Ein Duke muss her!

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Nur ein Duke kommt für Lady Kathryn Lambert als Ehemann infrage. Um ihr Erbe zu sichern, muss ihr Zukünftiger einen Adelstitel tragen. Zum Glück erfährt sie von einem Duke, der dringend auf der Suche nach einer passenden Partie ist. Unterstützung findet sie bei ihrem alten Freund Griffith Stanwick, der ihr bei der Eheanbahnung helfen soll. Dummerweise entflammt zwischen ihm und Kathryn glühende Leidenschaft. Doch sie dürfen ihren Gefühlen nicht nachgeben, denn Griffith ist leider titellos. Als ihr Plan aufzugehen scheint und der Duke an Kathryn Interesse bekundet, steht sie vor einer folgenschweren Entscheidung: Soll sie ihr Erbe um jeden Preis erhalten – oder ihrem Herzen folgen?


  • Erscheinungstag 23.12.2022
  • Bandnummer 145
  • ISBN / Artikelnummer 9783751511209
  • Seitenanzahl 400
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. Kapitel

London,

9. Juni 1873

Wenn ihr mich fragt, ist es eine fabelhafte Gelegenheit für eine von uns, sich einen Duke zu angeln.“

Die kratzige Frauenstimme klang wie feines Sandpapier auf Samt, ein wenig rau und dabei aufreizend weich. Sie brachte Lord Griffith abrupt zur Besinnung. Nur mit Mühe unterdrückte er ein Stöhnen, als blanke Lust ihm in die Lenden schoss und sein wertvollster Körperteil mit einer Begierde reagierte, die an diesem Morgen ganz gewiss keine Befriedigung finden würde. Nicht, dass er sonderlich scharf darauf gewesen wäre, das Bett mit der Frau, der die sinnliche Stimme gehörte, zu teilen.

Ohnehin fand er Lady Kathryn Lamberts zuversichtliche Art ziemlich lästig. Aber jetzt, da er sich trotz seines brummenden Schädels und seines unruhigen Magens verzweifelt zu erinnern versuchte, wie er in dem Blumenbeet hinter den Hecken gelandet war, erschien ihm ihre verdammte Fröhlichkeit besonders nervtötend. Die junge Dame wohnte bei ihnen, solange ihre Eltern eine Rundreise durch Italien machten, und im Augenblick saß sie offenbar mit seiner Schwester auf der Terrasse beim Frühstück.

Für seinen unliebsamen Zustand war zweifellos der viele Scotch am Abend zuvor verantwortlich, doch es war nicht sein erstes Besäufnis gewesen, und er hatte sich beim Aufwachen noch nie irgendwo wiedergefunden, wo er nicht hatte sein wollen. Was mochte er außerdem angestellt haben, das ihn in einem Blumenbeet statt in seinem Bett hatte landen lassen?

„Aber der Duke wird doch sicher eine Debütantin wollen“, erwiderte eine andere weibliche Stimme ein wenig streng. Sie gehörte Lady Jocelyn, der zweiten guten Freundin seiner Schwester, die genauso nervtötend war wie Lady Kathryn und anscheinend beschlossen hatte, den anderen beiden zu dieser unchristlichen Stunde, welche auch immer es sein mochte, Gesellschaft zu leisten. Wie stets, wenn das Trio zusammensaß, wurde getratscht, was das Zeug hielt, und zwar ohne Pause. Dabei hätte Griffith Ruhe gebrauchen können. „Wir sind alle fast vierundzwanzig und gehören praktisch schon zum alten Eisen. Wahrscheinlich können wir uns glücklich schätzen, wenn sich ein zweiter Sohn für uns interessiert.“

„Kein zweiter Sohn. Niemals“, widersprach Lady Kathryn kategorisch. „Ein zweiter Sohn kommt für mich unter keinen Umständen infrage.“

Es war nicht das erste Mal, dass Griffith eine derartige Bemerkung von ihr hörte, in einem Ton, dem zu entnehmen war, dass es für sie einem Wickel aus Pferdemist gleichkäme, an einen zweiten Sohn gebunden zu sein. Trotz seines vernebelten Hirns versetzten ihm die Worte einen Stich. Das Herz eines zweiten Sohns zu gewinnen war nicht das Schlechteste, was einer Frau passieren konnte. Griffith hatte Dukes kennengelernt, deren Mundgeruch einen Mann auf zwanzig Schritt Abstand umzuhauen vermochte, Marquesses, deren Lachen wie Eselsgewieher klang, Earls mit Händen wie Porridge und Viscounts mit Furunkeln. Obwohl er, eingedenk seines derzeitigen Zustandes, zugeben musste, dass er vielleicht nicht zu denen gehörte, die mit Steinen schmeißen sollten.

Abgesehen davon wusste er auch, dass Lady Kathryn nicht allein war mit ihrer Abneigung gegen Söhne, die kein Erbe erwarten konnten. Das war einer der Gründe dafür, dass er mit siebenundzwanzig noch keiner Frau ernsthaft den Hof gemacht hatte. Dass er als zweiter Sohn nicht dazu verpflichtet war, einen Erben zu zeugen, war ein weiterer Grund. Er genoss sein Junggesellendasein. Keine Verantwortung. Ein anständiges Taschengeld. Alkohol in Strömen, Glücksspiel und Frauen von zweifelhafter Moral standen zu seiner Verfügung. Trinkgelage, so viele er wollte, obwohl die anschließenden Vormittage so langsam begannen, ziemlich anstrengend zu werden. Es war erträglich, wenn er neben einer warmen, willigen Abenteurerin erwachte, doch wenn er ehrlich war, wurde er der Abenteurerinnen ebenfalls müde. Nicht so müde allerdings, dass er es vorgezogen hätte, hinter irgendwelchen Hecken zu sich zu kommen.

Wie in aller Welt war er bloß hier gelandet?

„Nun, da Armors Pfeil mich tatsächlich getroffen hat“, verkündete Althea ruhig und entschlossen, aber auch hörbar stolz auf ihr Glück, „bin ich ganz sicher, meine lieben Freundinnen, dass ihr beide am Ende der Saison ebenfalls verlobt sein werdet.“

„Chadbourne ist aber auch ein Glückspilz!“ Lady Kathryn seufzte. „Ganz London weiß, dass du ihn im Sturm erobert hast, und alle sind sich einig, dass er einen bewunderungswürdigen Ehemann abgeben wird. Er ist vernarrt in dich. Absolut vernarrt.“

Griffith stellte sich seine Schwester vor, wie sie bei der Erwähnung des Earls errötend lächelte. Althea war dem Gentleman, den sie im Januar heiraten würde, ebenso zugetan wie er ihr.

„Wie ich schon sagte, ihr werdet bald genau wie ich Anträge bekommen, da bin ich absolut sicher. Und nun ergibt sich die beste Gelegenheit, meine Vorhersage zu testen.“

„Aber ist es tatsächlich die beste Art, die Sache anzufangen?“, fragte Lady Jocelyn skeptisch. „Dem Duke einen Brief zu schreiben und ihm darzulegen, weshalb er mich allen anderen vorziehen sollte? Es erscheint mir einigermaßen dreist.“

„Nach allem, was man hört, ist der Duke of Kingsland ein über die Maßen beschäftigter Mann, der seine riesigen Anwesen führen und seinen Reichtum vergrößern muss“, schaltete Lady Kathryn sich wieder ein. „Er hat nicht die Zeit, eine Frau nach der anderen zu umwerben, bis er diejenige findet, die zu ihm passt. Ich halte es für eine brillante Idee von ihm, mit dieser Strategie zu versuchen, eine Ehegattin zu finden.“

Der Duke of Kingsland, der begehrteste unter allen infrage kommenden Junggesellen des ton. Der Mann mied das gesellschaftliche Leben, verbrachte nur so viel Zeit in London, dass er seinen Verpflichtungen im House of Lords nachkommen konnte, und verlor nie beim Glücksspiel. Soweit Griffith wusste, hatte der Duke nur wenige enge Freunde. Die Aura von Reichtum, Macht und Einfluss, die ihn umgab, verdankte sich einem Titel, dessen Bedeutung Generationen zurückreichte. Was womöglich die Anzeige erklärte, die er in der Times aufgegeben hatte und in der die Töchter von Aristokraten ermutigt wurden, ihm darzulegen, aus welchen Gründen er sie als seine potenzielle Duchess betrachten sollte. Es war eine Art Vorsprechen auf dem Postwege. Er kündigte an, seine Wahl anlässlich eines Balls bekannt zu geben, der am letzten Abend im Juni stattfinden sollte, die junge Dame anschließend für den Rest der Saison zu umwerben und sie, wenn er sie so ansprechend fand, wie ihr Brief es verhieß, vor dem Ende der nächsten Saison zu heiraten.

