, als er ein paar Wochen nach Johnathons Tod nach San Diego gekommen war. Er war sicher nicht perfekt, aber sie konnte sich trotzdem nicht vorstellen, dass er so ein Bösewicht war, wie alle zu glauben schienen. „Mir ist immer noch nicht klar, was mich das angeht. Ich arbeite doch nicht einmal bei Sterling.“

„Deswegen wärst du ja genau die Richtige dafür. Dich verdächtigt er nicht“, sagte Tara.

„Außerdem verstehst du dich mit ihm am besten. Wir kennen ihn ja gar nicht so gut“, fügte Astrid hinzu.

Miranda fand nicht, dass sie Andrew besonders gut kannte, aber das ging allen Ehefrauen so. Während Johnathons drei Ehen hatte Andrew eigentlich keine Rolle in Johnathons Leben gespielt. Miranda kannte ihn erst seit Kurzem, und sie hielt sich eigentlich für eine gute Menschenkennerin. Ein Teil von ihr hatte das Bedürfnis, Andrews Ruf wiederherzustellen. „Wie stellt ihr euch das vor?“

„Ruf ihn an und frag ihn, ob ihr euch treffen könnt. Versuch herauszufinden, was er vorhat.“

„Er hat gesagt, dass er sich bei mir meldet, wenn er wieder in die Stadt kommt“, sagte Miranda. „Das hat er nicht getan. Vielleicht gibt es dafür einen guten Grund. Vielleicht will er mich nicht sehen.“ Sie war sich nicht sicher, warum ihr das überhaupt etwas ausmachte.

„Oder vielleicht steht sein Plan kurz vor dem Abschluss. Die Stadt vergibt den Auftrag für das Seaport-Projekt in ein paar Wochen. Wenn er darauf Einfluss nehmen will, muss er sich beeilen.“

Miranda schüttelte den Kopf. „Ihr seid doch alle verrückt. Ich glaube das einfach nicht.“

„Vielleicht willst du es nur nicht glauben“, sagte Astrid. „Wollte ich auch nicht, aber alle Indizien sprechen dafür. Ich weiß, dass das nicht leicht ist. Er ist unsere einzige lebende Verbindung zu dem Mann, den wir alle geliebt haben.“

Miranda atmete tief ein. Soweit es sie betraf, war das Grund genug, Andrew nicht vorschnell zu verurteilen. Aber war das vielleicht naiv? Johnathon hatte ihr erzählt, was für furchtbare Dinge Andrew getan hatte. Er war rachsüchtig und grausam gewesen. Natürlich war Miranda sicher, dass Johnathon ihm alles, was er ihm angetan hatte, mit gleicher Münze heimgezahlt hatte. Er war kein Mann gewesen, den man einfach so herumschubsen konnte.

Miranda wollte das Thema endlich abhaken. Wenn Andrew unschuldig war, wollte sie sicher sein. Denn sie wollte, dass ihr Kind so viele Familienmitglieder wie möglich kennenlernte. Miranda und ihr Bruder Clay hatten keine Erinnerung an ihren Vater. Diesen Schmerz konnte sie ihrer Tochter nicht ersparen, aber vielleicht war es nicht ganz so niederschmetternd, wenn sie stattdessen ein gutes Verhältnis zu ihrem Onkel aufbauen konnte.

„Okay, ich rufe ihn an.“

„Wirklich?“ Tara hatte sich offensichtlich auf eine längere Auseinandersetzung eingestellt.

„Ja, ich will das ein für alle Mal klären.“ Miranda schnappte sich ihr Handy, das auf der Kochinsel lag, und rief Andrew an.

Er nahm ab, nachdem sie es ein- oder zweimal hatte klingeln lassen. „Miranda?“

Als sie Andrews Stimme hörte, kribbelte es auf Mirandas Rücken. Ihre Hormone spielten schon wieder verrückt wegen der Schwangerschaft. Sie drehte Tara und Astrid den Rücken zu und ging langsam in Richtung Spüle, die auf der entgegengesetzten Seite der Küche installiert war. „Andrew, hallo, wie geht’s denn so?“

„Gut, und dir? Ich habe nicht damit gerechnet, dass du mich anrufst.“ Seine Stimme klang warm und beruhigend.

