Ein König für San Rinaldi

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Seit Jahrhunderten herrscht die mächtige Dynastie der Rinaldis über ein malerisches Inselreich im Mittelmeer. Jetzt muss der geschwächte König abdanken. Doch wer tritt das Erbe der Rinaldis an? Intrigen, Leidenschaft und zehn unumstößliche Regeln werden für jeden Thronanwärter zu einer persönlichen Herausforderung. Die Suche beginnt ...

Natalia schwebt im Glück. Ausgerechnet sie hat König Giorgio als Braut für Prinz Kadir auserwählt. In den schillerndsten Farben malt sie sich ihre Zukunft an der Seite ihres künftigen Ehemannes auf der malerischen Insel San Rinaldi aus. Bis sie ihn auf einem Empfang im Palast zum ersten Mal trifft -- und einen Schock erlebt: Er ist kein Unbekannter für sie! Prinz Kadir ist der aufregende Fremde, in dessen Armen sie kurz zuvor in Venedig leidenschaftliche Zärtlichkeiten genoss ...

Der achte Teil der großen Königssaga!


  • Erscheinungstag 26.10.2016
  • ISBN / Artikelnummer 9783733769802
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

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Das Königshaus Rinaldi

Eine der reichsten königlichen Familien der Welt – vereint durch Blut und Leidenschaft, zerrissen durch Verrat und Begierde, unterworfen den strengen Regeln der Rinaldis

Aus blauen Fluten, umweht vom Duft der Zitronen- und Orangenbäumen, ragt majestätisch eine Insel empor: San Rinaldi, die Perle des Mittelmeers. Gesegnet mit einzigartig schöner Natur, üppiger Vegetation und reichen Ernten, wird das idyllische Eiland seit vielen Jahren von König Giorgio aus dem Geschlecht der Fierezzas beherrscht. Schon seit dem Mittelalter lenkt seine Familie die Geschicke der Insel, machte sie zu einem florierenden Handelsplatz und gelangte so zu unermesslichem Reichtum – Reichtum, der zu allen Zeiten zu Neid, Intrigen, Verrat und Auseinandersetzungen führte.

Auseinandersetzungen und Probleme stehen auch König Giorgio ins Haus. Besorgt beobachtet man im Palast von San Rinaldi, dass es dem neunzigjährigen Monarchen gesundheitlich immer schlechter geht. Doch wer soll nach dem tragischen Tod der beiden Kronprinzen das Erbe der Rinaldis antreten?

König Giorgio muss seine Wahl treffen unter den Prinzen und Prinzessinnen der Dynastie. Kein leichtes Unterfangen! Denn wer den Thron von San Rinaldi besteigen und über das blühende Inselreich herrschen will, muss sich entscheiden, ob er sich den strengen Gesetzen des Hauses Rinaldi unterwirft – oder der Stimme seines Herzens folgt und statt der Krone die Liebe wählt …

PROLOG

Was für ein Schock!

Am liebsten hätte Natalia Carini sich gesetzt, aber das ging nicht. Erstens stand sie gerade im Audienzsaal des Königspalastes. Zwar gehörte sie zu den aufgeschlossenen und tatkräftigen Frauen der jüngeren Generation. Trotzdem war Natalia sich der Traditionen bewusst, die auf San Rinaldi immer noch gepflegt wurden. Deshalb wusste sie, was es bedeutete, mit ihrem König allein zu sein.

Zweitens hätte König Giorgio es sicher nicht geschätzt, wenn die künftige Königin gegen das Protokoll verstieß. Denn Natalia sollte den Thronfolger heiraten! Dass überhaupt ein Nachfolger gefunden worden war, durfte sie niemandem verraten. Sie hatte es schwören müssen. Kein Wort durfte über die ganze Angelegenheit nach außen dringen.

Paparazzi aus der gesamten Welt wären von dieser Geschichte angelockt worden wie Haie von einer Blutspur im Wasser. Das wiederum hätte König Giorgios Pläne durchkreuzt.

Natalia konnte noch kaum glauben, dass sie ein Teil dieser Pläne war und als pflichtbewusste Untertanin dem Prinzen Kadir Zafar das Jawort geben würde. Sie kannte ihn nicht einmal. Nur aus Liebe zu ihrem Land würde sie ihre Pflicht erfüllen und sich von dem bisher völlig unbekannten außerehelichen Sohn des derzeitigen Königs den Ring an den Finger stecken lassen!