Anständig und ordentlich und unsäglich langweilig. Griffith zog es vor, jenen ersten unerwarteten Anflug von Reiz, von Anziehung zu spüren und dann die Möglichkeiten in einem langsamen, verführerischen Prozess zu erkunden, der Gemeinsamkeiten, Unterschiede und Geheimnisse enthüllte. Er fand es spannend zu erforschen, wie alles zusammenkam, was einer Frau Faszination verlieh. Manches davon entdeckte er, ehe er das Bett mit ihr teilte, manches währenddessen und manches anschließend. Aber immer genoss er es, die Einzelheiten zu enthüllen, die das Ganze ausmachten. Selbst wenn er auf halbem Weg das Interesse verlor, so genoss er doch die Etappe bis dahin. Für ihn ging es darum, seine Entdeckungen auszukosten, jede Nuance zu würdigen wie einen edlen Wein, den er noch nie gekostet hatte.

„Ich bin nicht sicher, ob die Idee wirklich so brillant ist“, wandte Lady Jocelyn skeptisch ein, und Griffith musste ihr beipflichten. Seiner Meinung nach war die Idee alles andere als brillant. Sie zeugte von Faulheit. Und sie war der Frau gegenüber ungerecht, reduzierte sie auf eine Summe von Eigenschaften, ähnlich wie Nutzvieh. Davon abgesehen – wusste eine Frau wirklich so gut über sich selbst Bescheid, dass sie nachvollziehen konnte, welche Vorstellungen ein Mann mit ihr verband? „Aber wahrscheinlich schadet es nicht, ihm zu schreiben. Schließlich liegen mir die Verehrer nicht gerade scharenweise zu Füßen.“

„Famos! Ich bin ohnehin der Meinung, dass Wettbewerb uns in die Lage versetzt, über uns hinauszuwachsen“, rief Lady Kathryn so herzhaft aus, dass Griffith einen schneidenden Schmerz in den Ohren und im Schädel verspürte. Unwillkürlich entschlüpfte ihm ein Stöhnen.

„Was zum Teufel war das?“, hörte er seine Schwester fragen und hätte sich am liebsten zu einem winzigen Ball zusammengerollt oder sich zur Rückseite des Hauses geschlichen. Doch da selbst die kleinste Bewegung zu dröhnenden Kopfschmerzen führte, beschloss er, lieber still liegen zu bleiben. Hoffentlich würden die Damen die Terrasse bald verlassen.

Er hörte Blätter rascheln und Zweige knicken. Hoffen war definitiv keine gute Strategie.

„Griffith? Was zum Teufel machst du da, alle viere von dir gestreckt, auf der Erde?“

Blinzelnd – war die Morgensonne immer so hell? – sah er hoch zu Althea. „Um ehrlich zu sein, ich weiß es nicht, aber wie es scheint, habe ich mich auf die Nase gelegt, als ich gestern Nacht nach Hause kam.“ Aus irgendeinem unerklärlichen Grund hatte er nicht den Haupteingang benutzt. Vielleicht, weil er sich ungeschickt angestellt und es nicht geschafft hatte, den Schlüssel aus seiner Westentasche zu fischen. Wobei er jetzt, da er auf die besagte Tasche klopfte, feststellen musste, dass sie leer war. Hatte er den Schlüssel verlegt?

„Du warst wieder einmal sturzbetrunken, nicht wahr?“

„Ich erinnere mich in der Tat, ein bisschen über die Stränge geschlagen zu haben.“ Eine Zeit lang war ihm das Glück an den Spieltischen hold gewesen … dann nicht mehr. Und was sollte ein Mann machen, wenn das Glück ihn verließ, außer Trost im Alkohol zu suchen?

„Wie auch immer. Aber jetzt beweg dich und steh auf“, befahl sie brüsk, als wäre sie nicht drei Jahre jünger, sondern drei Jahre älter als er.

Mit großer Anstrengung kam er auf die Füße und quetschte sich durch den schmalen Spalt zwischen Hauswand und Hecke, immer darauf bedacht, den dornigen Blättern auszuweichen. Als er vor seiner Schwester stand, verzog sie angewidert das Gesicht. „Du riechst wie eine Schnapsbrennerei.“

„Woher willst du wissen, wie eine Schnapsbrennerei riecht?“ Griffith schaute an ihr vorbei zu den beiden jungen Damen, die an dem weiß gedeckten runden Tisch saßen, und rang sich sein charmantestes Grinsen ab, ein Grinsen, zu dem er eigentlich keinen Anlass sah, nicht nur wegen des schmerzhaften Hämmerns in seinem Kopf, sondern auch wegen dem, was er unfreiwillig mitgehört hatte. „Meine Damen, wie geht es Ihnen an diesem schönen Morgen?“

„Ich würde wetten, besser als Ihnen“, erwiderte Lady Kathryn in jenem Ton, den sie anscheinend nur für ihn reserviert hatte.

„Hier.“ Althea griff nach der Teekanne. „Trink eine Tasse Tee. Du siehst aus, als könntest du sie gebrauchen.“

Tee stand nicht auf der Liste der Dinge, die er gebrauchen konnte. Ein heißes Bad – er roch tatsächlich wie eine Schnapsbrennerei und eine Zigarrenfabrik obendrein –, eine Rasur und eine Tasse schwarzer Kaffee schon eher. Hätten die beiden anderen jungen Damen ihn nicht ebenfalls voller Verachtung gemustert, hätte er sich entschuldigt und wäre seinem dringendsten Wunsch nachgekommen: sein bequemes Bett aufzusuchen. Aber in dem Wissen, dass es ihm eine abartige Freude bereiten würde, sie zu ärgern, indem er ihnen Gesellschaft leistete, nahm er den Unterteller mit der vollen Tasse entgegen. „Zu freundlich von dir, Schwesterherz.“

Es war so typisch für Althea, sich um andere zu kümmern. Wenn er ehrlich war, hatte er eine derart großzügige Schwester nicht verdient. Einen vorsichtigen Blick durch den aufsteigenden Dampf werfend, trank er vorsichtig einen Schluck. Sie hatte reichlich Zucker in den Tee getan, und sein Körper war dankbar dafür. Der Schmerz hinter seinen Augen ließ ein wenig nach, und der Tag erschien zumindest überlebbar.

Die Lippen zusammengepresst, musterte Lady Kathryn ihn immer noch missbilligend. Es würde ihn nicht wundern, wenn sie ihm gleich vorhielte, sein Verhalten sei unter seiner Würde.

Doch das war es nicht. Und zwar genau aus dem Grund, den sie zuvor genannt hatte. Niemand wollte den zweiten Sohn. Weder die jungen Damen des ton noch sein Vater. Selbst sein zwei Jahre älterer Bruder, der Titelerbe, hatte kaum Zeit für ihn. Whisky, Spielkarten und Schauspielerinnen dagegen lehnten ihn nicht ab.

