Ein Liebeslied für Mr Winterset

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Die schöne Violinistin Elizabeth lebt für die Musik. Nur manchmal, in einsamen Nächten, sehnt sie sich nach einem Mann, der sie Noten und Engagements vergessen lässt – einem Mann wie dem umwerfenden Jared Winterset! Der leider nicht an die große Liebe zu glauben scheint …


  • Erscheinungstag 08.05.2023
  • ISBN / Artikelnummer 9783751521925
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

PROLOG

„Ich freue mich, Ihnen mitteilen zu können, dass Ihre Laborergebnisse völlig normal ausgefallen sind“, sagte Dr. John Stephens lächelnd und klappte Maizie Sommers’ Ordner zu. Er drehte seinen Stuhl so, dass er sie direkt ansah. „Wenn alle meine Patienten so gesund wären wie Sie, wäre ich gezwungen, mich zur Ruhe zu setzen.“

„Bloß nicht“, warnte Maizie den Mann, den sie schon seit mehr als vierzig Jahren kannte, erst als Arzt und dann als Freund. „Ärzte wie Sie sind heutzutage schwer zu finden.“

„Sie meinen alte?“ Er lachte.

„Nein, ich meine fürsorgliche. Und Sie sind nicht alt, John“, beharrte sie, sein volles silbriges Haar und das lebendige Funkeln seiner Augen bewundernd. „Ehrlich gesagt wirken Sie manchmal jünger als jeder andere Mann, den ich kenne.“

Der Arzt konnte nur lachend den Kopf schütteln. Maizie hatte die Gabe, immer genau das Richtige zu sagen. Er freute sich über ihr Kompliment. „Dann sollten Sie eindeutig öfter ausgehen, Maizie“, scherzte er. „Das ist mein Rezept für Sie – sich eine gute Basis zu schaffen.“

„Mit meiner ‚Basis‘ ist alles in Ordnung, danke auch“, versicherte Maizie ihm mit Nachdruck. „Da können Sie ganz beruhigt sein.“

„Dann läuft Ihre Firma also gut?“, fragte John mit einem Blick auf die Uhr. Er hatte noch Zeit bis zum nächsten Termin und daher die Gelegenheit, noch ein bisschen mit Maizie zu plaudern. Um sich und ihre Tochter nach dem Tod ihres Mannes durchzubringen, war sie Maklerin geworden und hatte inzwischen eine eigene Firma.

„Gott sei Dank, ja. Menschen kaufen noch immer Häuser, und ich sorge dafür, dass sie ihr Traumhaus finden.“ Maizie sprach nie gern länger als eine Minute über sich selbst. Die Menschen, denen sie begegnete, waren ihr viel wichtiger, ihr Arzt eingeschlossen. „Wie geht es Ihren Kindern?“

Dr. Stephens schob den Ordner auf die andere Seite des Schreibtisches. „Sie sind gesund.“

Maizie beugte sich ein Stück vor. „Danach habe ich nicht gefragt, John.“

Lachend schüttelte er den Kopf. Die Frau war unglaublich, aber das hatte er schon öfter gedacht. „Manchmal glaube ich, Sie verschwenden Ihr Talent. Sie wären eine tolle Anklägerin.“

„Ich habe keine Lust, Menschen strafrechtlich zu verfolgen. Außerdem liebe ich es, Häuser und Menschen zusammenzubringen. Und Paare“, rief sie ihm lächelnd ins Gedächtnis.

„Ah ja, Sie verkuppeln Pärchen.“ Bei ihrem letzten Termin hatte sie ihm davon erzählt. „Machen Sie das noch?“

„Ja. Genau wie Theresa und Cecilia“, fügte sie hinzu. Mit den beiden war Maizie seit der dritten Klasse eng befreundet. Alle drei waren sie verwitwet, alle drei Geschäftsfrauen und alle drei liebten es, in ihrer Freizeit Menschen zu verkuppeln. Völlig unentgeltlich natürlich. Menschen zusammenzubringen, die wie füreinander geschaffen waren, war für sie Belohnung genug.

