Flucht in deine starken Arme

– oder –

Im Abonnement bestellen
 

Rückgabe möglich

Bis zu 14 Tage

Sicherheit

durch SSL-/TLS-Verschlüsselung

Ich kann nicht heiraten! Das wird Gabriella schlagartig klar, als sie am Hochzeitsmorgen erwacht. Eine Vernunftehe ist für sie undenkbar, auch wenn sie so die Firma ihrer Eltern retten würde. Sie flieht - doch der mächtige Unternehmer Will Pemberton, Bruder des Bräutigams, ist ihr auf den Fersen. Und als er sie findet, wird das Chaos in Gabriellas Herzen noch größer. Denn es ist ein Skandal, dass sie ihren Verlobten sitzenlässt. Aber ein noch viel größerer Skandal ist es, dass es zwischen ihr und Will heiß knistert und sie sich in ihn verliebt!


  • Erscheinungstag 20.04.2021
  • Bandnummer 082021
  • ISBN / Artikelnummer 9783733718695
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Surrey, Mitte Juli

Mit zusammengepressten Lippen starrte William Pemberton auf den cremefarbenen Bogen Papier in seiner Hand. Nebenan, in der Hauskapelle von Chatsworth Hall, wartete sein älterer Bruder Stephen, Earl von Chatsworth, auf seine Braut. Die Gäste hatten bereits in den Kirchenbänken Platz genommen, und die Organistin spielte leise Melodien. Allerdings zog sich die Wartezeit mittlerweile so lange hin, dass sie begann, die Stücke zu wiederholen. Die Brautjungfern standen aufgereiht am Eingangsportal, ihre Kleider und die Blumensträuße waren perfekt aufeinander abgestimmt. Und nun war William losgeschickt worden, um herauszufinden, wo die Braut blieb.

Doch statt der künftigen Frau seines Bruders hatte er nur diese Nachricht gefunden.

Es tut mir leid. Bitte verzeih mir.

William versuchte, seinen Zorn im Griff zu behalten. Sein Bruder war ein guter Mensch, und so etwas hatte er nicht verdient – insbesondere nicht, nachdem schon eine frühere Verlobung gelöst worden war. Zwar wusste der Rest der Familie die genauen Umstände der Trennung von Bridget nicht. Nur William, der seinen Bruder in einer Nacht im vergangenen Februar völlig betrunken in der Bibliothek gefunden hatte, kannte die Wahrheit. Der Gin hatte die Zunge seines Bruders gelockert, und so hatte William die ganze schäbige Geschichte erfahren.

Auch wenn William von Anfang an der Meinung gewesen war, dass Stephens Hochzeit mit Gabriella ein Fehler war, ging dieses Verhalten hier zu weit. Wofür hielt sich diese Gabriella Baresi eigentlich? Sie hatte reichlich Zeit gehabt, über ihren Entschluss nachzudenken. Stattdessen hatte sie bis zum letzten Moment gewartet und somit Stephen – und seine Familie – im größtmöglichen Maße gedemütigt. Die Wut brachte Williams Blut zum Kochen. Nicht nur, dass Gabriella seinen Bruder verletzte, das Ganze war auch eine Katastrophe für den Ruf der Firma.

Er atmete tief durch. Jetzt war Schadensbegrenzung angesagt, und das war seine Aufgabe. Heute würde es keine Hochzeit geben, und er musste sich ganz schnell etwas überlegen, damit daraus kein Skandal wurde, der Schlagzeilen machte. Das konnten die Pembertons und die Firma nicht gebrauchen. Insbesondere nicht jetzt, so kurz nach dem Tod ihres Vaters.

Er faltete die Nachricht zu einem kleinen Quadrat, schob sie in seine Hosentasche, straffte die Schultern und wappnete sich für die entsetzliche Aufgabe, die vor ihm lag. Seine Schuhe klackerten auf dem Steinboden, als er beherzten Schrittes in die Kapelle zurückkehrte. Sobald er durch die Hintertür eintrat, warf ihm sein Bruder einen fragenden Blick zu. Mit einer kaum merklichen Kopfbewegung bat William ihn zu sich, und Stephen eilte auf ihn zu.