Miranda schloss die Augen. Was sie jetzt sagen musste, hörte sich an, als wäre sie eine Stalkerin. „Ich habe gehört, dass du in der Stadt bist.“

Am anderen Ende der Leitung wurde es so still, dass Miranda sich schon fragte, ob die Verbindung vielleicht unterbrochen worden war. „Wer hat das gesagt?“ Sein Ton war nun kalt und scharf, nicht mehr beruhigend.

Sie suchte fieberhaft nach einer Erklärung. Sie konnte ihm nicht sagen, dass sie es von Tara und Astrid erfahren hatte. „Eine Freundin von mir hat dich gesehen. Ich glaube, sie ist davon ausgegangen, dass wir uns treffen würden.“ Miranda verkrampfte sich, weil ihre Worte so anmaßend klangen.

„Ich bin beruflich in der Stadt. Ich hatte vor, dich anzurufen, falls ich Zeit habe.“

„Oh, natürlich.“ Miranda sah sich über ihre Schulter hinweg nach Tara und Astrid um, die beide auf den Kanten ihrer Stühle hockten und an Mirandas Lippen hingen. Miranda stand unter Druck. „Bis wann bist du hier?“

Andrew räusperte sich. „Nicht lange.“

„Wollen wir mal was essen gehen?“ Es war die sinnvollste Einladung. Sie dachte den ganzen Tag an nichts anderes. „Ein Mensch muss doch essen, oder?“

„Wahrscheinlich.“

„Ich habe ein Steakhaus drüben in Harbour Island neu eingerichtet. Von da aus hat man einen atemberaubenden Blick auf die Bucht. Ich bin noch nie abends dagewesen.“

„Äh, klar.“

Irgendetwas an Andrews Tonfall ließ sie sich fragen, ob ihm das lästig war. Hatten Tara und Astrid recht? Machte Miranda sich etwas vor, wenn es um Andrew ging? Offensichtlich würde sie es bald herausfinden. „Wie wäre es morgen Abend? So um sieben?“

2. KAPITEL

Miranda hielt vor dem Parkservice des Harbour Prime an. Ihr Magen war ein einziger Knoten. Sie war nervös, seitdem sie gestern mit Andrew telefoniert hatte. Tara und Astrid wollten Antworten auf sehr schwierige Fragen von Andrew haben, während es Miranda darum ging, eine echte Verbindung mit ihm aufzubauen. Diese Ziele waren vollkommen entgegengesetzt. Wie sollte sie Andrew sensible Informationen entlocken, wenn sie gleichzeitig alles dafür tun wollte, um genau diese Brücke nicht hinter sich abzureißen? Sie hatte keine Ahnung, aber eins wusste sie ganz genau: Sie würde tun, was sie konnte, um alle glücklich zu machen.

Sie betrat das Restaurant und war ausgesprochen zufrieden damit, wie gut die Renovierung gelungen war. Miranda prahlte nicht gerne mit ihren beruflichen Fähigkeiten, aber insgeheim fand sie, dass sie im Harbour Prime einen außergewöhnlich guten Job gemacht hatte. Die Holzbalken an der Decke waren schwarz gebeizt, sodass die traditionelle Bauweise des Gebäudes betont wurde. Die Sitzbänke waren mit einem wunderschönen Stoff mit modernem Blumenmuster in Kaffeebraun und Grasgrün bezogen worden. Aber mit dem atemberaubendsten Teil des Restaurants hatte Miranda natürlich nichts zu tun – der Aussicht. Die Wand an der gegenüberliegenden Seite war eine Fensterfront, die von der Decke bis zum Boden reichte, und man sah den Abend über der Bucht und die funkelnden Lichter der Stadt im Hintergrund.