„Und wie läuft das so?“, fragte John betont beiläufig.

Maizie horchte sofort auf. Hatte er sich endlich eingestanden, dass er einsam war und eine Frau brauchte? Sie war nur zu gern bereit, ihm bei der Suche zu helfen.

„Ganz ausgezeichnet, danke. Wir haben bisher eine Erfolgsrate von hundert Prozent.“ Maizie beschloss, nicht länger um den heißen Brei herumzureden. „Wollen Sie unsere Dienste vielleicht in Anspruch nehmen, John?“

John starrte sie überrascht an. „Nicht für mich persönlich“, antwortete er, als ihm bewusst wurde, dass er doch nicht so diskret gewesen war wie er geglaubt hatte.

„Ich verstehe, John.“ Insgeheim nahm Maizie sich vor, ihm sofort zu helfen, sollte er seine Meinung noch ändern. „Wir sind uns in mancher Hinsicht sehr ähnlich – eine Liebe reicht Ihnen und mir für ein ganzes Leben. Als Annie starb, haben Sie Ihre drei Kinder und Ihre Karriere vor alles andere gestellt.“

John war erstaunt, dass Maizie das wusste. „Sie sind wirklich eine bemerkenswerte Frau, Maizie Sommers.“

„Das höre ich öfter“, antwortete sie lächelnd, bevor sie beschloss, zum Punkt zu kommen. „Und? Welches Ihrer Kinder bereitet Ihnen schlaflose Nächte?“

John wollte Elizabeth gegenüber nicht illoyal sein. Nach außen hin war seine Tochter glücklich und erfolgreich. Sie war auch nicht verzweifelt auf der Suche nach einem Partner, aber trotzdem machte er sich manchmal Sorgen um sie. „Sie gibt mir eigentlich keinen Anlass zur Sorge. Es ist nur …“ Er verstummte, da ihm die richtigen Worte fehlten.

„Sie sind trotzdem besorgt“, stellte Maizie fest. „Ich dachte, Elizabeth hat einen Freund?“

John runzelte die Stirn, als er an die einzige feste Beziehung seiner Tochter dachte. „Das ist schon seit einer ganzen Weile vorbei. Er wollte sie immer verändern, anstatt sie so zu lieben, wie sie ist – und sie ist eine tolle Frau.“

Maizie lächelte. „Sagt der hingebungsvolle Vater.“

John musste sich eingestehen, dass Maizie nicht ganz unrecht hatte. Er liebte all seine Kinder, aber Elizabeth war die Älteste und seine einzige Tochter. Sie war sein Augapfel, und er wollte, dass sie glücklich war.

Aber das schien sie nicht zu sein.

„Wir waren neulich zusammen essen, und sie hat mir gestanden, dass sie das Gefühl hat, das Leben ziehe an ihr vorbei, weil sie immer nur die Hintergrundmusik bei den Happy Ends anderer Menschen spielt.“

„Mit anderen Worten, ich soll den Mr Perfect für sie finden.“

Zu ihrer Überraschung schüttelte John den Kopf. „Nein. Es gibt keinen ‚Mr Perfect‘ und …“

Maizie fiel ihm ins Wort: „Sagen Sie das als Realist oder als Vater, für den kein Mann je gut genug für seine Tochter sein wird?“

John sah sie verdutzt an. „Wahrscheinlich ein bisschen von beidem, aber vor allem Letzteres“, gestand er nach kurzem Nachdenken.