Noch immer lag das strahlende Lächeln des glücklichen Bräutigams auf seinen Lippen. Doch sobald die beiden Brüder hinter den üppigen Bouquets aus Rosen und Lilien verborgen waren, legte er die Fassade ab.

„Was ist los?“, erkundigte sich Stephen leise. „Du siehst aus, als würdest du am liebsten jemanden umbringen.“

„Das trifft es genau“, gab William grimmig zurück. „Gabriella kommt nicht. Aber ich habe einen Plan. Also hör zu und bewahre die Fassung.“

Alle Farbe wich aus Stephens Gesicht. Mit schmalen Lippen sah er seinen Bruder an. „Mein Gott. Was meinst du damit, sie kommt nicht?“

„Sie hat eine Nachricht hinterlassen, in der sie schreibt, es tue ihr leid und du mögest ihr verzeihen.“

„Zeig her.“

Schon vor langer Zeit hatte William gelernt, diesen Tonfall seines Bruders nicht zu unterschätzen. Vorsichtig, damit die Gäste nichts mitbekamen, zog er den Zettel heraus, entfaltete ihn und reichte ihn seinem Bruder.

Stephen fluchte.

„Genau meine Meinung“, stimmte William zu. „Du wirst jetzt Folgendes tun – und es wird dir deine gesamten schauspielerischen Fähigkeiten abverlangen: Du gehst zum Altar und teilst den Gästen äußerst besorgt mit, dass deine Braut sehr krank ist. Dann bittest du sie, dich zu entschuldigen, und gehst zurück ins Haus. Lass dich nicht mehr blicken. In der Zwischenzeit suche ich Gabriella, und sobald ich sie gefunden habe, überlegen wir, was zu tun ist, um den Schaden wiedergutzumachen. Binnen einer Stunde wird die ganze Sache in den sozialen Medien auftauchen, deshalb will jeder unserer Schritte gut überlegt sein.“

„Du wirst sie finden.“

„Und ob“, versprach William grimmig. „Ich weiß noch nicht, ob wir Gabriella an einer Lebensmittelvergiftung oder einer schweren Grippe erkranken lassen, auf jeden Fall wird sie zu ihrer ‚Genesung‘ von der Bildfläche verschwinden, bis wir alles unter Kontrolle haben. Und dann kannst du überlegen, ob du diese Farce weiter vorantreiben willst.“

„William …“

„Ich weiß, entschuldige. Lass uns später weiterreden. Jetzt leg den Auftritt deines Lebens hin und verschwinde dann im Haus. Ich glätte die Wogen und mache mich auf die Suche nach Gabriella.“

Stephen nickte kurz. Wenn William jemals Zweifel an den Gefühlen seines Bruders für dessen Braut gehabt hatte, waren sie jetzt ausgeräumt – Stephen war zornig, aber nicht am Boden zerstört, wie es ein Bräutigam gewesen wäre, der seine künftige Frau wirklich von Herzen liebte. Auch wenn das nur ein schwacher Trost war, so war es zumindest ein kleiner Lichtblick.

Gemessenen Schrittes ging Stephen zum Altar und räusperte sich. „Verehrte Gäste, es tut mir leid, mitteilen zu müssen, dass es heute keine Hochzeit geben wird. Gabriella ist krank geworden, es geht ihr sehr schlecht. Danke, dass Sie alle gekommen sind. Sobald die Braut wieder genesen ist, werden wir die Feier nachholen. Jetzt werde ich mich um meine … um Gabriella kümmern.“

Er setzte eine so besorgte Miene auf, dass selbst William ihm fast geglaubt hätte. Dann stürmte er hinaus, wie es einem Verlobten gebührte, der sich entsetzliche Sorgen um seine Braut machte. Doch William kannte diesen Blick und entspannte. Denn nun wusste er: Egal, was Gabriella auch sagen würde, dieses Arrangement war vorbei. Und das war wahrscheinlich ein Segen, auch wenn vorher eine Menge Scherben wegzuräumen sein würden.

Er bemerkte, dass seine Mutter auf ihn zu hastete. Ihre normalerweise weichen, fast ätherischen Züge waren von Sorge geprägt.