Kein Wunder, dass sie unter Schock stand. Dennoch hielt sie sich eisern aufrecht. König Giorgio durfte keinen falschen Eindruck bekommen – von ihr, der zukünftigen Königin des kleinen Inselstaates.

1. KAPITEL

Venedig

Natalia Carini liebte ihr Heimatland über alles, aber Venedig nahm einen ganz besonderen Platz in ihrem Herzen ein. Das wurde ihr bewusst, während sie vergeblich versuchte, die dichten dunklen Locken festzuhalten. Der Wind wehte stark. Am sonnenbeschienenen Ufer wartete sie auf das Wassertaxi.

Die bewundernden Blicke der Männer bemerkte sie kaum. Ein Mann blieb sogar stehen und sagte leise: Bella, bella.

Obwohl er sie geradezu unverschämt musterte, musste sie lachen. Ihre blauen Augen blitzten fröhlich auf. Es tat gut, wenigstens kurz aus der ernsten Stimmung gerissen zu werden. In schlaflosen Nächten fragte Natalia sich, ob sie die richtige Entscheidung getroffen oder einen gewaltigen Fehler begangen hatte. Warum war sie überhaupt auf den verrückten Plan des Königs eingegangen?

Das Wassertaxi legte an. Ohne länger zu grübeln, griff sie nach der Reisetasche und stieg ins Boot. Dabei ließ Natalia sich vom Fahrer stützen. Sonst hätte sie womöglich das Gleichgewicht verloren. Mit fast einsachtzig war sie für eine Frau ziemlich groß und legte viel Wert auf eine gute Körperhaltung.

„Via Veneti, Hotel Buchesetti“, rief sie dem Fahrer zu.

Si, subito“, erwiderte der Mann und ließ den Blick fasziniert über sie gleiten. Allerdings benahm er sich dezenter als der Mann am Pier.

Während der Fahrt über das glitzernde Wasser der Lagune und die Kanäle dachte Natalia gründlich über die Veränderungen in ihrem Leben nach. Vor allem das Tempo, in dem sich die Dinge entwickelten, bereitete ihr Unbehagen.

Morgens beim Aufwachen beschlich sie das Gefühl, einen Zug bestiegen zu haben, der ständig an Geschwindigkeit zulegte und sich nicht mehr anhalten ließ. Weshalb hatte sie sich auf diesen Plan eingelassen? Schließlich war sie von niemandem gezwungen oder unter Druck gesetzt worden.

Nein, das war nicht richtig. Wenn der Herrscher ihres Heimatlandes, das sie liebte, sie um Hilfe bat und erklärte, die Zukunft von San Rinaldi läge in ihren Händen – da hatte Natalia sich nicht einfach umdrehen und weggehen können. Schließlich war sie eine Carini, und die Carinis kannten ihre Pflichten.

Das Problem dabei war nur, dass ihr inzwischen Bedenken gekommen waren. Seit sie dem Plan zugestimmt hatte, fielen ihr täglich neue Gegenargumente ein.

„Via Veneti.“ Der Fahrer des Wassertaxis riss sie aus ihren Überlegungen. „Wir kommen gleich zum Hotel. Es ist sehr schön. Waren Sie schon einmal da?“

„Ja“, erwiderte sie und ärgerte sich darüber, dass ihre Antwort so knapp ausfiel. Natalia hätte ihn unter anderen Umständen nicht so abgefertigt. Das konnte sie ihm jedoch nicht begreiflich machen. Dafür hätte sie ihm erzählen müssen, dass sie gezwungen wurde, ihr geliebtes Wellnesshotel auf San Rinaldi zu verkaufen. Dieser Verlust bedrückte sie mehr, als sie erwartet hatte.

Wenigstens durfte sie selbst entscheiden, an wen sie verkaufte. Maya und Howard, die neuen Besitzer, würden den hohen Standard des Hotels aufrechterhalten. Das zu wissen tröstete Natalia nur wenig. Sie trauerte um ihr geliebtes Hotel.

Warum hatte sie es aufgegeben? Warum war sie damit einverstanden, auf jenes Leben zu verzichten, das sie sich unter großen Mühen aufgebaut hatte? Stattdessen ging sie nun eine arrangierte Vernunftehe ein. Weil es im Interesse des Staates lag. Oder weil sie Prinzessin werden wollte?