Maizie lachte. „Okay, mal sehen, was sich machen lässt.“

Der Arzt stand auf und brachte Maizie zur Tür. „Ich hatte nie gedacht, dass ich mal zu den Vätern gehören würde, die ihre Tochter unbedingt an den Mann bringen wollen. Elizabeth ist begabt und schön. Die Männer müssten sich doch eigentlich um sie reißen.“

„Vielleicht tun sie das ja auch“, antwortete Maizie dem überraschten Arzt. „Vielleicht sind Elizabeths Ansprüche ja ungewöhnlich hoch. Vielleicht“, fuhr sie fort, „sucht sie ja jemanden, der so integer und anständig ist wie ihr Vater.“

Das war ihm noch nie in den Sinn gekommen. „Glauben Sie wirklich, dass sie nur deshalb noch Single ist?“

„Vielleicht ist es Ihnen nicht bewusst, aber Sie setzen Standards, die nicht leicht zu erreichen sind.“ Augenzwinkernd fügte Maizie hinzu: „Aber keine Sorge, ich werde mein Bestes tun.“

„Ich weiß nicht, ob ich jetzt erleichtert oder besorgt sein soll“, gestand John.

„Machen Sie sich nicht so viele Gedanken, John“, beruhigte sie ihn sanft. „Ich melde mich bald bei Ihnen.“

Beschwingt verließ Maizie die Praxis. Endlich hatten sie und ihre Freundinnen wieder eine Mission.

1. KAPITEL

Mühelos ließ Elizabeth Stephens die Finger über die Violinsaiten gleiten, doch je länger sie spielte, desto stärker verspürte sie jene altbekannte Sehnsucht in sich aufsteigen – den Wunsch, selbst im Mittelpunkt einer Feier zu stehen, anstatt immer nur für die Hintergrundmusik zu sorgen, so wie in diesem Moment.

Als ihr bewusst wurde, dass sie mal wieder in Selbstmitleid ertrank, verzog sie schuldbewusst das Gesicht. Beruflich konnte sie sich wirklich glücklich schätzen. Immerhin konnte sie sich mit ihrem Job nicht nur über Wasser halten, sondern sogar noch etwas Geld auf die Seite legen. Klar würde sie sich in absehbarer Zeit keine Jacht leisten können, aber sie kam mehr als über die Runden, während andere in ihrem Berufsfeld ihren Traum entweder ganz aufgaben oder das Musikmachen nur noch als Hobby betrieben.

Sie hingegen lebte ihren Traum, Musikerin zu sein. Zurzeit spielte sie zum Beispiel in einem Musiktheater Anatevka und machte mit einem sechsköpfigen Ensemble Filmmusik für eine romantische Sitcom mit dem Titel Mehr als Mitbewohner. Außerdem trat sie bei Hochzeiten, Jubliäen, Abschlussfeiern und anderen Privatfesten auf.

Elizabeth setzte ein Lächeln auf, während sie und die vier anderen Musiker, die für Barry Edelsteins Bar-Mitzwa engagiert worden waren, einen weiteren Song anstimmten.

Doch nicht der Dreizehnjährige, der seine religiöse Mündigkeit feierte, löste in ihr das unangenehme Gefühl aus, immer nur am Rand des Geschehens zu stehen und zu spielen, während alle anderen um sie herum sich prächtig amüsierten. Nein, es war die ältere Schwester des Jungen, Rachel. Die schöne Brünette schien keinen Blick für ihre Umgebung zu haben – die Musik eingeschlossen –, weil sie viel zu beschäftigt damit war, einem jungen Mann tief in die Augen zu sehen.

Elizabeth beobachtete die beiden neidisch. Sie tanzten so eng, dass jeder sehen konnte, wie verliebt sie waren. Und dass sie nur Augen füreinander hatten.

Elizabeth unterdrückte einen Seufzer. Wann habe ich auch endlich mal eine Liebesbeziehung? fragte sie sich voller Selbstmitleid. Wann erlebe ich endlich meine eigene Romanze?

„Alles okay, Lizzie?“, flüsterte ihr Kollege Jack Borman ihr zu und beugte sich zu ihr herüber. Jack spielte Keyboard und hatte ihr schon zahlreiche Jobs vermittelt. Leider machte er keinen Hehl daraus, dass er sich auch privat für sie interessierte, was absolut nicht auf Gegenseitigkeit beruhte.