„William, was ist los?“, verlangte Aurora Germain Pemberton zu wissen.

„Gabriella ist abgehauen“, erklärte er leise. „Ich werde mich auf die Suche nach ihr machen und versuchen, den Schaden gering zu halten. Kannst du dich um die Gäste kümmern? Erkläre so wenig wie möglich.“

Spöttisch hob sie eine Augenbraue, als wäre allein die Frage schon überflüssig gewesen. „Selbstverständlich. Ich wünschte, ich könnte behaupten, es täte mir leid. Aber sie war keine Frau für Stephen, und sie haben sich nicht geliebt. Aber, mon dieu, sie hätte es wirklich auf eine andere Weise regeln können.“

„Du weißt, er hat sich ein freudiges Ereignis gewünscht – etwas, das dich positiv in die Zukunft blicken lässt und dich aus deiner Trauer herausholt.“

Als Aurora ihn direkt ansah, bemerkte William den Schmerz in den Tiefen ihrer grauen Augen. „Ich werde für immer um deinen Vater trauern, William. Das kann auch keine noch so schöne Hochzeit ändern.“

„Es tut mir leid.“

„Das muss es nicht. So ist das Leben.“ Sie lächelte leicht und küsste ihn auf die Wange. „Mach dir keine Gedanken – das hier ist nicht meine erste PR-Krise.“

Damit wandte sie sich um und mischte sich hoch erhobenen Hauptes und selbstsicher unter die Gäste. Seine Mutter war eine unglaublich starke Frau.

Als er sich umschaute, entdeckte William eine der Brautjungfern, die sich zurückgezogen hatte und betroffen an ihrer Unterlippe kaute. Gabriellas jüngere Schwester Giulia war extra aus Italien angereist. William winkte sie zu sich heran.

Giulia war Anfang zwanzig, und ihre Schwester hatte auch sie im Stich gelassen, wurde William klar. Normalerweise hätte er Mitleid mit ihr gehabt, doch dafür war jetzt kein Platz.

Ein junger Mann begleitete sie – nun, vielleicht war Giulia doch nicht so allein wie befürchtet.

„Geht es meiner Schwester gut?“, erkundigte sie sich vorsichtig.

„Hast du heute Morgen noch mit ihr gesprochen?“, wollte William wissen.

Giulia nickte. „Sie war aufgeregt – aber wer ist das nicht vor seiner Hochzeit?“

Forschend sah William sie an, doch er erkannte kein Anzeichen dafür, dass sie log. Auf seine Menschenkenntnis konnte er sich verlassen, und diese junge Frau war ehrlich.

„Komm mit“, sagte er und legte eine Hand auf ihren Arm. „Ich möchte offen mit dir sprechen.“

Als sich auch der junge Mann anschickte, ihnen zu folgen, schüttelte sie den Kopf, und er blieb zurück. William steuerte auf den kleinen Raum zu, in dem er Gabriellas Nachricht gefunden hatte. Nachdem er die Tür geschlossen hatte, sah er Giulia eindringlich an. „Deine Schwester ist nicht krank. Sie hat die Flucht ergriffen.“

„Oh, Dio mio!“

Diesen Kommentar hatte er mittlerweile in drei Sprachen gehört.

„Weißt du, wo sie ist? Ich muss zu ihr.“ Entsetzt sah Giulia ihn an, das Brautjungfernsträußchen baumelte unbeachtet in ihrer Hand.

„Ich hatte eigentlich gehofft, du könntest uns einen Hinweis geben, wo wir Gabriella finden. Das Ganze ist ein echtes Drama. Wir wollen nicht, dass sich die Nachricht herumspricht, verstehst du? Hat sie irgendwelche Andeutungen dir gegenüber gemacht?“

„Ich verstehe das alles nicht.“ Giulia schluchzte, und William reichte ihr ein Taschentuch.