Beinahe hätte Natalia laut gelacht. Stattdessen lächelte sie bloß und zog damit erneut die Blicke des Fahrers an. Rasch wandte sie sich ab.

Mit neunundzwanzig war sie sich ihrer Wirkung auf Männer voll bewusst. Seit Jahren reagierten sie schmeichelhaft auf Natalias Aussehen. Daran war sie gewöhnt, aber verliebt hatte sie sich nie richtig. Nun würde sie bald den neuen Thronerben von San Rinaldi heiraten. Dann standen ihre Chancen schlecht, sich jemals zu verlieben, oder?

Natalia machte sich nichts vor. Dem König ging es nur darum, durch die arrangierte Ehe zwischen zwei Fremden die Zukunft seines Reiches zu sichern. Dass aus einer solchen Verbindung eine echte leidenschaftliche Liebesbeziehung wurde, müsste schon an ein Wunder grenzen.

Nein, das war ausgeschlossen. Erst recht, weil Natalia sich bisher nie verliebt hatte. Außerdem stimmte sie dem Arrangement nur zu, weil sie ihr Heimatland liebte. Ihren Zukünftigen kannte sie ja nicht einmal. Und er war nicht an ihr, sondern am Thron von San Rinaldi interessiert.

Konnte das Ganze überhaupt funktionieren? War es verrückt zu glauben, sie gab Prinz Kadir das Jawort und würde so sicherstellen, dass er das Land mit Weisheit und Güte regierte? Natalia sehnte sich verzweifelt nach jemandem, mit dem sie über alles reden könnte. Doch sie durfte sich niemandem anvertrauen. König Giorgio hatte ihr strengstens verboten, auch nur ein Wort über die bevorstehenden Ereignisse zu verlieren.

Sie griff nach ihrer Reisetasche, als sie sich dem Anlegesteg eines eleganten und exklusiven Hotels näherten. Dabei fiel Natalias Blick auf einen Mann, der hastig die kleine Piazza neben dem Hotel überquerte. Er war größer als sie, breitschultrig und kräftig gebaut. Für einen Mann an die vierzig sah er sehr muskulös und durchtrainiert aus. Im strahlenden Sonnenschein schimmerte das dichte dunkle Haar, der Teint wirkte südländisch, und das Gesicht war scharf geschnitten. Die Augenfarbe erkannte sie aus dieser Entfernung zwar nicht, dennoch beeindruckte dieser Mann sie tief.

Als hätte er einen sechsten Sinn und spürte ihren forschenden Blick, blieb er stehen und drehte sich zu ihr. Ob seine Augen braun oder blau waren, erkannte Natalia immer noch nicht. Aber von vorn betrachtet war er definitiv noch attraktiver und anziehender als im Profil. Sie hatte plötzlich das Gefühl, als würde ihr gleich schwarz vor Augen. Sicher lag es an der Hitze und bestimmt nicht an diesem Mann, der sie nun seinerseits eingehend musterte.

Sie war geradezu erleichtert, als er sich abwandte und seinen Weg fortsetzte. Während das Wassertaxi am Steg festmachte, gestand sie sich ein, dass es nicht sonderlich klug von ihr war, sich ausgerechnet jetzt für einen Fremden zu interessieren. Schließlich war sie demnächst verheiratet und mitverantwortlich für das Königshaus von San Rinaldi.

Aber wie könnte sie einen anderen küssen, wenn ihr Herz beim Anblick dieses Fremden höherschlug? Halt, das war Unfug! Sie hatte ihn nur länger angesehen, als sie gewöhnlich Männer betrachtete. Das war alles. Er hatte sich entfernt und war verschwunden, und sie würde ihn bestimmt nie wiedersehen. Also war alles in bester Ordnung.

Sobald Natalia die Hotelhalle betrat, eilte Maya auf sie zu und umarmte sie stürmisch.