„Vielleicht ist es ein glücklicher Zufall, dass dein Bruder hier ist.“ Lady Jocelyn wandte sich zu Althea. „Er hat doch sicher gehört, worüber wir sprachen.“

„Entschuldigen Sie, meine Damen. Es war nicht meine Absicht zu lauschen, aber Ihre lieblichen Stimmen haben es geschafft, meine ungeteilte Aufmerksamkeit zu erringen.“

Lady Kathryn musterte ihn finster und gab ihm damit zu verstehen, dass ihr der Sarkasmus in seiner Bemerkung nicht entgangen war. Lady Jocelyn dagegen lächelte, als hätte er ihr eine der Kronjuwelen geschenkt. Aber was subtile Anspielungen anging, war sie ihm noch nie sonderlich helle vorgekommen. „Dann wären Sie vielleicht so gut, uns wissen zu lassen, wie wir den Duke so beeindrucken können, dass er uns einer Werbung für wert erachtet.“

„Woher soll er wissen, was ein Duke will?“, fragte Lady Kathryn nüchtern.

Langsam, herausfordernd sinnlich hob er einen Mundwinkel. „Ein Duke will, was jeder andere Mann auch will. Eine Frau, die in Gesellschaft eine Heilige ist und eine lüsterne Dirne im Schlafgemach.“

Lady Kathryns grünliche Augen verengten sich, bis sie scharf geschliffenen Dolchklingen ähnelten. Sie hatte ein rasch aufbrausendes Temperament, und aus einem unerklärlichen Grund machte es ihm großen Spaß, sie zu reizen. „Diese Auskunft ist wohl kaum hilfreich“, erklärte sie knapp.

„Aber wahr.“

„Wir sind wohlerzogene junge Frauen von untadeliger Herkunft und als solche ohne jede Erfahrung unsere Fähigkeiten im Bett betreffend.“ Er stellte sich Lady Kathryn auf zerwühlten Laken vor und sich selbst, wie er sie erregte, bis sie ihre Fähigkeit, Wonnen zu erleben, ganz und gar in Erfahrung gebracht hatte. Sein Körper begann auf die Bilder vor seinem inneren Auge zu reagieren, und er verdrängte sie energisch. Was zum Teufel war los mit ihm, dass er sich Intimitäten mit Lady Kathryn ausmalte? „Abgesehen davon ist es die Aufgabe unseres Ehemannes, uns wissen zu lassen, was er im Hinblick auf diesen besonderen Gesichtspunkt unserer Ehe von uns möchte.“

„Warum?“, fragte Griffith aufrichtig verdattert. „Warum sollte er derjenige sein, der in dieser Angelegenheit das Sagen hat? Sie haben doch sicher darüber nachgedacht, was Ihnen Genuss bereitet, Sommersprosse?“

„Habe ich nicht“, widersprach sie unwirsch.

„›Die Dame, wie mich deucht, gelobt zu viel‹“, zitierte er Shakespeare.

„Machen Sie sich nicht lächerlich. Frauen beschmutzen ihren Verstand nicht, indem sie über fleischliche Dinge nachdenken.“

„Wenn Sie nie darüber nachgedacht haben, woher wollen Sie dann wissen, dass Sie Ihren Verstand beschmutzen würden?“

„Die Frage ist schlichtweg grotesk.“

„Nein, in Wirklichkeit bin ich neugierig auf Ihre Vorstellungen von dem, was sich zwischen einem Mann und einer Frau abspielt. Was davon soll so verkommen sein, dass ein ansonsten makellos reines Gehirn beschmutzt wird, wenn man daran denkt?“

Sie sah aus, als hätte sie ihm am liebsten ihren Tee über den Kopf gegossen. „Das wissen Sie ganz genau.“

Ihre Stimme klang auf einmal noch tiefer, noch heiserer, und sein Körper reagierte prompt. „Liebkosungen nackter Haut, ein zärtlicher Biss ins Schlüsselbein, ein aufreizendes Zwicken hier, ein Streicheln da? Eine Spur aus Küssen, die Wölbungen und Vertiefungen folgt? Wie könnte etwas davon schmutzig sein?“

Ihre Lippen hatten sich leicht geteilt, und die Farbe ihrer Wangen vertiefte sich von einem entzückenden Rosé zu einem intensiven Scharlachrot. War es möglich, dass sie sich, genau wie er, seine bloßen Hände, seine gespreizten Finger auf ihren nackten Schenkeln vorstellte, wie sie hinaufwanderten zu jenem verlockenden Scheitelpunkt, wo das Paradies sie erwartete, unberührt und unerforscht. Hölle und Teufel. Was in aller Welt war bloß los mit ihm? Sie war wahrhaftig die letzte Frau, mit der er das Bett teilen wollte. Daran änderte auch die Tatsache nichts, dass ihr kupferfarbenes Haar wie Feuer leuchtete, wenn die Sonne darauf fiel, und er sich gelegentlich und zu seinem Leidwesen gefragt hatte, ob es sich auch so heiß anfühlte, wenn man es berührte, und ob es Leidenschaft entfachte. Es spielte keine Rolle, dass ihr Duft eher rassig als lieblich war und er pikant gewürzte Speisen immer geschätzt hatte. Es spielte auch keine Rolle, dass ihre Lippen eher rosa waren als rot und er bei den seltenen Gelegenheiten, da er zum Pinsel griff, den subtilen Zauber von Pastellfarben bevorzugte.

„Griffith, ich bezweifle, dass dies ein angemessenes Thema für eine Unterhaltung mit Damen ist“, warf Althea vorsichtig ein.

„Aber genau darum geht es.“ Hoffentlich führten sie das Krächzen in seiner Stimme darauf zurück, dass er gerade erst wach geworden war, und nicht darauf, dass sein Mundinneres sich plötzlich staubtrocken anfühlte. „Es sollte kein Tabu sein. Für Männer ist es selbstverständlich, darüber nachzudenken, darüber zu reden, die Erfahrung zu machen – ohne die Konsequenz einer Heirat. Warum sollte all das für Frauen nicht auch möglich sein?“

Auf seine Bemerkungen hin wurde vernehmlich nach Luft geschnappt. Er schüttelte den Kopf. „Und selbst, wenn diese Art Erfahrung einer unverheirateten Frau nicht gestattet sein sollte“, wobei er diese Meinung nicht teilte, „sollte sie wenigstens darüber nachdenken und reden dürfen, ohne sich schämen und Angst haben zu müssen, dass sie ihren Verstand beschmutzt.“

Er richtete seine Aufmerksamkeit auf Lady Kathryn. „Sie denken wirklich nie darüber nach?“

„Absolut nicht.“

„Wie können Sie dann wissen, was Sie wollen und was Ihnen gefällt?“

„Wie ich schon sagte, es ist die Aufgabe meines Ehemanns, es mir zu zeigen.“

„Sie kamen mir immer vor wie eine Frau, die zu allem eine Meinung hat.“ Er beugte sich vor. „Ich würde mein monatliches Taschengeld wetten, dass Sie darüber nachgedacht haben, und zwar ziemlich gründlich.“

Dass ihre Nasenflügel sich blähten und ihre Atemzüge langsamer wurden, führte nur zu mehr Spannung in seinem Unterleib. Was für Bilder sie wohl vor ihrem inneren Auge heraufbeschwor?

„Griffith, ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass du Kathryn als Lügnerin bezeichnet hast.“ Althea klang eindeutig verärgert.

Was daran lag, dass sie eine Lügnerin war. Natürlich würde er sie deswegen nicht noch einmal zur Rede stellen, aber ihre Fantasien hätte er schon gerne gekannt. „Ich bitte um Entschuldigung. Wie es scheint, machen sich die Auswirkungen meiner nächtlichen Eskapaden noch so deutlich bemerkbar, dass ich nur bedingt gesellschaftsfähig bin.“ Er schob seinen Stuhl zurück und stand auf. Lady Kathryn zu mustern, verursachte ihm Schwindel und lenkte sein Blut in Körperregionen, in denen es nichts zu suchen hatte, daher richtete er seine Aufmerksamkeit auf Lady Jocelyn, die die Frage ursprünglich aufgeworfen hatte. „Zählen Sie Ihre schicklichen Eigenschaften auf, wenn Sie dem Duke schreiben. Dass Sie die Etikette beherrschen, welche Interessen Sie haben, über welche Fertigkeiten Sie verfügen.“

„Vielen Dank, Mylord.“

Er schenkte ihr ein unverbindliches Lächeln. „Auf dass die Beste gewinnt.“

Damit ging er ins Haus. Das heiße Bad, auf das er sich so gefreut hatte, würde warten müssen. Vielleicht stimmte es ja, dass Lady Kathryn schlüpfrigen Gedanken nicht gestattete, ihren Geist zu beschmutzen. Seiner hingegen war angefüllt mit Vorstellungen ihres sich windenden Körpers unter seinem, und als Erstes würde er wohl einen Zuber voll eiskaltem Wasser brauchen.