Geduldig wartete er ab, bis sie sich die Nase geputzt hatte, dann versuchte er es erneut. „Giulia, die Hochzeit deiner Schwester mit meinem Bruder beruhte auf rein wirtschaftlichen Interessen. Wir wissen beide, dass sie nicht aus Liebe geheiratet hätten. Euer Familienunternehmen ist ziemlich angeschlagen und hätte von unserer Firma Aurora profitiert.“

Mit großen Augen sah sie ihn an, und auch wenn er nur die Wahrheit gesagt hatte, fühlte er sich wie ein Schuft, sie so kühl und sachlich ausgesprochen zu haben. So war er normalerweise nicht. Es lag vermutlich daran, dass er seit dem Tod seines Vaters eine Krise nach der anderen bewältigen musste.

„Aber meine Eltern … es ist nicht ihre Schuld …“

„Nein, natürlich nicht“, beschwichtigte er sie. „Aber bis ich Gabriella gefunden und alles geregelt habe …“ Er brach ab, denn Giulias Gesichtsausdruck verriet, dass sie sich gerade selbst über die Auswirkungen bewusst wurde.

„William …“, begann sie zögerlich, „bitte, ich möchte helfen. Schließlich ist sie meine Schwester.“

„Es gibt zwei Arten, wie du helfen kannst“, erklärte er mit fester Stimme. „Erstens: Kein Wort zu irgendjemandem. Wenn herauskommt, dass sie Stephen vor dem Traualtar hat stehenlassen, wird es keine Beziehung zwischen unseren Familien mehr geben, das schwöre ich dir.“

Eilig nickte sie.

„Und zweitens kannst du mir helfen, sie zu finden. Hast du eine Idee, wo sie sein könnte?“

Giulia schüttelte den Kopf, dann hielt sie inne. „London. Sie würde versuchen, nach London zu kommen und dort unterzutauchen. Gabriella hat mal gesagt, dass ein Mensch dort verlorengehen könnte. Wir haben damals darüber gelacht.“

„Das ist ein ziemlich vager Hinweis.“

Sie sah ihn an. „Ich weiß nicht … Sie hat erwähnt, dass sie gern im Ritz wohnen würde wie Julia Roberts in diesem Film, weißt du? Notting Hill.“

William unterdrückte das Bedürfnis, die Augen zu verdrehen. Das Ritz war keine heiße Spur, aber zumindest ein Anfang. Kurz entschlossen riss er von Gabriellas Notiz eine Ecke ab, nahm einen Stift vom Schreibtisch des Pastors und schrieb seine Handynummer darauf. „Wenn du irgendetwas von ihr hörst oder dir noch etwas einfällt, ruf mich an. Wenn ich sie nicht finde, kann ich ihr nicht helfen.“

Und er wollte ihr helfen. Denn das war die einzige Möglichkeit, seiner Familie zu helfen. Und für seine Familie würde er alles tun.

Gabriellas Hand zitterte, als sie die Tasse an die Lippen setzte. Wenn sie jetzt in Chatsworth Hall wären, hätte Stephen nach Tee verlangt. Aber Tee war in diesem Moment nicht das Richtige für Gabriella. Sie brauchte jetzt starken Espresso, und zwar mehr als einen.

Sie hatte ihn verlassen. In ihrem Brautkleid und seinem Wagen war sie aus Surrey geflohen. Am Bahnhof hatte sie das Auto stehenlassen, das Brautkleid gegen Alltagskleidung getauscht und war in den Zug nach London gestiegen. Nie zuvor hatte sie so impulsiv gehandelt.

Das maßgeschneiderte Brautkleid hing in einem Kleidersack im Schrank, sodass ihr der Anblick erspart blieb. Jetzt saß sie hier und dachte über die Konsequenzen ihrer Flucht nach, und das half nicht gerade, das Zittern ihrer Hände und den Druck auf ihrem Magen zu lindern.

Was würde nun mit Baresi Textil passieren? Mit ihren Eltern? Mit ihrer kleinen Schwester, die sie einfach zurückgelassen hatte? Zumindest hatte Giulia Marco, sie war also nicht ganz allein.

Gabriella stellte die Espressotasse ab und legte den Kopf in die Hände. Sie hatte alles ruiniert. Aber wie hätte sie es ertragen sollen, einen Mann zu heiraten, den sie nicht liebte? Ein Kind bekommen, die Scheidung einreichen – und alles nur aus wirtschaftlichen Interessen?