„Alles in Ordnung“, antwortete Elizabeth. Geschieht mir ganz recht, dachte sie. Sie war zum Spielen gekommen und nicht, um andere um etwas zu beneiden, das ihr fehlte. Außerdem würde dieses Paar in einem Jahr vielleicht gar nicht mehr zusammen sein, und dann waren die beiden überhaupt nicht mehr zu beneiden. Nichts war so schmerzlich wie der Verlust eines geliebten Menschen.

Schluss damit, schalt Elizabeth sich innerlich. Was ist eigentlich los mit mir?

Sie sollte sich darüber freuen, ihren Traum vom Musikmachen verwirklicht zu haben, anstatt über das nachzugrübeln, was sie nicht hatte. Seit wann war sie so negativ?

Außerdem muss man sich verdammt gut überlegen, was man sich wünscht, schon vergessen?

Elizabeth wandte den Blick von dem verliebten Paar ab und schloss die Augen, um den Anschein zu erwecken, sich ganz der Musik hinzugeben. In Wirklichkeit wollte sie nur den Blickkontakt mit Jack vermeiden. Sie war ihm sehr dankbar für die Jobs, die er ihr vermittelte, aber noch dankbarer wäre sie, wenn er endlich einsehen würde, dass sie nur Freunde sein konnten. Sonst würde sie ihm noch ziemlich direkt sagen müssen, dass sie sich absolut nicht zu ihm hingezogen fühlte, eine Vorstellung, die ihr sehr unangenehm war.

Erschrocken riss sie die Augen auf, als sie Jack an ihrem Ohr flüstern hörte: „Ich gebe nachher noch eine kleine Privatparty. Falls du Interesse hast …“, fügte er bedeutungsschwanger hinzu.

Elizabeth zwang sich zu einem Lächeln. „Ich würde ja gern, aber ich kann nicht“, antwortete sie mit gedämpfter Stimme. „Ich muss mich noch auf meinen Job im Tonstudio morgen vorbereiten.“

Elizabeths Wohnung fühlte sich noch verlassener an als sonst, als sie später nach Hause kam. Sie hatte zwar vor ihrem Aufbruch zur Bar-Mitzwa extra eine Lampe brennen lassen, um sich bei ihrer Rückkehr weniger einsam zu fühlen, aber leider brachte das nichts.

Sie schloss die Tür hinter sich, legte ihre Geige auf den Boden, Schlüssel und Handtasche auf das niedrige Bücherregal im Flur und streifte sich die Schuhe ab. Vielleicht sollte ich mir ein Haustier zulegen, dachte sie. Einen niedlichen kleinen Hund, der mich freudig begrüßt, wenn ich nach Hause komme.

Für den Bruchteil einer Sekunde dachte sie ernsthaft darüber nach. Sie hatte jede Menge Liebe zu schenken. Aber sie würde sich nur schuldig fühlen, wenn sie das arme Ding in ihrer Wohnung einsperren musste, während sie arbeitete. Außerdem konnte sie einem Tier keinen festen Tagesablauf gewähren, so unregelmäßig wie sie arbeitete.

Nein, das beste Mittel gegen meine Einsamkeit ist mehr Arbeit, beschloss sie. Nur wenn sie spielte, fühlte sie sich ganz – so, als ob sie der Welt etwas Wertvolles und Schönes schenkte. Sie besaß die Gabe, ihr Publikum mit der Violine zum Lachen und zum Weinen zu bringen.

Sie warf einen Blick auf ihren Anrufbeantworter und sah die Anzeige blinken. Sie hatte Nachrichten, eine davon war bestimmt von ihrem Vater. Er rief sie jeden Abend an, ganz egal, wie beschäftigt er war. Dafür muss ich wirklich dankbar sein, dachte Elizabeth. Nicht jeder hatte einen Vater, der seine drei Kinder trotz eines anstrengenden und zeitraubenden Jobs absolut hingebungsvoll großgezogen hatte.