Den tragbaren Schreibsekretär unangerührt auf dem Schoß, saß Kathryn im Salon und verwünschte Lord Griffith Stanwick wohl zum hundertsten Mal. Sie schien die anzüglichen Bilder, die er mit seinen Worten in ihrem Kopf heraufbeschworen hatte, einfach nicht mehr loswerden zu können … Bilder seiner Hände auf ihren bloßen Schultern und tiefer, an Stellen, wo sie nichts verloren hatten. Zum Teufel mit ihm!

Und dann auch noch anzudeuten, dass sie gelogen hatte mit ihrer Behauptung, noch nie unanständige Fantasien gehabt zu haben! Dieser Hundesohn. Natürlich hatte sie solche Fantasien, aber es war unhöflich von ihm, sie zu einem solchen Geständnis überreden zu wollen. Eine wohlerzogene junge Dame durfte derartige Gedanken nicht denken und schon gar nicht einräumen, dass sie es tat, erst recht nicht, wenn besagte Gedanken sich häufig darum drehten, wie der unausstehliche Bruder ihrer besten Freundin schrecklich sündige Dinge mit ihr anstellte, mit dem Finger an ihrem Ausschnitt entlangstrich, genau da, wo der Stoff aufhörte und die Haut begann, oder die Innenseite ihres Handgelenks küsste, dort, wo sie – für alle Fälle – ihr Parfüm auftupfte. Zum Teufel mit ihm!

Und um die Sache noch schlimmer zu machen, benutzte er immer noch den schrecklichen Spitznamen, den er ihr bei ihrer ersten Begegnung mit zwölf verpasst hatte, Sommersprosse. Ein scheußlicher Name. Die braunen Flecke waren der Fluch ihres Lebens. Dass sie ständig Hüte trug, obwohl sie es hasste, und ihr Gesicht regelmäßig mit allen Arten von Wundercremes behandelte, hatte die Sommersprossen zwar verblassen lassen, aber sehen konnte man sie immer noch, und sie wurden deutlicher sichtbar, wenn sie errötete. Was ihr aus irgendeinem Grund oft und regelmäßig passierte, wenn Lord Griffith Stanwick sich in der Nähe befand.

Und da sie im Augenblick bei ihrer besten Freundin, Lady Althea, zu Besuch war, lief sie Griffith ständig über den Weg, manchmal auch nachts.

Sie hatte ein schlechtes Gewissen, denn er war ihretwegen hinter den Hecken gelandet. Weil sie nicht hatte schlafen können, war sie zur Bibliothek geschlichen, um sich etwas zu lesen zu holen. Auf dem Weg durch das Foyer hatte sie gesehen, wie die Eingangstür aufgegangen und Griffith hereingestolpert war, in einem wahrhaft abstoßenden Zustand, mit lose herabhängendem Krawattentuch und ohne Hut. Er hatte sich an den Türpfosten gelehnt und die Klinke fest umklammert, das Haar in alle Richtungen vom Kopf abstehend, als ob ein Dutzend Frauen mit den Fingern hindurchgefahren wäre, was wahrscheinlich auch zutraf. Als sein Blick auf sie gefallen war, hatte er einen Mundwinkel gehoben. „Hallo, Sommersprosse.“

Es war ihr zuwider, ihn in einem so würdelosen Zustand zu sehen. Er benahm sich wie ihr Onkel George, der Bruder ihres Vaters. Der Mann trank zu viel, frönte dem Glücksspiel, anstatt zu arbeiten, und sprach ein ums andere Mal bei ihrem Vater vor, weil er Geld brauchte. Was man ihm seiner Meinung nach schuldete, weil ihr Vater die Titel und Anwesen geerbt hatte, während er leer ausgegangen war. Dabei würde er irgendwann einmal alles bekommen, denn ihr Vater hatte keinen Sohn, dem er seinen Besitz vermachen konnte. Dass Onkel Georges Mutter unendlich enttäuscht war von ihrem Sohn, machte Kathryns Meinung von ihm nicht besser. „Hüte dich davor, einen jüngeren Sohn zu heiraten“, hatte ihre Großmutter ihr geraten, wann immer Onkel George sturzbetrunken auf Familienfesten erschienen war. Ihn kümmerte nur er selbst und sonst niemand. Weder seine Ehefrau noch sein Sohn, der ihm in jeder Hinsicht ähnelte, selbst darin, dass er Kathryns Vater mit Bemerkungen wie Es wird ohnehin irgendwann einmal alles mir gehören. Also kannst du mir genauso gut jetzt schon etwas davon geben um Geld anbettelte.

Wie es schien, war Lord Griffith Stanwick aus dem gleichen Holz geschnitzt. Es hätte ihr egal sein sollen, aber das war es nicht. Leider. Und sie wusste beim besten Willen nicht, warum. Sie wollte einfach, dass er über sich hinauswuchs. Deshalb hatte sie die Gelegenheit, die sich ihr letzte Nacht bot, beim Schopfe gepackt und beschlossen, ihm die Hölle heißzumachen.

„Ich höre Ihren Vater kommen“, hatte sie ihn flüsternd gewarnt und war zu ihm geeilt. „Er darf Sie in diesem Zustand auf keinen Fall sehen. Gehen Sie zum Dienereingang, ich lasse Sie herein.“ Sein Vater war nicht gekommen. Der Duke war nicht einmal zu Hause. Er verbrachte mehr Nächte auswärts als unter seinem eigenen Dach. Es war ein offenes Geheimnis, dass er eine Geliebte hatte, deren Gesellschaft er der seiner Duchess vorzog.

Betrunken, wie er war, erkannte Griffith nicht, dass sie log, glaubte ihr stattdessen und trat eilig den Rückzug an. Kathryn nahm seinen Schlüssel, der noch im Schlüsselloch steckte, an sich, machte die Tür zu und schloss sie ab. Dann hastete sie zum Dienereingang, vergewisserte sich, dass auch diese Tür abgeschlossen war. Nur um anschließend dazustehen und voller Entzücken dem Klopfen des benebelten jungen Lords zu lauschen.

Irgendwann fing er an, nach ihr zu rufen. „Sommersprosse! Los, machen Sie auf, Sommersprosse. Seien Sie ein liebes Mädchen.“

Aber sie hatte keine Lust, lieb zu sein. Sie wollte, dass er aufhörte, sie mit diesem dämlichen Spitznamen anzureden. Sie wollte, dass er anders war als die beiden Männer, die ihrer Familie so viel Kopfzerbrechen bereiteten.

Irgendwann wurde es still. Sie nahm all ihren Mut zusammen, öffnete die Tür und spähte nach draußen, doch Griffith war nirgendwo zu sehen. Ein Anflug von Panik befiel sie, doch dann hörte sie ihn singen – irgendein Liedchen über eine Frau mit O-Beinen. Er torkelte durch den Garten und verschwand hinter den Hecken. Nach minutenlanger Stille hörte sie ihn schnarchen und gelangte zu dem Schluss, dass er das unbequeme Bett mehr als verdient hatte.

Nun jedoch fühlte sie sich schlecht deswegen, zumal sie am Nachmittag beschlossen hatte, ihn um einen Gefallen zu bitten. Aber ihn allein zu erwischen, sodass sie das Thema ansprechen konnte, war ihr bisher nicht gelungen, daher hatte sie sich nach dem Dinner in das vordere Empfangszimmer zurückgezogen, während Althea und ihre Mutter im Lieblingssalon der Duchess Tee tranken.