„Wie schön, dass du herkommst und uns hilfst, nachdem du dich von deinem Hotel getrennt hast“, erklärte sie. „Uns ist wirklich wichtig, dass es einen nahtlosen Übergang gibt, und dafür brauchen wir noch viele Informationen. Ehrlich, Natalia, wir hätten nie zu hoffen gewagt, dass du selbst nach Venedig kommst.“

Natalia erwiderte die herzliche Begrüßung, hatte dabei allerdings ein schlechtes Gewissen. Schließlich durfte sie ihrer Freundin nicht den wahren Grund für ihre Anwesenheit in Venedig verraten. König Giorgio hatte angeordnet, dass Natalia San Rinaldi verließ, bis der neue Thronerbe auf der Insel eintraf. Erst dann durfte sie in ihre Heimat zurückkehren, damit das neue Traumpaar dem Volk feierlich vorgestellt wurde. Gleichzeitig sollte die bevorstehende Heirat verkündet werden.

„Warum kann ich denn nicht hierbleiben?“, hatte sie den König gefragt. „Vielleicht wäre das sogar gut. Ich muss mich um die Zukunft meiner Hotels kümmern.“

„Sie sind eine Frau“, lautete die energische Antwort des Königs. „Ich kann nicht zulassen, dass Sie auf der Insel bleiben und in Versuchung geraten, über Geheimnisse zu sprechen.“

Beinahe hätte sie widersprochen. Wie der König betonte, dass sie eine Frau war, klang fast abwertend. Andererseits wusste Natalia, wie er es meinte. Und sie kannte den König gut genug, um zu wissen, dass jede Diskussion sinnlos gewesen wäre. Sich zu weigern, nach Venedig zu reisen, hätte nichts genützt. Außerdem wollten Maya und Howard sich dringend mit ihr unterhalten. Die Käufer eines der Hotels interessierten sich brennend für die geheime Zusammensetzung einiger Öle, mit denen Natalia bisher ihre Klientel im Wellnesshotel auf San Rinaldi behandelt und verwöhnt hatte.

Tatsächlich ärgerte sie sich manchmal über die altmodische Denkweise des Königs. Dieses Mal hatte Natalia jedoch fast Mitleid mit ihm empfunden, als er ihr seine Pläne unterbreitete. Neunzig Jahre alt, war König Giorgio klar, dass seine Zeit als Regent bald zu Ende ging. Deshalb suchte er inzwischen beinahe verzweifelt einen Nachfolger. Bisher schieden die Kandidaten entweder von vornherein aus – oder sie hatten sich gegen den Thron entschieden.

Da Natalia ihre Heimat liebte, verstand sie die widerstreitenden Gefühle des Königs, was diesen neu entdeckten Erben anging. Ohne es zu ahnen, hatte König Giorgio vor vierzig Jahren während einer kurzen Affäre mit einer arabischen Prinzessin einen Sohn gezeugt. Nun freute er sich zwar darüber, einen Erben zu haben. Gleichzeitig bedrückten König Giorgio aber auch große Sorgen. Sein außerehelicher Sohn war in einem arabischen Land erzogen worden. Das bedeutete höchstwahrscheinlich, dass seine Ansichten nicht unbedingt zu einem Herrscher von San Rinaldi passten.

Einerseits fühlte sie mit König Giorgio. Die Situation war tatsächlich alles andere als einfach. Andererseits schmeichelte es Natalia, dass er gerade sie ausgewählt hatte. Zwischen allen Frauen, die auf San Rinaldi lebten, hatte König Giorgio sich für sie entschieden. Sie sollte die Ehefrau des künftigen Königs sein. Und zwar, weil sie anscheinend Königin Sophia ähnelte. König Giorgio hatte Natalia mit ihr verglichen.

Das Andenken an die tugendhafte und sanftmütige Königin wurde im Volk immer noch gepflegt, obwohl sie sehr jung gestorben war. Schließlich hatte sie sehr viel für San Rinaldi getan. Als kleines Mädchen hatte Natalia sich oft ausgemalt, wie sie in der Zeit zurückreiste und Königin Sophia bei der Arbeit half. Und nun würde sie als Erwachsene Königin Sophias Arbeit fortführen.

Die Aussicht auf eine wichtige Lebensaufgabe versetzte Natalia in Hochstimmung. Ohne nachzudenken, hatte sie freudig zugestimmt, als ihr die Entscheidung des Königs mitgeteilt worden war. Nicht bedacht hatte Natalia, wie der Preis für die Rolle als Königin aussah: die Ehe mit einem völlig Fremden. Schließlich war sie nie verliebt gewesen und rechnete auch nicht damit, dass ihr so etwas irgendwann passierte. Im Gegenteil, Natalia sah sich als praktisch denkenden Menschen. Sie fand es absolut vernünftig, wenn zwei Menschen, die dieselben Überzeugungen vertraten, in einer Ehe auf ein gemeinsames Ziel hinarbeiteten.