„Ms. Sterling.“ Eine Kellnerin begrüßte Miranda und schüttelte ihre Hand. „Wie schön, dass Sie uns heute Abend besuchen.“

„Ich freue mich, dass ich das alles hier mal am Abend sehe.“ Miranda sah sich um, konnte Andrew aber nirgends entdecken.

„Wir haben einen sehr schönen Tisch für Sie, mit einem außergewöhnlichen Blick.“

„Ich glaube, meine Verabredung ist noch nicht da.“ Miranda kam sich albern vor, wenn sie Andrew so nannte, aber was Besseres war ihr auf die Schnelle nicht eingefallen.

„Mr. Sterling ist sogar schon vor zehn Minuten eingetroffen. Ich habe ihn bereits an Ihren Tisch gesetzt.“ Die Kellnerin streckte den Arm aus. „Hier entlang bitte.“

Miranda folgte ihr. Als sie den großen Tisch in der Mitte umrundeten, sah Miranda sein Profil, denn er schaute gerade aufs Wasser hinaus. Aufregung durchzuckte sie, ihre Nervosität wurde nicht weniger. Warum fühlte sie sich so? Schwangerschaftshormone? Oder war es ihr Herz, das sie daran erinnerte, dass er so eng mit dem Mann verbunden war, den sie geliebt und verloren hatte?

Andrew drehte sich um und sah ihr in die Augen. Dabei lächelte er reserviert. Er stand auf, und sie ging schnell auf ihn zu, als er seine Arme für eine Umarmung öffnete, die sie unbedingt spüren wollte. „Miranda, schön, dich zu sehen“, murmelte er in ihr Haar. Seine Umarmung war warm und tröstlich, und ein Teil von ihr wäre einfach gerne ein paar Stunden in seinen Armen versunken. Es war lange her, dass sie sich so gut gefühlt hatte.

„Ich bin auch froh, dich zu sehen.“

Andrew ließ sie los und trat einen Schritt zurück, um unverhohlen ihren Bauch zu begutachten. „Das Baby ist gewachsen, seitdem ich dich das letzte Mal gesehen habe.“

Miranda widerstand dem Drang, sich das Kleid über dem Bauch glattzustreichen. Von ihrer Schwangerschaft war immer noch nicht viel zu sehen, und sie freute sich nicht gerade darauf, wie ihr Körper sich verändern würde. Witwe zu sein, machte sie verwundbar, und die Schwangerschaft machte alles nur noch schlimmer. „Ich habe gerade einmal die Hälfte hinter mir.“

„Die Schwangerschaft steht dir gut. Du siehst toll aus.“ Andrew rückte einen Stuhl für sie zurecht.

Miranda wusste die höfliche Geste und seine freundlichen Worte mehr zu schätzen, als er je erfahren durfte. Es war so schön, gut behandelt zu werden. „Mit Schmeichelei kommt man bei mir auf jeden Fall weiter.“

„Ich werde dran denken.“ Andrew unterstrich den Satz mit einer hochgezogenen Augenbraue. Dann setzte er sich ihr gegenüber. „Ich habe noch nichts zu trinken bestellt, aber ich habe dir Wasser bringen lassen. Ich weiß nur nicht, ob es gefiltert ist, also sollten wir vielleicht lieber eine Flasche bestellen. Schwangere Frauen müssen sicherlich sehr genau darauf achten, was sie essen und trinken.“

Er war so fürsorglich. Wie irgendwer auf die Idee kommen konnte, dass er unlautere Absichten hatte, konnte Miranda nicht nachvollziehen. „Ist schon in Ordnung, danke.“ Miranda trank einen Schluck, und die Nervosität fiel von ihr ab. Sie lächelte, denn sie konnte nicht anders, als ihn bewundernd anzusehen. Andrew sah bemerkenswert gut aus, genau wie Johnathon, mit zerzaustem kastanienbraunem Haar, aber seine Augen hatten einen komplexeren Blaugrün-Ton. Seine Bartstoppeln zeichneten sich deutlich ab, man hätte beinahe schon von einem richtigen Bart sprechen können. Der größte Unterschied war, dass Andrew viel zurückhaltender war. Nichts an seinem Verhalten deutete darauf hin, dass er gern im Mittelpunkt stand. Das war ein riesengroßer Unterschied. Johnathon hatte immer darauf bestanden, die Sonne zu sein, um die sich alles andere drehte.