Kathryn hatte schon oft mit Altheas Familie zu Abend gegessen, doch heute war ihr das erste Mal aufgefallen, dass der Duke, der den Platz am Kopfende der Tafel einnahm, ausschließlich mit seinem ältesten Sohn Marcus redete, der zu seiner Rechten platziert war. Den jüngeren, der links von ihm saß, sprach er nie an.

Obwohl sie nur zu sechst am Tisch gesessen hatten – die Duchess am Fußende, Althea neben Marcus und sie selbst neben Griffith –, war es kaum möglich gewesen, eine ruhige Unterhaltung mit ihm zu führen. So, wie er aussah, hätte niemand geglaubt, dass er am Morgen noch halb betrunken gewesen war. Er duftete dekadent, nach einer Mischung aus Haarwasser und einem Geruch, der unverwechselbar sein eigener war, ein erdiges Aroma nach Herbstlaub. Sein Haar war perfekt frisiert, unberührt von irgendwelchen Fingern. Als sei er daran gewöhnt, ignoriert zu werden, schien seine Aufmerksamkeit auf zwei Dinge konzentriert: seinen Teller und sein Weinglas.

Ein paar Mal hatte der Duke Fragen an Althea gerichtet, einmal auch an Kathryn. Ob sie schon von ihren Eltern aus Italien gehört habe. Sie hatte bejaht und hinzugesetzt, dass es ihnen gut ging. Woraufhin der Duke ausführlich von seinem letzten Aufenthalt in Rom erzählt hatte. Anscheinend sprach er lieber als zuzuhören.

Morgen Abend würden ihre Eltern wieder in London eintreffen, und übermorgen früh würde sie nach Hause zurückkehren. Wobei sie das Dinner im Kreis ihrer eigenen Familie keineswegs angenehmer fand. Ihre Eltern versuchten, ihre Zuneigung zueinander wiederaufleben zu lassen, in einer Weise, die alle andern praktisch ausschloss. Daher die Reise. Sie waren beide nicht gut darin, ihre Emotionen auszudrücken, doch Kathryn hatte die Liebe, die sie brauchte, von ihrer Großmutter erhalten. Die gemeinsamen Tage mit ihr in einem Cottage am Meer gehörten zu ihren schönsten Erinnerungen. Sie fragte sich, ob Griffith auch einen Ort hatte, der ihn tröstete. Nicht, dass sie besonders erpicht darauf gewesen wäre, Mitgefühl für ihn zu empfinden. Aber wenigstens verspürte sie einen Anflug von schlechtem Gewissen, weil sie plante, ihn zu benutzen, auch wenn man tun musste, was man tun musste, um zu erreichen, was man wollte.

Sie war ziemlich sicher, dass er auch heute Abend wieder ausgehen würde, weil er es seit ihrer Ankunft jeden Abend getan hatte. Also hatte sie es sich mit dem tragbaren Schreibsekretär im großen Empfangszimmer bequem gemacht und fertigte eine Liste mit ihren besten Eigenschaften an. Oder versuchte es jedenfalls. Bis hierher hatte sie jedoch nur Geschickt beim Whist notiert. Lady Jocelyn hatte recht. Es war anmaßend, mit sich selbst anzugeben. Allerdings war sie sicher, dass die Freundin der Herausforderung, ihre vorzeigbaren Qualitäten aufzulisten, begegnen und wahrscheinlich haufenweise Kanzleipapierblätter füllen würde. Kathryn seufzte. Sie hatte nie so viel Selbstbewusstsein besessen wie Jocelyn, fand es manchmal sogar irritierend und fühlte sich vielleicht deshalb Althea näher.

Doch es war unerlässlich, dass sie die Gunst des Dukes gewann. Sie verfügte über eine bedeutende Mitgift, die auch das Cottage einschloss, in dem ihre Großmutter die letzten Lebensjahre bis zu ihrem Tod verbracht hatte. Es würde treuhänderisch verwaltet, sodass es auch nach ihrer Eheschließung ihr gehören und ihr als Witwensitz erhalten bleiben würde, während der Rest ihrer Mitgift an ihren Ehemann übergehen würde. Dieser Rest ihrer Mitgift war ihr egal. Das Einzige, was für sie zählte, war das geliebte Cottage. Um es jedoch unwiderruflich in ihren Besitz zu bringen, musste sie einen Titelträger heiraten. Weil ihr nichtsnutziger Onkel und sein Sohn erben würden und ihre Großmutter gewusst hatte, dass sie sich auf den zukünftigen Earl nicht verlassen konnte, hatte die alte Dame sicherstellen wollen, dass gut für ihre geliebte Enkelin gesorgt war. Ihrer Ansicht nach konnte nur ein Titelträger Kathryn das Leben bieten, das sie verdiente, doch mit jedem Jahr, das seit ihrer ersten Saison verging, schwand die Hoffnung, diese Anforderung erfüllen und das Cottage, das ihr so viel bedeutete, ihr Eigen nennen zu können.

Kingsland passte perfekt. Sie war ihm einmal begegnet. Sein angeberisches Auftreten hätte sie nicht gebraucht, doch andererseits nahmen alle Dukes sich wichtig. Immerhin waren sie Dukes. Sie würde ihm eine pflichtbewusste Ehefrau sein, ihm einen Erben schenken und einen zweiten Sohn zur Sicherheit, und wenn er ihrer müde war, würde sie Trost in ihrem Cottage finden. Mit dem Cottage und der Erinnerung an die Liebe ihrer Großmutter würde sie alles durchstehen.

Sie horchte auf, als schwere Schritte auf der Marmortreppe zu hören waren. Da der Duke und sein ältester Sohn das Haus verlassen hatten, konnte es nur Griffith sein. Sie stellte ihren Schreibsekretär beiseite, erhob sich und schüttelte die Röcke aus, dann ging sie zur Tür.

Er trug einen eleganten dunkelblauen Frackrock und die silberfarbene Weste, die er auch zum Dinner angehabt hatte. In der Hand hielt er seinen hohen Zylinderhut. Sein Anblick brachte ihr Herz zum Flattern, wie immer, wenn sie einen Blick auf ihn erhaschte. Aber natürlich reagierte sie nur deshalb so, weil sie ständig Streit mit ihm hatte und sich für die Begegnung wappnete. Es hatte überhaupt nichts damit zu tun, dass er mit den Jahren zu einem verflixt gut aussehenden Mann geworden war.

Anscheinend hatte er sie noch nicht entdeckt, obwohl er schon fast bei der Tür war. Vor Angst, die Gelegenheit zu verpassen, hielt sie den Schlüssel hoch. „Mylord, ich glaube, ich habe Ihren Schlüssel gefunden.“

Er blieb wie angewurzelt stehen und musterte sie ausgiebig von Kopf bis Fuß. Sie war dankbar, dass das helle Grün ihres Kleides ihr schmeichelte und ihr Haar und ihren Teint vorteilhaft zur Geltung brachte.

Er trat ein paar Schritte auf sie zu, und sie konnte sich nicht erklären, warum ihr Korsett sich plötzlich anfühlte, als hätte man es ruckartig enger geschnürt. Aus der Nähe waren seine Augen noch schöner, ein dunkles Blau mit winzigen grauen Sprenkeln.

„Wo haben Sie ihn gefunden?“

„Auf dem Vorplatz. Ich entdeckte ihn, als ich heute Nachmittag einen Spaziergang machte. Er lag einfach da.“

„Interessant.“ Er hatte seine Handschuhe noch nicht übergestreift, und als er den Schlüssel entgegennahm, strichen seine Finger wie absichtslos über ihre. Eine sonderbare Wärme strömte ihren Arm hinauf und von dort aus in alle Gliedmaßen. „Ich habe die ganze Auffahrt abgesucht, nachdem ich vom Frühstückstisch aufgestanden war, aber den Schlüssel nicht gefunden.“

Verflixt. Ihre Lüge drohte aufzufliegen. „Sie müssen zugeben, dass Sie nicht in Hochform waren heute Morgen. Vielleicht hat auch Ihre Sehkraft gelitten.“

Sein Blick hielt ihren fest. „Finden Sie meine Form sonst besser, Lady Kathryn?“

Er hatte die Stimme gesenkt und die Worte in die Länge gezogen, als teile er ein köstliches Geheimnis mit ihr. Sie war versucht, mit einer der üblichen spitzen Bemerkungen zu reagieren, doch zum ersten Mal fielen ihr Dinge an ihm auf, die sie noch nie bemerkt hatte. Wann waren seine Schultern so breit geworden? Seit wann füllte er seine Kleidung so gut aus? Sein Körper wirkte straff und durchtrainiert, und sie fragte sich, ob er Sport trieb. Er war der Bruder ihrer liebsten Freundin, und dennoch wusste sie nur sehr wenig von ihm.