Es war von Anfang an eine dumme Idee gewesen. Sie hätte den Mut haben sollen, Nein zu sagen. Auch wenn sie sich Sorgen um ihren Vater gemacht und ihren eigenen Herzschmerz verborgen hatte, war das keine Entschuldigung für falsche Entscheidungen. Doch zumindest konnte sie jetzt versuchen, das Richtige zu tun.

Sobald sie an Stephen dachte, zog sich ihr Magen erneut zusammen. Er war kein schlechter Mann. Er war nett und extrem gutaussehend, und er hatte sie stets mit Respekt und Höflichkeit behandelt. Es war einfach, ihn zu mögen. Doch lieben konnte sie ihn nicht. Die Chemie zwischen ihnen stimmte nicht. Ziemlich deutlich hatte er klargemacht, dass er einen Erben wollte, der den Titel in der nächsten Generation trug. Und nach und nach hatte sie begriffen, dass sie nicht mit jemandem schlafen konnte, den sie nicht im Mindesten begehrte.

War das selbstsüchtig? Vielleicht, aber das spielte jetzt keine Rolle mehr. Es war vorbei. Sie hatte die Hochzeit ruiniert und damit auch Stephens Pläne und seine Garantie für die Firma ihrer Familie.

In diesem Moment mochte sie sich selbst nicht. Sie hatte sich wie ein Feigling verhalten und war panisch abgehauen. Für eine Frau, die sich selbst für stark und vernünftig hielt, war es unverzeihlich, den Bräutigam am Altar stehen zu lassen.

Sie hatte gerade erneut nach ihrer Kaffeetasse gegriffen, als es an der Tür klopfte. Verwundert stand sie auf. Weder hatte sie etwas beim Zimmerservice bestellt noch irgendjemandem mitgeteilt, wo sie sich aufhielt, nicht einmal Giulia.

Ein Blick durch den Türspion verriet ihr, wer draußen stand. Als sie William Pemberton erkannte, schnürte sich ihr Magen zusammen.

„Gabriella, ich weiß, dass du hier bist. Mach auf“, rief er ungeduldig.

Sie schluckte, doch der Kloß in ihrer Kehle blieb.

„Du hast ziemlichen Mist gemacht. Ich will dir helfen.“

„Das bezweifle ich.“ Ihre Stimme klang fester als erwartet. Sehr gut.

„Den Schaden zu begrenzen, den du angerichtet hast, hilft dir und Stephen. Lass mich rein.“

„Ist er mitgekommen?“

„Nein. Und jetzt mach endlich auf.“

Sie gab nach, denn das Letzte, was sie brauchte, war ein Gespräch, das jeder mitbekam, der über den Hotelflur lief.

William trat ein, und sie schloss die Tür hinter ihm.

Ein schneller Blick in sein Gesicht verriet ihr, dass er ausgesprochen wütend war. Zu Recht. Aber sie würde nicht nachgeben. Auch wenn es für Schwierigkeiten sorgen würde, war es richtig, was sie getan hatte.

„Deine Schwester hatte eine Vermutung, wo du sein könntest“, erklärte er.

„Ich habe ihr kein Wort verraten“, widersprach sie erstaunt.

„Sie ist deine Schwester, und sie kennt deine Vorliebe für Notting Hill.“

„Ich konnte es nicht tun, William. Ich hätte ihn nicht heiraten können. Es ist … Wir haben nicht …“ Ihre Stimme brach, und sie wandte sich ab. Trotz des Espressos fühlte sie sich plötzlich müde.

Er seufzte. „Verdammt, Gabriella, ich bin echt wütend. Du weißt, dass ich dich mag. Eigentlich fand ich immer, dass eure Heirat ein Fehler ist. Aber ernsthaft? Am Tag der Hochzeit, wenn schon alle Gäste in der Kapelle sind? Warum hast du so lange gewartet?“

Tränen stiegen ihr in die Augen. „Ich habe geglaubt, ich würde es schaffen. Mama und Papa … ich wollte es für sie tun. Dass Aurora in unsere Firma einsteigt, wäre die Rettung gewesen, jetzt wo mein Vater …“ Sie konnte den Satz nicht zu Ende bringen. Das Wort Krebs brachte sie nicht heraus. „Und nun habe ich alles noch schlimmer gemacht.“

Sie drehte sich um und starrte aus dem Fenster, um ihre Fassung wiederzuerlangen. In der Dämmerung lag die Stadt unter ihr. Sie atmete tief durch und hatte sich schnell wieder unter Kontrolle. „Was ist in der Kapelle geschehen?“, wollte sie wissen, als sie sich wieder zu William umgewandt hatte.