Dennoch waren ihr sofort gewisse Bedenken gekommen. Wenn sie den nächsten König von San Rinaldi heiratete, bedeutete das zwangsläufig, dass sie ihm Erben schenken musste. Sie würde also mit ihm schlafen müssen.

König Giorgio war von der Entwicklung der Dinge dermaßen begeistert gewesen, dass er stolz betont hatte, wie sehr ihm sein Sohn ähnelte. Da der König sogar im hohen Alter sehr gut aussah, nahm Natalia an, dass auch ihr zukünftiger Ehemann attraktiv war.

Über seinen Charakter wusste sie allerdings nichts. Womöglich war er ein Mann, den sie niemals mögen und respektieren konnte. Sollte er sich als höchst unsympathisch herausstellen, wollte sie ihm jedenfalls ihr Land nicht sang- und klanglos überlassen. Nein, stattdessen würde sie als Ehefrau auf ihn einwirken und dadurch eine wichtige Aufgabe erfüllen.

Alle, die sie als aufgeschlossene, zukunftsorientierte und erfolgreiche Geschäftsfrau kannten, würden ihren Ohren nicht trauen. Sicher fragten sich bald alle, weshalb sie König Giorgios Vorschlag nicht von vornherein mit einem entschiedenen Nein abgelehnt hatte.

Der Grund dafür war nicht offensichtlich. Denn äußerlich wirkte sie dynamisch und sehr modern. Doch tief in ihrem Inneren schlummerte auch eine leidenschaftliche Liebe zu ihrem Land, seiner Vergangenheit, seiner Gegenwart und vor allem seiner Zukunft.

Die Zukunft von San Rinaldi war am wichtigsten – und zwar eine gute Zukunft, die dem Land bevorstand, wenn es klug regiert wurde. Wie viele andere Staaten durchlebte San Rinaldi gerade eine Krisenzeit. Traditionelle Werte und Fortschritt prallten aufeinander.

Es gab viele, die sich wie Natalia mehr Fortschritt für San Rinaldi wünschten, aber gleichzeitig die Schätze des Landes schützten und deren Wahrung als erste Priorität betrachteten. Dem entgegen standen Bemühungen anderer, die die Insel in eine Touristenhochburg verwandeln und San Rinaldi damit seine Einzigartigkeit und Tradition rauben wollten.

Natalia sah den Weg in die Zukunft klar vor sich. Die besten und wichtigsten Traditionen des Landes sollten bewahrt, gleichzeitig die Wirtschaft gestärkt und damit der Wohlstand verbreitet werden. Aus dieser Grundüberzeugung hatte Natalia nie ein Geheimnis gemacht. Auch war allgemein bekannt, dass sie in ihren Wellnesshotels natürliche Öle und Kräuter als Heilmittel erprobte und einsetzte. Das hatte sich weit über die Insel hinaus herumgesprochen und zahlreiche hochgestellte Persönlichkeiten angelockt.

Solange sie einfach Natalia Carini war, blieb ihr Einfluss beschränkt, weil sie meistens nur mit Menschen zusammenkam, die ihre Ansichten teilten. Als Königin von San Rinaldi konnte sie weitaus mehr Gutes bewirken. Damit war ein Leben als Tochter des anerkannten und auch bei Hof geschätzten Weinexperten der Insel nicht zu vergleichen. Bisher hatte Natalia Hotels betrieben. Bald würde sie erheblichen Einfluss auf die Regierung eines Landes gewinnen.

Doch vorerst konzentrierte sie sich auf die Gegenwart und wandte sich an ihre Freundin Maya. „Du kannst einige meiner Rezepturen gern benutzen“, versprach sie.