Sie ging über seine Frage hinweg. „Ich nehme an, Sie sind auf dem Weg zu einer Spielhölle oder Ihrem Herrenclub“, bemerkte sie leichthin.

„Was sollte ich sonst tun, als der jüngere Sohn, der ich bin?“

Der Sarkasmus in seiner Stimme war ihr nicht entgangen. Offenbar nahm er Anstoß an ihrer Bemerkung am Frühstückstisch. Sie war nicht grundsätzlich gegen jüngere Söhne, nur gegen verwerfliche wie ihren Onkel und ihren Cousin. Was leider die Sorte war, zu der auch Griffith gehörte. „Gehen Sie zum Militär, werden Sie Pfarrer oder Abgeordneter im Parlament.“

„Es kann nicht Ihr Ernst sein, mich mit einer dieser Beschäftigungen in Zusammenhang zu bringen.“

„Dann haben Sie also vor, Ihr Leben lang ein aristokratischer Müßiggänger zu bleiben?“ Weshalb hatte sie das gefragt? Warum zog sie diese Begegnung in die Länge?

In seinen Augen flammte etwas auf, das fast wie Sehnsucht aussah, dann trat er einen Schritt zurück. „Eher ein Schurke, denke ich. Danke für den Schlüssel.“ Augenzwinkernd steckte er ihn in seine Westentasche und wandte sich zum Gehen.

„Sie haben keine Taschenuhr und keine Uhrkette.“

Seine Aufmerksamkeit richtete sich wieder auf sie, und sie fragte sich, wieso sie erst jetzt bemerkte, dass ihm diese Accessoires fehlten. Und warum sprach sie ihn überhaupt darauf an? Warum erregte er auf einmal ihre Neugier?

„Nein. Als Marcus volljährig wurde, schenkte ihm Vater die Taschenuhr, die sein Vater ihm geschenkt hatte. Ich dachte, dass er mir vielleicht eine kauft, wenn ich mündig werde, doch das ist sechs Jahre her, und ich nehme an, ich sollte mich darum kümmern, mir selbst eine anzuschaffen.“

„Was hat er Ihnen geschenkt, als Sie volljährig wurden?“

„Gar nichts, wenn ich mich recht erinnere.“

Er sprach die Worte gleichmütig und ausdruckslos, als verbände er keine Gefühle damit, aber wie sollte er nicht enttäuscht gewesen sein? „Das tut mir schrecklich leid.“

Nun blitzten Zorn, Verlegenheit und Ärger in seinen blaugrauen Augen auf. „Ich brauche Ihr Mitleid nicht. Wenn Sie mich bitte entschuldigen wollen, ich muss los. Fortuna und andere Damen erwarten mich.“

Wieder wandte er sich zum Gehen …

„Kann es sein, dass Sie heute Abend den Duke of Kingsland treffen?“

Als er sie diesmal ansah, hatten sich seine Augen verengt, und seine Kieferpartie war angespannt. „Möglicherweise. Wir sind Mitglieder im selben Club.“

Sie fuhr sich mit der Zunge über die Lippen, verschränkte die Hände vor dem Bauch und trat einen Schritt auf ihn zu. „Würden Sie mir einen Gefallen tun und ihn fragen, was genau er von einer Ehefrau erwartet?“

Griffith schüttelte knapp den Kopf. „Kingsland ist ein ausgemachter Armleuchter. Er kennt nur sich selbst. Sie würden eingehen, wenn Sie mit ihm verheiratet wären.“

Als würde ihn ihr Elend kümmern. In Wahrheit, so nahm sie an, wünschte er es ihr. „Bitte, ich habe meine Gründe, diejenige sein zu wollen, für die er sich entscheidet.“

„Lady Jocelyn auszustechen?“

Sie lächelte matt. „Teilweise. Es gibt noch andere, doch die sind eher persönlicher Natur.“

„Wollen Sie also falsche Angaben machen oder sich in das verwandeln, was er sich vorstellt?“

„Ich werde ihn nicht belügen, wenn ich ihm schreibe, aber ich könnte bestimmte Eigenschaften, die ich vielleicht habe und die er in einer Frau zu finden hofft, deutlicher betonen.“

Griffith stieß einen tiefen Seufzer aus. „Wenn sich die Gelegenheit ergibt, werde ich ihn befragen. Aber ich mute mir keine Unbequemlichkeiten zu oder verderbe mir den Abend, nur um Ihnen bei diesem lachhaften Unterfangen behilflich zu sein.“

„Vielen Dank, Mylord. Ich weiß Ihre großzügige Einstellung zu schätzen.“

„An dem Tag, Lady Kathryn, an dem Sie etwas an mir zu schätzen wissen, friert die Hölle zu.“

Ihr Lächeln wurde eine Spur herausfordernd. „Ich fürchte, Sie haben recht. Aber denken Sie bitte daran, nicht so viel zu trinken, dass Sie sich tags darauf nicht mehr auf das, was er gesagt hat, besinnen können.“

„Wie kommen Sie darauf, dass exzessives Trinken dazu führt, dass ich etwas vergesse?“

Wusste er nicht mehr, wo er an diesem Morgen zu sich gekommen war? „Ich hörte, wie Sie Althea erzählten, dass Sie sich nicht erinnern, wie Sie hinter den Hecken gelandet sind.“

„Ach, das. Ein zeitweiliger Gedächtnisverlust. Früher oder später fällt mir alles wieder ein.“

Sie hätte nicht erschrockener sein können, wenn er sie in einen Bottich kaltes Wasser gestoßen hätte. Heiliger Himmel, sie hoffte, dass er sich irrte.

„Gute Nacht, Sommersprosse.“ Er setzte seinen Hut auf und machte sich auf den Weg zur Tür.

Dieser schreckliche Mensch! „Ist Ihnen nicht aufgefallen, dass ich gar keine Sommersprossen mehr habe?“

Er war schon halb aus der Tür, als er sich zu ihr umdrehte – mit einem Lächeln, das eine Frau von schwächerer Konstitution dazu gebracht hätte, in Ohnmacht zu sinken. „Aber ich weiß immer noch, wo sie einmal waren.“

Leise zog er die Tür ins Schloss, und sie bedauerte, dass sie ihm seinen Schlüssel zurückgegeben, ihn um einen Gefallen gebeten und ihren Wortwechsel vielleicht ein wenig zu sehr genossen hatte.

2. Kapitel

Die Kutsche, die er sich hatte rufen lassen, rumpelte gemächlich durch die Straßen. Griffith fischte den Schlüssel, den Lady Kathryn ihm ausgehändigt hatte, aus seiner Westentasche. Fast meinte er, die Wärme ihrer Finger an dem Metall noch spüren zu können. Es war nicht ausgeschlossen, dass ihr, anders als ihm früher am Tag, der Schlüssel auf dem Vorplatz aufgefallen war, weil er das nachmittägliche Sonnenlicht reflektierte. Genauso gut konnte es jedoch sein, dass sie log.

Bilder von ihr, wie sie in einem Morgenmantel zur Eingangstür kam, zuckten vor seinem inneren Auge auf. War sie diejenige, die ihn um das Haus herum geschickt hatte, sodass er zwischen den Hecken gelandet war? Er traute es dem kleinen Luder zu.