„Stephen hat erzählt, du wärst krank. Dadurch konnten wir ein bisschen Zeit schinden, um neu zu planen.“

„Neu planen?“, wiederholte sie alarmiert. „William … nein, das kann ich nicht. Das mit der Hochzeit hat sich erledigt. Ich verspreche dir, dass ich alles zurückzahle, was ich ausgegeben habe, und …“ Sie dachte an ihren Vater, der die Tortur der Krebsbehandlung über sich ergehen lassen musste. Er war zu schwach gewesen, zu ihrer Hochzeit zu kommen. All die Ängste, die sie in den vergangenen Wochen nicht zugelassen hatte, brachen nun über ihr zusammen. Was, wenn sie die Firma nicht retten konnten? Was, wenn er starb?

Sie spürte Williams große, kraftvolle Hände auf ihren Schultern, und ohne ein Wort schob er sie hinüber zu dem Tisch, wo ihre Kaffeetasse und die Kanne noch standen. Er drückte sie in einen der Sessel, setzte sich in den anderen und schenkte sich Espresso ein.

„Lass dir Zeit“, sagte er. „Ich schätze, du selbst musst auch erstmal damit klarkommen.“

Als sie ihn ansah, bemerkte er, dass erneut Tränen in ihren Augen standen.

„Es hat wenig Sinn, jetzt etwas übers Knie zu brechen“, fuhr er fort.

„Wenn du wieder weißt, was du willst, können wir darüber nachdenken, was wir tun wollen.“

Sie hatte ihn immer für den Lustigen der beiden Brüder gehalten, während Stephen der Ernsthaftere war. Nun erkannte sie, dass auch William genau wusste, was er wollte.

Während sie sich die Tränen abwischte, zog er sein Smartphone aus der Tasche und tippte eine Nachricht.

„Was machst du?“, wollte sie wissen.

„Ich schreibe Stephen, dass er die Geschichte von deiner Krankheit noch aufrechterhalten soll. Und dann informiere ich deine Schwester, dass ich dich gefunden habe und es dir gut geht. Immerhin hast du auch sie einfach im Stich gelassen, in einem fremden Land, in dem sie niemanden kennt.“

„Immerhin ist Marco bei ihr“, wandte sie ein, doch sie wusste, dass er recht hatte.

„Ja, und sie wohnen jetzt bei uns im Haus. Was meinst du, was das für ein Gefühl für sie ist?“

Gabriella sprang auf. „Ja, ich bin ein ganz, ganz schlechter Mensch. Ist es das, was du hören willst, William?“

Doch weder ihre Tränen noch ihre Wut beeindruckten ihn. „Alles, was ich sage, ist, dass einiges zu bedenken ist. Alle Welt geht davon aus, dass du eine Lebensmittelvergiftung hattest und zu krank warst, um die Hochzeitszeremonie mitzumachen. Wir füttern die Medien mit kleinen Häppchen über deinen aktuellen Gesundheitszustand. Und auch hier wird niemand plaudern, dafür werde ich sorgen.“

Ja, die Pembertons hatten das Geld und den Status, um all das zu regeln, dachte sie bitter.

„Nun, scheint so, als hättest du alles unter Kontrolle.“ Sie schaffte es nicht, den ironischen Unterton zu unterdrücken.

„Nicht ganz“, gab er völlig unbeeindruckt zurück. „Damit alles klappt, musst du dich aus der Öffentlichkeit heraushalten – insbesondere fern von allen Paparazzi. Und das bedeutet, dass du nicht hierbleiben kannst.“

Sie verschränkte die Finger, um das verräterische Zittern zu verbergen. „Und was schlägst du vor, wohin ich gehen soll?“

„Nicht du. Wir. Ich lasse dich nicht aus den Augen. Was hältst du davon, uns etwas zu essen zu bestellen, während ich alles organisiere?“

Ohne sie weiter zu beachten, wandte er sich ab. Deutlicher hätte er ihr nicht machen können, dass ab sofort er die Kontrolle über ihr Leben übernommen hatte. Sie war auf die Gnade der Familie Pemberton angewiesen. Aber das würde nicht so bleiben, schwor sie sich.