„Wir haben es mit den Proben versucht, die du uns während der Verhandlungen überlassen hattest“, erwiderte Maya. „Unsere Gäste waren begeistert. Ganz besonders gut ist das Mittel zur Muskelentspannung angekommen, das du für Sportler gemischt hast. Schon jetzt kommen viele Skiläufer, Fußballer und Polospieler aus der ganzen Welt in unser Hotel. Allein durch Mundpropaganda. Howard hat schon befürchtet, dass wir bald kein Öl aus San Rinaldi mehr haben.“

Natalia musste lachen. Über aufrichtiges Lob freute sie sich immer, und besonders stolz machte es sie, wenn sie von den Erfolgen ihrer therapeutischen Öle erfuhr. „Dann ist es ja gut“, meinte sie, „dass ich Howards Andeutungen letzte Woche am Telefon richtig verstanden und euch einen Nachschub bestellt habe. Die Tinkturen müssten bald geliefert werden.“

Als Ehefrau von Prinz Kadir konnte sie keine eigene Firma mehr betreiben. Trotzdem war Natalia fest entschlossen, weiterhin neue Rezepte für Öle und Duftstoffe zu entwickeln. Schon längst war anerkannt worden, dass Musik und Farben Einfluss auf den Heilungsprozess von Kranken und überhaupt auf das allgemeine Wohlbefinden hatten. Seit Neuestem wurde auf San Rinaldi erst ein Bewusstsein dafür geschaffen, dass Düfte genauso heilend auf Körper, Geist und Gemüt wirkten. Natürlich vorausgesetzt, man mischte sie richtig und machte keinen Fehler in der Anwendung.

Seit Jahren träumte Natalia davon, eine Vielfalt von Düften zu kreieren, die all das bewirkten. Als Königin von San Rinaldi würde ihr zudem freistehen, diese Mittel kostenlos an Bedürftige zu verteilen.

„Du isst heute Abend natürlich mit uns“, erklärte Maya. „Wir dachten aber, dass du dich erst einmal in Ruhe in Venedig umsehen möchtest. Später setzen wir uns dann zusammen und verhandeln über den Ankauf der Rezepte für deine Öle. Einverstanden?“

„Damit bin ich absolut einverstanden“, erwiderte Natalia und lachte, als ihre Freundin sie nochmals umarmte.

„Ach, Natalia“, rief Maya, „ich bin unbeschreiblich froh, dass du das alles für uns tust.“

Natalia freute sich immer, wenn sie ihren Freunden helfen konnte. Und sie war erleichtert, jetzt Zeit für sich zu haben. Es gab nämlich einen ganz bestimmten Ort in der Lagunenstadt, den sie unbedingt aufsuchen wollte.

Am späten Nachmittag zog bereits Nebel durch die Kanäle und über die Plätze. Die veränderte Stimmung in der Stadt der tausend Kanäle berührte Natalia tief. Jetzt wirkte alles in Venedig ernst und melancholisch. Nichts war geblieben vom bunten Karnevalstrubel oder dem Wirbel der vielen Touristen, die nur auf die bunten Oberflächen sahen.

Natalia kam schon seit Jahren immer wieder hierher und kannte die Geheimnisse der Lagunenstadt. Zielstrebig ging sie zu der Anlegestelle, um mit einem Vaporetto zu einer kleinen Glasbläserei zu fahren. Als Natalia zum ersten Mal durch die schmalen Gassen Venedigs spaziert war, hatte sie das kleine Geschäft entdeckt. Schon damals war sie von den wunderschönen handgemachten Parfumfläschchen begeistert gewesen. Fasziniert hatte sie beobachtet, wie das Glas geblasen wurde.

Bisher war sie jedes Mal in die Glasbläserei gegangen und hatte ein Fläschchen gekauft, dessen Form und Farbe ihre gegenwärtige Stimmung widerspiegelte. Schon jetzt war Natalia gespannt darauf, was ihren Blick diesmal anziehen und nicht mehr loslassen würde. Es war eine Art Spiel. Sie versuchte, sich vorher nichts zu überlegen, sondern spontan auszuwählen und sich überraschen zu lassen.

Nachdem das Vaporetto angelegt hatte, überquerte sie die Piazza neben dem Hotel. Plötzlich dachte Natalia daran, dass sie jetzt genau den gleichen Weg nahm wie der Mann, den sie vom Bootstaxi aus beobachtet hatte. Warum hatte sie ihn nicht vergessen? Glaubte sie vielleicht, sie würde ihn wiedersehen? Nein, völliger Unsinn nach dem flüchtigen und desinteressierten Blick, den er ihr zugeworfen hatte. Außerdem sollte sie bald heiraten. Nicht einmal als Jugendliche hatte sie von einem hochgewachsenen und attraktiven Mann geschwärmt, den sie zufällig auf der Straße gesehen hatte. Wieso passierte das ausgerechnet jetzt?