Was ihre Sommersprossen anging, so hatte er selbstverständlich festgestellt, dass sie nicht mehr zu sehen waren. Er hatte alles an ihr bemerkt. Immer schon, und stets begleitet von verflixt aufreizenden Empfindungen. Dass ihre Haare bei trübem Licht fast braun wirkten und wenn die Sonne darauf schien, leuchtend rot. Dass sie eine zauberhafte Stupsnase hatte, deren Spitze sich einem Kuss entgegenzurecken schien. Dass sie ihre rötlich braunen Brauen zusammenzog, wenn sie angestrengt nachdachte. Dass es ihn verzauberte, wie sich ihre Lippen nach oben bogen, wenn sie lächelte. Dass ihr Mund wie gemacht dafür schien, geküsst zu werden, und dass er viel zu häufig mit einer Erektion wach wurde, weil er von ihr geträumt hatte.

Was einer der Gründe war, weshalb er sie so oft ärgerte und dafür sorgte, dass ihr Mund sich trotzig verzog, obwohl er ihr Mienenspiel selbst dann reizvoll fand. Doch auf diese Weise hielt er sie innerlich auf Abstand. Er wusste, dass er nicht die Sorte Mann war, die sie sich als Gatten vorstellte, noch war er die Sorte Mann, die ihrer würdig war. Er war ein Notbehelf, den man in der Hinterhand behielt und hoffentlich nie brauchte. Sie dagegen war für einen namhaften Lord, einen hochrangigen Aristokraten vorgesehen. Einen Duke.

Aber musste sie ausgerechnet ihn um Unterstützung bitten, wenn sie sich den verdammten Kerl angeln wollte?

Die Chaise hielt an, und er sprang zu Boden, ehe ein Lakai ihm behilflich sein konnte. „Danke, James“, rief er dem Kutscher zu. „Fahren Sie heim. Ich finde schon eine Möglichkeit, nach Hause zu kommen.“ Wenn er seinen Lieblingsclub verließ.

„Sehr wohl, Mylord.“

Die Kutsche ratterte los, fädelte sich in den fließenden Verkehr ein und war gleich darauf verschwunden. Griffith lehnte sich an einen Laternenpfahl und sah an der dreistöckigen Backsteinfassade auf der gegenüberliegenden Straßenseite empor. Kein Licht brannte in den Fenstern, sie waren verrammelt, das Gebäude lag verlassen da, eine heruntergekommene Ruine. Die Verbundenheit, die er zu diesem Ort empfand, mochte lächerlich sein, aber er war so erpicht auf das Haus, dass er manchmal unüberlegte Entscheidungen fällte und unbesonnen spielte, weil er es unbedingt haben wollte. Es stand zum Verkauf, aber noch verfügte er nicht über die Mittel, um es zu erwerben.

Doch dafür hatte er Pläne, was er damit anstellen wollte, wenn es ihm endlich gehörte. Er wollte es in all seiner ehemaligen Pracht wiedererstrahlen lassen und darin einen Club eröffnen, in dem erstgeborene Titelerben nicht Mitglied werden konnten. Sein Club würde nur zweitgeborenen Söhnen, jüngeren Brüdern und jungen Männern mit Vermögen, die im ton nicht willkommen waren, offenstehen. Es sollte ein Ort für die gesellschaftlichen Außenseiter sein – und auch für jene, die eigentlich Teil der Gesellschaft waren, aber dennoch Gründe hatten, sich ausgegrenzt zu fühlen. Ein Ort, wo man sich begegnen, wo man gepflegt essen und trinken und verbotenen Vergnügungen frönen konnten. Doch um seine Pläne zu verwirklichen, musste er als Erstes viel Geld gewinnen.

Energischen Schritts machte er sich auf den Weg zum Dodger’s Drawing Room. Er hatte Geld in der Tasche, fünfundzwanzig Pfund, um genau zu sein, den ganzen Rest seines monatlichen Unterhalts. Wenn er alles verlor, würde er diesen Monat nicht mehr spielen können. Sich Geld zu borgen kam für ihn nicht infrage, ebenso wenig wie um einen Kredit zu bitten. Es war eine gefährliche Falle zu glauben, das Aufdecken einer Karte oder die Umdrehung eines Rades reiche, um Schulden zurückzahlen zu können. Entweder er gewann mit dem, was er in der Hand hatte, oder er verlor. Letzte Nacht hatte er zweihundert Pfund an den Spieltischen gewonnen, sie jedoch umgehend beim Roulette verloren, weil er gierig geworden war. Anschließend hatte er sich hemmungslos betrunken, um die Enttäuschung zu betäuben. Entsprechend rau hatte der heutige Tag für ihn begonnen. Doch all das lag hinter ihm, und es war Zeit, wieder von vorne anzufangen. Heute Abend musste er gewinnen.

Brag mit vier Karten gehörte nicht zu Griffiths Lieblingsspielen, doch weil der verdammte Duke of Kingsland an dem Tisch saß, hatte er sich dazugesetzt. Lieber hätte er erst bei anderen Kartenpartien Gewinne eingestrichen, doch als er den Duke kurz nach seiner Ankunft entdeckt hatte und ein Stuhl neben ihm frei geworden war, beschloss er, zunächst seinen lästigen Auftrag hinter sich zu bringen.

Dessen Abwicklung mit mehr Unannehmlichkeiten für ihn einherging, als ihm lieb war. Vielleicht hätte er darauf bestehen sollen, dass auch Lady Kathryn ihm einen Gefallen tat. Er würde sich etwas ähnlich Lästiges überlegen müssen, das sie für ihn tun konnte.

Der Spieleinsatz wurde aufgerufen, die Jetons landeten im Pot, und die Karten wurden ausgeteilt. Griffith nahm sein Blatt in Augenschein, legte die Karten ab, die er nicht behalten wollte, und räusperte sich. „Übrigens, Euer Gnaden …“ – da Kingsland der einzige Duke am Tisch war, musste er nichts weiter klarstellen – „… ich habe Ihre Anzeige in der Times gelesen. Was genau wünschen Sie sich von einer Ehefrau?“

„Ruhe.“

Die Antwort kam so schroff, so herablassend, dass Griffith beschloss, im Spiel zu bleiben, bis er Kingsland auch noch den letzten roten Heller abgenommen hatte. Er war kein Kind, dem man vorschrieb, wie es sich zu benehmen und wann es still zu sein hatte. Wenn er mit ihm fertig war, würde der Duke seine unerträgliche Arroganz bedauern.

Kingsland warf eine Karte ab, dann wandte er sich zu Griffith und spießte ihn mit seinem durchdringenden Blick förmlich auf – eindeutig eine Einschüchterungsmaßnahme, wie er sie seit seiner Geburt eingeübt hatte. Doch auf Griffith, der diesen Blick von seinem Vater gewohnt war, hatte sie wenig Wirkung.

„Ich will eine Ehefrau, die den Mund hält. Eine, die mich nicht stört, wenn ich mich auf wichtige Dinge konzentriere. Eine, die wenig spricht, aber weiß, wann es angebracht ist zu sprechen.“

„Aber wissen Sie denn nicht, wie Frauen sind?“ Bei Griffiths beiläufiger Frage lachten die anderen vier Gentlemen am Tisch leise in sich hinein.

Der Duke warf sich in die Brust. „Ich kann von mir behaupten, ein großer Frauenkenner zu sein.“

„Von einer Frau zu verlangen, dass sie den Mund hält, dürfte in etwa so erfolgreich sein, wie die Sonne aufzufordern, nicht zu scheinen. Aber das ist Ihnen sicher bewusst. Abgesehen davon, warum sollte man wollen, dass sie schweigt, wenn man eine angenehme Unterhaltung haben kann?“

„Schließlich muss man nicht auf das hören, was sie sagt“, warf einer der anderen Spieler breit grinsend ein, „sondern einfach nur ihrer angenehmen Stimme lauschen.“

Der Blick des Dukes landete im Gesicht des Gentleman wie eine Ohrfeige. Fast konnte man das Klatschen hören.

„Schweigen hat einiges für sich“, stieß der arme Kerl eilends hervor. „Ich finde Schweigen gut.“

„Dann sollten Sie es vielleicht üben“, schlug Kingsland aalglatt vor.