2. KAPITEL

Es war schon dunkel, als sie den Privatjet der Firma bestiegen. William hatte auf keinen Fall das Risiko eingehen wollen, mit einer Linienmaschine zu fliegen und in der Öffentlichkeit gesehen zu werden. Gabriella kam sich vor wie ein schmutziges kleines Geheimnis, das versteckt werden musste, bis es einen Plan gab, wie mit der Situation umzugehen war. Die Situation – das war sie, so viel war klar.

Zu gern wäre sie wütend gewesen darüber, wie William mit ihr umging. Aber wenn sie ehrlich war, wusste sie, dass sie der Firma einen PR-Albtraum eingebrockt hatte.

Obwohl sie schon mehrfach mit dem Jet geflogen war, kam sie sich an diesem Abend vor wie ein Eindringling.

Als Stephen Pembertons Verlobte war sie mit ihm von Italien nach London geflogen – von dort war es nicht weit bis nach Chatsworth Hall – oder nach Paris, wo er eine großzügige Wohnung hatte. Jetzt war das Flugzeug vollgetankt und wartete bereits auf die Passagiere. Allerdings war das eigentliche Ziel Malta gewesen, wo Gabriella und Stephen ihre Flitterwochen hatten verbringen wollen.

„Wohin fliegen wir eigentlich?“, wollte sie wissen.

„Zum Château.“

Richtig, er hatte Frankreich erwähnt. Aber sie war zu nervös gewesen, um es zu registrieren. Sie ließ sich in das butterweiche Leder des Sitzes gleiten und biss sich auf die Lippe. „Und wie lange?“

Er zuckte die Schultern. „Ein paar Tage, eine Woche – schwer zu sagen.“

Eine Woche. Sie runzelte die Stirn. Hauptsache, sie war in Italien, wenn ihr Vater operiert wurde.

Während William mehrere Telefonate geführt hatte, um alles zu organisieren, hatte sie nur mit drei Menschen gesprochen: ihrer Schwester und ihren Eltern.

Giulia gegenüber war sie vollkommen ehrlich gewesen und hatte sich entschuldigt, sie einfach so im Stich gelassen zu haben. Giulia hatte sie beruhigt und versichert, die Pembertons seien sehr nett zu ihr, und sie müsse sich keine Sorgen machen. Das war typisch für ihre kleine Schwester – Giulia versuchte immer, es allen recht zu machen.

Ihren Eltern hatte sie eine andere Geschichte aufgetischt. Sie hatte sie angelogen, und das hatte ihr das Herz zerrissen. Da es am einfachsten gewesen war, auch ihnen die Version der Lebensmittelvergiftung zu erzählen, war sie dabei geblieben. Mit der Begründung, es gehe ihr noch nicht wieder besonders gut, hatte sie das Telefonat kurzhalten können.

Doch die Lüge lastete schwer auf ihr, und sie wusste nicht, ob sie ihnen jemals wieder in die Augen sehen könnte. Denn es war viel mehr gewesen als nur eine Unwahrheit – sie hatte ihren Eltern die Chance genommen, das Familienunternehmen zu retten. Wenn sie das nicht irgendwie doch noch schaffte, würden ihre Eltern vielleicht verkaufen müssen.

Die Partnerschaft mit Aurora hätte ihrem Vater während seiner Krebsbehandlung die notwendige Atempause verschafft. Sie war achtundzwanzig Jahre alt und hatte vor nicht allzu langer Zeit ihr Betriebswirtschafts-Studium abgeschlossen – wie sollte sie eine große Firma leiten, die noch dazu in finanziellen Schwierigkeiten steckte?

Ihre Kehle schnürte sich zu. Sie war im Begriff, eine Menge Menschen zu enttäuschen, und das setzte ihr massiv zu.