Der plötzliche Krebstod seiner Frau hatte ihn viel zu früh zum Witwer mit drei kleinen Kindern gemacht und ihn vorübergehend völlig aus der Bahn geworfen. Doch anstatt die Kinder zu seiner Schwiegermutter abzuschieben oder eine Nanny zu engagieren, hatte er sich sein Leben so eingerichtet, dass er bei jeder Schulaufführung, jedem Konzert und sogar jedem Elternabend dabei sein konnte.

Elizabeth liebte ihn und würde ihm für immer dankbar für all die Opfer sein, die er im Laufe der Jahre gebracht hatte. Es gab nichts, das sie nicht für ihn tun würde, und sie wusste, dass es ihren Brüdern genauso ging.

Vielleicht war das ja auch ein Grund, warum es ihr so schwerfiel, einen Partner zu finden. Sie wollte einen Mann, der genauso warmherzig, verantwortungsbewusst und fürsorglich war wie ihr Vater. War sie zu anspruchsvoll?

Ihr Vater erfüllte diese Ansprüche. War es wirklich so unvernünftig zu hoffen, dass es irgendwo auch für sie so jemanden gab? Und der zusätzlich zu all diesen tollen Eigenschaften ihre Welt zum Stillstand brachte?

Ihre Mutter hatte ihr erzählt, dass es ihr bei ihrer ersten Begegnung mit Elizabeths Vater so ergangen war. Es gehörte zu Elizabeths kostbarsten Erinnerungen, neben ihrer Mutter zu sitzen und ein Fotoalbum durchzublättern. Sie wusste noch, dass es an jenem Tag geregnet hatte. Sie war damals vier oder fünf Jahre alt gewesen, Eric etwa zwei und Ethan noch ein Baby. Ihre Mutter hatte zu jedem Foto eine Geschichte erzählt.

Doch im Sommer darauf war sie nicht mehr da gewesen.

Einfach so.

Eine heimtückische grausame Krankheit hatte sie ihnen geraubt. Erst nach zwei Jahren hatte Elizabeths Vater sich verziehen, dass er seine Frau nicht hatte retten können.

Das ist echte Liebe, dachte Elizabeth seufzend. Leider etwas, das sie nie finden würde.

Sie presste die Lippen zusammen. Sie würde sich eben damit abfinden müssen. Außerdem – was war, wenn sie jenen besonderen Mann fand und ihn dann verlor, so wie ihr Vater ihre Mutter? Vielleicht war es das Beste, sich einem solchen Schmerz gar nicht erst auszusetzen.

Resigniert ging sie zum Kühlschrank, um nachzusehen, womit sie zumindest die Leere in ihrem Bauch füllen konnte.

Viel Auswahl gab es nicht.

Ihr Vater gab ihr immer etwas zu essen mit, wenn sie ihn besuchte. Er war nicht nur ein toller Arzt, sondern auch ein erstklassiger Koch, der aus fast nichts ein leckeres Gericht zaubern konnte. Leider hatte sie das Kochgen nicht von ihm geerbt. Bei ihr brannte sogar Wasser an, weshalb sie meistens nur Takeaway-Reste im Kühlschrank hatte.

„Heute gibt’s chinesisch“, murmelte sie und nahm zwei Kartons mit chinesischen Schriftzeichen aus dem Kühlschrank. Sie stellte sie auf ihren kleinen Küchentisch, griff nach dem schnurlosen Telefon und machte es sich bequem. Während sie aß, drückte sie auf Play.