Die Kellnerin erschien und nahm ihre Getränkebestellung auf – Cranberrysaft mit Soda und Limette für Miranda und Bourbon pur für Andrew. Er war erfreut, dass sie seine Lieblingsmarke Michter’s hatten.

„Nimmst du kein Eis dazu?“, fragte Miranda.

„Bei diesem nicht. Der wird nur in kleinen Mengen hergestellt und schmeckt zu gut, um ihn zu verdünnen.“

„Verstehe.“

Andrew sah Miranda an, und sie war einen Moment lang mutig genug, den Blick zu erwidern. Seine Augen waren unruhig, aber sie hoffte, darin Hinweise darauf zu finden, wer er wirklich war oder was er wollte. Sie hatte von Johnathon so viele Geschichten gehört, und keine davon warf ein gutes Licht auf Andrew. Wenn sie ihm hier so allein gegenübersaß, konnte sie sich kaum vorstellen, dass er zu irgendetwas Bösem oder Hinterhältigem fähig war. Doch Miranda wurde bald wieder nervös und richtete ihre Aufmerksamkeit auf ihr Wasserglas, gerade als die Kellnerin mit den Getränken zurückkam.

„Prost“, sagte Andrew und hob sein Glas.

„Auf die Familie.“ Als sie das sagte, hätte sie am liebsten den wahren Grund für ihren Besuch beiseite geschoben. Sie hätte lieber die Verbindung zwischen ihnen vertieft, als ihm Informationen zu entlocken.

Er schloss für einen Moment die Augen und genoss den ersten Schluck Bourbon. Dann schwenkte er sein Glas und sah sie noch einmal so aufmerksam an wie vorher. Sie fragte sich, was er wohl sah. War sie eine Freundin für ihn? Nur die Frau seines Bruders und deswegen eine Verpflichtung? Er hatte sie nicht angerufen, um ihr zu sagen, dass er in der Stadt war. Vielleicht war sie ihm nicht besonders wichtig. Sie durfte nicht vergessen, wie widerstrebend er ihre Einladung angenommen hatte.

Andrew klappte die Speisekarte auf. „Kannst du irgendetwas empfehlen?“

Miranda kehrte in die Gegenwart zurück und dachte an ihr augenblickliches Lieblingsthema – Essen. „Hier ist alles gut. Der Salat als Vorspeise ist großartig, und dazu gibt es warme herzhafte Muffins. Abgesehen davon sind die Steaks wunderbar und perfekt zubereitet. Du kannst wirklich nichts falsch machen.“

Er nickte und klappte die Karte wieder zu. „Perfekt. Hast du dich schon entschieden? Wir sollten bestellen.“

„Hast du es eilig?“

„Ich habe später noch einen Termin.“

Das erschien ihr seltsam. „Einverstanden. Essen ist im Augenblick das Wichtigste für mich.“ Sie lachte. „Ich kann an nichts anderes mehr denken. Vielleicht noch ans Schlafen.“

Er drehte sich um, um die Kellnerin heranzuwinken. „Dann lass uns mal dafür sorgen, dass du etwas bekommst. Da mein Bruder sich nicht mehr um dich kümmern kann, werde ich das übernehmen.“ Es wurde gefühlt sehr still um sie herum, obwohl die sonstigen Geräusche im Restaurant unvermindert zu hören waren.

Miranda fühlte sich, als ob sie ganz allein auf dem offenen Meer treiben würde. Es war ein vertrautes Gefühl seit Johnathons Tod, aber sie hoffte, dass sie nicht für immer damit leben musste.

Autor

Karen Booth
Mehr erfahren

Entdecken Sie weitere Bände der Serie

Die Sterling-Frauen