So wirkt Venedig eben auf dich, gestand Natalia sich ein. In dieser Stadt widerfuhren ihr Dinge wie sonst an keinem Ort. Ihre Fantasie war hier angeregter, die Farben erschienen Natalia hier intensiver, die Geräusche anders. Diese Stadt besaß einen Zauber wie keine andere – in mehr als einer Hinsicht.

„Ach, Sie sind es, Signorina! Sie werden mit jedem Besuch schöner!“ Der alte Mario, Familienoberhaupt in der Glasbläserei, empfing Natalia mit einem breiten herzlichen Lächeln.

„Und Sie werden ein immer größerer Schmeichler, Mario“, entgegnete Natalia lachend. Dabei blickte sie erwartungsvoll an dem Mann vorbei zum innersten Heiligtum, der Vitrine, in der die Einzelstücke aufbewahrt wurden. Natalia kam sich wie ein Kind bei der Weihnachtsbescherung vor und konnte kaum erwarten, sich etwas auszusuchen.

Mario ging voraus. Schon wollte Natalia ihm folgen, doch sein Sohn hielt sie zurück.

„Entschuldigen Sie, aber wir haben diesmal etwas Besonderes für Sie“, sagte er höflich. „Mein Vater hat es selbst gemacht. Er sagte, er hätte plötzlich an Sie gedacht und sei seiner Inspiration gefolgt.“

Innerlich schluckte Natalia, ließ sich jedoch nichts anmerken. Dennoch, sie hatte ihre eigenen Vorstellungen und wollte selbst ein Parfumfläschchen aussuchen. Andererseits brachte sie es nicht übers Herz, den alten Mann womöglich zu enttäuschen und zu beleidigen.

Er ging ins Lager. Ihr kam es wie eine Ewigkeit vor, ehe er mit einem sichtlich oft gebrauchten Karton zurückkehrte, der bis oben hin mit zusammengeknülltem Papier gefüllt war.

„Hier“, sagte er und hielt ihr den Karton hin.

Höflich lächelnd nahm sie den Pappkasten entgegen und zog vorsichtig das Papier heraus, bis sie ein kleines Parfumfläschchen entdeckte. Auf den ersten Blick nahm Natalia nur alle Farben des Regenbogens wahr, in sämtlichen Schattierungen, mit Silber und Gold durchzogen. Es waren die schönsten Farben, die sie je gesehen hatte. Schier überwältigt, konnte sie kaum eine vorherrschende Farbe bestimmen.

„Nehmen Sie es in die Hand“, drängte Mario.

Zögernd holte sie das Fläschchen aus dem Karton und hielt es andächtig hoch.

„Sehen Sie genau hin“, verlangte der Glasbläser.

Es verschlug Natalia den Atem. Das Fläschchen schimmerte und glühte im Licht, als wäre das Glas noch flüssig. Dem Gefäß schien ein Leben innezuwohnen, das vibrierte und pulsierte. Natalia wagte kaum, den Flakon in den Fingern zu halten, um ihn nicht zu beschädigen.

„Was ist das?“, flüsterte sie tief beeindruckt.

„Diamantglas nach einem sehr alten und ganz besonderen Rezept“, erklärte Mario. „Wir setzen es nicht mehr ein, weil man nur schwer an die nötigen Zutaten herankommt. Außerdem müssen sie mühsam zermahlen und dann so stark erhitzt werden, dass es für den Glasbläser nicht ungefährlich ist. Es geht die Legende, dass nur der Doge nach diesem Rezept erzeugtes Glas besitzen durfte.“

„Das Rezept wurde der Sage nach einem einflussreichen Kalifen gestohlen“, warf sein Sohn ein. „Nur meine Familie kennt die genaue Zusammensetzung und Vorgehensweise.“

Autor

Penny Jordan
<p>Am 31. Dezember 2011 starb unsere Erfolgsautorin Penny Jordan nach langer Krankheit im Alter von 65 Jahren. Penny Jordan galt als eine der größten Romance Autorinnen weltweit. Insgesamt verkaufte sie über 100 Millionen Bücher in über 25 Sprachen, die auf den Bestsellerlisten der Länder regelmäßig vertreten waren. 2011 wurde sie...
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