Wie vermutet war der erste Anruf von ihrem Vater. Elizabeth lauschte seiner sonoren Stimme lächelnd. „Bist du da, Elizabeth?“ Eine kleine Pause folgte. „Nein? Na ja, du bist vermutlich gerade mit Musikmachen beschäftigt. Ich hoffe, du hattest einen schönen Abend. Schlaf gut, meine kleine Virtuosin. Ich versuche, dich morgen anzurufen. Falls nicht, sehen wir uns Donnerstag. Hab dich lieb.“

So beendete ihr Vater jeden Anruf, genauso wie jeden Besuch. Diese Worte zu hören, brachte Elizabeth immer zum Lächeln – und gab ihr ein Gefühl der Beständigkeit. „Ich dich auch, Dad“, murmelte sie.

Die nächste Nachricht löschte sie sofort. Irgendjemand fragte nach einer Spende für ein College an der Ostküste, von dem sie noch nie etwas gehört hatte. Die dritte und letzte Nachricht gehörte zu jenen, mit denen sie ihre Brötchen verdiente.

Beim Klang der tiefen klangvollen Stimme hob sie ruckartig den Kopf und legte ihre Gabel weg. Hastig griff sie nach einem Kugelschreiber und einem Notizblock, um sich Details zu notieren.

„Ich weiß nicht, ob ich die richtige Nummer gewählt habe, aber eine Mrs Manetti hat Sie mir empfohlen. Sie catert für mich. Na ja, nicht für mich, aber für meine Eltern, bis auf dass die noch keine Ahnung …“ Elizabeth hörte den Mann ungeduldig seufzen. „Ich fange lieber noch mal von vorne an.“

„Nur zu“, murmelte Elizabeth belustigt. Sie schob sich rasch eine Gabel voller Essen in den Mund, griff wieder nach dem Kugelschreiber und wartete.

„Ich gebe da diese Party, und jemand meinte, dass Musik dabei gut wäre …“

„Oh ja“, stimmte Elizabeth mit Inbrunst zu. „Musik ist immer gut.“ Und dafür bezahlt zu werden auch.

Der Mann mit der tiefen Stimme räusperte sich ein paar Mal. Elizabeth wartete geduldig.

„Ich … äh … versuche es später noch mal“, sagte er, bevor er abrupt auflegte.

Das war alles? Elizabeth starrte ihren Anrufbeantworter entgeistert an. „Ich kann nicht fassen, dass er einfach aufgelegt hat!“ Sie drückte auf die Taste für die Rufnummernanzeige, doch seine Nummer war unterdrückt. Er hatte ihr noch nicht mal seinen Namen genannt, nichts. Der Mann mit der sexy Stimme und den Artikulationsschwierigkeiten schätzte offensichtlich seine Privatsphäre.

Elizabeth seufzte genervt. Sie hasste nichts mehr, als wenn ihr ein Job durch die Lappen ging. Vielleicht ruft er ja wieder an, versuchte sie sich zu trösten und legte das Telefon zur Seite. Man konnte nur hoffen. Sie konnte nämlich immer neue Aufträge gebrauchen.

Jared Winterset hob völlig übernächtigt den Hörer ab. „Na, hat alles geklappt, Jared?“, hörte er Theresa Manettis Stimme. „Haben Sie Elizabeth erreicht?“

Sie überrumpelte ihn etwas mit dieser Frage, zumal er um diese Uhrzeit noch keinen klaren Gedanken fassen konnte. Er war am Tag zuvor erst sehr spät ins Bett gegangen, um noch letzte Hand an eine Werbeanzeige anzulegen, und sprühte daher nicht gerade vor Energie.

Jared mochte Theresa. Er kannte sie von den Partys, die er beruflich manchmal für Kunden gab. Vor zwei Jahren hatte ihm mal jemand ihre Visitenkarte in die Hand gedrückt und sie ihm wärmstens empfohlen. Im Laufe der Zeit hatte sich fast so etwas wie eine lockere Freundschaft zwischen ihnen entwickelt. Sie war wie eine Tante für ihn, und er schätzte ihren Rat. Sie war diejenige, die ihm die Telefonnummer der Geigerin gegeben hatte, die er gestern nicht hatte erreichen können.