„Sehr wohl, Euer Gnaden.“ Der Gentleman senkte den Blick auf sein Blatt, als müsste er befürchten, dass die Karten ihm wegflögen, wenn er sie nicht mit seiner Aufmerksamkeit beisammenhielt.

Der Duke hingegen konzentrierte sich auf Griffith. „Sie sind der zweite Sohn des Duke of Wolfford, habe ich recht?“

Griffith nickte. „Genau der.“

„Wenn mich nicht alles täuscht, haben Sie eine Schwester.“

Wieder nickte Griffith. „Habe ich.“

„Will sie mir schreiben?“

Das leise Schnauben, das Griffith von sich gab, ließ keinen Zweifel daran, dass Althea es nicht nötig hatte, Kingslands Aufmerksamkeit und seine Gunst mithilfe eines Anschreibens auf sich zu ziehen. „Ganz sicher nicht. Der Earl of Chadbourne macht ihr den Hof.“

„Ach ja, ich habe die Verlobungsanzeige in der Times gesehen. Warum interessieren Sie sich dann für die Eigenschaften, die ich bei einer Ehefrau suche?“

„Reine Neugier, wie ich Ihnen versichern darf. Sie haben einen originellen Weg der Werbung gewählt, und als ich mich fragte, weshalb herkömmliche Methoden Ihnen nicht zusagen, kam ich zu dem Schluss, dass Sie nach etwas Besonderem suchen.“

„Die traditionelle Form der Werbung ist ermüdend und eine Verschwendung wertvoller Zeit. Weshalb sollte ich endlose Stunden in Ballsälen verbringen, mich ständig neuen Leuten vorstellen und einen Tanz nach dem anderen über mich ergehen lassen, wenn es auch möglich ist, die gesuchten Eigenschaften vom Blatt abzulesen wie bei einem Geschäftsunternehmen, in das ich zu investieren gedenke. Es geht schneller, ist unaufwendiger und wirkungsvoller.“

„Sie betrachten eine Ehefrau als Investition?“

„Selbstverständlich. Wissen Sie denn nicht, wie Frauen sind? Sie kosten ein verdammtes Vermögen. Und ich möchte kein Geld in eine Werbung investieren, die sich am Ende nicht auszahlt. Wollen Sie spielen oder passen?“

Griffith warf seine Jetons auf den Haufen in der Mitte, zum Zeichen, dass er spielte. Am Ende gewann er die Runde und etliche darauffolgende ebenfalls und hatte die zweihundert Pfund, die er am Abend zuvor verloren hatte, wieder beisammen. Daran, dass er seinen Gewinn, wenn auch unabsichtlich, Lady Kathryn verdankte, weil er dem Roulettetisch ferngeblieben war, mochte er nicht denken.

3. Kapitel

Kathryn fand keinen Schlaf. Sie machte sich Vorwürfe wegen des Gefallens, um den sie Griffith Stanwick gebeten hatte. Er war viel zu bereitwillig darauf eingegangen, was nur bedeuten konnte, dass er sie gnadenlos ärgern würde, ob er ihrer Bitte nun nachkam oder nicht. Und wenn er Erfolg hatte und die Informationen erhielt, die sie brauchte, würde sie einen Preis dafür zahlen. Aber wenn sie bekam, was sie wollte, war es die Sache wert.

Weshalb hatte ihre Großmutter ihr das Cottage nicht einfach vererbt? Warum mit dieser dummen Bedingung? Etwa weil Kathryn so gern mit den Kindern aus dem Dorf gespielt hatte? Hatte ihre Großmutter befürchtet, dass sie die idyllische Behausung bezog und den Sohn des Hufschmieds oder des Bäckers heiratete? Wieso war ihrer Familie ihre Stellung in der Gesellschaft so wichtig? Hatte sie ihnen Glück gebracht?

Auch wenn sie von ihrem Onkel und ihrem Cousin keinerlei Mittel zum Lebensunterhalt zu erwarten hatte, so war sie doch absolut in der Lage, sich selbst um ein Einkommen zu kümmern. Sie konnte sich als Kindermädchen, als Gouvernante oder als Gesellschafterin verdingen. Sie hatte nichts gegen Arbeit, erst recht nicht, wenn sie dadurch die Freiheit gewann, nach der sie sich sehnte. Warum wurde der Ehe in der Aristokratie ein so hoher Stellenwert zugestanden? Hätte eine Frau nicht aus anderen Gründen begehrt sein sollen als den üblichen – dass sie das Bett mit ihrem Mann teilte, Kinder gebar und hübsch aussah?

Es klopfte an ihrer Tür, und ihre Gedanken stoben davon wie Blätter im Wind. Es war fast zwei Uhr. Eindeutig zu spät dafür, dass Althea kam, um ein bisschen über die Saison oder die Gesellschaft zu tratschen. Und eindeutig zu früh dafür, dass Griffith von seinen Ausschweifungen zurückgekehrt war. Ob ihre Eltern ihr eine Botschaft geschickt hatten? War ihnen etwas zugestoßen?

Sie schlug die Decken zurück, krabbelte aus dem Bett und eilte zur Tür. Als sie sie öffnete, blieb ihr fast das Herz stehen. Es war Griffith. Sein Krawattentuch hing ihm lose herunter, aber er sah nicht annähernd so aufgelöst aus wie in der Nacht zuvor. Auch roch er nicht so entsetzlich. Ein Anflug von Whiskydunst umgab ihn, aber unaufdringlich. Sie konnte sich nicht erinnern, ihn je so entspannt gesehen zu haben. Um seine Mundwinkel lag ein kaum merkliches Lächeln, das sogar seine Augen erreichte und sie funkeln ließ.

„Ich kann Ihnen liefern, worum Sie gebeten haben.“ Er sprach klar und deutlich. Nicht im Mindesten verwaschen. Er klang sogar glücklich, triumphierend. Aber sie wollte sich nicht eingestehen, wie verlockend ein glücklicher, triumphierender Griffith Stanwick war.

„Sie haben den Duke gesprochen?“

Mit der Schulter lehnte er sich gegen den Türpfosten. „Habe ich, in der Tat.“

„Und, was sagt er?“

Griffiths linker Mundwinkel zuckte etwas weiter nach oben. „Was sind Sie bereit, mir zu geben, wenn ich Ihnen seine Vorlieben nenne?“

Es wäre ihr lieber gewesen, er hätte den Duke nicht angesprochen und sie enttäuscht. Warum hatte sie sich nicht diese eine Mal irren können mit ihrer Annahme, dass er etwas von ihr verlangen würde? „Möchten Sie es mir nicht einfach sagen?“

„Nicht, nachdem es so mühselig war.“ Er senkte leicht den Kopf und hob eine Braue. „Was ich, wie Sie sich sicher erinnern werden, vorausgesehen hatte.“

Sie seufzte schwer. „Was wollen Sie?“

Er griff hinter sie, nahm ihren geflochtenen Zopf und legte ihn ihr über die Schulter nach vorn. „Dass Sie Ihr Haar lösen. Wie Rapunzel.“

Sie starrte ihn blinzelnd an. „Damit Sie mich hänseln können, wie scheußlich es aussieht?“

„Wie kommen Sie darauf, dass es scheußlich aussieht?“

„Weil es ein seltenes Rot ist, kein besonders attraktiver Ton. Und wegen meiner ungebärdigen Locken.“

„Die Farbe ist der Grund, weshalb es mir immer gefallen hat. Weil es so leuchtet und alles andere als trist und langweilig ist. Ich habe mich immer gefragt, wie es wohl aussehen mag, wenn es ausgebreitet …“, er unterbrach sich abrupt und schüttelte den Kopf, „… wenn es offen ist.“

Autor

Lorraine Heath
<p>Lorraine Heath wurde in England geboren, zog jedoch als Kind mit ihren Eltern in die USA. Geblieben ist ihr eine tiefe Zuneigung zu beiden Ländern. Die Charaktere in ihren erfolgreichen Romanen werden oft als besonders lebensnah bezeichnet, was die New-York-Times-Bestseller-Autorin auf ihre im Psychologiestudium erworbenen Kenntnisse zurückführt. Lorraine Heath lebt...
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