„Woran denkst du?“, riss William sie aus ihren Grübeleien. Er hatte ihr gegenüber Platz genommen und griff nach seinem Sicherheitsgurt.

„Daran, dass ich alles ruiniert habe. Meine Eltern … Die Hochzeit mit Stephen hätte es ermöglicht, die Firma im Namen meines Vaters weiterzuführen. Jetzt werden wir wohl verkaufen müssen.“ Sie sah William direkt an. „Ich fühle mich entsetzlich selbstsüchtig. Auch wenn ich weiß, dass es falsch gewesen wäre, Stephen zu heiraten.“

„Wäre es tatsächlich so schlimm gewesen, eine Gräfin zu werden?“

„Vielleicht glaubst du mir nicht, aber ich mache mir nichts aus solchen Dingen. Was bedeutet es schon, einen Titel zu haben, wenn man unglücklich ist? Nicht, dass dein Bruder so schrecklich wäre“, fügte sie hastig hinzu. „Aber ich liebe ihn nicht, und ich kann mir nicht vorstellen, mit jemandem zusammenzuleben, der mir nichts bedeutet. Ich hatte geglaubt, es zu schaffen, aber …“ Sie wandte sich ab. „Vielleicht bin ich nur naiv. Vermutlich klingt das alles für dich ziemlich albern.“

„Nein, das tut es nicht“, versicherte William. „Du hättest uns den Eklat in der Kirche ersparen können, aber ich stimme dir absolut zu. Die Verlobung war Unsinn. Ich habe nie verstanden, wie Stephen auf diese Idee kommen konnte.“

Das Flugzeug fuhr langsam auf die Startbahn zu, und Gabriella schloss den Anschnallgurt. „Er liebt eure Mutter sehr. Und er wollte ihr Hoffnung geben, eine Vision für die Zukunft, um ihr über den Tod ihres Mannes hinwegzuhelfen. Eine Hochzeit und … ein Baby. Ein Enkelkind, das die Familientradition weiterführt. Ist das so falsch?“

Sein Angebot war ihr verlockend erschienen. Und sie mochte ihn wirklich gern. Vor drei Jahren waren sie sich zum ersten Mal begegnet. Damals hatte sie angefangen, bei Baresi zu arbeiten, und Stephen hatte die Zulieferer von Aurora kennenlernen wollen. Er war charmant gewesen und höflich, und sie hatten sich angefreundet. Irgendwann im Laufe der Jahre hatte sie ihm bei einem Glas Chianti anvertraut, dass sie sich Sorgen um die finanzielle Situation von Baresi machte. Und dann hatte er ihr angeboten, sie zu heiraten und die Firma in die Aurora-Holding zu übernehmen.

Er hatte gesagt, er vertraue ihr, weil sie Freunde seien. Bei der Erinnerung an diese Worte röteten sich ihre Wangen voller Scham. Genau dies war der Knackpunkt. Ein Kind von Stephen zu bekommen, erschien ihr unmöglich. Er war ihr ein guter Freund, er war ehrbar und zuverlässig. Sie mochte ihn sehr – aber mehr auch nicht.

Genau darauf lief es immer wieder hinaus. Die Liebe fehlte. Es war eine rein platonische Beziehung, zumindest von ihrer Seite, und sie ging davon aus, dass er ähnlich empfand.

„Die Idee war nicht schlecht“, sagte sie. „Andererseits war es … Ich mag deine Familie. Sie war immer gut zu mir. Wahrscheinlich hassen mich jetzt alle.“

„Nun, soweit sie wissen, hast du Stephen das Herz gebrochen und einen Skandal provoziert.“

Autor

Donna Alward

Als zweifache Mutter ist Donna Alward davon überzeugt, den besten Job der Welt zu haben: Eine Kombination einer „Stay-at-home-mom“ (einer Vollzeit – Mutter) und einem Romanautor. Als begeisterte Leserin seit ihrer Kindheit, hat Donna Alward schon immer ihre eigenen Geschichten im Kopf gehabt. Sie machte ihren Abschluss in Englischer Literatur...

Mehr erfahren

Entdecken Sie weitere Bände der Serie

Heirs to an Empire