„Nein, sie war nicht zu Hause. Ich habe versucht, eine Nachricht auf ihrem Anrufbeantworter zu hinterlassen, aber das hat nicht funktioniert.“

Zu seiner Überraschung ließ Theresa es nicht dabei bewenden, sondern hakte nach: „Was ist passiert?“

„Schlechte Verbindung“, antwortete Jared ausweichend.

Okay, das war zwar gelogen, aber er hatte absolut keine Lust einzugestehen, dass er die Nachricht mittendrin abgebrochen hatte, weil er unfähig gewesen war, sich vernünftig zu artikulieren. Er würde es einfach ein andermal versuchen. Anrufbeantworter brachten ihn irgendwie aus dem Konzept. Zumindest lief er nicht gerade zu Hochform auf, wenn er eine Nachricht draufsprechen musste.

Dabei war er ein Werbeprofi, der laut der jährlichen Bewertung seiner Firma und der Rückmeldung seiner Kunden sehr gut mit Menschen umgehen konnte. Mit der Technik hatte er es hingegen weniger, weshalb er auch so gut wie nie online war, es sei denn, er musste beruflich recherchieren. Er verspürte weder das Bedürfnis, sich im Internet auf die Suche nach alten Bekannten zu machen noch neue Freunde zu finden. Er zog den persönlichen Austausch vor.

Theresa ließ immer noch nicht locker. „Aber Sie versuchen es doch wieder?“

„Na ja, in den nächsten Tagen habe ich ziemlich viel um die Ohren.“ Jared musste noch einige Details wegen der Feier für seine Eltern organisieren, ganz zu schweigen davon, dass er beruflich mehr als genug zu tun hatte. „Ich habe eine Idee“, schlug er vor. „Warum organisieren Sie mir nicht eine Band? Das Catering haben Sie doch bisher auch immer fantastisch hingekriegt.“

Nein, nein! dachte Theresa frustriert. Du verstehst nicht, worum es geht!

Maizie, eine ihrer besten Freundinnen, hatte sie gleich nach ihrem Arzttermin angerufen, um ihr von Dr. Stephens Tochter zu erzählen. Gemeinsam hatten sie Cecilia, ihre andere Freundin, mit ins Boot geholt, um gemeinsam zu beratschlagen, ob ihnen ein geeigneter Kandidat für Elizabeth einfiel.

Theresa war zuerst auf jemanden gekommen: Jared. „Ich bin für alles zuständig, was das Essen angeht, aber die Musik für Ihre Eltern müssen Sie schon selbst aussuchen“, erklärte sie. „Schließlich wissen Sie am besten, was den beiden gefällt.“

Ehrlich gesagt hatte Jared keine Ahnung, welche Art Musik seine Eltern gern hörten. Er konnte sich nur vage daran erinnern, dass seine Mutter in seiner Kindheit gern alte Musicals gehört hatte, aber was seinen Vater anging … „Vielleicht das Gleiche wie Sie?“, fragte er hoffnungsvoll.

Das hier scheint ein schwerer Fall zu werden, dachte Theresa und unterdrückte einen Seufzer. Sie hatte jedoch nicht die Absicht, vorschnell aufzugeben. Menschen waren zu zweit glücklicher als allein, davon war sie fest überzeugt.

Autor

Marie Ferrarella
<p>Marie Ferrarella zählt zu produktivsten US-amerikanischen Schriftstellerinnen, ihren ersten Roman veröffentlichte sie im Jahr 1981. Bisher hat sie bereits 300 Liebesromane verfasst, viele davon wurden in sieben Sprachen übersetzt. Auch unter den Pseudonymen Marie Nicole, Marie Charles sowie Marie Michael erschienen Werke von Marie Ferrarella. Zu den zahlreichen Preisen, die...
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